Blue Note Records – Die frühen Jahre (New Orleans Jazz, Boogie, Swing, Blues)

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    gypsy-tail-wind
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    Es ist mir schon lange ein Anliegen, auch auf die frühen Jahre von Blue Note Records hinzuweisen. Das Kultlabel ist in der Jazzecke des Forums natürlich sehr präsent, u.a. hier:
    Beste Alben/allgemeiner Thread zum Label
    – die besten Blue Note-Cover
    Blue Note Vinyl-Reissues

    Zudem gibt es diverse Threads zu langjährien Blue Note-Künstlern wie Art Blakey, Horace Silver, Wayne Shorter, Larry Young, McCoy Tyner, Herbie Hancock, Dexter Gordon etc., und natürlich auch einen zu Thelonious Monk, mit dem das Label im 9. Jahr seiner Existenz den Sprung in den modernen Jazz wagte.

     

    Los ging es aber ganz anders: den modernen Jazz gab es noch gar nicht, als Alfred Lion und Frank Wolff in Berlin erstmals mit Jazz in Berührung kamen und bald zu begeisterten Fans wurden. Auch nach ihrer Flucht – Wolff, der sich fortan Francis nennen sollte, schaffte es buchstäblich in letzter Sekunden, der in Deutschland anrollenden Massenvernichtung zu entfliehen – in die Vereinigten Staaten war weiterhin Swing der angesagte Stil. Doch Lion liebte besonders den Blues, gerne etwas langsamer.

    Zum älteren Jazz auf Blue Note – erstmal den Aufnahmen der Jahre 1939 bis 1947, doch bis im Sommer 1953 entstanden auch weitere Sessions mit Musikern der älteren Generation – gibt es hier im Forum nur Vereinzeltes zu lesen und ich möchte daher im Jahr des 80. Geburtstages einen etwas grösseren Rundumschlag anfangen, ohne Garantie, dass er zeitnah beendet wird.

    Mosaic Records, das in den Achtziger Jahren von Michael Cuscuna und Charlie Lourie gegründet wurde, um den unhaltbaren Zustand zu beheben, dass Monks Blue Note-Aufnahmen nicht mehr greifbar waren, widmete sich neben weiteren ikonischen Modern Jazzern (Gerry Mulligan, Art Pepper, Clifford Brown, Chet Baker, Bud Powell etc.) auch den frühen Blue Note-Aufnahmen. So erschienen noch im ersten Jahr die allerersten Aufnahmen, die Lion und Wolff machten, am 6. Januar 1939. In das dafür gebuchte Studio in New York kamen die Pianisten Albert Ammons und Meade „Lux“ Lewis und gaben ihre Boogie Woogie-Künste zum Besten. Damals ein längst antiquierter Stil, der aber – wie so vieles im Jazz – weiterhin gespielt wurde. Mit Lewis folgten im Oktober 1940 und im April 1941 weitere Sessions, eine letzte fand dann im August 1944 statt.

    Zu den anderen Blue Note-Musikern, um die es hier gehen wird, gehören nicht zuletzt Sidney Bechet, einer der grossen Stars der Anfänge des Jazz. Zudem die Pianisten Art Hodes und James P. Johnson, der Trompete Sidney de Paris, die Posaunisten George Lewis und Vic Dickenson, der Klarinettist Edmond Hall. In den Vierzigern nahm Blue Note auch vermehrt Swingmusiker auf, darunter der später als A & R-Mann für das Label so wichtige Tenorsaxophonist Ike Quebec und sein Kollege John Hardee, der Gitarrist Tiny Grimes, der Posaunist Benny Morton oder der Klarinettist Jimmy Hamilton.

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    #10762735  | PERMALINK

    thesidewinder
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    Beiträge: 11,749

    Das verspricht interessant zu werden! Danke dir!

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    #10762741  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
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    Diskographische Hinweise

    Blue Note brachte 1998 zum 60. Geburtstag eine kleine Reihe mit CDs heraus:

    – The Blue Note Jazzmen (mit James P. Johnson, Edmond Hall, Sidney de Paris)
    – The Blue Note Swingtets (mit Tiny Grimes, John Hardee, Ike Quebec, Benny Morton, Jimmy Hamilton)
    – Edmond Hall „Profoundly Blue“ (unter den Sidemen: Charlie Christian, Meade Lux Lewis, Red Norvo, Teddy Wilson)
    – Sidney Bechet „Runnin‘ Wild“ (feat. Wild Bill Davison)
    – George Lewis and His New Orleans Stompers
     

    Ebenfalls brachte Blue Note diese CDs heraus (keine Garantie auf Vollständigkeit!):

    – Albert Ammons & Meade Lux Lewis ‎– The First Day (1992)
    – Sidney Bechet ‎– Jazz Classics Volume 1 (1993, EMI France)
    – Sidney Bechet ‎– Jazz Classics Volume 2 (1993, EMI France)
    – Port of Harlem Jazzmen (1994)
    – The Fabulous Sidney Bechet (2001)

    Das alles sollte ohne grössere Probleme günstig zu finden sein, denke ich.
     

    1996 erschien zudem bei Blue Note, in Zusammenarbeit mit Smithsonian, die 4-CD-Box (damals auch als Kassette erschienen) „Hot Jazz on Blue Note“, mit extensiven Liner Notes von Dan Morgenstern (übrigens der Sohn des Schriftstellers und Freundes/Biographen von Joseph Roth, Soma Morgenstern – auch das einer, der sich rechtzeitig vor der Gemanerei retten konnte). Morgenstern hat auch für die 1998er Blue Note Reissues und für die Mosaic-Sets von Ammons/Lewis und Hodes die Liner Notes geschrieben. Die Swing-Sessions werden in dieser Box übrigens nicht berücksichtigt – sie sind ja auch kein „Hot Jazz“. Dafür gibt es eine ganze Menge von Art Hodes, dessen wunderbare Blue Note-Aufnahmen abgesehen von Mosaic – s.u. – im CD-Zeitalter leider nicht angekommen sind.

