Miles Davis

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  • #352603  | PERMALINK

    Anonym
    Inaktiv

    Registriert seit: 01.01.1970

    Beiträge: 0

    Cassavetesflapsige Bemerkung

    Natürlich, eine flapsige Bemerkung und sicher nicht überzubewerten. Aber deshalb eben auch nicht richtig ernst zu nehmen. Würde man sie ernst nehmen, müsste man zum Ergebnis kommen, dass es einfach unreflektierter Quatsch ist, Miles Davis als „Rassisten“ zu bezeichnen. Das Thema ist in der Tat unendlich viel komplizierter und mit so oberflächlichen Schnellschnellkategorisierungen nicht zu kriegen, nail75 hat da einiges Wichtige bereits dazu geschrieben.
    Dass MD manche extrem provozierenden Sprüche rausgehauen hat, ist unbestreitbar. Wie die in den zeitgenössischen Kontext der Unterdrückung durch Weiße einzuordnen und als Aufbegehren dagegen zu verstehen sind, ist hier ebenfalls bereits angedeutet worden. MDs Attitüde hatte in diesem Zusammenhang eine bewusst polemische, provokative Note, er wollte eben kein „Onkel Tom“ sein, der überaus dankbar ist, wann immer ein Weißer nett zu ihm ist, und sorgsam darauf achtet, allen Erwartungen gehorsamst zu entsprechen, die ein weißes Publikum an ihn richtet.
    Zum Thema MD und Rassismus empfehle ich, die Passagen über Bill Evans in MDs Autobiographie zu lesen (einfach via Register die einschlägigen Stellen rauspicken). Vielleicht gehen dann dem einen oder anderen doch die Augen auf. Wenn ich mal die Zeit finde, werde ich diese Stellen hier referieren und einzuordnen versuchen.
    Hier nur soviel als Zwischenfazit: MD als „Rassisten“ zu bezeichnen, finde ich etwa genauso reflektiert und kenntnisreich, wie Country-Musik als „reaktionär“ zu beschreiben. In beiden Äußerungen findet sich so eine Art rudimentärer Teilhalbwahrheit, die man allerdings nur dann zu einer Pauschalaussage aufblasen und für richtig halten kann, wenn man sich mit der Materie nicht reflektiert auseinandersetzen kann oder will und so ziemlich alle Differenzierungen weglässt und zeitgenössische und kulturelle Kontexte ausblendet.
    Sorry, ich würde das gerne näher ausführen, aber mir fehlt grade die Zeit.

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    #352605  | PERMALINK

    nail75

    Registriert seit: 16.10.2006

    Beiträge: 45,074

    CassavetesMir wurde mal von einigen jungen Frauen übel mitgespielt. Darf ich jetzt auch Sexist sein? Wenigstens fürs Wochenende?
    Und ein Freund von mir wurde mal von zwei Arabern verprügelt. Soll der nun nächsten Monat NPD wählen?
    Woher die Empörung über WDs flapsige Bemerkung? Was habt ihr eigentlich davon, Miles reinwaschen zu wollen? Gibt euch das irgendwas? Macht das seine Musik besser/ohne Gewissensbisse beim Hören genießbarer? (Und schwupps… sind wir wieder im „Moral und Musik“-Thread.)

    Sag mal, hast Du den Thread überhaupt gelesen? Die Unterstellung, Miles Davis reinwaschen zu wollen, ist ziemlich albern – das hat Miles Davis überhaupt nicht nötig. Mir ist außerdem ein Miles Davis mit all seinen Widersprüchen und Fehlern lieber als irgendein reingewaschenes Idol.

    Niemand hat sich hier empört, jedenfalls habe ich noch nichts davon mitbekommen. Meine Posts bezogen sich überhaupt nicht auf WD, da ich den neuen RS noch nicht habe, sondern auf die Äußerungen von pink-nice u.a. Es ging hier auch nicht um die Moralkeule, sondern um ein wenig Bewusstsein für die damaligen gesellschaftlichen Hintergründe.

