Miles Davis

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  • #352765  | PERMALINK

    sonny

    Registriert seit: 09.04.2003

    Beiträge: 1,919

    Go1
    Hier ging es darum, die Haltung und das Verhalten von Miles aus ihrem gesellschaftlichen Kontext (Rassismus) heraus zu verstehen, also zu erklären und einzuordnen. Nur so kann man auch die richtige Benennung finden. Gezeigt wurde: Was einigen als „Rassismus“ vorkommt, lässt sich auch anders erklären. Verlangt wurde, sich über die Verwendung des Rassismus-Begriffs Gedanken zu machen. Lässt er sich anwenden auf den Angehörigen einer unterdrückten Minderheit, der rebellisch auf den Rassismus der Mehrheitsgesellschaft reagiert? (Geklärt worden ist das nicht.)

    Das hast Du schön auf den Punkt gebracht.
    Ich versuche noch einmal meine Sichtweise darzulegen:
    Miles Davis war Angehöriger einer unterdrückten Minderheit, das ist richtig. Allerdings innerhalb dieser unterdrückten Minderheit schon von Geburt an ein privilegierter Angehöriger. Das ändert überhaupt nichts daran, dass er – ich wiederhole mich – Angehöriger dieser Minderheit war und unter dem rassistischen Verhalten der „herrschenden Oberklasse“ zu leiden hatte. Seine „stolze“ Herkunft förderte aber (auch unabhängig von der Rassismus-Frage) extrem seinen egozentrischen Charakter. Nach allem, was ich weiß, hat Miles Davis nur sehr selten (und anderen Jazzmusikern, z. B. Bird, ging es da wesentlich schlimmer) wirklich schlimme Erlebnisse mit Weißen gehabt (die Geschichte mit der Arrestierung beim Taxistand ausgenommen). Gegenargument: Muss er allerdings auch nicht gehabt haben, um trotzdem unter den Verhältnissen zu leiden, weil es nicht immer konkrete Erlebnisse sein müssen, sondern die Unterdrückung im täglichen Leben jederzeit spürbar war. Auch richtig.
    Die Frage, die ich nach wie vor stelle, ist, ob er nicht genauso die weißen Amerikaner über einen Kamm geschert und gehasst hat, wie die rassistischen weißen Amerikaner (und das waren auch nicht alle weißen Amerikaner!) es bei den Farbigen getan haben. Weiße Musiker, die er persönlich kannte und die für ihn gearbeitet haben, halte ich hierbei für kein gutes Gegenbeispiel. Da gibt es auch bei den Weißen Gegenbeispiele: Der farbige Nachbar, der einem einen großen Gefallen getan hat oder mit dem man als Kleinkind, das Rassismus noch nicht begreifen konnte, aufgewachsen ist, wird von dem allgemeinen Hass auf die Farbigen dann auch ausgeklammert.
    Wenn MD als persönliche Weltanschauung auf das Verhalten der Weißen so reagiert hat, wie ich es gerade darzustellen versuche – ohne Zwischentöne – , ist das für mich ein rassistisches Verhalten.

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    #352767  | PERMALINK

    redbeansandrice

    Registriert seit: 14.08.2009

    Beiträge: 14,067

    Sonny Nach allem, was ich weiß, hat Miles Davis nur sehr selten (und anderen Jazzmusikern, z. B. Bird, ging es da wesentlich schlimmer) wirklich schlimme Erlebnisse mit Weißen gehabt (die Geschichte mit der Arrestierung beim Taxistand ausgenommen).

    naja, aber er hatte zweifellos gute freunde und vorbilder die ganz erheblich schlimme erlebnisse „mit weißen“ hatten, charlie parker hast du schon genannt, ich würde noch bud powell erwähnen; ob powell jetzt wirklich abgerutscht ist nachdem weiße pianisten ihn verprügelt haben ist sicherlich eine frage über die man einen eigenen thread beginnen könnte; tatsache ist, dass das eine oft erzählte geschichte ist, die davis weltbild durchaus beeinflusst haben könnte…

    hier eine [entschuldigt die länge] passage aus seiner autobiografie (die ich als quelle für seine überzeugungen schon ok finde, weiß nicht ob das jeder so sieht…); ich finde da eigentlich keinen rassismus drin; also, da ist nichts von „die weißen könnten gar nicht anders sein, sie sind schließlich weiß“, mir scheint das alles über die sozialen Umstände (und über einzelne) argumentiert zu sein;

