Robert Schumann

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  • #4001919  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
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    Ich höre gerade die Gesamteinspielung der Werke für Violine und Klavier von Jenny Abel und Roberto Szidon:

    Schumanns Klaviermusik packt mich streckenweise sehr – etwa Horowitz‘ „Kreisleriana“ (Die Columbia-Aufnahme von 1969, ich glaube es gibt mehrere), mit den Violinsonaten freunde ich mich langsam an (ich habe die Aufnahmen von Christian Ferras mit Pierre Barbizet und von Thomas Zehetmair mit Cyprien Katsaris, in beiden Fällen nur Opp. 105 und 212, bei Ferras noch die Drei Romanzen Op. 94, bei Zehetmair die Märchenbilder Op. 94).

    Bei Abel/Szidon packt mich gerade die zweite CD sehr. Die erste enthält die drei Sonaten (die dritte in a-moll von 1953 ohne Opuszahl scheint selten gespielt zu werden?), die zweite neben der Fantasie (in der Version mit Klavier natürlich) die Stücke, die Schumann für Horn, Klarinette, Oboe, Cello oder Viola geschrieben hat, stets mit dem Vermerk „ad libitum Violine“, in den Fälle des Adagio und Allegro Op. 70 und der Fantasiestücke Op. 73 auch „ad libitum Violoncello“. Gerade die Fantasie Op. 131 gefällt mir in Abel/Szidons Einspielung hervorragend. Die bisher einzige andere Einspielung davon, die ich habe, ist von Leonid Kogan mit Andrei Mytnik, eine Live-Aufnahme von 1953.

    Gibt es andere, unbedingt zu empfehlende Einspielungen dieser Werke? Andere Meinungen zu Abel/Szidon, über deren Schumann-Aufnahmen ich im Netz überhaupt nichts finden konnte?

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    "Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #150: Neuheiten 2023/24 – 12.3., 22:00; #151: Neuheiten aus dem Archiv – 09.04., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba
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      #4001921  | PERMALINK

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      Schumanns Violinsonaten werden wirklich etwas vernachlässigt. Was Jenny Abel heute macht, weiß ich leider auch nicht, Szidon ist verstorben. Ich kenne nur diese Schumann-Aufnahmen von ihnen. Über Ferras hinaus – also nicht über ihn hinaus, weil das viel flotter ist – kann ich für einmal Kremer und Argerich empfehlen, bei DG erschienen. Dann sehe ich, es gibt noch Menuhin mit seiner Schwester Hephzibah für die zweite Sonate, dazu Brahms I und III, Du weißt ja, dass ich Menuhin für diese Romantiker sehr wünschenswert halte, von der viel zu wenig bekannten Hephzibah Menuhin zu schweigen. Ob die ECM-Veröffentlichung mit Carolin Widmann und Dénes Várjon etwas taugt? Das könnte schon sein, da sie in die Werke wie Abel und Szidon etwas ausholender hineingegangen sind, was aufmerksam macht. Die Einspielungen kenne ich leider auch nicht. Vielleicht ist hier ja wirklich jemand, der mehr Aufschluss geben könnte und möchte. – Dann, nebenbei, für andere Kammermusik Schumanns, z. B. die Klaviertrios, würde ich das Abegg-Trio notieren, die spielen eine Temporegieanweisung wie „Mit Feuer“ tatsächlich so, dass es brennt.

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      #4001923  | PERMALINK

      gypsy-tail-wind
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      Zu Abel fand ich im Netz nur das hier:
      http://www.conductor.de/neu/english/e_instrumentalisten/e_abel_bio.html

      Das Violinist-Forum hilft da auch nicht weiter, dort landete ich schon. Aber Rostal, Szeryng, Rosbaud, Kempff – das sind alles keine üblen Referenzen! Und die ausführlichen Kommentare im CD-Booklet stammen ja auch von ihr.

      Abel/Szidon scheinen auch Sonaten von Bartók, Brahms und Villa-Lobos eingespielt zu haben (wiki).