    @bullschuetz: Starker Post! :-)

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    Ohne Musik ist alles Leben ein Irrtum.
    #352607  | PERMALINK

    hotblack-desiato

    Registriert seit: 11.11.2008

    Beiträge: 8,595

    redbeansandrice… aber ich find cdu wählen schon 20% weniger krass als vorher…

    da waren sie wieder, die 20%

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    ~ Mut ist, zu wissen, dass es weh tun kann und es trotzdem zu tun. Dummheit ist dasselbe. Und deswegen ist das Leben so schwer. ~
    #352609  | PERMALINK

    go1
    Gang of One

    Registriert seit: 03.11.2004

    Beiträge: 5,644

    CassavetesMir wurde mal von einigen jungen Frauen übel mitgespielt. Darf ich jetzt auch Sexist sein? Wenigstens fürs Wochenende?
    Und ein Freund von mir wurde mal von zwei Arabern verprügelt. Soll der nun nächsten Monat NPD wählen?

    Dieser Vergleich ist so dermaßen verkehrt, dass er quasi auf dem Kopf steht. Du lässt völlig außer acht, dass die Schwarzen in den USA eine unterdrückte Minderheit waren, obwohl Dir diese Tatsache bekannt ist. Wenn Du schon eine Analogie konstruieren willst, dann müsste sie ungefähr so aussehen: Stell Dir vor, Deine beiden Araber sind von Neonazis verprügelt worden und haben festgestellt, dass das keine Sau interessiert. Diesen Arabern gehört’s ja nicht besser, ist anscheinend die Meinung von Justiz und schweigender Mehrheit. Seitdem sind sie schlecht auf die Deutschen zu sprechen und begegnen dir und anderen mit Misstrauen – und dann werden sie noch wegen ihres rassistischen Deutschenhasses ins moralische Abseits gestellt. Das wäre so ungefähr die Analogie (das ist ein konstruiertes Beispiel, zur Veranschaulichung). Der Punkt ist: Miles lebte als Angehöriger einer Minderheit in einer rassistischen Gesellschaft und seine Attitüde war eine Reaktion auf seine Lebensumstände. Man kann sein Verhalten kritisieren, aber bitte nicht abstrakt und losgelöst von den Verhältnissen, in denen er gelebt hat. Nail75 hatte das doch eigentlich schon erklärt.

    Oder nochmal anders: Deine Beispiele sind zufällige Ereignisse und der Schluss daraus auf „die Araber“ und „die Frauen“ ist einfach ein Fehler, eine falsche Verallgemeinerung. Die rassistischen Episoden, die Miles Davis miterlebt hat, waren dagegen nicht zufällig, sondern exemplarisch, weil er in einer rassistischen Gesellschaft aufgewachsen ist, einer Gesellschaft, die durch ihre Gesetze, Institutionen, Strukturen rassistisch war. Schwarzen wurden Hindernisse in den Weg gelegt und Weiße haben davon profitiert. Und gegen diese Verhältnisse hat Miles auf seine Weise rebelliert.

    bullschuetzMDs Attitüde hatte in diesem Zusammenhang eine bewusst polemische, provokative Note, er wollte eben kein „Onkel Tom“ sein, der überaus dankbar ist, wann immer ein Weißer nett zu ihm ist, und sorgsam darauf achtet, allen Erwartungen gehorsamst zu entsprechen, die ein weißes Publikum an ihn richtet.

    Das Heft selbst habe ich bisher nur durchgeblättert. Den Text von Steve Van Zandt kannte ich schon aus dem Juni-Heft von UNCUT (die fünfzehn ausgewählten „Walking-in-Songs“ waren da auch auf der Heft-CD zu hören).

