Die wunderbare Welt der Oper

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  • #10669889  | PERMALINK

    gruenschnabel

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    Eben gerade nochmal die zweite Szene des Chéreau-„Rheingolds“ gesehen: Das ist nicht zuletzt in Sachen Personenregie für mich weiterhin eine absolute Referenz. Ich weiß nicht genau, wie beschlagen Chéreau damals im Umgang mit musikalischen Partituren war und welche Berater er diesbezüglich benötigte, denn immerhin war er ja zuvor in Sachen Film und Theater unterwegs – aber die szenisch unfassbar komplex, aber eben auch aussagekräftig durchgestaltete „unendliche Melodie“ findet so sinnfälligen Niederschlag in der szenischen Bewegung, dass ich dafür nur ein überwältigtes „genial“ rausröcheln kann.

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    #10687141  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
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    Meine letzten Opernbesuche habe ich teils drüben im Konzerte-Faden in Sammelposts erwähnt, z.B. die Così fan tutte von Serebrennikov in Zürich oder gerade die Semele mit Bartoli … erstere erwähne ich aber, weil ich diese Saison zur Da Ponte-Trilogie komme … für den Figaro in Zürich habe ich bereits eine Karte und für den Don Giovanni in Luzern gerade eine gekauft, nachdem ich die heutigen Kritikn sah:

    https://www.nzz.ch/feuilleton/mozart-als-ego-shooter-ld.1451725
    http://www.peterhagmann.com/?p=2000

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    "Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #151: Neuheiten aus dem Archiv – 09.04., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba
    #10717645  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
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    Registriert seit: 25.01.2010

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    Bin schwerst beeindruckt von der gestrigen Aufführung des „Don Giovanni“ in Luzern … daneben etwas Kierkegaard-Lektüre, die in vielem auch perfekt zur Inszenierung passt, die das „Giovanni-Prinzip“ aufzuführen suchte und damit vieles erlebbar machte und auch in Bilder zu setzten vermochte (eine Kamera, die permanent über Giovannis Rücken filmte und auf eine Membran projizierte, die die Bühne auf ganzer Breite halb verdeckte). Leporello (ein phantastischer Vuyani Mlinde) wird so zur Hauptfigur, zum Stellvertreter seines Herrn, dem auch er sich nicht entziehen kann … sängerisch war neben Mlinde und dem herrischen Giovanni von Jason Cox vor allem die Zerlina von Abigail Lewis toll (die auch auf der Bühne einiges zu tun hatte und die Rolle sehr überzeugend verkörperte. Die Elvira von Solenn Lavanant Linke war etwas grell und schrill, aber ziemlich gut, Rebecca Krynski Cox‘ Anna hingegen hatte ziemlich zu kämpfen – mit der Intonation und überhaupt mit der anspruchsvollen Partie. Nicht wirklich überzeugend – das ist aber auch in der Rolle angelegt (und wie Kierkegaard wohl zu recht meint, die grosse Arien von Anna und jene von ihm könnte man verlustlos streichen) – fand ich auch Emanuel Heitz als Ottavio. Sehr gut dafür wiederum meinen Namensvetter Flurin Caduff, der den Masetto, gerade wie Lewis es mit Zerlina tat, stark aufwertete. Schliesslich ist da noch der Komtur, gesungen von Boris Petronje und in der Tat ziemlich furchterregend beim zweiten Auftritt als Geist.

    Clemens Heil ging im Graben sehr behutsam vor, hatte das Geschehen jederzeit im Griff und gestaltete es aktiv. Rechts über dem Graben sass William Kelley am Continuo-Hammerflügel, links gab einen Steg, den vor allem Leporello immer wieder dazu nutzte, die vierte Wand zu durchbrechen (in der ersten Reihe und etwas weiter hinten wurden Plätze für ihn freigehalten). Der Chor tauchte auch in den Rängen auf (als eine Gruppe von vermutlich acht Sängerinnen und Sängern direkt neben mir „Viva la libertá“ schmetterten, war der Tinnitus auch nicht weiter entfernt als bei Brötzmann im kleinen Club), für die Festmusik wurden ebenfalls im ersten Rang seitlich Plätze freigehalten. Die Video-Ästhetik, in kühlem Schwarzweiss und mit extra lichtempfindlichen Filtern, ergab zusammen mit der Wärme von Mozarts Musik (die ja sowieso weit über alles hinausgeht, was sich beim Don Juan als Plot greifen lässt, da bin ich ganz bei Kierkegaard, doch gerade bei Mozarts grossen Opern halte ich das für die Regel – ich sah kürzlich ja die Zürcher Produktion von „Così fan tutte“ und empfand das dort genau so, aber um zu dem Schluss zu gelangen reichen natürlich auch längst bekannte Einspielungen).

    Jetzt lese ich wohl noch etwas mehr in Kierkegaards Ziegel von einem Buch („Entweder/Oder“, darin in der ersten Abteilung Teil II und der Absatz „Donna Elvira“ in Teil IV sind die Texte über „Don Giovanni“) und habe ein paar meiner Giovanni-Aufnahmen aus älteren Zeiten hervorgekramt, die ich teils wie jene von Bruno Walter (mit Ezio Pinza) erst einmal, noch kein mal (Moralt, mit George London; Böhm 1957, mit Cesare Siepi) oder schon länger nicht mehr (Krips und Mitropoulos, beide mit Siepi; Giulini, mit Wächter) angehört habe … die jüngeren (Gardiner, Jacobs, Currentzis) kommen dann wohl auch wieder an die Reihe, und auch die mir ebenfalls noch unbekannten von Fritz Busch, Ferenc Fricsay, Otto Klemperer und Colin Davis. Furtwängler kenne ich auch noch nicht (live 1951 und 1954, die live 1953 fehlt mir).

    Wenn ich heute gefragt würde, wäre dann wohl „Don Giovanni“ die grösste Oper aller Zeiten, nicht mehr „Così fan tutte“ … mal schauen, wie sich das entwickelt. Zum Glück muss ich nicht wählen!

