Re: Miles Davis

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nail75

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Sonny
Quellenverweise: Wie wäre es denn hiermit (klar, nur die Meinung des Herrn Bruckmaier):[I]http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-13496564.html

Im Prinzip ist Dein Versuch sehr begrüßenswert. Ich weiß aber nicht, ob er funktionieren wird. Aber gut. Das kann jetzt etwas dauern. :lol:

Bruckmaier erwähnt in seinem Artikel Marcus Garvey und stellt ihnen in einen völlig unzureichenden Kontext. Garvey vertrat einen radikalen „African nationalism“, genauer einen Pan-Afrikanismus. Das Ganze war sowohl ein afro-amerikanische Bewegung für die Verbesserung der ökonomischen, politischen und sozialen Stellung der Afro-Amerikaner wie eine internationale Bewegung, in dessen Mittelpunkt das Eintreten für eine weltweite Gemeinschaft der Afrikaner und ihrer Abkömmlinge stand. Außerdem befürwortete Garvey die „Rückkehr“ der Afro-Amerikaner nach Afrika und sprach sich für die strikte Trennung von Schwarzen und Weißen und die „purity of race“ aus. Dann wiederum hat diese Bewegung auch Züge eines Wirtschaftsunternehmens sowie einer religiösen Erweckungsbewegung bzw. Pseudomonarchie. Das kannst Du an anderer Stelle nachlesen, wichtig ist, dass der Vater von Miles Davis ein Anhänger von Garvey war.

Garvey hielt übrigens im Anschluss an die bereits mehrfach erwähnten East St. Louis Riots eine Rede in Harlem, die Du hier nachlesen kannst:
http://www.pbs.org/wgbh/amex/garvey/filmmore/ps_riots.html
Darin verweist er auf die öknomischen Hintergründe der Zusammenstöße (Great Migration), die sicherlich wesentlich zu den Spannungen beigetragen haben.

W.E.B. Du Bois, der Gründer der NAACP, war nicht gut auf Garvey zu sprechen. Miles Davis erwähnt, dass seine Mutter eine Anhängerin der NCAAP war. Du Bois war in gewisser Hinsicht der Gegenentwurf zu Garvey. Er war ein hochgebildeter Intellektueller und Aktivist, dem der Erweckungskult von Garvey fernlag. Außerdem verfolgte er das Ziel der gleichberechtigten Einbeziehung der Afro-Amerikaner in die amerikanische Gesellschaft. Du Bois war auf seine Art nicht weniger radikal als Garvey, aber er war kein „Prediger“.

Somit haben wir in Miles Davis Familie zwei Strömungen vereint, den Garveyism und die Richtung der NAACP. Beides waren eher radikale Strömungen, die sich von dem verhaltenen Aktivismus eines Booker T. Washington sehr unterschieden. Miles Davis sagte, sein Vater habe ihn politisch mehr beeinflusst als seine Mutter, was durchaus nachvollziehbar ist. Dennoch ist klar, dass sich Miles Davis im späteren Leben so gar nicht an die Idee der Reinheit der schwarzen Rasse gehalten hat, im Gegenteil! Ob er in anderer Hinsicht ein Garveyist war, ist mir nicht bekannt, aber Miles Davis war jedenfalls in einem radikalen Elternhaus aufgewachsen.

Aber auch Miles Davis spürte und erfuhr, dass aller Reichtum nicht davor schützte, dass man als Schwarzer nicht auf die guten Schulen der Weißen, sondern viel schlechtere Schulen, ausschließlich für Schwarze, besuchen musste. Die Abwesenheit offensichtlicher Verbote oder der südstaatlichen Segregation (für Miles Davis zu beobachten jenseits des Mississippi in St. Louis) bedeutete nicht, dass das gesellschaftliche Leben in den Nordstaaten integriert war. Das ist es bis zum heutigen Tag nur teilweise.