    --

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    #352611  | PERMALINK

    sonny

    Registriert seit: 09.04.2003

    Beiträge: 1,919

    bullschuetzNatürlich, eine flapsige Bemerkung und sicher nicht überzubewerten. Aber deshalb eben auch nicht richtig ernst zu nehmen. Würde man sie ernst nehmen, müsste man zum Ergebnis kommen, dass es einfach unreflektierter Quatsch ist, Miles Davis als „Rassisten“ zu bezeichnen. Das Thema ist in der Tat unendlich viel komplizierter und mit so oberflächlichen Schnellschnellkategorisierungen nicht zu kriegen, nail75 hat da einiges Wichtige bereits dazu geschrieben.
    Dass MD manche extrem provozierenden Sprüche rausgehauen hat, ist unbestreitbar. Wie die in den zeitgenössischen Kontext der Unterdrückung durch Weiße einzuordnen und als Aufbegehren dagegen zu verstehen sind, ist hier ebenfalls bereits angedeutet worden. MDs Attitüde hatte in diesem Zusammenhang eine bewusst polemische, provokative Note, er wollte eben kein „Onkel Tom“ sein, der überaus dankbar ist, wann immer ein Weißer nett zu ihm ist, und sorgsam darauf achtet, allen Erwartungen gehorsamst zu entsprechen, die ein weißes Publikum an ihn richtet.
    Zum Thema MD und Rassismus empfehle ich, die Passagen über Bill Evans in MDs Autobiographie zu lesen (einfach via Register die einschlägigen Stellen rauspicken). Vielleicht gehen dann dem einen oder anderen doch die Augen auf. Wenn ich mal die Zeit finde, werde ich diese Stellen hier referieren und einzuordnen versuchen.
    Hier nur soviel als Zwischenfazit: MD als „Rassisten“ zu bezeichnen, finde ich etwa genauso reflektiert und kenntnisreich, wie Country-Musik als „reaktionär“ zu beschreiben. In beiden Äußerungen findet sich so eine Art rudimentärer Teilhalbwahrheit, die man allerdings nur dann zu einer Pauschalaussage aufblasen und für richtig halten kann, wenn man sich mit der Materie nicht reflektiert auseinandersetzen kann oder will und so ziemlich alle Differenzierungen weglässt und zeitgenössische und kulturelle Kontexte ausblendet.
    Sorry, ich würde das gerne näher ausführen, aber mir fehlt grade die Zeit.

    Puh. Du unterstellst (u.a.) mir also, mich „nicht reflektiert“ mit der Materie auseinandergesetzt zu haben. Ein letzter Satz nur noch zu dem Thema:
    Sich bei einer auch nur annähernd reflektierten Auseinandersetzung mit der Person Miles Davis ausschließlich auf seine Autobiographie zu verlassen (zumindest wird die hier, von Dir und anderen ständig zitiert), ist schlicht unseriös.

    --

    #352613  | PERMALINK

    redbeansandrice

    Registriert seit: 14.08.2009

    Beiträge: 14,067

    Sonny
    Sich bei einer auch nur annähernd reflektierten Auseinandersetzung mit der Person Miles Davis ausschließlich auf seine Autobiographie zu verlassen ist schlicht unseriös.

    dass das mit miles davis autobiografie so eine sache ist, geschenkt… andererseits: worüber besteht eigentlich noch uneinigkeit? miles davis hatte gründe sauer zu sein, er war es auch, vielleicht auch ein bißchen mehr als andere, die die gleichen gründe hatten; er scheint aber doch in erster linie den einzelnen gesehen zu haben und hatte in allen phasen seiner karriere dutzende von weißen freunden [der unumgängliche vergleich: wie viele jüdische freunde hatte hitler?] ob man das jetzt rassismus nennt oder nicht ist doch fast egal, oder? es geht jedenfalls rassistischer :-)

    --

    .
    #352615  | PERMALINK

    Anonym
    Inaktiv

    Registriert seit: 01.01.1970

    Beiträge: 0

    Sonny, ich wollte Dich nicht beleidigen – kann gut sein, dass es auch reflektierte Leute gibt, die finden, es sei genug gesagt, wenn man MD einen Rassisten nennt. Wie auch immer: Verzeih, dass ich kein komplettes Literaturverzeichnis zum Thema MD beigegeben habe; aber die Autobiographie sollte man neben anderem doch auf jeden Fall unbedingt gelesen haben, bevor man sich zum in Frage stehenden Sachverhalt meinungsstark äußert. Soweit Einigkeit?