    „Another thing I think about with East St. Louis is that it was there, back in 1917, that those crazy, sick white people killed all those black people in a race riot. See, St. Louis and East St. Louis were — and still are—big packing-house towns, towns where they slaughter cows and pigs for grocery stores and supermarkets, restaurants and everything else. They ship the cows and pigs up from Texas or from wherever else it is that they come from and then they kill them and pack them up in St. Louis and East St. Louis. That’s what the East St. Louis race riot in 1917 was supposed to be about: black workers replacing white workers in the packing houses. So, the white work*ers got mad and went on a rampage killing all them black people. That same year black men were fighting in World War I to help the United States save the world for democracy. They sent us to war to fight and die for them over there; killed us like nothing over here. And it’s still like that today. Now, ain’t that a bitch. Anyway, maybe some of remembering that is in my personality and comes out in the way I look at most white people. Not all, because there are some great white people. But the way they killed all them black people back then—just shot them down like they were out shooting pigs or stray dogs. Shot them in their houses, shot babies and women. Burned down houses with people in them and hung some black men from lampposts. Anyway, black people there who survived used to talk about it. When I was coming up in East St. Louis, black people I knew never forgot what sick white people had done to them back in 1917.“

    ach hier noch

    „Around this time, people—white people—started saying that I was always „angry,“ that I was „racist,“ or some silly shit like that. Now, I’ve been racist toward nobody, but that don’t mean I’m going to take shit from a person just because he’s white. I didn’t grin or shuffle and didn’t walk around with my finger up my ass begging for no handout and thinking I was inferior to whites. I was living in America, too, and I was going to try to get everything that was com*ing to me.“

    und das hier:

    „White people in America get all up in your face because they think they’re God’s gift to the whole fucking world. It’s sickening and piti*ful the way they think, how backwards, stupid, and disrespectful many of them are. They think they can come right up to you and get right into your business because they’re white and you’re not. When I’m on airplanes they do that a lot; get right up in your face. I ride first class, so I know they wonder what I’m doing there if they don’t recognize me. So they look at me strangely. One time when I was sitting on a plane and some white woman did this to me, I asked her if I was sitting on something that belonged to her. She just smiled this tight smile and left me alone. But you got some white people who are cool and don’t do that kind of shit. You got hip people in all races and stupid ones, too. Some of the most stupid motherfuckers I have ever met have been black people. Especially the ones who believe all them lies white people spread about them. They can be some sick motherfuckers when you find them like that.

    America is such a racist place, so racist it’s pitiful. It’s just like South Africa only more sanitized today; it’s not as out in front in its racism. Other than that, it’s the same thing. But I always have had a built-in thing for racism. I can smell it. I can feel it behind me, anywhere it is. And the way I am, a lot of whites really get mad with me, especially white men. They get even madder when I tell them off when they get out of line. They just think they can do any kind of shit to a black person here.“

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    #352769  | PERMALINK

    redbeansandrice

    Registriert seit: 14.08.2009

    Beiträge: 14,067

    also, wenn ich diese zitate so lese, und mich zum beispiel frage, welche gesellschaftsordnung will davis, will er die rollen von schwarzen und weißen tauschen oder will er ein friedliches, gleichberechtigtes miteinander, dann steht das da zwar nicht aber ich würd schon ganz klar auf das zweite tippen (auch wenn er in ersterem sicherlich eine verbesserung des status quo sehen würde :-) ); ich mein, das zitat mit dem weißen chauffeur kann man sicherlich auch in die andere richtung auslegen – andererseits, warum sollte davis nicht einen weißen chauffeur haben (sieht doch auch besser aus zu einem weißen auto), bei näherem hinsehen passt das finde ich zu beidem… (und ist abgesehen davon vielleicht doch in erster linie ein markiger spruch);

    und weils so schön ist

    --

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    #352771  | PERMALINK

    cassavetes

    Registriert seit: 09.03.2006

    Beiträge: 5,771

    Go1Einige hier haben die Position begründet, dass es falsch sei, Miles als Rassisten zu bezeichnen, und Du unterstellst ihnen kurzerhand, sie würden Verständnis für Rassisten einfordern.

