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So, ich habe mich nun beinahe durch den gesamten Thread gekämpft, und nun bleibt kaum noch etwas zu sagen übrig, da ja schon nahezu alle Standpunkte vertreten wurden ;) Vorweg vielleicht was zur vieldiskutierten „Verflachung“ und zum Niveau des Threads: Ihr liegt hier mit dem Niveau bereits weitaus höher als so manches andere Internetforum, also besteht noch lange kein Grund zur Besorgnis. ;) Abhandlungen im Sinne von Benjamins „Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit“ o. ä., die ja doch nur von Spezialisten geschrieben und rezipiert werden könnten, sind in einem öffentlichen Internetforum ja auch kaum zu erwarten.
Zum Thema: Der „Wert von Musik an sich“ existiert natürlich unabhängig von jedem Tonträger und jedem Notenblatt. Er ist als Wert physisch vollkommen unfassbar, ein rein geistiges Phänomen – wie das der Wert literarischer Kunstwerke ja auch ist. Eine griechische Tragödie ändert ihren Wert nicht, ob sie nun in einer Prachtausgabe oder aber als Reclam-Heftchen oder gar auf einer CD als PDF-Datei vorliegt.
Worüber hier nun aber mittlerweile diskutiert wird, scheint mir etwas Anderes zu sein: Einerseits gibt es den formatunabhängigen „Wert an sich“, andererseits aber den Wert einer bestimmten Reproduktion, einer Kopie, eines bestimmten Exemplars. Wie eben ein besonders kunstvoller Buchdruck oder eine seltene Erstausgabe einen besonders hohen Wert hat, der nicht mit dem „literarischen Wert des Textes“ identisch ist. Dieser andere Wert mag ja mit dem ersten irgendwie zusammenhängen, ist aber nicht schon identisch mit ihm. Um beim Bücherbeispiel zu bleiben: Der Text der „Kritik der reinen Vernunft“ etwa spricht noch immer mit höchster Aktualität zu uns, besitzt einen hohen Wert, der jedoch keineswegs mit dem einer Erstausgabe dieses Werkes identisch ist. Beides sollte daher zunächst auch unabhängig voneinander untersucht werden.
Auf die sogenannte populäre Musik bezogen: Eine alte Schallplatte, vielleicht eine Original-Schellack von Jimmy Rodgers, Patsy Montana oder der Carter Family hat einen ganz eigenständigen Wert, der zunächst unabhängig vom Wert der darauf befindlichen Musik betrachtet werden sollte. Um seltene Exemplare können sich Legenden ranken, bestimmte Formen eines Kults können sich entwickeln: Man hat ein Originalexemplar des Stückes in der Hand, das seinerzeit eine ganze Generation bewegt, ergriffen, begeistert und vielleicht erschüttert hat und daher von kulturgeschichtlicher Bedeutung ist. Dieses Exemplar umgibt gleichsam eine geheimnisvolle Aura; nichts Esoterisches, aber dennoch spürbar: eine faszinierende Ausstrahlung. Und das womöglich deshalb, weil das seltene Exemplar ein physisch noch fassbarer Teil jener geschichtlichen Welt ist, aus der diese Musik einst hervorgegangen ist und weil es zudem noch viele Momente dieser gewesenen Welt versammelt, die zur reinen Musik noch dazukommen: Layout, Artwork, Linernotes, das Originalmaterial von 1927 oder 1965 etc., was das gesamte geschichtliche Drumherum aufscheinen lässt: die Welt von damals ist plötzlich irgendwie da. Indem wir uns mit all dem gedanklich auseinandersetzen, können wir natürlich auch mehr von der Musik selbst verstehen, ein tieferes Verständnis erlangen, als es ein nur flüchtiges, oberflächliches Hören einer MP3 ermöglicht. Was dann letztlich dazu führt, auch den „Wert der Musik an sich“ durch tiefere Auseinandersetzung intensiver und authentischer erschließen zu können. Insofern kann ich Otis und Andere hier durchaus verstehen, bin selbst aber kein derartig passionierter Plattensammler, komme weder zeitlich dazu, noch wäre es mir finanziell in diesem Ausmaß möglich.