    Hier nochmal die ausführlicheren Rezensionen der Premiere (mit Diana Schürpel als Zerbina, die sicherlich auch toll ist in der Rolle, und einer indisponierten Solenn Lavanant Linke, was gestern fast etwas zu sehr nicht der Fall war):
    https://www.nzz.ch/feuilleton/mozart-als-ego-shooter-ld.1451725
    http://www.peterhagmann.com/?p=2000

    PS: dass es eine gewisse Ähnlichkeit zwischen der „Doktor“-Arie von Zerlina („Vedrai, carino…“ im 2. Akt) und der Doktor-Arie von „Così fan tutte“ gibt, bilde ich mir nicht bloss ein? (Bei Walter singt übrigens Bidù Sayão die Rolle sehr fein! Sie kriegt im für ihre zwei Arien grossen Szenenapplaus, im Gegensatz zu allen anderen, was durchaus in Ordnung ist.)

    PPS: die Gazzaniga-Oper muss ich auch endlich mal anhören … die Orfeo-Einspielung (mit John Aler in der Titelrolle und Stefan Solesz mit dem Münchner Rundfunkorchester) sowie die von Weil (ohne Rezitative, beide sind 1990 aufgenommen worden) sind irgendwo.

    EDIT: für ihre grosse Arie gegen Ende des zweiten Aktes kriegt Rose Bampton, die Donna Anna bei Walter, dann auch noch einen Szenenapplaus – verdienterweise. Und die langen Ottavio-Arien sind, gesungen von Charles Kullman, auch so toll, dass es ein Verlust wäre, sie nicht zu hören.

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    #10723691  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
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    Zürich, Opernhaus – 23.02.2019

    Der Rosenkavalier
    Oper von
    Richard Strauss (1864-1949)
    Komödie für Musik in drei Aufzügen von Hugo von Hofmannsthal

    Musikalische Leitung Fabio Luisi
    Inszenierung Sven-Eric Bechtolf
    Bühnenbild Rolf Glittenberg
    Kostüme Marianne Glittenberg
    Lichtgestaltung Jürgen Hoffmann
    Choreinstudierung Ernst Raffelsberger

    Feldmarschallin Fürstin Werdenberg Krassimira Stoyanova
    Der Baron Ochs auf Lerchenau Christof Fischesser
    Octavian Anna Stéphany
    Sophie Sabine Devieilhe
    Herr von Faninal Martin Gantner
    Jungfer Marianne Leitmetzerin Miranda Keys
    Valzacchi Spencer Lang
    Annina Irène Friedli
    Polizeikommissar Alexander Kiechle
    Der Haushofmeister bei der Feldmarschallin Leonardo Sanchez
    Der Haushofmeister bei Faninal Thobela Ntshanyana
    Ein Notar Stanislav Vorobyov
    Ein Wirt Iain Milne
    Ein Sänger Derrek Stark

    Philharmonia Zürich
    Chor der Oper Zürich
    Kinderchor der Oper Zürich
    Statistenverein am Opernhaus Zürich

    Ich weiss eigentlich gar nicht, was ich dazu schreien soll … ein grossartiges Stück, nicht nur die Oper sondern auch die Vorlage von Hofmannsthal mit ihren mehreren Böden und Ebenen – eine Meditation über die Vergänglichkeit, ein vierstündiges Memento Mori, in dem buchstäblich die Zeit stillsteht. Die Inszenierung lief in der Saison 2003/2004 und wurde jetzt wieder aufgenommen. Ich bin kein grosser Fan von Bechtolf, aber hier ist für einmal eine rundum gelungene Sache entstanden, die auch der engen Verstrickung von Musik und Text mehr als gerecht wird. Die NZZ hat damals über die Premiere berichtet:
    https://www.nzz.ch/article9PLGU-1.275858

    Gestern fand die zweite von bloss vier Vorstellungen statt, die für die laufende Saison mit Krassimira Stoyanova angesetzt wurden. Der bald scheidende (ab 2021/22 übernimmt Gianandrea Noseda) GMD Fabio Luisi scheint die Tempi etwas gemächlicher zu nehmen als sein Vorgänger Franz Welser-Möst (er war es 2003/4 noch nicht, 2005 bis 2009 war er im Amt, dann folgte Daniele Gatti und ab 2012 dann Luisi), die Zeitangabe auf der Website (inkl. 2 überlanger Pausen) wurde von 4:15 Studen auf 4:30 korrigiert. Im ersten Akt schien es etwas zu dauern, bis alle zusammenfanden (die erste Aufführung fand vor über einer Woche – ohne die erkrankte Sabine Devieilhe – statt), doch Stoyanova und Stéphany als Feldmarschallin und deren Liebhaber Octavian waren schon zu Beginn ziemlich gut. Erstere ist für die Rolle an sich zu alt (und hat auch nicht, wie Cecilia Bartoli, die natürlich hier nicht in Frage käme, das Bühnentemperament, um dies wettzumachen), dafür war Stéphany einmal mehr sehr gut. Und als im zweiten Akt – nach einer Ansage, dass Devieilhe, die gestern ihr Rollendebut gab, um Nachsicht bitte wegen der noch nicht völlig auskurierten Grippe, und dass Fischesser, der Ochs, gerade mit Schläuchen in der Nase hinter der Bühne sässe … er hielt dann aber durch und der am Bühnenrand auftauchende Ersatzsänger mit Notenständer verschwand gleich wieder) – noch Sabine Devieilhe als Sophie dazukam, war längst alles im Fluss. Christoph Fischesser hatte im zweiten Akt da und dort wirklich ein wenig zu kämpfen, schlug sich aber alles in allem doch sehr gut. Für Devieilhe ist die naive Sophie, über die Octavian – die Hofmannsthal’sche Ironie – als erstbeste stolpert und zu der er sich wohl keineswegs besser verhalten wird als davor Ochs, vermutlich keine ideale Bühnenrolle, aber gesanglich war sie beeindruckend, intonationssicher, mit warmem Timbre (was bei Strauss ja verdammt viel ausmacht, die Musik ist doch immer ziemlich kalt, auch da wo sie unbeschreiblich schön wird – im „Rosenkavalier“ gibt es natürlich mit all den Wienerwalzergemütlichkeitsschunkeleien auch wirklich „warme“ Abschnitte, doch die sind ja Karikatur) – und obendrein mit einem beeindruckenden Pianissimo, das den Raum dennoch mühelos füllte.