    Falsch. Ich schrieb (siehe oben, Posting 286): „Daher also: nicht Verständnis für Rassisten, sehr wohl aber Verständnis für Miles Davis, welches hier eingefordert wird.“ Warum zitierst du mich erst und drehst dann in deiner Erwiderung die Aussage komplett um?
    Das gesamte Thema ist ein ideologisches Minenfeld und viel zu heikel, als daß ich mich von dir in einem solch falschen Licht dargestellt wissen möchte.
    Der Rassismus-Verdacht steht im Raum (ob der jetzt erhärtet oder entkräftet wird, erscheint mir spannender als unser privater Hickhack), weil WD eine flapsige Bemerkung in einer Drei-Satz-Review fallen ließ. Daraus ergab sich eine intensive Diskussion, die noch immer nicht abgeschlossen ist. Ich finde Sonnys Ansatz im übrigen richtig, das Feld ab jetzt nicht mehr den Rummeinern und der „Ich sag mal so…“-Fraktion zu überlassen, sondern den Leuten, die in der Materie drin sind. Ich habe gesagt, was mich an der bisherigen Diskussion – die in meinen Augen keine war, weil da eben viel gemeint, aber wenig belegt wurde – gestört hat. Nicht mehr und nicht weniger. Miles Davis als Person habe ich sehr wenig unterstellt, wenn man mal meine Beiträge hier genau liest. Es ging mir um EUCH, die Diskutanten, aber nicht um Miles. Denn dazu kam bisher noch sehr wenig Fundiertes. (Das wird auf den letzten Seiten dank Sonny und redbeansandrice langsam besser, zum Glück.)

    Go1Aber wenn es unklar bleibt, worum es den anderen geht, kann man einfach nachfragen.

    Dann tu du das in Zukunft bitte auch. Danke.

    Go1Hier ging es darum, die Haltung und das Verhalten von Miles aus ihrem gesellschaftlichen Kontext (Rassismus) heraus zu verstehen, also zu erklären und einzuordnen.

    Da bin ich ganz bei dir. Allerdings ist das meiner Ansicht nach noch viel zu wenig geschehen. Das Thema ist zu ernst, um mal eben so ein Statement wie Stormy Monday rauszuhauen (das ich in meinem Posting 223 hier zitiert und als Ausgangspunkt meiner Kritik an der Diskussion genommen hatte) und sich damit zu verabschieden. Denn dort hieß es, mal eben aus dem leeren Bauch heraus gemeint: „Wäre ich Miles, wäre ich auch Rassist.“ Das ist mir eindeutig zu wenig.

    Go1Deine Beiträge haben das Thema verfehlt.

    Gut zu wissen.

    Go1und nicht, um sich selbst darzustellen oder mit ihren Meinungen zu posieren.

    Das habe ich meinen Lebtag noch nie getan (denn so wichtig sind mir weder meine Meinungen noch die Menschen, die auf diese reagieren) und möchte mir das auch nicht weiter von dir vorwerfen lassen. Du darfst natürlich weiterhin diesen Eindruck von mir haben, aber der Miles-Davis-Thread ist der falsche Ort, das weiter auszutragen.

    #352773  | PERMALINK

    go1
    Gang of One

    Registriert seit: 03.11.2004

    Beiträge: 5,644

    CassavetesIch schrieb (siehe oben, Posting 286): „Daher also: nicht Verständnis für Rassisten, sehr wohl aber Verständnis für Miles Davis, welches hier eingefordert wird.“

    Muss ich Dich wirklich daran erinnern, was Du hier geschrieben hast? Also gut:

    CassavetesIhr seid doch alle Schwätzer.
    Ich habe jedenfalls keine Lust, Verständnis für (mutmaßliche) Rassisten und Frauenschläger aufbringen zu müssen

    Damit hast Du den „Schwätzern“ unterstellt, Verständnis für Rassisten und Frauenschläger einzufordern, und wegen dieser Unterstellung (in Beitrag #242) hatte ich Dich kritisiert; das habe ich oben nochmal klargestellt, weil es vorher wohl nicht deutlich genug war, was mich an Deinem Beitrag gestört hat (auch wenn Du in #286 wieder ein Stück zurückgerudert bist). Von wegen also, ich würde Dich in einem falschen Licht darstellen.

    Das war’s jetzt endgültig von meiner Seite aus – in diesem Thread können ab jetzt hoffentlich die Fragen geklärt werden, die Miles Davis betreffen. Sandhead und redbeansandrice haben ja schon interessantes Material zusammengetragen.

