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gypsy tail windOK, mag sein, ja… aber Miles hat doch immer wieder Musiker um sich geschart, die hart an die Grenzen des jeweils „Konventionellen“ gingen. Zuerst das Quintett mit Coltrane, Garland, Chambers und Philly Joe, später die Band mit Shorter, Hancock, Carter und Williams, dann das „Lost Quintet“ (Shorter, Corea, Holland, DeJohnette), danach die Studio-Bands für „In a Silent Way“ und „Bitches Brew“, die zu Keimzellen des ganzen Jazz-Rock-Genres wurden… Miles‘ Bezüge zur Avantgarde sind wohl vielfältiger und deutlicher als er das selber in all seiner Widersprüchlichkeit je hätte zugeben mögen.
Ja, er holte die fortgeschrittensten Musiker, aber spielte mit ihnen keinen avantgardistischen Jazz, obwohl das second classic quintet und das lost quintet natürlich den allgemeinen freien Geist dieser Zeit atmen. Aber Miles war nicht der Mann, der Jazz als Befreiungsideologie verstand (so wie beispielsweise Ayler).
Die Widersprüchlichkeit von Miles erklärt sich u.a. aus relativ einfach nachzuvollziehenden Tatsachen. Miles stammt – man kann es immer nur wiederholen – aus materiell gesicherten Verhältnissen. Die meisten anderen Jazzer konnten von solchem Wohlstand nur träumen. Seine Eltern konnten ihn sogar nach NYC zum Studium schicken.
Aber dennoch erlebte Miles, dass die Rassengrenzen selbst mit Geld undurchdringlich blieben, was ihn bis an sein Lebensende in Rage versetzte. Seine Antwort darauf war der oben beschriebene Versuch, Ruhm und Erfolg zu erlangen – das entspricht exakt seinem Mittelklasse-Ethos, denn sein Vater lebte Erfolg – in beruflicher Hinsicht – vor.
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Ohne Musik ist alles Leben ein Irrtum.Highlights von Rolling-Stone.deWerbungVielleicht fand Miles auch nicht unbedingt die Zwangsläufigkeit, diese neue Stufe zu nehmen? Und es gefiel ihm vielleicht auch nicht unbedingt musikalisch? Warum sollte er sich auf eine Musik einlassen, die nicht die seine war?
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tejazzVielleicht fand Miles auch nicht unbedingt die Zwangsläufigkeit, diese neue Stufe zu nehmen? Und es gefiel ihm vielleicht auch nicht unbedingt musikalisch? Warum sollte er sich auf eine Musik einlassen, die nicht die seine war?
Man kann es so sehen. Ich teile aber eher die (bzw. nail75s) Ansicht, dass Davis zeitlebens unter Rassendiskriminierung litt und (wie ihm anerzogen) nach Karriere und Anerkennung strebte. Das widerspricht einer musikalischen Auslotung der eigenen und gesellschaftlichen Grenzen.
Coltrane bspw. mußte sich seiner ersten progressiven Versuche, den Village Vanguard Konzerten harscher Kritik aussetzen. John Tynan bezeichnete am 21.11.61 im Jazz Magazin „Downbeat“ die Village Vanguard Konzerte als „Anti-Jazz“ und musikalischen Nonsense. Aus heutiger Sicht an Lächerlichkeit kaum zu überbieten, aber derartige Kritik repressiver Mehrheiten bremste natürlich erstmal Coltranes Entwicklungen und ließ ihn in Folge konservative Alben wie „Coltrane“, „Plays the Blues“ und „Ballads“ veröffentlichen.--
gypsy tail wind…
Über Deine Behauptung, redbeans, was Parker und Coltrane betrifft, muss ich noch ein wenig nachdenken… so hab ich mir das noch nie überlegt. Ist wohl am Ende schwierig zu beurteilen, da diese zehnminütigen Soli von Parker nicht oder kaum überliefert sind… (ist bei Coltranes dreissig- bis sechzigminütigen allerdings ähnlich, mal abgesehen von den 1966er Aufnahmen aus Japan, aber zu dem Zeitpunkt war das ja nichts neues mehr).Es stimmt schon, dass Parker den Jazzsolisten neu interpretiert, bzw. (mit-)“erfunden“ hat. Obendrein ist der Unterschied von 10 zu 20 Minuten Tracks nicht sehr viel. Allerdings liefert Coltrane in den 60ern 15 bis 20 Minuten Tracks am laufenden Meter. Und „Ascension“ wird in 38 bzw. 40 Minuten dargeboten und entspricht letztlich schon einer anderen Art des Jazz. Die Bezüge zu Parker sind nicht mehr (oder nur noch schwach) gegeben. Es ist eine neue Definition des Jazz (des Jazzsolisten), die Coltrane natürlich nicht alleine erfunden hat, aber an deren Entwicklung er schon maßgeblich beteiligt war.
