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ford-prefect Feeling all right in the noise and the lightRegistriert seit: 10.07.2002
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Zwischen 2000 und 2007 sah man ihn allabendlich in der Harald Schmidt Show als stichwortgebenden Sidekick am Nachbar-Schreibtisch. Inzwischen verdingt sich das ehemalige TV-Gesicht Manuel Andrack als Sachbuchautor. Denn Andrack ist leidenschaftlicher Wanderer, der bereits etliche Bücher über dieses Thema verfasste. Gestern las der Publizist in dem kleinen Bibliser Programm-Kino „Die Filminsel“ aus seinem neuesten Werk „Schritt für Schritt“ vor. In diesem Buch nimmt Andrack historische Pfade und Wege unter die Lupe, sei es die überlieferte Römerstraße – der Ausoniusweg – quer durch den Hunsrück, die christlichen Kreuzzüge unter Papst Urban II., die Schuhprüfstrecke im KZ Sachsenhausen oder, im Vergleich zu geschichtlichen Feldzügen, die lange Aachener Straße, auf der alle zwei Wochen in Köln rot-weiße Schlachtenbummler aus allen Himmelsrichtungen zum Rheinenergiestadion marschieren. Denn Manuel Andrack, seit 2002 Botschafter des Bieres, ist glühender Anhänger des 1. FC Köln. Ein tolles Sachbuch, das in seinem Ansatz auch von einem Roger Willemsen hätte stammen können. Sprachlich wie inhaltlich überzeugend. Hin und wieder begibt sich Andrack in gefährliche Lagen, etwa als Besteiger der halsbrecherisch steilen Watzmann-Ostwand.
Die kleine Gemeinde Biblis (zwischen Darmstadt und Mannheim) kam ebenfalls schon zu literarischen Weihen. Weil dort ein Atomkraftwerk steht, findet diese Stadt in dem Jugendbuchklassiker „Die Wolke“ von Schriftstellerin Gudrun Pausewang von 1987 Erwähnung, direkt auf der ersten Seite. Außerdem wurde in Biblis der Schauspieler Uwe Ochenknecht geboren.
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… und dem Wanderbuch-Autor hinterher im Foyer eine Signatur abgetrotzt …
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Thomas Meinecke – Café Dôme, Ludwigshafen/Rhein, 26.1.2017
In seinem neuen Roman Selbst, der im vergangenen Oktober 2016 erschien, lässt Suhrkamp-Autor Thomas Meinecke, Mitbegründer der 1980 gegründeten NDW-Band Freiwillige Selbstkontrolle (F.S.K.), einige Hipster auftreten, die sich in der Bankenmetropole Frankfurt am Main breit über Themen wie Gender (genauer gesagt über Androgynie oder „das Weibliche im Männlichen oder das Weibliche hinter dem Männlichen“), Pop, feministische Pornos und den amerikanischen Indianer-Stamm der Comanche auslassen. Zwischen einem Foto-Shooting auf der Baustelle der Europäischen Zentralbank und dem Institut für vergleichende Irrelevanz (ja, das soll es tatsächlich mal in Frankfurt/Main gegeben haben).
Seinen Roman, handlungsarm und reich an Dialogen, aus dem Thomas Meinecke im Ludwigshafener Café Dôme vorlas, unterfütterte der 61-Jährige in Nebensätzen und ganzen Passagen mit allerhand popkulturellem Wissen. So lässt Meinecke seine jungen Protagonisten über die letzten beiden Alben, „The Next Day“ und „Blackstar“, von David Bowie plaudern. Durch einige weitere Sätze spaziert namentlich Indie-Schauspielerin Tilda Swinton und außerdem wirft Meinecke die für „Wer wird Millionär?“ taugliche Frage auf: Welches Rilke-Zitat trägt Lady Gaga handschriftlich tätowiert auf ihrem linken Innenarm? „Mein Vater arbeitete einige Zeit hier in der Working-Class-Stadt Ludwigshafen bei der BASF als Chemiker, darum wohnten wir damals in Edingen-Neckarhausen“, verriet Schriftsteller Thomas Meinecke, ein intimer Brieffreund der öffentlichkeitsscheuen Elfriede Jelinek und nebenbei Moderator der Radio-Sendung Zündfunk auf Bayern 2, seinen 20 Zuhörern. Nach der Lesung schloss sich eine Frage-Runde mit dem Publikum an.
