Antwort auf: Robert Schumann

#11211477  | PERMALINK

Anonym
Inaktiv

Registriert seit: 01.01.1970

Beiträge: 0

Einmal aufgeschrieben, was mir hierzu

durch den Kopf schleicht. Bisher habe ich daraus nur die Kerner-Lieder op. 35 gehört – und hänge an ihnen. Einmal mehr eine Erfahrung mit Schumanns Ambivalenzen, Doppel- und Mehrfachdeutbarkeiten, Auf- und Abschwüngen, immer wie im Aushalten des Abgrunds, mit Vorschlägen, hineinzugehen oder noch außerhalb zu bleiben.

Das mag sich etwas vorbeigestochen anhören angesichts des beinahe durchgehend hell-klaren Gesangs von Gerhaher, so sind Worte wie „mich umfängt des Himmels Helle“ in „Lust der Sturmnacht“ wie gemacht für ihn. Und sogleich bezeichnend, dass diese Helle ausgerechnet die Sturmnacht ermöglichen soll. Und warum sollte der helle Vortrag auch nicht den dunklen Gegenstand erfassen können? Nur manchmal scheint mir das nicht zu gelingen, so im „trägt“ von „Stirb Lieb und Freud!“, eine von diesen agogischen Timbre-Stellen, wie ich sie mal nennen will, an denen die Interpreten zu erkennen sind. Bei Gerhaher hört sich für mich der Schlenker, mit dem er das „trägt“ abdunkelnd singt, fast plakativ an – aber wohl deshalb, weil er und Huber das Lied ansonsten in gleichmäßiger, wiegender Gestimmtheit nehmen (abgesehen von den still-retardierenden Herzliebstenstellen), ein ruhiges, fotografisches Singen, eine Kamera fährt über die Gegenwart und macht damit das Geschehen bereits zur Vergangenheit, zum Erinnernden.

Gerhaher und Huber fassen die Lieder als erzählenden Zyklus auf; Gerhaher betont das im Begleittext immer wieder, auch für die anderen Liedgruppen auf der CD, und stellt Schumanns „dramaturgischen Willen“ deutlich heraus, einen Willen, der den beständigen Wechsel von Aufbruch und erinnernder Resignation transportieren soll. So wird es sein; zugleich ergibt sich auf das Ganze gesehen eine flirrende Reibung zwischen Liebesschmerz und immer jäh aufkommendem Be-, Weiter- und Überstehenwollen – mit der Kraft der „Natur“, das Gegenbild anpassungsheischender menschlicher Zivilisiertheit. Hier erscheint daher das „mein Herz zerbricht“ fast noch vorläufig, wenngleich als naheliegender Wunsch nach völliger Verdunkelung: „stirb, Lieb und Licht!“ Entsprechend ist aber auch die folgende Zuversicht vorläufig: dass zur Heimat das ferneste Land werden könne. Schumann schreibt mit dem Wechsel der rauschenden Töne zu bedächtigeren Stellen diese Vorläufigkeit auch aus, tippt sie immer wieder an, als klopfende Illusion. Und doch haben die Aufschwünge ja Recht, es gibt das junge Grün, das frische Gras – hier, in „Erstes Grün“ mimt nun das Klavier den Fotografen. Und Gerhaher bei diesem hellen Lied der Beruhigung wunderbar.

Aber man muss weiter, und der Rückblick formiert sich als unstillbare Sehnsucht (Nr. 5). Das Trinkglas hilft auch nicht mehr (Nr. 6), was man so meint und sagt im Trunk, ist bloßer Trug, oder mit Blick auf ein Stück aus dem Liederkreis op. 39: zwielichtig.