     

    Die Veröffentlichungen von Mosaic Records mit frühen Blue Note-Aufnahmen sind folgende (MR=LP, MD=CD, die Zahl dahinter gibt die Anzahl Tonträger an, dann folgt die Katalog-Nr.):

    – The Complete Blue Note Recordings of Albert Ammons and Meade Lux Lewis (MR3/MD2-103)
    – The Complete Blue Note Forties Recordings of Ike Quebec and John Hardee (MR4/MD3-107)
    – The Complete Recordings of The Port of Harlem Jazzmen (MR1-108)
    – The Complete Edmond Hall/James P. Johnson/Sidney De Paris/Vic Dickenson Blue Note Sessions (MR6/MD4-109)
    – The Complete Blue Note Recordings of Sidney Bechet (MR6/MD4-110)
    – The Complete Art Hodes Blue Note Sessions (MR5/MD4-114)
    – The Benny Morton/Jimmy Hamilton Blue Note Swingtets (MR1-115)
    – The Pete Johnson/Earl Hines/Teddy Bunn Blue Note Sessions (MR1-119)
    – The Complete Blue Note Recordings of George Lewis (MR5/MD3-132)

    Mit etwas Glück und Geduld kann man diese Boxen finden, mir fehlen neben Quebec/Hardee (107) nur die drei Einzel-LPs (108, 115 und 119 – von 115 habe ich einen Rip, 108 kam bei Blue Note selbst als CD heraus), die anderen habe ich entweder als LP (103, 114) oder CD (109, 110, 132).

    Trivia: in Frankreich, wo er lange lebte, war Sidney Bechet ein König, kein Wunder, dass zwei der oben genannten CDs nicht in den USA sondern in Frankreich erschienen. Seinen Thread, leider auch noch nicht allzu weit gediehen, findet man hier:
    http://forum.rollingstone.de/foren/topic/sidney-bechet-the-epitome-of-jazz/

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    #10762801  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
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    1939-01-06 – unbekanntes Studio, New York, NY
    Albert Ammons / Meade Lux Lewis

    Die beiden Boogie Woogie-Pianisten Albert Ammons (später besser bekannt als Vater des Tenorsaxophonisten Gene Ammons) und Meade Lux Lewis machten wie erwähnt den Anfang. Ganze 19 Titel brachten die Neulinge Lion/Wolff mit den zwei Pianisten zustande, die jeweils über ein halbes Dutzend Solo sowie zwei Duette einspielten. Bis auf einen Titel erschien die ganze Session auf der abgebildeten Blue Note-CD – d.h. wenn mich nicht alles täuscht, es fehlt wohl das „Untitled Lewis Original“, aber bei den Titeln gibt es etwas Verwirrung, „Nagasaki“ wird bei Mosaic noch als „Sheik of Araby“ angegeben, das wurde dann korrigiert, als Blue Note die einzelne CD nachreichte.

    Boogie Woogie also – ein Stil, den man wegen der Orte, wo er auftauchte, gerne als randständiges Phänomen betrachtet, dessen Vertreter halt nichts anderes gelernt hätten. Das am deutlichsten hörbare prägende Element sind die Ostinato-Figuren im Bass. Solche repetitiven Begleitfiguren gehen in der Musik weit zurück, bis ins 13. Jahrhundert wenigstens, und seit dem 16. Jahrhundert sind sie mit Formen der Tanzmusik verbunden. Die Tradition, wie sie anhand der später entstandenen Aufnahmen hörbar wird, bestand wohl in engen Fingerhaltungen der Linken, die schnelle, gleichmässig phrasierte Bewegungen zwischen Tonika, Dominante und Subdominante ausführt, in der Regel in der Form eines 12taktigen Blues. Der Fokus liegt wohl auch deshalb auf der Rhythmik, weil die Instrumente, die im 19. Jahrhundert zur Verfügung standen, wenn in irgendwelchen Camps oder Saloons zum Tanz aufgespielt wurde, vermutlich selten in gutem Zustand waren. Die Form war also eng bemessen, ein Stimulus, innerhalb des gegebenen Rahmens das Beste zu machen. Die kreativen Boogie Woogie-Pianisten reicherten ihre Sprache durch Anleihen anderer Blues- und Jazz-Piano-Spieltechniken an.

    Das alles kann man bei Lewis (1905–1964) und Ammons (1907–1949) aufs Schönste hören. Jimmy Yancey, Hersal Thomas oder Clarence „Pine Top“ Smith nennt Dan Morgenstern in seinen Liner Notes zur Mosaic-Box als direkte Vorbilder: Yancey ist Lewis‘ „Yancey Special“ (1944 aufgenommen) gewidmet, Ammons spielt Thomas‘ „Suitcase Blues“ und entleiht in seinem „Boogie Woogie Stomp“ die Basslinie dem „Boogie Woogie“ von Pine Top Smith. Bei anderen Boogie Woogie-Pianisten tauchen Einflüsse von Jelly Roll Morton auf, Motive der Original Dixieland Jazz Band usw. Lewis und Ammons kamen beide in Chicago zur Welt, arbeiteten zeitweise beide für die Silver Taxi Cab Gesellschaft und lebten im selben „rooming house“, wie auch „Pine Top“ Smith. Dass sie ihre Ideen austauschten liegt auf der Hand. Smith hatte u.a. Ma Rainey begleitet, während die zwei jüngeren Pianisten erst am Anfang standen. Ammons hatte in den späten Zwanziger- und in den Dreissigerjahren erste Gigs, 1936 nahm er für Decca erstmals auf, darunter auch schon den „Boogie Woogie Stomp“. Zwei Jahre später nahm Ammons für die Library of Congress auf und wirkte Ende 1938 auch an einem der „Spirituals to Swing“-Konzerte mit, die John Hammond in der Carnegie Hall veranstaltete – im Rahmen einer „cutting“ Session mit Meade „Lux“ Lewis und Pete Johnson, die als letzter Punkt vor der Pause aus dem Programm stand (1).

    Meade „Lux“ Lewis‘ Weg war steiniger. Er spielte in Chicago in Bars und Clubs und hörte dann mit Musikmachen auf. In den frühen Dreissigern war er in einem Projekt für Arbeitslose der Work Progress Association im Einsatz. Hammond hatte inzwischen den eine bemerkenswerte frühe Aufnahme von Lewis entdeckt, „Honky Tonk Train Blues“ (2) und sich auf die Suche nach dem Pianisten gemacht. Lewis hatte den Kontakt zu Ammons aufrecht erhalten und dieser stellte die Verbindung zwischen den beiden her. 1936 etablierte sich Lewis wieder als Musiker, spielte in Chicago und ging dann nach New York. Auch er nahm 1938 für die Library of Congress auf, als Folge des Auftrittes bei „Spirituals to Swing“.


