Antwort auf: Yusef Lateef (1920-2013)

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Ein überraschend gutes Album, das unter Art Farmers Namen erschien, aber weil Lateef auf dem Cover erwähnt wird – und im Foldout auf einem Photo in Latzhose zu sehen ist – möchte ich es hier auch kurz erwähnen. Arrangiert wurde die Musik auf „Something You Got“ (CTI 7080) von David Matthews, der in den frühen Siebzigern u.a. ein paar Singles für James Brown arrangiert hatte.

Das musikalische Programm ist abwechslungsreich, von Chick Coreas „Spain“ über Clifford Browns „Sandhu“ zu Originals von Fritz Pauer und David Matthews. Den Aufakt macht Chris Kenners „Something You Got“ mit Farmers Flügelhorn über einem leichten Funk-Groove (Hiram Bullock spielt Gitarre, Harvie Swartz spielt Bass, Jim Madison Schlagzeug und Sue Evans wirkt als Percussionistin mit). Farmer dreht langsam auf und ein Bläsersatz stösst hinzu (Burt Collins, Joe Shepley, Fred Griffin, Sam Burtis, Tony Price, David Tofani, Frank Vicari, Kenny Berger), in dem nicht nur Trompeten, Posaune und Saxophone zu hören sind sondern auch Horn und Tuba. Lateef spielt das zweite Solo und er hat offensichtlich Spass dabei. Das Stück wurde übrigens auch von Wilson Pickett, Bobby Womack, Ramsey Lewis und einigen anderen gecovert).

Der Groove in „Flute Song“ (Matthews‘ erstem Original) ist weniger originell, der Slap-Bass nervt bald ein wenig, aber der Sound der Aufnahme ist für CTI-Verhältnisse in den späten Siebzigern schwer in Ordnung. Farmer spielt das erste Solo, dann gibt es ein Solo für Hiram Bullocks etwas deplaciert klingende Gitarre, und schliesslich folgt Lateef, nicht wie im Thema an der Flöte sondern am Tenor. Der Background wird für ihn etwas aufgebrochen, aber das Lick des Basses ist immer noch sehr öde. Das hält Lateef aber nicht davon ab, ein ziemlich tolles Solo zu spielen.

Fritz Pauer, mit dem Farmer lange Jahre zusammen spielte, hat „Saudhade“ (sic) komponiert, Farmers Flügelhorn steht im Zentrum, begleitet nur vorn der Rythmusgruppe, Lateef spielt ein kurzes Solo am Tenor. Browns „Sandhu“ wird vom Ensemble präsentiert, Farmers Flügelhorn steigt direkt aus den Tönen der Trompeten zum Solo hinauf. Auch in Lateefs Tenorsolo bleibt das Ensemble präsent – ein beinah klassisches Big Band-Arrangement, schön gekickt von Jim Madison an den Drums.

Chick Coreas „Spain“ folgt, ein lebendiges Stück mit einem interessanten Thema und spanischen Skalen. Farmer soliert wie üblich zuerst, Lateef später kurz am Tenor – für ihn natürlich kein ungewohntes Terrain. Den Abschluss macht ein zweites Stück von Matthews, „Hombre del Sol“, erneut spanisch angehaucht, Lateef ist im Intro an der Flöte zu hören, bevor Farmer das Thema spielt. Bullock ist hier nochmal kurz solistisch zu hören, sonst bleibt das Album v.a. Farmers Sache und er macht das sehr gut – überraschenderweise, irgendwie, denn als jazz-rock-kompatibel betrachte ich ihn eigentlich nicht (aber auch sein Sonet-Album „A Sleeping Bee“ mit Jan Schaffer gefällt mir ziemlich gut) … doch das hier ist auch kein richtiger Jazz-Rock, keine Ahnung, was es genau ist, aber wie gesagt: Es ist überraschend gut.

