Yusef Lateef (1920-2013)

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    gypsy-tail-wind
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    Am 9. April 1958 gab Lateefs neue Grupe das erste Jazz-Konzert in der Cranbrook Academy of Art. Abgänger der Institution, die 1927 gegründet wurde, waren etwa Eero Saarinen, Ray und Charles Eames oder Duane Hanson. Drei Studenten wurden delegiert, um Lateef zu kontaktieren, die Musiker besuchten den Campus und waren beeindruckt. Eintritt zum Konzert war frei, es strömten 500 Besucher nach Bloomfield Hills, Michigan, das etwa 20 oder 25 Kilometer nördlich von Detroit liegt.

    Die Band hatte zu der Zeit etwa acht Monate in Klein’s Showbar in Detroit auf dem Buckel. Sie bestand aus Lateef (ts, fl, perc), Frank Morelli (bari), Terry Pollard (p), William Austin (b, rebab), Frank Gant (d, gong, finger perc). In Nat Hentoffs Liner Notes kommen die Musiker zu Wort, was Lateefs Musik betrifft:

    „After four years of nervous music [Terry Gibbs, Sonny Stitt u.a.] … I had to get used to being relaxed with Yusef. I don’t have to jump up and down all the time any more. … Working with Yusef, you never get into a rut. We play real good funky blues; rhythms in 7/4, 5/4, and waltz times; and so many other things are going on. And yet it’s all relaxed.“ (Terry Pollard)

    „[H]is music has a different feel to i and there’s always something else going on.“ (William Austin)

    „[Lateef’s music is] soulful; always relaxed in whatever tempo it’s played; and Yusef never plays any wasted notes.“ (Frank Morelli)

    Nach dem langen und äusserst evokativen „Morning“, in dem die Musik quasi auf die Welt kommt, wenn man so sagen darf, endet die erste Hälte mit „Brazil“, der perfekte Lateef-Novelty … zweieinhalb Minuten im 5/4 mit hypnotischem Groove und Bari-Ostinato. „Morning“ hatbe mit einer Melodie angefangen, die er jeden Tag gesungen und irgendwann notiert habe. Die Linie hat in der Tat einen nah-östlichen Einschlag, Gant trommelt einen leichten Beat dazu, wieder einmal fast ohne Becken. Morelli, ein 1933 in Detroit geborener Musiker, spielt ein erstes Solo – und das Barisax ist eine Bereicherung für Lateefs Musik! Schade, dass es praktisch nie zum Einsatz kam! Lateef folgt dann mit einem Tenorsolo, in dem er in langsamen Bögen mit weitem Atem und enormer Stringenz etwas aufbaut.

    Die zweite Hälfte öffnet mit dem kurzen, meditativen „Let Every Soul Say Amen“ – getragene Flötenlinien über Percussion, leisen bewegten Piano- und Barisaxläufen … etwas Trommeln, der Gong, der Bass gestrichen (glaub ich, man hört ihn kaum, fühlt in aber – leider klingt die Aufnahme allgemein nicht sehr gut). Dann folgt das lange „Woody’n You“, eine Bebop-Nummer von Dizzy Gillespie, in der die ganze Band Raum für längere Soli kriegt – und wie in „Morning“ alle zu irgendwelchen Percussion-Instrumenten greifen, die im Line-Up nicht verzeichnet sind. Lateefs zweites Solo (in dem er auch noch haarscharf an ein paar alten jiddischen Stickele vorbeischrammt) ist grandios!

    Ein interessanter Absatz aus Nat Hentoffs Liner Notes:

    Nat Hentoff
    With Yusef interested in the near east; Miles Davis in scales from anywhere he can find them, including the folk scales used by Khachaturian; and Cecil Taylor in the colour possibilities of Bali and India, it may well be that no music will be found immune to fusion with jazz in the years ahead. The only caution is that these elemenets ought not be grafted from without, but should be balanced as an organic part of each player’s or writer’s self-expression. The basic point is that there is no reason why these meetings cannot hapen – as they have before in jazz history, from Jelly Roll Morton’s „Spanish tinge“ and beyond.

    „Brazil“ scheint im Konzert der Opener gewesen zu sein, „Morning“ erst gegen Ende des Konzerts gespielt worden sein … da hat man für die Platte eine durchaus einleuchtende Umstellung vorgenommen. Leider ist die zusätzliche Musik (fünf weitere Stücke) bisher soweit ich weiss nie aufgetaucht. Die aktuell greifbare Version ist gelinde gesagt fishy und stammt von él Records/Cherry Red, man hat die CD mit „Essential 1957 Studio Recordings“ aufgefüllt – was natürlich nicht geht, denn sonst wäre das Bonusmaterial vier CDs lang geworden …

    Die nächsten Aufnahmen entstanden am 11. Juni 1959 – Lateef karrte seine Band nach Hackensack zu RVG und nahm ein letztes Mal für Savoy auf. Beide Alben finden sich auf der ersten CD des 2CD-Sets „The Last Savoy Recordings“. Die Gruppe war noch fast dieselbe, bloss war Morellis Barisax dem Euphonium von Bernard McKinney gewichen, der eine Familie von Detroiter Musikern entstammte (sein älterer Bruder Harold spielte Klavier, Carlos, ebenfalls Pianist, ist ein Neffe, dann gab es noch den Bassisten Ray und den Drummer Earl, soweit ich weiss auch Brüder von Bernard, der sich später Kiane Zawadi nennen sollte).

    Das erste Album hiess „The Dreamer“ (MG12139) und öffnet mit einem Blues – dem „Oboe Blues“, dem ersten, den Lateef an der Oboe einspielte. McKinney spielt ein feines Solo am Euphonium, der Klang der beiden Instrumente zusammen ist sehr schön, Lateefs Solo klasse. Dann folgt mit „Angel Eyes“ eins der grossen Highlights. Lateef spielt das Stück an der Flöte, mit dunklem, grossem Ton und weichem Vibrato, McKinney begleitet ihn, spielt auch hier wieder ein kurzes Solo, lässt sein Euphonium fast wie ein Horn klingen – „haunting“ ist das schönste Wort, das mir einfällt. In the „Dreamer“ greift Lateef zum Tenor und in die Vollen. „Arjuna“ ist einem Helden aus dem indischen Epos „Mahabharata“ gewidmet – die Selbstoffenbarung Krishnas, als Arjuna in die Schlacht ziehen soll und zweifelt, weil er auf der Gegenseite Verwandte und Lehrer erkennt, ist als „Bhagavad Gita“ bekannt und einer der zentralen Texte des Hinduismus. Von indischen Anklängen ist in dieser Bop-Nummer aber nichts zu hören, umso mehr dafür von Terry Pollard, die mit einem Solo glänzt, das der Detroiter Klaviertradition (Barry Harris, Tommy Flanagan) Ehre macht. Das Album endet mit Jerome Kerns „Can’t Help Lovin‘ That Man“, in dem Lateef ein bezauberndes Solo spielt, sehr linear, man merkt hier, dass nicht nur Hawkins, Webster oder Byas Bezungspunkte sind, sondern auch Lester Young.

    Das zweite Album, das aus den Juni-Sessions hervorging, hiess „The Fabric of Jazz“ (MG12140). Es beginnt mit dem bewegten „Moon Tree“ mit einem funky Thema, sehr eingängig, Lateef am Tenor – dass Herb Boyd in seinen Liners zum 2CD-Set die Jazz Crusaders erwähnt, passt in der Tat! Dann folgt „Stella By Starlight“ und damit Bernard McKinneys grosser Moment im Rampenlicht. Er päsentiert das Thema mit süssem Ton, eignet sich die Melodie förmlich an und spielt dann ein tolles Solo – wundervoll! Dann folgt „Valse Bouk“. Lateef: „We used ‚bouk‘ to suggest something that was ‚in the pocket.‘ I applied the term to several of my tunes, including P-Bouk, a composition I recorded with Cannonball.“
    Die zweite Hälfte beginnt mit „Half Breed“, komponiert von einem unbekannten Vibraphonisten namnes Abe Woodley, der seinen Namen zu Nasir Hafiz gewechselt hat. Das Stück ist ebenfalls sehr in the pocket, Pollard spielt mal wieder ein tolles Solo. Das letzte Stück ist dann „Poor Butterfly“, Lateef an der Flöte, einmal mehr ein Meisterstück. Und Pollards Piano ist phantastisch! Schade, dass es von dieser Gruppe nicht mehr gibt, die 65 Minuten der beiden Alben sind viel zu wenig, ich könnte noch stundenlang weiterhören!

    Hier das Cover der CD-Ausgabe, die auch die ganze LP „Prayer to the East“ (MG 12117) sowie drei Stücke von „Jazz and the Sounds of Nature“ (MG 12120) und Lateefs eines Stück von „Jazz Is Busting Out All Over“ (MG 12123) enthält (s.o.):

    Keepnews versprach in seinem Geleitwort eine zweite Doppel-CD, auf der dann die restlichen Savoy-Aufnahmen von 1957 zu finden gewesen wären. Leider erschien sie nie – mag mit schlechten Verkäufen oder auch mit den Wirren von Savoy damals zu tun haben … ich verstehe die Label-Story bisher nicht wirklich, in den Siebzigern hatte Clive Davis (Arista) einige Aufnahmen gekauft (das ergab dann diese eierschalen Doppel-LPs), irgendwie kam das ganze dann zu Nippon Columbia (via Denon, die in den 90ern eine lange Reihe von manchmal depperten und oft mit Fehlern versehenen CD-Reissues herausgaben, die aber klanglich sehr gut sind), irgendwie war um 2000-2002 als die Lateef-CD und ähnliche 2CD-Sets von den Adderleys und Wilbur Harden erschienen, auch Atlantic involviert (und da kam Keepnews ins Spiel).

    Im Oktober 1959 nahm Lateef das nächste Album im Van Gelder Studio auf, wieder für Prestige/New Jazz. Produziert wurde es von Esmond Edwards, der Titel ist „Cry! – Tender“ (NJLP 8234). Die Band ist eine neu-alte, Frank Gant (d) ist der einzige der Vorgängerband, der noch dabei ist, Pianist Hugh Lawson kehrt zurück, dazu stossen neu Trompeter Lonnie Hillyer (später spielte der Musiker aus Detroit mit Mingus) und Bassist Herman Wright (auch er aus Detroit).

    Der Opener, „Sea Breeze“, gehört ganz der Oboe Lateefs, das ruhige kurze Stück gibt den Ton vor, hier wird noch weniger mit Klängen experimentiert, als das schon auf den beiden letzten Savoy-Alben der Fall war, stattdessen herrscht eine Stimmung vor, die man als eine nachdenklichere Variante des Motor City Jazz beschreiben könnte. Der tiefe Bass von Wright legt ein exzellentes Fundament und Lawson steuert wieder seine frischen Akkorde und Soli bei, ein kurzes aber sehr hübsches auf „Dopolous“, der zweiten Nummer, in der Lateef an der Flöte zu hören ist und Hillyer noch immer nicht (er begleit kaum hörbar das Thema, immerhin). Das Titeltück ist beginnt als Oboen-Lament, wie alle Stücke ausser dem Opener (von Al Hoffman und Dick Manning, scheint eine hawaiianische Nummer zu sein) sowie dem Standard „Yesterdays“ (Jerome Kern) und Tadd Damersons „If You Could See Me Now“ aus der Feder Lateefs. Er spielt zunächst wie gesagt Oboe, später Tenor, dazwischen ist Hillyer kurz zu hören, fügt sich bestens in die Stimmung der Komposition ein, dann schliess Lateef das „tone poem“ am Tenor ab. „Butter’s Blues“ ist ein Hardbop-Blues-Waltz mit Lateef am Tenor, Hillyer spielt leise unisono mit und bläst dann das erste Solo, sehr lyrisch, geräumig, mit warmen, irgendwie dicken aber zugleich brüchig-dünnem Ton, dann folgt Wright mit einem kurzen Solo, gefolgt von Gant und schliesslich Lawson, bevor Lateef etwa in der Hälfte mit seinem brennenden Tenor übernimmt (toll, wie Wright kurz in einen Pedal Point fällt und das später wiederholt). Geräumig ist Lateefs Solo, gelassen aber dennoch zupackend, bestimmt.

    „Yesterdays“ ist wieder die Oboe … getragen von Wrights tiefem Bass, der wie sein Chef die Kunst des Öffnens von Räumen beherrscht. Lawson streut Akkorde ein, Gant hält sich diskret mit Besen im Hintergrund, Lateef erlaubt sich ein paar Schnörkel im Thema, dann folgt Hillyer mit einem Solo in doppeltem Tempo mit einem klasse Einstieg, lapidar vielleicht, aber auch genial. Wright übernimmt – er hat es definitiv verdient, ein paar Soli zu kriegen, ein toller Bassist, einer der unterschätzen Jener Zeit (nicht mit dem ebenfalls tollen Eugene oder Gene Wright aus dem Dave Brubeck Quartet zu verwechseln … Herman Wright spielte u.a. mit Dorothy Ashby und Sonny Stitt, war an den Mitt-Sechziger Prestige-Sessions von Chet Baker beteiligt – auf der mit Kirk Lightsey und Roy Brooks zwei weitere Detroiter zu hören sind – und wirkte an Doug Watkins‘ einzigem Album als Leader mit). Auf Wright folgt Lawson, dann bringt Lateef das Stück wieder im langsamen Tempo zu Ende. „If the Snow Gets Green“ ist ein schnelles kurzes Stück, Lateef (Tenor, Argol), Hillyer (er legt vor) und Lawson sind zu hören. Damerons Ballade gehört wieder Lateefs Tenor und ist einmal mehr Zeugnis seiner grossen Künste als Balladen-Sänger. Den Abschluss macht „Ecaps“, das letzte Stück der 1957er Sessions, die schon „Sounds of YL“ und „Other Sounds“ ergeben hatten. Wilbur Harden ist klasse, Lawson ebenfalls toll, Lateef ist nochmal am Tenor zu hören. In den Liner Notes wird die andere Besetzung übrigens nicht erwähnt und beim Line-Up, der auf der CD angegeben ist, fehlen Lawsons Name sowie das Aufnahmedatum – seltsam. Der damalige Hörer glaubte wohl, das Stück sei von derselben Session mit Hillyer wie der Rest der LP. Jedenfalls ein weiteres gutes Album mit einigen verdammt tollen Momenten und generell dem hohen Niveau, das Lateef damals verlässlich hielt.

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    wolle62

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    @gypsy,

    ja, wobei ich erst durch seine Impulse Alben auf ihn aufmerksam wurde. Danach habe ich mir seine Atlantic Alben gekauft, bevor ich mal in die ersten Sachen von ihm reingehört habe. Hier war mir damals nur bewußt, die Verve Platte „Before The Dawn“, hängen geblieben. Aber gerade seine instrumentale Vielfalt und sein experementieren mit östlichen Sounds (ähnlich einem Joe Harriott) haben mir immer besonders gut gefallen. Selbst die späten CTI Alben kann man auch noch gut hören.

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    #9063471  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
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    Für mich ist bis vor den Atlantics ALLES sehr gut, dann wirds mir oft zu produziert, zu bunt, etwas belanglos … nach den Atlantics kenne ich kaum was, aber das späte (2005) Doppel-Album mit den Belmondo-Brüdern ist sehr gut, Top 10 oder 20 der Nullerjahre!

    Da gabs dann 2006 in Cully am Festival ein Konzert, von dem ich leider im Voraus nichts mitgekriegt hatte … das wäre das Lateef-Konzert gewesen, an dem ich hätte sein müssen …

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    gypsy-tail-wind
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    Im April 1960 stiess Lateef für eine Vee Jay Plattensitzung zur Gruppe der Adderley-Brüder. Cannonball war nicht dabei, aber Nat (cor), Barry Harris (p) und Sam Jones (b) waren zur Stelle, als Drummer Louis Hayes sein erstes Album als Leader einspielte. Lateef und Adderley ergänzen sich perfekt, das verspielte, quirklige Kornett und das erdenschwere und doch überirdische Tenorsaxophon Lateefs. In Sonny Reds „Teef“ bläst er furios, im unmittelbar folgenden „I Need You“ von Barry Harris läuft er zu seiner Balladen-Bestform auf und spielt ein herzzerreissendes Solo – macht sich Gedanken über die conditio humana und lässt uns teilhaben. Harris ist in der Ballade ganz er selbst: glasklarer Ton, perfekt modellierte Linien, aber auch Zwischentöne, ghost notes. Die weiteren Stücke stammen von Cannonball und Nat Adderley („Rip De Boom“ bzw. „Sassy Ann“, zwei schnelle Bebop-Nummern mit Raum für den Leader), Lateef („Hazing“, der Opener des Albums mit einem Stop-and-Go-Thema über marching-Rhythmen) und erneut Harris (ein eher verspielter „Back Yard“, nicht so funky, wie der Titel erwarten liesse).

    Für mich ist dieses Album ein vergessenes minor masterpiece des Hardbop – was am Label liegt wie auch an den Beteiligten … Louis Hayes hat mit seinen Bands für den Jazz wie seine Kollegen Roy Haynes und Elvin Jones jahrzehntelang eine Art informelle Hochschule oder Kaderschmiede geleitet, wie die anderen zwei stand er diesbezüglich in der Wahrnehmung stets im Schatten Art Blakeys. Das Album markiert einen wundervollen Start in eine lange Karriere, auch wenn er hier ja bloss nomineller Leader ist.

    Es gibt wenigstens zwei CD-Ausgaben, eine in Kobination mit Buddy De Francos „Blues Bag“, eine andere (oben abgebildet) von 2002 mit Alternate Takes von fünf der sechs Stücke (von „Back Yard“ gibt es keinen weiteren Take). Genau verglichen habe ich die Takes nie, aber gerade fällt mir auf, wie toll Lateef in „Hazing“ (Take 1) sein Solo öffnet – und in der Tat, der Einstieg im Master ist ganz anders und weniger gelungen, wie ich finde. In den Siebzigerjahren erschien die Platte auch unter Lateefs Namen als „Contemplation“.

    Im Mai 1960 nahm Lateef sein erstes von zwei Alben für Riverside auf, ein programmatisch betitelt und becovertes: Lateef sollte, so Orrin Keepnews‘ Plan, gleichermassen als Tenorsaxophonist, Flötist und Oboist vorgestellt werden. Als weiterer, die Exotik steigernder Faktor, gesellte man ihm Ron Carters Cello bei. Hugh Lawson war zurück am Klavier, Herman Wright und Lex Humphries spielten Bass und Schlagzeug. Den Auftakt mach „Goin‘ Home“, das Thema aus Dvoráks neunter Symphonie, das Lateef nach einem Schepper-Intro und gestrichenen Tönen in zügigem Tempo am Tenor spielt. Auf den weiteren Tenorstücken, „Quarantine“ von Abe Woodley und dem Oldie „Ma – He’s Makin‘ Eyes at Me“, setzt Carter aus. Die Oboe ist in einem bouncenden „I’m Just a Lucky So-and-So“ zu hören (vermutlich war das Stück meine allererste Begegnung mit Ellington, die spätere Ausgabe dieses Albums unter dem Titel This Is Yusef Lateef steht wie erwähnt bis heute im Regal meines Vaters) und dann nochmal im „Salt Water Blues von Lateef selbst. Die beiden Stücke von etwa sieben Minuten Dauer sind die längsten des Albums. An der Flöte gibt’s dann „From Within'“, in dem Lawson an der Celesta zu hören ist und Humphries auch zu Kesselpauken greift, sowie „Lateef Minor 7th“ und das besonders schöne „Adoration“, in dem das Zusammenspiel von Flöte und Cello sehr schöne Ergebnisse bringt – allesamt Originals aus des Leaders Feder. Ein tolles weiteres tolles Album, auch wenn man sich manchmal mehr Raum – für ausgewachsene Soli von Carter, Lawson und auch von Wright – freuen würde, die nur im Riff-Blues „Quarantine“ ausgiebiger zu hören sind. Die Arrangements sind allerdings gut, Carters Cello bringt eine interessante neue Farbe hinein, die für das Fehlen der little instruments Ersatz bietet.

    Im August und September wirkte Lateef – neben Jimmy Heath und Charlie Rouse sowie Baritonsaxophonist Tate Houston – an den Aufnahmen zu Nat Adderleys „That’s Right!“ (Riverside) mit.

    Das zweite und letzte Riverside-Album war eine noch besonderere Produktion als alles, was Lateef bis dahin gemacht hatte. Chris Albertson schreibt in den Liner Notes:

    Chris Albertson
    A new album by YUSEF LATEEF is invariably greeted with considerable interest and expectation, for his abundant creativity and his emphasis on unusual instruments and sounds have established an aura of excitement and surprise around his work. But this LP can be considered extra-surprising, even for a Lateef album, as Yusef’s fertile musical imagination continues to move into intrigingly [sic] new and different areas.

    On this occasion, Yusef has chosen to underline the big, virile sound of his own playing with the big, full sound of a nine-piece group – the first time he has recorded with more than a small combo. As you might suspect, the lineup is not exactly conventional, with Lateef himself being heard on four instruments and the other horns including an amazingly funky bassoon!

    And the rich, compelling orchestral coloring created by this group stem from scores by a trio of writers that includes, in addition to Lateef himself, two fresh and striking talents, each – for quite dissimilar reasons – making a first appearance on the jazz scene. Kenny Barron is a most promising 17-year-old Philadelphian; his own hard-swinging Revelation and his sort ballad arrangement of Every Day I Fall in Love are the first recorded examples of his work. Charles Mills, who contributed the remarkable The Centaur and the Phoenix and the lyric Summer Song, is a highly regarded contemporary composer who was become attracted to jazz largely through a growing interest in the music of Lateef (to whom the title piece of this album is dedicated „with friendship and admiration“).

    Das Nonett besteht neben dem Leader aus Clark Terry (flh, t), Richard Williams (t), Curtis Fuller (tb), Tate Houston (bari), Josea Taylor (bsn), Joe Zawinul (p), Ben Tucker (b) und Lex Humphries (d). Zawinul spielte damals noch bei Dinah Washington, aber bald schon traf er sich mit Lateef in der Band von Cannonball Adderley wieder.

    In Barrons stotternd-swingendem Blues „Revelation“ spielt Lateef das Thema am Tenor und setzt dann auch zum ersten Solo an. Clark Terry, Tate Houston und Curtis Fuller sind die weiteren Solisten, die Bläser setzten auch während der Solo-Chorusse immer wieder ein, das Stücke ist sehr eingängig und bietet Lateef einen perfekten Rahmen.

    In Lateefs „Apathy“, das dem Titel deutlich widerspricht, ist der Leader an der Flöte zu hören, Richard Williams und Clark Terry (am Flügelhorn) sind dann erst in eigenen Chorussen und danach in Fours zu hören. Nach einem weiteren tollen Tenorsolo Lateefs ist Hosea Taylor am Fagott zu hören – in der Tat funky! – und Ben Tucker spielt mit dem Ensemble ein paar Fours.

    „Ev’ry Day I Fall in Love“ ist Barrons Arrangement des Kahal/Fain Songs. Es beginnt über einen Pedal Point mit langen Tönen der Bläser, aus denen sich dann die Oboe herausschält und das Thema präsentiert. Für einmal eine Ballade und kein erdiger Blues mit der Oboe … ein sehr, sehr schönes Stück! Das Gewebe der Stimmen ist fein ausgestaltet, immer wieder klingt ein anderes Instrument auf, scheint durch die getragenen Töne hindurch – oder sticht für einen Moment unten hinaus -, um sich organisch wieder zurück ins Ensemble zu fügen; eins der Instrumente ist die Flöte, zu der Lateef greift. Es folgt dann eine längere Passage, in der Lateefs Flöte nur von der Rhythmusgruppe begleitet wird. Ben Tucker war so oft ja nicht zu hören, aber er ist ein klasse Bassist. Humphries gefällt mir ganz gut, auch schon auf „Three Faces“. Zawinuls Piano ist leider etwas zu sehr in den Hintergrund gemischt. Zum Abschluss steigt das Ensemble wieder ein, Fuller kriegt nochmal ein paar Takte (und lässt seine Posaune wie schon im ersten Barron-Stück weich wie ein Euphonium klingen), dann auch Zawinul, bevor das Thema ausklingt mit Lateef zurück an der Oboe.

    Die zweite Hälfte des Albums öffnet mit dem Titelstück, das Crazy Horse (dem Zentaur) und Bird (dem Phoenix) gewidmet ist. Es wirkt verspielt und zugleich zupackend, das Arrangement sprüht vor Einfällen, die Instrumente werden nicht primär wie im Jazz durchgehend eingesetzt, auch Bass und Piano setzen öfter aus, Richard Williams‘ bissige Trompete ist neben Lateefs Tenor die Hauptstimme im Thema, Zawinul legt Circus-Akkorde drunter, Humphries scheppert und swingt, die Trompeten schränzen, das Fagott watschelt und rennt plötzlich los … eine sehr polyphone Sache und ein sehr aussergewöhnliches Stück, das man wohl dem Third Stream zurechnen darf, wenn man will. Es wird zwar auch gerifft, aber immer wieder brechen plötzliche Einzeltöne herein. Dissonanzen schleichen sich ein, aber auch ein kleiner Moment, der nach Dixieland klingt. Tate Houston spielt ein kurzes Solo, Lateef verbeisst sich kurz in ein Riff, das wie eine Kreuzung aus Mills‘ Musik und „Salt Peanuts“ klingt und soliert dann unter dem dichten Arrangement hindurch. Klasse!

    Es folgt – Kontrastprogramm – Lateefs Ballade „Iqbal“, seiner Tochter gewidmet. Zawinul öffnet am Klavier, Taylor setzt den Auftakt für die Bläser, ein Bass-Lick und ein feiner Beat von Humphries bereiten den Boden für die Oboe, die vom Barisax Houstons begleitet wird, während die Einwürfe des Blechs, die Klavierakkorde ein wenig an Gil Evans gemahnen. Nach einer weiteren Klaviertrio-Passage folgt ein Trompetensolo, ich bin hier echt unsicher, ob es sich um Williams oder Terry handelt, jedenfalls ein wundervolles, nachdenkliches Solo, das sich wie die folgenden Soli von Posaune und Fagott perfekt in die Stimmung des Stückes einfügen. Mit Lateefs Oboe klingt das Stück dann aus, die kurzen heftigen Einwürfe von Houston und die growls der Blechbläser lassen mich hier einen Moment an Mingus‘ „Black Saint“-Suite denken.

    Mills‘ „Summer Song“ ist dann eine Pastorale, dargeboten an der Flöte vor mehrstimmigen Linien der Bläser und einer ruhig swingenden Rhythmusgruppe. Das Stück geht durch mehrere Passagen, es gibt wieder welche ohne Piano und – fast ohne – Bass (er spielt einen Pedal Point mit langen Pausen dazwischen). Typische Third Stream-Musik ist das auf gar keinen Fall – aber was ist das schon, wenn man genauer hinhört, findet man da auch weitere Perlen wie diese beiden Stücke, die Charles Mills für Lateef komponiert hat.

