Gil Evans

Ansicht von 15 Beiträgen - 1 bis 15 (von insgesamt 16)
  • Autor
    Beiträge
  • #10432729  | PERMALINK

    friedrich

    Registriert seit: 28.06.2008

    Beiträge: 5,495

    Ich hieve das zum 30. Todestag von Gil Evans mal hier rüber.

    friedrichR.I.P. Ian Ernest Gilmore „Gil“ Evans (born Green; May 13, 1912 – March 20, 1988)

    gypsy-tail-windRippen wir jetzt schon Tote?
    Schönes Album bzw. schöne zwei Alben, ist heutzutage ja wohl der CD-Twofer, der läuft? Mit dem Debut werde ich ingegen nur so halbwegs war, und so richtig grossartig wird es dann – neben den Sachen mit MD – ein paar Jahre später auf Impulse! und Verve.

    Wie gesagt, der Anlass ist der 30. Todestag von Gil Evans – und da kann man ihm ruhig auch weiterhin friedliche Ruhe wünschen.

    Das Great Jazz Standards-Album war eins meiner ersten Jazzalben überhaupt, für maximal DM 4,99 bei Zweitausendeins gekauft. Damals verstand ich diese Musik überhaupt nicht. Konnte keine klaren Umrisse erkennen, das wirkte auf mich formlos, altmodisch, bieder, kam mir un-funky und un-cool vor. Aber ich hörte das auch aus der Perspektive eines Pop-Fans. Und ich habe die Platte dennoch behalten.

    Heute höre ich das ganz anders. Die transluzent übereinander geschichteten Klangflächen, die irritierenden Harmonien, der dramatische Aufbau, die herausstechenden Soli. Ganz bestimmt nicht funky, aber cool wie nur was!

    Eigentlich war es eine zufällige (?) Verkettung von Ereignissen, die mich aktuell auf Gil Evans brachte. Im Die schönsten Jazz-Soli-Thread hatte ich das Stück Remember von Gil Evans & Ten mit einem sehr schön herausstechenden Solo von Steve Lacy gepostet – leider ohne Reaktion. Und wenige Tage später stelle ich fest, dass sich der Todestag von Gil Evans zum 30. mal jährt.

    --

    “There are legends of people born with the gift of making music so true it can pierce the veil between life and death. Conjuring spirits from the past and the future. This gift can bring healing—but it can also attract demons.”                                                                                                                                          (From the movie Sinners by Ryan Coogler)
    Highlights von Rolling-Stone.de
    Werbung
    #10432773  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
    Moderator
    Biomasse

    Registriert seit: 25.01.2010

    Beiträge: 69,787

    Das mit dem „leider ohne Reaktion“ kommt mir irgendwie seit Jahren und tausenden Posts bekannt vor  :whistle: (Sorry trotzdem für die Tippfehler heute morgen im Bureau … hier ist ein H und hier ein M.)

    Ansonsten war mein Einstieg die Box mit den gesamten MD/Evans-Aufnahmen, damals von meinem Taschengeld abgespart, ich kannte davor schon „Sketches of Spain“, aber mit der Box hat das dann so richtig gezündet. Sie ist voller alternativer Versionen (da wurde schon oft im Studio was zusammengebastelt und auf den Mono/Stereo-Ausgaben der LPs gab es teils andere Edits und Ähnliches), Rehearsals etc. und fasziniert mich auch nach über 20 Jahren noch ungemein.

    --

    "Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #167: Jazz-Neuheiten 2025 - 11.11., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba
    #10432991  | PERMALINK

    soulpope
    "Ever Since The World Ended, I Don`t Get Out As Much"

    Registriert seit: 02.12.2013

    Beiträge: 56,976

    Auch so übel nicht …. und Cannonball Adderley tanzt akrobatisch über den orchestralen Wogen ….

    --

      "Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit" (K. Valentin)
    #10432993  | PERMALINK

    h8g7f6

    Registriert seit: 11.11.2016

    Beiträge: 1,016

    Ich mag das besonders gern !

    --

    #10433935  | PERMALINK

    friedrich

    Registriert seit: 28.06.2008

    Beiträge: 5,495

    gypsy-tail-windDas mit dem „leider ohne Reaktion“ kommt mir irgendwie seit Jahren und tausenden Posts bekannt vor

    Das ist ein Elend, das hier wohl viele erleiden. :-( Den Solo-Thread fand ich aber bislang recht kommunikativ, denn selbst wenn nicht direkt auf einen Post eingegangen wurde, so regte ein post offenbar auch mal einen anderen post an. Und eine gezielte Nachfrage kann auch helfen.