Dass es immer so weiter geht, einstweilen, im Auf- und Ab, wenn auch mit immer stärker schraffierter Schattierung, kommt mir vor, als knüpfe die Liedfolge Knoten für Knoten, wie an einem Schürhemd, auf – oder auch zu. Könnte, zum Wohl aller gleichsam, hier, das heißt mit der „Stillen Liebe“, der Zyklus nicht enden? Das letzte kleine Lied über die Trauer, dass alle Lieder misslingen, als Gelungenes? Dass, wie Hölderlin auch einmal rief, nur einmal der Gesang ihm gelingen möge, mehr bedürfe es nicht?

Genau hier erscheint die „Frage“, und ich möchte glauben, dass Gerhaher und Huber nicht ohne diese Absicht den Gesamttitel gewählt haben: Dass für Schumann immer noch eine Frage bleibt, seis ums Drängen, seis ums Zurückweichen: „ach was füllte noch / in arger Zeit ein Herz mit Lust? Das folgende „Stille Thränen“ bringt also ein Erwachen, aber ein Erwachen, dass sich der Gefährdung bewusst ist, mit Klavierinsistierungen, die mich an Schuberts „An die Musik“ erinnern – was eigenen Sinn ergäbe. Auch deshalb: Der Schluss ist prägnant, mit einem „sei“ als Timbre-Wort, Timbre-Gedankenwort. Dorthin steigert sich das Lied bis zur Fixierung des lebendigen Widerspruchs einer morgendlichen Fröhlichkeit nach einer Tränennacht. Dieser Widerspruch ist nicht lösbar, die Meinung der „Welt“, die Fröhlichkeit sei echt, resultiert nur aus der Tatsache, dass die Schmerzen einstweilen ausgeweint sind. So ist die Verteilung von Tag und Nacht, von Anspruch, Anpassung und tatsächlichem (Er-)Leben, und deshalb steht all das unter dem Vorbehalt des „sei“. Das wird nicht ohne Grund zweimal gesungen, also die beiden letzten Verse. Nach dem ersten Durchgang folgt eine Klavierreflexion – die wieder an Figuren in Schuberts späten Klaviersonaten erinnert – und in der Wiederholung dann oszilliert das „sei“ zwischen der fordernden Meinung der anderen und Konfrontation mit dieser Meinung des singenden Selbst. Resignierend-anklagende Ironie ist da nicht fern, insofern Ironie in ihrer bewussteren Spielart nicht das Sagen von etwas anderem, also eine Art Leugnung, sondern das Sagen von zwei Dingen zugleich ist.

Das Ende besteht aus zwei Liedern, ein veritables Doppel-Finis – bei dem Ironie also nicht angebracht wäre. Der ruhelose Stillstand ist erreicht, jedes Vertrauen endgültig verloren. Wo war es? Bei der Herzgeliebten? Bei den Bäumen? In der Jugend als Chiffre für ein „Einmal, früher“? Still, hell, wie im Liegen gesungen und, wie mit Hoffnung, aber kaum vernehmbar, noch einmal gewendet im Schlussstück, nämlich zum „bangen Traum“. Dass etwas nur Traum sei, mag ebendiese letzte Hoffnung sein und das psychisch-stilistische Repertoire in der christlichen Welt lässt da vielleicht als Rettung nur etwas seltene Wesen vor: „ein Engel nur“. Das „nur“ kaum hörbar. Das ist nun wirklich ein völlig anderes Enden als etwa in der Dichterliebe, deren Schlussgrabmal(en) hinauszuführen scheint.

Ich hörte dann noch eine ältere Aufnahme mit dem jungen Fischer-Dieskau und Hertha Klust (WDR Köln, Saal 2, 23.3.1954):

Auch hier große Hingabe an die Nuancen und großen Linien – was sonst –, wobei Fischer-Dieskau dynamische Schwünge sicher näherliegen als Gerhaher, der sie eher im Verborgenen hält. Weshalb mir bei ihm, G. (und H.), der doppelte Schluss auch näher ist. Wenn ich es eigenartig sagen soll: Fischer-Dieskau singt da zuviel, macht die Hoffnung entschiedener, als sie ist.

--