      Das wenige, was ich von Widmann bisher hörte (ein paar Kleinigkeiten und ein längeres Gespräch über das Festival, das sie leitet – von da stammte dann auch die Musik), hat mir durchaus Lust auf mehr gemacht. Von ihren CDs spricht mich aber die „Reflections I“ am meisten an. Neben der Schumann-CD gibt es bei ECM auch eine Schubert-CD (mit Alexander Lonquich), die ebenfalls gut aussieht. Mit Bruder Jörg und dem Cellisten Nicolas Altstaedt gibt’s auch Messiaens „Quatuor pour la fin du temps“ (bei Orfeo). Auch die CD mit Simon Lepper (Feldman, Zimmermann, Schönberg, Xenakis, wieder bei ECM) sieht gut aus. Aber das hat mit Schumann nichts mehr zu tun, pardon.

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      #4001925  | PERMALINK

      Anonym
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      Danke für den Link zu Jenny Abel, sonst scheint es ja kaum etwas zu geben. Seltsam. Das Berg-Violinkonzert würde ich gerne einmal hören!

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      #4001927  | PERMALINK

      Anonym
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      Es gibt ja das Wort von den „unspielbaren Werken“ – meist stellt es sich als übertrieben oder anders gemeint heraus. Von Schumanns Violinkonzert habe ich es noch nicht gehört und dennoch ist gerade dieses Konzert dasjenige, dessen Interpretationen mich fast immer ein wenig enttäuscht zurücklassen. Ein Ungleichgewicht zwischen Orchester und Violine zumeist, das wäre das Übliche der Kritik, wenn es sich nicht selbst bei den Größeren so anhörte, als liege das an der Komposition. Genau das kann ich aber nicht glauben. Was die Violine angeht, ist meine liebste Einspielung die, die ich gerade hervorgeholt habe: Peter Rybar, Lausanne Symphony Orchestra, Leitung: Victor Desarzens, von 1948, erschienen 1951. Das Orchester verplaudert sich nur in wenigen Momenten, ist dann zu flächig, gerade im ersten Satz. Anderes von Rybar kenne ich nicht, von seinem Ton bin ich sehr angezogen: streng, durchdringend, dann wieder behende wie eine Spatzenbande, er scheint alles zu können, und zwar zugleich; erinnert mich an Taschner.

      Gibt es zum Violinkonzert Empfehlungen?

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      #10460307  | PERMALINK

      gypsy-tail-wind
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      Ich höre die ganze CD – Daniel Sepec auf einer Violine von Laurentius Storioni aus Cremnoa, 1780, Andreas Staier auf einem Érard von 1837 … es gibt die Bach’sche Chaconne in Schumanns Bearbeitung für Violine und Klavier zum Auftakt, danach die erste und die zweite Violinsonate – die dritte ging ja unter (Isabelle Faust, Carolin Widmann und natürlich Jenny Abel haben sie aber z.B. auch eingespielt), sie stammt von 1853, demselben Jahr, in dem Schumann die völlig irren Gesänge der Frühe Op. 133 schrieb, die Staier zwischen den beiden Sonaten spielt. Alexander Hawkins hat mich auf dieses Spätwerk hingewiesen, das voller Überraschungen steckt. Ich holte mir daraufhin die kleine Box mit Maurizio Pollinis Schumann-Einspielungen – doch so richtig gepackt hat mich erst heute diese Einspielung von Andreas Staier aus dem Jahr 2009 (ansonsten findet man das Ding wohl fast nur in Gesamteinspielungen von Schumanns Klavierwerk, in meinem Fall in den Boxen von Jörg Demus und Eric Le Sage, an die ich mich noch nicht gemacht habe).