Die Latzhose gibt’s hier zu sehen:
http://www.discogs.com/viewimages?release=2468344

Von da (wegen des Lieblingswörtchens Poppycock muss das her … Mann, Oshkosh und Poppycock, ich bin zurück in meiner Kindheit!):

Lateef explains his meaning of Autophysiopsychic Music as coming from one’s physical, mental, and spiritual self or, more simply put, music from one’s heart. He likened the term jazz to its unseemly synonyms like “nonsense,” “blather,” “claptrap” and felt that it „reduced the music to poppycock and skulduggery… I find that the word ‚jazz‘ is a meaningless term that too narrowly defines the music I play, and it adds a connotation that’s disrespectful to the art and those who perform it.“

Art Farmer erwiderte den Gefallen und stand für Lateefs eigenes CTI-Debut „Autophysiopsychic“ (CTI 7082) zur Verfügung, das ein paar Monate später im selben Jahr (1977) eingespielt wurde. Lateef spielt Flöte, Tenor- und Sopransaxophon sowie Shenai, Cliff Carter ist an den Keys zu hören, Gary King (elb) und Jimmy Madison (d) sind die Rhythmusgruppe und Sue Evans wirkt ebenfalls wieder mit. Dazu kommen die Stimmen von Frank Floyd, Babi Floyd, Milt Grayson, Norberto Jones. Für die Arrangements zeichnete erneut Matthews verantwortlich.

Das Album spaltet wohl wie kaum ein anderes die Lateef-Fans. Ich hatte lange überhaupt keinen Zugang dazu, nach dem ersten Schock, als ich es mal im CD-Laden probehörte, versuchte ich es lange gar nicht mehr – und weiter als ein paar Sekunden ins erste Stück hinein schaffte ich es damals nicht.

Das erste Stück beginnt ziemlich „in your face“ – ein Funk-Bass, ein Disco-Beat (dieser Mix aus Stampf-Beat und den hellen, leichten Becken), dazu Girlanden von E-Piano und Gitarre … und gleich auch noch Lateef als Sänger (oder Besinger des „robot man“ eher). Später greift Lateef sich das Sopransaxophon und spielt ein Solo, wie man es in den Neunzigern auf jeder zweiten Acid Jazz-Scheibe hören konnte … überhaupt, so übel ist das alles wirklich nicht – und wichtiger noch: es ist lustvoll gemacht (was es wiederum von einigen üblen Stücken auf den Atlantic-Scheiben und auch der zweiten ‚teef’schen CTI-Scheibe – s.u. – abhebt, die lustlos in der Routine der Studio-Pros versinken). „Look On Your Right Side“ heisst das zweite Stück, die Lyrics sind wieder ein gefundenes Fressen für diejenigen, die sich gerne stundenlang über Metaphern den Kopf zerbrechen … Lateef spielt ein funky Tenor, das näher bei Maceo (James Brown, c. 1967) als bei Hawkins ist, der Bass ist leicht verfremdet und spielt ein herumspringendes Lick. Und dann taucht da auch noch das Flügelhorn Farmers aus, verloren, aber nicht hoffnungslos. „YL (pronounced eel)“ heisst das dritte Stück … Lateef der Aal – wenn man nicht aufpasst, verteilt er elektrische Schläge. Das Stück ist das einzigie instrumentale des Albums, Lateef spielt an der Flöte unisono mit Farmer das Thema über ein Kaufkaus Plastic-Piano, aber auch das Stück hat irgendwie Charme.

Bei „Communication“ ist „stay in contact with your mind“ das oberste Ziel. Über eine Space-Bass (Bootsy sends his regards) sind Lateef und Farmer zu hören. Farmer ist elegant, gefällt mir auch hier wieder sehr gut. Lateef bleibt etwas zahm, wieder mehr Maceo als Yusef, aber gegen Ende rauht er immerhin den Ton etwas auf. Lateef ist später nochmal zu hören, ein paar Linien, dann rifft er über die Backing Vocals.