    --

    To Hell with Poverty
    #352775  | PERMALINK

    cassavetes

    Registriert seit: 09.03.2006

    Beiträge: 5,771

    242 war grob und sollte es auch sein. Wie es gemeint war, habe ich dann, ohne Schaum vor dem Mund, in 286 verdeutlicht.
    Man beachte übrigens sogar in meiner Haßtirade 242 die Einschränkung in Klammern: „mutmaßlich“. Denn das stand da für mich noch lange nicht fest. Tut es auch jetzt noch nicht. Der Einzige, der MD bisher tatsächlich Rassismus vorgeworfen hat, war WD.

    #352777  | PERMALINK

    blitzkrieg-bettina

    Registriert seit: 27.01.2009

    Beiträge: 11,779

    Cassavetes

    (ob der jetzt erhärtet oder entkräftet wird, erscheint mir spannender als unser privater Hickhack),

    Nicht nur dir. Schade, ich fand es wirklich eine interessante Diskussion (zu der ich wie gesagt zu wenig beitragen kann).

    Ich finde Sonnys Ansatz im übrigen richtig, das Feld ab jetzt nicht mehr den Rummeinern und der „Ich sag mal so…“-Fraktion zu überlassen, sondern den Leuten, die in der Materie drin sind.

    Genau, und genau aus diesem Grund werde ich mich auch hier vorerst nicht beteiligen. Ich habe zu einigen Aspekten der Diskussion wie die Frage ob auch Unterdrückte rassistisch sein können, oder ob es davon abhängt inwiefern man von Rassendiskriminierung betroffen wird, aus was für Vermögensverhältnissen man stammt durchaus eine Meinung, aber dies läuft hier wahrscheinlich nur unter eben Rumgemeine und würde auch zu leicht off-topic werden.

    --

    Man hatte uns als Kindern das Ende der Welt versprochen, und dann bekamen wir es nicht.
    #352779  | PERMALINK

    nail75

    Registriert seit: 16.10.2006

    Beiträge: 45,074

    Sonny
    Quellenverweise: Wie wäre es denn hiermit (klar, nur die Meinung des Herrn Bruckmaier):[I]http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-13496564.html

    Im Prinzip ist Dein Versuch sehr begrüßenswert. Ich weiß aber nicht, ob er funktionieren wird. Aber gut. Das kann jetzt etwas dauern. :lol:

    Bruckmaier erwähnt in seinem Artikel Marcus Garvey und stellt ihnen in einen völlig unzureichenden Kontext. Garvey vertrat einen radikalen „African nationalism“, genauer einen Pan-Afrikanismus. Das Ganze war sowohl ein afro-amerikanische Bewegung für die Verbesserung der ökonomischen, politischen und sozialen Stellung der Afro-Amerikaner wie eine internationale Bewegung, in dessen Mittelpunkt das Eintreten für eine weltweite Gemeinschaft der Afrikaner und ihrer Abkömmlinge stand. Außerdem befürwortete Garvey die „Rückkehr“ der Afro-Amerikaner nach Afrika und sprach sich für die strikte Trennung von Schwarzen und Weißen und die „purity of race“ aus. Dann wiederum hat diese Bewegung auch Züge eines Wirtschaftsunternehmens sowie einer religiösen Erweckungsbewegung bzw. Pseudomonarchie. Das kannst Du an anderer Stelle nachlesen, wichtig ist, dass der Vater von Miles Davis ein Anhänger von Garvey war.

    Garvey hielt übrigens im Anschluss an die bereits mehrfach erwähnten East St. Louis Riots eine Rede in Harlem, die Du hier nachlesen kannst:
    http://www.pbs.org/wgbh/amex/garvey/filmmore/ps_riots.html
    Darin verweist er auf die öknomischen Hintergründe der Zusammenstöße (Great Migration), die sicherlich wesentlich zu den Spannungen beigetragen haben.

    W.E.B. Du Bois, der Gründer der NAACP, war nicht gut auf Garvey zu sprechen. Miles Davis erwähnt, dass seine Mutter eine Anhängerin der NCAAP war. Du Bois war in gewisser Hinsicht der Gegenentwurf zu Garvey. Er war ein hochgebildeter Intellektueller und Aktivist, dem der Erweckungskult von Garvey fernlag. Außerdem verfolgte er das Ziel der gleichberechtigten Einbeziehung der Afro-Amerikaner in die amerikanische Gesellschaft. Du Bois war auf seine Art nicht weniger radikal als Garvey, aber er war kein „Prediger“.