Andererseits scheint mir ein solches Sammlertum auch keine zwingende Voraussetzung für ein tieferes Verstehen zu sein, sondern stellt nur einen möglichen, sehr anspruchsvollen und auch steinigen Weg dar, sich mit Musik tiefer auseinanderzusetzen. Es gibt ja auch ausgezeichnete CD-Ausgaben, die intensivere „Forschungsarbeiten“ ermöglichen; man denke beispielsweise an die aus zwanzig CDs bestehende Compilation zur Geschichte der Country-Music, die hier von der Teilnehmerin Anne Pohl empfohlen wurde und die ich auch habe und schätze, oder an vollständige Gesamtausgaben einzelner Interpreten. Kürzlich habe ich, um beim Beispiel zu bleiben, von einer chronologisch sortierten CD-Gesamtausgabe aller Tracks von Jimmy Rodgers mit ausführlichem Kommentarmaterial gelesen; wer also z. B. die Entwicklung des Old Timey tiefgründiger studieren und sich knisterfrei daran erfreuen möchte, kann das auch sehr gut mit solchen hervorragenden Sammlungen tun. Am PC kann man dann die alten digitalisierten Schellacks noch mit etwas Hall und anderen Extras aufwerten und sie dadurch lebendiger werden lassen. – Eine prinzipielle Ablehnung von CDs & Co. halte ich gerade angesichts solcher Sammlungen für unangemessen. Und das, obwohl auch ich zuweilen das „dritte Ohr“ habe und den Unterschied zwischen Vinyl und CD höre. Ich höre nach wie vor noch gern Vinyl, fahre Vinylplatten von zwei Dual-Plattenspielern mit neuen TA-Systemen auf einer mittelprächtigen Anlage, die hoffentlich bald einer neuen weichen wird. Der Unterschied zur CD wird bei vielen Aufnahmen deutlich. Ich denke jedoch, dass dieser lediglich für bestimmte Musikrichtungen relevant ist, bei Klassik und Electronica z. B. keine allzu große Rolle mehr spielt. Audiophile Analog-Gurus wie Simon Yorke würden mich jetzt für diese Äußerung schlagen, aber gerade ein Mann wie Simon Yorke weiß ja auch, dass er nur für eine verschwindend kleine, elitäre Minderheit produziert, zu der ich bestimmt nicht gehöre noch je gehören werde (vgl. http://www.recordplayer.com ).
Was Mikkos Ausgangsfrage nach den Auswirkungen der neuen Technologien auf Musikproduktion und Hörverhalten angeht, wird sich künftig ganz sicher vieles verändern. Aber wie zu den Zeiten, als es nur Schellack, Wachs, Vinyl oder Magnettonbänder gab – man könnte das vielleicht analog zum Begriff der „Gutenberg-Galaxis“ die „Edison-Galaxis“ nennen – wird es auch in Zukunft innerhalb der digitalen „Turing-Galaxis“ immer solche und solche Hörer geben: diejenigen, die mit Musik oberflächlich umgehen und die Anderen, die sich ernsthafter damit befassen, und das sowohl auf Produzenten- als auch auf Rezipientenseite. Wahrscheinlich muss man dem „guten Geschmack“ künftig noch ein wenig nachhelfen, sich mehr um „Steuerungsinstanzen“ kümmern, da die Gefahr von Beliebigkeit und Einebnung von Niveauunterschieden durch das vorhandene Überangebot und die totale Verfügbarkeit von allem und jedem durchaus besteht. Vielleicht könnten sich im Internet bestimmte „Machtzentren“ zusammenballen, die mit Autorität ausgestattet sind und den anspruchsvolleren Leuten die Richtung weisen, so wie früher jene Radiostationen, die ein besseres Programm boten als der Dudelfunk und denen man sich zuwenden konnte, wenn es einem da zu öde wurde. Man denke an die Zeit Ende der achtziger Jahre, als in Berlin der RIAS vernichtet wurde durch einige Blöd- und Dorfmänner und deren gewaltsame Einführung eines 24-Stunden-Dudelprogramms. Da gab es immerhin noch den SFB und den BFBS, an die man sich fortan halten konnte. Solche Zufluchtsorte könnte es in Zukunft ebenso geben.