    Den Ausklang macht Lateefs „The Philanthropist“, eine Klage auf dem Tenor mit an- und abschwellenden langen Tönen der anderen Bläser, die sie im Blech auch mal zu einem Growl steigern dürfen. Das Ensemble wird hier selbst zum Akteur, wenn Lateef längere Pausen macht – es geschieht zwar vergleichsweise wenig, aber genau das prägt die Atmosphäre dieses stimmigen Stückes, mit dem Lateefs gewiss besonderstes Album seiner frühen Jahre endet – wobei „früh“ so eine Sache ist, mit über 40 war Lateef ja längst ein alter Hase – das ist ja wohl mit ein Grund, warum seine Musik von Beginn an „fertig“ wirkt: der Mann war schon sehr lange im Geschäft, als er 1956 als Leader auf Platte in Erscheinung trat. „The Centaur and the Phoenix“ ist auf jeden Fall ein Höhepunkt.

    Auf der CD findet sich ein äusserst seltsamer Bonus: zwei kurze Latin-Stücke mit Background-Gesang, produziert von John Ley in einer Session in den Bell Sound Studios in New York am 23. Juni 1961. Lateef spielt Flöte, Barry Harris, Ernie Farrow, Lex Humphries sowie die Percussionisten Roger Sanders und Garvin Masseaux und unbekannte Sängerinnen begleiten ihn. Das erste Stückc ist Esy Morales‘ „Jungle Fantasy“, in dem Lateef ein intensitves Solo aufbaut, in die Flöte singt, nachdem die loungigen Sängerinnen aussetzen. Das Stück ist auch im tollen Noir Criss Cross von 1949 zu hören (von Morales‘ eigener Combo):

    Die zweite Nummer ist „Titoro“ von Billy Taylor, wieder nur zweieinhalb Minuten Flöte über einen treibenden Latin-Beat mit einem hart-swingenden Riff und einer Bridge über Walking Bass.

    Ich nehme an, man wollte hier versuchen, mit dem Exotikbonus von Lateef einen kleinen Jukebox-Hit zu landen. Die Single trug die Nummer Riv 4504, später landeten die beiden Stücke auf der Milestone Doppel-LP „The Many Faces of Yusef Lateef“ (M47009), auf der sämtliche Riverside-Aufnahmen zu finden sind.

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    "Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #151: Neuheiten aus dem Archiv – 09.04., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba
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    john-the-relevator

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    Danke gypsy, ich lese die Besprechungen mit großem Vergnügen und bekomme einen wunderbaren Einblick und Eindruck über das Schaffen von Yusef Lateef. Deine Texte helfen mir sehr meinen Horizont bezüglich Yusef Lateef zu erweitern – mein Geldbeutel allerdings stöhnt jetzt schon unter der Leere, die folgen wird :-) Bitte um Fortsetzung!

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    Music is like a river, It's supposed to flow and wash away the dust of everyday life. - Art Blakey
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    gypsy-tail-wind
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    Lateef spielte ganz zu Beginn der Sechzigerjahre auch mit Charles Mingus – keine besonders ergiebige Zusammenarbeit leider, was die erhaltenen Aufnahmen betrifft, aber dennoch eine „made in heaven“, wie man sagt. Der eruptive Bassist aus Nogales und der stoische Lateef mit seinem brennenden Tenorsaxophon ergänzen sich perfekt. Allerdings nimmt Lateef auf „Pre Bird“, dem Karriererückblick in Albumform, den Mingus im Mai 1960 für EmArcy eingespielt hat (später als „Mingus Revisited“ aufgelegt), nur eine wichtige Nebenrolle ein. Am ersten Tag der Sessions wurde mit einer grossen Besetzung in erster linie Mingus‘ meisterhafte Komposition „Half Mast Inhibition“ eingespielt, ein achtminütiges Stück, das man als eine Art Summe seiner Experimente der späten Vierziger und frühen Fünfziger betrachten kann. Zudem wurde „Mingus Fingus No. 2“ und „Bemonable Lady“ eingespielt, ersteres 1947 für die Lionel Hampton Band entstanden und das einzige einigermassen konventionelle Big Band-Stück der Platte, letzteres ein Vehikel für Dolphy und zugleich eine Hommage an Ellington – in Mingus‘ eigenen Worten natürlich, eine Art Variation mit Dolphy statt Hodges und deutlich dissonanteren Tönen. In „Mingus Fingus“ spielt Joe Farrell das erste Tenorsolo, Lateef folgt, danach Fours in derselben Reihenfolge, danach folgen Fours der Trompeten, vermutlich in der folgenden Reihenfolge: Hobart Dotson, Marcus Belgrave, Clark Terry, Ted Curson, Richard Williams, Dotson, Belgrave, Terry (ich schreibe hier aus dem CD-Booklet, genauer von Leonard Feathers Liners zum Reissue des Albums unter dem Titel „Mingus Revisited“ ab – nur Terry erkenne ich zweifelsfrei).

    Am zweiten Tag fand sich eine kleinere Band im Studio ein: Ted Curson (t), Jimmy Kepper (tb), Eric Dolphy (as, fl, bcl), Yusef Lateef (ts, fl), Booker Ervin (ts), Joe Farrell (ts, fl), Paul Bley oder Roland Hanna (p), Mingus (b), Dannie Richmond (d), sowie Lorraine Cusson (voc). Lateefs grosse Stunde schlägt in „Prayer for Passive Resistance“. Lateefs klagender Ton ist die perfekte Stimme für dieses Stück, in dem wahrlich ein preacher gefragt ist. Klasse, wie man Lateef zwischen den so gelassen klingenden Phrasen förmlich nach Luft japsen hört. Die knapp vier Minuten werden zu einer unglaublich intensiven Parforce, auch von der streckenweise hektischen 12/8-Begleitung und den Stoptime-Passagen lässt Brother Yusef sich nicht aus der Ruhe bringen.

    Im Opener „Take the ‚A‘ Train“ („Exactly Like You“ wird dazwischengespielt) sitzt Hanna am Klavier, die Tenorsaxophonisten sind alle zu hören, Farrell zuerst, dann – nach Knepper – auch Ervin und zuletzt Lateef. Auch im zweiten Ellington-Stück, „Do Nothin‘ Till You Hear from Me“ wird ein anderes Thema dazugelegt, „I Let a Song Go Out of My Heart“ – die Stereo-Technik wird dazu benutzt. Hier bläst Lateef das erste Solo – und legt damit auch für Cracks wie den damals noch sehr jungen Joe Farrell und Booker Ervin ziemlich hoch. Nach dessen Solo folgen ein paar Runden Fours in derselben Reihenfolge – ein wahrhaftiges Tenor-Fest, wie überhaupt die ganze Platte ziemlich viel zu bieten hat für Tenorsaxophon-nuts wie mich! Noch schöner wäre eben nur mehr Lateef mit Mingus …

    Lorraine Cusson singt „Eclipse“ und „Weird Nightmare“, in letzterem ist Lateef in einem kurzen Solo zu hören. Das ellingtoneske Piano in „Eclipse“ kommt gewiss von Roland Hanna, auch wenn das CD-Booklet ihn nur für ein Stück („Do Nothin‘ Till You Hear from Me“) angibt. Leonard Feather meint in seinen Liner Notes für „Mingus Revisited“ auch, es sei Hanna. Lateefs Solo wird von Mingus mit viel Engagement begleitet – und ist vermutlich das Highlight des durch Flötengezwitscher etwas ermüdenden Stückes. Die Arrangements von Mingus sind allerdings ziemlich toll.

    Am 21. Oktober 1961 wurde Lateef im Birdland in New York mit einer Mingus Workshop Band mitgeschnitten, in der Jimmy Knepper, Roland Kirk, Doug Wakins und Dannie Richmond spielten – Mingus sass am Klavier. Für die Studio-Session („Oh Yeah“ und mehr von der Session auf „Tonight at Noon“, beide Atlantic) zwei Wochen später wurde Lateef von Booker Ervin ersetzt – leider, füge ich bei aller Liebe zu Booker Ervin an, denn ein Studio-Album mit Kirk und Lateef ist fast schon sowas wie ein feuchter Traum … (ich stelle mir auch einen Konzertmitschnitt des „Presents“-Quartetts mit Lateef vor … müsste ähnlich grossartig sein wie das Antibes-Konzert mit Ervin, oder noch toller – aber hören werden wir das nie).

    Im Birdland spielte Lateef natürlich nicht nur Flöte, wie die lausige Domino/RLR/whatever Box oben angibt, sondern er ist schon im ersten Stück mit einem tollen Tenorsolo zu hören. „Nouroog“, „Ecclusiastics“ und „Hog Callin‘ Blues“ sind zu hören, das erste vom Bethlehem-Album „A Modern Jazz Symposium of Music and Poetry“, die letzten beiden von „Oh Yeah“ – leider nur etwa zwanzig Minuten Musik, aber dennoch schön, zu haben! (Der Rest des Sets enthält weitere Birdland-Broadcasts, jeweils zwei von März, Mai und Oktober 1962, zu hören sind u.a. Richard Williams, Booker Ervin, Charles McPherson, Jaki Byard, Toshiko Akiyoshi, Henry Grimes, Don Butterfield, Pepper Adams etc. Das Material ist schon seit Ewigkeiten im Umlauf, das obige 3CD-Set ist eine gute Möglichkeit, alles an einem Ort und auf gepressten CDs zu haben – klanglich natürlich recht dürftig und mit einem typischen Booklet, das verspricht, was es nicht hält.)

    Im Januar 1962 wirkte Lateef zudem am Big Band-Album mit, das Ray Brown für Verve eingespielt hat, mit dem Gastsolisten und Star Cannonball Adderley mit. In Ray Browns mittelschnell walkendem Blues „Thumbstring“ (ein Riff-Thema, das er am Bass präsentiert, im zweiten Chorus soliert Adderley drüber, im dritten spielt Brown einen Walking Bass und Adderley soliert weiter, ab dem vierten gibt es Trompeten im Wechsel mit dem Ensemble … und dann Lateef am Tenor, über einen fetten Bass von Brown und einen leichten Backbeat von Johnson. Lateef lässt sich Zeit, baut langsam ein phantastisches Solo auf. Den dritten Chorus leitet er mit einem Triller ein, den er ganz langsam, träge, einen Halbton nach oben gleiten lässt, die Band schiebt ihn zu einem Höhepunkt an, bevor Brown sein Solo spielt. Sehr schönes Stück. Beim Solo in „Two for the Blues“ (die „two“ sind Browns Cello und Adderleys Altsax) bin ich gerade etwas verwirrt … aber das MUSS Lateef sein. Erst dachte ich, es könnte vielleicht Budd Johnson sein, aber der Einstieg ist Lateef und später bei den Multiphonics ist es endgültig klar. Anschliessend ist da auch noch Clark Terry zu hören, der sich von den inflections ‚teefs gerne anstecken lässt (und dann, beim Übergang zurück ins Ensemble schon der zweite hässliche Edit, den ich auf dem Album höre).

    Ein kurzer Überblick über weitere Auftritte als Sideman aus der Zeit, auf die ich hier wenigstens momentan nicht näher eingehen werde (Adderley gibt’s demnächst separat und ausführlicher):

    Ein weiteres Album mit einem Bassisten als Leader gab’s 1959 für Vee Jay mit Paul Chambers. Auf „1st Bassman“ ist Lateef in einer tollen Band mit Tommy Turrentine, Curtis Fuller, Wynton Kelly und Lex Humphries zu hören. Für Vee Jay ensteht zudem noch eine Session mit Bill Henderson, an der Booker Little, Bernard McKinney, Kelly, Chambers und Jimmy Cobb mitwirken und Benny Golson die Arrangements beisteuert.

    Als Flötist ist Lateef auf Doug Watkins‘ einem Leader-Album „Soulnik“ zu hören (Prestige/New Jazz) – eine leider etwas leichtgewichtige Sache mit Hugh Lawson, Watkins am Cello, Herman Wright und Lex Humphries. Ein paar Prisen Lateef-Tenor (oder auch Oboen-Blues) hätten da gut getan.

    Lateef wirkte er zudem 1960 an zwei Alben von Curtis Fuller mit. Auf „Images“ (Savoy) sind zwei zwei Sessions zu hören, eine mit Lee Morgan, Lateef, McCoy Tyner, Milt Hinton und Bobby Donaldson, die andere mit Wilbur Harden, Lateef, Tyner, Jimmy Garrison und Clifford Jarvis. Auf „Boss of the Soul Stream Trombone“ (Warwick) vervollständigen Walter Bishop, Buddy Catlett und Stu Martin die Band.

    Ebenfalls 1960 wirkt Lateef am Candid-Album von Clark Terry mit, „Color Changes“. Dazu schrieb ich im Clark Terry-Thread schon mal ausführlicher.

    Im selben Jahr ist Lateef auch mit Randy Weston im Studio und nimmt an den Aufnahmen zu dessen Album „Uhuru Afrika“ teil, Randy Westons frühem Meisterwerk, für das Lateef natürlich prädestiniert war. In der grossen Band sitzen auch Clark Terry, Richard Williams, Benny Bailey, Freddie Hubbard, Quentin Jackson, Slide Hampton, Budd Johnson, Jerome Richardson, Ron Carter, Max Roach und zahlreiche andere, die Arrangements stammen von Melba Liston.

    1962 taucht Lateef auch bei Slide Hampton auf, als Gast auf „Drum Suite“ (Columbia).

    Auch für Blue Note nahm Lateef an ein paar Aufnahme-Sessions teil: „Grantstand“ (1961) von Grant Green bietet die Gelegenheit, ihn mit Orgel zu hören – mit Jack McDuff ist einer der besten zugegen (und einer, den es auf Blue Note nicht oft gab), am Schlagzeug sitzt Al Harewood. Zudem ist er auf Blakeys „The African Beat“ (1962) zu hören, bei dem auch Solomon Ilori mitwirkt auf dessen eigenen Blue Note-Aufnahmen wiederum ein Hosea Taylor (as, fl) auftaucht, bei dem es sich um den Fagottisten von „The Centaur and the Phoenix“ handelt (der auch auf einem Freddie Hubbard Album zu hören ist).

    Zu Hosea Taylor fand ich gerade das hier:
    http://vimeo.com/70121395
    (Das Video ist nicht mehr verfügbar.)

    --

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    Ich griff oben schon etwas vor … 1961 nahm Lateef drei weitere Alben auf, bevor er zu Cannonball Adderleys Band stiess. Das erste ist eins der verschütteten, die Geschichte von Charlie Parker Records kenne ich nicht im Detail, anscheinend wurde das Label nach Birds Tod von Chan Parker und dem Musikmagnaten Aubrey Mayhew gegründet, mit der Absicht, Parker-Bootlegs heimzuholen. Es erschienen aber auch andere feine Alben auf dem Label, von Cecil Payne, Duke Jordan, Slide Hampton, Cozy Cole und anderen, auch ältere Aufnahmen von Lester Young wurden herausgegeben (ich habe mir nie die Mühe gemacht, herauszufinden was auf den Young- und Parker-Alben genau drauf ist, vermute stark, dass man das alles anderswo findet – und dass auf den CP-Alben bewusst mit Infos gespaart wurde, man wollte ja die Leute zum Kauf animieren). Das ganze Material wurde von Membran in einer Box auf CD vorgelegt, ob sie sich lohnt, weiss ich nicht so recht, ein paar enthaltene Aufnahmen (die beiden Art Pepper-Alben etwa) gibt es auch anderswo und ich habe keine Ahnung, ob CP Records die damals ordentlich lizenziert hatte oder wie das lief … jedenfalls schert sich Membran natürlich nicht darum, das ist klar.

    Das Lateef-Album entstand im August 1961 im Studio von Peter Ind, dem englischen Bassisten, der zum inner circle um Lennie Tristano gehörte. Neben Lateef (ts) sind Vincent Pitts (t), John Harmon (p), RayMcKinney (b) und George Scott (d) zu hören, acht kürzere Stücke stehen auf dem Programm, Parkers „Dexterity“ ist mit sechs Minuten das mit Abstand längste. Von Parker ist auch noch „Big Foot“ zu hören, zudem Coleman Hawkins‘ „Soul Blues“ (von dessen tollem Album „Soul“) und „Introlude“ von einem R. Baker. Wer diese Leute sind, weiss ich nicht, aber eine rasche Recherche zeigt, dass Pianist John Harmon (die CD nennt ihn „Hormon“) wohl noch lebt (und coolerweise in Oshkosh geboren ist):
    http://www.npr.org/templates/story/story.php?storyId=98477739

    Zu Vincent Pitts gibt es eine minimale MySpace-Seite, auf der die Jahreszahlen 1935-1990 angegeben werden, vermutlich stammte er aus St. Louis. Pitts wurde zusammen mit dem mir ebenso unbekannten Altsaxophonisten Tony Vaughan in einer Pause hinter dem Mellow Cellar Club, in St. Louis, Missouri von William Claxton photographiert (1961 in „Jazzlife“ publiziert):

    Zu Drummer George Scott kann ich kaum etwas finden, der Name ist zu geläufig. Allmusic sagt, er spiele auf Mingus‘ „Pre Bird“ mit (s.o.), wie auch auf Freddie McCoys Funk Drops … dafür fehlt der Credit für „Lost in Sound“, da gibt Allmusic neben Leader Lateef nur einen weiteren Musiker an, Clifford Jarvis (d), der auf sechs der acht Stücke zu hören ist (Scott spielt auf „Blue Rocky“ und „Train Stop“), aber auch das unterschlagen die Angaben auf der CD … die Composer-Credits sind auch unklar, es steht fast überall (auch bei „Big Foot“) Lateefs Name, Allmusic nennt aber überall Pitts, gibt jedoch für „Big Foot“ korrekterweise Parker an (und das ist auch die Variante von Fresh Sound – keine Ahnung, ob deren CD-Ausgabe nützliche Liner Notes enthält).

    Obwohl eines der Pitts-Stücke „Trudy’s Delight“ heisst, gehe ich davon aus, dass eine mögliche Verbindung von Vincent Pitts zu Trudy Pitts, der vor ein paar Jahren verstorbenen Organistin, eine falsche Fährte wäre (sie kam aus Philadelphia und war seit den Fünfzigern mit „Mr. C“ liiert). Vielleicht findet redbeans ja mehr dazu heraus, falls er das liest?

    Der bekannteste der Gruppe neben Leader Lateef ist wohl Bassist Ray McKinney, aus der schon im Zusammenhang der letzten Savoy-Alben erwähnten McKinney-Familie. Hier findet sich ein längeres Portrait über ihn:
    http://www.detroitmusichistory.com/ray-mckinney.html

    Die Musik macht jedenfalls Spass, die Rhythmusgruppe funktioniert bestens, McKinney erdet alles, das Piano ist nicht sehr präsent, Lateef dafür in guter Form und durchweg am Tenor zu hören, Pitts‘ Trompete ist ein gutes wenngleich leichtes Gegengewicht, die Show gehört Lateef und er verlässt sich ganz auf die Rhythmiker, von denen McKinney wirklich gut spielt. Für Pitts waren das hier wohl die „15 minutes of fame“.

    Das nächste Album ist wieder ein ganz grosser Klassiker: „Eastern Sounds“ (Prestige 7319). Ich habe mir die Veröffentlichungsgeschichte gar nie genauer angeschaut, aber anscheinend ist er zuerst als auf dem Moodsville-Sublabel erschienen (Moodsville MVLP22), manchmal wird es auch „Eastern Moods“ genannt, aber ein Cover mit dem Titel fand ich nicht. Auf Prestige erschien es dann anscheinen 1963 wieder. Warum das Cover manchmal gelb (orange?), dann rot und schliesslich blau ist, weiss ich auch nicht – da müsste es noch weitere Ausgaben geben, oder das war einer der Fälle, in denen in den späten Sechzigern oder den Siebzigern bei Reissues das Cover leicht abgeänder wurde (es gab da bei Prestige auch stärkere Eingriffe, oft sogar komplett neue Cover).

    Der Opener heisst „The Plum Blossom“ und Lateef spielt eine simple Melodie über die Rebab von Rückkehrer Ernie Farrow, etwas Percussion von Lex Humphries und Piano-Akzente von Barry Harris. Das Instrument, das Lateef spielt ist eine tönerne „globular flute“ auch China, eine Art Ocarina wohl. Joe Goldberg in den Liner Notes: „The instrument is, in Lateef’s words, ‚about the size and shape of a grapefruit, with a hole on top and five holes scattered promiscuously on the surface.‘ The instrument has only a five not range and has a sound similar to that obtained by blowing into a pop bottle.“ Was Lateef damit anstellt ist ein kleines Meisterstück, fünf Töne reichen ihm. Barry Harris spielt in der Mitte des immerhin fünfminütigen Stückes ein schönes Solo – the mood is set.

    „Blues for the Orient“ öffnet mit einem Pedal Point von Farrows Bass, dann steigt Lateef ein, an der Oboe natürlich. Anfangs ist sein Sound noch feiner, weniger druckvoll als gewohnt. Die Chorusse werden abwechslungsweise über den Pedal Point und über einen swingenden 4/4 der ganzen Rhythmusgruppe gespielt. Lateef baut ein tolles Solo auf – ein Höhepunkt des Albums, fraglos! Die Pedal Point-Passagen nutzt er, um arabisch klingende Linien zu spielen, mit der Intonation etwas lockerer umzugehen, als das Klavier es wohl erlauben würde. Harris öffnet sein Solo mit pentatonisch klingenden Linien, ist aber gewiss im 4/4 mehr daheim. Nach einem kurzen Solo Farrows spielt Lateef nochmal das Thema über den Pedal Point.

    Das dritte Stück, „Chinq Miau“, ist gemäss Goldberg nach einer Chinesischen Skala benannt. Das kurze Stück ist im 5/4-Takt, Lateef spielt Tenor – ein äusserst souveränes Solo. Am Tenor und mit noch mehr Autorität geht’s weiter in „Don’t Blame Me“, dem einzigen Standard der Platte. Barry Harris‘ Klavierintro setzt den Ton – eine verlorene Kunst, diese kurzen Intros, die die Bebopper drauf hatten. Lateef spielt das Thema, umspielt es, liebkost es – aber das Highlight setzt wohl Harris mit einem phantastischen Solo.

    Die zweite Hälfte des Albums öffnet mit Alex Norths „Love Theme from ‚Spartacus'“, das Lateef über einem ebenmässigen 3/4-Beat an der Oboe präsentiert. Ein wunderbar nostalgisches Stück, das in Lateefs Händen doch zu viel mehr als etwas Exotica wird – er macht Gebrauch von den harmonischen Implikationen und die Rhythmusgruppe erwacht langsam zu Leben – Harris‘ Solo zu Beginn mochte man noch kaum als solches betrachten, so eng hält er sich an die Struktur, aber Humphries baut mit Lateef zusammen behutsam auf und dan wieder ab, Farrow fällt am Ende in einen Pedal Point, über dem die Oboe das Stück ausklingen lässt.

    „Snafu“ ist ein Tenor-Feature, das an die Hardbopper erinnert – an Rollins, aber auch an Coltrane. Über einen Latin-Beat präsentiert Lateef das Thema, Harris wirft catchy Akkorde ein, der Beat wird auch im Solo durchgehalten, Humphries überzeugt (anderswo, bei Donald Byrd oder Duke Pearson, fand ich ihn nie so wirklich toll … muss ich mal wieder nachhören, der Mann spielte ja auch bei Sun Ra …). Das Stück wird durch den Vamp und den Latin Groove ziemlich repetitiv, aber das ist ja einer der vielen Reize von Lateefs Musik und auch Harris hat kein Problem, in seinem Solo auf diesem Groove aufzubauen – obwohl er doch so gar kein Groover war (in Lee Morgans „The Sidewinder“ macht er seine Sache allerdings auch sehr, sehr gut).

    Es folgt „Purple Flower“, eine Ballade mit Lateef am Tenor – das Thema besteht aus wenigen Tönen, Harris improvisiert kurz, Farrow spielt wieder fast nur Pedal Points. Sehr, sehr schön! Alfred Newmans „Love Theme from ‚The Robe'“ präsntiert Lateef an der Flöte – die man nach all dem Tenor (und der gelegentlichen Oboe) fast schon etwas vergessen hat. Aber das wäre ein Fehler, Lateef gehört definitiv zu den allerbesten Jazzflötisten. Hier spielt er das Thema, luftig, leicht, wieder über einen sparsamen Bass und einen eingängigen Groove von Humphries. Harris spielt ein weiteres tolles Balladensolo, weniger kantig als jenes in „Don’t Blame Me“, aber unglaublich reich an Farben. Lateef steigt dann mit seinem Solo ein, Harris hält sich sehr zurück, Farrow trägt die Flöte quasi auf Händen. Diese Miniaturen – zugleich so spontan und so durchdacht, so ausgeklügelt – faszinieren mich an Lateefs Musik immer wieder, die Perfektion aus dem Geist der Improvisation.

    Als Closer ist noch ein orientalisches Stück zu hören, „The Three Faces of Balal“, der Frau und den Zwillingen eines Freundes von Lateef gewidmet. Farrow greift zur Rebab, Lateef spielt weiterhin Flöte, Harris und Humphries bieten Einsprengsel, einzelne Piano-Töne, Cymbeln, Triangel etc, während Farrow für einen eingängigen Groove sorgt. Dann übernimmt Harris von Lateef und spielt ein Solo aus abgehackten Phrasen, die sich mit dem Groove Farrows verzahnen, Humphries setzt ganz aus und lässt die beiden im Duo spielen, bis Lateef nochmal übernimmt. Das Stück endet dann mit Farrow und dem Groove, der sich ins Nichts verliert. Damit endet ein grandioses Album – Musik für die Insel!

    Das letzte Album vor der Adderley-Pause zeit Lateef gleich noch einmal in allerbester Verfassung. „Into Something“ erschien auf dem Prestige-Sublabel New Jazz (NJ 8272) und präsentiert Lateef im Trio mit Herman Wright und Elvin Jones sowie im Quartett mit denselben und erneut Barry Harris. Aufgenommen wurde es Ende Dezember 1961, wie üblich in Rudy Van Gelders Studio.

    An der Oboe öffnet Lateef das Album mit „Rasheed“ (den Namen seines damals achtzehnjärigen Sohnes). Das Stück ist – wie so oft, wenn Lateef zur Oboe greift – ein zwölftaktiger Blues. Nach Lateef ist auch Harris mit einem feinen Solo zu hören. Das nächste Stück ist das erste im Trio, „When You’re Smiling“, das über einen bouncenden Half-Beat von Wright am Tenor vorgestellt wird. Elvin Jones ist schon im Thema ziemlich geschäftig, macht das aber sehr zurückhaltend. Nach Lateefs Solo gibt es ein paar Runden Fours mit Elvin. Den Oldie, den Lateef durch seinen Vater kennengelernt hatte, nahmen u.a. Louis Armstrong, Nat Cole, Louis Prima, Billie Holiday, Frank Sinatra oder Patti Page auf.