      Ich zitiere aus Michael Strucks Liner Notes zur abgebildeten CD:

      Die Gesänge der Frühe sind Schumanns letztes zur Veröffentlichung bestimmtes Klavierwerk. Sie entstanden Mitte Oktober 1853 – unmittelbar nach dem legendären Aufsatz Neue Bahnen, durch den Schumann so treffend und musikhistorisch folgenreich auf den jungen Johannes Brahms hingewiesen hatte. Mit einigem Recht darf man sie als musikalisches Gegenstück zu Neue Bahnen ansehen, mit denen sie den feierlich-hymnischen Tonfall und den erwartungsvollen Enthusiasmus teilen, ohne freilich ein ‚Werk über Brahms‘ zu sein. „Es sind Musikstücke, die die Empfindungen beim Herannahen und Wachsen des Morgens schildern, aber mehr aus Gefühlsausdruck als Malerei“, kennzeichnete Schumann das Werk – mit fast den gleichen Worten übrigens, die Beethoven eins zur Charakterisierung seiner Pastoral-Symphonie verwendet hatte. Ursprünglich sollte der Klavierzyklus neben dem Haupttitel Gesänge der Frühe noch die ‚poetische‘ Zueignung An Diotima tragen. Damit war offenbar Friedrich Hölderlins Diotima gemeint – Idealgestalt der Liebe, die in verschiedenen Gedichten gepriesen wir und auch die weibliche Hauptgestalt des 1797/99 erschienenen Briefromans Hyperion oder der Eremit in Griechenland ist. Die klangschöne Wortverbindung Gesänge der Frühe war wohl Schumanns eigene Erfindung. Sie verweist auf Eindrücke, die vor allem für den Hyperion-Roman wesentlich sind: den Übergang der Nacht zum Morgen, das Erwachen der Natur, den feierlichen Moment des Sonnenaufganges – Symbole für Hoffnung und Neubeginn. Ist es ein Zufall, dass das Kernmotiv, das zu Beginn des 1. Stückes im Unisono erklingt und die fünf Gesänge der Frühe zyklisch verknüpft, aus den Tönen d–a–h–e(–g–fis) besteht – den einzigen ‚musikalischen‘ Buchstaben der beiden Hauptgestalten des Romans: Diotima und Hyperion? Offiziell gewidmet wurde das Werk schließlich indes „der hohen Dichterin Bettina“ (von Arnim).

      Wie es der Titel verheißt, verkörpern die fünf Stücke unterschiedliche Arten des Klavier-„Gesanges“. Wie ein Choral wirkt das strophisch gegliederte 1. Stück (D-dur) mit seinen archaisierenden, dissonanzgesättigten Quintschritt-Sequenzen. Nr. 2 (D-dur) ist als imaginäres Duett mit Klavierfiguration angelegt, das sich in einer Miniatur-Sonatenform entfaltet. Dagegen mutet Nr. 3 (A-dur) wie ein chorischer Jagd- oder Kampfgesang an, der nach mehreren Steigerungswellen am Schluss unerwartet ins anfängliche Piano zurückfällt und als Invention über einen punktierten Rhythmus mit immer neuen Synkopen-Stauungen gestaltet ist. In starkem Kontrast dazu steht das 4. Stück (fis-moll) – ein elegisches, durch Akzente rhetorisch aufgeladenes ‚Lied ohne Worte‘, das im mittleren Abschnitt erinnernd auf das 2. Stück zurückblickt und in eine innige, todessehnsüchtige Fis-dur-Coda mündet. Das 5. Stück (D-Dur) erinnert an ein Choral- oder Liedvorspiel: Ein ausdrucksvolles Thema wird intoniert, von Figurationen abgelöst, schließlich mit diesen verbunden und erweitert. In ihrer komplexen, beziehungsreichen Struktur und ihrer Ausdrucksintensität bilden reizvoll esoterischen Stücke, in denen Schumann selbst wieder einmal „neue Bahnen“ betrat, einen wirklichen Zyklus. Dessen Verständnis wird durch das Wissen um die Hölderlin-Inspiration zweifellos erleichtert.

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      #10460465  | PERMALINK

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      @gypsy-tail-wind Die „Gesänge der Frühe“ habe ich jetzt auch eingelegt, mit András Schiff, darauf (ich binde das so ein, weil discogs-Bildchen hier ja verschwinden, glaube ich?). Noch mehr gespannt bin ich aber auf das Wiederhören der „Nachtstücke“. Jedenfalls vielen Dank für die Liner Notes von Michael Struck! Persönlich höre ich kaum einen Zusammenhang zu Hölderlin – außer den von Schumann bekannten Tonsymboliken -, auch wenn Schumann ihn beabsichtigt hat. Hölderlin hätte das womöglich anders gesehen und einen Zusammenhang begrüßt oder erkannt.