    Ansonsten war mein Einstieg die Box mit den gesamten MD/Evans-Aufnahmen, damals von meinem Taschengeld abgespart, ich kannte davor schon „Sketches of Spain“, aber mit der Box hat das dann so richtig gezündet. (…)

    Die Aufnahmen mit Miles sind natürlich Klassiker. Gil Evans‘ Aufnahmen unter eigenem Namen ohne Miles scheinen dagegen oft etwas im Schatten zu stehen. Zu Unrecht, finde ich. Da ist der Fokus aber ein anderer, eben nicht auf den Starsolisten, sondern mehr in die Breite oder Tiefe eingestellt, auf die vielschichtigen Klangfarben des Orchesters und verschiedene Solisten wie Steve Lacy und Jimmy Cleveland auf Gil Evans & Ten, wo sie sehr schön miteinander kontrastieren und den Arrangements außergewöhnliche farbliche Akzente hinzufügen.

    soulpope „Gil Evans – Manteca“ Auch so übel nicht …. und Cannonball Adderley tanzt akrobatisch über den orchestralen Wogen ….

    Das hätte man auch gut im Solo-Thread posten können.

    Ich kenne das Old Wine-Album nicht und bekenne, dass ich den Fetenhit ( ;-) ) Manteca niemals mit Gil Evans in Verbindung gebracht hätte. Klar, eine Neigung zu Latin ist bei Gil Evans offensichtlich, teils programmatisch, aber eher nicht zur extrovertierten tänzerischen Seite, sondern eher zur melodramatischen melancholischen Seite. Ohne das bewerten zu wollen: Manteca scheint mir in Evans‘ Werk eher etwas untypisch zu sein. Und der Wonneproppen Cannonball als Solist scheint mir auch eher eine ungewöhnliche Wahl. Umso interessanter.

    --

    “There are legends of people born with the gift of making music so true it can pierce the veil between life and death. Conjuring spirits from the past and the future. This gift can bring healing—but it can also attract demons.”                                                                                                                                          (From the movie Sinners by Ryan Coogler)
    #10434991  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
    Moderator
    Biomasse

    Registriert seit: 25.01.2010

    Beiträge: 69,787

    friedrich
    Die Aufnahmen mit Miles sind natürlich Klassiker. Gil Evans‘ Aufnahmen unter eigenem Namen ohne Miles scheinen dagegen oft etwas im Schatten zu stehen. Zu Unrecht, finde ich. Da ist der Fokus aber ein anderer, eben nicht auf den Starsolisten, sondern mehr in die Breite oder Tiefe eingestellt, auf die vielschichtigen Klangfarben des Orchesters und verschiedene Solisten wie Steve Lacy und Jimmy Cleveland auf Gil Evans & Ten, wo sie sehr schön miteinander kontrastieren und den Arrangements außergewöhnliche farbliche Akzente hinzufügen.

    Das stimmt schon, aber gerade das Debut mag bei mir einfach nicht so richtig zünden. Die Pacific-Alben schon eher (ich habe sie auf dem Capitol/EMI/Blue Note Twofer), jedenfalls möchte ich sie auf keinen Fall missen!

    Richtig grossartig finde ich dann allerdings diese zwei hier:


    Von letzterer gab es zwar nur eine hier zu kriegende CD-Auflage (in Japan mag das anders aussehen) (was wohl auch ein Zeichen von Erfolg ist: war halt in all den Jahren nie vergriffen), die hat es aber durchaus in sich, denn sie enthält 35 Minuten, die nicht Teil der LP waren.

    Danach, wenn es elektrisch wird, vor Jimi und anderen der Hut gezogen wird, tue ich mich wieder etwas schwerer, doch uninteressant ist nichts, was ich von Evans hörte … und ich bleibe dran :-)

    --

    "Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #167: Jazz-Neuheiten 2025 - 11.11., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba
    #10435047  | PERMALINK

    soulpope
    "Ever Since The World Ended, I Don`t Get Out As Much"

    Registriert seit: 02.12.2013

    Beiträge: 56,976

    gypsy-tail-wind

    Danach, wenn es elektrisch wird, vor Jimi und anderen der Hut gezogen wird, tue ich mich wieder etwas schwerer, doch uninteressant ist nichts, was ich von Evans hörte … und ich bleibe dran

    Der „elektrische“ Gil Evans ist wahrlich ein Monolith und für mich eigentlich nur aufgrund einiger Konzerterlebnisse aus den 80ern greifbar …. aber auch hier ein permanenter Kompromiss zwischen superben Arrangements von Evans, tollen Solisten wie George Adams, Hannibal Marvin Peterson & Lew Soloff  und dem nahezu unerträglichen Lärm vom Hiram Bullock ….