    Lateefs zweites Original trägt den Titel „Water Pistol“. Nat Hentoff zitiert Lateef in den Liner Notes: „I think it has a happy sound, the kind of happiness connected with childhood. And so I named the tune after a toy. […] I like to play about thoughts, feelings and images that are close to people,“ Yusef explains. „Music, after all, isn’t something separate from the rest of your life. It’s an extension of who you are all the time.“ Auch hier ist Lateef am Tenor zu hören, wieder im Trio, das Tempo ist schneller und Elvin etwas präsenter als zuvor, er gibt dem Stück einen tollen Boden, Lateef spielt mit seinem Ton – streckenweise erinnert er hier etwas an Sonny Rollins … aber solche Vergleiche hat Lateef nicht nötig, er spielt mit ebensoviel Autorität wie sein Kollege, der zu dieser Zeit gerade in einem seiner Sabbaticals war. Wieder folgen auf Lateefs Solo kürzere Passagen von Jones und Lateef im Dialog. Das Stück erinnert eben auch kompositorisch an Rollins … „Oleo“ von 1954 mit Miles stand wohl Pate (zu hören auf „Bags‘ Groove“, Prestige PR 7109).

    Den Abschluss der ersten Seite markiert der Standard „You’ve Changed“, bei dem Barry Harris wieder dazustösst. Lateef spielt das Thema mit aller Zeit der Welt, seinen Ton am Tenor hält er schlank, im Fokus auf die Linien wird hier wieder Lester Youngs Einfluss spürbar. Harris hat die Aufgabe, das Stück auszuschmücken, ihm gehört auch das erste Solo nach der Darbietung des Themas, an dem er sich eng anschmiegt. In „I’ll Remember April“ kommt im Thema der übliche Latin Vamp zum Einsatz – mit 4/4 in der Bridge und später in den Soli. Lateef spielt Flöte und streut ein paar leich exotische Töne in sein Solo ein. Harris folgt, Jones hält den Puls leicht, spielt aber einmal mehr ziemlich viel und treibt an, während Wright das Fundament legt und einen feinen Walking Bass spielt. Die Fours werden hier zwischen Jones und Harris ausgetragen, für das abschliessende Thema kehrt der alte Vamp zurück (das ist wie bei „Star Eyes“ … irgendwie scheint es kein Entkommen zu geben, EIN Arrangement, das alle benutzen – aber Lateef hat durch die Flöte den Vorteil, dass es dennoch nicht abgelutscht klingt … und seine Begleiter sind naütrlich erstklassig).

    „Koko’s Tune“ ist dem Detroiter Tenorsaxophonisten Kenneth Winfred gewidmet, einem damals bereits verstorbenen Freund Lateefs. Das Stück ist das dritte, das ohne Piano gespielt wird und Jones ist einmal mehr klasse und Lateef spielt mit seinem Sound, mit Trillern, Growls, Zwischentönen – man wünscht sich, wenn man diese Aufnahmen hört, dass es mal einen Live-Mitschnitt dieser Gruppe gegeben hätte! Der stünde gewiss direkt neben „A Night at the Village Vanguard“ von Sonny Rollins … nunja, träumen darf man ja immer.

    Den Abschluss macht dann „P Bouk“, eine altbekannte Groove-Nummer aus Detroiter Tagen, auch hier ist Lateef am Tenor zu hören und Elvin Jones läuft zu Hochform auf. Ein sehr schöner Abschluss für ein tolles Album, das sehr anders ist als der unmittelbare Vorgänger, gradliniger, jazziger – wie Cover und Titel suggerieren.

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    „We’ve made a live album in New York because for some reason we have never really felt the kinda thing that we wanted to feel from the audience – which has nothing to do with acceptance, applause, or appreciation. It’s the atmosphere. You know you get a lot of people who are supposed to be hip, you know, and they act like they’re supposed to be hip, which makes a big difference – you see what I mean?“

    Das ein Auszug aus Cannonballs wie üblich launischen, zwei Minuten langen Ansage, mit der das Album „The Cannonball Adderley Sextet in New York“ (Riverside RLP 9404) öffnet. Dann geht es aber auch gleich zur Sache – Cannonball takes charge, und lässt es in Jimmy Heaths „Gemini“, einem Stück im 3/4-Takt, gleich krachen mit einem bluesigen Solo. Nat folgt, dann Lateef (der im Thema an der Flöte zu hören ist) mit seinem ersten Solo im Adderley-Umfeld – und man kommt schlecht umhin, es programmatisch zu deuten. Ein erdiges, langsam konstruiertes Solo am Tenorsaxophon, das schnell an Fahrt gewinnt und vom Ton ebenso sehr lebt wie vom rhythmischen Impetus, dem unwiderstehlichen Swing, wie von den eigentlichen Linien, die oft sehr einfach gehalten sind, von einer grossen Stringenz. Nach Lateefs Solo folgt ein shout chorus (wo sind die eigentlich abgeblieben? oben erwähnte ich ja gerade die kurzen Piano-Intros … zwei vergessene, verlorgengegangene Künste), dann übernimmt Joe Zawinul, nicht so eingängig funky wie Bobby Timmons, der bei den Adderleys das 3/4-Tempo eingeführt hatte, aber dafür hat er in anderer Hinsicht mehr zu bieten. Sam Jones und Louis Hayes waren zu diesem Zeitpunkt schon mehrere Jahre das Rhythmusgespann der Bands der Adderley Brüder und haben die Sache stets komplett im Griff. Dieses Fundament ist bei der Art von Jazz von äusserster Wichtigkeit und Jones/Hayes machen wirklich durchs Band weg einen phantastischen Job, von Beginn an.

    Das zweite Stück stammt von Lateef, „Planet Earth“, wieder schnelles Tempo, Lateef wieder am Tenor und Cannonball mit dem ersten Solo. Die anderen Bläser setzen zwischendurch zu Begleit-Riffs an – neue Töne im Umfeld der Adderley Band, die durch die Erweiterung zum Sextett so erst möglich werden. Wieder folgen Nat und dann Lateef am Tenor, bei ihnen sind jeweils andere Begleit-Riffs zu hören. Die Rhythmusgruppe kocht. Kochend und einmal mehr im schnellen 4/4 öffnet die zweite Seite des Albums mit Ernie Wilkins‘ „Dizzy’s Business“, in dem Adderley schon über das Riff-Thema soliert – das Stück entstand für die Big Band Dizzys der Jahre 1956/57. Dann folgt Lateefs „Syn-Anthesia“ – und endlich kann man mal mehr als nur rasch nach Luft japsen – die Scheibe ist bis dahin echt intensiv und schnell. Lateef spielt in seinem Stück Oboe, Sam Jones einen der patentierten ‚teef’schen Pedal Points, während Hayes trommelt. Die Reihenfolge der Soli bleibt gleich: Cannonball, Nat, Lateef (auch im Solo an der Oboe) … aber das Stück ist im Adderley-Kontext etwas völlig Neues.

    Auch Zawinuls „Scotch and Water“ wird von Cannonball angesagt: „We’re going to play a tune written by Joe Zawinul, our pianist, a tune named about a subject that he is expert – it’s called ‚Scotch and Water‘ …“ – das eingängige Thema wird über einen Half-Beat von Jones und einen lockereren Swing von Hayes vorgestellt. Das Stück ist eine Kreuzung aus zwölftaktigem Blues und AABA-Form: die A-Teile entsprechend der Blues-Form, dann folgt eine achttaktige Bridge über einen Pedal Point, in dem der Solist neuen Schub für die abschliessenden zwölf Takte gewinnt. Neben Adderley ist hier Zawinul als einziger Solist zu hören. Dann folgt zum Abschluss „Cannon’s Theme“ von Sam Jones. Nach der Präsentation des Themas sagt Cannonball über einem Solo von Nat die Band ab, dann folgt nochmal Lateef am Tenor.

    Ohne hier auf die vorangegangenen Adderley-Alben einzugehen muss ich doch betonen, dass ich in Lateef eine grosse Bereicherung höre. Klar, Zawinul war wohl der wichtigste Mann, wenn man nach vorne schaut, die Zeit des nachfolgenden Quintetts, des Fender Rhodes …. aber wenn man das nimmt, was man damals zum Vergleich hatte, die tollen Line-Ups der Working Band, vor allem mit Bobby Timmons und Victor Feldman, dann wird doch klar, dass die dritte Stimme eine Erweiterung mit sich bringt, die nicht unerheblich ist, auch in den boppigen Nummern und den bluesigen Hardbop-Krachern.

    Im August 1962 spielte Adderleys Sextett in Comblain-La-Tour in Belgien am Festival, das 1959 von einem GI ins Leben gerufen wurde und bis 1966 ein paar der ganz grossen Stars des Jazz präsentierte: John Coltrane, Bill Evans, Ray Charles, Bud Powell, Stan Getz, Woody Herman, Nina Simone … aber auch zahlreiche Europäer, auch Bands und Musiker aus den osteuropäischen Ländern, darunter die polnische Sängerin Wanda Warska und der Saxophonist Zbigniew Namyslowski. Zudem traten massenweise Dixieland-Kapellen aus allen Ländern Westeuropas auf. Das Festival war das erste grosse Open-Air Jazzfestival Europas und wurde als eines der ersten im Fernsehen übertragen.

    Joe Napoli, der GI aus Brooklyn, kämpfte 1944 in der „Battle of the Bulge“ und kam im Dezember 1944 auf der Suche nach etwas Linderung nach Comblain, wo er von Fremden mit viel Freundlichkeit aufgenommen wurde. 1955 kehrte er zurück und als er 1959 hörte, dass das Städtchen Geld benötigte, um seine Kirche wiederaufzubauen, hatte er – inzwischen im Musikbusiness tätig – die Idee, ein Jazzfestival zu gründen.

    1962 waren in Comblain u.a. zu hören: Franco Ambrosetti, Fud Candrix, Lou Bennett, Sylvie Vartan, Jacques Pelzer mit René Thomas, Daniel Humair und Benoît Quersin, Herb Geller mit Kenny Drew, das Doldinger Quartett, Tony Kinsey, Fats Sadi, Jacques Sels und viele andere. 42’000 Menschen strömten in die Ardennen, das belgische Radio und Fernsehen waren vor Ort, ebenso wie das American Forces Network. Adderley war der grosse Star des Festival und sein Konzert wurde im Raido und im Fernsehen gesendet.

    Das Bild stammt von hier, wo die ganze Festival-Broschüre und haufenweise Material zum Festival einzusehen ist:
    http://adalen.jimdo.com/jazz-comblain-1959-1966/#Comblain_1962

    Nat Adderley
    When we went to Comblain-La-Tour it was a major trip for us. People think that when a group is successful it all becomes a matter of course, but I’d like to be able to get across some of the excitement we felt in going to Belgium on this particular tour. As Cannon mentions on the record, the number of people there – thrity to forty thousand – was far more than any audience we had played for before. It was much bigger than the Newport Festival, and the other festivals were not really established back then. It was a seriously big deal.

    So schreibt Nat in seinen rücklickenden Liner Notes zum Album, das in Europa als Riverside 9499 erschien. Es gehörte später zu den sieben Alben, die Cannonball mitnahm, als er zu Capitol wechselte. Orrin Keepnews gab sie (auf CD und LP) in den Achtzigern auf Landmark neu heraus (1987 in diesem Fall, und von der Ausgabe stammen Nats Erinnerungen), in den Nullerjahren erschienen sie dann alle erneut bei Capitol (bzw. Blue Note). (Die anderen sechs Alben sind: Cannonball Takes Charge, Them Dirty Blues, At the Lighthouse, And the Poll Winners, Cannonball’s Bossa Nova, Jazz Workshop Revisidted)

    Nat berichtet auch, dass sie zehn Tage in Europa waren, dass die Ehefrauen dabei gewesen wären und dass er das alles noch so genau wisse, weil er zum ersten Mal Sauce béarnaise zu seinem Steak gehabt habe.

    Nat Adderley
    Things were working out very well for the band then. We were in the midst of a major period of growth and development, and it was exiting just to be there and play together, and check things out. It was a pleasure, wherever we were playing. Brother Yusef was a major addition. He had been in the band for only a matter of months at the time and we were all very happy with Yusef. He was always going in another direction, always giving us something else to look for. Cannon was amazingly on top of thing – and you never knew what he was going to do next. Sam and Louis had become one of the outstanding rhythm teams in jazz, and Joe Zawinul was just at the point of moving from the Bud Powell-esque he had been to all those things he was going to do so very well. He hadn’t quite gotten there yet, but he was moving in the right direction.

    I’d like to emphasize that this group had three horns who could really articulate together. That’s never been the easiest thing, and in younger groups today there is sometimes great difficulty in tonguing the notes together. But we all seemed to have come from the same background. Yusef fit right in with Cannon and me in terms of approach to our instruments, and when you listen to this record it’s really very obvious that we had a remarkable group for playing ensembles in the proper perspective.

    The band was a tight-knit unit in all respects by this time, and the programm we played that day was pretty typical. I think Brother Yusef’s „P. Bouk“ was relatively new. Jimmy Heath’s „Gemini“ had been recorded a few months earlier, but by now we really had it together. „Work Song“ we always played. It had such great popularity all over the world that we coudln’t avoid it; but of course it had originally been done by the quintet and this was a new version. „Trouble in Mind,“ the Lateef tour-de-force on oboe, was always one of my favorites. Playing the blues on oboe was such a unique thing – that great wailing sound – and of course Brother Yusef put serious sensitivity into whatever he did. We had been playing „Dizzy’s Business“ for a while by then, and the technical aspect of articulating those notes was getting easier and easier for us, so it was beginning to speed up and was really breaking into something.

    Viel mag ich nach diesen so zutreffenden Sätzen aus viel berufenerem Munde gar nicht mehr sagen; die Punkte betreffend die Artikulation und die Rhythmusgruppe Jones/Hayes sind zentral. Ebenso die Funktionsweise der Band, dass z.B. jeder Solist leicht anders begleitet wird, dass Zawinul, Jones und Hayes stets hören, dass die Musik teils in unterschiedliche Abschnitte strukturiert ist (Pedal Points, wechselnde Rhythmen etc.), dass die anderen Bläser den jeweils solierenden mit kleinen Riffs unterstützen … alles alte Schule, alles grossartig gemacht.

    Das Album fängt gleich mit einem Höhepunkt an, „P. Bouk“ von Lateef, für die Adderleys neu (für Lateef natürlich nicht), aber das macht gar nichts, die Musik fängt sofort Feuer. Jimmy Heaths „Gemini“ folgt, in einer Version, die in meinen Ohren jene aus dem Vanguard locker toppt (das lässt sich aber für das ganze Album sagen, meiner Meinung nach – „Cannonball in Europe!“ ist eins meiner allerliebsten Adderley-Alben), Nat endet sein Solo in „Gemini“ mit einem Zitat von „My Favorite Things“. Den „Work Song“ liebte ich schon immer (allerdings v.a. die Version von „Nippon Soul“, das war auch zugleich die erste, die ich hörte, mit diesem tollen Solo-Intro Cannonballs!) und wie Hayes ihn hier kickt ist klasse. Nat Adderley macht richtig Dampf, Zawinul wird in der Tat langsam funky. Dann allerdings folgt der granz grosse Höhepunkt des Albums: Lateef an der Oboe, allein mit der Rhyhtmusgruppe in „Trouble in Mind“. Einer der ganz grossen Momente in Lateefs Diskographie und der Höhepunkt eines phantastischen Konzertes. Zum Abschluss gibt’s das erwähnte, schneller gewordene „Dizzy’s Business“ – das Arrangement legt noch eine Beobachtung nahe: Adderley beherrschte die Kunst, seine Combo – zumal in Sextett-Besetzung – wie eine kleine Big Band klingen zu lassen. Auch das alte Schule, man denke an James Moody oder Illinois Jacquet.

    Im September 1962 war das Adderley Sextett im Jazz Workshop in San Francisco – wo Cannonball seine eigene Band vor wenigen Jahren zum ersten Mal aufgenommen hatte und mit dem entstandenen Album „In San Francisco“ für Aufsehen sorgte. Wally Heider war zur Stelle, um das Sextett aufzunehmen. Drei Stücke vom 21. September erschienen auf der postumen LP „The Sextet“ (Milestone 9106), die auch zwei Stücke enthielt, die im folgenen Jahr in Japan mitgeschnitten wurden.

    „Never Say Yes“ und „Old Delhi“ waren beide auf kurz zuvor erschienenen Adderley-Alben, „Peter and the Goat“ wurde gmäss Keepnews‘ Liner Notes von 1982 damals in Erwägung gezogen, aber am Ende doch übergangen. Keepnews schreibt, das Stück sei „Yusef’s depiction of the night a friend got drunk and retinted a small herd with red paint“ – se non è vero …). Die drei Stücke sind jüngst auf der CD „Dizzy’s Business“ (Milestone) erschienen, die auch nach dem Abgang von Fantasy in Europa wieder erhältlich war (vielleicht noch ist, auf der nutzlosen jazzecho.de-Seite ist das ja nicht so einfach herauszukriegen, einen Künstler-Eintrag zu Adderley findet man nicht, obgleich gewiss diverse CDs lieferbar sind).

    „New Delhi“, das letzte Stück, eine Komposition von Victor Feldman, dem Vorgänger Zawinuls, ist allerdings definitiv ein Zugewinn, da das Thema sich perfekt für Lateefs Flöte eignet und die Rhythmusgruppe das Stück swingt. Lateef ist hier – endlich – auch mit einem ausgewachsenen Flötensolo im Rahmen der Adderley-Band zu hören. Cannonball selbst ist hier nur mit kurzen Passagen im Thema zu hören, nach Lateefs langem Flötensolo folgen Nat und Zawinul.

    Den drei Stücken fehlt das Feuer, das aus dem Konzert in Comblain ein so spezielles Ereignis machte. Wie im Vanguard spielt man vor einer vermutlich hippen (oder sich so benehmenden, als wäre sie hip) Gruppe von Zuschauern, nicht vor Zehntausenden Fans, die auf der von tagelangem Regen durchnässten Wiese eines Bauernhofes in einem Belgischen Kaff sitzen und warten, bis Opener Frankie Avalon endlich ab- und das Adderley Sextett auftritt. Vielleicht merkt man das auch der Musik selbst an – dass sie etwas tougher ist als in Belgien (oder später in Japan), eine Spur weniger frei, nicht in der Anlage oder Ausgestaltung, sondern in der Herangehensweise, der Einstellung der Band? Vielleicht erklärt das auch ein wenig, warum das an den beiden folgenden Tagen eingespielte Album – mir zwar sehr viel länger als „In New York“ bekannt – bei mir nie so sehr einschlug, wie erhofft.

    Auch „Jazz Workshop Revisited“ (Riversie 9444) gehört zu den Alben, die Adderley zu Capitol mitnahm und die Keepnews dann auf Landmark neu vorlegte, in diesem Fall mit einem Bonustrack, Sam Jones‘ „Unit 7“ (dem Theme-Song der Band, der selten in voller Länge zu hören war), eingebettet zwischen zwei kurzen Ansagen Adderleys, mitten ins Album placiert. Die Aufnahmen enstanden am Samastag 22. und Sonntag 23. September 1962. Die drei Stücke vom 21. waren gemäss Keepnews‘ Liner Notes zur Landmark-Ausgabe (1989) am dritten von insgesamt fünf Abenden mitgeschnitten worden – allerdings schreibt Keepnews auch, dass erst in Laufe des Samstags Performances zustande kamen, die veröffentlichungswürdig waren (das hatte er sich ja allerding schon ein paar Jahre früher etwas anders zurechtgelegt).

    Zum Auftakt gibt es eine tongue-in-cheek-Publikumsbeschimpfung Cannonballs: „Tell you what: We’re going to play something especially for you … because we think that we can communicate this kinda thing to most of you … you see, the name of this tune is ‚Primitivo'“. Mit diesem Stück aus Cannonballs Feder öffnet das Album. Lateef spielt ein unbegleitetes Flötenintro mit fernöstlichen Anklängen, Jones legt einen gestrichenen Drone-Bass drunter, der den Groove anklingen lässt, dann steigt Hayes ein, schliesslich Zawinul, bevor Cannonballs Altsaxophon in einen Dialog mit der Flöte tritt, aus dem sich das Thema (Altsaxophon mit Trompeten/Piano/Drum-Punktuation) über dem Bass von Jones entfaltet. Ich vermute sehr, dass ein solches Stück von Cannonball erst durch Lateefs Präsenz möglich wurde. Dieser spielt einzelne Töne hinter Cannonballs Solo, die nach der „globular flute“ oder Ocarina klingen … doch dann greift er zur Oboe und spielt das zweite Solo, während der Beat unterhalt stets weitergeht, monoton, eingänig, hypnotisch. Ich vermute stark, das ganze Stück beruht auf einem einzigen Akkord. Nat öffnet sein Solo mit locker und flächig dahingespielten Tönen, bevor er den Ton verengt und ihm seinen typischen Biss gibt. Das Riff, das Cannonball und Lateef unter ihm repetieren, gibt ihm neuen Schub, Hayes macht sich immer deutlicher bemerkbar. Zawinul folgt mit einem funky Solo voller Dissonanzen und Reibungen … und die Bläser präsentieren das nächste funky Riff, aus dem Adderleys Stimme sich dann sogleich wieder erhebt, um ins Thema zurückzuführen. Eine tolle Performance … wenn ich die nach Jahren wieder höre, frage ich mich, warum ich mit diesem Album je etwas Mühe hatte – allein der Opener ist umwerfend (und später gibt’s ja noch den „Jive Samba“).

    „Jessica’s Day“ (angeblich) von Quincy Jones wirkt danach recht konventionell, aber wie das Arrangement von „Dizzy’s Business“ ist auch das hier raffiniert gemacht und lässt die Band grösser klingen als sie ist – und Nat spielt ein sehr tolles Solo. Lateef ist allerdings leider etwas weit vom Mikro weg und man hört sein tolles Solo (mit multiphonics nicht sehr gut). Zum Ausklang gibt es einen tollen shout chorus mit fettem Backbeat und nochmal ein paar Takte von Cannonball – auch wenn das auf den ersten Blick nicht nach besonders viel klingt: das ist wieder eins der Stücke, an dem sich die Klasse dieser Band ablesen lässt. Die erste Albumhälfte endet mit „Marney“ von Donald Byrd, der es 1963 in einer Studio-Session für Blue Note unter Jackie McLean eingespielt hat (ein tolles Quintett mit Herbie Hancock, Butch Warren und Tony Williams, die Session erschien als „Vertigo“, Blue Note LT-1085). Nat spielt erneut ein klasse Solo, dann folgt Lateef am Tenor, Hayes treibt an, aber Lateef ist wieder eine Spur zu leise, leider. Dann folgt das Bonus-Stück, eine vollständige Version von Sam Jones‘ „Unit 7“, eine swingende 4/4-Nummer mit guten Soli von allen.

    Die zweite Plattenseite beginng mit „Jive Samba“ über einen leichten Bossa-Beat von Hayes, aber mit einem eher soulig-erdigen und äusserst einfachen Bass von Jones, der mit Bossa wenig am Hut hat. Adderley spielt das erste Solo, sehr soulig, rauht seinen Ton auf, fällt in die typischen superschnellen Läufe und mit einer Lockerheit zurück in funky Riffs, dass es eine Freude ist. Nat ganz ähnlich – die beiden waren wirklich echte Soul Brothers. Die Begleitungen der andere Bläser werden mal wieder variiert. Lateef folgt dann an der Flöte – live vermutlich längst keine ungewöhnliche Sache für das Adderley-Publikum, aber das hier war wohl sein erstes Flötensolo, das man damals auf Platte hören konnte (1963). Zawinul ist dann einmal mehr sehr funky. Aus dem Stück machte Keepnews auch eine Single – er verwandte den letztne Chorus, in dem das Publikum besonders laut zu hören ist … nicht wegen der Musik jedoch, wie er in seinen Liner Notes von 1989 schreibt, sondern „in response to a bouncer attempting to remove from a front table a fan who had come barreling into the club during the last set without stopping to pay the door charge!“ Das Ding ist wohl der erdigste Bossa, den man damals haben konnte … aber eben auch gar kein richtiger Bosssa.

    Nach diesem Knaller muss etwas ganz anderes kommen – und das ist eine Ballade von Sam Jones namens „Lillie“, die Nat am offenen Kornett präsentiert, wieder mit ziemlich flächigem Ton, während Cannonball und Lateef (wieder an Flöte) Triller drunterlegen und Jones das ganze trägt. Nat ist bezaubernd, sein Ton sicher aber zugleich verletzlich. Zawinul spielt ein paar Takte, sonst gehört das Stück ganz Nat. Den Abschluss macht dann „Mellow Buno“ von Lateef, eine Variation über „In a Mellow Tone“, catchy und satt swingend. Adderleys Solo erinnernt zu Beginn schwer an Lateef, es macht den Eindruck, als habe er nicht nur im Allgemeinen sondern ganz konkret was das Saxophonspiel betrifft, das eine oder andere übernommen. Das Stück demonstriert einmal mehr, wie toll die Band zusammen funktionierte, Lateef ist zwar erneut etwas zu leise, aber sein Solo ist grandios. Zawinul spielt dann wie schon im Intro die Ellington-Karte, gibt aber ein paar Prisen Funk und etwas Zawinul hinzu, sowie mehr denn eine Prise des Lateef’schen Humors, der schon dessen Solo geprägt hat. Mit einer halbminütigen Ansage Cannonballs über mehr swingendes Tenor Lateefs („Unit 7“ natürlich) endet ein tolles Album, das insgesamt wohl etwas im Schatten des phantastischen Openers „Primitivo“ steht, aber nichtsdestotrotz zu Adderleys schönsten gezählt werden darf.

    Hier das Cover der CD, auf der die LP „The Sextet“ enthalten ist:

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    Auch 1963 war Lateef noch in Cannonballs Sextett … und das Konzert vom 24. März in Lugano, im Auditorium des RSI, zeigt die Band wieder in Höchstform und in insgesamt lebendigerer Stimmung als im Jazz Workshop. Der Mitschnitt erschien Mitte der Neunzigerjahre als Vol. 3 der „Swiss Radio Days Jazz Series“ von TCB Records.

