Startseite › Foren › Kulturgut › Das musikalische Philosophicum › Rezeptionsverhalten und -möglichkeiten in den 1960er und frühen 70er Jahren
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AutorBeiträge
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Ich habe erst in den 90ern Musikzeitschriften für mich entdeckt. Als Teenie waren es natürlich die Bravo, klar, die Okay und Pop. Wenn ich heute so zurückdenke, und ich besitze sogar noch Exemplare aus der Zeit, war letztere die, bei der es nicht nur um Lifestyle und Klatsch und Tratsch von und über Stars ging, sondern auch ein wenig um Musik. Hauptinformationsquelle war bis in die späten 80er das Radio, und da gab es, auch auf dem privaten ffn, bis in die 90er immer noch engagierte Sendungen (Ecki Stiegs z. B.). warum gerade in den letzten zehn Jahren so eine unsägliche Verflachung stattgefunden hat, kann ich nicht beurteilen.
Spannend für mich ist aber nach wie vor, dass ich immer noch Bands und Küstler aus den 60ern entdecke, die irgendwo ein Randdasein gefristet haben, aber durchaus einflussreich waren, z. B. The Red Crayola, von deren Existenz ich erst seit kurzem weiss, oder aber Tim Buckley, den ich in den 80ern entdeckte.
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WerbungBeim Lesen der Beiträge ist mir wieder Liese eingefallen. Liese war, es ist ca. 20 Jahre her, die klügste Katze der Welt und aller Zeiten. Und sie war – ich hatte sie erst adoptiert, als sie schon fast erwachsen war – ans Draußensein gewöhnt. Im Haus zu sein machte sie nervös, geschlossene Türen reichten zur Panik. Es sei denn, es lief Bob Dylans „Blood On The Tracks“, dann machte sie es sich im Sessel gemütlich. Und bei „Buckets Of Rain“ fing sie unfehlbar an zu schnurren. Kein Witz, keine Vermenschlichung; es war tatsächlich so.
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Wenn wir schon alles falsch machen, dann wenigstens richtig.Was die Mags anbelangt, dürfte heute auch kaum noch verständlich sei, dass sich, als ich die dt. Sounds ca. 1970 zum ersten Mal am Bahnhofskiosk entdeckte, mir eine neue Welt auftat. Die nahmen die Popmusik ernst, sie schrieben darüber wie über Wichtiges. Die Rezensionen, die ich bis dahin in den Wochenzeitungen gelesen hatte (Zeit, Welt, Spiegel) waren mir irgendwie suspekt (weshalb ja ein gewisser Herr Franze Schöler nicht etwa erst seit heute, sondern schon seit seiner Let It Bleed-Renzension von 69/70 bei mir versch… hat).
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FAVOURITESMikko
War eure persönliche musikalische Sozialisation eher zufällig? Oder hattet ihr Anleitung durch Ältere oder sogar Erwachsene? Woran habt ihr euch orientiert? Wer oder was bestimmte welche Bands, Platten angesagt waren und welche nicht?
Habt ihr überhaupt alles mitbekommen, was man hätte mitbekommen können?Ich bin Jahrgang 1961, und meine früheste Erinnerung an Popmusik ist vom Mitte/Ende der 60er Jahre. Im Radio in unserem Wochenendhaus liefen ganz oft die Beatles, und die fand die ganze Familie toll und hat mitgesungen. Sonst wurde bei zuhause das Radio nur zum Frühstück und Abendbrot angeknipst, und die Musik wurde stattdessen selbstgemacht (mein Vater spielte verschiedene Instrumente, und auch meine Schwester und ich hatten früh Musikunterricht; manchmal kam ein Freund meiner Eltern, der mit der Geige aushalf). Ich kannte also vor allem klassische Musik und Volkslieder aus aller Welt. Meine Eltern hatten ein paar Pop- und Jazzplatten, die sie aber selbst kaum hörten.
Mein Interesse für Pop (und später Rock) erwachte also durch Mitschüler, verschiedene Cliquen im Lauf der Jahre – und natürlich das Fernsehen.