Am Samstag tritt an gleicher Stelle der muskelbepackte Underground-Musiker Rummelsnuff auf, ein ehemaliger Türsteher des Berliner Berghains. Und am 12. April kommt Theatermann Claus Peymann vorbei, dann im angeschlossenen großen Saal des Kulturzentrums DasHaus, wozu das Café Dôme gehört, um aus Texten von Thomas Bernhard vorzulesen.
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wie ist deine Empfehlung? Lesen, nicht lesen?
ford-prefect Feeling all right in the noise and the lightRegistriert seit: 10.07.2002
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kurganrs@ford-prefect,
wie ist deine Empfehlung? Lesen, nicht lesen?Die erste Hälfte des Romans stellt pure Popkultur dar. Je weiter man in dem Roman vordringt, desto mehr verdichten sich sperrig formulierte sozialwissenschaftliche Theorien und verklausulierte Gedankenspiele, umso langatmiger wird der Text. Wer das den Zeitgeist einfangende Buch liest, macht dennoch nichts verkehrt.
Meineckes Roman-Titel „Selbst“ bezieht sich übrigens, wie der Autor ausführte, auf die narzisstische Selbstdarstellung der Menschen der Gegenwart über moderne Technologien wie Selfies und Facebook.
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Wayne's World, Wayne's World, party time, excellent!@ford-prefect,
danke. Werde es mir ansehen.
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Philipp Winkler – Kurpfalztreff, Bobenheim-Roxheim, 30.1.2017
Im vergangenen Herbst stand der Roman Hool auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises, konnte die Auszeichnung jedoch nicht gewinnen. Hauptsächlich war dieser Titel für den Buchpreis nominiert wegen des bislang literarisch noch nicht erschlossenen Themas, nämlich die Kultur oder Unkultur der Holligans. Debütant Philipp Winkler lässt in seinem Erstling einen jungen Hooligang aus dem Umfeld von Hannover 96 auftreten, der sich regelmäßig mit seinen Kumpels mit anderen Hooligans, also Krawalltouristen, gegnerischer Fußballvereine prügelt. Eine Eiter speiende Geschichte voller Blut und Trostlosigkeit, die einige Kritiker von der Stimmung her mit Clemens Meyers „Als wir träumten“ vergleichen. Trifft. In Hannover gibt es das größte deutsche Clubheim der Hells Angels, das im Roman eine kurze Erwähnung erfährt. Selbst war Philipp Winkler, ebenfalls Anhänger von Hannover 96, noch nie ein Holligan gewesen.
Ohne sein Studium des Kreativen Schreibens an der Uni Hildesheim wäre dieser Roman, wie der 31-Jährige erzählte, nie entstanden. Ein Studienkollege brachte ihn auf dieses Thema, als es an der Uni darum ging, einen Roman zu verfassen. Anschließend führte Winkler damals zur Recherche mehrere Gespräche mit Ex-Hooligans und Sonder-Ermittlern. Nach seinem Bachelor-Abschluss habe der Autor, der eher zufällig zum Beruf des Schriftstellers fand, sechs Monate von Hartz IV gelebt. In dieser Zeit musste Winkler seiner Sachbearbeiterin in der örtlichen Arbeitsagentur wöchentlich zehn Bewerbungen vorlegen. Man schlug ihm Jobs als Gemüseschnippler und Tankwart vor, was Winkler alles ausschlug. Demnächst will der Autor seiner Sachbearbeiterin, wie Winkler amüsiert verriet, ein Exemplar von Hool vorbeibringen.