    Der dritte Akt, bei Bechtolf/Glitterberg im selben Bild wie der erste angesiedelt, das ein wenig abgewandelt wird – eine sehr gute Lösung, um die Wienereien nicht übermässig zu betonen sondern den Silberglanz des Stückes noch mehr in einem Guss zu formen … der dritte Akt, besonders der Schluss, nach Ochs‘ Abgang, war dann das pure Glück. Wahnsinnig schöne Musik, auch das Duett mit dem Naivchen und dem Nachwuchs-Zyniker – es passt ja so gesehen auch, dass der/das F/Anim/nal da nochmal stört.

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    #10723697  | PERMALINK

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    Da muss ich doch glatt mal hin!😊

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    #10723703  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
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    bgigliDa muss ich doch glatt mal hin!😊

    Es gibt ja noch zwei Aufführungen die nächsten Tage … Würde mich natürlich interessieren, was Du meinst!

    EDIT: die sind aber ausverkauft, d.h. bei der zweiten gibt es noch ein paar Hörplätze, die erste ist eine Volksvorstellung, die sind fast immer ausverkauft.

    zuletzt geändert von gypsy-tail-wind

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    #10723731  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
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    Ganz frisch ist hier noch eine Rezension des gestrigen Abends zu finden:
    https://onlinemerker.com/zuerich-der-rosenkavalier-wiederaufnahme/

    Und hier der Vorabbericht, den die NZZ zum Auftritt von Stoyanova schrieb:
    https://www.nzz.ch/feuilleton/opernhaus-zuerich-krassimira-stoyanova-im-rosenkavalier-ld.1459070

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    #10891547  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
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    Ich habe die paar Zeilen zu meinen Opernbesuchen von April bis Juli ja in den anderen Sammelberichten versenkt:
    http://forum.rollingstone.de/foren/topic/konzertimpressionen-und-rezensionen/page/15/#post-10888881

    Jetzt geht es endlich wieder los – Samstag gibt es wohl einen Auftakt nach Mass, mit derselben fabelhaften Sängerin, Evelyn Herlitzius, die ich schon zum Ende der alten Saison als Elektra hörte – Janáceks Die Sache Makropoulos steht auf dem Plan, und die Kritiken lassen die Vorfreude gross werden!
    https://www.nzz.ch/feuilleton/oper-zuerich-hurra-so-werden-wir-unsterblich-die-sache-makropulos-von-leos-janacek-ld.1510631
    https://www.tagesanzeiger.ch/kultur/klassik/da-tobt-die-philharmonia-zuerich/story/26386415

    Die Saison hier in Zürich wird weniger üppig für mich als die letzte, aber auf ein paar Dinge freue ich mich sehr („Das Mädchen mit den Schwelhölzern“ von Lachenmann z.B., die zweite Aufführung, die ich besuchen werden) … zudem sind erstmals zwei Besuch (Sonntagnachmittag, damit ich auch gut wieder nach Hause komme) am Grand Théâtre de Genève geplant, und es zieht mich wohl auch mehrmals nach Basel und ev. das eine oder andere Mal nach Luzern.

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    #10895821  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
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    Jessye Norman ist gestorben:
    https://www.tagesanzeiger.ch/kultur/klassik/opernlegende-jessye-norman-ist-gestorben/story/30241996

    Kenne bisher noch kaum etwas von ihr … muss ich wohl gelegentlich ändern.

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    #10895833  | PERMALINK

    Anonym
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    Richard Strauss: Vier letzte Lieder, Jessye Norman, Kurt Masur und das Gewandthausorchester Leipzig. Das sollte man gehört haben!

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    #10909869  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
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    Saisonauftakt 2019/20 (Teil 1)

    Der tschechische Faden wurde vom Pavel Haas Quartett noch ein wenig weitergesponnen – hier lang:
    http://forum.rollingstone.de/foren/topic/konzertimpressionen-und-rezensionen/page/16/#post-10909829
     
    Zürich, Opernhaus – 28.09.2019

    Die Sache Makropulos
    Oper in drei Akten von Leoš Janáček (1854-1928)
    Libretto von Leoš Janáček nach der gleichnamigen Komödie von Karel Čapek

    Musikalische Leitung Jakub Hrůša
    Inszenierung und Bühnenbild Dmitri Tcherniakov
    Kostüme Elena Zaytseva
    Lichtgestaltung Gleb Filshtinsky
    Video-Design Tieni Burkhalter
    Choreinstudierung Ernst Raffelsberger
    Dramaturgie Beate Breidenbach

    Emilia Marty Evelyn Herlitzius
    Albert Gregor Sam Furness
    Vítek, Kanzleivorsteher bei Kolenatý Kevin Conners
    Krista, seine Tochter Deniz Uzun
    Jaroslav Prus Scott Hendricks
    Janek Prus, sein Sohn Spencer Lang
    Dr. Kolenatý, Advokat Tómas Tómasson
    Theatermaschinist Ruben Drole
    Putzfrau Irène Friedli
    Hauk-Schendorf Guy de Mey
    Kammerzofe Katia Ledoux

    Philharmonia Zürich
    Zusatzchor des Opernhauses Zürich
    Statistenverein am Opernhaus Zürich

    Viola d’amore Karen Forster

    Los ging es in der Oper – zum Auftakt spielte man eine Janácek-Oper, die ich nicht kannte, auf die ich mich aber schon lange im Voraus freute, auch weil mir letzten Winter Alexander Hawkins bei einem Treffen mal ausführlich von Janáceks Opern vorschwärmte, die er damals gerade intensiv hörte (die alten tschechischen Aufnahmen, eher als die ebenfalls hochangesehenen von Charles Mackerras). Dass dabei Evelyn Herlitzius schon wieder in Zürich sein würde, die zum Saisonense hier ihre Paraderolle als Elektra geradezu ideal verkörpert hatte, war eine weitere Freude.