    Somit haben wir in Miles Davis Familie zwei Strömungen vereint, den Garveyism und die Richtung der NAACP. Beides waren eher radikale Strömungen, die sich von dem verhaltenen Aktivismus eines Booker T. Washington sehr unterschieden. Miles Davis sagte, sein Vater habe ihn politisch mehr beeinflusst als seine Mutter, was durchaus nachvollziehbar ist. Dennoch ist klar, dass sich Miles Davis im späteren Leben so gar nicht an die Idee der Reinheit der schwarzen Rasse gehalten hat, im Gegenteil! Ob er in anderer Hinsicht ein Garveyist war, ist mir nicht bekannt, aber Miles Davis war jedenfalls in einem radikalen Elternhaus aufgewachsen.

    Aber auch Miles Davis spürte und erfuhr, dass aller Reichtum nicht davor schützte, dass man als Schwarzer nicht auf die guten Schulen der Weißen, sondern viel schlechtere Schulen, ausschließlich für Schwarze, besuchen musste. Die Abwesenheit offensichtlicher Verbote oder der südstaatlichen Segregation (für Miles Davis zu beobachten jenseits des Mississippi in St. Louis) bedeutete nicht, dass das gesellschaftliche Leben in den Nordstaaten integriert war. Das ist es bis zum heutigen Tag nur teilweise.

    Wenn man jetzt noch gewisse charakterliche Eigenschaften einbezieht, die Du, Sonny, meiner Ansicht nach überbetonst, dann landet man hier:

    bullschuetz

    Das Staggerlee-Modell: Der Schwarze buhlt nicht um freundliche Aufnahme im Kreise der bürgerlichen, weißen Wohlmeinenden, indem er noch moralisch integrer ist als sie; der Schwarze duckt sich auch nicht demütig lächelnd weg, damit er nicht geprügelt, sondern wohlwollend am Rande der Gesellschaft geduldet wird. Der Schwarze fordert offensiv seinen Platz nach seinen eigenen Regeln. Und das kann unter Umständen heißen: Er nimmt sich offensiv das Recht heraus, auch großkotzig zu sein, egomanisch, ein Outsider, ein Outlaw, nicht verhuscht, nicht vorsichtig, nicht mit Respekt-Almosen und Anerkennungs-Brosamen zufrieden. Er will die anderen nicht davon überzeugen, dass er Rechte hat – er nimmt sich die Rechte einfach; ein rebellischer Akt der Selbstermächtigung. Es gibt eine lange Traditionslinie für diese Haltung […] und der Gangsta-Rapper ist die jüngste Inkarnation des Rollenmodells. Und die Reaktion des aufgeklärten, liberalen, wohlmeinenden Weißen ist immer dasselbe: Moment, das geht jetzt aber zu weit! Wir sind sehr wohl für die Gleichberechtigung der Schwarzen – aber bloß, wenn sie schön vernünftig sind!
    […]
    Ich finde es nur extrem heikel, hier vorschnell mit dem Begriff „Rassismus“ zu hantieren. Denn MDs Verhalten ist zuvorderst eine ANTWORT auf erlebten Rassismus. Es ist die Antwort der lebenslangen Wut, des provokatorischen Trotzes, der bewusst harschen Verweigerung. Diese Haltung lässt sich vielleicht in einem Satz von Sly Stone zusammenfassen: „Don’t call me nigger, whitey.“ Frei übersetzt: Ich werde einen Scheiß tun und dich Bleichgesicht höflich darum bitten, mich doch bitteschön freundlicherweise nicht zu diskriminieren. Wenn du mich nicht respektierst, zahl ich’s Dir mit gleicher Münze heim. Und was, wenn Du aufgeklärtes Bürgersöhnchen dann mich – ausgerechnet mich! – einen „Rassisten“ nennst? Ha, so weit kommt’s noch, dass ich mir von den Weißen erklären, definieren, vorschreiben lasse, welche Reaktionen auf den Rassismus erlaubt sind und wann ich über die Stränge schlage …

    Wenn man dazu die von redbeansandrice zitierten Stellen in Zusammenhang setzt, dann passt das eigentlich ganz gut zusammen.

    Somit komme ich zu dieser Frage:

    Sonny
    Die Frage, die ich nach wie vor stelle, ist, ob er nicht genauso die weißen Amerikaner über einen Kamm geschert und gehasst hat, wie die rassistischen weißen Amerikaner (und das waren auch nicht alle weißen Amerikaner!) es bei den Farbigen getan haben.

