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vorgarten
friedrich Die lustigen Prahlereien aus dem Hip Hop kenne ich als jemand, der in den 80er musikalisch sozialisiert wurde, natürlich – und wenn es nur darum ging, die tollsten Sneaker oder den dicksten Ghettoblaster zu haben. Ich fürchte, irgendwann wurde aus diesem Spiel aber Ernst und man ging statt mit Reimen tatsächlich mit der Knarre gegenseitig aufeinander los.
das habe ich immer anders verstanden: vorher ging man mit waffen aufeinander los, dann erfand man dieses spiel. und es ging dann auch nicht um sneaker und ghettoblaster, sondern darum, dass die gereimten beleidigungen dazu führen, dass einer heult – d.h. das spiel des uneigentlichen nicht weiterspielen kann.
Und noch davor hatten Leute wie Sonny Stitt diese Saxophonbattles…--
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vorgarten
friedrich Die lustigen Prahlereien aus dem Hip Hop kenne ich als jemand, der in den 80er musikalisch sozialisiert wurde, natürlich – und wenn es nur darum ging, die tollsten Sneaker oder den dicksten Ghettoblaster zu haben. Ich fürchte, irgendwann wurde aus diesem Spiel aber Ernst und man ging statt mit Reimen tatsächlich mit der Knarre gegenseitig aufeinander los.
das habe ich immer anders verstanden: vorher ging man mit waffen aufeinander los, dann erfand man dieses spiel. und es ging dann auch nicht um sneaker und ghettoblaster, sondern darum, dass die gereimten beleidigungen dazu führen, dass einer heult – d.h. das spiel des uneigentlichen nicht weiterspielen kann.
Und noch davor hatten Leute wie Sonny Stitt diese Saxophonbattles…
Wenn einer heult, ist der Spaß ja auch vorbei!
Ich bin weder Kulturwissenschaftler noch ausgesprochener Hip Hopper und habe neben Run DMC (mit „My Adidas“) und LL Cool J (mit dem tollen Cover, das ausschließlich einen Ghettoblaster in Großaufnahme zeigt) nur wenige Hip Hop-Alben im Regal stehen. Bin also kein Experte. Mir kommt es manchmal so vor, als ob es bei diesen Prahlereien und Beleidigungen zwischen Spiel und Ernst, der Pose und dem wahren Gesicht hinter der Maske einen ganz schmalen Grat gibt und beides auch mal hin und her pendeln oder miteinander verschwimmen kann. Die oft gewalttätigen Fehden in dieser Szene mit Todesopfern durch Schießereien finde ich bezeichnend. Dagegen waren Saxophonbattles bis einer aufgibt doch nur sowas wie harmlose Raufereien auf dem Schulhof!
Ergänzung: Um wieder zum ursprünglichen Thema zurückzukommen: Was Oscar Brown Jr. und Hip Hop gemein haben, vielleicht sogar über Umwege verbindet, ist der Wortwitz, der Stolz und das Selbstbewusstsein, mit denen das vorgetragen wird.
zuletzt geändert von friedrich--
“There are legends of people born with the gift of making music so true it can pierce the veil between life and death. Conjuring spirits from the past and the future. This gift can bring healing—but it can also attract demons.” (From the movie Sinners by Ryan Coogler)53
NIGHT TRAIN
peterson, brown, thipgen, granz, valentin (15. & 16.12.1962)was swing mit gleichmaß zu tun haben könnte – darüber habe ich bisher auch noch nicht nachgedacht. hier ist mit der musik programmatisch eine fahrende maschine verbunden, die über schienen rattert, deren räder sich gleichmäßig bewegen, und die in gleichen abständen dampf aus dem kessel stößt. in der vaterfigur des schlafwagenschaffners, in der bilder typischer afromaerikanischer (oder afro-kanadischer) berufswege gebunden sind, sind gleichmäßige bewegung und der blues der heimatlosigkeit (oder mobilität) geborgen, und der effekt kann ein hypnotischer bewegter stillstand sein. das nietenbesetzte ridebecken gibt den dampf, der walking bass das rollende rad, die schlagzeugbesen markieren die schienenlücken, die die bewegung punktieren. petersons linien arbeiten auch mit gleichmaßen, mit hypnotischen figuren und gleichen notenlängen. aber es gibt auch momente des übersprudelns, die nicht so wirksam wären, würden sie sich nicht aus den schienen bewegen. eine maschine mit leichten schwankungen, kurzen druckabfällen, momenten des gleitens und mühsamen anstiegen. auch die instrumente sind eigenartig gleichmäßig aufgenommen, staffeln sich nicht in den raum, stehen gleichberechtig im engen maschinenraum. und auf den kurzen stops werden die ergebnisse in nächtliche jukeboxes abgeworfen, um wieder andere maschinen anzutreiben. eine schöne pointe bietet das ende, als bei der „hymn to freedom“ zumindest im intro die maschine plötzlich stillsteht und der vater mit dem bürgerrechtler überblendet wird.