Meine erste Single war Barry Ryans „Zeit macht nur vor dem Teufel halt“; also ca. 1972. Gehört/gesehen hatte ich Ryan sicher entweder bei Dieter Thomas Heck oder bei Ilja Richter. Die Singles bekam man von Mitschülern zum Geburtstag, denn sie kosteten 5 DM, das war nämlich genau der Betrag, den man ausgeben durfte.
Etwa zu der Zeit bekam ich auch mein erstes winziges Taschenradio, mit dem ich wie viele andere unter der Bettdecke Musiksendungen hörte. Etwas später dann der erste Kassettenrekorder (so ein Trageteil mit fünf Tasten). An den habe ich ein Mikrofon angeschlossen und vom Radio meiner Eltern Musik aufgenommen. Mit dem Rekorder bekam ich auch ein paar fertige Kassetten (Sampler), und ich erinnere mich, dass auf der einen Heintjes „Schneeglöckchen im Januar, Goldregen im Mai“ oder so war, und ich das ebenfalls begeistert gehört habe. Hauptsache, Musik…
Entscheidend war dann die Zeit so ab 14, wo ich durch Betteln sehr auf eine eigene Anlage hinarbeitete. Einflüsse waren vor allem Schulkameraden. Bravo oder andere Zeitschriften (PopRocky oder so?) durfte ich nicht kaufen, sondern habe in den Ferien auf dem Dachboden einer Freundin stundenlang die Backissues verschlungen.
Mit ca. 16 hatte ich mein erstes eigenes Zimmer (und eine Anlage) und durfte auch abends ausgehen, da habe ich dann noch mehr Musik kennengelernt. Ich kann mich leider nur noch dunkel an wenige Szenen erinnern: wie wir bei meiner Klassenkameradin auf dem Fußboden hockten und Supertramp hörten; wie mir eine andere Klassenkameradin, deren Eltern geschieden waren (solche Leute galten als kein Umgang) und die ein Moped hatte, Jethro Tull nahebrachte; wie ich mit 16 in den USA zur Schule ging und Lynyrd Skynyrd kennenlernte (aber auch John Denver), und wie ich kurz nach meiner Rückkehr mein erstes Konzert besuchte (Dire Straits, 1978). Alles weitere ist Geschichte bzw. unübersichtlich.--
Anne, das hört sich ja fast nach einer 60s Musikhörer-Karriere in den 70s an.
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FAVOURITESAnne Pohl Heintjes „Schneeglöckchen im Januar, Goldregen im Mai“ oder so war.
Die Schneeglöckchen waren im Februar….;-)
Ich hatte das nämlich auch auf einem meiner Tonbänder, zwischen Brown Sugar und Me & Bobby McGee. Weil ich immer die gesamten „Schlager der Woche“ aufgenommen habe. Das war einfacher.
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„Toleranz sollte eigentlich nur eine vorübergehende Gesinnung sein: Sie muss zur Anerkennung führen. Dulden heißt beleidigen.“ (Goethe) "Allerhand Durcheinand #100, 04.06.2024, 22:00 Uhr https://www.radiostonefm.de/naechste-sendungen/8993-240606-allerhand-durcheinand-102otisAnne, das hört sich ja fast nach einer 60s Musikhörer-Karriere in den 70s an.
Ist das so? Ich war auch mit anderen Sachen spät dran. „Behütete Kindheit“ nennt man das wohl. :thetwins: Nachdem ich übrigens die ersten Hanni und Nanni-Bücher gelesen habe, hab ich meine Eltern immer genervt, weil ich ins Internat wollte. Das wäre mein Liebstes gewesen. Und irgendwie beneide ich noch heute alle Leute, die im Internat sein durften.