    --

    #352617  | PERMALINK

    castile

    Registriert seit: 12.12.2007

    Beiträge: 80

    Clau

    Rolling Stone

    Die Umsetzung auf dem Originalalbum ist eilig, der Sänger klingt flach, die Elemente kommen nicht perfekt zusammen. Die Live-Version etwa auf Paul McCartneys Solo „Tripping The Lifw Fantastic“ hat deutlich mehr Esprit.

    Habe vielen Dank, Clau. Hmmm. Kann das auch nicht nachvollziehen.

    --

    #352619  | PERMALINK

    nail75

    Registriert seit: 16.10.2006

    Beiträge: 45,074

    SonnyPuh. Du unterstellst (u.a.) mir also, mich „nicht reflektiert“ mit der Materie auseinandergesetzt zu haben. Ein letzter Satz nur noch zu dem Thema:
    Sich bei einer auch nur annähernd reflektierten Auseinandersetzung mit der Person Miles Davis ausschließlich auf seine Autobiographie zu verlassen (zumindest wird die hier, von Dir und nail u.a. ständig zitiert), ist schlicht unseriös.

    Bitte zeige mir die Stelle, wo ich die Autobiographie zitiert oder mich auf sie berufen habe.

    --

    Ohne Musik ist alles Leben ein Irrtum.
    #352621  | PERMALINK

    sonny

    Registriert seit: 09.04.2003

    Beiträge: 1,919

    nail75Bitte zeige mir die Stelle, wo ich die Autobiographie zitiert oder mich auf sie berufen habe.

    Ist korrigiert, sorry!

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    #352623  | PERMALINK

    nail75

    Registriert seit: 16.10.2006

    Beiträge: 45,074

    So jetzt habe ich die Buchbesprechung von WD auch gelesen. Als Counterpunch gegen die unkritische Verklärung von Miles Davis als cooler Prinz der Dunkelheit (sofern das Buch denn das wirklich betreibt) ist der Satz gar nicht schlecht, obwohl ich das Wort Rassismus nach wie vor nicht glücklich finde.

    @sonny: Danke!

    By the way: Tolle Single, habe ich heute schon fünfmal gespielt. Ok, Made Of Stone. ;-)

    --

    Ohne Musik ist alles Leben ein Irrtum.
    #352625  | PERMALINK

    motoerwolf

    Registriert seit: 25.10.2006

    Beiträge: 6,343

    Miles Davis war in meinen Augen eindeutig kein Rassist. Wenn jemand mit seiner Biographie einen Hass auf das „weiße Amerika“ entwickelte, weil er es als überwiegend rassistisch empfand, dürfte das niemanden erstaunen. Im Gegensatz zum weißen Rassismus, der die Schwarzen nicht nur über die Hautfarbe, sondern auch über angeblich stets vorhandene geistige Mängel definierte und behauptete, Schwarze (uva) seien zu echter Kultur unfähig, hat MD meines Wissens aber niemals behauptet, das es Rassemerkmale gebe, die die Weißen allgemein zu niederen Menschen machten. Auch der weiße Rassismus war für ihn wohl kein weißes Rassemerkmal, sondern eine Eigenschaft des größten Teils der amerikanischen weißen Gesellschaft. Damit haßte MD nicht eine Rasse, sondern eine Kultur.
    Kulturen sind aber nicht unveränderbar, und innerhalb einer Kultur auch des größten Hasses kann es immer einzelne geben, die den Hass und Rassismus ablehnen und sich ihm widersetzen.
    Rassisten leugnen die diese Möglichkeit Einzelner, einer Kultur, eines Volkes oder gar einer vermeintlichen Rasse zu einer positiven Entwicklung jedoch. Das tat MD meines Wissens nicht.