    Edit : Ich habe eine Herzensangelegenheit aus dem „Public Theatre“ Mitschnitt in den „Schönste Soli ….“ Thread eingestellt …..

    --

      "Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit" (K. Valentin)
    #10437101  | PERMALINK

    friedrich

    Registriert seit: 28.06.2008

    Beiträge: 5,495

    @gypsy-tail-windDas stimmt schon, aber gerade das Debut mag bei mir einfach nicht so richtig zünden. Die Pacific-Alben schon eher (ich habe sie auf dem Capitol/EMI/Blue Note Twofer), jedenfalls möchte ich sie auf keinen Fall missen!
    Richtig grossartig finde ich dann allerdings diese zwei hier:


    Von letzterer gab es zwar nur eine hier zu kriegende CD-Auflage (in Japan mag das anders aussehen) (was wohl auch ein Zeichen von Erfolg ist: war halt in all den Jahren nie vergriffen), die hat es aber durchaus in sich, denn sie enthält 35 Minuten, die nicht Teil der LP waren. (…)

    Klaro, Out Of The Cool und The Individualism sind großartig und darauf sollte man beizeiten mal genauer eingehen. Aber dann denke ich auch – angefangen hat das ja noch viel früher, mit Birth Of Of The Cool (und btw klingt + Ten auch noch ganz schön cool), eigentlich ja noch viel früher, in einer geheimnisvollen, fast schon prähistorischen Zeit, mit einer beinahe der Vergessenheit anheim gefallenen Gestalt: Claude Thornhill.

    Oder hier, getragener und romantisch gefärbt:

    --

    “There are legends of people born with the gift of making music so true it can pierce the veil between life and death. Conjuring spirits from the past and the future. This gift can bring healing—but it can also attract demons.”                                                                                                                                          (From the movie Sinners by Ryan Coogler)
    #12554407  | PERMALINK

    friedrich

    Registriert seit: 28.06.2008

    Beiträge: 5,495

    Gil Evans – Gil Evans & Ten (1957)

    Gil Evans Debütalbum unter eigenem Namen. Davor war er schon viel als Arrangeur für andere tätig gewesen, mal mehr, mal weniger prominent. Das meiste davon kenne ich nicht, nur Birth Of The Cool, Helen Merrill’s Album Dream Of You (1956), auf dem Evans’ eigene Handschrift aber nur teilweise zu erkennen ist. Natürlich das (genau genommen) zweite Album mit Miles Davis, Miles Ahead. Da steht Gil Evans aber überall im Dienste von Solisten oder einer Sängerin und das Arrangement dient mehr oder minder dazu, diese gut in Szene zu setzen. Eine supporting cast, wichtig und unverzichtbar, aber nicht im Zentrum stehend. Das ändert sich grundsätzlich bei Gil Evans & Ten, wo der Klang des Orchesters die Hauptrolle spielt und die Solisten als Garnierung, als Glanzpunkte oben drauf gesetzt werden.

    Mal genau hingehört: Das Album beginnt getragen – und das ist wichtig! Ein paar Tupfer auf dem Klavier, dahinter das vielstimmige Orchester. Transparent geschichtete Klänge, eigenartige Klangfarben und Harmonien. Evans setzt u.a. Bass-Posaune, Waldhorn und Fagott ein. Die verschiedenen Schichten verschieben sich gegeneinander, schwellen an und ab oder setzten auch mal ganz aus. Diese Musik atmet, manchmal nur mit einem Hauch, manchmal hält sie sogar die Luft an. Das erzeugt eine subtile Spannung, nicht nur zwischen den Klangschichten, sondern auch im zeitlichen Ablauf. Dann hebt sich daraus Steve Lacy auf dem Sopransaxophon heraus. Der Bass setzt eine paar Akzente. Schlagzeug hört man nur ganz entfernt im Hintergrund. Ach ja, die Komposition ist Remember von Irving Berlin. Ich glaube nicht, das ich das in irgendeiner anderen Interpretation kenne. Überhaupt: Evans nimmt hier mit einer Ausnahme nur Standards als Grundlage, aber nur Stücke, die – zumindest mir – nicht geläufig sind. Etwas kurios ist sogar ein Stück der Blues-Legende Ledbetter alias Leadbelly.