Nicht unbedingt eine dringende Empfehlung zur Lektüre, trotzdem stellt dieses authentische Buch, geschrieben in derb-schnodderiger Sprache mit einigen Hannoveraner Dialekt-Begriffen, ein wichtiges Dokument dar. Es gibt Einblick in ein Milieu, das auf den Großteil der deutschen Bevölkerung befremdlich wirken dürfte.
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Sarah Glidden (Grafische Journalistin) – Bildungsstätte Anne Frank, Frankfurt/Main, 24.2.2017
Von den USA ausgehend arbeitet die Comic-Zeichnerin Sarah Glidden aus Seattle/Washington tatkräftig dafür, eine neue Gattung des Journalismus zu etablieren, nämlich den Graphic Journalism: Weltweit bereist die 36-jährige Künstlerin angespannte Krisengebiete wie Syrien und Irak oder die Türkei, um vor Ort mit Aufnahmegerät tiefgründige Interviews mit betroffenen Menschen zu führen. Anschließend verarbeitet die junge Amerikanerin, die sich gerade auf Lese-Reise quer durch Europa befindet, das Gesehene und Gehörte in Comic-Strips. Zum Beispiel in ihrem jüngsten Comic-Buch Im Schatten des Krieges, das im Reprodukt-Verlag erschien und einige ihrer politischen Comic-Reportagen versammelt. Über eine Birthright-Tour (das ist eine Bildungsorganisation, die jungen Juden einen kulturellen Selbstfindungstrip nach Israel finanziert) war Glidden einst in den östlichen Staat an der Mittelmeerküste geflogen, woraus die erfolgreiche Comic-Reportage „Israel verstehen in 60 Tagen oder weniger“ entstand. Die Fragen aufwerfe wie etwa „Wie fühlt man sich als amerikanischer Jude in Israel?“.
In der Frankfurter Bildungsstätte Anne Frank las Comic-Zeichnerin Sarah Glidden, im Gespräch mit Feuilleton-Redakteur Patrick Bahners von der FAZ, ein Ehrenmitglied der „Deutschen Organisation der nichtkommerziellen Anhänger des lauteren Donaldismus“, aus ihrem aktuellen grafischen Band vor. Die neunte Kunst zu Gast in der Bankenmetropole. Vormittags hatte Referentin Sarah Glidden das örtliche Freiherr-vom-Stein-Gymnasium besucht, um sich mit den Schülern zu unterhalten. Die eindrückliche Lesung fand im Rahmen der (kleinen wie feinen) Sonderausstellung „Holocaust im Comic“ statt, die noch bis 19. März läuft und in der BS Anne Frank unterschiedlichste Werke von Künstlern wie Art Spiegelman, Walter Moers oder Reinhard Kleist erläuternd abbildet, allesamt mit Bezug auf die Massenvernichtung der Juden im Dritten Reich.
Globale politische Konflikte betrachtet durch den zeichnerischen Filter einer grafischen Erzählerin, die gleichzeitig die Graphic Novel auf eine neue ernsthafte Ebene hebt. Trägt zur Weiterentwicklung der Comic-Kultur bei.