    Jones‘ „Jessica’s Birthday“ wird als stürmischer Opener gegeben, Shout-Chorus, Bläser-Backings in den Soli … das Sextett wird zu einer kleinen Big Band in diesen Arrangements. Dann folgt der „Jive Samba“, der auch etwas sicherer wirkt als im Jazz Workshop. Die Soli sind phantastisch, der Bass-Groove von Jones etwas lebendiger, beweglicher – und Lateefs Flötensolo ist klasse, wie er sich mit den Backings der Adderleys verzahnt, in die Flöte sings, einfachste Riffs aus ganz wenigen Tönen spielt … Zawinul ist inzwischen im Funk angekommen, das wird schon nach ein paar Akkorden klar. Dennoch hat er weiterhin einen sehr feinen Anschlag und einen nuancierten Touch, der manchmem Hardbopper ein wenig zu fehlen scheint. Nach seinem Solo folgt ein kurzes Duett mit Sam Jones (bald sollten sie auch ausgewachsene Duette spielen), in dem Zawinul eine Art Montuno-Riff spielt, und Hayes langsam aufbaut, um die Bläser zurückzuholen. Der Schluss gehört dann ganz Jones.

    Weiter geht’s mit „Bohemia After Dark“, einer alten Nummer von Oscar Pettiford, die dem Savoy-Album von Kenny Clarke, auf dem die Adderleys zum ersten Mal einer breiteren Öffentlichkeit präsentiert wurden, den Titel gab (schon zwei Wochen später stand Cannonball als Leader seiner eigenen ersten Session im Studio, von Juni bis Oktober nahm er sechs Alben auf: neben dem von Clarke drei als Leader, eines unter Nat – der auch ein Savoy-Album ohne Cannonball einspielte – sowie eines mit Sarah Vaughan).

    Leonard FeatherIn the summer of 1955 Cannonball came to New York. On the night after his arrival he and Nat visited the Café Bohemia in Greenwich Village, where Oscar Pettiford was leading a small group in which the tenor player was Jerome Richardson, whom you will hear on these sides with Cannonball. Richardson happened to show-up late that night, so Pettiford, who knew little about Cannonball and was not too anxious to take a chance, grudgingly allowed him to sit in. Pettiford whipped the band into I’ll Remember April at a racehorse pace, fully expecting to chase an embarrassed Cannonball off the bandstand. Cannon-ball, of course, sailed through a long solo with an equanimity that astonished everybody. As you might expect, he remained on the stand as a welcome guest for the rest of the night.

    Within a few days word about Cannonball had spread around town. On the recommendation of Quincy Jones and Clark Terry, Bob Shad of EmArcy took the unprecedented step of signing Cannonball to an exclusive contract without ever having heard him play.

    (aus den Liner Notes zum EmArcy-Album „Cannonball Adderley“, MG 36043)

    Das Stück wird zu einer rasanten Achterbahnfahrt, in dem all die Vorzüge der Gruppe hörbar werden. Bewegliche Soli voller überraschender Wendungen, interessante, abwechslungsreiche Arrengements, eine Band, die wirklich gemeinsam atmet und auch bei diesem superschnellen Tempo keinen Beat verschläft.

    Dann folgt mit „Dizzy’s Business“ das Pendant zum Opener von Quincy Jones, auch hier ist das Tempo schnell, aber nicht ganz so rasant wie in „Bohemia“. Dann wird Lateef angesagt, der sein Feature „Trouble in Mind“ an der Oboe zum besten gibt. Allerdings erreicht diese Version für mich nicht ganz die hohen Gipfel, die er in Comblain erklomm. Zawinuls Piano-Solo ist klasse, die Begleitung von Jones/Hayes wieder einmal bemerkenswert, vor allem Jones‘ tiefer Bass, der auch hier in Ansätzen zum Duo-Partner Zawinuls wird – und danach sein eigenes Solo kriegt. Es folgt der „Work Song“ (mit einem besonders tollen Solo Zawinuls) und schliesslich „Unit 7“ von Sam Jones (mit tollem Tenor von Lateef), auch hier in einer ausgewachsenen Version. Ein sehr gutes Konzert, das zwar vom Repertoire her wenig Neues bietet, aber einen „Jive Samba“ der Extraklasse und das rasante „Bohemia After Dark“ sind doch eine ziemlich Bereicherung – und das Konzert wirkt insgesamt wirklich lebendiger als die Mitschnitte aus dem Jazz Workshop.

    „Nippon Soul“ (Riverside 9477) war mein erstes Lieblingsalbum von Cannonball Adderley, noch vor „Somethin‘ Else“ – und es gehört bis heute zu meinen liebsten. Die Aufnahmen entstanden am 14. und 15. Juli 1963 in der Sankei Hall in Tokyo. Das Adderley Sextet war im Juli 1963 auf Japan-Tournee und wurde in Tokyo dreimal mitgeschnitten: am 14. und 15. Juli in der Sankei Hall sowie am 19. Juli in der Kosei-Nenkin Hall.

    Nach einer launischen Ansage Cannonballs („We’re going to play a new tune … written by, uhm … an American musician whose name is Cannonball Adderley …“) ist als Opener „Nippon Soul“ zu hören, eine catchy Nummer mit Two-Beat-Bass von Jones und einem kurzen Riff-Thema. Jones spielt hier wieder einmal eine zentrale Rolle, er lanciert das Solo von Nat Adderley und gibt dem Stück seine Struktur und Nat spielt eins seiner tollen, verspielten Soli. Ich finde es enorm schwer, sein Spiel in Worte zu fassen, „ebullient“ liest man manchmal, das passt wohl, fröhlich (in Richtung Clark Terry), aber auch lyrisch (auf ganz andere Weise als dieser), mal blechern-flächig mit breitem Pinsel, dann wieder scharf, stechend, auf den Punkt. An Nuancen hat er wohl mehr zu bieten als sein älterer Bruder, aber das faszinierende ist ja doch stets die Kombination ihrer beiden Stimmen, so auch hier, wenn Cannonball mit seinem Solo folgt. Dann Lateef an der Flöte und funky Joe.

    „Easy to Love“ ist ein Parforce-Ritt für Cannonball, der nach einer kurzen Improvisation über Schlagzeug-Begleitung in horrendem Tempo öffnet. Ein paar Takte im Thema drin fallen dann die anderen ein. Das Solo ist ziemlich verdammt klasse, danach gibt’s noch Fours mit Louis Hayes – und man spürt auch bei dieser Aufnahme wieder in fast jeder Sekunde, wie der Funke überspringt, wie das begeisterte Publikum die Band inspiriert und anspornt. In seinen Liner Notes beschreibt Keepnews die Sankei Hall als ähnlich gross wie die Carnegie Hall – und die Adderleys spielten vor ausverkauften Rängen – was vor ihnen nur Ray Charles geschafft habe.

    Dann folgt Lateefs „The Weaver“: „it’s soulful, it’s mean“, sagt Cannonball – und ja, das ist es! Zawinul und Jones etzten einen Vamp, der auch von Horace Silver stammen könnte, Hayes legt am Hi-Hat einen leichten Beat drüber, dann schleicht Lateefs Tenor sich heran, bevor schliesslich das Thema präsentiert wird, für das der Vamp aufgegeben wird. Auch die Soli werden dann in swingendem 4/4 präsentiert, Cannonball ist wie üblich der erste Solist, dann Lateef – beide auf ihre eigene Art unendlich soulful. Für Lateef kehrt der Vamp zurück, man hört ihn zwischen den Phrasen nach Luft japsen, er spielt wieder auf diese unverwechselbare Art, die zugleich so relaxed und cool ist aber auch brennend heiss und unglaublich intensiv. Er spielt tiefe multiphonics, fast wie Urschreie, aus denen er neuen Anlauf holt, in die Höhe geht, wieder multiphonics, Flatterzunge, Triller, etwas Vibrato … grossartig – ihm gehört dieses Stück ganz, er tanzt auf dem Rhythmus, der sich für Nat wieder in den 4/4-Swing wandelt – und Nat tanzt weiter, so charmant und leichtfüssig, wie nur er es konnte.

    Dann folgt „Tengo Tango“, ein Nachfolger von „Jive Samba“, wenn man so will, von den Adderleys gemeinsam komponiert – nur zwei Minuten lang … aber was für ein Solo von Cannonball! Über einen stapfenden Tango-Beat, den Jones mit einer Art Walking Bass begleitet präsentieren die Bläser das Thema, dann wird der Beat etwas konventioneller und Cannonball legt los, begleitet von den riffenden Kollegen. Das Stück fand übrigens auch Einfang ins Repertoire der Band von James Brown und wurde 1964 eingespielt. Nat Jones, der Altsaxophonist und damalige musikalische Leiter stand da wohl dahinter.

    Als nächstes ist das schon angekündigte ausgewachsene Duett von Zawinul und Jones zu hören. Sie wählten „Come Sunday“ aus Ellingtons Suite „Black, Brown and Beige“. Jones streicht den Bass, Zawinul präsentiert ausschmückend das Thema, dann wechselt Jones zum Pizzicato, Zawinul spielt das Thema nochmal, weniger verziert, und fast ohne das man es bemerkt, übernimmt Jones langsam den Part des Dialogpartners. Eine konventionelle Aufteilung in Solist und Begleiter gibt es hier nur beschränkt, am schönsten wird das Stück dann, wenn die beiden Stimmen sich ineinander verzahnen. Zum Ende gesellt sich ganz leise Hayes hinzu, Jones greift wieder zum Bogen und die Bläser begleiten Zawinul.

    Als Closer der LP war dann eine neue Komposition Lateefs zu hören, „Brother John“, Coltrane gewidmet. Das Stück öffnet mal wieder mit einer Art Pedal Point, nach dem dissonanten Intro präsentiert Lateef das Thema an der Oboe, begleitet von den Adderleys, und spielt dann ein langes Solo, in dem Rhythmusgruppe den Groove (ein 6/8 wohl, jedenfalls ein Dreier) immer dichter webt. Man mag das als eine Hommage an Coltranes Sopransaxophon sehen (und den Walzer als Anklang an „My Favorite Things“), aber was Lateef hier spielt ist doch unverwechselbar sein eigenes Ding. Es folgen Soli von Nat, Cannonball und Zawinul … das Stück hält über dreizehn Minuten locker die Spannung und beendet eins der tollsten Alben von Adderley.

    Auf der CD findet sich allerdings noch ein Bonustrack, der es in sich hat: meine liebste Version von „Work Song“. Cannonball öffnet mit einem feurigen Intro im Rubato, das Thema wird dann zweimal wiederholt, erst langsam, dann im zweiten Durchgang a tempo und deutlich schneller. Cannonball spielt eins seiner beeindruckenden Soli, wird von den anderen mit „Yeah!“-Rufen und mit Riffs angetrieben, während Hayes fast in einen Backbeat fällt. Dann folgt Nat, wendig, quirlig und dennoch ebenso soulful wie Cannonball. Lateef gelingt es am Tenor auch hier, ein paar exotisch klingende Linien einzuweben, die Temperartur sinkt nur scheinbar zu Beginn seines Solo, in Wahrheit kocht er wohl fast noch mehr als die Adderleys – und er lässt sich viel Zeit … und auch er wird von den anderen mit Rufen und Riffs unterstützt, setzt gegen Ende seines Solos, als Hayes wieder beim Backbeat ist und die Halle kocht die Flatterzunge so effektiv ein, wie bis dahin wohl noch nicht. Wie man eine solche Performance damals im Kasten halten konnte, ist unbegreifleich! Dann gibt’s einen shout chorus und Cannonball spielt das Thema, das er am Ende wieder im Rubato ausklingen lässt.

    Eigentlich ist das ja Musik, die keine Worte braucht … aber ich möchte doch versuchen, meine Begeisterung (die in diesem Fall schon zwanzig Jahre währt) in Worte zu fassen, nachvollziehbar zu machen.

    Die Stücke von „Nippon Soul“ wurden später mit weiteren fünf Stücken von den drei Tokyoter Konzerten auf der Doppel-LP „The Japanese Concerts“ (Milestone M-47029) wiederaufgelegt. Für die CD-Reissues beliess man „Nippon Soul“ und kreiierte einen neuen Twofer mit der LP „The Sextet“ (s.o.) und den „neuen“ Stücken von „The Japanese Concerts“. Da diese Stücke zusammen deutlich über 80 Minuten dauern, schob man die oben schon erwähnte phantastische Version von „Work Song“ (vom 14. oder 15. Juli) als Bonustrack auf den CD-Reissue von „Nippon Soul“.

    „Bohemia After Dark“ und „This Here“, zwei Stücke vom 14./15. Juli bzw. 19. Juli, bildeten zusammen mit den drei Stücken vom 21. September 1962 die LP „The Sextet“, sie finden sich auf der CD „Dizzy’s Business“ zusammen mit vier weiteren Stücken aus Japan, zwei weitere stammen aus dem Konzert vom 19. Juli in der Sankei Hall („Dizzy’s Business“ und „Primitivo“), zwei weitere vom 14. oder 15. Juli aus der Kosei-Nenkin Hall („Autumn Leaves“ und „Jive Samba“). Diese vier Stücke erschienen zusammen mit dem bereits erwähnten „Work Song“ (auch vom 14./15. Juli) als die „neue“ (also zuvor unveröffentlichte) Hälfte auf dem Twofer „The Japanese Concerts“.

    Das erste Stück ist „Autumn Leaves“, in einem Arrangement zu hören, das sich hörbar auf Miles bezieht, der ja auf Cannonballs Klassiker „Somethin‘ Else“ eine unsterbliche Version des Stückes von Joseph Kosma gespielt hat. Nats Ton am gestopften Kornett ist natürlich ein anderer, aber die Atmosphäre ist stimmig. Cannonball zitiert in seinem Solo irgendwas, was ich nicht erkenne, danach klingt kurz noch „As Time Goes By“ an, Nat zitiert später „Lullaby of Birdland“, Hayes lässt die Bass-Drum knallen und der Groove ist überhaupt in the pocket. Passend, dass „Dizzy’s Business“ folgt, denn Dizzys und der Adderley Business ist es, hart zu swingen und Musik zu machen, die dem Zuhörer ein Lächeln ins Gesicht zaubert, ohne dass die weniger schönen Aspekte des Lebens vernachlässigt würden – auch für sie ist Platz. Das Stück ist einmal mehr mitreissend.

    Es folgt dann eine lange Version von „Primitivo“, dem Stück, das im Jazz Workshop noch ganz neu war und hier etwas ausgereifter klingt, wärmer, gelassener und zugleich zielgerichteter und auch freier. Wenn Lateef nach seinem tollen Oboensolo mit Flötentönen (die wieder nach irgendeinem little instrument klingen) in Nats Solo eingreift, dann passt das perfekt, wirkt aber dennoch spontan, improvisiert. Nat erweitert die Range seines Kornetts in Tiefen, die man sonst eher mit einer Tuba verbindet und konstrastiert diese Passagen (in denen er auch in sein Instrument zu singen oder summen scheint) mit hohen tänzerischen Linien. Zawinul, der inzwischen längst auf Planet Funk angekommen ist, ohne seinen feinen Touch zu verlieren, klingt hier mit seiner Wärme beinah afrikanisch. Und diese Wärme ist es wohl, die diese neue Version von „Primitivo“ der (tollen) ersten Einspielung voraus hat, auch am Ende, als wieder das ganze Ensemble zu hören ist.

    Weiter geht es mit dem „Jive Samba“ und auch da stimmt sofort alles, wenn Zawinul mit Jones/Hayes den Auftakt machen – und die Soli sind ebenfalls erstklassig. Lateef ist hier an der Flöte erstmals mit seinem grossen Ton, seinem schönen Vibrato zu hören. Bisher schien sein Flötenspiel im Rahmen der Adderley-Band immer anders zu klingen, aber das lag wohl an den Set-Ups der Live-Aufnahmen – hier passt alles. Ton, Spiel, Aufnahmesound. Und auch Zawinuls Akkorde haben wieder diese fast tropische Wärme.

    Die nächste Nummer ist dann eine altbekannte, Bobby Timmons‘ „This Here“, der erste grosse Hit von Addderleys Quintet, 1959 im Jazz Workshop in San Francisco live eingespielt. Auch diese neue Version – gespielt im Quintett ohne Lateef – ist sehr toll. Dann folgt eine weitere unglaublich schnelle Version von „Bohemia After Dark“, bevor die CD mit den bereits kurz erwähnten drei Stücken aus dem Jazz Workshop endet.

    Für das Cover der Doppel-LP „The Japanese Concerts“ wurde ein Cover verwendet, das aus einer viel späteren Zeit stammt:

    Mit diesen Aufnahmen aus Japan endet die Zeit Lateefs mit der Gruppe von Cannonball Adderley. Sie scheint mir was das Saxophonspiel betrifft, auch bei Cannonball die eine oder andere Spur hinterlassen zu haben. Musikalisch halte ich die Aufnahmen von 1962/63 für etwas vom Besten in Cannonballs Schaffen, weil Lateef neue Impulse gab und half, die Musik weiter zu öffnen. Bei Lateef waren die Spuren wohl weniger stark zu hören, aber ob Adderley später – als Lateef bei Atlantic war und mit elektrischen Instrumenten zu experimentieren begann – nicht doch einen gewissen Einfluss auf Lateef ausgeübt hat, ist eine andere Frage.

    Adderley holte sich als Ersatz Charles Lloyd in die Band, der aber schon ziemlich bald wieder weg war. Von da an führte er seine Band zumeist wieder als Quintett mit seinem Bruder Nat, der ja stets Co-Leader war, auch wenn das nicht so angekündigt wurde.

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    1964 meldete Lateef sich als Leader zurück – auf einem neuen Label, Impulse. Das erste Album wurde im Dezember 1963 an zwei aufeinanderfolgenden Tagen im Studio Van Gelders eingespielt, es erschien unter dem Titel „Jazz ‚Round the World“ (Impulse A 56). Neben Lateef ist ein neuer Bläser zu hören, der unterschätzte Richard Williams, der schon auf „The Centaur and the Phoenix“ zu hören war. Mingus nannte ihn mal einen seiner Lieblingstrompeter, er nahm als Leader bloss ein Album für Candid auf, spielte auf vier tollen Alben von Gigi Gryce, nahm mit Randy Weston, Booker Ervin, Jaki Byard und Noah Howard auf und war einer der tollsten Solisten der Big Band, die Thad Jones und Mel Lewis in den Sechzigern gründeten. Die Rhythmusgruppe besteht aus Hugh Lawsons (Lateefs wohl treustem Sidekick – auch er in meinen Augen ein unterschätzter Musiker), Ernie Farrows (auch das ein sehr treuer Mitmusiker Lateefs) und Lex Humphries.

    Das Album dauert bloss 31 Minuten und besteht aus zehn überwiegend kurzen Stücken, Vignetten fast, mit denen Lateef uns auf eine Art musikalische Weltreise mitnimmt. Ob „Abana“, der Opener, sich auf den biblischen Fluss oder eine türkische Provinz bezieht, weiss ich nicht, das Stück klingt ein wenig „exotisch“, lebt wie so oft von einem repetitiven Beat, der sich nach Lateefs muskulösem Tenorsolo für das Piano und die Trompete in eine Art modifizierten Montuno wandelt. Williams‘ Ton ist sehr eigen, mir gefällt er ausgezeichnet und ich halte ihn für die perfekte Ergänzung zu Lateef. Das zweite Stücke heisst „India“, das Intro spielt Lateef wohl auf der Shenai, danach präsentiert er – wieder über einen hypnotischen Groove – das Thema unisono mit Williams am Fagott (an dem er hier erstmals überhaupt zu hören ist). Die Trompete soliert dann, hier ist die Atmosphäre geschlossener als im Opener, stimmiger, Williams‘ Linien erinnern an einen Schlangenbeschwörer, den Lateef dann an der Oboe gibt, gemeinmisvolle, getragene Linien von beiden, sehr knappe Soli, die nahtlos ineinander übergehen, auch wenn Lawson übernimmt. Ein wundervolles Stück – und das erste der drei, die etwas über vier Minuten dauern.

    Von wem „You, So Tender and Wistful“ stammt, weiss ich nicht, Lateef wird als Arrangeur angegeben. Sein Tenor prägt das Stück, Williams kommt ein paar Mal dazwischen, es gibt ein paar Austäusche, dann auch zwischen Lawson und Farrow. Dann folgt das zweite längere Stück, eine Bearbeitung von „Frère Jacques“ unter dem Titel „Yusef’s French Brother“. Lateef und Williams spielen das Stück im Kanon über eine Art Marsch-Beat von Humphries. Dann übernimmt Lateef (wieder am Tenor) und setzt zu einem seiner klasse Soli an (in dem er auch mal kurz „Merrily We Roll Along“ streift). Nach Lateef sind auch Williams und Lawson mit – kürzeren – Soli zu hören. Die erste Seite der LP endet dann mit dem „Volga Rhythm Song“, einer Bearbeitung des „Lieds der Wolgaschlepper“, das Lateef am Tenor öffnet, im Rubato, bevor Humphries den Beat legt, über den Williams dann das Thema spielt, während Lateef am Tenor eine Kaskade von Seufzern ausstösst, Williams beginnt zu riffen, Lateef soliert, aber leider ist das Ganze schon nach weniger als zwei Minuten vorbei, verschluckt von einem Fade-Out.

    Die zweite Seite öffnet mit Lateefs grossem Feature aus der Adderley-Zeit, „Trouble in Mind“ – aber in einer Miniaturversion, die etwas über drei Minuten dauert. An der Oboe präsentiert er das Thema und spielt dann ein knappes Solo, in dem er sich nichtsdestotrotz alle Zeit der Welt lässt und ganz langsam aufbaut. Lawson kriegt ein paar Takte, aber sonst gehört das Stück ganz Lateef, Williams setzt aus.

    Als nächstes gibt’s ein Arrangement der alten englischen Ballade „The Roast Beef of Old England“, Lateef nennt es „The Good Old Roast Beef of England“. Williams ist der Solist im ziemlich flinken 3/4-Tempo, das Humpries vorgibt (Lawson und Farrows setzen meist nur die „Eins“), ein paar Takte für Lawson, Lateef ist nur im Thema zu hören (auf Wiki gibt’s eine Pfeifen- und Trommeln-Version zu hören). Etwas ernster geht’s in „Raisins and Almonds“ zu Gange, einer Ballade, für die Lateef zur Flöte greift – und im Intro fällt zum wiederholten Mal auf, wenn Williams leise mitspielt, wie gut die Stimmen der beiden Bläser verschmelzen, egal ob Lateef Flöte, Tenor oder gar Fagott spielt – die beiden ergänzen sich hervorragend, vermutlich atmen sie zusammen. Das erinnert mich an die oben zitierte Passage von Nat Adderley, in der er beschreibt, wie die drei – Cannonball, ‚teef und er selbst – gemeinsam phrasierten).

    Für „Utopia“ – die Weltreise führt über diese Welt hinaus – bleibt Lateef an der Flöte, das Tempo bleibt langsag bedächtig. Williams‘ gestopfte Trompete ist auch hier die perfekte Ergänzung und Lawson spielt ein paar bezaubernde Takte, die auch einem Gil Evans-Stück von ca. 1962 entspringen könnten – die Kunst dieser Musiker, die Kunst der Bands von Lateef (egal, wer grad drin sass, es waren ja meist Wiederholungstäter), ist eine Kunst der Miniatur, der Reduktion, der Auslassung. Dieses Album als Ganzes mag sehr rasch vorbeiziehen, zu Ende sein, ehe man sich’s versieht – aber hört man genau hin, sind auf knappstem Raum faszinierende Entdeckungen zu machen.

    Der Closer, „Ringo Oivake“, über einen der patentierten Ethno-Grooves (Rebab, zwei Akkorde vom Piano, ein satter Besen-Groove des Dummers) setzt Lateef zu einem Klagelied am Tenor an. Das Stück scheint ein altes, bekanntes Japanisches Lied zu sein, geschrieben für ein Radio-Hörspiel in den frühen Fünfzigern und als Single (1952) ein Grosserfolg der Sängerin und Schauspielerin Hibari Misora. Von ein paar Takten Lawson abgesehen gehört das Stück ganz Lateefs Tenor, Williams setzt aus.

    Ende Juni 1964 trat Lateef mit seiner Gruppe im Pep’s in Philadelphia auf, am 29. Juni war Rudy Van Gelder zugegen, um für Impulse aufzunehmen – „Live at Pep’s“ (Impulse A 69) war das Resultat. Williams war nach wie vor an der Trompete zu hören, Farrow am Bass, am Klavier sass der Neuseeländer Mike Nock, James Black sass am Schlagzeug. Insgesamt sind knapp zwei Stunden Musik erhalten und es ist ein grosser Genuss, Lateef live zu hören, in längeren Stücken, ohne die Einschränkungen, die die meist etwas gar sehr produzierten Impulse-Alben mit sich brachten.

    Michael Cuscuna klärt in seinen Liner Notes zu „Live at Pep’s Volume Two“ (GRP/Impulse CD, 1999) die Veröffentlichungsgeschichte:

    Michael CuscunaThe band’s repertoire was a mixture of old and new. Lateef and producer Bob Thiele chose seven performances for Live at Pep’s and targeted another („I Loved“) for one of the label’s Definitive Jazz Scene compilations, though it was never used. In 1976, when Esmond Edwards became the recording director for Impulse!, he immediately delved into the vaults to find more material from this session (and from Coltrane’s 1961 Village Vanguard dates). he unearthed six more tunes for an alum called Club Date. In 1978, this writer went back to the well to retrieve another six (including the aforementioned „I Loved“) for release on a double album, The Live Session, along with the original sven.
    When Live at Pep’s was finally issued on CD (Impulse! GRD-134), three tunes from Club Date („Oscarlypso“, „Gee! Sam Gee“ and „Rogi“) were added to the original album. Here, as Live at Pep’s – Volume Two, is the rest of Club Date plus the six selections that first appeared on the double album.

    Im Opener, „Sister Mamie“, ist Lateef an der Shenai zu hören, er öffnet und schliesst das Stück, greift zu keinem anderen Instrument zwischendurch. Williams übernimmt nach dem Intro (über einen Vamp, den er so auch bei den Adderleys hätte bringen können, aber noch reduzierter) mit einem tollen Solo – wie Farrow das Bass-Lick genau zum Auftakt des Solos variiert, ist klasse und gibt Schub, Black greift zu kleinen Glocken, Williams lässt sich Zeit – auch darin ist er Lateef ähnlich. Nocks Einstieg – angeschoben von Black – ist genial, eine kleine Phrase, mit der alles gesetzt ist – und die ein langes Solo auch überflüssig macht.

    „Number 7“ ist ein dreiteiliges Stück, das mit einem schnellen Blues öffnet (Farrow spielt ein Intro), in dem Lateef und Williams Phrasen spielen, die auf einer Zwölftonreihe basieren (jeder der Bläser spielt sechs der Töne). Der zweite Teil ist langsam, die Bläser präsentieren ein neues Thema, das auf einem Raga Ravi Shankars beruht – der allerdings sehr nach Blues klingt (auch in den Changes, die Farrow/Nock drunterlegen). Lateef soliert in beiden Teilen ausgiebig am Tenor, im zweiten legt Black einen 12/8-Beat hin. Nach einer Solo-Überleitung von Farrows greift Lateef im dritten Teil zu einer Bambusflöte, die er selbst gebaut hatte, das thematische Material, das er und Williams im Wechsel präsentieren, ist pentatonisch „and is intended – according to Lateef – to represent a basic blues similar to the country field hollers.“ (so Don Heckman in den Liner Notes zur LP). Das ganze Stück ist eine Art Exploration des Blues, erst ein moderner, am Atonalen vorbeischrammender, dann ein traditioneller (inklusive des 12/8), wie er seit Mitte der Vierziger gespielt wurde, der dritte Teil dann rural, fundamental. Das Ganze funktioniert hervorragend und wirkt überhaupt nicht „gelehrt“.

