Jazz und Rap/Hip Hop

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  • #85735  | PERMALINK

    blues-to-bechet

    Registriert seit: 09.09.2012

    Beiträge: 860

    Wie kann man eigentlich den Einfluss von Jazz (jetzt mal bewusst ganz allgemein formuliert) auf HipHop und Rap beschreiben bzw. auch bewerten? Jazz-Samples kommen ja in jeder Menge Stücke vor (werde bei Gelegenheit mal eine kleine Liste von Tracks zusammenstellen), und nahmhafte Musiker wie Ron Carter etwa haben mit Künstlern wie z.B. A Tribe Called Quest zusammengearbeitet. Und dann gibt es ja auch eine eigene Schublade namens Jazz-Rap, unter das einige Alben traditioneller Jazzgrößen gerne eingeordnet werden (Davis, Hancock…)

    Was also ist der Zusammenhang dieser Stile? Liegt sie mehr im spirit, oder gibt es auch direkte Traditionslinien? Oder ist es nur eine Spielerei? Auf der anderen Seite gibt es ja auch massive Unterschiede. So ist Jazz überwiegend instrumental, während Rap naturgemäß wortzentriert ist.

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    #8808263  | PERMALINK

    katharsis

    Registriert seit: 05.11.2005

    Beiträge: 1,737

    Ich denke, es gibt da zwei unterschiedliche „Tendenzen“.

    Eine ist, dass HipHop-Produzenten sich einfach nach verwertbarem Material richten und so ziemlich alles samplen, was ihnen nützlich erscheint. Das bedeutet dann natürlich, dass sowohl Funk, Soul und eben auch Jazz ‚verwurstet‘ werden. Ich denke, dass das nur in den wenigsten Fällen als Tribut gesehen wird, sondern eher als Mittel zum Zweck. Insbesondere bei solchen Produzenten, die nicht exklusiv Jazz-Samples verwenden.

    Dann gibt es die von Dir beschriebene Jazz-Rap-Linie, die man auch aufteilen kann. In solche Producer und MC’s, die ausschließlich mit Jazz-Samples Musik machen (Jazz Liberators z.B.) und jene, die bewusst mit Jazzmusikern zusammenarbeiten. Hier bietet sich das Jazzmatazz-Projekt von Guru an, oder auch solitäre Alben wie Identite en Crescendo von Rocé.

    Unterscheiden kann man wohl auch danach, ob der Kontakt, die Zusammenarbeit von den Jazzmusikern (z.B. Miles Davis und Doo Bop ausging, oder von den Rappern, Produzenten.

    Ich glaube jedenfalls nicht daran, dass es ein eigener Stil ist, vielmehr ein Subgenre und dass die Kreuzungen zufällig und willkürlich entstanden sind, bzw. aus gegenseitigem Respekt, oder um etwas neues auszuprobieren. Eine eigenständige und sich weiterentwickelnde Linie sehe ich da nicht.

    Dein letzte Vergleich hinkt aus meiner Sicht übrigens, denn im Rap (konkreter, im HipHop) gibt es natürlich Instrumentals, bzw. eine entsprechende Tradition, ebenso wie es natürlich Vocal Jazz gibt.

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    #8808265  | PERMALINK

    vorgarten

    Registriert seit: 07.10.2007

    Beiträge: 12,716

    ich sehe das mit dem „verwursten“ von jazz im hiphop weniger negativ. ein zugriff auf existierende musik als „ready-mades“, über die man dann den eigentlich kreativen part (den rap) drüberlegt, hat ja mit technischen möglichkeiten zu tun, kann gut und schlecht gemacht werden und bedeutet weniger ein „ausschlachten“ fremder kunst als vielmehr ein spezifisches verwenden.

    die frage, die auch bürgerrechtsbewegte jazzer (wie archie shepp) seit langem aufwerfen, ist ja, ob nicht der hiphop die schnellste und marktbezogen „offenste“ mögichkeit für junge schwarze kids ist, um sich auszudrücken – was in den jahrzehnten zuvor eben der jazz war.

    eigenartig nur, dass fast alle fusionen bisher nicht sehr überzeugend ausfielen, trotz ambitionierter versuche (steve coleman’s metrics z.b., bei denen alle rapper aus dem stegreif improvisierten; oder beans mit william parker & hamid drake). wahrscheinlich aus dem ganz einfachen grund, dass jazzer doch am ende die starren beats zu langweilig finden und die rapper immer mit festen text- und musikbausteinen arbeiten und nur im spezialfall wirklich improvisieren wollen.

    ich glaube, es braucht da eine dritte ebene, im bereich der (eher elektronisch geschulten) produktion, die beide ebenen ausreichend abstrahieren kann und vor allem kennt (um ihre referenzen weiß). das passiert ja in der tradition von j dilla – über madlib bis zu flying lotus. aber auch da ist man ja schnell wieder in der verwurstungsdebatte.