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Danke für den Text. Ich empfand das Album lang – auch als ich schon Zugang zu Petersons Musik gefunden hatte – als eine mich gnadenlos überrollende Maschine, ein mich erdrückender Klotz aus Blech, der auch wirklich so schnell auf mich zurast, wie das Cover es suggeriert. Vielleicht hat das gerade mit der Gleichmässigkeit zu tun, die das Trio hier an den Tag legt? Leuchtet mir jedenfalls spontan – ohne das Album in den letzten Jahren gehört zu haben – unmittelbar ein. Der Closer ist gross!
Schön, dass es weitergeht hier!
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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #164: Neuheiten aus dem Archiv, 10.6., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba…mmh, dieser nachtzug hat mich schon als junger spund überfahren, der versuch meines musiklehrers mir jazzpiano via peterson näher zu bringen scheiterte kläglich. bis heute hab ich peterson in ganz großem bogen umgangen, vielleicht ein fehler….keine ahnung ob es alben gibt bei denen ich einen zugang bekommen würde….
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Hat Zappa und Bob Marley noch live erlebt!52
MONK’S DREAM
monk, rouse, ore, dunlop, macero, geelan (31.10./1.11./2.11./6.11.1962)während das peterson trio ruhig durch die nacht dampft, löst thelonious monk (erster eintrag in dieser liste) das gleichmaß fast komplett auf. das schlagzeug ist stark synkopiert, der bass kommt immer wieder zwangsläufig ins stolpern, das saxofon kickt und das klavier stört. eine kette von dissonanzen und scheinbar falschen tönen, die im rythmus aufgefangen wird – jede rechnung aus brüchen geht auf, alles ergibt einen sinn, wenn der ryhmus derartig gut lesbar ist. alles klingt frisch hier, im aufwärmen der bereits eingespielten originale für columbia, weil monk nach laune neue harmonien erfindet und rouse die neuen signale hört. das klaviersolo im titelstück verschiebt das, was als standard gilt, sehr weit ins offene – und die tatsächlichen standards haben neue spitzen, die sich in schrägen rampen verkeilen. das kurze „just a gigolo“ ist fast entwaffnend roh, und darin schon fast wieder sentimental. und die aufnahme hat raum und luft und eine selbstbewusste große geste: klassische dissonanz. verkantetes ansteuern des tons, bis er sitzt und anspringt.
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lotterlotta…mmh, dieser nachtzug hat mich schon als junger spund überfahren, der versuch meines musiklehrers mir jazzpiano via peterson näher zu bringen scheiterte kläglich. bis heute hab ich peterson in ganz großem bogen umgangen, vielleicht ein fehler….keine ahnung ob es alben gibt bei denen ich einen zugang bekommen würde….
ich habe jetzt auch mehrere anläufe mit dem album gebraucht, aber das hatte auch persönliche gründe. eigentlich ist es ja sehr einladend, weder besonders üppig oder ornamental noch jazz von der stange. man kann hier sehr gut hören, wann es peterson aus der bahn trägt. und knackig sind die stücke auch. aber es braucht dann doch vielleicht das dritte und vierte hören, um das besondere zu bemerken.