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monoton…aber derartige Kritik repressiver Mehrheiten bremste natürlich erstmal Coltranes Entwicklungen und ließ ihn in Folge konservative Alben wie „Coltrane“, „Plays the Blues“ und „Ballads“ veröffentlichen.
Das ist jetzt aber auch wieder eine sehr gewagte Behauptung… zumal „Coltrane“ beim genaueren Hinhören voller wunderbarer Musik ist, die keineswegs mit dem „domestizierten“ Coltrane, wie man ihn meinetwegen auf „Ballads“ oder den Alben mit Ellington und Hartman hören kann, in einen Topf zu werfen ist! Bitte genauer hinhören!
Zu „Plays the Blues“ ist nichts zu sagen, die Aufnahmen stammen bereits vom Oktober 1960 und fügen sich sehr gut mit den anderen von dieser Zeit (zu hören auf „My Favorite Things“ und „Coltrane’s Sound“) zu einem ganzen. Konservativ? Sicher nicht!--
"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #165: Johnny Dyani (1945–1986) - 9.9., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tbadiese Theorien mit
Miles Davis – Zahnarztfamilie – Zahnarztmusik
John Coltrane – Pfarrerfamilie – Pfarrermusik
Duke Ellington – Dienerfamilie – Dienermusik
Thelonious Monk – alleinerziehende Verwaltungsangestellte – …
machen mir ja doch irgendwie auch Bauchschmerzen…Diskriminierung haben die nun alle wirklich reichlich erfahren, und graue Mäuse waren sie auch alle nicht… zumindest sehe ich da die Frage über die Role des Jazzmusikers in der Welt mindestens genauso groß… ich denke es ist relativ klar, dass es Miles nicht genügte, kommerziellen Erfolg zu haben, den hätte er oft genug billiger haben können – die Menschen mit Meisterwerke von beeindruckender Tiefe und Komplexität zu verblüffen war aicherlich auch Teil des Plans… (as opposed to meinetwegen Coltrane, der sie befreien wolte…)
naja, vielleicht passt da die Parallele zu Zahnärzten und Pfarrern auch gar nicht so schlecht…
ach so, das Thema Ballads, With Ellington, Meets Johnny Hartman haten wir im anderen Coltrane Thread mal ziemlich ausgiebig diskutiert…, da kam irgendwie sanfter Druck vom Label…
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.redbeansandricediese Theorien mit
Miles Davis – Zahnarztfamilie – ZahnarztmusikKind of Blue? :lol:
Musiksoziologisch betrachtet ist das offenbar eine müßige Diskussion. Die damaligen gesellschaftlichen Ausgangsbedingungen erlaubten es nur in einem sehr eingeschränkten Maße, künstlerisch erfolgreich zu sein.
Auch wenn die vorgenannten Musiker allesamt unterschiedliche Herangehensweisen gehabt zu haben scheinen, waren alle doch auf unterschiedlichste Weise erfolgreich.
Die wirklich progressive Musik von Coltrane hat immer wieder Abnehmer gefunden, so dass er letztlich Impulse! fast alleine finanzierte. Miles Davis hatte das Glück, mit „Kind of Blue“ bei Columbia durchzustarten, so dass er mehr oder weniger machen konnte, was er wollte. Ohne diesen Erfolg wäre wohl die weisse Frau auf dem Cover von „Miles ahead“ geblieben, so konnte er sich das herausnehmen. Beide Musiker haben zwischen ihren avantgardistischeren Aufnahmen immer wieder Sessions eingespielt, einspielen müssen, die das breite Publikum befriedigten.
