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Saisonauftakt 2019/20 (Teil 1)
Der tschechische Faden wurde vom Pavel Haas Quartett noch ein wenig weitergesponnen – hier lang:
http://forum.rollingstone.de/foren/topic/konzertimpressionen-und-rezensionen/page/16/#post-10909829
Zürich, Opernhaus – 28.09.2019
Die Sache Makropulos
Oper in drei Akten von Leoš Janáček (1854-1928)
Libretto von Leoš Janáček nach der gleichnamigen Komödie von Karel Čapek
Musikalische Leitung Jakub Hrůša
Inszenierung und Bühnenbild Dmitri Tcherniakov
Kostüme Elena Zaytseva
Lichtgestaltung Gleb Filshtinsky
Video-Design Tieni Burkhalter
Choreinstudierung Ernst Raffelsberger
Dramaturgie Beate Breidenbach
Emilia Marty Evelyn Herlitzius
Albert Gregor Sam Furness
Vítek, Kanzleivorsteher bei Kolenatý Kevin Conners
Krista, seine Tochter Deniz Uzun
Jaroslav Prus Scott Hendricks
Janek Prus, sein Sohn Spencer Lang
Dr. Kolenatý, Advokat Tómas Tómasson
Theatermaschinist Ruben Drole
Putzfrau Irène Friedli
Hauk-Schendorf Guy de Mey
Kammerzofe Katia Ledoux
Philharmonia Zürich
Zusatzchor des Opernhauses Zürich
Statistenverein am Opernhaus Zürich
Viola d’amore Karen Forster
Los ging es in der Oper – zum Auftakt spielte man eine Janácek-Oper, die ich nicht kannte, auf die ich mich aber schon lange im Voraus freute, auch weil mir letzten Winter Alexander Hawkins bei einem Treffen mal ausführlich von Janáceks Opern vorschwärmte, die er damals gerade intensiv hörte (die alten tschechischen Aufnahmen, eher als die ebenfalls hochangesehenen von Charles Mackerras). Dass dabei Evelyn Herlitzius schon wieder in Zürich sein würde, die zum Saisonense hier ihre Paraderolle als Elektra geradezu ideal verkörpert hatte, war eine weitere Freude.
Die Kritiken waren äusserst positiv, auch wenn die eine oder andere sich über das Libretto bzw. die Vorlage ärgerte. Sie handelt von eine junge Frau, die nach 337 Jahren schwer krank am Ende ihrer Tage angekommen ist, falls sie nicht rechtzeitig das Elixir wieder findet, dass ihr damals 300 Jahre des Lebens schenkte (Karel Capek hat die Vorlage geschrieben, eher absurd-politisches Theater des frühen 20. als ein Märchen also, @soulpope möge mir vergeben, wenn ich da ungebührlich verkürzt schreibe). Die Inszenierung von Tscherniakov (der in Zürich schon eine „Jenufa“ gemacht hatte, ganz zu Beginn der Intendanz von Andreas Homoki, die ich aber verpasst hatte) fokussierte ganz auf diese Emilia Marty. In opulenten Plüschräumen, einem ausgesucht schönen Bühnenbild, sitzt sie auf Sofas herum, lässt sich hofieren von einem ganzen Reigen von Männern, der um sie schwirrt und an ihr verglüht wie Motten im Licht. Ich fand das alles durchaus stimmig, der Plot mit der Wiedergängerin – die einstige Elina Makropulos trifft auf auch auf einen alten Herrn, der sie in einer ihrer früheren „Ausgaben“ als Eugenia Montez kannte … es gibt dann einige Irrungen und Wirrungen und die in der Vorlage wohl eiskalte, in der Oper aber durchaus wärmere Hauptfigur (mit ihr zu Empfinden ist durchaus möglich) begreift am Ende, dass sie ihr Leben doch nicht nochmal verlängern muss.
Gesungen war das von Herlitzius mit Wucht und und einer stimmlichen Souveränität, wie das nur selten zu hören ist. Die Riege der Nebenrollen, der Reigen um sie herum, passte ebenfalls bestens. Am herausragendsten fand ich aber wohl das Orchester, das unter der kundigen Leitung von Jakub Hrusa zu Höchstform auflief. Die Musik Janáceks ist voller Akzente, ungewöhnlicher, insistierender Rhythmen, sie pulsiert förmlich, und die Damen und Herren im Graben wuchsen dabei über sich hinaus. Ein guter Theaterabend mit herausragender musikalischer Qualität, auf der Bühne wie im Graben!
Natürlich gab es ausführlichere Berichte, z.B.:
http://www.peterhagmann.com/?p=2365
https://www.nzz.ch/feuilleton/oper-zuerich-hurra-so-werden-wir-unsterblich-die-sache-makropulos-von-leos-janacek-ld.1510631
https://www.tagesanzeiger.ch/kultur/klassik/da-tobt-die-philharmonia-zuerich/story/26386415
http://seenandheard-international.com/2019/09/clever-production-of-the-makropulos-affair-opens-new-zurich-opera-season/
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Theater Basel – 12.10.2019
Al gran sole carico d’amore
Szenische Aktion in zwei Teilen von Luigi Nono. Textauswahl vom Komponisten.