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    #8808267  | PERMALINK

    blues-to-bechet

    Registriert seit: 09.09.2012

    Beiträge: 860

    Hm, das sind schon einmal interessante Überlegungen! Danke dafür.

    Vielleicht könnte man auch eine Nähe bei denjenigen Musikern, Rappern und Produzenten aus dem Hiphop-Umfeld ausmachen, die es gewohnt sind, live „echte“ Instrumente einzusetzen (also nicht nur zu samplen). Sei es, dass die Gruppenmitglieder selbst Instrumente spielen, sei es, dass sie mit ausgebildeten Sessionmusikern auftreten, die ja meistens universal versierte Musiker sind und somit auch Jazzerfahrung mitbringen.

    Die Idee von einer „dritten Ebene“ klingt überzeugend. Die aus den 80ern und 90ern stammenden Künstler hätten demnach noch nicht den nötigen Abstand, um aus den (inzwischen etablierten) Rap-Traditionen und den schon längst „klassisch“ gewordenen Jazz-Traditionen neu zu schöpfen. In die genannten Künstler und Projekte jedenfalls werde ich mal reinhören.

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    #8808269  | PERMALINK

    vorgarten

    Registriert seit: 07.10.2007

    Beiträge: 12,716

    Blues to Bechet
    Vielleicht könnte man auch eine Nähe bei denjenigen Musikern, Rappern und Produzenten aus dem Hiphop-Umfeld ausmachen, die es gewohnt sind, live „echte“ Instrumente einzusetzen (also nicht nur zu samplen).

    da würden mir in erster linie die roots einfallen, die ja sehr überzeugend und originell spielen, rappen und produzieren können. das finde ich tatsächlich im hiphop-bereich einzigartig.

    --

    #8808271  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
    Moderator
    Biomasse

    Registriert seit: 25.01.2010

    Beiträge: 68,342

    Ich habe schon einige Male zu einer Antwort angesetzt, aber da ich wenig von der Materie weiss und mein Interesse an Rap eher klein ist, bisher alle Anläufe verworfen.

    The Roots standen jedes Mal drin, da ich die Band vom „spirit“ her durchaus in der Linie der grossen afro- und anderswoher-amerikansichen Musik einordnen kann. Das mit den Live-Instrumenten wird allerdings meiner Ansicht nach ziemlich überschätzt … Jazz ist eine alte Spielart, die längst nicht mehr am Puls der Zeit ist, oder die das nur noch selten hinkriegt, es ist Kunstmusik für ein zu weiten Teilen anspruchsvolles Publikum, „street credibility“ oder sowas ist da eher selten und vor allem an den Rändern anzutreffen – an denen dieses Ethos des Handgemachten (das ja hier im Forum immer wieder mal unselige Blüten treibt) nicht so im Zentrum steht, wie bei denjenigen, die alte Spielarten der Jazz weiterpflegen (woran natürlich nichts falsch ist, in sehr vielen Fällen).

    Egal, ich bin wie vorgarten insgesamt skeptisch, nicht den Experimenten gegenüber aber hinsichtlich den Erfolgschancen. Bisher hat mich kaum je etwas überzeugt, ich gucke bzw. höre da wohl in andere Richtungen, wenn ich geistige Nachfolger des Jazz hören will – ich kenne The Roots noch nicht gut, bisher habe ich nur „Undun“ da, aber sie passen gut, The Cherry Thing natürlich auch … der eine Zeit lang Dinge wie 4Hero oder Goldies grosse Anmassung „Saturnz Return“, die ich durchaus als eine Fortschreibung u.a. von Sun Ra betrachten – und gelegentlich, ich höre das Ding kaum noch, schätzen – kann.

    --

    "Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #163: Neuentdeckungen aus dem Katalog von CTI Records (Teil 2), 13.5., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba
    #8808273  | PERMALINK

    lament

    Registriert seit: 31.08.2012

    Beiträge: 18

    vor jazz war funk der maßgebliche sound für rap musik. funk galt früher (vor rap) als „gangster“ musik bzw. als musik, die sich inhaltlich mit dem leben der schwarzen bevölkerung in den ghettos auseinander gesetzt hat.
    die verwendung von jazz samples ist schon ein tribut an diese musik. durch ihre verwendung hatte der rap aus new york auch seinen eigenen sound gefunden. (wie auch bestimmter jazz für new york steht) man kann es gut erkennen, wenn man sich z.b. hip hop von anfang bis mitte der 90er von der east coast und west coast anhört. east coast: meist jazzig west coast: meist funkig und auch mehr gangster rap.
    in den usa ist es bei subkultureller musik oft so, dass jede stadt ihren eigenen sound hat. so ist/war es im punk rock (z.b. dischord records für dc usw.) und so ähnlich verhält es sich im hip hop.

    der vater von nas war übrigens auch jazz musiker und hat auf der debut lp von nas auch trompete gespielt.

