Antwort auf: Literarische Begegnungen (Lesungen)

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ford-prefect
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Feridun Zaimoglu – Literaturfest Lesen.Hören, Christuskirche Mannheim, 4.3.2017

Zwar feiern die christlichen Protestanten aktuell das ganze Jahr über rundes Reformations-Jubiläum (vor genau 500 Jahren haute Theologe Dr. Martin Luther seine richtungsweisenden 95 Thesen raus), dies sei aber nicht der Grund gewesen, weshalb Autor Feridun Zaimoglu, auf dessen Kappe das 1995 erschienene Migrations-Buch „Kanak Sprak – 24 Mißtöne vom Rande der Gesellschaft“ geht, in seinem in den nächsten Tagen erscheinenden Roman Evangelio, ein Luther-Roman, den Kirchenkritiker und sprachschöpferischen Mönch behandelt. Seit seiner Kindheit lese Zaimoglu die Luther-Bibel, damals noch zum Missfallen seiner Eltern, denn Feridun Zaimoglu ist gläubiger wie toleranter Moslem. Die Zeit war für den in Kiel lebenden Schriftsteller einfach reif, dieses Thema belletristisch anzugehen. Aus einem komplett anderen Blickwinkel, denn Protagonist in „Evangelio“ ist der grobe und fiktive Landsknecht Burkhard, der sich um das Wohl von Martin Luther kümmert, solange dieser um 1522 auf der Wartburg in Thüringen inkognito das Neue Testament ins Deutsche überträgt.

In der Mannheimer Christuskirche, die weithin sichtbar schräg hinter dem Rosengarten steht, las Schriftsteller Feridun Zaimoglu neben Moderator Denis Scheck, der TV- und Radio-Literaturkritiker aus „Druckfrisch“, der zudem regelmäßig im Deutschlandfunk zu hören ist, aus seinem neuen Roman vor. Und zwar zum Finale des Literaturfestes Lesen.Hören. Über eine eindrucksvolle Deckenkuppel verfügt die evangelische Christuskirche, auf deren Spitze draußen der goldene Erzengel Michael trompetet. Zur Untermalung intonierte am Anfang und Ende der örtliche Kirchenmusikdirektor Professor Johannes Michel an der Marcussen-Orgel einige Luther-Stücke wie Erhalt uns, Herr, bei deinem Wort. Moderator Denis Scheck, überzeugter Atheist, hält die Luther-Bibel für den „Big Bang, mit dem die neue deutsche Literatur erst so richtig losging“.

Vor Sachbüchern zum Jubiläum über Luther kann man sich ja aktuell nicht retten. Ein schöner Einfall doch, dem alten Luther einen Personenschützer beizustellen, hauptsächlich begeistert mich Zaimoglus Roman „Evangelio“ aber durch seine pointierte und originelle Sprache, die sich an altdeutschen Ausdrücken orientiert, ohne dabei aus der Zeit gefallen zu klingen („Mich hassen sie wegen meiner zerschlitzten Montur“). Geht wunderbar runter, der Text. Gelungen. Wenn man jedoch stattdessen Willi Winklers Biographie „Ein deutscher Rebell“ liest, macht man auch nichts verkehrt.

Moderator Denis Scheck (li.) im munteren Gespräch mit Schriftsteller Feridun Zaimoglu

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