Schnell noch was zur Musikindustrie und dazu, wie John Peel die Dinge sah. Ich zitiere hierzu mal aus einem „Zeit“-Artikel über John Peel, der noch zu seinen Lebzeiten entstanden ist (August 2004, http://zeus.zeit.de/text/2004/36/John_Peel ):
»Ich bekomme heute mehr Musik zugeschickt als je zuvor«, sagt er [Peel], »sehr viel mehr, als ich je in meinen Sendungen spielen kann. Es gibt eine unfassbare Kreativität, jeden Tag stoße ich auf neue Leute, die in ihrer Musik absolut erstaunliche Dinge tun.«
Von der Weltuntergangsstimmung der Musikindustrie trennt ihn die sichere Entfernung zwischen Stowmarket und London. »Es gibt jetzt einen direkteren Kontakt zu den Musikern«, sagt Peel, »ohne den Umweg über irgendwelche PR-Abteilungen. Wenn nun die Musikindustrie, wie wir sie kennen, kollabiert, dann tut es mir natürlich leid für die Leute, die dabei ihren Job verlieren. Aber sonst stört es mich eigentlich nicht. Es werden weiterhin sehr viele sehr gute Platten gemacht werden.«
Arme Musikindustrie. Aber nachdem vielleicht schon genügend Karriere-Bands in der Absicht gegründet worden sind, die neuen Beatles, Stones oder Take That zu werden, gibt es tatsächlich jede Menge Musiker, die in ihren eigenen, besser noch: sehr eigenen Klängen einen Selbstzweck sehen. In John Peels Programmen lässt sich von Woche zu Woche verfolgen, wie sich deren entfesseltes Treiben in immer neue Zweige ausdifferenziert. Ein Albtraum für langfristig planende Plattenkonzerne, ein Genuss für Freunde des Neuen: »Etwa 85 Prozent der Stücke in meinen Sendungen wurden vorher nie im Radio gespielt, zumindest nicht von mir. Die BBC hat es mir ermöglicht, als eine Art Patron der Künste zu wirken, wie es sie im 17. oder 18. Jahrhundert gab. Mit dem großen Unterschied, dass ich nicht so viel eigenes Geld dafür ausgeben muss wie die.«
[…]
Tatsächlich finden sich Parallelen zum Wahlverfahren dieses DJs noch am ehesten auf dem Kunstmarkt. Die dort organisierte Suche nach dem jeweils Neuen, dem »Authentischen«, gern auch Irritierenden ist für eine bestimmte Sorte Mensch von existenzieller Bedeutung und wird vom Rest unserer Gesellschaft zwar nicht immer verstanden, aber mindestens achselzuckend toleriert – Kunst halt –, wenn nicht gar ehrfürchtig subventioniert. Auf weniger Verständnis hoffen darf die sehr ähnlich gelagerte Beschäftigung – dieselben Kriterien, dieselbe existenzielle Bedeutung – mit einer Musik, die weder Klassik noch Jazz ist und deswegen immer noch unter dem irreführenden Begriff »Pop« firmiert, dessen äußerstes Gegenteil sie doch in vieler Hinsicht ist. »Ich werde jetzt immerhin 65. Manche Leute wundern sich, dass ich mich in diesem Alter noch so für diese Musik interessiere. Aber die haben sich auch schon vor 20 Jahren darüber gewundert. Seltsam, in der Literatur oder im Theater sagt nie jemand: Sorry, du bist jetzt über 40, du darfst leider nur noch die Bücher lesen und die Stücke sehen, die du schon kennst.«
Wenn es nach John Peel ginge, könnten mit dem Niedergang der globalisierten Musikindustrie gleich zwei komplementäre Übel dahinschwinden: mit der industriell gefertigten Musik die dazugehörigen Stars. »Ich finde diese Prominenzbesessenheit in unserer Kultur sehr beunruhigend. Man sieht überall, wie das Berühmtsein die Leute beschädigt. Meine Frau Sheila und ich haben eine ganze Menge Freunde an das Showbiz verloren. Nicht wegen der Drogen oder so, sondern weil sie, aus meiner Sicht, einfach verrückt geworden sind.