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otisWas die Mags anbelangt, dürfte heute auch kaum noch verständlich sei, dass sich, als ich die dt. Sounds ca. 1970 zum ersten Mal am Bahnhofskiosk entdeckte, mir eine neue Welt auftat. Die nahmen die Popmusik ernst, sie schrieben darüber wie über Wichtiges. Die Rezensionen, die ich bis dahin in den Wochenzeitungen gelesen hatte (Zeit, Welt, Spiegel) waren mir irgendwie suspekt (weshalb ja ein gewisser Herr Franze Schöler nicht etwa erst seit heute, sondern schon seit seiner Let It Bleed-Renzension von 69/70 bei mir versch… hat).
Wo hat er denn vorher geschrieben? Ich merke immer mehr, dass Leute, die man in einer relativ uncoolen Funktion zu kennen glaubt, früher tatsächlich mal cool waren (na gut, Schöler vielleicht nicht
). Der hier schon mal erwähnte Venske (war doch Henning Venske, oder?) kam mir immer nur als Kabaretist unter.
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If you talk bad about country music, it's like saying bad things about my momma. Them's fightin' words.Anne Pohl Nachdem ich übrigens die ersten Hanni und Nanni-Bücher gelesen habe, hab ich meine Eltern immer genervt, weil ich ins Internat wollte. Das wäre mein Liebstes gewesen. Und irgendwie beneide ich noch heute alle Leute, die im Internat sein durften.
Sooo toll war das nicht. Das merke ich daran, wie viel ich vergessen (verdrängt) habe. Aber dir ging es ja offensichtlich auch nicht sonderlich anders.
Aber beneide mich ruhig.--
FAVOURITESLatho, Schöler hat Ende der 60er/Früh70s Kritiken in der Zeit veröffentlicht.
Ja, der NDR-Venske war der Henning. Und er hatte, im Gegensatz zu Wiebke Bruhns, Ahnung von Musik und lockere Sprüche drauf. Die Wiebke bediente da mehr die aufgeklärten Früh/Spät-68er.--
FAVOURITESAlso so wie heute auch.
Und in der Zeit ist es eigentlich immer noch nicht viel besser. Die Artikel von Groß und Heitkamp sind a) zu selten, b) zu oberflächlich und c) so als würden sie sich für die Beschäftigung mit der U-Kultur entschuldigen.--
If you talk bad about country music, it's like saying bad things about my momma. Them's fightin' words.MikkoIn diesem Zusammenhang stellt sich erst recht die Frage, warum ist für die meisten von uns hier im Forum Musik von früher Jugend an so wichtig? Und warum blieb sie es? – Die meisten Leute aus meiner damaligen „peer group“ oder Clique, die sich schon intensiver für Musik interessierten als der Durchschnitt, tun dies auch heute noch, soweit ich weiß. Auch wenn ich zu den meisten kaum noch Kontakt habe, weiß ich, dass einige wenige Riesenplattensammlungen haben und auch heute noch regelmäßig neue Platten kaufen, während die meisten meiner Jugendfreunde ihre Plattensammlungen (falls sie überhaupt eine nennenswerte Anzahl besaßen) irgendwann verkauft oder verschenkt haben.
It’s „the problem of leisure: What to do for pleasure“ (Gang of Four).
Viele Leute betreiben ein ernsthaftes Hobby in ihrem Schuppen im Garten: Modelleisenbahnen, Zinnsoldaten… Andere sammeln Platten.
Bei vielen Leuten, die ich kenne, endete die Musikleidenschaft mit dem Erwachsenwerden, als sie sich wichtigeren Dingen zuwandten: dem Beruf, der Familiengründung… Ich denke, wenn sie diesen Übergang übersteht, gibt es keinen Grund, warum sie nicht endlos weitergehen sollte. Irgendwann hat man so viel Zeit hineingesteckt, daß die Beschäftigung mit Musik zu einem Teil dessen wird, was man ist, der eigenen Identität. Es kommt auch darauf an, daß man Gleichgesinnte kennenlernt und Zeit mit ihnen verbringt. Unter Gleichgesinnten bestätigt und bestärkt man sich gegenseitig. Indem wir endlos über neue und alte Platten, über Bands und Musiker quatschen und sogar „philosophieren“, womöglich noch ernsthaft Listen basteln, tun wir so, als sei die Musik ungeheuer wichtig – bis wir es selbst glauben. Wenn man so viel Zeit mit etwas verbringt, muß es wichtig sein. Artikel in Zeitschriften können dieselbe Funktion haben, wenn sie ihren Gegenstand mit Ernst betrachten. Nach dieser Bestätigung sucht man, weil man sich mit der Musik Bedürfnisse erfüllt.