    Im Grunde ist damit schon beschrieben, was Gil Evans Stilmittel auf diesem Album sind. Am deutlichsten kommt das bei den langsamen Stücken heraus. Da geht es viel um subtilen Klang und große Spannungsbögen, weniger um prägnante Themen oder Swing. Knackige Bläsersätze finden sich in den schnelleren Stücken. Auch schön, aber das ist nicht das, was Gil Evans zuvorderst ausmacht.

    Ich unterstelle mal, das Evans stark von europäischer Klassik beeinflusst ist. Nein, natürlich weiß ich das sogar, denn das hat er immer wieder mal betont, vor allem von französischen und spanischen Impressionisten, von denen ich aber keine Ahnung habe. Das ist Orchestermusik, Solisten unterstützen das Orchester, nicht umgekehrt und setzen in diesem Klanggewebe Akzente. Herausragend in diesem Sinne Steve Lacy (Sopransax) und Jimmy Cleveland (Posaune), in ihrer Art fast gegensätzlich: Hier der hohe, manchmal spitze und bewegliche Klang des Sopran, dort der tiefere, weiche und gemächlichere Klang der Posaune. Spielt es eine Rolle, dass das nicht die „Königsinstrumente“ Tenorsax und Trompete sind? Ich glaube schon!

    Ich kam auf Gil Evans & Ten zurück, weil das großartige Stück Nobody’s Heart davon auf der großen Prestige-Box enthalten ist, zu der ich hier was erzählt habe und weil ein späteres Album von Gil Evans bei den RS-Top 100 Jazzalben Thema war. Gil Evans & Ten steht vielleicht etwas im Schatten von Evans späteren Alben und den Alben mit Miles. Eigentlich schade, finde ich!

    --

    “There are legends of people born with the gift of making music so true it can pierce the veil between life and death. Conjuring spirits from the past and the future. This gift can bring healing—but it can also attract demons.”                                                                                                                                          (From the movie Sinners by Ryan Coogler)
    #12554663  | PERMALINK

    thelonica

    Registriert seit: 09.12.2007

    Beiträge: 4,455

    Im Grunde ist damit schon beschrieben, was Gil Evans Stilmittel auf diesem Album sind. Am deutlichsten kommt das bei den langsamen Stücken heraus. Da geht es viel um subtilen Klang und große Spannungsbögen, weniger um prägnante Themen oder Swing.

    Auch ein Lieblingsalbum von mir, war ein Geschenk von einem Paar (er Musiker, sie Kollegin). Zu „Such Sweet Thunder“ hörte ich kürzlich ein paar Parallelen, Gil Evans kannte sich mit Ellington sehr gut aus, klar. Was Swing angeht würde ich vielleicht darauf hinweisen, dass es so viele Abstufungen gibt (soft, slow, auch welche die nicht immer gut/exakt hörbar sind). Ich habe mir die Platte neulich noch wegen Paul Chambers angehört, weil er auch einen exzellenten Job machte (vergleichbar mit einem Bassisten bei Ellington vielleicht). Und ähnlich wie bei John Lewis oder Ellington gibt es hier und da Passagen, wo das Element Swing einsetzt oder aussetzt. „Remember“ könnte fast John Lewis oder Ellington sein. Und „Ella Speed“ erinnert etwas an Mulligan und Ellington, obwohl es ein Song von Leadbelly ist. Ich würde sagen, dass Paul Chambers auch bei den langsamen Stellen von „Big Stuff“ (Bernstein) im mittleren Teil noch swingt, nur im Intro und am Ende ist mehr geschriebene Musik zu hören. „Big Stuff“ * in dieser Version hat ein bißchen was von „Somewhere Over The Rainbow“, finde ich. Das Ballett Fancy Free von Bernstein wurde 1944 komponiert, „Over The Rainbow“ ist allerdings von 1939. Ungewohnt (für die heutige Zeit?) ist vielleicht, dass man sich (damals) so wirklich die Zeit nahm, „Nobody’s Heart“ zieht sich ein bißchen bevor der Swing einsetzt (John Lewis arrangierte manchmal ähnlich). Während es bei „Just One Of Those Things“ sofort los ging (dürfte Coltrane vielleicht inspiriert haben, oder?).  *Hier ist „Big Stuff“ in der Version von Billie Holiday zu hören, war mir auch nicht bekannt, dass sie einen Song (!) von Bernstein gesungen hatte.