Zum iPod hatte Peel jedoch ein eher kritisches Verhältnis :
Die weltweite Suche nach dem Neuen betreibt Peel ohne eigenen Internet-Zugang. »Da ich ein ziemlich obsessiver Typ bin, ist es wohl besser, wenn ich dem Internet fern bleibe. Am meisten Angst hätte ich davor, mich bei eBay auf das Ersteigern von Platten einzulassen. Da würde ich sehr schnell Bankrott gehen.« In digitalen Abspielgeräten wie dem iPod sieht er keineswegs die Werkzeuge kreativer Emanzipation, als die sie derzeit gefeiert werden: »Ich finde, der iPod wirkt sich zu sehr gegen neue Musik aus. Die Leute laden ihre Favoriten drauf und hören nur noch die.«
Nach Peel wirkt sich der iPod also vor allem gegen neue Musik aus, verhindert innovative Strömungen und Untergrundbewegungen, begünstigt eine Art angepasstes, rein restauratives Hören von Schondagewesenem. Ich denke, die angesprochene Gefahr besteht durchaus. In unserer schönen neuen digitalen Welt brauchen wir daher vor allem eins: Mehr Menschen wie John Peel oder zumindest solche, die ihn sich zum Vorbild nehmen, welche Musik auf andere Weise auswählen, präsentieren und promoten, als das viele dieser roboterhaften und austauschbaren „Moderatoren“ im heutigen Radio machen oder wie das hier im Internet geschieht. Also Persönlichkeiten, die gegen die Einebnung von Niveauunterschieden und den damit einhergehenden Qualitätsverlust wirkliche Unterschiede setzen und vertreten können. Ich bin in Berlin aufgewachsen mit hervorragenden Radiomoderatoren, Leuten wie Doebeling, Lehnert, Graves, Kraesze, Christine Heise, Alan Bangs und natürlich John Peel und musste, als ich nach Süddeutschland zog und diesen SWR-Dudelfunk hörte, frustriert einsehen, wie verwöhnt wir doch eigentlich damals in Berlin waren. Weil das Radio ja nun auch beinahe am Verschwinden ist und möglicherweise mehr und mehr durch Internetstreams u. dgl. ersetzt werden wird, sollten sich künftig bestimmte Interessenpools bilden, die auch innerhalb der digitalen „Turing-Galaxis“ dafür sorgen, dass eine extrem gesteigerte Reproduzierbarkeit von Musik und Medien nicht gleichbedeutend sein muss mit gedankenloser und stumpfer Gleichmacherei.
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WerbungGuter Beitrag, nicht logischerweise immer meine Meinung aber sehr gut! Hut ab … :laola0:
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Vielen Dank, Santander, für diesen Beitrag. Die hier geschilderte Skepsis dem iPod gegenüber kann ich allerdings nicht verstehen. Viele Leute – auch ich – benutzen den iPod nicht nur um ihre Lieblingssongs zu hören, sondern natürlich auch um mp3s von neuen, spannenden Künstlern zu hören. Ich verstehe nicht, wie so ein Vorurteil entstehen kann. Warum sollten meine Musikgewohnheiten zu Hause sich von denen unterwegs unterscheiden? Ein Mensch mit iPod kann durchaus genauso neugierig auf musikalisches Neuland sein wie einer, der auf mobile mp3.Player verzichtet.