Wenn man jetzt noch gewisse charakterliche Eigenschaften einbezieht, die Du, Sonny, meiner Ansicht nach überbetonst, dann landet man hier:

bullschuetz

Das Staggerlee-Modell: Der Schwarze buhlt nicht um freundliche Aufnahme im Kreise der bürgerlichen, weißen Wohlmeinenden, indem er noch moralisch integrer ist als sie; der Schwarze duckt sich auch nicht demütig lächelnd weg, damit er nicht geprügelt, sondern wohlwollend am Rande der Gesellschaft geduldet wird. Der Schwarze fordert offensiv seinen Platz nach seinen eigenen Regeln. Und das kann unter Umständen heißen: Er nimmt sich offensiv das Recht heraus, auch großkotzig zu sein, egomanisch, ein Outsider, ein Outlaw, nicht verhuscht, nicht vorsichtig, nicht mit Respekt-Almosen und Anerkennungs-Brosamen zufrieden. Er will die anderen nicht davon überzeugen, dass er Rechte hat – er nimmt sich die Rechte einfach; ein rebellischer Akt der Selbstermächtigung. Es gibt eine lange Traditionslinie für diese Haltung […] und der Gangsta-Rapper ist die jüngste Inkarnation des Rollenmodells. Und die Reaktion des aufgeklärten, liberalen, wohlmeinenden Weißen ist immer dasselbe: Moment, das geht jetzt aber zu weit! Wir sind sehr wohl für die Gleichberechtigung der Schwarzen – aber bloß, wenn sie schön vernünftig sind!
[…]
Ich finde es nur extrem heikel, hier vorschnell mit dem Begriff „Rassismus“ zu hantieren. Denn MDs Verhalten ist zuvorderst eine ANTWORT auf erlebten Rassismus. Es ist die Antwort der lebenslangen Wut, des provokatorischen Trotzes, der bewusst harschen Verweigerung. Diese Haltung lässt sich vielleicht in einem Satz von Sly Stone zusammenfassen: „Don’t call me nigger, whitey.“ Frei übersetzt: Ich werde einen Scheiß tun und dich Bleichgesicht höflich darum bitten, mich doch bitteschön freundlicherweise nicht zu diskriminieren. Wenn du mich nicht respektierst, zahl ich’s Dir mit gleicher Münze heim. Und was, wenn Du aufgeklärtes Bürgersöhnchen dann mich – ausgerechnet mich! – einen „Rassisten“ nennst? Ha, so weit kommt’s noch, dass ich mir von den Weißen erklären, definieren, vorschreiben lasse, welche Reaktionen auf den Rassismus erlaubt sind und wann ich über die Stränge schlage …

Wenn man dazu die von redbeansandrice zitierten Stellen in Zusammenhang setzt, dann passt das eigentlich ganz gut zusammen.

Somit komme ich zu dieser Frage:

Sonny
Die Frage, die ich nach wie vor stelle, ist, ob er nicht genauso die weißen Amerikaner über einen Kamm geschert und gehasst hat, wie die rassistischen weißen Amerikaner (und das waren auch nicht alle weißen Amerikaner!) es bei den Farbigen getan haben.

Und dafür, dass Miles Davis das so sah, gibt es keinen mir bekannten Beleg. Sein unverschämtes oder gar fieses Verhalten in Einzelsituationen scheint mir nicht dafür auszureichen, ihm generell Rassismus zu unterstellen. Ich kann in diesem Zusammenhang auch nur nochmals auf den Ian Carr-Artikel über MD und Bill Evans, den Sandhead dankenswerterweise zitiert hat, verweisen:

Summer of ’58 found Evans increasingly comfortable in the group. He was no longer the youngest member—Jimmy Cobb had been called in to replace Philly Joe Jones a month after Evans joined—but he remained the only white musician. Miles continued to tease him, but he had stood the trumpeter’s skewering—certainly a rite of entry to the band—and earned Davis’ respect.

But the unease Evans faced in certain venues grew. “It was more of an issue with the fans. The guys in the band defended me staunchly. We were playing black clubs, and guys would come up and say, ‘What’s that white guy doing there?’ They said, ‘Miles wants him there—he’s supposed to be there’.”

Reverse or not, it was a form of racism, and Davis and Evans were of one mind about it. Miles: “Crow Jim is what they call that. It’s [got] a lot of the Negro musicians mad because most of the best-paying jobs go to the white musicians playing what the Negroes created. But I don’t go for this, because I think prejudice one way is just as bad as the other way.”

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Ohne Musik ist alles Leben ein Irrtum.