Die Musik hat ja auch viel zu bieten. „Mit Musik geht alles besser“, selbst die Hausarbeit. Der Alltag bekommt einen Soundtrack. Stars bringen Glamour und Farbe hinein. Musik kann eine Stimmung im Raum erzeugen, sie kann zum Kuscheln gut sein oder zum Tanzen oder zum ekstatischen Ausflippen. Wenn man sich darauf versteht, kann man sie als Kunst genießen, den sinnlichen Schein der Idee wahrnehmen, ein Konzept und seine (gelungene) Umsetzung spüren. Musik regt die Phantasie an. Wer es ernsthaft betreibt, erfährt die Freuden des Jagens und Sammelns. Immer wieder gibt es neue Reize. Hat man sich einmal auf die Entdeckungsreise begeben, kommt man so schnell nicht zurück.
Die Reiserouten ändern sich im Lauf der Zeit. In den 60ern und 70ern gab es noch nicht so viel Geschichte (in der Rockmusik, meine ich), und die es gab, war nicht so leicht zugänglich (Platten und Informationen waren schwerer zu bekommen). Da lag es näher, sich dem Neuen und Zeitgenössischen zuzuwenden. Heute sind die Möglichkeiten größer – Reissues noch und noch, die Vergangenheit liegt offen. Das Alte konkurriert mit dem Neuen; es gibt gangbare Wege in alle Richtungen. Auch viele Jugendliche hören heute „Classic Rock“.
Immer aber geht es darum, das eigene Leben angenehm zu gestalten.
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To Hell with PovertyGo1
Die Musik hat ja auch viel zu bieten. „Mit Musik geht alles besser“, selbst die Hausarbeit. Musik kann eine Stimmung im Raum erzeugen, sie kann zum Kuscheln gut sein oder zum Tanzen oder zum ekstatischen Ausflippen. Wenn man sich darauf versteht, kann man sie als Kunst genießen, den sinnlichen Schein der Idee wahrnehmen, ein Konzept und seine (gelungene) Umsetzung spüren. Musik regt die Phantasie an.
Jaja… – …there’s music for pleasure, there’s music to dance to – there’s music to march to, there’s music to die…;-)
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I mean, being a robot's great - but we don't have emotions and sometimes that makes me very sadSchöner Beitrag, Go1!
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Go1 Irgendwann hat man so viel Zeit hineingesteckt, daß die Beschäftigung mit Musik zu einem Teil dessen wird, was man ist, der eigenen Identität. Es kommt auch darauf an, daß man Gleichgesinnte kennenlernt und Zeit mit ihnen verbringt. Unter Gleichgesinnten bestätigt und bestärkt man sich gegenseitig. Indem wir endlos über neue und alte Platten, über Bands und Musiker quatschen und sogar „philosophieren“, womöglich noch ernsthaft Listen basteln, tun wir so, als sei die Musik ungeheuer wichtig – bis wir es selbst glauben. Wenn man so viel Zeit mit etwas verbringt, muß es wichtig sein. Artikel in Zeitschriften können dieselbe Funktion haben, wenn sie ihren Gegenstand mit Ernst betrachten. Nach dieser Bestätigung sucht man, weil man sich mit der Musik Bedürfnisse erfüllt.
Ist die leise Ironie (Kritik, Selbstkritik, wie auch immer) gewollt ?
Wenn ja: Hochachtung.--
[kicks sagt:] ( schon alleine dass da keine Nüsse drin sind zeigt dass es ein allgemeiner check is ) -
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