Rückblickend kann man sagen, dass die Aufnahmen beider für Prestige keine großen Erfolge waren, entsprechend klein waren die Entwicklungsschritte.Zudem nehme ich beide Musiker – und viele andere, wie Mingus – als zerrissene Künstler war, die zwar unterschiedliche Ziele gehabt haben, aber immer wieder davon abgewichen sind. Näher kenne ich beider Entwicklung aber nicht mehr…Vor einigen Jahren hatte ich einiges gelesen…
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"There is a wealth of musical richness in the air if we will only pay attention." Grachan Moncur IIIkatharsisKind of Blue? :lol:
muss nächste woche mal zum zahnarzt, da kann ich die probe aufs exempel machen :roll:
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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #165: Johnny Dyani (1945–1986) - 9.9., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tbagypsy tail windmuss nächste woche mal zum zahnarzt, da kann ich die probe aufs exempel machen :roll:
dito!
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"There is a wealth of musical richness in the air if we will only pay attention." Grachan Moncur IIIkatharsisdito!
Bei der alten Zahnärztin lief immer Radio Zürisee… das hat mich schon mehrere male beinahe in den Irrsinn getrieben… allerdings will ich mir auch nicht KoB verderbern lassen indem ich’s dauernd in diesem unerfreulichen Kontext hören muss…
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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #165: Johnny Dyani (1945–1986) - 9.9., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tbagypsy tail windDas ist jetzt aber auch wieder eine sehr gewagte Behauptung… !
die ich weitgehend teile. Wundert mich jetzt, dass Du das anders siehst, das hatten wir anderweitig ja schon mal ausdiskutiert. Es ändert natürlich nichts daran, dass die Alben allesamt gut sind.
redbeansandrice
Diskriminierung haben die nun alle wirklich reichlich erfahrenEs geht mir nicht um Diskriminierung, sondern um deren Wahrnehmung, wie ich sie oben beschrieben habe. Es geht auch nicht um Zahnärzte oder Pfarrer, aber das Milieu, in dem ein Mensch aufwächst, prägt ihn natürlich.
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Ohne Musik ist alles Leben ein Irrtum.nail75die ich weitgehend teile. Wundert mich jetzt, dass Du das anders siehst, das hatten wir anderweitig ja schon mal ausdiskutiert. Es ändert natürlich nichts daran, dass die Alben allesamt gut sind.
Nun, was die Chronologie betrifft ist die Behauptung jedenfalls über „Plays the Blues“ schlichtweg falsch.
Kann sein, dass man das Album als Produzenten-Idee und als konservativ betrachtet, aber es hat nichts mit der Rezeption der Coltrane-Band von 1961 zu tun.Und wie gesagt: die Musik auf „Coltrane“ sehe ich ganz klar in der Linie, die Coltrane zwischen den Atlantic-Sessions und den späteren Impulse-Sessions gemacht hat. Natürlich stechen „Africa/Brass“ und die Village Vanguard Sessions von 1961 da heraus. Aber bei ersterem handelt es sich um eine einmalige Sache, die – leider! – nie in ähnlicher Form wieder versucht wurde später, und bei zweiterem handelt es sich um Live-Dokumente, die nicht einfach so mit den Studio-Aufnahmen verglichen werden sollten.
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Lustig, ich hab auch nächste Woche einen Termin. Mir macht die Musikuntermalung übrigens mehr Angst als Spritze und Bohrer.
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newkLustig, ich hab auch nächste Woche einen Termin. Mir macht die Musikuntermalung übrigens mehr Angst als Spritze und Bohrer.
Nun ja, wir können ja alle „Ascension“ mitnehmen und dann berichten, bei wem der Zahnarzt die übelsten Fehler gemacht hat, weil er abgelenkt war… ich brauch immerhin zwei neue Frontzähne, das dauert ein halbes Jahr und wenn ich auch nicht Angst habe (bin’s ja gewohnt) so freu ich mich doch nicht grad drauf.
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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #165: Johnny Dyani (1945–1986) - 9.9., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tbaDann nimm‘ am besten den „Bolero“ mit, der lullt einen ein und man kann sich drauf konzentrieren…:lol:
Ich wünsche alles Gute!--
"There is a wealth of musical richness in the air if we will only pay attention." Grachan Moncur III -
Schlagwörter: Free Jazz, Hard Bop, Jazz, John Coltrane
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