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Bei You’ll hear it wurde die LP „Night Train“ auch schon vorgestellt. Im Detail wird auch ein bißchen auf andere Versionen von „Night Train“ eingegangen – Johnny Hodges hatte für seine Version ja einen anderen Titel.
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gypsy-tail-windIch empfand das Album lang – auch als ich schon Zugang zu Petersons Musik gefunden hatte – als eine mich gnadenlos überrollende Maschine, ein mich erdrückender Klotz aus Blech, der auch wirklich so schnell auf mich zurast, wie das Cover es suggeriert.
interessant – auch, weil es ja so kommerziell erfolgreich war. welches album dieses trios wäre denn deine erste wahl?
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…vielleicht sollte ich mir das album nach diversen jazz-hör-erlebnissen in den letzten jahrzehnten einfach doch mal zulegen….vielleicht war es mir damals einfach zu viel swing, also musik für alte menschen, heute ja selbst alt könnte es doch was werden….
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Hat Zappa und Bob Marley noch live erlebt!vorgarten
gypsy-tail-windIch empfand das Album lang – auch als ich schon Zugang zu Petersons Musik gefunden hatte – als eine mich gnadenlos überrollende Maschine, ein mich erdrückender Klotz aus Blech, der auch wirklich so schnell auf mich zurast, wie das Cover es suggeriert.
interessant – auch, weil es ja so kommerziell erfolgreich war. welches album dieses trios wäre denn deine erste wahl?
Vielleicht „The Jazz Soul of Oscar Peterson“ oder „Affinity“ – ich hab die auf dem CD-Twofer aus den 90ern und das ist eine meiner liebsten Peterson-Veröffentlichungen überhaupt. Die London House Sessions (da hab ich gleich die Box gekauft, die einzelnen Alben spielten nie eine Rolle) mag ich auch sehr gern, ebenso das späte „We Get Requests“ (1964 aufgenommen, ich glaub es gab bis 1965 Aufnahmen in der Formation?)
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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #164: Neuheiten aus dem Archiv, 10.6., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba51
NEFERTITI
davis, shorter, hancock, carter, williams, macero, plaut, moore (7.6./22.6./23.6./19.7.1967)das offenbar repräsentative album von miles‘ ‚zweiten quintett‘ in dieser liste ist – trotz stilistischer geschlossenheit – das wohl offenste und loseste, eigentlich ein showcase für die rhythm section, und noch eigentlicher ein showcase für tony williams. es gibt kaum harmoniewechsel, höchstens in den themen, aber auch nicht in allen, carter erfindet einfach irgendwas und die solisten agieren völlig frei. es gibt zwei endlos-melodien von shorter, das titelstück und „pinocchio“, er muss zu diesem zeitpukt schon brasilianische musik gehört haben (aber wer hat das nicht, 1967), jede wiederholung erfolgt zwangsläufig aus dem ende der figur, die rhythm section simuliert zusätzlich entwicklung. dann zwei offene stücke, von den ursprünglichen kompositionen sind nur mehr kurze themen übrig geblieben, ergeben schöne soli von miles und shorter zu oft schweigendem klavier, nichts davon wurde jemals live nochmal gespielt. das relativ fertige „riot“ von hancock dagegen schon, das hier nur kurze soli erhält. die durchgängige einfachheit täuscht über die vielen innovationen hinweg: carters fluidität, die themen-only-performances, williams‘ breaks, die erst takte später wieder auf der eins landen, sein origineller latin-rythmus auf „riot“… manches ist aber auch schräg in dieser band: wie unsensibel oft hancocks soli abgewürgt werden, das verzögerte nachspiel shorters auf „nefertiti“, der verzicht auf balladen, der verzicht auf live-übernahmen bzw. -weiterentwicklungen („nefertiti“ gab es ein paar mal, aber erst mit der nächsten rythm section corea/holland/dejohnette). man sagt ja, dass das der beginn des postbop gewesen ist – aber welche band macht seitdem sowas wie auf „nefertiti“ oder „fall“?