    --

    #8808275  | PERMALINK

    thelonica

    Registriert seit: 09.12.2007

    Beiträge: 4,180

    Als Tonträger brauche ich „Experimente“ dieser Art vielleicht nicht wirklich, aber für den Hip Hop war eine Annäherung (Ron Carter & ATCQ) enorm wichtig, mit einigen sehr guten Ergebnissen. Ich habe eher immer das Problem mit dem Rap, der oft genug gute Ideen bei einem Track überdeckt (hat), und das ist immer noch so – ist auch immer abhängig von der Qualität der ‚Rhymes‘.

    Zu Zusammenarbeiten kam es ja auch, durch eine Aufbruchsstimmung, weil das Samplen unheimlich kostspielig wurde. Parallel dazu suchten diverse Produzenten massiv nach Jazz auf Vinyl (‚diggin‘ in the crates‘ etc.), beschäftigten sich mit der Plattensammlung der Eltern…

    Im New York der 90er war es dann wohl auch nicht so schwer Kontakt zu älteren Jazzmusikern herzustellen, weil man noch mehr auf sich zu ging.

    Und Alternative Rap wird ganz deutlich mehr von (älteren) Jazzmusikern geschätzt, weil der zudem inhaltlich nicht so frauenfeindlich ist. Misogyne Tendenzen wurden/werden immer wieder kritisiert (oder nicht ernst genommen), überwiegend sogar von Männern.

    Als Beispiel:

    „Digable Planets“. Really knowledgeable about Jazz, and I dug them a lot. Cat named „Butterfly“ was the leader.
    Real nice cat. – Clark Terry

    --

    #8808277  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
    Moderator
    Biomasse

    Registriert seit: 25.01.2010

    Beiträge: 68,342

    Lamentder vater von nas war übrigens auch jazz musiker und hat auf der debut lp von nas auch trompete gespielt.

    Olu Dara … selber einer, der tief in die Traditionen gräbt und ein gutes Beispiel für die Kontinuitäten, die ich erkennen kann. Mit Nas habe ich mich allerdings seit fünfzehn Jahren nicht mehr befasst (Mann, bin ich alt geworden).

    --

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    #8808279  | PERMALINK

    lament

    Registriert seit: 31.08.2012

    Beiträge: 18

    jemand der aktuell diese verschmelzung betreibt ist robert glasper. sein letztes album fand ich nicht so gut, aber double booked ist großartig.

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    #8808281  | PERMALINK

    katharsis

    Registriert seit: 05.11.2005

    Beiträge: 1,737

    Ich finde es recht schwer, gezielt zu antworten.
    Ich komme selbst mehr vom HipHop, als vom Jazz und sehe daher die Entwicklungslinie eher aus dieser Perspektive. Will heißen, ich betrachte Jazz vor diesem Hintergrund eher als eine Stilrichtung, die als Samplebasis für HipHop taugt, ähnlich wie eben Soul. Das ‚Verwursten‘ war somit auch nicht negativ gemeint.

    Vor diesem Hintergrund empfinde ich die meisten Bestrebungen, Jazzmusiker und Rapper/Producer an einen Tisch zu bringen, oft als sehr bemüht und artifiziell. Rap basiert meiner Meinung nach auf dem Widerholungsmoment und Loops vertragen sich schlecht mit Improvisation. Insofern finde ich gerade Identité en Crescendo von Rocé als ein gelungenes Beispiel, weil die live gespielte Musik nicht den Charakter eines Samples nachzuahmen versucht, sondern einen repetitiven, aber doch beweglichen Charakter hat.

    Bei den Roots bspw. ist das etwas ganz anderes. Das ist über eine musikalische Sozialisation hindurch amalgamierte Musik, die hauptsächlich über Questlove den Weg in den Rap findet. Das hat aus meiner Sicht wenig mit einem bewussten Einbezug von Jazz in den HipHop zu tun, sondern es ist lediglich eine musikalische Konsequenz.

    Wobei ich auch sagen muss, dass viele dieser Connections noch in den ausgehenden Achtzigern und den beginnenden Neunzigern passiert sind. Ich habe mit HipHop ’93 begonnen und habe stark selektiert. Vieles ist da auch an mir vorbei gegangen und ich habe kein Interesse, das noch nachzuholen. Gerade die Kollaborationen zwischen Rappern und Jazzmusikern haben mich damals noch nicht interessiert und aus der Retrospektive finde ich sie auch nicht immer gelungen, bzw. eben interessant. Im Sampling hat sich gerade in den späteren Neunzigern unglaublich viel entwickelt, da höre ich mir ungern den alten Kram an, der – lustigerweise – viel häufiger auf Jazzsamples (Bläser!) basiert, als zu späteren Zeiten.

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