    --

    And all the pigeons adore me and peck at my feet Oh the fame, the fame, the fame
    #352627  | PERMALINK

    pink-nice

    Registriert seit: 29.10.2004

    Beiträge: 27,368

    motörwolf Im Gegensatz zum weißen Rassismus, der die Schwarzen nicht nur über die Hautfarbe, sondern auch über angeblich stets vorhandene geistige Mängel definierte und behauptete, Schwarze (uva) seien zu echter Kultur unfähig, hat MD meines Wissens aber niemals behauptet, das es Rassemerkmale gebe, die die Weißen allgemein zu niederen Menschen machten.

    Spiegel:

    Einen „schwarzen Rassisten“ haben sie ihn genannt, weil er weißen Musikern das Gespür für Groove absprach.

    --

    Wenn ich meinen Hund beleidigen will nenne ich ihn Mensch. (AS) „Weißt du, was ich manchmal denke? Es müsste immer Musik da sein. Bei allem was du machst. Und wenn's so richtig Scheiße ist, dann ist wenigstens noch die Musik da. Und an der Stelle, wo es am allerschönsten ist, da müsste die Platte springen und du hörst immer nur diesen einen Moment.“
    #352629  | PERMALINK

    redbeansandrice

    Registriert seit: 14.08.2009

    Beiträge: 14,067

    hab nochmal einen blick in john szwed’s miles davis biografie geworfen… jimmy cobb erzählt dort so eine geschichte vonwegen Coltrane, Adderley und Davis diskutieren irgendwas, Bill Evans will auch was sagen, wird von Davis weggeschickt mit der Begründung „white opinions“ wollte jetzt nun wirklich keiner hören…

    ich glaub ich tendier jetzt doch mehr richtung rassist als vorher… aber was auch überdeutlich rauskommt, ist, dass davis nun wirklich nicht an der pflege eines saubermann-images interessiert war, ich glaub er fand schon dass man der perfekte prince of darkness sein konnte und dabei rassistisch und sexistisch

    --

    .
    #352631  | PERMALINK

    Anonym
    Inaktiv

    Registriert seit: 01.01.1970

    Beiträge: 0

    redbeansandriceich glaub ich tendier jetzt doch mehr richtung rassist als vorher

    Das Thema MD und Rassismus lässt mir keine Ruhe, ich will versuchen, noch einmal auszuholen und zu erklären, weshalb ich den Begriff in diesem Zusammenhang kurzschlüssig finde.

    Es ist selbstverständlich überhaupt kein Problem, Zitate zu finden, die belegen, dass MD Dinge sagte und tat, die in unserer gutbürgerlich-weißen Kategorisierung unter Rassismus subsumierbar sein könnten. Wie er Bill Evans wegschickte mit dem verächtlichen Spruch, „white oppinions“ seien jetzt gerade nicht gefragt, wurde schon genannt. Eine andere Äußerung aus dieser Ecke: Eines Tages, soll er mal zu Juliette Greco gesagt haben, werde er einen weißen Rolls-Royce fahren, mit einem weißen Chauffeur.

    Dass MD ein Arschloch sein konnte und oftmals war: unbestritten. Nur möchte ich diese Haltungen, diese provokativen Äußerungen, diese bewusst verletzenden und beleidigenden, bewusst aneckenden (heute würde man sagen: bewusst nicht politisch korrekten) Äußerungen in einen Deutungshorizont einordnen. Den der Wut. Der Wut über lebenslang erfahrenen Rassismus, mit dem Weiße in Amerika Schwarze in Amerika unterdrückten, diskriminierten, versklavten, verletzten, beleidigten, ausgrenzten, ausbeuteten: offensichtlichen Rassismus, latenten Rassismus, hasserfüllten Rassismus, herablassenden Rassismus, wohlmeinenden Rassismus, alltäglichen Rassismus, exzesshaft ausbrechenden Rassismus, verbalen Rassismus, gewalttätigen Rassismus. Dass MD all das erlebt hat, dürfen wir, glaube ich, als gegeben annnehmen.