    Die Kritiken waren äusserst positiv, auch wenn die eine oder andere sich über das Libretto bzw. die Vorlage ärgerte. Sie handelt von eine junge Frau, die nach 337 Jahren schwer krank am Ende ihrer Tage angekommen ist, falls sie nicht rechtzeitig das Elixir wieder findet, dass ihr damals 300 Jahre des Lebens schenkte (Karel Capek hat die Vorlage geschrieben, eher absurd-politisches Theater des frühen 20. als ein Märchen also, @soulpope möge mir vergeben, wenn ich da ungebührlich verkürzt schreibe). Die Inszenierung von Tscherniakov (der in Zürich schon eine „Jenufa“ gemacht hatte, ganz zu Beginn der Intendanz von Andreas Homoki, die ich aber verpasst hatte) fokussierte ganz auf diese Emilia Marty. In opulenten Plüschräumen, einem ausgesucht schönen Bühnenbild, sitzt sie auf Sofas herum, lässt sich hofieren von einem ganzen Reigen von Männern, der um sie schwirrt und an ihr verglüht wie Motten im Licht. Ich fand das alles durchaus stimmig, der Plot mit der Wiedergängerin – die einstige Elina Makropulos trifft auf auch auf einen alten Herrn, der sie in einer ihrer früheren „Ausgaben“ als Eugenia Montez kannte … es gibt dann einige Irrungen und Wirrungen und die in der Vorlage wohl eiskalte, in der Oper aber durchaus wärmere Hauptfigur (mit ihr zu Empfinden ist durchaus möglich) begreift am Ende, dass sie ihr Leben doch nicht nochmal verlängern muss.

    Gesungen war das von Herlitzius mit Wucht und und einer stimmlichen Souveränität, wie das nur selten zu hören ist. Die Riege der Nebenrollen, der Reigen um sie herum, passte ebenfalls bestens. Am herausragendsten fand ich aber wohl das Orchester, das unter der kundigen Leitung von Jakub Hrusa zu Höchstform auflief. Die Musik Janáceks ist voller Akzente, ungewöhnlicher, insistierender Rhythmen, sie pulsiert förmlich, und die Damen und Herren im Graben wuchsen dabei über sich hinaus. Ein guter Theaterabend mit herausragender musikalischer Qualität, auf der Bühne wie im Graben!

    Natürlich gab es ausführlichere Berichte, z.B.:
    http://www.peterhagmann.com/?p=2365
    https://www.nzz.ch/feuilleton/oper-zuerich-hurra-so-werden-wir-unsterblich-die-sache-makropulos-von-leos-janacek-ld.1510631
    https://www.tagesanzeiger.ch/kultur/klassik/da-tobt-die-philharmonia-zuerich/story/26386415
    http://seenandheard-international.com/2019/09/clever-production-of-the-makropulos-affair-opens-new-zurich-opera-season/
     

     
    Theater Basel – 12.10.2019

    Al gran sole carico d’amore
    Szenische Aktion in zwei Teilen von Luigi Nono. Textauswahl vom Komponisten.

    Schweizer Erstaufführung

    Musikalische Leitung Jonathan Stockhammer
    Inszenierung Sebastian Baumgarten
    Bühne Janina Audick
    Kostüme Christina Schmitt
    Choreografie Beate Vollack
    Video Chris Kondek
    Licht Roland Edrich
    Chor Michael Clark
    Klangregie Cornelius Bohn
    Dramaturgie Pavel B. Jiracek

    Soprano 1 Sara Hershkowitz
    Soprano 2 Cathrin Lange
    Soprano 3 Sarah Brady
    Soprano 4 Kristina Stanek
    Tania Rainelle Krause
    Contralto Noa Frenkel
    Tenore Karl-Heinz Brandt
    Baritono Domen Križaj
    Basso 1 Andrew Murphy / Alin Anca
    Basso 2 Antoin Herrera-Lopez Kessel / Paull-Anthony Keightley
    Ufficiale Ingo Anders
    Soldato Constantin Rupp
    Voce di donna Carina Braunschmidt

    Kammerchor des Theater Basel
    Chor des Theater Basel
    Statisterie des Theater Basel
    Sinfonieorchester Basel

    Nach ein paar Tagen in Turin – leider ohne Musik, es lief gerade nichts, was interessant gewesen wäre – ging es in der Woche, die ich ganz freigenommen hatte, noch nach Basel. Am Nachmittag nutzte ich die Gelegenheit, die einen Tag später endende Ausstellung von William Kentridge (klick, klick) anzuschauen, die mich sehr beeindruckte. Am Abend ging es dann nach einer Einführung durch Thomas Wise (Studienleiter am Theater Basel), bei der er auch Stücke von Webern spielte, an eine Aufführung von Luigi Nonos „Al gran sole carico d’amore“ („Unter der grossen Sonne von Liebe beladen“) – auch das mehr als beeindruckend. Einen riesigen Apparat fährt Nono auf, grosses Orchester, Tonband-Einspielungen, ein grosses Ensemble auf der Bühne, halsbrecherische Passagen für den Chor …

    Die Aufführung in Basel war die Erstaufführung der in den frühen Siebzigern für die Mailänder Scala geschriebenen „Revolutions-Oper“, die aber keine Oper ist sondern eine „azione scenica“, eine szenische Aktion, der eine Textcollage zugrunde liegt, in der Revolutionäre wie Marx, Lenin oder Guevara zu Wort kommen. Der Bogen spannt sich von der Pariser Kommune (erster Teil) zu den Streiks bei Fiat im Faschismus, der kubanischen Revolution und bis nach Vietnam (zweiter Teil). Die zentralen Figuren sind in der ganzen Oper Frauen, die teils auch die Textgrundladen schrieben (z.B. Kämpferinnen an Che Guevaras Seite). Es wird aber bei all den revolutionären Tönen und dem kollektiven Ansatz (die Hauptgesangsstimme ist auf vier Sopranstimmen verteilt, die sich teils silbenweise abwechseln) zwischendurch immer wieder lyrisch, Nonos frühes Studium des venezianischen Frühbarocks (Monteverdi, die Gabrielis) scheint durch, sein Einstehen für das Primat der Stimme ebenfalls, und auch Anklänge an den Belcanto-Gesang tauchen da und dort auf. Der riesige Orchesterapparat bleib unter der kundigen Leitung von Jonathan Stockhammer stets transparent und klar – was das Gesamte zu einem umso beeindruckenderen Hörerlebnis machte. Es bleibt natürlich ein gewisses Unbehagen, wenn Texte von Lenin (über die Pariser Kommune) gesungen werden, wenn die lateinamerikanischen revolutionären Bewegungen „inszeniert“ werden – doch wurde dies auch auf der Bühne selbst durchbrochen, denn ähnlich der Rolle von Jane Fonda als Journalistin in einer streikenden Fabrik in Jean-Luc Godards „Tout va bien“ ist auch hier ein Figur mit Mikrophon auf der Bühne, auf der am Rand ein Tonbandgerät steht (JLGs Film kam 1972 heraus, Nonos Oper wurde 1975 uraufgeführt, ob es die Regie-Idee schon früher gab oder ob sie allenfalls sogar zum Stück gehört, weiss ich leider nicht). Die Kritik an der Inszenierung (NZZ-Rezension unten) kann ich nur bedingt teilen, das Unbehagen wurde bei mir eher durch die Textvorlagen, die Collage als Ganzes ausgelöst, denke ich. Als Theateraufführung fand ich das ganze denn ziemlich stimmig, rein vom Musikalischen her war es zwar hochanspruchsvoll, aber durch die enorm differenzierte Aufführung zugleich auch – trotz mancher intellektueller Widerstände oder Fragen – mitreissend. Es ist ja durchaus so, dass die heutige Zeit revolutionäre Ansätze braucht – dazu welche aus den Sechzigern und Siebzigern (und davor) auszugraben, scheint mir überhaupt keine gute Idee, aber dieses Werk in seiner ganzen Dringlichkeit, als – recht eigentlich: weibliche – Anklage der Unterdrückung, der Ungerechtigkeit wieder aufzuführen, ist eben doch ein sehr verdienstvolles Unterfangen, allein schon, weil daraus ein Theaterabend wird, der betrifft, mitreisst, und gerade wegen der geweckten Widerstände sehr zum Nachdenken anregt.