    Und dafür, dass Miles Davis das so sah, gibt es keinen mir bekannten Beleg. Sein unverschämtes oder gar fieses Verhalten in Einzelsituationen scheint mir nicht dafür auszureichen, ihm generell Rassismus zu unterstellen. Ich kann in diesem Zusammenhang auch nur nochmals auf den Ian Carr-Artikel über MD und Bill Evans, den Sandhead dankenswerterweise zitiert hat, verweisen:

    Summer of ’58 found Evans increasingly comfortable in the group. He was no longer the youngest member—Jimmy Cobb had been called in to replace Philly Joe Jones a month after Evans joined—but he remained the only white musician. Miles continued to tease him, but he had stood the trumpeter’s skewering—certainly a rite of entry to the band—and earned Davis’ respect.

    But the unease Evans faced in certain venues grew. “It was more of an issue with the fans. The guys in the band defended me staunchly. We were playing black clubs, and guys would come up and say, ‘What’s that white guy doing there?’ They said, ‘Miles wants him there—he’s supposed to be there’.”

    Reverse or not, it was a form of racism, and Davis and Evans were of one mind about it. Miles: “Crow Jim is what they call that. It’s [got] a lot of the Negro musicians mad because most of the best-paying jobs go to the white musicians playing what the Negroes created. But I don’t go for this, because I think prejudice one way is just as bad as the other way.”

    --

    Ohne Musik ist alles Leben ein Irrtum.
    #352781  | PERMALINK

    sonny

    Registriert seit: 09.04.2003

    Beiträge: 1,919

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    #352783  | PERMALINK

    Anonym
    Inaktiv

    Registriert seit: 01.01.1970

    Beiträge: 0

    Ein interessanter Aspekt, der in der ganzen Diskussion bisher noch nicht erwähnt wurde, ist sicherlich die Tatsache, dass Davis‘ Eltern 1927 als reiche Leute, die sie waren, in ein Viertel von St. Louis zogen, dass keine(!) Rassentrennung praktizierte. Sie flüchteten sozusagen vor dem offen praktizierten Rassismus und den alltäglichen Diskriminierungen in eine noble Gegend, wo solche Dinge höchstens unterschwellig spürbar waren und Miles ab dem zweiten Lebensjahr relativ unbeschwert aufwachsen konnte. Dies ermöglichte ihm sogar den Besuch einer gemischtrassigen Schule. Sein Vater war Anhänger von Marcus Garvey, der für die Rückkehr nach Afrika eintrat, während seine Mutter eine Gleichberechtigung der Rassen forderte. Interessant in Bezug auf unterschwelligen Rassismus, dem man als Schwarzer auch in einer solchen Umgebung ausgesetzt war und ist, ist die Episode, die Davis aus dem Musikunterricht einer weissen Lehrerin schildert, die den Blues als Musik armer unterdrückter schwarzer Baumwollpflücker beschreibt. Er korrigierte sie nach eigener Aussage dahingehend, dass er sehr wohl den Blues spiele, obwohl er weder arm noch traurig sei noch jemals Baumwolle gepflückt habe. Diese Episode wirft meines Erachtens ein Schlaglicht auf seinen Charakter, seinen Stolz, der ihm sicherlich von seinem Vater vermittelt wurde, das Ablehnen von rassistischen Klischees und die Wut über die Reaktion der Lehrerin, die sich in ihrer Vorurteilsroutine aus der Bahn geworfen sah. Ich bin weder Hobby- noch Küchenpsychologe, aber seine Gedanken in seiner Autobiographie zu schematisch ähnlichen Situationen zeigen ein immer wiederkehrendes Reaktionsmuster: nämlich die augenblickliche, rebellische, alles andere als von Angst geprägte Reaktion auf Diskriminierungen aller Art. Dies als Ausgangspunkt für einen schwarzen Rassismus zu werten, ja in aller Konsequenz als unausweichlich darzustellen, hiesse die Verhältnisse von Opfer-Täter-Relation umzukehren. Was in der freien Rede seiner Autobiographie (das macht sie so faszinierend) immer wieder deutlich wird, ist das Misstrauen gegenüber Weissen, nicht ein sich entwickelnder Rassismus. Umso bezeichnender sind die geradezu liebevollen Passagen über beispielsweise Gil Evans, der ihn niemals auch nur spüren lassen hatte, das Mr. Davis überhaupt eine andere Hautfarbe hatte. Das Thema war zwischen ihnen einfach nicht existent. Ähnlich die Schilderungen über seinen Aufenthalt in französischen Existentialistenkreisen, in denen er sich wohl fühlte wie nie zuvor.