Im letzten Stück, „Sister Mamie“, sind statt der schon genannten Musiker Alex Blake am Bass und Steve Gadd am Schlagzeug zu hören und Noel Pointer stösst an der elektrischen Violine dazu. Lateef öffnet an der Shenai, dann folgen wieder die klasse Lyrics („Sister Mamie, she don’t see/say/do no evil, she’s a real fine lady“) … über einen stapfenden Doubletime-Beat soliert Lateef dann am Sopransaxophon und das passt hier fast besser als das etwas harmlos wirkende Tenor. Farmer soliert dann erst über die Backing Vocals und dann auch über diesen hektischen Beat mit der Cowbell. Es ist wirklich erstaunlich, wie gut er hier reinpasst. Dann folgt noch ein Violinsolo und schliesslich wird das Stück zu Ende gerifft.

Das ganze Album übt auf mich inzwischen einen irgendwie etwas perversen Reiz aus – ja, ich mag es sehr!

Was die „Autophysiopsychic Music“ betrifft, Lateefs bevorzugten Term für das, was er spielte, gibt es hier ein paar Zeilen:
http://lineout.thestranger.com/lineout/archives/2013/12/27/the-autophysiopsychic-music-diaspora-yusef-lateef-rip
(Link funktioniert nicht mehr.)

Das dritte CTI-Album von 1979, „In a Temple Garden“ (CTI 7088), ist dann jedoch mit Abstand das schwächste – ein eingeebnetes Fusion-Album, in dem nicht mal mehr Lateefs Tenor richtig Biss hat, die Kanten werden einfach wegproduziert – am ehesten ist sein Tenorsound (er spielt sonst nur Flöte) in der einzigen Komposition, die er beisteuert, zu hören, „How I Loved You“ (ob der Gesang auch von ihm stammt, weiss ich nicht, es gibt gegen Ende beides parallel, aber das Sax wirkt fremd genug, als dass es später in einer Overdubbing-Session eingespielt sein könnte). Es gibt auch sonst ein paar Momente, die recht intensiv werden, etwa in „Confirmation“ – aber anderswo frage ich mich, ob das nicht Mike Brecker ist, der sich als Lateef ausgibt. Das alles ist wohl dem Einfluss von Spyro Gyra-Gründungsmitglied Jeremy Wall zuzuschreiben, der die meisten Stücke komponiert hat und als Keyboarder und Percussionist mitwirkt. Andere beteiligte Musiker sind Eric Gale (g), Will Lee (elb), Steve Gadd und Jimmy Madison (d), die Brecker Brothers, Jerry Dodgion, Jim Pugh, Ray Barretto, Sammy Figueroa etc. Es gibt Bläsersätze, Synthesizer-Sounds (und -Drums), und eine Band, die um die Keyboards von Tom Schuman und Wall aufgebaut ist. Auf mich wirkt hier alles fast auf Smooth-Format eingekocht, ebenmässig, egal ob Tenorsax oder Gitarre oder E-Bass oder Bläser-Riffs – alles ist gut gemacht und ohne Fehl und Tadel gespielt, aber nichts bleibt hängen, nichts lässt aufhorchen. Das Ding tut nicht weh – und ich glaube genau darum finde ich es so schlimm. Es ist nicht schlecht, aber es ist schlimm.

Das war’s dann wohl mal mit den Posts zu Lateef … einen zum späten Grosswerk „Influence“ gibt’s vielleicht noch, aber ab diesem Zeitpunkt kenne ich praktisch nichts mehr – was nicht hiesse, dass ich nicht interessiert wäre, aber die Veröffentlichungen seines eigenen YAL-Labels waren nie zu kriegen hier und ich hatte nie einen Anlauf genommen, sie direkt zu ordern – ob das jetzt noch geht, müsste man mal herauskriegen, die „Tenors“-Alben mit McLean und Ford hätte ich ganz gerne mal noch, das mit Freeman habe ich, das mit Shepp erinnere ich als nicht so richtig gelungen, ist das mit Freeman ja auch nicht, irgendwie, die **** die ich gebe sind vielleicht zuviel, Sympathiesterne, das müsste ich mal wieder nachhören.

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