    Detail: 2009 wurde das Stück auch in Leipzig gegeben … in Salzburg, so erwähnte Thomas Wise auch in seiner die Leistung des Basler Chores herausstreichenden Einführung, hätte der Chor Noten mitgehabt – wie man im Foto, das dieser Rezension beigefügt ist, entnehmen kann, hatten sogar die Solistinnen Noten dabei:
    http://www.musicweb-international.com/SandH/2009/Jul-Dec09/nono0608.htm

    Rezensionen zur Basler Aufführung:
    https://www.nzz.ch/feuilleton/luigi-nonos-al-gran-sole-carico-damore-die-revolution-ist-weiblich-ld.1508858
    https://www.deutschlandfunk.de/al-gran-sole-carico-d-amore-in-basel-ueberwaeltigende.1993.de.html?dram:article_id=458929

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    #10927557  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
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    Registriert seit: 25.01.2010

    Beiträge: 66,996

    Bin mal so frei und hole das hier rüber @ripp:

    ripp
    Vergangenen Samstag sah, hörte und erlebte ich Manon Lescaut in Frankfurt. Die Inszenierung ist die erste „moderne“, die in der Jetztzeit spielt, die nicht aufgepfropft, sondern absolut wahrhaftig wirkt! Dazu ein Gesangsensemble, bei dem ich mich frage, woher diese unglaubliche gesangsdarstellerische Leistung so plötzlich kommt. Alle so um die dreißig, Dirigent einbezogen! Asmik Grigorian als erste unter gleichen bricht einem ab der ersten Szene in ihrer naturalistischen Unmittelbarkeit das Herz! Mir schossen augenblicklich die Tränen in die Augen. Das hörte bis zur letzten Szene auch nicht mehr auf. Die Salome in Salzburg ist kein Zufall, diese Künstlerin ist in jeder Hinsicht einzigartig. Die letzte restlos glaubwürdige Manon war dafür nie auf der Bühne, sondern im einzigartigen Rollenportrait nur auf Schallplatte: Maria Callas 1957

    Das klingt super! Grigorian ist viel zu gut, als dass die Salomé ein reiner Zufall hätte sein können … aber klar, ob einem solchen Erfolg dann auch weitere vergleichbare Taten/Auftritte folgen können, hängt ja wiederum im Opernbetrieb mit so vielen Faktoren zusammen, dass man sich nie ganz sicher sein kann. Ich hatte sie ja vor ein paar Monaten in der hervorragenden Aufführung von Korngolds „Die tote Stadt“ in Mailand gesehen (Bericht ist drüben, auch nicht im Opern-Thread, weil Sammelbericht über einen Urlaub mit weiteren Konzerten) – da war sie auch äusserst überzeugend. Leider habe ich „Manon Lescaut“ sowieso noch nicht auf der Bühne gesehen … aber wenn Grigorian die Rolle vielleicht jetzt ein paar Jahre singt, kann das ja noch werden!

    Was an den deutschen Opern so geschieht, kriege ich leider nicht umfassend mit, Frankfurt, Stuttgart, München wären an sich alle in Reichweite für einen Wochenendausflug, aber mich zieht es halt immer wieder nach Italien (nach Mailand gibt es halt auch einen Zug, der zuverlässig fährt, das ist in DE ja leider nicht mehr gegeben, aber Frankfurt geht natürlich von hier aus direkt, das wäre auch keine grössere Sache).

    --

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    Zürich, Opernhaus – 15.11.2019

    Belshazzar
    Oratorium von Georg Friedrich Händel
    (1685-1759)
    Text von Charles Jennens

    Musikalische Leitung Laurence Cummings
    Inszenierung Sebastian Baumgarten
    Bühnenbild Barbara Steiner
    Kostüme Christina Schmitt
    Lichtgestaltung Elfried Roller
    Video-Design Hannah Dörr
    Choreinstudierung Janko Kastelic
    Choreografie Thomas Wilhelm
    Dramaturgie Claus Spahn
    Videomitarbeit Paul Rohlfs

    Belshazzar Mauro Peter
    Gobrias Evan Hughes
    Nitocris Layla Claire
    Cyrus Jakub Józef Orliński
    Daniel Tuva Semmingsen
    Three Wise Men Thomas Erlank, Oleg Davydov, Katia Ledoux
    Solisten Lina Dambrauskaité, Justyna Bluj, Katia Ledoux, Thomas Erlank, Oleg Davydov, Eleanor Paunovic
    Tänzerinnen und Tänzer/Schauspieler Yvonne Barthel, Anna Virkkunen, Sebastian Zuber, Evelyn Angela Gugolz, Benjamin Mathis, Lynn Clea Ismail
    Live-Kamera Julia Bodamer

    Orchestra La Scintilla
    Continuo: Joan Boronat Sanz (Cembalo), Claudius Herrmann (Violoncello), Brian Feehan (Theorbe), Dariusz Mizera (Kontrabass)
    Chor der Oper Zürich
    Statistenverein am Opernhaus Zürich