    Albert Ammons und Pete Johnson im Cafe Society (Foto: Frank Driggs Collection)

    Ende der Dreissiger hatten Ammons und Lewis sich also warmgelaufen und waren bereit, ihre besten Aufnahmen zu machen – im Rahmen der ersten Aufnahmesession von Blue Note Records. Die Menge und die Qualität der Musik von diesem 6. Januar 1939 sind beeindruckend, auch wenn man nicht bedenkt, dass zwei völlig unerfahrene Männer im Studio zuständig waren. Blue Note 1, die ersten Single, enthielt Lewis‘ „Melancholy“ und „Solitude“, Blue Note 2 dann die Ammons-Titel „Boogie Woogie Stomp“ und „Boogie Woogie Blues“. Boogie Woogie war zu dieser Zeit in seinem einstigen eher rustikalen Rahmen längst ausser Mode, doch die Swing-Fans entdeckten für sich die dramatische Wirkung und die Virtuosität der Pianisten, die nun nicht mehr zum Tanz aufspielten oder Hintergrundmusik lieferten.

    Die zwei Stücke von Ammons verdeutlichen all sein Können und strafen – wenn man denn zuhören mag – die Behauptung Lügen, Boogie Woogie klinge doch immer gleich. Die beiden Hände spielen sich kreuzende Rhythmen, die Betonung ist mal auf dem Beat, mal auf dem Off-Beat, was die Wirkung des Swingenden Grund-Beats noch verstärkt. Die rechte Hand wird immer aktiver, doch die Blues-Form verhindert, dass die Performances ausarten. Ammons spielte rhythmisch sehr variantenreich, mischt synkopierte Achtel und Sechzehnte mit Passagen in Achtel-Triolen, streut Tremolos ein, Passagen in Terzen, Sexten und Oktaven. In „Bass Going Crazy“ entfernt er sich, wie der Titel ahnen lässt, von der üblichen Bassbgleitung. Das Ergebnis ist sehr effektvoll, die linke Hand bewegt sich in einer viel grösseren Breite als üblich, die Linien sind viel variantenreicher, auch chromatische Passagen tauchen auf. Hier hören wir exemplarisch, was die besten Boogie Woogie-Pianisten konnten, wenn sie sich vom engen Rahmen wegbewegten und sich anderen Einflüssen öffneten. In „Chicago in Mind“ erinnert Ammons an Fats Waller, spielt für einmal deutlich einen 4/4-, nicht den üblichen 8/8-Rhythmus.

    Ammons, Lewis und Pete Johnson traten regelmässig in unterschiedlichen Kombinationen im New Yorker Cafe Society auf. Die Duette von Ammons und Lewis am ersten Tag von Blue Note erinnern daran – und „Twos and Fews“ ist eines der wenigen Beispiele für einen vierhändigen Boogie Woogie. Noch toller ist aber das zweite Duett, eine Improvisation über „Nagasaki“ (von Mosaic wie erwähnt noch als „Sheik of Araby“ betitelt). Hier spielen die beiden ein spontanes Jazz-Duett über eine 32taktige Song-Form – ein Feuerwerk von Einfällen und in Form der themenlosen Improvisation zugleich etwas, was Jahre später bei den Beboppern als Innovation gefeiert wurde – manches ist eben nicht so neu, wie behauptet wird.


    Meade Lux Lewis (Foto: Francis Wolff (C) Mosaic Images)

    Die Stücke, mit denen Blue Note seine Veröffentlichungen begann, Lewis‘ „Melancholy“ und „Solitude“, sind eher Tongedichte als treibender Boogie Woogie. Der Pianist spielt hier 4/4 und verzichtet auf die typischen Boogie-Bässe. Statt einem rhythmischen Diskurs zwischen den Händen gibt es hier einen melodischen – und damit ein Echo auf den Anfang von Lewis‘ Aufnahmen im Studio, den in fünf Teilen eingespielten Blues. Das war Lewis‘ ambitioniertes Unterfangen im Studio, eine zwanzigminütige Variation über die unzähligen Schattierungen der Melancholie, mit der es in dem Genre wohl nur die besten Aufnahmen Jimmy Yanceys aufnehmen können. Ammons mag also mehr Erfahrung – und vermutlich mehr Punch – gehabt haben, aber Lewis war musikalisch der innovativere, wagemutigere, keine Frage.

    Lewis‘ „Honky Tonk Train Blues“, den er schon 1927 zum ersten Mal eingespielt hatte, ist eine Boogie Woogie-Komposition, und damit einmal mehr nichts, was irgendwer jemals erwartet hätte: ein durchkomponiertes Stück, in dem zugleich Ordnung und Unordnung herrscht, indem das freie, wilde Barrelhouse-Klavier in eine Form gebracht wird. In der Linken vermeidet Lewis konsequent die Tonika, was zu einer anhaltenden Spannung führt.

    Dan Morgenstern, dessen Liner Notes zur Mosaic-Box ich hier schamlos ausbeute, gerade was die präzisen technischen Details angeht, berichtet voller Begeisterung über weitere Stücke von Lewis bei dieser ersten Blue Note-Session, zum Beispiel „Bass on Top“ und „Six-Wheel Chaser“, in denen Lewis verschiedenste Mittel anwendet, um für klangliche und rhythmische Vielfalt zu sorgen. Wie davor James P. Johnson und später Thelonious Monk streut Lewis immer wieder Akkorde und Figuren ein, die keinerlei Funktion haben sondern eher als Echo der mikrotonalen Bluestradition zu verstehen sind. Lewis erzeugt solche Momente durch das Aufeinanderprallen der Bewegungen der Bass- und der Melodielinien. Das mögen auch andere Pianisten gemacht haben, aber Lewis‘ untrügliches Gespür lässt seine Aufnahmen besonders pikant klingen.

    1) Zu hören ist das in einer tollen 3-CD-Box, die Vanguard herausgebracht hat:
    https://www.discogs.com/Various-From-Spirituals-To-Swing/release/4123681
    Zwei Trios (das zweite mit Walter Page am Bass), umrahmen je ein Ammons- und ein Lewis-Solo sowie zwei Stücke, auf denen Johnson als Begleiter von Joe Turner zu hören ist, direkt danach folgen zwei Stücke von Sister Rosetta Tharpe mit Ammons am Klavier. Zu den grossen Highlights der Box gehören für mich aber v.a. die Aufnahmen von Count Basie/Lester Young, die auch beim 1939er-Konzert wieder dabei waren, wo zudem das Benny Goodman Sextet mit Charlie Christian und der Pianist James P. Johnson mitwirkten – die Box sei wärmstens empfohlen! (Momentan ist sie aber sehr teuer, wie es scheint.)