      Zu Staier und Sepec gehe ich dann später, danke Dir für das Teilen!

      Ach so, András Schiff ist mir ja oft zu aufgeplauscht, ich höre bei ihm einen Ton oft so, als ob er zwei Tasten anspiele oder die Taste doppelt so breit wie üblich wäre, über die er dann selbst noch im Staccato rutscht. Aber im ersten Stück der „Gesänge“ hat er mich mit seinem fragenden Spiel.

      Schumanns Chaconne-Überarbeitung kenne ich nur in einer Einspielung mit Kantorow, den Pianisten habe ich vergessen, wie ich auch die CD irgendwo verschludert habe. Aber Schumann wusste gewiss genau wie Mendelssohn und all die anderen, wer Bach war, und dass er nicht zu vergessen sei.

      --

      #10460915  | PERMALINK

      gypsy-tail-wind
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      @clasjaz Discogs-Bildchen können inzwischen eingebettet werden, das Problem löste (bzw. die Politik von Discogs änderte) sich vor einigen Monaten schon. Schiff kenne ich noch fast gar nicht … Sepec ist in den „Gesängen“ natürlich nicht dabei.

      Dann man solche Zusammenhänge hören kann – so lange sie innerhalb der Musik bleiben, sich auf andere Werke beziehen – vielleicht. Ansonsten ist das Beigemüse, das mehr oder weniger einleuchten kann, aber interessant finde ich es schon, wenn solche Bezüge aufgezeigt werden.

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      #10461123  | PERMALINK

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      @gypsy-tail-wind Danke für die Auskunft zu den discogs-Bildchen, dann nehme ich künftig lieber sie.

      Sepec ist natürlich nicht bei den „Gesängen“ dabei – ich habe sie vorhin mit Staier gehört. Große Miniaturen sind das, aber damals sang man auch leichter und tiefer zugleich, da wäre dann doch eine Verbindung zu Hölderlin. Ich sehe das auch gar nicht als Beigemüse, mich interessieren die Bezüge, die man ziehen kann, ja auch – gerade dann, wenn ich selbst nicht auf sie komme.

      Der fünfte „Gesang“, in seiner vorgeschriebenen Steigerung, nimmt mich sehr ein und – ein anderer Bezug – hört sich an, als wäre Ravel (G-Dur-Konzert, zweiter Satz) ein Mann auch früherer Zeiten gewesen.

      --

      #11211477  | PERMALINK

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      Einmal aufgeschrieben, was mir hierzu

      durch den Kopf schleicht. Bisher habe ich daraus nur die Kerner-Lieder op. 35 gehört – und hänge an ihnen. Einmal mehr eine Erfahrung mit Schumanns Ambivalenzen, Doppel- und Mehrfachdeutbarkeiten, Auf- und Abschwüngen, immer wie im Aushalten des Abgrunds, mit Vorschlägen, hineinzugehen oder noch außerhalb zu bleiben.

      Das mag sich etwas vorbeigestochen anhören angesichts des beinahe durchgehend hell-klaren Gesangs von Gerhaher, so sind Worte wie „mich umfängt des Himmels Helle“ in „Lust der Sturmnacht“ wie gemacht für ihn. Und sogleich bezeichnend, dass diese Helle ausgerechnet die Sturmnacht ermöglichen soll. Und warum sollte der helle Vortrag auch nicht den dunklen Gegenstand erfassen können? Nur manchmal scheint mir das nicht zu gelingen, so im „trägt“ von „Stirb Lieb und Freud!“, eine von diesen agogischen Timbre-Stellen, wie ich sie mal nennen will, an denen die Interpreten zu erkennen sind. Bei Gerhaher hört sich für mich der Schlenker, mit dem er das „trägt“ abdunkelnd singt, fast plakativ an – aber wohl deshalb, weil er und Huber das Lied ansonsten in gleichmäßiger, wiegender Gestimmtheit nehmen (abgesehen von den still-retardierenden Herzliebstenstellen), ein ruhiges, fotografisches Singen, eine Kamera fährt über die Gegenwart und macht damit das Geschehen bereits zur Vergangenheit, zum Erinnernden.