Wieso verhindert ein iPod „innovative Strömungen und Untergrundbewegungen“? Ich kenne Musiker und Produzenten, den iPod dazu benutzen, sich gegenseitig ihre neuesten Werke vorzuspielen, Kids, die Musik aus dem Netz Musik unter einander austauschen und Leute wie ich, die Podcasts abonniert haben, wo ständig neue Musik vorgestellt wird. Aber vielleicht magst du ja mal genauer erklären, was gemeint war.
Ich hoffe nur, dass der Rundfunk seine Chance nutzt, den Leute neue, innovative Musik vorzuspielen und eben nicht nur das, was sie schon kennen. Das wäre doch schön, wenn man sich diese Musik nicht immer nur im Netz suchen müsste.
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When I hear music, I fear no danger. I am invulnerable. I see no foe. I am related to the earliest time, and to the latest. Henry David Thoreau, Journals (1857)Trotzdem haben Peel udn Santander (danke für das Zitat) da ein Argument, dass nicht ganz von der Hand zu weisen ist. Aber es kommt natürlich immer auf den Hörer an.
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If you talk bad about country music, it's like saying bad things about my momma. Them's fightin' words.@santander
Vielen Dank für Deinen wirklich sehr guten Beitrag zu diesem Thread.Für mich ist es nach wie vor unverständlich, dass trotz des eindeutigen Themas bisher in ca. 75 % der Beiträge der Wert von Tonträgern bzw. Dateien diskutiert wurde.
Mich würde viel mehr interessieren, wie der Wertmaßstab für „wertvolle Musik“ entstanden ist. Ich hatte vermutet, dass der Kulturkreis, die Erziehung, die Sozialisation ( die Kommunikation mit der Peergroup) und die eigene Sensibilität eine große Rolle bei der Erziehung zum Geschmack spielen. Zusätzlich könnten tiefgreifende emotionelle Erlebnisse einen neuen „Blickwinkel“ geschaffen haben.
Gibt es eine Elite in Sachen Geschmack, denen Opportunisten bereitwillig folgen – und wenn ja, warum wirkt diese auf die Massen vertrauenswürdig?
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Blog: http://noirberts-artige-fotos.com Fotoalbum: Reggaekonzerte im Berlin der frühen 80er Jahre http://forum.rollingstone.de/album.php?albumid=755NorbertGibt es eine Elite in Sachen Geschmack …
Ja, klar …
NorbertGibt es eine Elite in Sachen Geschmack, denen Opportunisten bereitwillig folgen …
Nein, dann müssten doch andere Sachen in den Charts vorne stehen. Oder hab ich dich da jetzt missverstanden?
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Norbert
Für mich ist es nach wie vor unverständlich, dass trotz des eindeutigen Themas bisher in ca. 75 % der Beiträge der Wert von Tonträgern bzw. Dateien diskutiert wurde.Ich finde, dass gar nicht so unverständlich, da die Ausgangsfrage nach der Wertdefinition durch Mikko ja an diesem Übergang von physischen Tonträgern zu digitalen Dateien festgemacht wurde.
Norbert
Mich würde viel mehr interessieren, wie der Wertmaßstab für „wertvolle Musik“ entstanden ist. Ich hatte vermutet, dass der Kulturkreis, die Erziehung, die Sozialisation ( die Kommunikation mit der Peergroup) und die eigene Sensibilität eine große Rolle bei der Erziehung zum Geschmack spielen. Zusätzlich könnten tiefgreifende emotionelle Erlebnisse einen neuen „Blickwinkel“ geschaffen haben.Dies zielt aber auf die „Geschmacksbildung“ hin, die in der Konsequenz zwar zu einem persönlichen Wertmaßstab führt, aber in keinster Weise verallgemeinerbar ist.