    Es gibt viele Modelle, damit umzugehen. Drei bekannte sind:

    1.
    Das Martin-Luther-King-Modell: Gegen Rassismus kämpfen, auf eine ethisch unangreifbare Art, bei der kein wohlmeinender, aufgeklärter Mensch widersprechen kann. Dies ist eine Haltung, die dem gutbürgerlichen, aufgeklärten, weißen, liberalen Bewusstsein natürlich keinerlei Probleme bereitet.

    2.
    Das Onkel-Tom-Modell: Anpassung, Freundlichkeit, betonte Harmlosigkeit, die den weißen Herren nicht provoziert, eine Haltung, die es ermöglicht, einigermaßen ungeschoren zu leben (die nette Haushälterin in „Vom Winde verweht“). Wer sich so verhält, erhofft vielleicht Gleichberechtigung, aber er fordert sie nicht. Eine Haltung aber, die um Respekt wie um ein Almosen bettelt, hat MD aufs Finsterste abgelehnt.

    3.
    Das Staggerlee-Modell: Der Schwarze buhlt nicht um freundliche Aufnahme im Kreise der bürgerlichen, weißen Wohlmeinenden, indem er noch moralisch integrer ist als sie; der Schwarze duckt sich auch nicht demütig lächelnd weg, damit er nicht geprügelt, sondern wohlwollend am Rande der Gesellschaft geduldet wird. Der Schwarze fordert offensiv seinen Platz nach seinen eigenen Regeln. Und das kann unter Umständen heißen: Er nimmt sich offensiv das Recht heraus, auch großkotzig zu sein, egomanisch, ein Outsider, ein Outlaw, nicht verhuscht, nicht vorsichtig, nicht mit Respekt-Almosen und Anerkennungs-Brosamen zufrieden. Er will die anderen nicht davon überzeugen, dass er Rechte hat – er nimmt sich die Rechte einfach; ein rebellischer Akt der Selbstermächtigung. Es gibt eine lange Traditionslinie für diese Haltung: Die mythische Gestalt des Staggerlee gehört an den Anfang, der Schwergewichtsboxer Jack Johnson passt hierher; wie Sly Stone, ein wichtiger Wahlverwandter von MD, sich in diese Reihe fügt, kann man bei Greil Marcus (Mystery Train) nachlesen; Muhammad Ali und Malcolm X bilden interessante Variationen (allerdings auch markante Modifikationen) des Typus; und der Gangsta-Rapper ist die jüngste Inkarnation des Rollenmodells. Und die Reaktion des aufgeklärten, liberalen, wohlmeinenden Weißen ist immer dasselbe: Moment, das geht jetzt aber zu weit! Wir sind sehr wohl für die Gleichberechtigung der Schwarzen – aber bloß, wenn sie schön vernünftig sind!

    Dass das Jack-Johnson-Modell in moralische Ambivalenzen und Dubiositäten mündet, braucht wohl kaum eigens betont zu werden. Natürlich hat sich MD in seinem Leben oft wie ein überlebensgroßes Ekel verhalten.

    Ich finde es nur extrem heikel, hier vorschnell mit dem Begriff „Rassismus“ zu hantieren. Denn MDs Verhalten ist zuvorderst eine ANTWORT auf erlebten Rassismus. Es ist die Antwort der lebenslangen Wut, des provokatorischen Trotzes, der bewusst harschen Verweigerung. Diese Haltung lässt sich vielleicht in einem Satz von Sly Stone zusammenfassen: „Don’t call me nigger, whitey.“ Frei übersetzt: Ich werde einen Scheiß tun und dich Bleichgesicht höflich darum bitten, mich doch bitteschön freundlicherweise nicht zu diskriminieren. Wenn du mich nicht respektierst, zahl ich’s Dir mit gleicher Münze heim. Und was, wenn Du aufgeklärtes Bürgersöhnchen dann mich – ausgerechnet mich! – einen „Rassisten“ nennst? Ha, so weit kommt’s noch, dass ich mir von den Weißen erklären, definieren, vorschreiben lasse, welche Reaktionen auf den Rassismus erlaubt sind und wann ich über die Stränge schlage …

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