      Gerhaher und Huber fassen die Lieder als erzählenden Zyklus auf; Gerhaher betont das im Begleittext immer wieder, auch für die anderen Liedgruppen auf der CD, und stellt Schumanns „dramaturgischen Willen“ deutlich heraus, einen Willen, der den beständigen Wechsel von Aufbruch und erinnernder Resignation transportieren soll. So wird es sein; zugleich ergibt sich auf das Ganze gesehen eine flirrende Reibung zwischen Liebesschmerz und immer jäh aufkommendem Be-, Weiter- und Überstehenwollen – mit der Kraft der „Natur“, das Gegenbild anpassungsheischender menschlicher Zivilisiertheit. Hier erscheint daher das „mein Herz zerbricht“ fast noch vorläufig, wenngleich als naheliegender Wunsch nach völliger Verdunkelung: „stirb, Lieb und Licht!“ Entsprechend ist aber auch die folgende Zuversicht vorläufig: dass zur Heimat das ferneste Land werden könne. Schumann schreibt mit dem Wechsel der rauschenden Töne zu bedächtigeren Stellen diese Vorläufigkeit auch aus, tippt sie immer wieder an, als klopfende Illusion. Und doch haben die Aufschwünge ja Recht, es gibt das junge Grün, das frische Gras – hier, in „Erstes Grün“ mimt nun das Klavier den Fotografen. Und Gerhaher bei diesem hellen Lied der Beruhigung wunderbar.

      Aber man muss weiter, und der Rückblick formiert sich als unstillbare Sehnsucht (Nr. 5). Das Trinkglas hilft auch nicht mehr (Nr. 6), was man so meint und sagt im Trunk, ist bloßer Trug, oder mit Blick auf ein Stück aus dem Liederkreis op. 39: zwielichtig.

      Dass es immer so weiter geht, einstweilen, im Auf- und Ab, wenn auch mit immer stärker schraffierter Schattierung, kommt mir vor, als knüpfe die Liedfolge Knoten für Knoten, wie an einem Schürhemd, auf – oder auch zu. Könnte, zum Wohl aller gleichsam, hier, das heißt mit der „Stillen Liebe“, der Zyklus nicht enden? Das letzte kleine Lied über die Trauer, dass alle Lieder misslingen, als Gelungenes? Dass, wie Hölderlin auch einmal rief, nur einmal der Gesang ihm gelingen möge, mehr bedürfe es nicht?

      Genau hier erscheint die „Frage“, und ich möchte glauben, dass Gerhaher und Huber nicht ohne diese Absicht den Gesamttitel gewählt haben: Dass für Schumann immer noch eine Frage bleibt, seis ums Drängen, seis ums Zurückweichen: „ach was füllte noch / in arger Zeit ein Herz mit Lust? Das folgende „Stille Thränen“ bringt also ein Erwachen, aber ein Erwachen, dass sich der Gefährdung bewusst ist, mit Klavierinsistierungen, die mich an Schuberts „An die Musik“ erinnern – was eigenen Sinn ergäbe. Auch deshalb: Der Schluss ist prägnant, mit einem „sei“ als Timbre-Wort, Timbre-Gedankenwort. Dorthin steigert sich das Lied bis zur Fixierung des lebendigen Widerspruchs einer morgendlichen Fröhlichkeit nach einer Tränennacht. Dieser Widerspruch ist nicht lösbar, die Meinung der „Welt“, die Fröhlichkeit sei echt, resultiert nur aus der Tatsache, dass die Schmerzen einstweilen ausgeweint sind. So ist die Verteilung von Tag und Nacht, von Anspruch, Anpassung und tatsächlichem (Er-)Leben, und deshalb steht all das unter dem Vorbehalt des „sei“. Das wird nicht ohne Grund zweimal gesungen, also die beiden letzten Verse. Nach dem ersten Durchgang folgt eine Klavierreflexion – die wieder an Figuren in Schuberts späten Klaviersonaten erinnert – und in der Wiederholung dann oszilliert das „sei“ zwischen der fordernden Meinung der anderen und Konfrontation mit dieser Meinung des singenden Selbst. Resignierend-anklagende Ironie ist da nicht fern, insofern Ironie in ihrer bewussteren Spielart nicht das Sagen von etwas anderem, also eine Art Leugnung, sondern das Sagen von zwei Dingen zugleich ist.