Mir ist z.B. der bereits gefallene Begriff „Wertekanon“ im Zusammenhang mit Pop-Musik absolut suspekt. Es gibt natürlich wertbildende Einflüsse (z.B. haben diese TopXXX-Listen diesen verheerenden Nebeneffekt), aber für mich bleibt das etwas, was dem individualistischen und emotionalen Charakter von populärer Musik widerspricht.
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Wake up! It`s t-shirt weather.SwayNein, dann müssten doch andere Sachen in den Charts vorne stehen. Oder hab ich dich da jetzt missverstanden?
Meine Vermutung ist, dass es eine „Meute“ gibt, deren Geschmack sich an dem des jeweiligen „Sympathieträgers“ orientiert. Das würde dann auch auf „wertvolle Acts“ zutreffen, die ohne den „Rattenschwanz“, der den „Erleuchteten“ folgt, noch weniger Erfolg hätten.
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Blog: http://noirberts-artige-fotos.com Fotoalbum: Reggaekonzerte im Berlin der frühen 80er Jahre http://forum.rollingstone.de/album.php?albumid=755NorbertFür mich ist es nach wie vor unverständlich, dass trotz des eindeutigen Themas bisher in ca. 75 % der Beiträge der Wert von Tonträgern bzw. Dateien diskutiert wurde.
Ich glaube aber, es herrschte Einigkeit, dass Musik unabhängig von physikalischen Archivierungsmöglichkeiten einen Wert „an sich“ hat. Dieser Wert lässt sich aber schwer beschreiben – ich nehme an, weil Musik untrennbar mit der Menschheitsgeschichte verbunden, aber nicht stofflich ist. Der Wert einer Hand oder sogar der Sprache meinetwegen lässt sich viel konkreter beschreiben als der Wert, den Musik im Leben hat.
Aber wir sind nicht die einzigen, die sich da schwer tun. Ich habe gestern den Scorsese-Blues-Film „Feels Like Going Home“ gesehen, in dem es unter anderem darum ging, welchen Wert der Blues für Musiker wie Ali Farka Touré, Salif Keita, Otha Turner, Taj Mahal und andere hat. Fast alle stellten einen unmittelbaren Bezug zwischen Musik und Seele her – mit allen Beschreibungsunschärfen, die es da zwangsläufig gibt. Ali Farka Touré bezeichnete den Blues bzw. die Musik der Schwarzen sogar als eine Art Nabelschnur, die Afrikaner und schwarze Amerikaner verbindet.
Mich würde viel mehr interessieren, wie der Wertmaßstab für „wertvolle Musik“ entstanden ist. Ich hatte vermutet, dass der Kulturkreis, die Erziehung, die Sozialisation ( die Kommunikation mit der Peergroup) und die eigene Sensibilität eine große Rolle bei der Erziehung zum Geschmack spielen. Zusätzlich könnten tiefgreifende emotionelle Erlebnisse einen neuen „Blickwinkel“ geschaffen haben.
Dazu kann ich nichts beitragen. Für mich ist Rockmusik grundsätzlich wertiger als Popmusik, aber für allgemein wertvoll halte ich beide/oder beide nicht.
(So, jetzt kommt gerade das Essen angefahren, ich mache vielleicht später weiter).--
Anne Pohl(So, jetzt kommt gerade das Essen angefahren, ich mache vielleicht später weiter).
Essen auf Rädern? :lol:
Sorry, ich geh ja schon…
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Anne PohlAber wir sind nicht die einzigen, die sich da schwer tun. Ich habe gestern den Scorsese-Blues-Film „Feels Like Going Home“ gesehen, in dem es unter anderem darum ging, welchen Wert der Blues für Musiker wie Ali Farka Touré, Salif Keita, Otha Turner, Taj Mahal und andere hat. Fast alle stellten einen unmittelbaren Bezug zwischen Musik und Seele her – mit allen Beschreibungsunschärfen, die es da zwangsläufig geht. Ali Farka Touré bezeichnete den Blues bzw. die Musik der Schwarzen sogar als eine Art Nabelschnur, die Afrikaner und schwarze Amerikaner verbindet.