    Bei mir gab es gestern Händels „Belshazzar“ in einer etwas überfrachteten, gutmeinenden aber auch etwas schizophrenen Inszenierung von Sebastian Baumgarten. Auf einer Art Film-Set im Stil der alten Studiowelt wird über Krieg und Frieden reflektiert, während im Hintergrund auf Leinwänden teils die Bilder der Live-Kamera flimmern, teils Bilder der Hinterbühne, mehrfach aber auch Bilder, die wohl der Verdeutlichung des Anthropozän dienen sollen, aber auch der Gewalt der Natur (Hurrikane, Tsunamis, abbrechende Gletscher, Vulkanausbrüche, Feuer, Fluten, Bergstürze) – mit der These vom Anthropozän habe ich keine Probleme, im Gegenteil, aber dass ausgerechnet ein hochsubventioniertes Stadttheater quasi einen subversiven Blick auf die Welt erzwingen will, finde ich eher süss als überzeugend – da müsste, wenn es nach mir ginge, mit feineren Mitteln gearbeitet werden, um eine echte Wirkung zu erzeugen, denn bei Baumgarten kam leider nur ein endloser Bild-Fluss heraus, der, ja, durchaus etwas von einem Laxativ hatte – wenn die Titelfigur dann auch noch eine hellblaue Uniform voller Orden trägt, die gewiss nicht zufällig an Gaddafi erinnert, ist das alles schon etwas viel. Dass das frühaufklärerisch aber wohl schon damals eher wider besseres Wissen aufgegleiste Kernthema – die Opposition des Monotheismus zur Vielgötterei, die ungeheure Veränderung, die ersterer mit sich brachte, was die Entzauberung der Welt betrifft – durchaus Sprengkraft hätte, ging darob ein wenig unter. Dennoch, so übel wie die Premierenkritiken erwarten liessen, war das alles zum Glück nicht – ganz im Gegenteil, am Ende fand ich den Abend inkl. Regie ziemlich okay und in vielerlei Hinsicht viel besser als bloss okay!

    Das Orchester spielte wie üblich wunderbar auf, Laurence Cummings (er hatte ein Cembalo vor sich, streckenweise stiess er zur Continuo-Gruppe oder spielte einhändig Verstärkungen zum Cembalo von Joan Boronat Sanz (wie Brian Feehan an der Theorbe ein Zuzüger, in der Regel bringen die Dirigenten da ihre Leute mit, aber Herrmann von La Scintilla ist fast immer als Continuo/Solocellist dabei, der Mann ist auch wirklich hervorragend). Die Koordination mit der Bühne, die bei der Premiere wohl etwas holprig war, klappte gestern reibungslos. Der Chor war zudem überragend. Zu Händels Zeiten, als die Oratorien nicht szenisch aufgeführt wurden, war das wohl einfacher, gestern galt es, den Chor in drei Gruppen – die Babylonier mit ihrem König Belshazzar, die gefangenen Juden und die Perser mit ihrem Prinz Cyrus, der Babylon erobern wird, die Juden befreien, die Babylonier verschonen … dass dabei die Perser streng militärisch in schwarzer Leder (Latex?) Kluft auftraten, die Babylonier – die auch ordentlich sympathisches Chormaterial zu singen haben – hingegen bunt-chaotisch (aber auch versoffen und manchmal aggressiv) macht die Orientierung nicht gerade einfacher. Vielleicht war das der Versuch der Regie, in dem übermässig klaren Grundkonzept doch noch etwas zu relativieren, wenn es um die Zuordnung von Gut und Böse geht?

    Die gefangenen Juden tragen T-Shirts mit den Konterfeis von allerlei wichtigen Vertretern ihrer Geschichte, von Walter Benjamin zu Serge Gainsbourg, Karl Marx, Lauren Bacall, Simone de Beavoir, Anne Frank, Sheryl Sandberg – Regisseur des Stücks im Stück ist dabei ihr Prophet Daniel, der sein „Buch Daniel“ stets unter dem Arm mit sich führt und das Schmierentheater im Studio anführt, bei dem auch Trockennebel oder ein Miniaturmodell des sündigen Babels zum Einsatz kommen, über das ein Schnee- oder Sandsturm hinweggeht, während die Live-Kamera draufhält. Daniel trägt dabei natürich das Konterfei Fritz Langs auf der Brust. Gesungen wird der Part von Tuva Semmingsen mit einer warmen, enorm kultivierten aber etwas zu kleinen Stimme (der Pegel ist aber, wenn La Scintilla aufspielt, sowieso deutlich leiser, Semmingsen konnte in der Regel gut gehört werden und bestach durch wunderbaren Gesang).

    Als Belshazzar blieb Publikumsliebling Mauro Peter hingegen ziemlich farblos, dass er bei den Koloraturen Nerven zeigte, wie die NZZ zur Premiere schrieb, fand ich nicht gerade, aber beeindruckend war da dann leider am Ende nicht viel – und ein echter Partner für seine Mutter war er gesanglich nur selten. Deutlich besser und sehr berührend wurde diese, Nicotris, von Layla Claire gesungen. Ihre Arien gerieten immer wieder zu Höhepunkten des Abends, ihre beiden Duette – eines mit Peter, das andere mit dem Prinz der Perser, Cyrus – waren ebenfalls wunderbar. Cyrus wurde vom Shooting Star unter den Countertenören gesungen, Jakub Józef Orlinski. In der NZZ hiess es, er klinge in der Höhe angestrengt und schrill, beides empfand ich gestern nicht so, aber er hatte v.a. bei seinem ersten Auftritt einen recht harzigen Start, musste erst einmal in die Musik hineinfinden. Später glänzte er jedoch gerade was die Koloraturen betraf immer wieder, und er bot damit neben Claire sicherlich die beste Leistung. Gut war auch Evan Hughes als Gobrias (ein Überläufer der Babylonier, der Cyrus den Weg weist, auf dem die Eroberung Babylons gelingen soll), aber seine Rolle ist eine der kleineren unter den Hauptfiguren.