Comic-Zeichnerin Sarah Glidden (re.) während ihrer Lesung mit FAZ-Redakteur Patrick Bahners
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Sonderausstellung „Holocaust im Comic“ (29.1. – 19.3.2017) in der Bildungsstätte Anne Frank in Frankfurt/Main
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Feridun Zaimoglu – Literaturfest Lesen.Hören, Christuskirche Mannheim, 4.3.2017
Zwar feiern die christlichen Protestanten aktuell das ganze Jahr über rundes Reformations-Jubiläum (vor genau 500 Jahren haute Theologe Dr. Martin Luther seine richtungsweisenden 95 Thesen raus), dies sei aber nicht der Grund gewesen, weshalb Autor Feridun Zaimoglu, auf dessen Kappe das 1995 erschienene Migrations-Buch „Kanak Sprak – 24 Mißtöne vom Rande der Gesellschaft“ geht, in seinem in den nächsten Tagen erscheinenden Roman Evangelio, ein Luther-Roman, den Kirchenkritiker und sprachschöpferischen Mönch behandelt. Seit seiner Kindheit lese Zaimoglu die Luther-Bibel, damals noch zum Missfallen seiner Eltern, denn Feridun Zaimoglu ist gläubiger wie toleranter Moslem. Die Zeit war für den in Kiel lebenden Schriftsteller einfach reif, dieses Thema belletristisch anzugehen. Aus einem komplett anderen Blickwinkel, denn Protagonist in „Evangelio“ ist der grobe und fiktive Landsknecht Burkhard, der sich um das Wohl von Martin Luther kümmert, solange dieser um 1522 auf der Wartburg in Thüringen inkognito das Neue Testament ins Deutsche überträgt.
In der Mannheimer Christuskirche, die weithin sichtbar schräg hinter dem Rosengarten steht, las Schriftsteller Feridun Zaimoglu neben Moderator Denis Scheck, der TV- und Radio-Literaturkritiker aus „Druckfrisch“, der zudem regelmäßig im Deutschlandfunk zu hören ist, aus seinem neuen Roman vor. Und zwar zum Finale des Literaturfestes Lesen.Hören. Über eine eindrucksvolle Deckenkuppel verfügt die evangelische Christuskirche, auf deren Spitze draußen der goldene Erzengel Michael trompetet. Zur Untermalung intonierte am Anfang und Ende der örtliche Kirchenmusikdirektor Professor Johannes Michel an der Marcussen-Orgel einige Luther-Stücke wie Erhalt uns, Herr, bei deinem Wort. Moderator Denis Scheck, überzeugter Atheist, hält die Luther-Bibel für den „Big Bang, mit dem die neue deutsche Literatur erst so richtig losging“.
Vor Sachbüchern zum Jubiläum über Luther kann man sich ja aktuell nicht retten. Ein schöner Einfall doch, dem alten Luther einen Personenschützer beizustellen, hauptsächlich begeistert mich Zaimoglus Roman „Evangelio“ aber durch seine pointierte und originelle Sprache, die sich an altdeutschen Ausdrücken orientiert, ohne dabei aus der Zeit gefallen zu klingen („Mich hassen sie wegen meiner zerschlitzten Montur“). Geht wunderbar runter, der Text. Gelungen. Wenn man jedoch stattdessen Willi Winklers Biographie „Ein deutscher Rebell“ liest, macht man auch nichts verkehrt.
Moderator Denis Scheck (li.) im munteren Gespräch mit Schriftsteller Feridun Zaimoglu
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ford-prefectPhilipp Winkler – Kurpfalztreff, Bobenheim-Roxheim, 30.1.2017
Wenn es jemanden interessiert: Mein Interview mit Hool-Autor Philipp Winkler an jenem Tag:
Wormser Zeitung--
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Paul Auster – Schauspiel, Frankfurt/Main, 15.3.2017
Ein Rockstar bittet zur Audienz. So kam man sich jedenfalls im restlos ausverkauften Schauspiel vor, wo der New Yorker Schriftsteller Paul Auster seinen neuen Roman „4 3 2 1“ vorstellte. Leider hatte ich kein Glück, eine der raren Restkarten an der Abendkasse zu ergattern. Deshalb musste ich mich damit begnügen, im ersten Stock in der theatereigenen Panorama-Bar mit einigen weiteren Glücklosen auf einem schwarzen Flachbildschirm die Lesung aus dem Saal zu verfolgen. Sozusagen literarisches Public Viewing. Vor sechs Jahren war ich auf einer Lesung seiner Ehefrau Siri Hustvedt in der Heidelberger Universität gewesen, dort war es damals genauso drängend voll.