    Nach den zwei Lateef Originals folgt der „Twelve Tone Blues“ von Leonard Feather, der auch wieder auf einer Zwölftonreihe aufbaut – im Solo wird aber ein Blues (B-flat) gespielt. Lateefs Linien zum Beginn erinnern mich ein wenig an die Soli Oliver Nelson auf „Blues and the Abstract Truth“ – diese grosse Klarheit, die sehr geplant wirkenden, leicht veränderten Linien von grosser Stringenz. Lateef rauht seinen Ton dann allerdings auf, bevor Williams übernimmt. Unter Nock spielt Black rim-shots, für Farrow setzt er dann fast aus, die Bläser treten in einen Dialog mit dem Bass, bevor das Stück mit dem Thema ausklingt.

    In die Mitte der CD von 1993 setzte man die drei Stücke von „Club Date“ (Impulse! ASD 9310). Das erste von ihnen ist „Oscarlypso“ von Oscar Pettiford, ein eingängiges Riff-Thema, das sich bestens für eine Lateef’sche Behandlung eignet. Williams spielt offen und mit blechernem Sound die Bridge, die Soli von Lateef (ein exemplarisches Solo am Tenor) und Williams werden mit einem kurzen Interlude eingeleitet, Nocks Linien verzahnen sich dann mit dem Groove, den Farrow/Black das ganze Stück durchziehen. „Gee! Sam Gee“ ist einem Freund Lateefs aus San Francisco gewidmet – ein nachdenkliches Thema aus absteigenden Linien und Trillern, die Lateef allein am Tenor bläst. Williams‘ und Nocks Soli fügen sich wunderbar ein, Farrows Bass trägt das Stück mit einem Pedal Point, während Black mit Besen zu hören ist. Williams‘ Original „Rogi“ folgt, ein mittelschnelles Stück im 4/4 mit einem sehr schönen Solo des Komponisten.

    Die zweite Plattenhälfte von „At Pep’s“ enthält vier kürzere Stücke. Den Auftakt macht ein neues Oboen-Feature, wieder ein alter Blues, Ma Raineys „See See Rider“ – ein Höhepunkt der Platte! Nock öffnet mit ein paar Takten Blues-Piano, Lateef steigt mit dem Thema ein, mit diesem unvergleichbaren Sound. Auch Williams spielt ein kurzes Solo, weniger zupackend, nachdenklier als Lateef, bevor dieser das Stück beendet (man beachte Nocks Begleitung!). James Black hat das 14-taktige „The Magnolia Triangle“ im 5/4 geschrieben. Anstatt der Rückkehr (in Takten 11 und 12) zur Grundtonart moduliert das Thema nach dem 10 Takt einfach noch vier Takte weiter, um dann erst mit dem Übergang in den ersten Takt des nächsten Durchganges in die Grundtonart zurückzufinden (wenn ich mich nicht täusche) – eine raffinierte Idee. Das ungewohnte Metrum stellt die Musiker natürlich vor keinerlei Probleme, Lateef hat ja früh schon mit ungeraden Metren gearbeitet. Lateef spielt zum Auftakt die Argol, das Stück klingt am Anfang sehr frei, aber als der Groove unter Lateef zu kicken beginnt, ist es gleichzeitig down home – und das Riff, das Trompete und Tenor unisono präsentieren, ist ziemlich catchy. Nach Lateef und Williams ist auch Black kurz mit einem Solo zu hören. Zum Abschluss greift Lateef wieder zur Argol und das Stück wird quasi ausgeblendet (ohne technische Hilfsmittel).

    Lateefs „The Weaver“ stammt aus der Zeit mit Cannonball Aderley. Hier ist es deutlich kürzer gehalten, die Rhythmusgruppe ist hervorragend und nach Williams spielt Lateef ein phantastisches Solo über einer phantastischen Rhythmusgruppe, die den Groove durchzieht, ihn aber beinah auseinanderfallen lässt – klasse! Für Nock wird der Beat dann wieder (wie unter Williams) flüssig, mit der Rückkehr des Vamp kündet sich dann das Outro an, in dem die Gruppe kollektiv improvisiert. Mit Lateefs „Slippin‘ and Slidin'“ endet das Album – vergleichweise traditionell und mit einer swingenden, starken Rhythmusgruppe. Lateef präsentiert das an „Wade in the Water“ gemahnende Thema an der Flöte, in die er immer wieder hineinsingt. Williams folgt mit gestopfter Trompete. Die Band ist einmal mehr herausragend, owbohl Nock und Black (soweit ich weiss) neu dazustiessen, ist sie einmal mehr perfekt aufeinander abgestimmt. Lateef hatte wirklich grosses Talent darin, passende Leute zusammenzubringen. Zum Ausklang ist noch das Thema von „Delilah“ zu hören … mehr dazu gleich.

    „Live at Pep’s – Volume Two“ erschien 1999 und enthält den Rest des Materials aus dem Pep’s, weitere neun Stücke, davon nur ein Alternate Take und der stammt von einer der spannendsten Nummern, Blacks „The Magnolia Triangle“. Ich möchte nochmal Cuscunas Liner Notes zitieren:

    Michael Cuscuna
    It was the earthies of jazz, it was the most exotic of jazz.

    Yusef Lateef is an artist of extremes. When he approaches the blues on the tenor saxophone, it growls from the gut with a century of cultural history in every note. At the same time, he plays a variety of exotic reeds and incorporates melodies, scales, and rhythms from what is now called world music. He has also been known to incorporate European classical pieces, like Eric Satie’s first „Gymnopédie“, into his performances.

    […]

    Lateef’s mix swing, blues, bop, and exotica made quite a splash when he brought his Detroit group (trombonist Curtis Fuller, pianist Hugh Lawson, bassist Ernie Farrow, and drummer Louis Hayes) to New York in 1957 to record for Savoy and Verve.

    […]

    Pep’s Lounge was a very hip Philadelphia club located on South Broad Street in what is known locally as Center City, where several neighborhoods met. Given the atmosphere and the enthusiastic crowds, it’s surprising that there wasn’t more live recording done there. But Lateef’s appearance and an unsuccessful recording six weeks later with Horace Silver’s new quintet for Blue Note, both engineered by Rudy Van Gelder, seem to be the only professional tapings at the club.

    Live at Pep’s introduced a new edition of Lateef’s quintet, with New Zealand pianist Mike Nock and New Orleans drummer James Black, and is considered by many (this writer among them) to be his finest recording. Here was a sparkling, flexible ensemble that could move creatively and empathetically with Lateef no matter what musical direction he chose to pursue. And he brought the full range of his music to the bandstand on this incredible night.

    Wahre Worte – und auch ich gehöre zu den erwähnten „many“. Umso grösser war die Freude, als die CD mit den weiteren Aufnahmen aus dem Pep’s erschien. Das erste Stück ist „Brother John“, das 3/4 (oder 6/8) Stück, das während der Zeit mit Adderley schon eingespielt wurde. Lateef soliert an der Oboe, dann folgen Williams und Nock und die Band geht überall hin mit, genau wie Cuscuna es beschreibt. Über Piano-Riffs spielt Lateef etwas Flöte, bevor das Thema wiederholt wird. „P-Bouk“ ist ein weiteres Stück, das ins Repertoire der Adderley-Band Eingang fand, jedoch schon auf Lateefs „Into Something“ zu hören war – Cuscuna: „This version of ‚P-Bouk‘ offers a compact tenor solo that moves freely from gutbucket growls to Eastern scales to avant garde cries.“ – Dass Lateef genau dies gelingt, ohne dass es jemals auch nur zum geringsten Bruch in seinem Spiel käme, gehört für mich mit zum Faszinierendsten an seiner Musik; sie ist, so blöd das klingt, allumfassend. Was immer er am Wegrand fand, sei es zufällig oder bei einer gezielten Suche, er konnte es nahtlos in seine Musik einbauen. In Williams fand er dafür den perfekten Partner, der bereit war, mitzugehen – was bei Fuller oder Harden nicht in so augeprägtem Masse der Fall war, beide waren (Fuller ist es noch immer) stark im Bebop verwurzelt und boten eher einen Gegenpol (in Hardens Fall allerdings einen, der durchaus aussergewöhnliche Reize bot).

    Es geht weiter mit „Nu-Bouk“, einem langsamen Blues, den Lateef über einem leichten Beat und erdigem Walking Bass an der Flöte präsentiert. Es ist das erste von drei Stücken dieser CD, die sonst nirgends in Lateefs Werk auftauchen. „Yusef’s Mood“ (das vierte Lateef-Original am Stück) ist ein alter Blues, schon 1957 für Savoy eingespielt, hier mit einer kickenden Rhythmusgruppe (shuffle) und grossartigen Tenor von Lateef. Als nächstes ist Benny Golsons Hommage an Clifford Brown zu hören, „I Remember Clifford“, das zweite Stück, das es von dieser Aufnahme abgesehen von Lateef nirgends zu hören gibt – es gehört in erster Linie der Trompete von Richard Williams, Lateef umschmückt das Thema mit Flötenlinien. Nock ist auch hier wieder herausragend in der Begleitung wie auch im Solo, aber es ist Williams, der hier mit warmem Ton die Glanzpunkte setzt.

    Lateefs „Listen to the Wind“ war damals ein neues Stück, es klingt sehr modern, geheimnisvoll, lebt von dunklen Akkorden, zerklüfteten Linien und Rhythmen. Lateef spielt ein wirkungsvolles Tenorsolo, während Black unter ihm trommelt – rhythmisch scheint hier alles stets in Bewegung zu sein. Unter Williams hält sich Black erstmal etwas zurück, aber schon bald beginnt sich der Beat wieder zu verschieben, zu dehnen und wieder zusammenzuziehen. Es folgt Lateefs „I Loved“, das dritte exklusive Stück der CD. Eine Ballade am Tenorsaxophon mit meisterhaftem Lateef (Williams setzt aus).

    Dann „Delilah“, Lateef an der Flöte, Williams mit der Gegenmelodie/zweiten Stimme, das Thema über diesen landsam kreisenden Groove, für das Solo von Lateef fällt die Rhythmusgruppe dann in einen straighten 4/4, Black trommelt wieder ziemlich viel und toll, ohne die ruhige Stimmung je zu durchbrechen, auch Farrow fällt manchmal in 12/8. Das lange Stück bietet auch Platz für Soli von Williams, Nock und Farrow. Den Abschluss macht dann der erwähnte Alternate Take von Blacks tollem Stück.

    Hier noch das Cover der Doppel-LP „The Live Session“ (Impulse! IA-9353/2):

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    Im Februar 1965 nahm Lateef sein nächstes Album für Impulse auf, das erste von vier Studio-Alben, die er 1965 und 1966 einspielen sollte. „1984“ (A-84) wurde die Platte genannt, nach dem langen Titelstück. Die Band ist wieder zum Quartett geschrumpft, Mike Nock und James Black sind weiterhin dabei, am Bass ist Reggie Workman zu hören (mit wem hat der eigentlich nicht gespielt?). Lateef war gemäss den Liner Notes von Bob Hammer etwa drei Monate dabei, der Rest der Band seit einem Jahr zusammen.

    Das Titelstück dauert etwas über acht Minuten und wird als musikalische Reise in die Zukunft dargestellt. Es erinnert ein wenig an experimentelle, komponierte Musik von Mingus (ganz spezifisch auch Workmans Bass) oder Kirk (der Einsatz der Stimme, der Flöte, das Geschepper zum Auftakt. Die Blechflöte (aus Taiwan), die Lateef hier spielt, hat er gemäss Bob Hammer von Sonny Rollins geschenkt gekriegt. Lateefs selbstgebaute Bambusflöte kommt ebenfalls zum Einsatz, zudem diverse andere selbstgebastelte Instrumente, Glocken, Triangel, die Celesta, Röhrenglocken etc., und Lateefs durch das schmale Ende einer cow bell aufgenommene Stimme (manchmal wird das offene Ende ins Innere des Flügels gehalten, was zu schwingenden Saiten und weiteren Klängen führt). Das Stück ist eine Art surrealer Klangtrip, für damalige Verhältnisse wohl noch ziemlich ungewöhnlich (wie gesagt, Mingus und Kirk kommen mir in den Sinn).

    Danach folgen acht wieder vornehmlich kürzere Stücke – aber das Album ist mit knapp 40 Minuten deutlich länger als „Jazz ‚round the World“, zudem fehlt der zweite Bläser. Es gibt entsprechend mehr Raum für Lateef – und auch für die tolle Rhythmusgruppe. Lateefs „Try Love“ ist eine Miniatur von zwei Minuten, Lateef erst an der Oboe, dann an der Flöte, ein ruhiges, nachdenkliches Stück. Dann folgt das eingängige „Soul Sister“ von einem Ted Harris Jr., einem Detroiter Swing-to-Bop Saxophonisten. Lateef spielt ein dreckiges Tenorsolo, das wieder einmal seine Wurzeln im älteren Jazz verrät. Die erste Plattenseite endet mit „Love Waltz“, einem Stück von Mike Nock. Nocks Interaktion mit Workman und Black ist klasse, sein lyrisches Klavierspiel voller interessanter harmonischer Ideen und überraschender Wendungen auch in diesem langsamen Tempo. Lateef setzt in diesem Stück aus.

    Die zweite Seite öffnet mit einem dreckigen Romp, „One Little Indian“, Lateef am Tenor, wieder diese Mischung aus wilden Läufen mit rauhem Ton und Ausbrüchen ins Freie – zweieinhalb Minuten ohne Pause über eine simplen, treibenden Groove der Rhythmusgruppe. Dann folgt wieder ein Ausflug in neue Klänge: die Studioversion von „Listen to the Wind“, die mit über sechs Minuten ein ganzes Stück länger dauert als die Live-Einspielung aus dem Pep’s. Die sich dauernd bewegenden Rhythmen sind noch interessanter geworden, Lateef soliert ausgiebig am Tenor, gefolgt von Nock – wieder in hervorragendem Zusammenspiel mit Workman und Black.

    Als nächstes folgt eine Ballade von Duke Ellington, „Warm Fire“, dann die Studio-Version von „Gee! Sam Gee“, beide mit Lateef am Tenor und wundervollen Soli. Im zweiten spielt die Rhythmusgruppe wieder eine wichtige Rolle, hält das Geschehen spannend, ohne je aus dem Rahmen zu fallen oder die Stimmung zu stören, auch in Nocks Klaviersolo. Den Abschluss macht dann wieder einmal ein Film-Thema, Alfred Newmans Titelmelodie aus „The Greatest Story Ever Told“ (einem Sandalenfilm von George Stevens, wie es scheint, in dem die Story von Jesus erzählt wird). Vermutlich ist die Musik mal wieder besser als der Film, dem sie galt … Lateef spielt das Thema an der Flöte, die Rhythmusgruppe spielt eine Art Rhumba, alles sehr hübsch arrangiert.

    Im Juli 1965 waren Lateef, Workman und Black wieder zwei Tage im Studio Rudy Van Gelders, dieses Mal mit dem französischen Pianisten George Arvanitas. Aus den Sessions resultierte das Album „Psychicemotus“ (A-92).

    Den Opener spielt Lateef an der Flöte, über ein heftig pumpendes Bass-Lick von Workman. Black scheppert dazu einen phantastischen, äussert kargen Beat, Arvanitas koloriert, schmückt aus. Ein grandioser Opener – Free Funk von Yusef Lateef. „Bamboo Flute Blues“ ist ein langsames, bluesiges Stück, für das Lateef wieder zu seiner Bambusflöte greift. Auch hier ist Workman um einen satten, groovenden Boden bemüht – aber sehr karg, mit langen Pausen. „The idea was to convey the spirit of the New Orleans funeral parade discussed in Barry Ulanov’s 1957 A History of Jazz by Viking Press …“ (Ahmad Basheer, Liner Notes).

    Für „Semiocto“ greift Lateef zum Tenorsaxophon und schaltet einige Gänge hoch – direkt in den Overdrive. Ein Stück mit rasch wechselnden Akkorden, das mich etwas an Coltrane erinnert („Impressions“ und Dinge aus der Atlantic-Zeit). Im Solo spielt Lateef schnelle Phrasen, die sich aufeinander türmen, aus ihm förmlich herauszupurzeln scheinen – und Workman/Black treiben ihn an, unterstützen ihn (Arvanitas setzt aus, lässt Lateef „strollen“). Black spielt dann ein kurzes Schlagzeugsolo. Die erste Hälfte des Albums endet wieder mit etwas ruhigeren Tönen, nach drei Lateef-Originals ist „Why Do I Love You?“ zu hören, der alte Song von Jerome Kern aus dem Musical „Show Boat“. Im mittelschnellen Stück ist Lateef wieder am Tenor zu hören, die Rhythmusgruppe unterstützt ihn, diesmal mit Arvanitas, der auch mit einem ausgezeichneten Solo zu hören ist.

    Mit Erik Saties erster „Gymnopédie“ öffnet die zweite Hälfte. Arvanitas leitet ein, dann übernimmt Lateefs Querflöte, Black punktuiert, Workman spielt ein paar Basstöne, Arvanitas die linke Hand. Eine hübsche, leicht nostalgisch klingende Miniatur. Danach ist Lateefs „Medula Sonata“ zu hören. Lateef spielt Tenor und dazwischen – im Dialog mit dem Bass – Klappengeräusche der Querflöte. Die Musik ist einmal mehr von offenem Charakter, Workmans Bass öffnet Flächen, Arvanitas setzt karge Akzente, Lateef und Black bespielen dieses akzentuierte Territorium. Das Ganze entpuppt sich als eine Art Dialog zwischen Tenor und Rhythmus (dazu gehört Lateef dann auch mit den Klappengeräuschen), dann wird das Piano prominenter, Lateef und Arvanitas treten in einen dichten Dialog, während sich ein Beat zwar durchzieht, aber sich die Struktur des Stückes zunehmend auflöst. Dann soliert Arvanitas, während Lateef sich wieder klappernd zur Begleitung gesellt.

    Den Abschluss machen zwei Standards. Arvanitas leitet am Klavier „I’ll Always Be in Love with You“ ein, eine Ballade mit Lateef am Tenor. Workman begleitet phantastisch, umspielt Lateefs mit warmem Ton gespielte, schnörkellose Linien. Die Rhythmusgruppe ist hier wohl ähnlich hervorragend abgestimmt wie jene im Pep’s. Workman hat sich hörbar in der Musik eingenistet, Black ist noch immer der lebendige, unkonventionelle Drummer, der über eine sehr grosse Bandbreite von Mitteln verfügt, und Arvanitas ein ähnlich offener Pianist wie Nock, lyrisch, zurückhaltend, mit interessanten harmonischen Ideen und ohne Probleme im Umgang mit offenen Strukturen. Ob abstrakte Improvisation wie auf „Medula Sonata“ oder Balladen-Begleitung wie hier, die drei kriegen alles gleichermassen gut auf die Reihe. Das letzte Stück gehört dann ganz Arvanitas: Solo spielt er Fats Wallers „Ain’t Misbehavin'“. Ein ruhiger Ausklang, der nochmal verdeutlicht, dass diese Musik – bei allen avant garde leanings – eine tiefe Verwurzelung in der Geschichte des Jazz hat (selbst wenn der Pianist in Marseille geboren wurde, Kind griechischer Eltern, die nach dem ersten Weltkrieg und dem Völkermord an den Armeniern ihre Heimat Konstantinopel verliessen).

    Das nächste Album enstand an zwei Tagen im März 1966, „A Flat, G Flat and C“ (A-9117), mit Hugh Lawson, Reggie Workman und dem Detroiter Drummer Roy Brooks Jr. Trotz der in dieser Konstellation neuen Besetzung klingt die Band einmal mehr perfekt abgestimmt. Lawson bringt seinen lyrischen Touch zurück, spielt aber auch den Blues, tief empfunden, schon im ersten Stück, dem „Warm Hearted Blues“. Das langsame Stück ist eher eine Blues-Ballade oder eine Ballade über Blues-Schema denn ein eigentlicher Blues – doch im Solo wird Lateef ganz schön bluesig – allerdings ist hier wieder der Pres-Einfluss zu hören, der sonst eher in den Balladen zum Vorschein kommt und dann eben Lawson, der auch im nächsten Stück, dem „Nile Valley Blues“, wieder mit einem tollen Solo zu hören ist. Das Thema bläst Lateef an der Flöte über Two-Beat-Bass und eine Art New Orleans-Shuffle von Roy Brooks.

    Im dritten Stück, Hugh Lawsons „Robbie“, ist das Tempo schneller, Lateef wieder am Tenor – und wieder folgt auf sein Solo ein schönes Solo von Lawson. Brooks ist zwar leise, hält sich zurück, aber seine Begleitung steckt voller rhythmischer Überraschungen. „Psyche Rose“ ist erneut ein Blues, geschrieben von einem M. Dalee, ein einfaches Riff-Thema. Lawson soliert hier zuerst, gefolgt von Lateef, immer noch am Tenor, mit einem Ton, der hier für seine Verhältnisse überaus leicht klingt, fast wie ein Altsaxophon, wenn er länger im oberen Register bleibt – und ach, ich lese gerade die Credits: Er spielt hier tatsächlich Altsaxophon! Workman/Brooks sind hier die heimlichen Meister, die aus dem simplen Stück doch noch eine interessante Sache machen. Mit Lateefs „Chuen Blues“ klingt die erste Hälfte aus, Lateef spielt allerdings hier soweit ich sagen kann nirgends das als als „chuen“ angegebene Instrument, vermutlich eine chinesische Bambusflöte mit Doppelrohrblatt, auch als Guan bekannt. Stattdessen ist ein seltsames Ding zu hören … ein exotischen Saiteninstrument oder aber das ebenfalls angegebene Theremin? Ich habe zu diesem Album leider keine Liner Notes, keinen lesbaren Scan des Foldout-Covers. Zwischen dem „ethnischen“ Intro und Outro gibt’s eine lange Klaviertrio-Passage mit Lawson at his most soulful, tiefem Bass von Workman und zurückhaltendem bis unhörbarem Brooks.

    Die zweite Seite enthält erneut fünf kürzere Stücke, alle aus Lateefs Feder. Den Auftakt macht „Feather Comfort“, eine klagende Linie am Tenor über einen zickigen Beat und einen stotternden Bass. Plötzlich gesellt sich eine fliessende Piano-Linie dazu – und ist auch schon wieder raus, während Lateef zur Flöte greift. Dann wieder das Piano … und es wird klar, dass hier verscihedene Rhythmen übereinandergelegt werden. Das Piano setzt wieder aus, Lateef greift zum Saxophon (Alt?), dann wieder Piano, Lateef an der Oboe, derweil der Beat stottert, obwohl Workman etwas flüssiger zu spielen beginnt. Eine ziemlich tolle Idee, dieses Wechselspiel zwischen Lateef an all seinen Instrumenten und Lawson. Die Soli werden länger, die Oboen- und besonders die folgende Piano-Passage sind ausgewachsene Soli, Brooks klöppelt weiter den verschrobenen Beat, während die Musik aber flüssiger wird. Lateef kehrt an der Oboe zurück, was er zum Auftakt spielt, könnte einem Film-Thema entstammen.

    „Blind Willie“ folgt, das Tempo langsam, bluesiges Piano, tiefer Bass – mit einem Drum-Roll wird Lateef eingeführt, wieder am Altsaxophon, spielt eine kleine Phrase, die in Nino Rotas finalem Marsch in Fellinis „Otto e mezzo“ auch auftaucht. Steigert sich dann aber in ein intensives Solo, dem die Schwere, das Gewicht seines Tenors allerdings etwas abgeht (und ja, auch die Schwere, die Cannonball am Alt erreicht, schafft Lateef nicht – will er wohl auch gar nicht). Das Altsaxophon ist wohl nicht die beste Idee, die Lateef hatte, es klingt, als bewegte er sich ausserhalb seiner natürlichen Saxophon-range. In „Feelin‘ Alright“ – natürlich wieder ein Blues – gelingt das etwas besser, ich denke hier kurz an Sonny Red, auf einem von dessen Jazzland-Alben Lateef mitgewirkt hatte und der in den Sechzigern eine Reihe von schönen Blue Note-Alben mit Donald Byrd machte, auf denen er mit seinem schweren funky Altsaxophon ein grosser Gewinn ist. Lateef will den Ton aufrauhen, mit growls wie am Tenor – aber auch hier: das Altsaxophon macht da einfach nicht soviel her.
    „Sound Waves“ fängt exotisch an – da ist es nun, das Theremin (das zuvor ist was anderes, eindeutig). Über eine Bass-Begleitung, die zwischen Pedal Points und kurzen Läufen fluktuiert sowie Akzenten von Lawson und Brooks öffnet Lateef am Theremin, nach einer Minute greift Workman zum Bogen und übernimmt, dann übernimmt Lawson, während Brooks kurz eine Art fragmentarischen 12/8-Beat antönt, tritt Workman bald in einen Dialog mit dem Piano und Brooks ist zurück mit kleinen Akzenten. Dann steigt Lateef wieder ein mit dem Theremin, das Ding klingt am Ende eher abstrakt denn exotisch. „Sound Waves“ eben …
    Den Abschluss macht dann der „Kyoto Blues“, den Lateef an einer Flöte mit Zug öffnet, die schon anderswo für Akzente zum Einsatz gekommen ist. Dann legt die Rhythmusgruppe einen raschen Beat vor, Lateef spielt eine Bambusflöte, die wirklich eher japanisch denn indisch klingt, eine Art Singsang, unter den Workman einen hohen Pedal Point legt. Lawson übernimmt am Piano, derweil Lateef zu einem dieser Kratzedinger (sowas hier wohl). Dann greift er wieder zur Flöte und führt das Stück und damit das Album zu Ende. Nach dem grandiosen, überaus dichten „Psychicemotus“ finde ich „A Flat, G Flat and C“ etwas leichtgewicht, aber nichtsdestotrotz ziemlich gut.

    Das Album ist übrigens das dritte von Lateef, das praktisch nicht zu finden ist, nie auf CD vorgelegt wurde. Das wären drei überaus würdige Kandidaten für die seltamen „Impulse 2-on-1“-Reissues von Universal gewesen … vielleicht liest ja einer der Herren von Universal Deutschland mit, die die seltsame Reihe konzipiert hatten? Klar ist niemand an Lateef interessiert, aber braucht die Welt Reissues von Steve Allen und schlechten Alben des Handy Dandy Mans?