      Das Ende besteht aus zwei Liedern, ein veritables Doppel-Finis – bei dem Ironie also nicht angebracht wäre. Der ruhelose Stillstand ist erreicht, jedes Vertrauen endgültig verloren. Wo war es? Bei der Herzgeliebten? Bei den Bäumen? In der Jugend als Chiffre für ein „Einmal, früher“? Still, hell, wie im Liegen gesungen und, wie mit Hoffnung, aber kaum vernehmbar, noch einmal gewendet im Schlussstück, nämlich zum „bangen Traum“. Dass etwas nur Traum sei, mag ebendiese letzte Hoffnung sein und das psychisch-stilistische Repertoire in der christlichen Welt lässt da vielleicht als Rettung nur etwas seltene Wesen vor: „ein Engel nur“. Das „nur“ kaum hörbar. Das ist nun wirklich ein völlig anderes Enden als etwa in der Dichterliebe, deren Schlussgrabmal(en) hinauszuführen scheint.

      Ich hörte dann noch eine ältere Aufnahme mit dem jungen Fischer-Dieskau und Hertha Klust (WDR Köln, Saal 2, 23.3.1954):

      Auch hier große Hingabe an die Nuancen und großen Linien – was sonst –, wobei Fischer-Dieskau dynamische Schwünge sicher näherliegen als Gerhaher, der sie eher im Verborgenen hält. Weshalb mir bei ihm, G. (und H.), der doppelte Schluss auch näher ist. Wenn ich es eigenartig sagen soll: Fischer-Dieskau singt da zuviel, macht die Hoffnung entschiedener, als sie ist.

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      #11211547  | PERMALINK

      soulpope
      "Ever Since The World Ended, I Don`t Get Out As Much"