Auf der Bühne unterhielt sich Autor Paul Auster zuerst mit Zeit-Redakteur Daniel Haas. Anschließend verließ Auster den Saal und Schauspieler Christoph Pütthoff, der zum Ensemble des Theaterhauses gehört, las ausdrucksstark aus „4 3 2 1“ vor. Hinterher kam Paul Auster zurück, plauderte noch mal ein bisschen und stellte sich dann hinter ein schwarzes Stehpult, um selbst einige Passagen aus seinem neuen Werk auf Englisch vorzutragen.
Nach der Lesung fand im Theater-Foyer eine Signierstunde am Büchertisch statt. Offiziell hieß es, jeder bekommt nur ein Buch unterschrieben, ohne Widmung. Schon irgendwie verständlich, hätte sich Auster mit jedem Leser auf einen kurzen Schwatz eingelassen, säße der arme Mann noch morgen früh dort. Einem Besucher vor mir signierte Auster allerdings zusätzlich ihm hingelegte großformatige Fotos. Von Auster habe ich die Angewohnheit übernommen, Notizbücher zu führen, um Ideen und Eindrücke festzuhalten, als Material-Sammlung. Deshalb hatte ich im Vorfeld überlegt, ihm ein Paperblanks-Notizbuch als Geschenk zu kaufen. Mir signierte der Altmeister sein Taschenbuch „Ein Leben in Worten“. Auster blickte kurz über seinen schwarzen Brillen-Rand zu mir hoch und bedankte sich höflich mit einem aufrichtigen „Thank you!“.
Übrigens könnte „4 3 2 1“ der beste Roman sein, den Paul Auster je zu Papier brachte. In diesem Wälzer erzählt Auster die Geschichte eines Mannes – und zwar in vierfacher Ausformung. Vier mögliche Lebenswege derselben Figur, mit ihren Wendungen. Vergleichbar mit dem Spielfilm „Der Zufall möglicherweise“ von Regisseur Krzysztof Kieślowski aus dem Jahre 1981. Oder, wie eine Frau hinter mir in der Schlange meinte, mit Max Frisch. Sie kam nicht auf den Titel, meinte aber wohl „Mein Name sei Gantenbein“.
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Guy Delisle – Comic-Laden T3, Frankfurt/Main, 21.3.2017
Mit seiner Sprechblasenkunst zeichnet der Franzose aus Montpellier in einer Liga wie Joe Sacco und Sarah Glidden. Auch wenn sich Comic-Zeichner Guy Delisle, der heute für eine Signierstunde den Comic-Laden T3 besuchte, in seinem Selbstverständnis nicht als comic journalist sieht, sondern vielmehr als „dokumentarischer Comic-Künstler“. Es sind Comic-Reportagen über Jerusalem und Pjöngjang. Vor dem T3 stand ein kleiner hellblauer Lieferwagen des hr-Fernsehens. Ein Kamera-Team war bei der Signierstunde dabei, um einen Beitrag zu drehen für das Nachtmagazin heute nach Mitternacht in der ARD.
Dem Zeichner Delisle mit kanadischen Wurzeln habe ich eine aktuelle Ausgabe des Rolling Stone (März 2017) geschenkt, in der ein größerer Artikel über ihn steht. Er verstehe gar kein Deutsch, meinte der 51-Jährige auf Englisch. Vielleicht lernen Sie es irgendwann, entgegnete ich daraufhin. Zur Stunde liest Guy Delisle im Haus am Dom in Frankfurt aus seiner neuen Graphic Novel Geisel über die wahre Lebensgeschichte von Christophe André, ein Mitarbeiter von „Ärzte ohne Grenzen“, der im Nordkaukasus von tschetschenischen Separatisten entführt wurde.