    Im Vergleich mit den anderen Aufführungen von Barock-Opern in Zürich in den letzten Jahren („Alcina“ mit Bartoli und Jaroussky unter Antonini, Regie von Loy; Charpentiers „Médée“ unter Christie mit d’Oustrac und Van Mechelen, Regie von Homoki; „L’incoronazione di Poppea“ unter Dantone mit Hansen, d’Oustrac, Fuchs, Galou, Regie Bieito; Vivaldis „La Verità in cimento“ auch unter Dantone mit Devin, Dumaux, Nikteanu, Galou, Regie Gloger; Händels „Semele“ unter Christie mit Bartoli, Regie Carsen; und zuletzt eine phantastische Aufführung von Rameaus „Hippolyte et Aricie“ mit Petit, Dubois, d’Oustrac, Crossley-Mercer unter Haïm, Regie Mijnssen) konnte das gestern aber insgesamt nicht mithalten – zu bunt und disparat, zuwenig Klarheit im Konzept, trotz des phantastischen Chors und des exzellenten Orchesters. Es fehlten letztlich aber schon auch die wirklich herausragenden Stimmen auf der Bühne.

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    gypsy-tail-wind
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    Mailand, Teatro alla Scala – 20.11.2019
     
    Die ägyptische Helena
    Oper in zwei Akten von Richard Strauss
    Libretto: Hugo von Hofmannsthal, basierend auf Euripides‘ „Helena“
     
    Teatro alla Scala Chorus and Orchestra
    Conductor Franz Welser-Möst
    Staging Sven-Eric Bechtolf
    Sets Julian Crouch
    Costumes Mark Bouman
    Lights Fabrice Kebour
    Video-designer Josh Higgason

    Helena Ricarda Merbeth
    Menelaus Andreas Schager
    Hermione Caterina Maria Sala*
    Aithra Eva Mei
    Altair Thomas Hampson
    Da-Ud Attilio Glaser
    Die allwissende Muschel Claudia Huckle
    Elf 1 Noemi Muschetti*
    Elf 2 Arianna Giuffrida*
    Elf 3 Alessandra Visentin
    Elf 4 Valeria Girardello*
    Aithra’s Slave 1 Tajda Jovanovič
    Aithra’s Slave 2 Valeria Girardello

    *Soloists of La Scala Academy
     
    Mittwoch setzte ich mich um die Mittagszeit aus dem Büro ab, um am Abend in Mailand die neue Aufführung (die erste in der Scala und wohl erst die zweite in Italien) von Richard Strauss‘ Oper „Die ägyptische Helena“ zu sehen. Dass das Stück, das auf Euripides basiert und von Hugo von Hofmannsthal für Strauss zubereitet wurde, selten gespielt wird, ist vermutlich kein Zufall, denn es wirkt bei weitem nicht so geschlossen wie andere Opern von Strauss (allen voran „Elektra“). Dennoch fand ich das einen rundum zufriedenstellenden Abend.

    Der Plot ist wohl bekannt, es geht um Helena, die schönste aller Frauen, und ihre Rückkehr nach Sparta, an der Seite des von ihr verratenen, betrogenen König Menelaos. Die Zauberin Aithra steht am Ufer ihrer Insel, auf ihren Geliebten, Poseidon, wartend, der sie versetzt. Dabei sieht sie ein Schiff vorbeifahren, auf dem ein Mann sich gerade daran macht, seine Frau zu erdolchen – natürlich sind das Menelaos und Helena, auf der Rückfahr von Troja, wie die „allwissende Muschel“ Aithra erklärt. Diese will Helena retten, lässt das Schiff kentern, worauf Menelaos Helena an Land trägt, die erste Hälfe der Handlung spielt also auf der Insel der Aithra. Diese erfindet die Geschichte, dass nur ein Phantom von Helena von Paris nach Troja entführt worden sei, dass die echte Helena stattdessen die ganze Zeit sicher in Ägypten verbracht habe. Es gibt eine Verwirrungsgeschichte mit Zaubertränken, Menelaos wird in den Glauben befördert, Paris und die Phantom-Helena ermordert zu haben, doch dann trifft er die echte Helena wieder an, die eben gar nie in Troja gewesen sei. Nun bringt Aithra die versöhnten Eheleute an den Atlas, wo Helenas Schönheit sofort wieder Verwirrung stiftet. Altair, der Fürst der Berge, und sein Sohn Da-Ud verfallen ihr gleichermassen, Menelaos tötet letzteren auf der Jagd, mit Poseidons Hilfe befreit Aithra daraufhin die von Altair Gefangenen, doch Helena beschliesst, keine Vergessenstrunke mehr einzusetzen sondern fortan in Wahrheit mit Menelaos zu leben – oder zu sterben. Die Ankunft der gemeinsamen Tochter erleichter die märchenhafte Versöhnung, die damit zum Rest der Handlung passt, die eben genau das ist: ein Märchen. Dabei soll wohl die Frage abgehandelt werden, ob in der Lüge ein glückliches Leben möglich sei – und die Antwort fällt eben negativ aus, denn ausgerechnet im Moment der Erkenntnis (dass es nur eine Helena gab und diese ihn betrogen hat) versöhnt sich Menelaos mit seiner Gattin.

    Der Vergleich mit der nicht so richtig gelungenen Produktion von „Ariadne auf Naxos“ drängt sich natürlich auf, die ich im April in der Scala, ebenfalls mit Welser-Möst am Pult, gesehen habe (klick). Das Orchester unter Welser-Möst glänzte aber auch dieses Mal, der Chor (auf die vordersten Logen verteilt) machte einen ansprechenden Job, das Ensemble auf der Bühne wirkte alles in allem recht ausgeglichen. Merbeth und Mei passten hervorragend, Heldentenor Schager war vom Gesang her aber die überragende Figur auf der Bühne, wohingegen Hampson etwas fahl blieb, Glaser seinen noch kürzeren Auftritt aber nutzte. Auch die Inszenierung von Bechtolf (den ich eigentlich als Langweiler abgebucht habe) passte hervorragend. Als Bühnenbild diente ein riesiges altmodisches Modell eines Radios, in dessen Mitte die „Muschel“ angebracht war, die sich öfter öffnete und den Blick auf Aithra und ihre Gehilfinnen freigab. In der zweiten Hälfte fanden wir uns im Innern dieses Radios wieder, Glaszylinder mit der ganzen Technik wurden sichtbar, quasi auch der Blick auf die Theatermaschine freigelegt, was zum doppelbödigen Stück bestens passte und obendrein auch schlicht schön anzuschauen war.