Schweizer Erstaufführung
Musikalische Leitung Jonathan Stockhammer
Inszenierung Sebastian Baumgarten
Bühne Janina Audick
Kostüme Christina Schmitt
Choreografie Beate Vollack
Video Chris Kondek
Licht Roland Edrich
Chor Michael Clark
Klangregie Cornelius Bohn
Dramaturgie Pavel B. Jiracek
Soprano 1 Sara Hershkowitz
Soprano 2 Cathrin Lange
Soprano 3 Sarah Brady
Soprano 4 Kristina Stanek
Tania Rainelle Krause
Contralto Noa Frenkel
Tenore Karl-Heinz Brandt
Baritono Domen Križaj
Basso 1 Andrew Murphy / Alin Anca
Basso 2 Antoin Herrera-Lopez Kessel / Paull-Anthony Keightley
Ufficiale Ingo Anders
Soldato Constantin Rupp
Voce di donna Carina Braunschmidt
Kammerchor des Theater Basel
Chor des Theater Basel
Statisterie des Theater Basel
Sinfonieorchester Basel
Nach ein paar Tagen in Turin – leider ohne Musik, es lief gerade nichts, was interessant gewesen wäre – ging es in der Woche, die ich ganz freigenommen hatte, noch nach Basel. Am Nachmittag nutzte ich die Gelegenheit, die einen Tag später endende Ausstellung von William Kentridge (klick, klick) anzuschauen, die mich sehr beeindruckte. Am Abend ging es dann nach einer Einführung durch Thomas Wise (Studienleiter am Theater Basel), bei der er auch Stücke von Webern spielte, an eine Aufführung von Luigi Nonos „Al gran sole carico d’amore“ („Unter der grossen Sonne von Liebe beladen“) – auch das mehr als beeindruckend. Einen riesigen Apparat fährt Nono auf, grosses Orchester, Tonband-Einspielungen, ein grosses Ensemble auf der Bühne, halsbrecherische Passagen für den Chor …
Die Aufführung in Basel war die Erstaufführung der in den frühen Siebzigern für die Mailänder Scala geschriebenen „Revolutions-Oper“, die aber keine Oper ist sondern eine „azione scenica“, eine szenische Aktion, der eine Textcollage zugrunde liegt, in der Revolutionäre wie Marx, Lenin oder Guevara zu Wort kommen. Der Bogen spannt sich von der Pariser Kommune (erster Teil) zu den Streiks bei Fiat im Faschismus, der kubanischen Revolution und bis nach Vietnam (zweiter Teil). Die zentralen Figuren sind in der ganzen Oper Frauen, die teils auch die Textgrundladen schrieben (z.B. Kämpferinnen an Che Guevaras Seite). Es wird aber bei all den revolutionären Tönen und dem kollektiven Ansatz (die Hauptgesangsstimme ist auf vier Sopranstimmen verteilt, die sich teils silbenweise abwechseln) zwischendurch immer wieder lyrisch, Nonos frühes Studium des venezianischen Frühbarocks (Monteverdi, die Gabrielis) scheint durch, sein Einstehen für das Primat der Stimme ebenfalls, und auch Anklänge an den Belcanto-Gesang tauchen da und dort auf. Der riesige Orchesterapparat bleib unter der kundigen Leitung von Jonathan Stockhammer stets transparent und klar – was das Gesamte zu einem umso beeindruckenderen Hörerlebnis machte. Es bleibt natürlich ein gewisses Unbehagen, wenn Texte von Lenin (über die Pariser Kommune) gesungen werden, wenn die lateinamerikanischen revolutionären Bewegungen „inszeniert“ werden – doch wurde dies auch auf der Bühne selbst durchbrochen, denn ähnlich der Rolle von Jane Fonda als Journalistin in einer streikenden Fabrik in Jean-Luc Godards „Tout va bien“ ist auch hier ein Figur mit Mikrophon auf der Bühne, auf der am Rand ein Tonbandgerät steht (JLGs Film kam 1972 heraus, Nonos Oper wurde 1975 uraufgeführt, ob es die Regie-Idee schon früher gab oder ob sie allenfalls sogar zum Stück gehört, weiss ich leider nicht). Die Kritik an der Inszenierung (NZZ-Rezension unten) kann ich nur bedingt teilen, das Unbehagen wurde bei mir eher durch die Textvorlagen, die Collage als Ganzes ausgelöst, denke ich. Als Theateraufführung fand ich das ganze denn ziemlich stimmig, rein vom Musikalischen her war es zwar hochanspruchsvoll, aber durch die enorm differenzierte Aufführung zugleich auch – trotz mancher intellektueller Widerstände oder Fragen – mitreissend. Es ist ja durchaus so, dass die heutige Zeit revolutionäre Ansätze braucht – dazu welche aus den Sechzigern und Siebzigern (und davor) auszugraben, scheint mir überhaupt keine gute Idee, aber dieses Werk in seiner ganzen Dringlichkeit, als – recht eigentlich: weibliche – Anklage der Unterdrückung, der Ungerechtigkeit wieder aufzuführen, ist eben doch ein sehr verdienstvolles Unterfangen, allein schon, weil daraus ein Theaterabend wird, der betrifft, mitreisst, und gerade wegen der geweckten Widerstände sehr zum Nachdenken anregt.
Detail: 2009 wurde das Stück auch in Leipzig gegeben … in Salzburg, so erwähnte Thomas Wise auch in seiner die Leistung des Basler Chores herausstreichenden Einführung, hätte der Chor Noten mitgehabt – wie man im Foto, das dieser Rezension beigefügt ist, entnehmen kann, hatten sogar die Solistinnen Noten dabei:
http://www.musicweb-international.com/SandH/2009/Jul-Dec09/nono0608.htm
Rezensionen zur Basler Aufführung:
https://www.nzz.ch/feuilleton/luigi-nonos-al-gran-sole-carico-damore-die-revolution-ist-weiblich-ld.1508858
https://www.deutschlandfunk.de/al-gran-sole-carico-d-amore-in-basel-ueberwaeltigende.1993.de.html?dram:article_id=458929
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