    2) Vermutlich aus dem Dezember 1927, zu finden auf der Lewis-CD „1927–1939“ (Chronological Classics); Lewis‘ nächste Aufnahme ist eine Version desselben Stückes aus dem Jahr 1935 für Parlophone, die als Bonus auch in der Mosaic-Box enthalten ist, im Januar 1936 nahm er dann für Decca/Brunswick eine ganze Session auf, im März 1937 zwei Stücke für Victor, im Dezember 1938 drei für Vocalion, und im Januar 1939 folgte dann die Blue Note-Session, um die es hier geht. Die Sessions für Victor und Vocalion hat Mosaic in seinem Select „Boogie Woogie and Blues Piano“ (3 CD, 2008) neu herausgebracht:
    https://www.discogs.com/Various-Mosaic-Select-Boogie-Woogie-Blues-Piano/release/5308576
    Bei der Session im Dezember 1938 war auch Gene Ammons im Studio und nahm ebenfalls zwei Takes eines Stückes auf, auch das im Mosaic Select zu finden; ebenfalls trifft man da auf Sessions von 1941 mit Ammons und Pete Johnson, der auch mit Aufnahmen – Solo und als Bandleader – von 1939 vertreten ist, inkl. eines Treffens mit Ammons und Lewis; anderen Pianisten, die man zu hören kriegt, sind u.a. Joe Sullivan, Freddie Slack, Jimmy Yancey, Mary Lou Williams und Lionel Hampton (u.a. im Duo mit Nat „King“ Cole).

    PS: Ich stelle keine YT-Links ein, auch wenn man vieles dort wohl finden kann … YT kotzt mich grundsätzlich erstmal einfach an; dann sind oft Links, die in der Schweiz gehen, in Deutschland gesperrt; und obendrein verlangsamt die ganze Flash-Grütze auch in Zeiten schnellen Internets immer noch das Laden von Seiten. Geht also bitte selber suchen, wenn Ihr auf dem Weg begleitend zur Lektüre etwas hören möchtet.

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    gypsy-tail-wind
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    1939-04-07 – New York, NY
    The Port of Harlem Jazzmen / Frankie Newton Quintet / J.C. Higginbotham Quintet

    Frank Newton (t), J.C. Higginbotham (tb), Albert Ammons (p), Teddy Bunn (g), Johnny Williams (b), Sidney Catlett (d)

     

    In seinen Liner Notes zur oben abgebildeten CD schreibt Dan Morgenstern: „When he founded Blue Note Records, Alfred Lion was, so to speak, intoxicated with the blues, a musical language which, though it infuses all authentic jazz, had fallen into relative neglect at the peak of the Swing Era. To be sure, Count Basie and his fresh wind out of Kansas City was blowing the blues back into prominence, but the kind of basic stuff Lion had been exposed to via the boogie woogie pianos of Albert Ammons, Pete Johnson and Meade Lux Lewis was another story.“

    Für seine erste Session mit Bläsern – und überhaupt mehr als einem Klavier im Studio – lag der Fokus nun ganz auf dem Blues. Langsam, erdig, ganz ohne das Tempo und die geschliffene Eleganz der Swing-Ära. Albert Ammons am Klavier war zurück, unter den weiteren Musikern ist wohl der Trompeter Frankie Newton (1906–1954) der bemerkenswerteste, ein grossartiger Musiker, der das Pech hatte, in einer Epoche der Virtuosen aktiv zu sein: Roy Eldridge, Bunny Berigan, Red Allen, Harry James, vom Übervater Louis Armstrong ganz zu schweigen. Für einen stillen Lyriker wie Newrton blieb wenig Rampenlicht übrig. Ihm ging es nicht um Brillanz, an der es ihm jedoch nicht mangelte, wenn sie denn mal gefragt war. Seine Stärke lag in einer gefühlvollen, ja fast schon intimen Spielweise.

    Newtons Partner, dem Posaunisten J.C. Higginbotham (1906–1973) erging es besser, er war 1939 schon als Starsolist der Bands von King Oliver, Luis Russell, Fletcher Henderson oder Louis Armstrong aufgetreten. 1940 tat er sich – bis zu dessen Tod 1967 – mit Henry „Red“ Allen zusammen, seinem lebenslangen Freund. „Higgy“, wie er von Freunden genannt wurde, war bis Mitte der Vierziger zweifellos einer der besten Posaunisten des Jazz, explosiv, zupackend, mit einer Bravour, die an Armstrong geschult war (und wiederum nachfolgende Posaunisten wie Trummy Young oder Eddie Bert und viele andere prägte). Im Gegensatz zu Newton war Higginbotham ein Blueser im Herzen.

    Die Rhythmusgruppe besteht aus dem Gitarristen Teddy Bunn, damals Star der Gruppe Spirits of Rhythm, in der auch gesungen wurde, dem Bassisten Johnny Williams, damals Mitglied von Newtons Hausband im Cafe Society, und dem Schlagzeuger Sidney Catlett, einem der grossen Meister auf seinem Instrument.

    Die genaue Abfolge der Stücke scheint, wie bei den meisten frühen Blue Note-Sessions, nicht völlig geklärt. Auf der abgebildeten CD geht es mit dem „Daybreak Blues“ los, dann folgt der „Wearyland Blues“. Ersterer, ohne Higginbotham, lief unter Newtons Name, bei zweiterem war es genau umgekehrt. Higginbothams Stück war die A-Seite einer Single, Newton fand sich auf der Rückseite wieder. Newtons Stück fügt sich in die Stimmung, die Meade Lux Lewis mit „Melancholy“ und „Solitude“ geschaffen hatte, Bunn und Ammons agierend hervorragend, die Gitarre spielt streckenweise einen 12/8-Groove und kriegt nach Ammons‘ Chorus ihren eigenen Durchgang. Das ist minimalistische, fast schon karge Musik, die aber eine grosse Wärme ausstrahlt. Newton schattiert seinen Ton, streut da und dort ein wenig Vibrato ein. Bei Higginbotham ist der Klang der Aufnahme noch etwas dumpfer, wie Morgenstern treffend meint, gibt das dem Stück eine Art „voice-in-the-wilderness quality“. Higginbotham öffnet mit Dämpfer, Ammons und Catlett hört man praktisch nicht, erst im Verlauf von Ammons‘ Chorus taucht das Klavier im Mix allmählich auf. Dann folgt wieder Bunn, und wenn Higginbotham dann wieder einsteigt, mit offener Posaune, wirkt sein Ton etwas aggressiver und Catlett ist auch ein wenig zu spüren.