    --

    #12555277  | PERMALINK

    friedrich

    Registriert seit: 28.06.2008

    Beiträge: 5,495

    Keineswegs bestreite ich, dass Gil Evans swingt! ;-)

    Aber er swingt doch oft anders als man es im Jazz meist hört, also nicht mit einem klar durchgehenden beat, den man mit dem Fuß klopfen oder mit den Fingern schnippen kann, meist von bass und drums als tragendem Gerüst gespielt. Mir ist erst, als ich in der Nacht nicht einschlafen konnte, eingefallen, wie ich die Rhythmik bei Gil Evans beschreiben kann: Seine Musik atmet. Da ist eine kontinuierliche auf und ab wogende Bewegung, mal mehr, mal weniger intensiv und mal mehr, mal weniger regelmäßig. Weicher als ein beat, geschmeidiger. Die verschiedenen Stimmen atmen auch unterschiedlich. Und der Atem wird auch mal angehalten. Und ja, manchmal zieht sich das auch ein wenig, da wird Spannung aufgebaut, die man aushalten muss. Da hält man selber auch mal den Atem an.

    In folgendem Zitat aus der Wikipedia zum Thema musikalischer Impressionismus (à la Claude Debussy) habe ich nur die markierten Begriffe ausgetauscht:

    „Das hervorstechendste Merkmal von Gil Evans’ der impressionistischen Musik ist die Klangfarbe und die Instrumentierung. Typisch sind Schichtungen von musikalischen Ebenen: Ein profunder, aber nicht aufdringlicher Bass, bewegte Mittelstimmen und ein signifikantes Motiv in den Oberstimmen (…)“

    Passt, oder? Das tritt besonders klar bei den langsameren Stücken auf Gil Evans & Ten hervor, die ich auch am besten finde. Da findet ein Kulturtransfer vom klassischen Impressionismus hin zum Jazz statt. Der Swing und die Formen auf den schnelleren Stücken sind konventioneller und prononcierter, klarer konturiert.

    Ich glaube sofort, dass Gil Evans Duke Ellington (und Strayhorn, der ja auch klassisch geschult war) verinnerlicht hat. John Lewis: Auch klassisch geschult. Für einen Augenblick dachte ich: Eigentlich hätte Evans auch mal was mit George Gershwin machen müssen. Aber das hat er ja mit Miles Davis und Porgy & Bess! 😅

    Vielen Dank auch für die anderen Hinweise.

    --

    “There are legends of people born with the gift of making music so true it can pierce the veil between life and death. Conjuring spirits from the past and the future. This gift can bring healing—but it can also attract demons.”                                                                                                                                          (From the movie Sinners by Ryan Coogler)
    #12555297  | PERMALINK

    thelonica

    Registriert seit: 09.12.2007

    Beiträge: 4,455

    Mir gefällt auch, dass er die Musik insgesamt mehr atmen lässt, elegisch wäre auch ein passendes Wort für bestimmte Parts. Die Skills des Arrangierens nutzte er für „& Ten“ nicht bis zum Maximum, obwohl es auf „Great Jazz Standards“ schon mal etwas lauter wird (allerdings nicht so extrem wie bei Kenton z.b.). Interessant sind jedenfalls auch diese Änderungen oder Wechsel beim Tempo innerhalb eines  Stückes, das macht es schon etwas anspruchsvoller/interessanter, Bernstein und Ellington (bei seinen Suiten) hatten es ja ganz ähnlich gemacht. Bei „Great Jazz Standards“ werden auch unterschiedlich Stimmen gefeatured (z.B. Chuck Wayne, Johnny Coles…). Hörenswert ist dort z.B. die Version von „Django“, man brauchte die 8 Minuten für richtige Orchestermusik. (Und Elvin Jones zeigte bei „Great Jazz Standards“, dass er eigentlich schon bereit für „Africa Brass“ gewesen wäre.)

    --

    #12555445  | PERMALINK

    friedrich

    Registriert seit: 28.06.2008

    Beiträge: 5,495

    thelonicaMir gefällt auch, dass er die Musik insgesamt mehr atmen lässt, elegisch wäre auch ein passendes Wort für bestimmte Parts. Die Skills des Arrangierens nutzte er für „& Ten“ nicht bis zum Maximum, obwohl es auf „Great Jazz Standards“ schon mal etwas lauter wird (allerdings nicht so extrem wie bei Kenton z.b.). Interessant sind jedenfalls auch diese Änderungen oder Wechsel beim Tempo innerhalb eines Stückes, das macht es schon etwas anspruchsvoller/interessanter, Bernstein und Ellington (bei seinen Suiten) hatten es ja ganz ähnlich gemacht. Bei „Great Jazz Standards“ werden auch unterschiedlich Stimmen gefeatured (z.B. Chuck Wayne, Johnny Coles…). Hörenswert ist dort z.B. die Version von „Django“, man brauchte die 8 Minuten für richtige Orchestermusik. (Und Elvin Jones zeigte bei „Great Jazz Standards“, dass er eigentlich schon bereit für „Africa Brass“ gewesen wäre.)