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      clasjazEinmal aufgeschrieben, was mir hierzu durch den Kopf schleicht. Bisher habe ich daraus nur die Kerner-Lieder op. 35 gehört – und hänge an ihnen. Einmal mehr eine Erfahrung mit Schumanns Ambivalenzen, Doppel- und Mehrfachdeutbarkeiten, Auf- und Abschwüngen, immer wie im Aushalten des Abgrunds, mit Vorschlägen, hineinzugehen oder noch außerhalb zu bleiben. Das mag sich etwas vorbeigestochen anhören angesichts des beinahe durchgehend hell-klaren Gesangs von Gerhaher, so sind Worte wie „mich umfängt des Himmels Helle“ in „Lust der Sturmnacht“ wie gemacht für ihn. Und sogleich bezeichnend, dass diese Helle ausgerechnet die Sturmnacht ermöglichen soll. Und warum sollte der helle Vortrag auch nicht den dunklen Gegenstand erfassen können? Nur manchmal scheint mir das nicht zu gelingen, so im „trägt“ von „Stirb Lieb und Freud!“, eine von diesen agogischen Timbre-Stellen, wie ich sie mal nennen will, an denen die Interpreten zu erkennen sind. Bei Gerhaher hört sich für mich der Schlenker, mit dem er das „trägt“ abdunkelnd singt, fast plakativ an – aber wohl deshalb, weil er und Huber das Lied ansonsten in gleichmäßiger, wiegender Gestimmtheit nehmen (abgesehen von den still-retardierenden Herzliebstenstellen), ein ruhiges, fotografisches Singen, eine Kamera fährt über die Gegenwart und macht damit das Geschehen bereits zur Vergangenheit, zum Erinnernden. Gerhaher und Huber fassen die Lieder als erzählenden Zyklus auf; Gerhaher betont das im Begleittext immer wieder, auch für die anderen Liedgruppen auf der CD, und stellt Schumanns „dramaturgischen Willen“ deutlich heraus, einen Willen, der den beständigen Wechsel von Aufbruch und erinnernder Resignation transportieren soll. So wird es sein; zugleich ergibt sich auf das Ganze gesehen eine flirrende Reibung zwischen Liebesschmerz und immer jäh aufkommendem Be-, Weiter- und Überstehenwollen – mit der Kraft der „Natur“, das Gegenbild anpassungsheischender menschlicher Zivilisiertheit. Hier erscheint daher das „mein Herz zerbricht“ fast noch vorläufig, wenngleich als naheliegender Wunsch nach völliger Verdunkelung: „stirb, Lieb und Licht!“ Entsprechend ist aber auch die folgende Zuversicht vorläufig: dass zur Heimat das ferneste Land werden könne. Schumann schreibt mit dem Wechsel der rauschenden Töne zu bedächtigeren Stellen diese Vorläufigkeit auch aus, tippt sie immer wieder an, als klopfende Illusion. Und doch haben die Aufschwünge ja Recht, es gibt das junge Grün, das frische Gras – hier, in „Erstes Grün“ mimt nun das Klavier den Fotografen. Und Gerhaher bei diesem hellen Lied der Beruhigung wunderbar. Aber man muss weiter, und der Rückblick formiert sich als unstillbare Sehnsucht (Nr. 5). Das Trinkglas hilft auch nicht mehr (Nr. 6), was man so meint und sagt im Trunk, ist bloßer Trug, oder mit Blick auf ein Stück aus dem Liederkreis op. 39: zwielichtig. Dass es immer so weiter geht, einstweilen, im Auf- und Ab, wenn auch mit immer stärker schraffierter Schattierung, kommt mir vor, als knüpfe die Liedfolge Knoten für Knoten, wie an einem Schürhemd, auf – oder auch zu. Könnte, zum Wohl aller gleichsam, hier, das heißt mit der „Stillen Liebe“, der Zyklus nicht enden? Das letzte kleine Lied über die Trauer, dass alle Lieder misslingen, als Gelungenes? Dass, wie Hölderlin auch einmal rief, nur einmal der Gesang ihm gelingen möge, mehr bedürfe es nicht? Genau hier erscheint die „Frage“, und ich möchte glauben, dass Gerhaher und Huber nicht ohne diese Absicht den Gesamttitel gewählt haben: Dass für Schumann immer noch eine Frage bleibt, seis ums Drängen, seis ums Zurückweichen: „ach was füllte noch / in arger Zeit ein Herz mit Lust? Das folgende „Stille Thränen“ bringt also ein Erwachen, aber ein Erwachen, dass sich der Gefährdung bewusst ist, mit Klavierinsistierungen, die mich an Schuberts „An die Musik“ erinnern – was eigenen Sinn ergäbe. Auch deshalb: Der Schluss ist prägnant, mit einem „sei“ als Timbre-Wort, Timbre-Gedankenwort. Dorthin steigert sich das Lied bis zur Fixierung des lebendigen Widerspruchs einer morgendlichen Fröhlichkeit nach einer Tränennacht. Dieser Widerspruch ist nicht lösbar, die Meinung der „Welt“, die Fröhlichkeit sei echt, resultiert nur aus der Tatsache, dass die Schmerzen einstweilen ausgeweint sind. So ist die Verteilung von Tag und Nacht, von Anspruch, Anpassung und tatsächlichem (Er-)Leben, und deshalb steht all das unter dem Vorbehalt des „sei“. Das wird nicht ohne Grund zweimal gesungen, also die beiden letzten Verse. Nach dem ersten Durchgang folgt eine Klavierreflexion – die wieder an Figuren in Schuberts späten Klaviersonaten erinnert – und in der Wiederholung dann oszilliert das „sei“ zwischen der fordernden Meinung der anderen und Konfrontation mit dieser Meinung des singenden Selbst. Resignierend-anklagende Ironie ist da nicht fern, insofern Ironie in ihrer bewussteren Spielart nicht das Sagen von etwas anderem, also eine Art Leugnung, sondern das Sagen von zwei Dingen zugleich ist. Das Ende besteht aus zwei Liedern, ein veritables Doppel-Finis – bei dem Ironie also nicht angebracht wäre. Der ruhelose Stillstand ist erreicht, jedes Vertrauen endgültig verloren. Wo war es? Bei der Herzgeliebten? Bei den Bäumen? In der Jugend als Chiffre für ein „Einmal, früher“? Still, hell, wie im Liegen gesungen und, wie mit Hoffnung, aber kaum vernehmbar, noch einmal gewendet im Schlussstück, nämlich zum „bangen Traum“. Dass etwas nur Traum sei, mag ebendiese letzte Hoffnung sein und das psychisch-stilistische Repertoire in der christlichen Welt lässt da vielleicht als Rettung nur etwas seltene Wesen vor: „ein Engel nur“. Das „nur“ kaum hörbar. Das ist nun wirklich ein völlig anderes Enden als etwa in der Dichterliebe, deren Schlussgrabmal(en) hinauszuführen scheint.

