Antwort auf: Gil Evans

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friedrich

Registriert seit: 28.06.2008

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Keineswegs bestreite ich, dass Gil Evans swingt! ;-)

Aber er swingt doch oft anders als man es im Jazz meist hört, also nicht mit einem klar durchgehenden beat, den man mit dem Fuß klopfen oder mit den Fingern schnippen kann, meist von bass und drums als tragendem Gerüst gespielt. Mir ist erst, als ich in der Nacht nicht einschlafen konnte, eingefallen, wie ich die Rhythmik bei Gil Evans beschreiben kann: Seine Musik atmet. Da ist eine kontinuierliche auf und ab wogende Bewegung, mal mehr, mal weniger intensiv und mal mehr, mal weniger regelmäßig. Weicher als ein beat, geschmeidiger. Die verschiedenen Stimmen atmen auch unterschiedlich. Und der Atem wird auch mal angehalten. Und ja, manchmal zieht sich das auch ein wenig, da wird Spannung aufgebaut, die man aushalten muss. Da hält man selber auch mal den Atem an.

In folgendem Zitat aus der Wikipedia zum Thema musikalischer Impressionismus (à la Claude Debussy) habe ich nur die markierten Begriffe ausgetauscht:

„Das hervorstechendste Merkmal von Gil Evans’ der impressionistischen Musik ist die Klangfarbe und die Instrumentierung. Typisch sind Schichtungen von musikalischen Ebenen: Ein profunder, aber nicht aufdringlicher Bass, bewegte Mittelstimmen und ein signifikantes Motiv in den Oberstimmen (…)“

Passt, oder? Das tritt besonders klar bei den langsameren Stücken auf Gil Evans & Ten hervor, die ich auch am besten finde. Da findet ein Kulturtransfer vom klassischen Impressionismus hin zum Jazz statt. Der Swing und die Formen auf den schnelleren Stücken sind konventioneller und prononcierter, klarer konturiert.

Ich glaube sofort, dass Gil Evans Duke Ellington (und Strayhorn, der ja auch klassisch geschult war) verinnerlicht hat. John Lewis: Auch klassisch geschult. Für einen Augenblick dachte ich: Eigentlich hätte Evans auch mal was mit George Gershwin machen müssen. Aber das hat er ja mit Miles Davis und Porgy & Bess! 😅

Vielen Dank auch für die anderen Hinweise.

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“There are legends of people born with the gift of making music so true it can pierce the veil between life and death. Conjuring spirits from the past and the future. This gift can bring healing—but it can also attract demons.”                                                                                                                                          (From the movie Sinners by Ryan Coogler)