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vorgarten53
NIGHT TRAIN
peterson, brown, thipgen, granz, valentin (15. & 16.12.1962)
was swing mit gleichmaß zu tun haben könnte – darüber habe ich bisher auch noch nicht nachgedacht. hier ist mit der musik programmatisch eine fahrende maschine verbunden, die über schienen rattert, deren räder sich gleichmäßig bewegen, und die in gleichen abständen dampf aus dem kessel stößt. (…)Die Meinung eines Fahrgastes: Ich bin kein Modelleisenbahner, aber auf diesem Cover erkenne ich keine Dampflokomotive sondern eine Diesellok. Wahrscheinlich so ein Kraftpaket mit 1800 PS, das wohl bis in die 60er Jahre die am weitesten verbreitete Lokomotive in den USA war. Passt eigentlich auch besser zu der Musik auf dem Oscar Peterson-Album, finde ich. Da gibt es keine glühende Kohle, keinen Dampfessel unter Hochdruck, da wird kein schwarzer Qualm ausgestoßen, da stieben keine Funken aus dem Schornstein. Die Lok setzt sich nicht schwerfällig mit lautem Wuff-Wuff-Wuff-Geräuschen, Dampfpfeife und durchdrehenden Rädern in Bewegung. Stattdessen werden die Diesel gezündet und fangen an zu tuckern, die Ventile klappern im Takt und der Lokomotivführer steuert den Zug ohne Schweiß und Ruß zum Zielbahnhof. Die Musik wirkt eigentlich sogar etwas so wie eine feinmechanische Konstruktion, die mit Nähmaschinenöl geschmiert mit der Präzision eines Uhrwerks funktioniert.
Eigentlich hat die Musik auf Night Train auch nur mit dem Titel des namensgebenden Stücks etwas mit der Eisenbahn zu tun, oder? Ansonsten bekannte Gassenhauer, technisch perfekt, flüssig und elegant gespielt, überwiegend im gut verdaulichen 3-4 Minuten-Format. Sehr schön, aber auch nicht besonders aufregend. Dagegen ist nichts zu sagen und ich verstehe, warum dieses Album so erfolgreich war. Aber wir sprachen an anderer Stelle über The 3 Sounds, die gemeinhin als etwas leicht und gefällig gelten. Deren Aufnahme von Things Ain’t What They Used To Be klingt im Vergleich zu Oscar Petersons Version wie ein fauchendes wildes Biest.
Es gibt in der amerikanischen populären Musik sicher unzählige Lieder und Instrumentals, die Züge, Autos, vereinzelt auch Flugzeuge und Schiffe, Straßen und Bahnlinien zum Thema haben. Unterwegs sein, on the road, ob zurück in die alte Heimat oder ins Ungewisse. Könnte man ein eigenes Thema draus machen.
Das abschließende Hymn To Freedom erzeugt dann tatsächlich etwas Pathos und Extase. Amen!
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“There are legends of people born with the gift of making music so true it can pierce the veil between life and death. Conjuring spirits from the past and the future. This gift can bring healing—but it can also attract demons.” (From the movie Sinners by Ryan Coogler)dieselantrieb passt tatsächlich besser zu dieser musik. abgase werden aber schon auch ausgestoßen, schätze ich?
soweit ich weiß, ist das ganze album als hommage an den vater gedacht, der in nachtzügen gearbeitet hat, deshalb kam ich auf den zug als übergeordnetem thema (plus titel und cover). und der gleichmäßige, fast nicht-synkopierte rhythmus war tatsächlich im vergleich zum nachfolgenden monk-album sehr auffällig.--
hab gerade mal wieder nachgesehen, wie es weitergeht, als nächstes kommt eines der besten Alben der Liste, freu ich mich schon drauf…. (so viele Überschneidungen zwischen meiner Liste im alten Thread und der Liste hier gibt es nicht, aber das Album ist eine… die anderen sind Olé, Mingus Ah Um, Spiritual Unity und A Love Supreme)
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