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    #352785  | PERMALINK

    nail75

    Registriert seit: 16.10.2006

    Beiträge: 45,074

    @Bgigli: Einiges von dem was Du sagst, ist richtig, aber einiges bedarf auch der Korrektur: St. Louis solltest Du nicht mit East St. Louis verwechseln. St. Louis liegt in Missouri, East St. Louis auf der anderen Seite des Flusses in Illinois. Die Rassentrennung bspw. in Schulen war in Illinois offiziell verboten, aber die gesellschaftliche Realität sah anders aus. In Missouri bestand sie als ehemaligem Sklavenstaat offiziell weiter. Dass die Eltern von Miles Davis in einer „noblen Gegend“ wohnten, ist mir neu, Szwed charakterisiert die Familie als „upper-middle-class people“, die am Beginn ihres Aufenthaltes in East St. Louis nicht wohlhabend war. Inbesondere die Great Depression ab 1929 verhinderte das.

    Aus: John Szwed: So What – The Life Of Miles Davis

    When they first moved to East St. Louis, the Davises lived in three rooms behind the dental office on the second floor of a brick building at 3 North Fifteenth Street at Broadway, over Daut’s Drugstore. Fifteenth and Broadway was the black business and social center of the city […].

    Fifteenth and Broadway may have been the focus of black life in East St. Louis, but it was not entirely African American. There was also a large Armenian population that owned dry-cleaning shops, liquor stores, bars, and restaurants. A number of their stores and homes were located on the same block as Dr. Davis‘ office. A scattering of Germans and Greeks also lived in the neighborhood. The south side of town below nearby Missouri Avenue was largely black, and north of it was white.

    In 1929, only two years after they’d moved to East St. Louis, the Depression hit, the same year that Miles‘ brother, Vernon, was born on November 3. Almost immediately, Dr. Davis‘ income fell when his working-class patients, black and white, were laid off and unable to pay him in cash. „They used to pay my father in script, the pink relief slips the government provided the out-of-work, or with stolen hams and cheese from the packing houses,“ Vernon Davis said. „We got so sick of ham and cheese: ham-and-cheese sandwiches, ham-and-cheese casseroles, ham-and- cheese what-have-you. But Father didn’t make any real money until World War II.“ Paid in cash or not, Dr. Davis worked six days a week, sel-dom finishing with his patients before nine o’clock, just before the chil-dren were ready for bed.
    […]

    Dorothy and Miles started in Catholic schools when they moved from Alton, but then went on to public schools-first John Robinson Elementary School, then Attucks Elementary School and Lincoln High School. The black schools in East St. Louis were underfunded, in disrepair, always short of books and teachers, and for the rest of his life Miles recalled the condition of the toilets in the schools as a bitter emblem of life in his hometown. Though the schools had been legally desegregated in Illinois for many years, in practice most remained racially separate, so all three Davis children attended black schools. Yet „we weren’t fooled,“ Vernon said. „Keeping white and black people separate was a joke. There were people in East St. Louis who came up from the South who weren’t white there, but they became white here. There were students in school who were blue-eyed, with light skin and blonde hair, but they were black because they had people in their families who were black.“

    The Davises felt more comfortable with the Armenians they lived among, because they saw them as less prejudiced than other whites they knew. Miles‘ first best friend was an Armenian boy named Leo, who died in a fire when he was six. Both Miles and Vernon started school speaking some Armenian, but the teachers stopped them because most of what they knew were curse words. All three Davis children had white friends through high school. Among their other white neighbors was Mr. Blanke, a Jewish shopkeeper who impressed the Davis children with his worldliness and the fact that he could speak seven languages, which, he explained to them, he needed in order to survive in different countries.

    --

    Ohne Musik ist alles Leben ein Irrtum.
    #352787  | PERMALINK

    Anonym
    Inaktiv

    Registriert seit: 01.01.1970

    Beiträge: 0

    East St. Louis „wollte“ ich auch schreiben.Reich waren die Davis‘ in Bezug auf die durchschnittliche schwarze Bevölkerung. „Aufstrebender Mittelstand“ eben, kommt mir bekannt vor. ;-). Wohlhabend ist wohl der bessere Begriff. Und die beschriebene Wohnung war für damalige Verhältnisse über dem Durchschnitt.
    Die Schulen waren nicht rassengetrennt, obwohl in der Praxis selten Realität. Es gab aber weisse Lehrer und weisse Einwanderer. Dass die Familie von der Depression erwischt wurde, war mir bekannt, erschien mir aber zur Darstellung des „gutbürgerlichen“ Milieus, das für Miles‘ Bildung verantwortlich zeichnet, nicht weiter erwähnenswert, zumal die Familie die Depression auch überwand und Miles immer einen Rückzugsraum in seinem Elternhaus fand.