    Es folgen drei Stücke mit beiden Bläsern. Im „Port of Harlem Blues“ ist das Tempo einmal mehr langsam, die Stimmung getragen. Newton öffnet mit einer wunderbaren Improvisation, dann übernimmt Higginbotham und stellt das Thema vor – wobei alle fünf Stücke als Improvisationen angegeben werden. Wenn Higginbotham das aus dem Stand erfindet, chapeau! Sein zweiter Durchgang ist ähnlich souverän, auch daraus könnte man gleich ein Stück komponieren. Nach Ammons‘ Solo steigt Higginbotham mit einer gehaltenen hohen Note wieder ein – und erzielt damit einen zauberhaften Effekt.

    „Mighty Blues“ klingt deutlich klarer, das Tempo ist etwas rascher, Bunn spielt ein Intro, dann übernimmt der souveräne Higginbotham, spielt kurze Phrasen, wie in Stein gemeisselt und mit guter Begleitung von Ammons, der danach zwei feine eigene Chorusse spielt. Der Groove der Rhythmusgruppe ist mitreissend, eine Mischung aus Stillstand und hartem Swing. In Newtons Solo spielt Bunn wieder 12/8-Figuren. Der Trompeter findet sich auch in diesem zupackenderen Groove bestens zurecht, ohne sich zu verleugnen. Catlett ist hinter Bunn dann besonders toll. Den Abschluss macht „Rockin‘ the Blues“, in dem das Tempo deutlich anzieht. Ammons spielt ein Intro, die Bläser riffen, Higginbotham spielt ein gutes Solo inklusive Zitat aus „Stormy Weather“, Ammons und Catlett lassen die Musik jumpen.


    J.C. Higginbotham, Pete Johnson, Red Allen und Lester Young, National Press Club, Washington, D.C., ca. 1940 (Foto: William P. Gottlieb)

     

    1939-06-08 – New York, NY
    Port of Harlem Jazzmen / Frankie Newton Quintet / J.C. Higginbotham Quintet / Sidney Bechet Quintet

    Frank Newton (t), J.C. Higginbotham (tb), Sidney Bechet (ss, cl), Meade „Lux“ Lewis (p), Teddy Bunn (g), Johnny Williams (b), Sidney Catlett (d)

     

    Zwei Monate später versammelt sich eine ähnliche Band erneut in einem Studio (jazzdisco.org schreibt „probably WMGM Radio Station“), doch etwas ist anders, es ist nämlich einer der ganz grossen Stars des alten Jazz dabei, kein geringerer als Sidney Bechet, dem das Label bis 1953 die Treue halten sollte und noch Sessions mit ihm aufnahm, als es sich längst dem Bebop zugewandt hatte. Und Bechet sollte gleich auch ein Meisterwerk abliefern, doch dazu gleich. Am Klavier sass diesmal nicht Ammons sondern der andere vom ersten Tag, Meade Lux Lewis. Newton, Higginbotham, Bunn, Williams und Catlett waren alle wieder dabei.

    Wie bei der Session vom April wurden auch hier wieder fünf Stücke eingespielt – übrigens bis zu viereinhalb Minuten lange, was schon bei der ersten Session mit Ammons/Lewis der Fall gewesen war. Weil es nun drei Bläser zu präsentieren gab, resultierten nur zwei Stücke mit der ganzen Band. Die Musik ist wieder blueslastig, der ein „call of the wilderness“ aus der Hitze des Grossstadt-Dschungels, so scheint mir. Los geht es mit „After Hours Blues“, dem Feature für Newton, in dem auch Bunn und Lewis feine Soli spielen. Bei letzterem fällt gerade im Kontrast zu Ammons bei der Session davor auf, dass sich die Boogie-Spuren praktisch verflüchtigen – er spielt pures Jazz-Piano. Bei Newtons Wiedereinstieg bietet Catlett seine typischen Press-Rolls. Dann ist Higginbotham an der Reihe, mit dem „Basin Street Blues“ – bei dem es sich um keinen Blues handelt, was eine willkommene Abwechslung bietet (die Melodie, so stellt Morgenstern zu recht fest, ähnelt ein wenig jener von Liszts „Liebestraum“ Nr. 3). Higginbotham spielt ein paar tolle Breaks, und auch Bunn reagiert auf die Abwechslung, steigt schon hinter Higginbotham ein, ob er meinte, der Posaunist sei schon durch? Dieser steigt dann wieder ein, spielt noch ein paar wilde Breaks, im zweiten zitiert er „Confessin‘ (That I Love You)“, und wird – wie Newton zuvor – von Catletts Press Rolls wie auf einem fliegenden Teppich heimbegleitet.

    Im „Blues for Tommy“, wie Newtons Stück wieder ein improvisierter Blues. Hier ist nun die ganze Band zu hören. Bechets Sopransax schwebt im Intro über der Band, die Press-Rolls kommen schon zum Auftakt. Tommy, das ist Tommy Ladnier, ein alter Freund von Bechet, der ein paar Tage vor der Session starb, und der stapfende Groove passt zur Stimmung. Bechet soliert zuerst, mit seinem umwerfenden Ton und ein paar speziellen Phrasierungen. Lewis folgt, leider etwas leise im Mix. Newton übernimmt mit dünnem Ton, sehr fokussiert – ein toller Durchgang! Bunn folgt (und Catlett passt seine Begleitung sofort an – diese Praxis wurde z.B. später im Miles Davis Quintet von Philly Joe Jones sehr ausgeprägt gepflegt), dann Higginbotham, in passender klagender Stimmung.