      Ich kenne diese Aufnahme der Kerner Lieder nicht und ebenso nicht jene von Goerne /Andsnes, wobei ich mir Letztere zumindest als reizvolle Alternative vorstellen könnte ….

      --

        "Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit" (K. Valentin)
      #11212265  | PERMALINK

      yaiza

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      clasjaz Einmal aufgeschrieben, was mir hierzu  durch den Kopf schleicht. Bisher habe ich daraus nur die Kerner-Lieder op. 35 gehört – und hänge an ihnen.

      clasjaz, vielen Dank… ich gestehe, dass ich noch nicht weiter gelesen habe. Hintergrund ist der, dass ich die CD gerade erst vor einer Woche kaufte und op. 35 bisher noch nicht kenne… auf die noch folgende Lektüre bin ich gespannt.

      --

      #11212465  | PERMALINK

      Anonym
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      Registriert seit: 01.01.1970

      Beiträge: 0

      @soulpope Goerne habe ich gar nicht im Ohr, kenne ihn kaum. Bevor ich ihn suche, gehe ich aber erst einmal weiter zu weiteren Liedern bzw. Liedzyklen mit den hier stehenden Aufnahmen. Zeit …

      @yaiza Kannst ja dann bitte schreiben, was Du von op. 35 mit den beiden hältst …

      Ich habe mir heute in der Bibliothek Fischer-Dieskaus Buch über Schumanns Vokalwerk geholt. Wo ich in „Stille Thränen“ Schubert höre, nennt er: Chopin. Er meint da aber wohl nicht genau dieselbe Stelle, sondern den Ausklang des Klaviernachspiels.

      --

      #11486799  | PERMALINK

      yaiza

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      Schumann-Lieder VÖ (Sep 21) von Gerhaher/Huber

      Radiosendungen (Start 31.05.21, BR 20.05 Uhr)

      Folge 1 — Liederkreis nach Heinrich Heine, op. 24  Link

      Folge 2 — Myrthen, op. 25 Link

      Folge 3 — Liederkreis op. 39 nach Joseph von Eichendorff Link

      Folge 4 — Frauenliebe und Leben, op. 42 Link

      Folge 5 — Kerner-Lieder, op. 35 Link

      Folge 6 — Sechs Gesänge aus dem Liederbuch eines Malers, op. 36 Link

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      gypsy-tail-wind
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      War ja angekündigt, dass das komplett kommen wird – aber dennoch ziemlich blöd, Vol. 1 und 2 schon einzeln zu haben („Frage“ und „Myrthen“).

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      "Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #150: Neuheiten 2023/24 – 12.3., 22:00; #151: Neuheiten aus dem Archiv – 09.04., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba
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