    Nachtrag: Vernon Davis ist in seinen Schilderungen nicht ganz ehrlich. Die Naturalien, mit denen sich der alte Davis für seine Bohrkünste bezahlen liess, bestanden auch schon mal aus ganz handfesten Vermögenswerten; ein in der Nachkriegszeit auch in diesen Breitengraden durchaus übliches Verfahren zur Wohlstandsmehrung der Zunft.

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    #352789  | PERMALINK

    redbeansandrice

    Registriert seit: 14.08.2009

    Beiträge: 14,067

    wegen der sache mit „no longer the youngest member“: philly joe jones war der einzige aus der miles davis band mit dem evans auch später noch immer mal wieder zusammengespielt hat, oder?

    ein letztes zitat aus der autobiografie, passt ganz gut zu manchem was hier gesagt wurde, insbesondere „staggerlee“ [auch wenn miles erinnerung darüber wie webster ihn beschrieben hat natürlich nicht sooo eine tolle quelle ist]

    See, B[illy Eckstine] had asked me to join his band before I left New York. He had wanted me real bad. That’s the reason he paid me so much now. But back then I was enjoying myself playing in the little groups, and Freddie Webster had told me, „Miles, you know playing with B is nothing but death for you. If you go with him you’re going to die as a creative musician. Because you can’t do what you want to. You can’t play what you want to. They’re going to South Carolina and you ain’t like that. You can’t grin. You ain’t no Uncle Tom and you’re going to do something and them white folks down there are going to shoot you. So don’t do it. Tell him you don’t want to go with him.“ And I did, because Freddie was my main man and he was very wise.

    off topic:
    das überschaubare werk des 1947 verstorbenen freddie webster, der in miles autobiografie sehr oft erwähnt wird und der als vorbild sowohl von miles als auch von dizzy gillespie gilt, ist übrigens absolut hörenswert, grad unter einem historischen aspekt aber nicht nur, hier ist eine tolle radiosendung:
    http://indianapublicmedia.org/nightlights/the-man-before-miles-freddie-webster/

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    #352791  | PERMALINK

    nail75

    Registriert seit: 16.10.2006

    Beiträge: 45,074

    redbeansandrice
    krieg davis im moment nicht so gut in den griff, dieser toughe typ und dann diese verletzliche musik – find ich im moment einfach nicht so 100% überzeugend, also, ohne gefühle macht die musik keinen sinn, aber ich nehm ihm die gefühle nicht ab… dass seine alben enorm einflussreich waren, dass das im wesentlichen ein guter einfluss war, geschenkt; aber als lyrische Trompeter („lyrische stimmen an der trompete“) überzeugen mich zB Kenny Dorham und Tony Fruscella deutlich mehr… bei gekünstelt hatte ich vor allem an die alben mit gil evans gedacht, die ich mal sehr geliebt hab, und im prinzip auch immer noch mag, irgendwie… aber nimm das nicht zu ernst, ist alles noch ziemlich unausgegoren, wenn ich 50 bin, werd ich das sehr viel klarer und radikaler sagen, oder eben nicht mehr…;-)

    Dazu wollte ich auch noch etwas sagen: Die Musik von Miles Davis ist ja keineswegs immer „verletzlich“, sondern auch aggresiv und schneidend. Ich glaube, Du hast einfach noch keinen Zugang gefunden und irrst ein wenig richtungslos herum. Aber wie Du da raus kommst, weiß ich auch nicht.

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    Ohne Musik ist alles Leben ein Irrtum.
    #352793  | PERMALINK

    Anonym
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    Um zu hören wie Miles Davis „gearbeitet“ hat empfehle ich:
    Fahrstuhl zum Schafott / Ascenseur pour l’échafaud.

    Auf der CD sind bis zu 4 verschiedene Takes von einem Song.
    Jeder Take unterscheidet sich zum Teil drastisch vom anderen. Aber der Mann mußte nur die Lippen ans Mundstück legen – und man weiß das er es ist.

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