    Das letzte Impulse!-Album Lateefs enstand an zwei Tagen im Juni 1966 im Studio Rudy Van Gelders. Mit dabei waren Hugh Lawson, Herman Wright und Drummer Roy Brooks. „Golden Flute“ (A-9125) öffnet mit Lateef am Tenor, über einem Bossa-Beat spielt er „Road Runner“, ein Original. Das Tenorsolo wirkt auf mich etwas weniger bestimmt als sonst bei Lateef üblich, hinter Lawsons Solo greift er wieder zum „scratcher“, derweil Brooks seinen Beat klanglich etwas variiert. Auch das durch Nat „King“ Cole bekanntgewordene „Straighten Up and Fly Right“ spielt Lateef am Tenor, über einen Two-Beat-Groove, der sich in der Brigde und für die Soli zum straighten 4/4 mit Walking Bass wandelt. Hier ist Lateef wieder zupackend, swingt heftig und lässt sein Tenor singen und grollen, mit dieser Phrasierung, die so vokal klingt – etwas, was Lateefs Spiel besonders am Tenor auszeichnet. Nach Lawsons Solo gibt es im Anschluss an das Thema einen kleinen tag.

    In „Oasis“ versucht Lateef, seine Fahrten durch die arabische Wüste zu vertonen. Das Stück ist in einer konventionellen 16-8-8 Form geschrieben, aber für die Bridge wechselt es vom 4/4 (eigentlich 2/2) in den 3/4-Takt (in dem der Puls dann doppelt so schnell ist). Lateef spielt hier Flöte, mit wundervollem Ton, gross, warm, sauber, ganz ohne Einsatz Stimme, ohne Triller und anderes.

    Lawson spielt ein Intro zu „(I Don’t Stand a) Ghost of a Chance“, das Lateef wieder am Tenor präsentiert – und mit der Wahl dieser Ballade schliesst sich endgültig der Kreis zu Lester Young, dem der Song ganz gehörte. Lateef spielt mit feinem Ton, da und dort ein wenig Vibrato, auch die Verzierungen sind von grosser Klarheit, sein Ton unglaublich schön. Eine wundervolle Hommage an den einzigartigen Pres. Es folgt ein weiterer Standard, „Exactly Like You“, in raschem Tempo gespielt – und mit der Oboe. Schön, diese mal wieder zu hören und dann auch noch in einem Stück, das kein Blues ist. Lawson spielt erneut ein schönes Solo.

    Die zweite Hälfte des Albums öffnet dann mit dem Titelstück, Lateef selbstverständlich an der Flöte. Er spielt das sehr linear angelegte Thema über ein hartnäckiges Bass-Ostinato Wrights, das nach dem Intro einsetzt. Lawson setzt für das Thema zu weiten Teilen aus, Brooks trommelt – das Stück beschwört eine geheimnisvolle Atmosphäre hinauf. Ein bezauberndes Stück, das im 3/4-Takt und in dorischen Tonleiter gespielt wird. Für „Rosetta“, ein Stück von Earl Hines, das über einen bouncenden Two-Beat vorgetragen wird (swingender 4/4 in der Bridge und in den Soli), ist Lateef zurück am Tenorsaxophon, das er mit mächtigem Ton und grosser Autorität bläst.

    „Head Hunters“ ist eine Gemeinschaftskomposition von Lawson und Barry Harris. Lateef setzt hier aus, Lawsons frisches Klavierspiel ist eine Freude. Den Abschluss macht dann „The Smart Set“, das längste Stück des Albums, komponiert von Roy Brooks im 5/4-Takt. Über einen Vamp spielt Lateef das eingängige Thema und setzt dann zu einer berührenden Klage an, wieder mit dieser vokalen Phrasierung, den inflections, Zwischentönen und Tonbiegungen, der Intensität, die sich schier unmerklich steigert – und plötzlich beinah zu kochen scheint. Dann spielt Brooks ein feines Schlagzeugsolo und Lateef kehrt schilesslich zurück, um das Stück und das Album zu beenden.

    Nach „A Flat“, wirkt das hier insgesamt auf mich wieder etwas konsistenter, druckvoller – ohne ganz die Höhen von „Psychicemotus“ zu erklimmen – und Workman war gewiss der interessantere Bassist, der mehr beizutragen hatte – Wright legt einen hervorragenden Boden, aber das ist auch schon seine grosse Spezialität, während Workman viel mehr zu bieten hat, kommentiert, eingreift, Impulse gibt, Klänge beisteuert, die das Ganze prägen und bereichern.

    Damit endet für mich die wirklich grosse Zeit Lateefs – die Zeit, in der ausnahmslos jedes Album von vorn bis hinten gelungen und hörenswert ist. Mit dem Wechsel zu Atlantic sollte sich seine Musik oder eher: die Art der Präsentation der Musik, deutlich verändern. Fortsetzung folgt …

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    "Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #151: Neuheiten aus dem Archiv – 09.04., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba
    #9063489  | PERMALINK

    vorgarten

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    gypsy tail windFortsetzung folgt …

    das hoffe ich. habe gerade keine kapazitäten frei, aber irgendwann muss ich das alles auch durchhören. vielen dank für die texte.

    --

    #9063491  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
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    Das erste Atlantic-Album, „The Complete Yusef Lateef“ (SD 1499) wurde am 1. Juni 1967 eingespielt, ein Jahr nach dem letzten für Impulse. Das Format war immer noch dasselbe: Lateef mit Tenor, Flöte, Oboe und auch dem Altsaxophon, sowie eine erstklassige Rhythmusgruppe, in der hier vor allem der Bassist heraussticht, Cecil McBee. Am Klavier und Schlagzeug sind erneut Hugh Lawson und Roy Brooks zu hören. Das Album sieht von aussen also wie eine nahtlose Fortsetzung aus – aber dennoch hat sich etwas geändert.

    Da sind sie zwar immer noch: die tollen Minimal-Grooves (in „Rosalie“, dem Opener, einem Traditional), der funky Blues an der Oboe („In the Evening“ von Leroy Carr) über einer fetten Begleitung der Rhythmusgruppe, die phantastischen Tenorsoli (auf „Kongsberg“) … Lateef hat sein Ding natürlich noch immer drauf! Allerdings ändert sich doch einiges. Mir scheint die Sache in etwa parallel zum Fall von Freddie Hubbard zu liegen, als dieser von Blue Note zu Atlantic wechselte. Joel Dorn (keep a light in the window) pflegte offensichtlich keinen „hands off“-Approach, wie er bei Prestige üblich war und liess den Musikern vermutlich auch weniger Freiheit – oder Mitspracherecht -, als das bei Alfred Lion oder Bob Thiele der Fall war. Oder aber: das Label verlangte nach anderer Musik, nach zugänglicherer, markttauglicherer. Atlantic war ja damals im Bereich der Populärmusik ein wichtiger Player. Mich dünkt, das färbte auf die Jazz-Produktionen ab und manchem Künstler bekam das besser (Eddie Harris etwa, der sich damit wenigstens streckenweise sehr gut arrangieren konnte und sich neue Freiräume schaffte, man höre etwa sein „Silver Cycles“ von 1968), bei anderen führte es zu einer Art Verwässerung der Musik (das würde ich bei Hubbard so behaupten, auch wenn ich da längst nicht alles kenne, aber „Backlash“ kommt mir ein wenig vor wie „The Sidewinder“, „The Rumproller“ und ein paar Pfund Boogaloo eingekocht und in kleinen Häppchen wieder ausgeschieden).

    Bei Lateef ist es so, dass man mit Wohlwollen in „The Complete Yusef Lateef“ auch eine Art Essenz hören könnte – doch glaube ich eher, dass die in den Impulse-Alben zu finden ist. Die Konzentration, die Miniature, die Kürze – in der aber ALLES steckt, was Lateef zu bieten hatte, seine ganze Auslage in einer halben Stunde, Wolgaschiffer und Bruder Jakob inklusive. „The Complete“ scheint mir etwas zu mäandern, allerdings auf sehr hohem Niveau. McBees Bass ist eine Bereicherung (ich hätte ihn gerne direkt nach Workman schon bei Impulse gehört! „The Golden Flute“ ist bei mir etwas gewachsen, aber Wright ist halt doch eher der Bassist, der – perfekt und kompetent und mit phantastischem Sound und oompf – durch die Moves geht, als dass er wirklich inspirieren würde). „The Complete“ dürfte auch das erste Album sein, das bloss drei Originals von Lateef enthält. Die sieben Stücke sind insgesamt etwas länger, aber das Album wirkt doch etwas brav. Es gibt Broadway-Songs („Stay with Me“, toller Bass von McPhee und ein schönes Lawson-Solo, ‚teef an der Flöte), Blues und Traditionals („Rosalie“, „In the Evening“, „See Line Woman“) und Originals von Lateef („Kongsberg“, „Brother“ und „You’re Somewhere Thinking of Me“).

    Auf „See Line Woman“, dem von Nina Simone unsterblich gemachten Song, den ein Musikethnologe 1939 auf einem field trip zum ersten Mal aufgezeichnet hat (als „Sea Lion Woman“). Der Groove ist ansteckend, the Beat von Brooks aber gar simpel. Wie auch auf „Rosalie“ stösst Sylvia Shemwell (von den Sweet Inspirations) am Tamburin zum Quartett. Lateef spielt Tenor, zupackend, sehr überzeugend, und – auch das ein Novum – via Overdubs auch Querflöte. Das ganze wirkt auf mich etwas überladen, die grosse Kunst des Lateef’schen Tenors lebt auch von der Aussparung, der Reduktion – davon, dass er nie einen Ton verschwendet. Hier wird mir alles etwas zuviel, ich würde lieber das Tenorsolo über einer spärlicheren Begleitung hören, lieber mit Rebab und Pedal Point als mit Boogie Woogie Boogaloo Tamburin Groove plus Flötengirlanden.

    Auf „Brother“ spielt Lateef wieder Altsaxophon, auch hier ist der Groove simpel, eine krampfhaft wiederholte Basslinie, die etwas zu hektisch ist, als dass McBee seinen tollen Ton singen lassen könnte. Lateefs erste Linien erinnern ein wenig an Labelmate Eddie Harris‘ Tenorspiel. Im Solo wechselt McBee dann zu anderen Bass-Riffs und die Sache wird etwas entspannter. Warum Lateef das mit dem Altsax machen wollte, weiss ich jedoch nicht so recht, wie schon auf „A Flat“ funktioniert das in meinen Ohren nur halbwegs. Don’t accept no substitute, es gibt nur ein Saxophon für Lateef!

    Der Closer bringt dann noch eine Premiere: Lateef singt … in einer Art Singsang wiederholt er die Titelzeile und singt eine Art Blues. Aber na ja – das beste an dem Stück ist eindeutig McBees Bass.

    „The Blue Yusef Lateef“ (SD 1508) wurde an zwei Tagen im April 1968 eingespielt und scheint in den letzten fünfzehn Jahren das omnipräsente Lateef-Album gewesen zu sein. Wo immer es in einem CD-Laden ein Lateef-Fach oder eine Lateef-CD unter „L“ gab, es war „The Blue Yusef Lateef“. Ob das Album wirklich eine Art Ikone ist, weiss ich nicht, ich hatte erhebliche Anlaufschwierigkeiten damit.

    Das hat auch damit zu tun, dass die leitende Hand Joel Dorns hier wirklich zum wesentlichen Mitwirkenden neben Lateef selbst wird. Es gibt ein Streichquartett, es gibt Backing Vocals von den Sweet Inspirations, Bluesharp von Buddy Lucas … aber am Ende funktioniert das Album doch ganz gut und fügt Lateefs bisherigem Schaffen eine neue Dimension hinzu.

    Die Band ist ähnlich wie zuvor: Hugh Lawson (p), Cecil McBee (b) und Roy Brooks (d) sind immer noch an Bord, Bob Cranshaw (elb), Kenny Burrell (g), Sonny Red (as) und Blue Mitchell (t) stossen hinzu, zudem wie gesagt ein Streichquartett und die Sweet Inspirations.

    „Juba Juba“ ist eine Hymne, eine Art Work Song mit den Sweet Inspirations und Lucas, ein sehr stimmungsvoller Opener. „Like It Is“ öffnet dann mit einem längst klassischen Lateef-Groove, karg, sparsam … doch dann die Überraschung: es stösst nicht nur der Leader dazu (zunächst an der Flöte, dann am Tenor), sondern auch ein Streichquartett (unter Primgeiger Selwart Clarke, der an mancher Jazz-Session beteiligt war). Das Stück gibt es unter anderem Titel schon auf einer früheren Lateef-Platte, glaube ich, aber ich mag jetzt nicht nachhören gehen – es klingt jedenfalls bis ins Tenorsolo hinein vertraut – ist aber gut! Die Streicher spielen übrigens nur während der Präsentation des pentatonischen Themas, das lateef auf seiner selbstgemachten Bambusflöte (mit Einsatz der Stimme) präsentiert. Und die Streicher sind klasse, sie geben dem Stück etwas Gespenstisches.

    „Othelia“ ist ein Blues-Rocker mit E-Bass (und Kontrabass) und einem Bläser-Riff, vor dem Lucas‘ Bluesharp das Thema präsentiert und dann etwas rifft, während dem Lawson rollende Akkorde legt. Lateef steigt am Tenor ein, zu leise im Mix, mit honkenden Linien, während Brooks in einen schwerfälligen Beat fällt. Kein Highlight. Das folgende „Moon Cup“ lebt von quirligem Gesang Lateefs, der in den Liner Notes schreibt, es sei „a modern Plainsong (also called Plainchant) derived from a cantus firmus constructed on the medieval Phrygian scale (white keys on the piano from E to E.) Medieval Plainchant, through the ages, has handed down to us Ambrosian chant, Hindu chant, Byzantine chant, etc., but Moon Cup is a Tagalog chant. The lyrics are derived from a dialect of the Phillipine Islands. The virile continuous Chaconnic variations of the rhythm section and the pathotic and delicate counterpoint of the Taiwan Koto along with the sensitive melismatic chanting gives and extraordinary impression. The chant tells a story of love and brotherhood.“ Nunja … Gesang und Koto übernimmt Lateef natürlich selbst, der Groove ist klasse, aber mit dem Gesang weiss ich wenig anzufangen.

    Die zweite Hälfte öffnet mit dem fünften Lateef-Original am Stück, „Back Home“, in dem er an der Shenai ein tolles Solo spielt, über einen hypnotischen Groove, in dem die zwei Bässe toll eingesetzt werden und die Sweet Inspirations Akzente hauchen oder flüstern. Im Thema kommen die anderen Bläser wieder zum Einsatz. Mit „Get Over, Get Off and Get On“ folgt dann ein Blues konventionellerer Machart im 5/4 und über die dorische Tonleiter, geschrieben von Hugh Lawson. Lateef am Tenor, ein Bass-Ostinato, aus dem McBee die Töne dann weit ausschwingen lässt, wie nur er es kann. Das erste Solo gehört Buddy Lucas (der leider kein wirklicher Solist ist, ich finde sein Spiel zu diesem Zeitpunkt bereits ein wenig ermüdend), dann folgt Lateef am Tenor mit einem tollen Solo. Es folgt „Six Miles Next Door“, noch ein rockiger Blues über eine Boogie Basslinie. Kenny Burrell spielt ein schönes Solo, aber das Stück (von Lateef) ist dennoch ziemlich eintönig. Den Abschluss macht dann „Sun Dog“ (erneut von Lateef), ein weiterer Blues mit einer etwas interessanteren Begleitung ohne elektrische Instrumente und Bluesharp. Lateef spielt ein tolles Tenorsolo und damit endet die Sache auch schon wieder.

    Am Ende doch irgendwie ein ganz gutes Album, wenngleich ein paar Stücke in meinen Ohren ziemlich durchfallen.

    (Und bitte, man frage mich nicht, was „pathotic“ oben genau heissen soll.)

    Die CD enthält einen langen Bonustrack, Lester Youngs „DB Blues“ von einer Session aus dem Jahr 1976, als Lateefs Atlantic-Jahre endeten. Zu hören ist er am Tenor im Quartett mit Kenny Barron (p), Bob Cunningham (b) und Albert Heath (d), seiner in den frühen Siebzigern regulären Tour-Band. Lateef öffnet am Tenor, solo, mit diesem leichteren Ton, den er auch in Balladen des öfteren Mal drauf hatte. Die ersten scheuen Honks erinnern mal wieder daran, dass Pres der „original honker“ war. Lateef greift aber bald in die Vollen, während die Rhythmusgruppe geölt begleitet. Barron legt Akkorde, Cunningham walkt und Heath akzentuiert. Hier hört man den Lateef, der in der Atlantic-Zeit zunehmend abhanden gekommen ist. No bullshit, einfach ein schönes Tenorsolo mit einer guten, aber mir etwas zu braven Rhythmusgruppe.

    „Yusef Lateef’s Detroit: Latitude 42° 30′ – Longitude 83°“ ist der Titel von Lateefs drittem Atlantic-Album (SD 1525). Es erschien im April 1969 und wurde an zwei Sessions im Februar eingespielt. Das letzte Stück des Albums ist ein Überbleibsel aus den Aufnahmen zu „The Complete“ (Juni 1967).

    Dorn schreibt in seiner Einleitung zum Rhino-Reissue von 2004: „As with the first two [of the eight or nine albums Yusef and I made together for Atlantic in the ’60s and ’70s], I came up with the concepts, he came up with the music.“ Es gibt wieder Streicher, Gastmusiker, Overdubs und im Zentrum steht erstmals nicht Lateefs working group. Zu hören sind Eric Gale (g), Cecil McBee (b), Chuck Rainey (elb), Bernard Purdie (d), Albert „Tootie“ Heath (perc), Norman Pride oder Ray Barretto (cga), dazu ein Trompetenchor, der aus Danny Moore bzw. Thad Jones, Snooky Young und Jimmy Owens besteht. Auch ein Streichquartett ist auf ein paar Stücken zu hören, dieses Mal mit Selwart Clarke und Gene Orloff an den Violinen, beides Session-erprobte Musiker.

    Dorns Devise war es, Alben zu schaffen, die nicht wiederholen, was es bereits gab; Lateef hatte 1966, nach dem Ende seines Impulse-Vertrages, zwanzig Alben auf dem Markt, die Strategie Dorns machte also durchaus Sinn. Wenn wir hier beim Rückblick sind, um das nochmal zu verdeutlichen: allein 1957 hatte Lateef mit seiner Working Band über sieben Alben eingespielt – ohne dass dabei ein einziges Stück zweimal zu hören gewesen wäre!

    Mit „Yusef Lateef’s Detroit“ ging, so finde ich, das Konzept perfekt auf. Lateef ist – von zwei Gitarrensoli Gales abgesehen – der einzige Solist, er ist mit viel Herz bei der Sache, die Scheibe ist eine Art Erforschung – geographischer, biographischer, seelischer Natur – seiner engen Verbindung mit der Stadt, in der Lateef aufwuchs, seine ersten musikalischen Schritte machte, in die er in den frühen Fünfzigern nach Söldnerjahren in Big Bands seiner erkrankten Frau zuliebe zurückkehrte, wo er seine Studien wieder aufnahm, später den regelmässigen Gig im Klein’s spielte, der am Anfang seiner eigentlichen Karriere als Bandleader stand.

    Dass Lateef und die Hausband von Atlantic kein Problem miteinander haben, überrascht ja eigentlich nicht, denn Lateef war ja immer schon irgendwie funky. Er spielt auf dem Album vornehmlich Tenorsaxophon, aber auch die Flöten kommen zum Einsatz. Im schnellen Opener „Bishop School“ (mit Streichern und zickigem Groove von Rainey) etwa, in dem Lateef auch eine Art Sprechgesang zum besten gibt und mal wieder seine Stimme verfremdet mit Hilfe irgendeines kleinen Flöten-Dinges. „Livingston Playground“ ist einem Spielplatz gewidmet – wohl einem der Orte von Lateefs Kindheit (eine Saeeda Lateef – Ehefrau, Schwester? – hat für die LP ein paar Zeilen geschrieben, eine Art stream of consciousness-Bericht über das Detroit, das Lateef portraitiert). Lateef spielt ein sprechendes Tenorsolo über die Trompeten-Riffs und die Rhythmusgitarre und Rainey/Purdie sind um einen fetten Beat besorgt. „Eastern Market“ ist die Hommage an den Markt, an dem samstags Fisch, Hühnchen, frische Gemüse und Früchte, Honig und Apfelmost eingekauft wurden. Lateef spielt Flöte vor einem recht statischen Background, der aber sehr viel gelungener – und funkier – ist, als die rockigen Stücke auf dem Vorgängeralbum. Am Ende des Stücks, über Percussionskaskaden gibt Lateef den Marktschreier, der die Waren anbietet – „right from the farm“, „fresh from the ground“.

    „Belle Isle“ ist der Insel im Detroit River gewidmet, einer Insel, die als Naherholungsgebiet genutzt wird, zum Baden oder Kanufahren etwa, die als Parkanlange eingerichtet wurde aber auch ein Konservatorium beherbergt und in der sich auch ein „band shell“ fand, einer dieser muschelförmigen Musikpavillons. Lateef spielt über einem Groove, dem man Motown anhört, ein phantastisches, intensives Solo am Tenor. Auch in „Russell and Elliott“ st er am Tenor zu hören, in nachdenklicher Stimmung, mit diesem unfassbaren, berührenden Cry. Der Titel bezieht sich auf eine Strassenkreuzung, an der man „on the way HOME“ vorbeigekommen sei, wie Saeeda Lateef schreibt.

    „Raymond Winchester“ ist einem Bandleader selbigen Namens gewidmet und basiert wie „Belle Isle“ auf einer Art Motown-Latin-Groove. Die Gitarre von Gale ist die zentrale solistische Stimme, Lateef ist nur mit verfremdeter Stimme im Thema zu hören, er singt und summt und schreit wieder durch irgend eins seiner kleinen Instrumente. „Woodward Avenue“ ist eine der wichtigsten Verkehrsachsen, die quer durch Detroit und im Norden aus der Stadt hinaus führt. „Big parades. The library, the museum, Wayne University, the Toddle House – BEST pecan waffles; cheap … Paradise Theatre … The Zephyrs, Moms Mabley, Patterson and Jackson, and Willie Lewis – ‚Somebody spit like a dime!'“ schreibt Saeeda Lateef. Lateef spielt das Thema an der Flöte über ein eingängiges, absteigendes Gitarrenriff und einen lässigen Groove von Rainey/Purdie.

    Der Closer „That Lucky Old Sun“ wurde – obschon von ganz anderen Sessions stammend – gewählt, weil Lateef das Stück mit Detroit verbunden habe: „I used to play like that when I lived in Detroit“, zitiert Bob Porter in seinen neuen Liner Notes für die Rhino-CD (2004) Lateef. Damit endet ein tolles Album mit einem ruhigen, aber sehr, sehr schönen Stück, das einmal mehr Lateefs grosse Balladenkünsten offenbart.

    Für mich stimmt bei „Yusef Lateef’s Detroit“ eigentlich alles. Das Zusammenspiel mit den Studio-Musikern funktioniert reibungslos, Lateef spielt mit grossem Engagement, es gibt trotz Trompetenchor, Streichern und Percussionisten, keine überladenen Arrangements, das Ding dauert 31 Minuten und kommt aus einem Guss daher, selbst mit dem Closer, der doch ganz anders klingt – er passt dennoch bestens dazu. Das schönste am Album ist, dass es viel tolles Tenor zu hören gibt.

    „The Diverse Yusef Lateef“ (SD 1548) war das nächste Album – wie der Titel andeutet, war das Konzept diesmal, keines zu haben. Vier Stücke sind zu hören (das Album dauert nicht einmal 28 Minuten), die Lateef in verschiedenen Formationen vorstellen. Was immer deutlicher wird ist, wie sehr Lateefs Musik sich in die „offene“ musikalische Szene der späten Sechziger einfügt: Charles Lloyds Gruppe versuchte sich in Psychedelia, Miles holte den Rock heim, und Lateef spielte mit Streichern, mit The Sweet Inspirations und tat all das, was er immer schon getan hatte: indische Ragas, chinesische Flöten und Percussion, Skalen und Rhythmen aus aller Welt …

    „Live Humble“ heisst das erste Stück – eine Handlungsanweisung. Richard Tee (p), Chuck Rainey (elb), Cecil McBee (b), Bernard Purdie (d) und Ray Barretto (perc) und die Sweet Inspirations begleiten Lateefs Tenor, das die Nummer solo öffnet – und einen dabei an eine alte Hymne denken lässt. Dann setzen die Stimmen kurz ein, die Rhythmusgruppe setzt gibt einen Beat vor und Lateef soliert darüber, wirkt aber etwas desinteressiert, nicht willens, über kurze Phrasen hinaus etwas zu machen. Erst nach geraumer Zeit fängt er damit an, mit dem Sound ein paar seiner Tricks abzuziehen, aber wirklich interessant wird das nicht. Tee spielt ein arg klischiertes Klavier-Solo, wie es vielleicht auf einer Platte der Rolling Stones jener Zeit gut geklungen hätte, die Sweet Inspirations setzten zu ein paar Wiederholungen von „humble, humble“ and, aber die längste Zeit summen sie nur. Rainey dreht kurz ein wenig auf, bevor es mit Lateef zurück zum Thema geht … der Fade-Out kommt zu spät – und dennoch ist er nervig, denn Lateef fängt endlich richtig zu spielen an, als das Stück vorbei ist.

    Das zweite Stück heisst „A Long Time Ago“ und öffnet spärlich, Flöte, dann ein Bass-Lick von Raney und McBee, Percussion (Lawson, Brooks, Barretto, Purdie) und schliesslich die Sweet Inspriations, die mit gospel-ähnlichen Chören die Stimmung des Stückes prägen, dann länger aussetzen, um später Lateefs Namen zu rezitieren. Dann gibt es Flöten-Overdubs und eine der Sängerinnen wiederholt den Titel des Stückes. Streckenweise ist das Ding sehr reinzvoll, als Backing Track (nur mit den wordless vocals) könnte es etwas taugen, aber am Ende führt es einfach nirgendwo hin, ist weder Fisch noch Vogel (ja, so sagt man das hierzulande).

    Besser ist dann das nächste Stück aus der Feder Roy Brooks‘. „Eboness“ ist das einzige Stück der working band: Lateef (fl), Hugh Lawson (p), Cecil McBee (b) und Brooks (d) sind in dem kurzen Stück zu hören. Eine eingängige Melodie der Flöte über einem unregelmässigen Bass-Ostinato, einem feinen Schepperbeat (in dem wohl irgendwas Bossa-artiges anklingt) und einem tollen Flötensolo, bei dem auch die Stimme zum Einsatz kommt.