Das ist sehr interessant. Auf alle Fälle gibt es ein Bedürfnis, die Ursache der Wertschätzung zu ergründen.
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Blog: http://noirberts-artige-fotos.com Fotoalbum: Reggaekonzerte im Berlin der frühen 80er Jahre http://forum.rollingstone.de/album.php?albumid=755Norbert
Mich würde viel mehr interessieren, wie der Wertmaßstab für „wertvolle Musik“ entstanden ist. Ich hatte vermutet, dass der Kulturkreis, die Erziehung, die Sozialisation ( die Kommunikation mit der Peergroup) und die eigene Sensibilität eine große Rolle bei der Erziehung zum Geschmack spielen. Zusätzlich könnten tiefgreifende emotionelle Erlebnisse einen neuen „Blickwinkel“ geschaffen haben.Es gibt ja überhaupt keine allgemein gültigen Maßstäbe für wertvolle Musik, oder? Wert ist doch etwas, was ein Einzelner einer Sache zumisst. Für den einen sind Toto wertvoll, für den anderen ist es irgendein Soloprojekt von Howe Gelb. Musik begleitet die Menschen vermutllich schon seit vielen tausend Jahren durchs Leben – vom Schlaflied fürs Baby bis zu Gesängen bei der Beerdigung. Doch während Musik noch vor 100 Jahren vornehmlich der Unterhaltung und der Kommunikation miteinander diente, hat heute das Kommunizieren *über* Musik eine Bedeutung, die es damals noch nicht hatte. Hier schließt sich m.E. auch der Kreis zur Verbreitung von Musik, der ebenfalls schon öfter angesprochen wurde.
Als z.B. „Frankie & Johnnie“ entstand, waren da zuerst eine Mordgeschichte und ein Zeitungsbericht, dann jemand, der ein Lied daraus machte und es anderen vortrug und ihnen beibrachte. Durch die Migration reiste auch das Lied durch Amerika und veränderte sich ständig. Erst, als es auf Schallplatte konserviert werden konnte, wurde die jeweilige Momentaufnahme konserviert. Heute können wir uns mit vielen verschiedenen Versionen von „Frankie & Johnnie“ auseinandersetzen und über sie kommunizieren, weil sie uns auf physikalischen Datenträgern zur Verfügung stehen.
Und es gibt natürlich auch Abgrenzungen: nämlich zu denjenigen, die sich jetzt fragen, wer oder was „Frankie & Johnnie“ sind.Die gehören dann wohl nicht zur Peergroup, die Du ansprachst.
Dies ist wieder nur ein winziger Aspekt des ganzen Problems – wir nähern uns ihm halt von alllen Seiten.--
Anne Pohl
Für mich ist Rockmusik grundsätzlich wertiger als Popmusik, aber für allgemein wertvoll halte ich beide/oder beide nicht.Ich habe den Begriff Popmusik immer im weitesten Sinn gebraucht, Rockmusik, Country etc subsumierend, also populäre Musik.
NorbertMeine Vermutung ist, dass es eine „Meute“ gibt, deren Geschmack sich an dem des jeweiligen „Sympathieträgers“ orientiert. Das würde dann auch auf „wertvolle Acts“ zutreffen, die ohne den „Rattenschwanz“, der den „Erleuchteten“ folgt, noch weniger Erfolg hätten.
observerEs gibt natürlich wertbildende Einflüsse (z.B. haben diese TopXXX-Listen diesen verheerenden Nebeneffekt
), aber für mich bleibt das etwas, was dem individualistischen und emotionalen Charakter von populärer Musik widerspricht.