    Eine sehr runde Sache jedenfalls, die zwar gewiss nicht in meine persönlichen Opern-Annalen eingehen wird (da ist aber Strauss mit dem „Rosenkavalier“ aus Zürich ganz weit vorn dabei und Herlitzius als „Elektra“ zu sehen war ebenfalls beeindruckend), aber dennoch ist das zweifellos eines der verdienstvolleren Unterfangen von Pereiras ja nicht sehr glücklicher Zeit in Mailand (natürlich stellt diesbezüglich nichts die Oper von Kurtág in den Schatten). Die nächsten beiden Besuche in der Scala finden wohl auch 2020 wieder im April und im Oktober/November statt (dieses Jahr gab es im Juni sogar noch einen dritten, mit der hervorragenden Inszenierung von „Die tote Stadt“ von Korngold, auch das eine verdienstvolle Sache). Im April wird mit Patricia Petibon Debussys „Pelléas et Mélisande“ aufgeführt, ich denke, da muss ich hin …

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    "Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #151: Neuheiten aus dem Archiv – 09.04., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba
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    yaiza

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    Violetter Schnee  (Auftragswerk der Staatsoper Unter den Linden), 12.01.2020

    Musik: Beat Furrer, Text: Händl Klaus, Musikalische Leitung: Matthias Pintscher; Inszenierung: Claus Guth; Bühnenbild: Étienne Pluss; Kostüme: Ursula Kudrna; Licht: Olaf Freese; Video: Arian Andiel

    Anna Prohaska (Silvia), Elsa Dreisig (Natascha), Georg Nigl (Peter), Gyula Orendt (Jan), Otto Katzameier (Jacques) und Martina Gedeck als Erzählerin (Tanja)

    Vocalconsort Berlin, Staatskapelle Berlin

    Handlung lt. Programm: Die Welt im Ausnahmezustand. Fünf Menschen sind eingeschlossen in einem unaufhörlichen Schneewehen. Die Zeit scheint stillzustehen. Jacques bleibt inmitten der Gruppe für sich, er bejaht den Schneefall wie das Nichts, dem er sich weiht. Peter und Silvia dagegen sind bedrückt, ängstlich, pessimistisch. Jan und Natascha versuchen, die Übersicht zu behalten, weiterhin zu hoffen und tätig zu bleiben. Zusehends schwerer fällt allen die Fähigkeit, sich mitzuteilen. Was da namenlos geschieht, befremdet alle; sie haben keine Sprache dafür. Als eine Fremde erscheint und spricht – Tanja, die wie in einem Bild durch die Landschaft geht – löst sie zunächst Euphorie aus, gefolgt von tiefer Vereinsamung. Wie ein Projektionskörper, als ein Erinnerungsraum wirkt sie; Jacques meint, in ihr seiner verstorbenen Frau zu begegnen – er rührt an die Membran zwischen Leben und Tod. Nichts aber ist stärker als die Sonne. Im violetten Aufleuchten des Schnees erfährt die Gruppe ihre Auslöschung.

     

    Die Oper „Violetter Schnee“ wurde am 13.01.2019 in Berlin uraufgeführt und fast ein Jahr später schaute ich mir die 7. Vorstellung an. Nach fünf Aufführungen 2019, waren für 2020 zwei geplant. Ein Erlebnis war es auf jeden Fall – die Musik von Beat Furrer geht einem durch Mark und Knochen und entwickelt einen Sog, die Einsamkeit und Kälte waren wirklich zu spüren. Die Handlung bestand aus einem apokalyptischen Szenario und Elementen (Erscheinung der verstorbenen Frau, Treppenhausszenen) aus dem Film „Solaris“. Das Bühnenbild und die Videotechnik waren umwerfend, die Gesangsleistungen sehr gut. Wie wohl die literarische Vorlage von Vladimir Sorokin aussah? Manchmal blitzte Tiefe im Text auf, aber leider nur in Einzeilern. Für mich als Sorokin-Leser viel zu wenig, ich war da schon enttäuscht. Da ich mir das Programm mit Libretto vorab vor ca. einem Monat im Opernshop kaufte, wusste ich, was mich erwartet. Händl Klaus hat da bei mir erstmal wenig Eindruck hinterlassen. Im Zusammenspiel mit den Sängern in diesem ganzen Szenario konnte ich das Herumstottern und die abgehackten Sätze schon eher nachvollziehen. In überfordernden Situationen neigt man nicht gerade zum schönen Ausformulieren. Schade ist es aber schon, dass das Libretto sprachlich einfach schwach ist. Daher vor allem Hut ab vor Anna Prohaska, Elsa Dreisig, Georg Nigl, Gyula Orendt und Otto Katzameier – sie machten das beste daraus und haben wirklich unterhalten. Ich habe mich sehr gefreut, dass diese UA-Besetzung in diesem Jahr noch einmal zur Verfügung stand. Georg Nigl und Gyula Orendt kamen mir etwas blass vor, aber eine gewisse Zurückhaltung war auch in ihren Figuren angelegt. Anna Prohaska und Elsa Dreisig hatten sehr schöne, teilweise auch verrückte, Szenen und waren auch in den kleinsten Parts absolut präsent.  Otto Katzameier überzeugte als Bassbariton auf ganzer Linie und sein brummiger Gesang hatte zwischendurch auch etwas gregorianisches, was in all der Dystopie auch mal beruhigte. Insgesamt bin ich aber immer noch recht beeindruckt und denke zur Zeit auch noch über die Handlung nach. In einigen Rezensionen, wird kritisiert, dass das Stück weitgehend keine hat, was ich erstmal nach dem ersten Eindruck nicht bestätigen kann. Die Stille und das Wenige zwischen so manchen Szenen oder innerhalb der Szenen sowie am Ende muss man auch aushalten (können), ich fand das sehr intensiv.

     

    ERGÄNZUNG

    Die Vorstellung am 12.02.2020 wurde aufgezeichnet und steht unter rbb 30 Tage zur Verfügung. Ich weiß noch nicht, ob sich die Oper für den Bildschirm eignet, aber ich werde es wohl auch ausprobieren…

    Bei dieser Oper stammen alle Rezensionen aus dem Vorjahr.

    rbb24 14.01.2019

    Tagesspiegel 15.01.2019

    Zeit 16.01.2019

    BR Klassik 14.01.2019

     

     

     

    zuletzt geändert von yaiza

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