    Das letzte und längste Stück heisst „Chandra“ und präsentiert das Quartett zusammen mit einem Streichquartett. Lateef spielt Flöte, anfangs allein mit dem Streichquartett (fundiert von Kermit Moores Cello). Das Ding ist ein Tonpoem, die Violinen gesellen sich zur Flöte, in den mittleren Lagen liegende Töne, darunter das Cello, das einen Pedal Point antönt. Dann, nach zweieinhalb Minuten, steigt die Rhythmusgruppe ein, Lateef ist an Flöte und Tanbura (Overdubs) zu hören, McBees Bass ist die solistisch aktive Stimme, das Streichquartett setzt aus, die Flöte und der Bass treten in eine Art Dialog, Brooks tritt da und dort mit seinen Toms als dritte Stimme hinzu, bevor Lawson übernimmt (Lateef immer noch an der Tanbura im Hintergrund). Am Ende setzen Piano und Drums wieder aus, aber der Bass bleibt noch ein paar Takte lang dabei, als die Streicher sich wieder zur Flöte gesellen (und die Tanbura-Overdubs halten ebenfalls an). Ein „exotisches“, „meditatives“ Stück – blöde Begriffe, ich weiss. Bei anderen würde ich das wohl ausschalten, auf Albumlänge möchte ich es kaum hören … aber irgendwie kriegt Lateef das doch ganz gut hin.

    „Suite 16“ (SD 1563) war Lateefs nächstes Atlantic-Album. Im Gegenteil zu den bisher erwähnten, kenne ich es noch kaum. Es ist erneut Stückwerk, enthält auf der zweiten Hälfte die „Symphonic Blues Suite“, auf der ersten fünf Stücke von verschiedenen Studio-Sessions mit wechselnden Line-Ups aus dem April 1970.

    „Buddy and Lou“ ist eine Groove-Nummer mit Lateef an der Oboe und Flöte (letztere wohl im Thema mit Overdubs eingespielt) und einem Gitarrensolo (Eric Gale oder Earl Klugh), Rainey ist erneut am E-Bass, Ray Lucas und Ray Barretto sorgen für den Beat, Joe Zawinul sitzt an den Keys, die Streicher sind auch wieder mit dabei, ebenso die Sweet Inspirations mit langen gehaltenen Tönen. „Down in Atlanta“ präsentiert Lateef erstmals am Sopransaxophon – eine Pop-Ballade über einen steifen Balladen-Groove (Gale, Rainey, Jimmy Johnson, Barretto, sowie Selwart Clarke und Kermit Moore and Viola und Cello). Auch das gar keine Sternstunde. Neil Boyer wird für beide Stücke als Vibraphonist angegeben, aber ich höre ihn nicht.

    „Nocturne“ öffnet dann mit Boyers Vibes über Akkorden von Zawinul, Rainey und Lucas. Earl Klugh spielt Gitarre, Lateef ist an der Flöte zu hören. Auch das ein Pop-Stücklein ohne viel Fleisch am Knochen und mit eher nervigem Arrangement (inkl. Gitarrensolo, wie schon im Stück zuvor mit ärgst prozessiertem Sound) – aber mit schöner Flöte. Der Mix ist seltsam, Raineys Bass ist lauter als Zawinul in seinem kurzen Solo. „When a Man Loves a Woman“, der ultimative Kitsch-Schmelz-Song jener Tage, wird natürlich an der Oboe dargeboten … wenn man an die tollen Film-Tracks auf den klassischen Alben um 1960 denkt, besonders jene auf „Eastern Sounds“, dann ist das hier ein mittleres Debakel, völlig überladen mit Stimmen, überdicker Rhythmusgruppe, Kreischorgel, Wabergitarren … dazu ein Beat, dem jeglicher Charme abgeht, den dieses Stück doch sonst immer irgendwie hat. Bleibt die Oboe, den Rest muss man ausblenden. Die erste Hälfte endet dann mit Earl Klugh solo, „Michelle“ … nunja, keine Ahnung, ob sie wirklich schön gewesen ist, das ist mir zum jetzigen Zeitpunkt eigentlich längst egal … sont des sons qui ne vont pas très bien ensemble …

    Die zweite Plattenseite verspricht Interessanteres – wenn auch aus Third Stream Territorium. Yusef Lateefs „Symphonic Blues Suite“ in sieben Sätzen wurde im Juni 1970 in Köln eingespielt. Es wirkten neben Lateef (an Flöten, Tenorsaxophon, Glocken etc.) mit: Barry Harris (p), Bob Cunningham (b, elb), Albert Heath (d) sowie das Kölner Rundfunkorchester unter der Leitung von William S. Fischer. Der erste Satz ist mit „Folia“ überschrieben, öffnet mit gehaltenen tiefen Bass-Tönen und kleinen Akzenten von Streichern und Bläsern. Eine geheimnisvolle Stimmung wird aufgebaut, ein Harfen-Arpeggo, Flöten … und Lateefs wilde Flöte im Dialog stösst dazu. Der zweite Satz, „Minuet (hybrid, atonal)“ beginnt mit Tenor-Linien, wie in Stein gemeisselt, mit Einwürfen des Orchesters, die immer dissonanter werden, während Lateef erdige, einfache Linien bläst (reizvoll, wie eine Orchester-Oboe hinzustösst – und natürlich immer auch Flöten – und sein Instrumentarium quasi parallel hörbar ist, ganz ohne Overdubs und technische Tricks).

    Der dritte Satz ist dann ein mittelschneller zwölftaktiger Blues mit der Rhythmusgruppe und langem Solo Lateefs, der immer noch am Tenor zu hören ist. Endlich hört man ihn mal wieder richtig spielen – und es ist ein Genuss! Heath treibt an, spielt viel lebendiger als auf dem einen Stück, das als Bonus auf „The Blue YL“ zu finden ist. Nach zwei Minuten gesellen sich riffende Streicher und Blechbläser hinzu und Lateef fängt an, den Ton zu überblasen. Unvermittelt bricht das Solo ab, Harris übernimmt am Piano, mit karger Begleitung, einzelnen Einwürfen, der Beat löst sich rasch auf. Aus abstrakten Gefilden findet Harris in verspielte Gewässer, um dann in einen langsamen Blues zu fallen, begleitet von Cunningham und Heath. Der vierte Satz, „Passacaglia“, überträgt ziemlich erfolgreich einen dieser typischen Lateef-Grooves, wie man sie seit dem Debut-Album kennt, in das orchestrale Setting. Ein Bruch erfolgt dann mit dem fünften Satz: plötzlich wird der Beat rocking, der Bass elektrisch. Der Spuk währt nur kurz, die Sätze V – Chorale und VI – Blues (extended form) dauern zusammen gerade mal zwei Minuten. Dann folgt eine Coda (VII) mit Lateef an der Flöte, vokalisierend, über einen swingenden Background, der streckenweise mehr nach Big Band denn nach Orchester klingt.

    Die Suite mag Patchwork sein – aber für meine Ohren gehört sie eindeutig zum Besseren aus Lateefs Atlantic-Zeit.

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    gypsy-tail-wind
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    „The Gentle Giant“ ist das nächste Atlantic-Album Lateefs (SD 1602). Im September 1971 wurden erneut an zwei aufeinanderfolgenden Tagen Sessions anberaumt, aber wie in der Atlantic-Zeit üblich, griff man auch auf älteres Material zurück (und von all den Studio-Sessions blieb Einiges unveröffentlicht … eine Box mit den Sachen chronologisch und komplett wäre bestimmt interessant und würde eien anderen Blick auf die Musik erlauben). Sechs der acht Stücke wurden in den September-Sessions eingespielt, ein langes „Hey Jude“ sowie „Queen of the Night“ stammen von den Sessions im April, während derer die Musik für die A-Seite von „Suite 16“ aufgenommen wurde.

    Das tolle Cover-Photo von Guiseppe Pino brauchte ich schon am Anfang des Threads … das Album ist das einzige von Lateef, das ich als LP habe – müsste man an die Wand hängen!

    Das Album ist insgesamt ein sehr gutes geworden – zu dem Schluss komme ich jedenfalls inzwischen, es wuchs mir über die Jahre ziemlich ans Herz und bei den endlosen Durchgängen seit gestern Abend wächst es weiter. Eine bunt gemischte Sache, viel Flöte, funky Grooves, Keys, Fender Bass, aber auch Duos von Tootie Heath, Lateef und Kermit Moores Cello … aber das alles ist nur an der Oberfläche von Bedeutung, die Besetzung gibt inzwischen nur noch wenig Aufschluss darüber, ob ein Lateef-Track gut sein könnte oder nicht. Was mich hier überzeugt ist, wie entspannt das meiste groovt – das Material hätte das Zeug dazu gehabt, in den Neunzigern zum Kult-Fetisch der Acid Jazz-Generation zu werden! Und dennoch ist es nicht hohl oder oberflächlich, verliert sich nicht in Spielereien wie die Stücke auf „The Diverse“, auch mit dem plumpen Blues-Rock, wie er die schwächeren Stücke von „The Blue“ verdirbt, hat Lateef wie es scheint anbgeschlossen. Stattdessen dominieren weit ausgreifende Basslinien, sparsame Beats (angereichert mit etwas Percussion) (Tootie Heath, Jimmy Johnson, Ladzi Camara), die Flöten von Lateef (auch die Stimme und die kleinen Instrumente), dazu die tollen Sounds von Fender Rhodes (Ray Bryant und Kenny Barron) und Fender Bass (Chuck Rainey, Bill Salter), etwas Cello (Kermit Moore), etwas Vibes (Neal Boyer) und elektrische Gitarre (Eric Gale), aber auch Kontrabässe (Sam Jones, Bob Cunningham) und auch die Sweet Inspriations wirken wieder mit. Eigentlich klingt das alles gar nicht nach einem anderen Album als die Vorgänger – aber dennoch: hier funktioniert, zum zweiten Mal nach „Detroit“, alles. Vermutlich auch, weil nicht versucht wird, die Stücke in Pop-Arrangements zu packen, weil nichts von den steifen Arrangements der A-Seite von „Suite 16“ übrig bleibt.

    Den Auftakt macht „Nubian Lady“ von Kenny Barron. Ein hypnotische Basslinie gespielt von Bill Salter am E-Bass, ein langsamer Groove mit den Keys von Ray Bryant und Kenny Barron (vermutlich an Klavier bzw. Fender Rhodes … wobei Bryant glaub ich da und dort auch mal E-Piano spielte) und Tootie Heath am Schlagzeug – darüber spielt Lateef an der Querflöte das Thema und soliert sehr entspannt, geräumig. Das Ding ist wirklich spitze! Erinnert mich ein wenig an Robin Kenyattas phantastisches ECM-Album „Girl from Martinique“ – Lateef had it down! Das hier ist in meinen Ohren eine aktualisierte Version des altbekannten Lateef-Grooves (der früher mit Rebab und gekratzten Ballonen daherkam, jetzt eben mit Fender Rhodes und E-Bass).

    „Lowland Lullabye“ ist eine Miniatur, ein Arrangement eines Traditionals mit Tootie Heath an der Bambusflöte und Kermit Moore am gestrichenen Cello. Ihre Linien überlagern und verschieben sich und doch spielen sie eigentlich dasselbe. Sehr schönes Stück, in dem eigentlich nichts passiert, aber das ist auch nicht nötig. Es funktioniert auch als eine Art Prolog zum folgenden, neunminütigen „Hey Jude“ (das ich, wie gesagt, nie so recht begreifen werde). Lateef spielt das Thema an der Oboe, die Levels sind sehr niedrig, man hört ihn quasi aus der Ferne. „Do not adjust the playback level on your audio equipment – readjust your mind“ steht in grossgedruckten Lettern in der Tracklist nach dem Stück. Eric Gales Gitarre schlängelt sich dazu, man hört Chuck Raineys Bass … und ganz langsam wird die Musik lauter, kommt näher, Jimmy Johnsons Drums, Neal Boyers Vibes und die Backing Vocals der Sweet Inspirations werden hörbar, Gale greift zum Wah Wah-Pedal, Rainey hämmert die Basslinie, nach vier, fünf Minuten kann man allmählich richtig was hören … irgendwie gefällt mir das Ding, es fügt sich bestens in das ganze Album ein, aber zu den Höhepunkten gehört es in meinen Ohren nicht, der Beat ist hier – das liegt gewiss am Material – wieder so starr und steif wie auf den Stücken auf der ersten Seite von „Suite 16“.

    Besser geht’s gleich auf der zweiten Seite weiter: wieder ein satter, entspannter Groove mit Querflöte und derselben Band wie auf dem Opener. Das Stück heisst „Jungle Plum“ und stammt erneut aus der Feder Kenny Barrons. Lateef ergänzt sein Flötensolo mit der Stimme – Teils in Kombination, teils im Wechselspielt mit seiner Flöte, das Tempo ist deutlich schneller als auf Barrons erstem Stück. In Lateefs „The Poor Fisherman“ sind gleich zwei Flöten – Bambusflöten – zu hören, Lateef und Heath spielen das Stück zusammen, ein ruhiger Moment im Kontrast zum umgebenden Funk, wie schon auf der ersten Seite der LP. Auch hier hat die Musik etwas Meditatives, sie geht nicht weit, Phrasen werden wiederholt, leicht variiert, die beiden geben sich Antwort, um dann wieder gemeinsam weiterzuspielen – aber die beinah vier Minuten sind im Nu um.

    Weiter geht’s mit Kenny Barrons drittem Flöten-Groove-Stück, diesmal mit den Bässen von Sam Jones und Bob Cunningham und wieder den Keys (ich glaube aber, hier spielt nur einer, wohl Barron). Ladzi Cammara ergänzt und umpsielt den Beat von Tootie, Lateef spielt nur das Thema, ein Pianosolo steht in der Mitte, aber im Zentrum steht ganz der laszive Groove der ganzen Band. „Quee of the Night“ ist das zweite Stück aus dem Vorjahr, es dauert nur zwei Minuten und präsentiert Lateef mit Gales seltsam abgemischter Surf-Wah-Wah-Gitarre (die manchmal fast wie eine Rinky-Dink-Orgel wabert), wie sie schon in einem Stück auf „Sweet 16“ zu hören ist, Chuck Rainey und Jimmy Johnson. Lateef ist mit zwei Flötenstimmen zu hören – das Stück vergleicht man wohl am besten mit der Single, die Lateef für Riverside eingespielt hat. Auch das hier hat etwas Filmisches, ist zwar stilistisch ganz anders, aber Charme ist durchaus vorhanden – ein kleines Stück Exotica aus der Feder Lateefs.

    Den Abschluss macht Lateefs „Below Yellow Bell“, wieder aus den Sessions mit Bryant, Barron etc., und wieder mit den Kontrabässen und Percussion. Lateef ist an einem dieser kleinen Stimmenverfremdungs-Dinger zu hören, eine Art Flöte mit Zug oder sowas. Der Groove ist hypnotisch und offen – wie ich oben schriebe, für mich ein legitimes Update des alten Lateef-Grooves, gefällt mir sehr gut. Damit schliesst sich auch der Bogen zum Beginn und endet ein durchaus dem Groove gewidmetes Album, das wenn ich mich nicht täusche ohne einen einzigen Ton Tenorsaxophon auskommt (auch wenn auf dem Backcover ein tolles Photo Lateefs am Tenor zu sehen ist.

    Das nächste Atlantic-Album heisst „Hush ’n‘ Thunder“ (SD 1635) und entstand über diverse Sessions im Mai und September 1972. Im Mai waren Kenny Barron, Kermit Moore, die J.C. White Singers und Organist Al White dabei, in der fünften und letzten Session dann Barron, die Gitarristen David Spinozza, Cornell Dupree und Keith Loving sowie Gordine Edwards am Bass. Wieder blieb von den Aufnahmen einiges unveröffentlicht. Im September wurde für zwei Sessions eine ähnliche Band zusammengetrommelt wie schon im Jahr zuvor für „The Gentle Giant“. Neben Barron und Bryant (keys), Tootie Heath (d), Bill Salter (elb), Kermit Moore (vc), Bob Cunningham (b) wirkten auch Jimmy Owens (t), Hugh McCracken und Spinozza (g), Jimmy Johnson (d), Ralph MacDonald und Monroe „Bones“ Constantino (voc) mit.

    Im September folgte noch eine dritte Session, die vollständig unveröffentlicht blieb, mich aber interessieren würde: Jimmy Owens, Lateef, Barron, Cunningham, Heath – ein rein akustisches Quintett, das sieben Stücke einspielte – wie das zu dem Zeitpunkt wohl geklungen hat? Eine weitere Session vom Oktober ergab zwei weitere, unveröffentlichte Stücke.

    Als Opener hören wir „Come Sunday“ von Duke Ellington, im Duo von Lateefs Flöte und Kermit Moores Cello gespielt, ein wundervoller Auftakt. Beide sind mit Overdubs verdoppelt, aber die jeweils zweiten Stimmen fügen sich, besonders in der Flöte, fast wie ein Echo an die ersten an. „Come Sunday“ als Flöten- und Cello-Quartett – ziemlich unwahrscheinliche Idee, aber es funktioniert wirklich gut.

    Die geweckten Erwartungen werden indes nicht gänzlich eingehalten. Schon die nächste Nummer, „The Hump“ von Kenny Barron, ist eine simple Groove-Nummer, wieder eine „geschlossene“, ohne diese Freiheit, die der Musik auf „Gentle Giant“ so gut tat. Über Barrons Rhodes, Cunninghams (oder Salters?) ödes Bass-Lick und den recht langweiligen Beat von Tootie Heath (ausgeschmückt immerhin von etwas Percussion) spielt Lateef ein Solo am Tenorsaxophon, das zwar klar als Lateef erkennbar ist, aber weit von den Höhen entfernt, die er anderswo erklingt – dazu ist der Track einfach zu öde, zuviel Rock, zuwenig Groove – schade irgendwie, das hätte besser gehen können.

    Es folgt Barrons achtminütiges „Opus“ in zwei Teilen, von denselben Sessions aber mit Ray Bryant, Kermit Moore, Bones Constantino und den Bässen von Salter und Cunningham (ersterer wird als E-Bassist angegeben, letzterer als Kontrabassist). Lateef spielt Flöte, aber den Auftakt macht erstmal Moores Cello über Rhodes-Akkorde, noch ohne festes Tempo. Dann steigt Lateef ein, mit viel Vibrato, über eine Art Drohnen-Background – Erinnerungen an die Gil Evans-Arrangements für Miles in den späten Sechzigern. Nach etwas über drei Minuten setzt dann ein Groove ein und Lateef spielt das Thema, umschmückt von Bryant am (akustischen) Piano. Die Atmosphäre stimmt hier wieder, die Grooves sind offen, lassen Raum, der Beat ist zwar wieder sehr simpel und ziemlich eintönig, aber das macht in diesem Stück durchaus einen gewissen Reiz aus. Für Lateefs Solo wird das Bass-Lick dichter, der Beat etwas bewegter, man driftet – auch mit dem Honkytonk-Piano Bryants – wieder gefährlich in die Nähe der öden Rocker auf „Blue“ ab, aber das Ding funktioniert doch ganz gut. Lateefs Solo ist klasse, man hört ihn tief Keuchen zwischen den Phrasen, er wiederholt ähnliche Linien und verzahnt sie mit dem Bass-Lick und dem Beat. Leider wusste man nichts Besseres, als einen langsamen Fade-Out, um das Ding zu Ende zu bringen.

    Der Fade-Out macht allerdings im Übergang zur nächsten Nummer Sinn. „This Old Building“ von Rev. Cleophus Robinson öffnet mit einem Intro, das man wohl als musique concrète beschreiben kann – nicht erkennbare Flattergeräusche, die immer lauter anschwellen – um dann unmittelbar in einen erdigen Gospel-Groove zu fallen mit dem Chor (inkl. Händeklatschen für den Beat), der Orgel – und darüber Lateef mit einem Tenorsolo. Auch hier gibt es kein Ende, das Stück fasert aus, man hört Stimmen im Studio, als sei das nichts als ein loser kleiner Jam – und so klingt auch Lateef.

    Weiter geht’s mit Barrons „Prayer“, wieder zurück zum Funk, leider erneut zum eher steifen mit den Gitarren von McCracken und Spinozza, Bill Salters E-Bass, einem viel zu geradlinigen Beat von Johnson der Heath, etwas Stimme von Constantino und Lateef an der Shenai – allerdings eher an seltsamen Klängen interessiert denn an einer kohärenten Linie. Eine solche schält sich langsam heraus, aber vor dem steifen Hintergrund wirkt das nicht recht – und man erwartet den Fade-Out schon bevor er beginnt.

    Dann folgt „Sunset“, wieder von Barron, das letzte Stück der Session von der auch „The Hump“ und „Opus“ stammen, Lateef an der Flöte im Quintett mit Barron (elp), Cunningham (b) und Heath (d). Zum Auftakt sind wieder seltsame Klänge zu hören, vermutlich von Cunningham und Heath erzeugt, während Barron wabernde Akkorde legt und Lateef frei darüber improvisiert – sehr bedächtig ist das alles, das Stück geht wieder in eine gute Richtung, öffnet Räume, die Lateef mit seiner Flöte dann bespielt.

    Im nächsten Stück kehrt der Goseplchor zurück, wieder mit Orgel und Lateef am Tenor: „His Eye Is on the Sparrow“ ist zu hören, die alte Hymne, die Matana Roberts auf ihrem neusten Album ebenfalls bearbeitet hat. Das Stück ist klasse, Lateef soliert über den Chor, seine vokalen Qualitäten am Tenorsaxophon werden durch den Kontext noch unterstrichen. Ein Stück, um im Endlos-Modus zu hören!

    Den Abschluss macht dann „Destination Paradise“ von Lateef, das Stück von der letzten Mai-Session mit den drei Gitarren, Bass und Barron am Rhodes. Ein meditatives Stück mit Flöte wie schon jenes zum Auftakt, Rhodes und Gitarren sind sparsam eingesetzt, der E-Bass setzt einen Puls, über den Lateef soliert. Ein hübscher Ausklang eines ziemlich inkonsistenten Albums.

    „Part of the Search“ (SD 1650) entstand in zwei Sessions im April und drei weiteren von Mai bis Dezember 1973. Es ist als eine Art Hörfilm konzipiert mit kurzen Segmenten zwischen den Tracks, etwas Radio, als würde man die Sender wechseln und dabei da und dort ein Wort aufschnappen. Das erste Stück ist erneut ein Original von Kenny Barron, der „K.C. Shuffle“, dessen Titel schon alles verrät: ein Shuffle im KC-Swing-Stil aufgenommen mit einer kleine Big Band (Joe Newman, Jimmy Owens, Wayne Andre, Warren Covington, Garnett Brown, Frank Wess, Jerry Dodgion, Lateef, Barron, Al Gafa, Cunningham, Heath). Garnett Brown spielt wohl das Posaunensolo, danach ist Lateef am Tenor zu hören – natürlich kehrt er die Pres-Seite nach oben, wenn es um KC geht. Das Arrangement ist recht gut, gespielt ist es klasse (es sitzen ja auch ein paar Big Band Profis in der Gruppe) und Barron streut ein paar Basie „pling … pling … pling“ Akkorde ein.

    „Oatsy Doatsy“ ist danach ein ziemlich Stilbruch, ein kurzes rockendes Ding mit Kinder-Reim von Lateef, das aber nur eine halbe Minute dauert und von Doug Sahm arrangiert wurde. Weiter geht es mit „Soul’s Bakery“ aus derselben Session wie der Opener. Ein hartnäckiges Bass-Riff aus zwei Tönen (das ein paar Male in den Changes verschoben wird) gibt den Ton vor, Heath trommelt erneut einen Shuffle, Lateef bläst wieder kraftvolles Tenor, auch als Teil des abschliessenden Ensembles, in dem er herauszuhören ist, wegen seiner Intonation und seiner Phrasierung. „Lunceford Prance“ ist das nächste Stück – das dritte und letzte der ersten Session. Es greift Motive aus Lunceford-Stücken auf und Heath treibt die Band mit fetten Backbeats an. Wie es sich gehört für eine Lunceford-Hommage, steht das Ensemble stark im Zentrum. Nach ein paar Takten Trompete (Newman wohl?) ist Lateef wieder am Tenor zu hören, Barron spielt etwas Barrelhouse-Klavier dahinter, die Bläser beginnen zu riffen, derweil Lateef weitersoliert.

    Dann folgt Ray Charles‘ „Rockhouse“, ein einfacher Blues, der sich nach dem Piano-Intro Barrons rasch als ein grosses Basie-Zitat entpuppt. Cunningham und Heath halten den Beat durch, Lateef soliert am Tenor, unterstützt von Frank Wess, Charlie Fowlkes am Alt- bzw. Barisax sowie den später via Overdub hinzugefügten Trompeten Newmans und Charles Sullivans. Die Suche, um die es Lateef hier geht, soviel wird inzwischen klar, ist eine, die nach hinten blickt, in die Zeit der Big Bands, die er in seien Wanderjahren selbst einige Jahre erlebt hatte. Mit nochmal ein paar Sekunden „Oatsy Doatsy“ endet die erste Hälfte.

    „In the Still of the Night“ wird vor Doo-Wop-Vocals von Lateef präsentiert – natürlich wieder am Tenor mit saftigem Sound. Ein charmantes kleines Ding (wer singt, weiss ich nicht, es gibt dazu keine Angaben). Es folgt „Superfine“, das dritte Stück von den Herbst-Sessions in Folge, eine Retro-Spassnummer von Bob Cunningham, in dem die Working Band (Barron, Cunningham, Heath) zu hören ist (irgendwer fünftes bedient noch Schlaghölzer oder einen Hold-Shaker oder sowas). Lateef bläst ein R&B-Tenorsolo, das sich gewaschen hat. Dann sind ein paar Takte rollenden Blues-Pianos von Barron zu hören, die allmählich in einen Boogie Woogie kippen, während Heath weiter eine Art Proto-Rock’n’Roll-Beat klöppelt – inconsequential fun.

    Die nächsten beiden Stücke stammen wieder aus dem April, von der zweiten Session mit Willie Bridges (sax, fl) Charles McBurney, Rocky Morales (sax), Barron, Cunningham, Heath, sowie drei Streichern: Emanuel Green, Arnold Eidus (v) und Selwart
    Clarke (vc). „Strange Lullaby“ ist ein hübsches Stück mit Lateef an der Flöte – und seltsamen, vermutlich via Overdub beigefügten Schnarch-Geräuschen und mehr. Nunja, der Zeitgeist eben … das ganze Album ist zwar voller klasse Musik, aber im Geiste wohl nicht so weit von Raymond Scott oder sowas entfernt. „Big Bass Drum“ ist eine Novelty-Nummer nur mit Gesang – eien Art Talking-Drum-Story.

