Re: Rezeptionsverhalten und -möglichkeiten in den 1960er und frühen 70er Jahren

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anne-pohl

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Mikko
War eure persönliche musikalische Sozialisation eher zufällig? Oder hattet ihr Anleitung durch Ältere oder sogar Erwachsene? Woran habt ihr euch orientiert? Wer oder was bestimmte welche Bands, Platten angesagt waren und welche nicht?
Habt ihr überhaupt alles mitbekommen, was man hätte mitbekommen können?

Ich bin Jahrgang 1961, und meine früheste Erinnerung an Popmusik ist vom Mitte/Ende der 60er Jahre. Im Radio in unserem Wochenendhaus liefen ganz oft die Beatles, und die fand die ganze Familie toll und hat mitgesungen. Sonst wurde bei zuhause das Radio nur zum Frühstück und Abendbrot angeknipst, und die Musik wurde stattdessen selbstgemacht (mein Vater spielte verschiedene Instrumente, und auch meine Schwester und ich hatten früh Musikunterricht; manchmal kam ein Freund meiner Eltern, der mit der Geige aushalf). Ich kannte also vor allem klassische Musik und Volkslieder aus aller Welt. Meine Eltern hatten ein paar Pop- und Jazzplatten, die sie aber selbst kaum hörten.
Mein Interesse für Pop (und später Rock) erwachte also durch Mitschüler, verschiedene Cliquen im Lauf der Jahre – und natürlich das Fernsehen.
Meine erste Single war Barry Ryans „Zeit macht nur vor dem Teufel halt“; also ca. 1972. Gehört/gesehen hatte ich Ryan sicher entweder bei Dieter Thomas Heck oder bei Ilja Richter. Die Singles bekam man von Mitschülern zum Geburtstag, denn sie kosteten 5 DM, das war nämlich genau der Betrag, den man ausgeben durfte.
Etwa zu der Zeit bekam ich auch mein erstes winziges Taschenradio, mit dem ich wie viele andere unter der Bettdecke Musiksendungen hörte. Etwas später dann der erste Kassettenrekorder (so ein Trageteil mit fünf Tasten). An den habe ich ein Mikrofon angeschlossen und vom Radio meiner Eltern Musik aufgenommen. Mit dem Rekorder bekam ich auch ein paar fertige Kassetten (Sampler), und ich erinnere mich, dass auf der einen Heintjes „Schneeglöckchen im Januar, Goldregen im Mai“ oder so war, und ich das ebenfalls begeistert gehört habe. Hauptsache, Musik…
Entscheidend war dann die Zeit so ab 14, wo ich durch Betteln sehr auf eine eigene Anlage hinarbeitete. Einflüsse waren vor allem Schulkameraden. Bravo oder andere Zeitschriften (PopRocky oder so?) durfte ich nicht kaufen, sondern habe in den Ferien auf dem Dachboden einer Freundin stundenlang die Backissues verschlungen.
Mit ca. 16 hatte ich mein erstes eigenes Zimmer (und eine Anlage) und durfte auch abends ausgehen, da habe ich dann noch mehr Musik kennengelernt. Ich kann mich leider nur noch dunkel an wenige Szenen erinnern: wie wir bei meiner Klassenkameradin auf dem Fußboden hockten und Supertramp hörten; wie mir eine andere Klassenkameradin, deren Eltern geschieden waren (solche Leute galten als kein Umgang) und die ein Moped hatte, Jethro Tull nahebrachte; wie ich mit 16 in den USA zur Schule ging und Lynyrd Skynyrd kennenlernte (aber auch John Denver), und wie ich kurz nach meiner Rückkehr mein erstes Konzert besuchte (Dire Straits, 1978). Alles weitere ist Geschichte bzw. unübersichtlich.

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