    Frankie Newton und Sidney Bechet

    Es folgt Sidney Bechets Meisterwerk, „Summertime“. Die Blechbläser setzen aus, Bunn ist zur Stelle, um in ein Zwiegespräch mit Bechet zu treten, die Rhythmusgruppe spielt fliessender, was perfekt passt. RCA, das Label für welches Bechet einige seiner schönsten Aufnahmen gemacht hat, verweigerte ihm anscheinend, Gershwins Stück aus „Porgy and Bess“ aufzunehmen – bei RCA sah man in Bechet den traditionellen Jazzer, zu dem ein solches Stück nicht passt. Zum Glück landete er bei Blue Note, denn auch wenn Bechets RCA-Aufnahmen vielleicht seinen wichtigsten Werk-Korpus bilden, er hatte tatsächlich viel mehr drauf, als manche meinten (und wohl noch meinen, falls sich heute überhaupt noch jemand für Bechet interessiert – der Mann hatte durchaus das Kaliber eines Louis Armstrong und war, zumindest in den frühen Jahren, der wesentlich beeindruckendere Improvisator).

    Den Ausklang der dritten Blue Note-Session macht dann noch einmal das ganze Ensemble mit dem „Pounding Heart Blues“. Das Tempo ist etwas schneller, doch die Intensität von Bechets Solo ist noch da, Higginbotham spielt ein grossartiges erstes Solo, gefolgt von Lewis, der am Klavier auch inspiriert klingt. Hinter Newton fängt Catlett mit seinen Press-Rolls an – und das Solo ist vielleicht Newtons besten auf diesen Sessions, ein Konstrukt, das völlig logisch und klar ist, mit grossem Gusto vorgetragen, und von grosser dramatischer Wirkung. Bechet folgt dann an der Klarinette, schlüpfrig, mit Seufzern und Growls. Das abschliessende Ensemble gehört, wie der Auftakt schon, wieder dem souverän aufspielenden Newton.

    Mosaic brachte die gerade besprochenen zehn Stücke 1984 auf seiner achten Veröffentlichung heraus. Die CD oben enthält zusätzlich die Bechet-Session vom 27. März 1940 (mit Bunn, Pops Foster und Catlett) und die Solo-Session, die Teddy Bunn am Tag darauf aufnahm.

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    gypsy-tail-wind
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    1939-07-29 – New York, NY
    Earl „Fatha“ Hines

     
    Die nächsten zwei Sessions gehörten wieder Pianisten. Earl Hines, einer der Überväter des Jazzpiano und gerade kurz davor, ein paar der jungen Wilden Bebopper in seiner Big Band zu beschäftigen, war ein Musiker, der bis zum Schluss mit offenen Ohren durch die Welt ging. Er nahm im Juli zwei Stücke für Blue Note auf, die auch wieder überlang waren und auf 12″-Schellack-Platten veröffentlicht wurden.

    „The Father’s Getaway“ ist eine Stride-Nummer, und um diese Spielweise zu beschreiben, greife ich gerne noch einmal auf Dan Morgensterns Liner Notes zur Ammons/Lewis Mosaic-Box zurück, wo er die New Yorker „’stride‘ school“ erwähnt und schreibt: „In this at its simplest the pianist plays a note or octave in the bass register on the first and third beats of a bar in 4/4 time and a chord in middle register on the second and fourth beats. This projects the music’s pulse, indicates harmonic changes and provides good support for right-hand improvisation. The virtuosity developed by jazzmen is such, of course, that this pattern has been subject to all manner of sophistications, which reached their peak with Art Tatum. More overtly modernistic players such as Monk or Bud Powell owe something to ’stride‘ procedures though, and this is apparent when they perform without the support of a rhythm section.“

    Hines gehört natürlich zu den raffinierteren unter den Stride-Vertretern, er schaffte es mühelos, mit Swing-Musikern oder auch mit modernen Rhythmusgruppen aufzutreten. Selbst ein Elvin Jones brachte ihn nicht aus dem Konzept. Hines war aber – ganz besonders in seinen späten Jahren – auch ein grossartiger Solo-Pianist, der das komplette Instrument zu nutzen wusste. Das zeigt er auch hier, auf seien zwei Blue Note-Stücken, wo sich Stride-Passagen mit flüssigeren Rhythmen abwechseln. Im zweiten Stück, „Reminiscing at Blue Note“, spielt er zwischendurch auch mal Boogie Woogie-Rhythmen.
     

    1939-12-19 – Reeves Sound Studios, New York, NY
    Pete Johnson

    Pete Johnson (p), Ulysses Livingston (g), Abe Bolar (b)
     
    Von der Session von Pete Johnson liegen mir leider bisher nur zwei Stücke vor, die – wie auch die zwei Hines-Stücke – auf einer Japanischen 8-CD-Box namens „Blue Note: The SP Days 1939–1952“ (TOCJ-5231-38, 2000) erschienen sind. Ich eigne diese Box selbst leider auch nicht.

    Mit Johnson sind wir wieder im Boogie-Territorium, neu ist aber, dass er von Bass und Gitarre begleitet wird. Im „Vine Street Blues“ spielt Abe Bolar ein reizvolles Solo, das knapp am Slap-Bass vorbeischrammt – wer bei der Besetzung p/g/b also an das Nat Cole Trio und seine zahlreichen Kollegen dachte (auch Art Tatum spielte damals gerne in dieser Besetzung), irrt. Im „Barrelhouse Breakdown“ ist das Tempo hoch, und wie der Name vermuten lässt, lässt Johnson es gehörig krachen.

    Das Klangbild der Session ist übrigens recht ausgewogen, das Piano vielleicht etwas zu laut, wenn die Gitarre an der Reihe ist, aber von Schwankungen wie noch bei den Port of Harlem Jazzmen ist man inzwischen doch recht weit entfernt.

    Von der Idee, die beiden Johnson-CDs mit der Blue Note-Session aus der Chronological Classics-Reihe (1938–39 und 1939–41) kam ich jedenfalls bereits wieder ab. Ein paar weitere Stücke von der ersten finden sich im erwähnten Mosaic Select mit Boowie Woogie-Aufnahmen, und das reicht mir dann wohl auch.

     

    Mosaic kombinierte auf seiner 19. Veröffentlichung, einer weiteren Einzel-LP, die Blue Note-Sessions von Earl Hines (2 Tracks), Pete Johnson (6 Tracks) und Teddy Bunn (5 Tracks).

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    friedrich

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    Lobenswertes Vorhaben von Dir, @gypsy-tail-wind!

    Zugegeben habe ich aktuell nicht die Zeit und die Geduld, Deine sehr ausführlichen Posts komplett durchzuackern. Aber ein bisschen was kann und möchte ich dennoch dazu schreiben.