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Claus Peymann liest Thomas Bernhard – DasHaus, Ludwigshafen/Rhein, 12.4.2017
Eine schwere Tür fällt krachend ins Schloss und Theatermacher Claus Peymann marschiert, unter Applaus des Publikums, von rechts auf die Bühne. „Es steht 2:0 für Monaco, nur damit Sie es wissen“, informiert Peymann guter Laune. Auf einem weinroten Ohrensessel, der wiederum auf einer kleinen weißen Schrägfläche steht, setzt sich der Regisseur hin. Um dann aus dem alten Suhrkamp-Roman „Holzfällen. Eine Erregung“ von Schriftsteller Thomas Bernhard vorzulesen. Mit dem Steiß rutscht Peymann die Sitzfläche des Sessels herunter und haucht in einer Körperhaltung zwischen Sitzen und Liegen der Bernhard’schen Streitschrift neues Leben ein. Erzählend, flüsternd, rufend und bisweilen schreiend, mit ausholender Geste. Wobei sich die Theaterlegende, die im kommenden Juni ihren 80. Geburtstag feiern kann, unruhig im Ohrensessel hin- und herbewegt. Auf derselben kleinen Bühne, auf der in der Vergangenheit die Misfits, WIZO und Fehlfarben rockten. Damals hieß der Laden noch schlicht Haus der Jugend (auf YouTube findet man Clips).
Bei dem Roman „Holzfällen“ handelt es sich um eine Wutrede aus der Sicht eines empörten Ich-Erzählers. Schauplatz ist die Wohnung eines kulturbeflissenen Ehepaares namens Auersberger, das ein künstlerisches Abendessen mit Freunden abhält, darunter ein namenloser Burgtheater-Schauspieler. Ein misanthropischer Monolog des Hasses, voller gekonnter Zynismen, aus der Feder von Schriftsteller Bernhard, und seine bittere Abrechnung mit der feinen Wiener Gesellschaft. Ohne konkrete Namen zu nennen.
Dennoch erhielt der Roman im Jahre 1984 kurz nach Veröffentlichung in Österreich eine einstweilige Verfügung per Gericht, ein befreundeter Komponist wollte sich beleidigt in diesem Text als Parodie wiedererkannt haben. „Die Buchhändler im deutschen Grenzgebiet zu Österreich triumphierten, denn sie durften den Roman weiterhin verkaufen“, erinnert sich der Vortragende Claus Peymann, der im nächsten Juli seine Intendanz am Berliner Ensemble niederlegt. Immer wieder kicherte das Ludwigshafener Publikum, das sich wohl in den Schilderungen Thomas Bernhards wiederfand und mit den Seitenhieben identifizieren konnte.
„Künstlertum heißt in Österreich für die meisten, sich dem Staat, gleich welchem, gefügig zu machen und sich von ihm aushalten zu lassen lebenslänglich. Das österreichische Künstlertum ist ein gemeiner und verlogener Weg des Staatsopportunismus, der mit Stipendien und Preisen gepflastert und mit Orden und Ehrenzeichen tapeziert ist und der in einem Ehrengrab auf dem Zentralfriedhof endet“, zitierte der Gastredner in Ludwigshafen aus dem Roman.
Auch Peymann kommt im Roman „Holzfällen“ anonym vor. Als der Vorleser, der zwischen 1986 und 1999 das Wiener Burgtheater als Direktor leitete, diese Textstelle erreicht, springt Peymann freudig auf, greift in seine Hosentasche und wirft buntes Konfetti über sich.
Als Erkenntnis bleibt: Thomas Bernhard schrieb damals mit das schönste, geschliffenste und virtuoseste Deutsch überhaupt mit wundervollen Beschreibungen. In seinem Roman, dessen Titel sich auf die menschliche Sehnsucht nach Natur, Wald und In-Ruhe-gelassen-werden bezieht, trifft fast jede Zeile.
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Nach der Lesung signierte Theatermann Claus Peymann im Foyer seine im Herbst 2016 erschienene Autobiographie „Mord und Totschlag“
Mir signierte der Altmeister neben einem Notizbuch den aktuellen Spiegel, in dem ein längeres Interview mit ihm steht. „Scharfes Foto“, kommentierte Peymann die ihm hingelegte Ausgabe
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