In meinen Augen war die Popmusik der letzten 50 Jahre gerade nicht von einem „individualistischen und emotionalen Charakter“ geprägt, im Gegenteil, sie lebte von und in dem Spannungsgefüge ihrer Rezeption. Was Norbert’s Vermutung als relativ logische Nebenwirkung erscheinen lässt. Der Star funktioniert als Star, weil alle hinterherlaufen, der Outsider als solcher, weil er von der Masse abgelehnt wird. Diese Mechanismen gehörten doch wesentlich zur Popmusik dazu.
Das ist mit Sicherheit auch eine Sache, die sich mit den heutigen Möglichkeiten ziemlich ändert.--
FAVOURITESDer Wert der Musik liegt in der Kommunikation über selbige. Ohne den Austausch und der Diskussion über sie, könnte man sie als belanglos ansehen.
Es ist wie mit anderen Dingen des Lebens. Ohne sie teilen zu können in Form der Mitteilung würde sie interessenlos sein. Hätte sie keine wirklich Daseinsberechtigung. Die Diskussion über sie jedoch, macht das Interesse aus.
Jeder Tonträger oder Form der Übertragung bringt nur etwas, wenn sie Rezeptoren erreicht, die angesprochen werden.
Deshalb ist ein Großteil der Radiosendungen für mich uninteressant, wertlos und belanglos geworden. Ich höre sie nicht mehr.
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Di. & Do. ab 20.00 Uhr, Sa. von 20.30 Uhr Infos unter: [/COLOR][/SIZE]http://www.radiostonefm.deotisIn meinen Augen war die Popmusik der letzten 50 Jahre gerade nicht von einem „individualistischen und emotionalen Charakter“ geprägt, im Gegenteil, sie lebte von und in dem Spannungsgefüge ihrer Rezeption.
Das sind zwei verschieden Ebenen, otis. Wenn du die Funtionsweise von Pop-Musik als Massenphänomen betrachtest, hast du Recht. Ich wollte da aber meine Betrachtungsweise beschreiben. Der Wert von Musik besteht für mich darin, dass sie mich auf einer sehr emotionalen, irrationalen Ebene erreicht, die ich oft auch nicht beschreiben kann. Insofern ist ein Werteschema (ob nun auf statistischen Füßen stehend, wie eine Top100-Liste oder auf historischer / musikanalytischer Basis erstellt) völlig irrelevant. Damit möchte ich nicht der Analyse und musikhistorischen Einordnung das Wort reden. Es ist verständlich, dass man nun anfängt, 50 Jahre popmusikalischer Entwicklung aufzurollen und einzusortieren. Aber dieser geschaffene Kanon der wichtigsten Werke bewirkt eine Stromlinienförmigkeit, die dem entgegensteht, was ich an Musikrezeption spannend und individuell finde. Mich verwundert es immer wieder, wenn ich hier im Forum manche Listen lese: Anfang-Zwanzigjährige, die hauptsächlich Dylan, Stones, Beatles als Favoriten aufzählen (das soll bitte niemand persönlich nehmen!). Da kann man natürlich sagen, es sei halt zeitlose Musik, aber Pop lebt für mich auch von Zeitbezug und Identifikation. Das Werten von Musik nach historischer Relevanz und stilistischer Perfektion nach allgemeingültigen Kriterien zerstört (für mich) den Zauber von Musik, nämlich den der individuellen Erfahrung und Aneignung.
Und um Missverständnissen vorzubeugen, ich finde eine theoretische Auseinandersetzung mit Musik nicht überflüssig, mich interessiert das dann aber eher aus einem sozialwissenschaftlichen Blickwinkel.
@mitch: Der kommunikative Austausch über Musik ist doch nur eine Komponente, die das Verstehen und Greifbarmachen der eigenen Rezeption fördert. An erster Stelle steht doch aber das eigene Erleben von Musik. Diese weckt doch in dir erst das Bedürfnis, dies teilen zu wollen. Deshalb sind wir doch hier in diesem Plauderforum.
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Wake up! It`s t-shirt weather. -
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