    Ich hatte vor einiger Zeit mal etwas in den urzeitliche Archiven von Blue Note gestöbert und dabei Albert Ammons und Sidney Bechet entdeckt. Meine erste Begegnung mit prä-Bop Jazz auf Blue Note war aber die auch von Dir oben erwähnte The Blue Note Swingtets Compilaton, zu der ich gerne später noch mal was schreibe.

    Ich hatte auch mal 2nd Hand eine Compilation erworben, die einen Querschnitt der ersten 10 Jahre von ’39 – ’49 auf Blue Note lieferte. Die ’73er Re-Issue dieser anläßlich des 30-jährigen BN-Jubiläums veröffentlichten Doppel-LP hat ein unbeschreibliches Cover zu bieten (das Original von ’69 sah etwas besser aus) und eine ganze Menge eigenartige Musik. Darunter natürlich Stücke von Albert Ammons, Sidney Bechet, Earl Hines, Ike Quebec und – ja – auch Todd Dameron und Thelonious Monk. Sicher nichts für den Komplettisten, aber weitere Neugier erweckend und appetitanregend.


    Schade eigentlich, dass diese frühe Phase von BN vergleichsweise unvollständig dokumentiert ist bzw. die Aufnahmen teils nur schwer / teuer zu bekommen sind, weil out of print. Eine gute Compilation in ansprechender Gestaltung und kompetenten liner notes Ware doch reizvoll!

    Und hier jetzt doch: Der Boogie Woogie Stomp von Albert Ammons. Der Urknall von Blue Note, wenn man so will.

    --

    „Etwas ist da, was jenseits der Bedeutung der Worte, ihrer Form und selbst des Stils der Ausführung liegt: etwas, was direkt der Körper des Sängers ist, und mit ein- und derselben Bewegung aus der Tiefe der Stimmhöhlen, der Muskeln, der Schleimhäute, der Knorpel einem zu Ohren kommt, als wenn ein und dieselbe Haut das innere Fleisch des Ausführenden und die Musik, die er singt, überspannen würde.“ (Roland Barthes: Die Rauheit der Stimme)
    #10763137  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
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    Die 1998er-Serie bot sowas wie diese gute Zusammenfassung, wenn man „Blue Note Jazzmen“, „Blue Note Swingtets“ und die Edmond Hall-CD bündelt … Bechet fehlt dann noch (und Art Hodes!), aber von dem gibt es wohl tausend „Best Of“-Zusammenstellungen, von denen die eine oder andere vielleicht was taugt (obendrein, wenn man sich für die frühe Zeit des Jazz interessiert, reicht bei ihm eine CD eh schwerlich).

    Tadd Dameron war übrigens dabei bei den ersten mehr oder weniger modernen Sessions von Blue Note im Jahr 1947, noch vor dem Debut von Monk: im Februar und Mai nahmen Babs Gonzalez und seine „3 Bips and a Bop“ (Dameron-p, Pee Wee Tinney-g, Art Phipps-b und alle auch voc) zwei Sessions auf. Im September folgte dann die erste Dameron-Session (mit Fats Navarro, Ernie Henry, Charlie Rouse, Nelson Boyd und Shadow Wilson), erst im Oktober die erste von Monk. Das Klischee, dass Blue Note mit ihm den Sprung ins kalte Wasser wagte, stimmt also nicht (ich habe es oben auch wiederholt, ohne mir die Diskographie vorher in Ruhe vorzuknöpfen).

    Die Dameron/Navarro-Sessions für Blue Note sowie Capitol (Navarro hat mehrmals mit Dameron aufgenommen, Dameron dann für Capitol noch ohne Navarro, Navarro als Co-Leader mit Howard McGhee und als Sideman mit Bud Powell) wurden ebenfalls auf einer Doppel-CD bei Blue Note wieder aufgelegt, und die kriegt man durchaus noch:
    https://www.discogs.com/Fats-Navarro-And-Tadd-Dameron-The-Complete-Blue-Note-And-Capitol-Recordings-Of-Fats-Navarro-And-Tadd/master/1028531

    Aber gerade darum soll es hier ja nicht gehen, auch wenn die allgemeine Problematik, dass Blue Note seine 10″-LPs nicht in allen Fällen ins 12″-Format rübergeholt hat schon auch ein diskussionswürdiges Thema ist. (Im Gegensatz etwa zu Contemporary oder ganz extrem Prestige, das ja alles ordentlich ausgequetscht hat, was zu vielen seltsam zusammengestellten 12″-LPs führte, die wir heute noch als „Alben“ bewundern und kennen, obwohl es Compilations sind, z.B. „Bag’s Groove“ von Miles Davis, „Monk Trio“ und „MONK“ von Monk, „Moving Out“ von Rollins usw.)

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    #10763175  | PERMALINK

    sandman

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    Beiträge: 694

    Guten Morgen,

    vielen Dank für die ausführlichen Informationen und Anregungen. Diese Art von Musik habe ich in meiner Jugendzeit gehört.  :yahoo:

     

    --

     
    #10763189  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
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    Diese LP von Bechet stand (steht wohl immer noch) im Plattenregal meines Vaters – ich kann mich aber nicht dran erinnern, dass er sie jemals angehört hat, war nie seine Baustelle – und meine absolut nicht, als ich den Jazz entdeckte. Ich konnte mit Ellingtons Musik (mir kam „Black, Brown & Beige“ in die Hände, die einzige Jazz-Platte auf einem Stoss, den mir eine seltsame alte Nachbarin mal überliess) aber damal genausowenig anfangen (obwohl ich „Money Jungle“ und „Duke Ellington & John Coltrane“ längst mochte).

    Den Moment, in dem das alles änderte, kann ich nicht so genau festlegen, aber es hat wohl mit Basie und Lester Young zu tun, und mit JE Berendts „Jazz Buch“, nach dem ich mich damals orientierte. Ein paar Jahre später, auf dem ersten Urlaub nach der Matura (Abitur), verschlug es einen Freund und mich nach Warschau und Krakau, und in Warschau kaufte ich die Box mit den Verve-Aufnahmen von Lester Young. Swing war da also durchaus mein Ding, mit New Orleans Jazz über Armstrongs Hot Five und Hot Seven hinaus dauerte es noch ein wenig.

    Und die hier steht wohl auch im Regal:

    Inzwischen mag ich das alles und habe die Aufnahmen dieser beiden LPs auch in der einen oder anderen Form, aber das geht jetzt ziemlich off Topic, zurück zu Blue Note!