    Den Abschluss macht dann, wie könnte es anders sein, eine Ballade mit Lateef am Tenor, „Getting Sentimental“, einer dieser wundervollen alten Songs, die längst vergessen sind (komponiert von Gus Kahn-Matty Malneck). Das Stück ist das grosse Highlight eines nostalgischen Albums (dass Dorn sowas machte?!) und präsentiert Lateef einmal mehr als grossen Balladensänger, in einem wundervollen Solo und am Ende – das Stück dauert fast zehn Minuten – noch mit einer Solo-Kadenz. Klanglich greift er in die Vollen, erinnert an Hawkins und Webster aber mit diesem bittersüssen Beigeschmack, der Lateefs ganz eigene Note ist. In der Ausgestaltung der Linien lässt er aber auch hier wieder an Lester Young denken. Diese Aufnahme entstand am Ende der ersten Session vom September 1971 für „The Gentle Giant“, wer genau Lateef begleitet, ist nicht klar, da in der Session zwei Pianisten und Bassisten (Barron und Ray Bryant, Cunningham und Sam Jones) mitwirkten. Da die Namen von Bryant und Jones auch im Zusammenhang mit „Part of the Search“ genannt werden und Bryant der akustische Pianist der Sessions im September 1971 war, nehme ich an, wir hören hier Lateef, Bryant, Jones und Heath – aber sich bin ich mir gar nicht, Jones halte ich für wahrscheinlich, aber der Pianist klingt für meine Ohren so, dass es auch Barron sein könnte.

    Im Juli 1974 wurde Lateef an zwei Tagen im Keystone Korner in San Francisco live aufgenommen. Ein Teil dieser Aufnahmen erschien auf dem Doppel-Album „10 Years Hence“ (SD2 1001), ein über zwanzig Minuten langes „Samba do Amor“ (mit „Time Montage“ zwischendrin) vom 5. Juli und ein achtminütiges „A Flower“ (mit Overdubs) vom 6. Juli. Drei weitere Stücke ohne Matrizen-Nummern (es wurden an jedem Abend über ein Dutzend Stücke aufgezeichnet, denen man Nummern vergab, von denen aber nur die beiden genannten veröffentlicht wurden) stammen auch von den Aufnahmen: „Yusef’s Mood“, „But Beautiful“ und „I Be Cold“ (letzteres wieder mit Overdubs), auch das lange Stücke („But Beautiful“ zwölf, die anderen beiden 18 Minuten).

    Zu hören ist die damalige Working Band: Lateef, Barron, Cunningham und Heath. Für Lateef wird mal wieder das ganze Instrumentarium dokumentiert: ts, c-fl, sealhorns, shenai, oboe, african thumb-p, perc – aber ich vermute mal, dass das längst nicht alles ist (weitere Flöten und Percussionsinstrumente kommen dazu). Barron und Cunningham greifen ebenfalls zu Percussionsinstrumenten, Heath natürlich auch, aber ebenso hatte er seine Bambusflöte mit dabei.

    Die Overdubs in „A Flower“ stammen von Gene Orloff und Sanford Allen (v), Alfred Brown (vla), Kermit Moore (vc), jene in „I Be Cold“ von Ernie Royal, Joe Wilder (t), Wayne Andre, Garnett Brown, Tony Studd (tb), Eddie Daniels (as), Yusef Lateef (ts), Bill Salter (elb), Cissy Houston, Eunice Peterson, Deidre Tuck, Rennelle Stafford (voc), arrangiert hat Kenny Barron (Cissy Houston die Vocals)

    Den Auftakt macht die „Fantasie“ von Bob Cunningham, „Samba de Amor“ (Teil 1), dessen Thema er am Bass streicht, nach einer kurzen Ansage Lateefs und einem kollektiven Schepper-Intro. Dann stösst Lateef an der Querflöte dazu, die beiden spielen ein schönes Duo, bevor nach dreieinhalb Minuten der Samba-Beat einsetzt: Kenny Barron an der Cowbell, Lateef wohl am Scratcher, Cunningham mit Glöckchen, Heath am Kit. Dann stösst Cunningham zu Heath und setzt mit der Bass-Linie ein, während die Cowbell und der Scratcher weiterhin zu hören sind. Schliesslich setzt Barron sich ans Klavier und spielt etwas klischiertes Latin-Piano, während Lateef weiterschabt. Lateef greift zur Flöte, Cunningham wieder zum Bogen, der Beat hält an, aber Heath variiert ihn und Barron zieht sich auf ein paar einfache Akkorde zurück. Nach einem längeren gestrichenen Solo Cunninghams setzt Lateef zu einem ausgewachsenen Flötensolo an, derweil Barron und Heath wieder etwas aktiver werden. Später gibt es eine Samba-Passage, in der Lateef ein paar Töne wie aus einem Singnalhorn bläst und alle Heath unterstützen. Nach einer Viertelstunde bricht das Stück unvermittelt ab und die „Time Montage“ folgt, eine wohl später mithilfe einer Rasierklinge hinzugeschnittene Monate aus Uhrengeräuschen und Wecker-Alarm-Tönen. Daraus folgt dann ein Groove am E-Bass, offensichtilich wieder live eingespielt, Lateef an der Mbira, Heath und Barron an kleinen Instrumenten – „Samba do Amor“ Teil 2. Die Bass-Linie verdichtet sich, wird schneller, sehr funky – das Publikum hat hörbar Spass. Lateef setzt zu einem Solo an der Shenai an, was vor diesem Background viel besser passt als in dem einen Stück auf „Hush ’n‘ Thunder“. Dann wechselt er noch kurz zur Oboe, während Heath wieder mit dem Samba-Beat einsteigt und Cunningham auf den Kontrabass zurückwechselt. Am Schluss sind wir wieder bei Percussion, Drums und Kontrabass, es gibt noch eine Art beschleunigten Party-Shout-Chorus, Cunningham rifft, Heath tänzelt und die anderen schmücken aus. Ein tolles Stück, das in 22 Minuten keine Langweile aufkommen lässt!

    „Yusef’s Mood“ ist ein staple der Band (die ja eigentlich erst die zweite Working Band Lateefs seit 1955 oder so ist … zuerst Lawson und Farrow mit zwei, drei wechselnden Drummern und hie und da Barry Harris oder Herman Wright, später Reggie Workman und Cecil McBee an ihrer Stelle, danach Barron, Cunningham und Heath). Barron spielt ein schönes Solo über einen Shuffle mit Beteiligung (Klatschen) des Publikums, doch das alles ist natürlich nur der Auftakt zu einem weiteren Stück, das eine ganze LP-Seite eingenommen hat, er zitiert „Billie’s Bounce“ und Lateef spielt im Hintergrund Stuff Smith, Louis Armstrong und Dizzy Gillespie (singt „I’se a Muggin'“, schreit „YEAH“ mit Raspelstimme und singt Bebop-Silben). Barrons Solo gewinnt immer mehr Fahrt und hat sich nach ein paar Minuten von allen Klischees verabschiedet (Lateef schreit im Hintergrund zustimmend: „Yeah!“). Nach über neun Minuten setzt Barron aus und Lateef lanciert sein Solo mit einer seiner typischen Phrasen. Auch er lässt sich viel Zeit und spielt ein tolles Blues-Solo. Die Rhythmusgruppe ist besorgt dafür, dass die Begleitung interessant bleibt, Barron steigt bald wieder ein, Heath shuffelt, Cunningham walkt und Lateef spielt sich langsam ins Feuer. Auch bei ihm gibt es Chants der Band, das ganze Ding ist spontan aber doch haben die vier ein paar Dinge auf Lager, die sie wohl abrufen konnten, damit ein so langes Stück nicht eintönig wird.

    Die dritte LP-Seite ist dann die mit den zwei etwas kürzeren Stücken. „But Beautiful“, der Song von Jimmy Van Heusen, wird am Tenor gespielt, Barron begleitet, Cunningham legt lange Töne drunter, Heath ist praktisch unhörbar, während Lateef das Stück singt, wieder in a lestorian mood. Ein weiteres Meisterstück – vor muxmäuschenstillem Publikum übrigens. Was will man da auch anderes tun denn gebannt zu lauschen! Es folgt „A Flower“, eine Duo für Flöte und Piano, das im Nachhinein mit den erwähnten Overdubs versehen wurde. Immerhin hat Barron das selbst gemacht, aber ob er seinem Stück damit wirklich einen Gefallen tat, halte ich für zweifelhaft, erst recht zumal die Overdubs nur wenige Male kurz auftauchen – als könnte man sie ein- und wieder ausknipsen. Das Stück an sich ist allerdings sehr schön.

    Die vierte Seite des Doppel-Albums gehört ganz Lateefs „I Be Cold“. Auch hier hat Barron die Overdubs arrangiert, der Fall liegt allerdings etwas anders. Das Stück öffnet mit Band Intros von Lateef über einen Funky Beat von Heath, über den Cunningham gestrichene Basstöne spielt, Barron funky Akkorde zu legen beginnt und Lateef irgendwelche seltsamen Klänge mit seiner verfremdeten Stimme erzeugt. Und sofort setzen die Overdubs ein: ein funky Bass-Ostinato von Bill Salter, die Stimmen von Cissy Houston und ihrer Mitstreiterinnen (nicht die Sweet Inspirations hier, soweit ich weiss). Lateef fällt in eine Art Sprechgesang über diesem Groove, der gestrichene Bass klingt ziemlich rauh und ergibt eine weitere spezielle Klangfarbe in dieses Lateef-Gebräu, das da und dort auch von Bläser-Sätzen angereichert wird. Nach etwa sechs Minuten setzt Lateef zu einem Flötensolo an, immer noch im Wechsel mit seinem Sprechgesang (I be cold … I’m a cold man … I do be cold … ‚coz sometimes I be cold …), dann bringen die Bläser ein neues Riff. Das Ding ist so elaboriert und v.a. so stark vom E-Bass-Riff abhängig, dass man sich fragt, wie das live denn geklungen haben könnte – vom Kontrabass ist jedenfalls bald nichts mehr zu hören – ich glaube, er spielt dasselbe Lick wie in Salters Overdubs, es gibt Passagen, in denen es scheint, als können man zwei Bässe hören, aber sicher bin ich mir nicht. Der Applaus ist jedenfalls ziemlich gross und scheint ohne Edit zu folgen – vermutlich war das Stück auch live, ohne Overdubs, ziemlich klasse!

    Die Aufnahmen sind jedenfalls toll. Sie haben – auch durch die Länge der Stücke – nicht die Dichte und Prägnanz der frühen Aufnahmen Lateefs, aber sie zeigen doch, dass ein Quartett auch in den Siebzigern noch in der Lage war, sehr gute Musik zu spielen, ganz ohne die Möglichkeiten des Studios. Dass von den vielen Aufnahmen jemals mehr erscheint, wage ich nicht zu hoffen, aber interessiert wäre ich sehr, versteht sich!

    „The Doctor Is In … and Out“ (SD 1685) ist das letzte Atlantic-Album Lateefs. Es wurde mit einigem Abstand im März 1976 aufgenommen und zeigt ihn auf dem Weg zu elektrischerem Funk als man ihn je zuvor hörte, schon im Opener „The Improvisers“, den Lateef komponiert und arrangiert hat. Er spielt Flöte über einem dichten Background, getragen von einem E-Bass-Lick und die Drums von Al Foster, dem Groove-Meister, der gerade seinen Job bei Miles los war, weil der sich zurückzog. Dom Um Romao spielt Percussion, ob jemand eine Sitar oder sowas anschlägt oder die Klänge aus dem Synthesizer von Dana McCurdy kann ich nicht sagen. Weiter sind an den Stücken beteiligt: Leonard Goines, Joseph Wilder (t), Jack Jeffers (tb), Jimmy Buffington (fhr), Jonathan Dorn (tuba), Kenny Barron (keys, arr), Billy Butler (g), Ron Carter und Anthony Jackson (b) (Cunningham spielt angeblich nur E-Bass – ich denke eher, die drei wechseln sich ab), Cissy Houston und Judy Clay (voc), sowie die Gäste David Nadien (v) und Robert Cunningham (narr) (keine Ahnung, ob das Bob ist, der Bassist, oder jemand anderes).

    Die nächsten zwei Stücke stammen von Kenny Barron, in „Hellbound“ spielt Lateef die Oboe, die Synthesizer-Sounds sind im Latin-Background etwas gewöhnungsbedürftig, der Beat stapft etwas zu sehr, aber das Stück ist hübsch und lässt mich von der Stimmung her einmal mehr an die Klänge der Spät-Sechziger-Session von Miles/Gil denken. Nach Lateefs Oboensolo ist Barron am Rhodes zu hören. Das dritte Stück heisst „Mystique“, Lateef an der Flöte über einem Bass-Lick, Synthie-Sounds, Percussion und einem etwas starren Beat … woher die Vibes oder Marimba-Töne kommen, weiss ich nicht, Dom Um Romao? Egal … ich mag dieses Album irgendwie viel besser, als es das verdienen würde, überhaupt endet die Atlantic-Zeit gar nicht übel, „Part of th Search“ ist gewiss kein sonderlich tiefes Album und in seiner Rückwärtsgewandheit irgendwie niedlich, aber die Live-Aufnahmen und „The Doctor … “ sind schwer in Ordnung!

    Die zweite Hälfte des Albums umfässt dann fünf Stücke, drei von ihnen sehr kurz, darunter das erste, „Mississippi Mud“ von Lateef, ein catchy Thema über eine schwere Basslinie mit Lateef am Tenor – und man halte sich fest: mit Varitone! Joel Dorn schrieb ja mal, dass er gerne ein Album von Lateef und Kirk gemacht hätte … aber eines von Lateef und Eddie Harris wäre in der Zeit sicher auch klasse geworden! „Mushmouth“ stammt wieder von Barron, und vom bluesigen Territorium geht’s wieder in den Funk, geprägt von der Gitarre Billy Butlers und einem Stotter-Beat. Die Linie erinnert ein wenig an „Freedom Jazz Dance“, eine lange, sich windende, von den Bläsern (inkl. Lateef am Sax) vorgestellte. Dom Um Romao ist im Ensemble ziemlich präsent, steuert auch kurz die Cuíca-Klänge bei, wie man sie von Miles‘ Bands der Siebziger kennt. Lateefs Tenor ist immer wieder zu hören – leider folgt dann ein Fade-Out, als er wieder richtig loslegt.

    „Technological Homosapien“ von Lateef ist das Stück, auf dem es eine „narration“ zu hören gibt – begleitet von Synthesizer klängen. Ein sehr seltsames Ding. In den letzten zwei Minuten wird es dann zu einer Groove-Nummer über einen Synthi-Bass mit Lateef an der Flöte. In „Street Musicians“ ist in der ersten Hälfte die Violine von David Nadien vor Strassengeräuschen zu hören, dann steigt die Band ein, mit einem marching beat und Tuba. Den Abschluss macht dann „In a Little Spanish Town“, Lateef spielt Altsaxophon über eine alte Aufnahme des Stückes mit mehrstimmigem Gesang. Thom Jurek meint in seinem Allmusic-Review, die ganze Band spiele „bluesy hardbop“ über die alte Aufnahmen, ob das Piano auch neu ist, ist schwer zu sagen, es fügt sich so gut ein, dass es durchaus auch auf der alten Aufnahme sein könnte. Jedenfalls ist Lateef wundervoll – und wie Jurek auch schreibt, endet damit „a weird and wonderful record“.

    Als Fazit muss ich sagen, dass die zweite Hälfte der Atlantic-Alben nicht schlechter ist, als die erste – im Gegenteil! „The Gentle Giant“ ist sehr toll, die Live-Aufnahmen aus dem Keystone Korner ebenso, „Part of the Search“ mag ein seltsames Nebenwerk sein, aber es macht mir grossen Spass – und auch das letzte Album ist ziemlich gut.

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    Ein überraschend gutes Album, das unter Art Farmers Namen erschien, aber weil Lateef auf dem Cover erwähnt wird – und im Foldout auf einem Photo in Latzhose zu sehen ist – möchte ich es hier auch kurz erwähnen. Arrangiert wurde die Musik auf „Something You Got“ (CTI 7080) von David Matthews, der in den frühen Siebzigern u.a. ein paar Singles für James Brown arrangiert hatte.

    Das musikalische Programm ist abwechslungsreich, von Chick Coreas „Spain“ über Clifford Browns „Sandhu“ zu Originals von Fritz Pauer und David Matthews. Den Aufakt macht Chris Kenners „Something You Got“ mit Farmers Flügelhorn über einem leichten Funk-Groove (Hiram Bullock spielt Gitarre, Harvie Swartz spielt Bass, Jim Madison Schlagzeug und Sue Evans wirkt als Percussionistin mit). Farmer dreht langsam auf und ein Bläsersatz stösst hinzu (Burt Collins, Joe Shepley, Fred Griffin, Sam Burtis, Tony Price, David Tofani, Frank Vicari, Kenny Berger), in dem nicht nur Trompeten, Posaune und Saxophone zu hören sind sondern auch Horn und Tuba. Lateef spielt das zweite Solo und er hat offensichtlich Spass dabei. Das Stück wurde übrigens auch von Wilson Pickett, Bobby Womack, Ramsey Lewis und einigen anderen gecovert).

    Der Groove in „Flute Song“ (Matthews‘ erstem Original) ist weniger originell, der Slap-Bass nervt bald ein wenig, aber der Sound der Aufnahme ist für CTI-Verhältnisse in den späten Siebzigern schwer in Ordnung. Farmer spielt das erste Solo, dann gibt es ein Solo für Hiram Bullocks etwas deplaciert klingende Gitarre, und schliesslich folgt Lateef, nicht wie im Thema an der Flöte sondern am Tenor. Der Background wird für ihn etwas aufgebrochen, aber das Lick des Basses ist immer noch sehr öde. Das hält Lateef aber nicht davon ab, ein ziemlich tolles Solo zu spielen.

    Fritz Pauer, mit dem Farmer lange Jahre zusammen spielte, hat „Saudhade“ (sic) komponiert, Farmers Flügelhorn steht im Zentrum, begleitet nur vorn der Rythmusgruppe, Lateef spielt ein kurzes Solo am Tenor. Browns „Sandhu“ wird vom Ensemble präsentiert, Farmers Flügelhorn steigt direkt aus den Tönen der Trompeten zum Solo hinauf. Auch in Lateefs Tenorsolo bleibt das Ensemble präsent – ein beinah klassisches Big Band-Arrangement, schön gekickt von Jim Madison an den Drums.

    Chick Coreas „Spain“ folgt, ein lebendiges Stück mit einem interessanten Thema und spanischen Skalen. Farmer soliert wie üblich zuerst, Lateef später kurz am Tenor – für ihn natürlich kein ungewohntes Terrain. Den Abschluss macht ein zweites Stück von Matthews, „Hombre del Sol“, erneut spanisch angehaucht, Lateef ist im Intro an der Flöte zu hören, bevor Farmer das Thema spielt. Bullock ist hier nochmal kurz solistisch zu hören, sonst bleibt das Album v.a. Farmers Sache und er macht das sehr gut – überraschenderweise, irgendwie, denn als jazz-rock-kompatibel betrachte ich ihn eigentlich nicht (aber auch sein Sonet-Album „A Sleeping Bee“ mit Jan Schaffer gefällt mir ziemlich gut) … doch das hier ist auch kein richtiger Jazz-Rock, keine Ahnung, was es genau ist, aber wie gesagt: Es ist überraschend gut.

    Die Latzhose gibt’s hier zu sehen:
    http://www.discogs.com/viewimages?release=2468344

    Von da (wegen des Lieblingswörtchens Poppycock muss das her … Mann, Oshkosh und Poppycock, ich bin zurück in meiner Kindheit!):

    Lateef explains his meaning of Autophysiopsychic Music as coming from one’s physical, mental, and spiritual self or, more simply put, music from one’s heart. He likened the term jazz to its unseemly synonyms like “nonsense,” “blather,” “claptrap” and felt that it „reduced the music to poppycock and skulduggery… I find that the word ‚jazz‘ is a meaningless term that too narrowly defines the music I play, and it adds a connotation that’s disrespectful to the art and those who perform it.“

    Art Farmer erwiderte den Gefallen und stand für Lateefs eigenes CTI-Debut „Autophysiopsychic“ (CTI 7082) zur Verfügung, das ein paar Monate später im selben Jahr (1977) eingespielt wurde. Lateef spielt Flöte, Tenor- und Sopransaxophon sowie Shenai, Cliff Carter ist an den Keys zu hören, Gary King (elb) und Jimmy Madison (d) sind die Rhythmusgruppe und Sue Evans wirkt ebenfalls wieder mit. Dazu kommen die Stimmen von Frank Floyd, Babi Floyd, Milt Grayson, Norberto Jones. Für die Arrangements zeichnete erneut Matthews verantwortlich.

    Das Album spaltet wohl wie kaum ein anderes die Lateef-Fans. Ich hatte lange überhaupt keinen Zugang dazu, nach dem ersten Schock, als ich es mal im CD-Laden probehörte, versuchte ich es lange gar nicht mehr – und weiter als ein paar Sekunden ins erste Stück hinein schaffte ich es damals nicht.

    Das erste Stück beginnt ziemlich „in your face“ – ein Funk-Bass, ein Disco-Beat (dieser Mix aus Stampf-Beat und den hellen, leichten Becken), dazu Girlanden von E-Piano und Gitarre … und gleich auch noch Lateef als Sänger (oder Besinger des „robot man“ eher). Später greift Lateef sich das Sopransaxophon und spielt ein Solo, wie man es in den Neunzigern auf jeder zweiten Acid Jazz-Scheibe hören konnte … überhaupt, so übel ist das alles wirklich nicht – und wichtiger noch: es ist lustvoll gemacht (was es wiederum von einigen üblen Stücken auf den Atlantic-Scheiben und auch der zweiten ‚teef’schen CTI-Scheibe – s.u. – abhebt, die lustlos in der Routine der Studio-Pros versinken). „Look On Your Right Side“ heisst das zweite Stück, die Lyrics sind wieder ein gefundenes Fressen für diejenigen, die sich gerne stundenlang über Metaphern den Kopf zerbrechen … Lateef spielt ein funky Tenor, das näher bei Maceo (James Brown, c. 1967) als bei Hawkins ist, der Bass ist leicht verfremdet und spielt ein herumspringendes Lick. Und dann taucht da auch noch das Flügelhorn Farmers aus, verloren, aber nicht hoffnungslos. „YL (pronounced eel)“ heisst das dritte Stück … Lateef der Aal – wenn man nicht aufpasst, verteilt er elektrische Schläge. Das Stück ist das einzigie instrumentale des Albums, Lateef spielt an der Flöte unisono mit Farmer das Thema über ein Kaufkaus Plastic-Piano, aber auch das Stück hat irgendwie Charme.

    Bei „Communication“ ist „stay in contact with your mind“ das oberste Ziel. Über eine Space-Bass (Bootsy sends his regards) sind Lateef und Farmer zu hören. Farmer ist elegant, gefällt mir auch hier wieder sehr gut. Lateef bleibt etwas zahm, wieder mehr Maceo als Yusef, aber gegen Ende rauht er immerhin den Ton etwas auf. Lateef ist später nochmal zu hören, ein paar Linien, dann rifft er über die Backing Vocals.

    Im letzten Stück, „Sister Mamie“, sind statt der schon genannten Musiker Alex Blake am Bass und Steve Gadd am Schlagzeug zu hören und Noel Pointer stösst an der elektrischen Violine dazu. Lateef öffnet an der Shenai, dann folgen wieder die klasse Lyrics („Sister Mamie, she don’t see/say/do no evil, she’s a real fine lady“) … über einen stapfenden Doubletime-Beat soliert Lateef dann am Sopransaxophon und das passt hier fast besser als das etwas harmlos wirkende Tenor. Farmer soliert dann erst über die Backing Vocals und dann auch über diesen hektischen Beat mit der Cowbell. Es ist wirklich erstaunlich, wie gut er hier reinpasst. Dann folgt noch ein Violinsolo und schliesslich wird das Stück zu Ende gerifft.

    Das ganze Album übt auf mich inzwischen einen irgendwie etwas perversen Reiz aus – ja, ich mag es sehr!

    Was die „Autophysiopsychic Music“ betrifft, Lateefs bevorzugten Term für das, was er spielte, gibt es hier ein paar Zeilen:
    http://lineout.thestranger.com/lineout/archives/2013/12/27/the-autophysiopsychic-music-diaspora-yusef-lateef-rip
    (Link funktioniert nicht mehr.)

    Das dritte CTI-Album von 1979, „In a Temple Garden“ (CTI 7088), ist dann jedoch mit Abstand das schwächste – ein eingeebnetes Fusion-Album, in dem nicht mal mehr Lateefs Tenor richtig Biss hat, die Kanten werden einfach wegproduziert – am ehesten ist sein Tenorsound (er spielt sonst nur Flöte) in der einzigen Komposition, die er beisteuert, zu hören, „How I Loved You“ (ob der Gesang auch von ihm stammt, weiss ich nicht, es gibt gegen Ende beides parallel, aber das Sax wirkt fremd genug, als dass es später in einer Overdubbing-Session eingespielt sein könnte). Es gibt auch sonst ein paar Momente, die recht intensiv werden, etwa in „Confirmation“ – aber anderswo frage ich mich, ob das nicht Mike Brecker ist, der sich als Lateef ausgibt. Das alles ist wohl dem Einfluss von Spyro Gyra-Gründungsmitglied Jeremy Wall zuzuschreiben, der die meisten Stücke komponiert hat und als Keyboarder und Percussionist mitwirkt. Andere beteiligte Musiker sind Eric Gale (g), Will Lee (elb), Steve Gadd und Jimmy Madison (d), die Brecker Brothers, Jerry Dodgion, Jim Pugh, Ray Barretto, Sammy Figueroa etc. Es gibt Bläsersätze, Synthesizer-Sounds (und -Drums), und eine Band, die um die Keyboards von Tom Schuman und Wall aufgebaut ist. Auf mich wirkt hier alles fast auf Smooth-Format eingekocht, ebenmässig, egal ob Tenorsax oder Gitarre oder E-Bass oder Bläser-Riffs – alles ist gut gemacht und ohne Fehl und Tadel gespielt, aber nichts bleibt hängen, nichts lässt aufhorchen. Das Ding tut nicht weh – und ich glaube genau darum finde ich es so schlimm. Es ist nicht schlecht, aber es ist schlimm.

    Das war’s dann wohl mal mit den Posts zu Lateef … einen zum späten Grosswerk „Influence“ gibt’s vielleicht noch, aber ab diesem Zeitpunkt kenne ich praktisch nichts mehr – was nicht hiesse, dass ich nicht interessiert wäre, aber die Veröffentlichungen seines eigenen YAL-Labels waren nie zu kriegen hier und ich hatte nie einen Anlauf genommen, sie direkt zu ordern – ob das jetzt noch geht, müsste man mal herauskriegen, die „Tenors“-Alben mit McLean und Ford hätte ich ganz gerne mal noch, das mit Freeman habe ich, das mit Shepp erinnere ich als nicht so richtig gelungen, ist das mit Freeman ja auch nicht, irgendwie, die **** die ich gebe sind vielleicht zuviel, Sympathiesterne, das müsste ich mal wieder nachhören.

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    "Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #151: Neuheiten aus dem Archiv – 09.04., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba
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