    Stellt sich die Frage, über welche „Skills des Arrangierens“ Gil Evans und insbesondere Gil Evans verfügt. Ich höre einen sehr sensiblen und originellen Umgang mit Klangfarben, den raffinierten Aufbau von Spannung im zeitlichen Verlauf und den geschickten Einsatz von Solisten als Akzent. Great Jazz Standards ist tatsächlich nicht so getragen und elegisch wie Gil Evans & Ten, dafür dynamischer, zupackender und „etwas lauter“. Stan Kenton kenne ich kaum.

    Great Jazz Standards steht bei mir als nächstes auf dem Hörplan. Werde da mal auch auf Elvin Jones achten.

    --

    “There are legends of people born with the gift of making music so true it can pierce the veil between life and death. Conjuring spirits from the past and the future. This gift can bring healing—but it can also attract demons.”                                                                                                                                          (From the movie Sinners by Ryan Coogler)
    #12555473  | PERMALINK

    thelonica

    Registriert seit: 09.12.2007

    Beiträge: 4,455

    Der Arrangeur macht die ganzen bestmöglichen Vorgaben, schreibt die Übergänge und all das was Du auch schon erwähnt hast zu Gil Evans & Ten. Beim Conducting kann dann noch etwas mehr rausgeholt werden, wenn das Ensemble etwas zu leise spielt, oder zu laut, oder zu schnell. In einer Small Group kann auch ein Drummer, Bassist oder Gitarrist sich um diese Sachen kümmern, dazu beitragen das was gelingt, ganz ohne Conductor. Ich habe ein paar Fotos mit Evans beim Dirigieren gesehen, daher glaube ich, dass er diesen Part auch ernst genommen hat und in der Zeit erfolgreich ausführen konnte. Durch Reduzieren der Lautstärke  können Klangfarben, Spannungsbögen und alles andere besser navigiert werden, das Ergebnis ist dann anders als bei Kenton z.B., wo das oft gewollt war. Eigentlich hat Evans ja auch genug Praxis gehabt mit der Claude Thornhill Band, da kommt ja viel von dem Sound her, bei „Great Jazz Standards“ erweiterte er das nochmal um ein paar „moderne“ Elemente und auch traditionelle. Wobei „Django“ oder „Straight, No Chaser“ etwas nach Experimenten klingen, allerdings nahezu perfekte Experimente.

    --

    #12556569  | PERMALINK

    friedrich

    Registriert seit: 28.06.2008

    Beiträge: 5,495

    Der Job des Arrangeurs war mir grundsätzlich klar, nämlich die verschiedenen musikalischen Stimmen zu schreiben und zusammenzufügen, sowohl gleichzeitig als auch aufeinanderfolgend erklingend – eben das alles zu arrangieren. Ich hatte auch schreibend darüber nachgedacht, was Gil Evans‘ persönliche Handschrift ist, die ihn von anderen Arrangeuren unterscheidet und bei ihm das Arrangement von der Nebenrolle zur Hauptrolle befördert. Instrumentierung, Klang, Harmonien, Spannungsaufbau, Akzentuierung. Klar, die Art wie er dirigiert und der Musik dadurch den Feinschliff verleiht, ist gerade bei ihm auch sehr wichtig.

    Straight, No Chaser und Django auf Great Jazz Standards sind toll! Komme ich später drauf zurück.

    Apropos, Kombination von Klängen: Ich finde diese synästhetische Darstellung von Geschmackserlebnissen in dem wunderbaren Film Ratatouille sehr schön. Hier auch sowas wie ein Making Of davon.

    --

    “There are legends of people born with the gift of making music so true it can pierce the veil between life and death. Conjuring spirits from the past and the future. This gift can bring healing—but it can also attract demons.”                                                                                                                                          (From the movie Sinners by Ryan Coogler)
Ansicht von 15 Beiträgen - 1 bis 15 (von insgesamt 16)

Schlagwörter: , ,

Du musst angemeldet sein, um auf dieses Thema antworten zu können.