    Die oben erwähnte japanische Box, „Blue Note: The SP Days 1939–1952“ (TOCJ-5231-38, 2000) enthält wohl ältere (nicht die 1998er US-) Ausgaben vieler der klassischen frühen Blue Note-Sessions

    Ein paar weitere Bilder hier:
    https://www.worthpoint.com/worthopedia/blue-note-sp-days-japan-eight-cd-box-14754188

    Den ganzen Inhalt sieht man hier:
    http://beaugeste0831.web.fc2.com/info/0037.txt

    Da sind z.B. die beiden Port of Harlem Jazzmen-Sessions auf CD 2, CD 3 enthält die drei Edmond Hall Swing-Sessions (ohne Alternate Takes), auf CDs 5 und 7 findet sich einiges, was auf der „Jazzmen“ Doppel-CD zu finden ist usw.

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    #10764339  | PERMALINK

    friedrich

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    Kleiner Einwurf zwischendurch: Ich beklagte die etwas schwere Zugänglichkeit zu Tonträgern dieser Musik, die noch in print sind bzw. mundgerechter Compilations für den casual listener.

    Mit etwas Ausdauer habe ich diese Compilation entdeckt, die einige Aufnahmen der 78er Ära auf Blue Note enthält. Das beschränkt sich also nicht ausschließlich auf den prä-Bop Jazz sondern grenzt das Spektrum chronologisch ein, von 1939 – 50. Damit sind auch u.a. Monk, Tadd Dameron und Bud Powell mit an Bord. Aber man könnte sogar darüber streiten, ob der vermeintliche Bruch zwischen Classic Jazz und Modern Jazz tatsächlich sooo fundamental war. Hört man bei Tadd Dameron nicht irgendwie auch eine Swing Band heraus und bei Monk und Powell nicht irgendwie auch den Boogie? Und hört man umgekehrt beim Hard Bop nicht irgendwie auch Ike Quebec heraus? Insofern finde ich so eine Vermischung sogar recht reizvoll. Aber egal.

    Details hier.

    Da kann man dann solch hals- bzw. fingerbrecherische Musik hören:

    Und das hier müsste btw. der Track von Tadd Dameron sein:

    --

    „Etwas ist da, was jenseits der Bedeutung der Worte, ihrer Form und selbst des Stils der Ausführung liegt: etwas, was direkt der Körper des Sängers ist, und mit ein- und derselben Bewegung aus der Tiefe der Stimmhöhlen, der Muskeln, der Schleimhäute, der Knorpel einem zu Ohren kommt, als wenn ein und dieselbe Haut das innere Fleisch des Ausführenden und die Musik, die er singt, überspannen würde.“ (Roland Barthes: Die Rauheit der Stimme)
    #10764369  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
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    @friedrich soo schwierig ist das ja nicht, die Namen u.a. der 1998er-CDs kann man bei Discogs eingeben:

    Blue Note Swingtets:
    https://www.discogs.com/Various-Featuring-Tiny-Grimes-John-Hardee-Ike-Quebec-Benny-Morton-Jimmy-Hamilton-The-Blue-Note-Swing/release/7125006

    Blue Note Jazzmen:
    https://www.discogs.com/Edmond-Halls-Blue-Note-Jazz-Men-Sidney-De-Paris-Blue-Note-Jazzmen-James-P-Johnsons-Blue-Note-Jazzmen/release/9676064

    Port of Harlem Jazzmen:
    https://www.discogs.com/Port-Of-Harlem-Jazzmen-Port-Of-Harlem-Jazzmen/release/8748296

    Und teuer sind die ja auch nicht gerade … ich hab neu damals eher so das Äquivalent von 30-35 DMark bezahlt.

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    #10764399  | PERMALINK

    friedrich

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    Klar, da hast Du genau genommen Recht. Aber direkt angeboten, bekommt man diese Musik ja nicht gerade, oder? Alles out of print, zwar irgendwie recherchierbar, irgendwie und irgendwo 2nd Hand aus dem Ausland + heftige Versandkosten bestellbar. Wenn man über die entsprechende Zeit verfügt, sich Mühe gibt und über mindestens mittelständische finanzielle Mittel verfügt … – aber wer hat und macht das schon? ;-)

    Die Blue Note Swingtets habe ich ja – wie erwähnt – und finde sie toll! Dicke fette Empfehlung an alle! Dafür kann man bedenkenlos ein paar Deutschmark ausgeben. Insofern „Danke!“ für die Tipps an @gypsy-tail-wind!

    --

    „Etwas ist da, was jenseits der Bedeutung der Worte, ihrer Form und selbst des Stils der Ausführung liegt: etwas, was direkt der Körper des Sängers ist, und mit ein- und derselben Bewegung aus der Tiefe der Stimmhöhlen, der Muskeln, der Schleimhäute, der Knorpel einem zu Ohren kommt, als wenn ein und dieselbe Haut das innere Fleisch des Ausführenden und die Musik, die er singt, überspannen würde.“ (Roland Barthes: Die Rauheit der Stimme)
    #10764405  | PERMALINK

    kurganrs

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    #10764423  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
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    friedrichKlar, da hast Du genau genommen Recht. Aber direkt angeboten, bekommt man diese Musik ja nicht gerade, oder? Alles out of print, zwar irgendwie recherchierbar, irgendwie und irgendwo 2nd Hand aus dem Ausland + heftige Versandkosten bestellbar. Wenn man über die entsprechende Zeit verfügt, sich Mühe gibt und über mindestens mittelständische finanzielle Mittel verfügt … – aber wer hat und macht das schon?

    Ich suche bei Discogs natürlich auch nach Möglichkeit Angebote aus Europa heraus … dass Versand nichts kosten soll ist ja überdies eine neue Idee, die uns von der AmazonAppleGoogle-Mafia ins Hirn gewaschen wurde. Da sind Menschen, die arbeiten (und verpesten die Umwelt) und die sollen dafür auch was kriegen.

    Ansonsten, wo wird einem denn heute noch Musik angeboten? Von den Meistern des Uploadfilters in der Tube? Läden mit gutem Sortiment gibt es ja nicht mehr, da muss man ja geradezu selbst aktiv werden, wenn man noch was finden will, was man nicht schon kennt (eine Tätigkeit, die ich ihn hohem Masse für zivilisatorisch relevant halte, die aber in der Tat auszusterben droht, denn mit „Weiterklicken“ ist das nun gewiss nicht getan – das Vertiefen in Dinge ist aber doch etwas vom Befriedigendsten, was überhaupt zu tun da ist).

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