Welchen qualitativen Anspruch habt Ihr an ein Musikmagazin (z.B. den Rolling Stone)?

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    sonic-juice
    Moderator

    Registriert seit: 14.09.2005

    Beiträge: 10,983

    Ich hatte einen entsprechenden Diskussionsanschub ja vor einiger Zeit schon im Thread zum RS-Märzheft angekündigt, nun will ich auch mal zur Tat schreiten. Vielleicht lassen sich so ja immer wiederkehrende Grundsatzdiskussionen zur Qualität des Stone und anderer Popmagazine auslagern und bündeln. Wohlan….

    In der Grundsatzfrage bezüglich des einzuhaltenden und einzufordernden Niveaus eines Pop/Kultur-Magazins habe ich selbst auch noch keine abschließende Antwort gefunden. Nur soviel – ins Unreine gesprochen: ich finde es zunehmend unbefriedigend, alleine mit (in der Regel leichtgewichtigen bis nichtigen) Fakten über Lieblingsbands oder solche, die es werden könnten, versorgt zu werden, weil diese Fakten aufgrund des Internets und sonstiger Informations-Vernetzungen ohnehin meist schon vor Hefterscheinen bekannt sind – und sie mich offen gesagt nicht mal unterhalten. Ich habe daher auch immer weniger Lust, Plattenkritiken, Interviews und Band-Berichte zu lesen, die nicht mehr bieten als ein wenig Geplauder und Information und deren Verfallsdatum schon vor, aber zumindest nach dem ersten Überfliegen erreicht ist.

    In einer interessanten Diskussion, in der ich meine Vorliebe für wohlfeil geschriebene Feuilletonartikel gegenüber den teils gröberen Buchstabenformationen des Popprints bekundete, hörte ich den berechtigten Einwand, dass die Herren von der FAZ oder der Süddeutschen sich nun leider aber nicht mehr so recht mit dem Gegenstand ihrer Schreibe auskennen würden, weil Fachartikel dort nicht mal gefragt und gefordert seien und auch das Halbwissen vollends genüge, um sich in der Bürgerlichkeit der Tages- und Wochenpresse einzurichten. Dafür, könnte man einwenden, kennen sie sich aber vielleicht zudem mit Thomas Mann, der israelischen Siedlungspolitik oder Heidegger aus und können möglicherweise entsprechend interessante übergeordnete Bezüge herstellen?

    Da der Rolling Stone selbst sich nun jedenfalls explizit nicht als Musikmagazin versteht, sondern Pop, Politik, Film, Literatur, Triviales und Gesellschaftliches gleichermaßen verhandeln will, sollte man ihn m.E. gleichwohl an diesem Anspruch auch messen dürfen.

    Ein paar exemplarisch zugespitzte Fragen zum Thema:

    Ist der Rolling Stone Euch selbst ein Kulturgut, das das Sammeln und Archivieren lohnen würde, oder nur Informationsträger, den man nach Monatsablauf ins Altpapier gibt?

    Wie sieht für Euch eine ideale Ausgabe des Rolling Stone bzw. überhaupt eines Musik(kultur)magazins aus?

    Was habt Ihr für Qualitätskriterien, inhaltlich und stilistisch? Wollt Ihr hauptsächlich Artikel über Eure (potentiellen) Lieblingsbands mit gelungenen Konsumempfehlungen lesen oder geht es Euch um eine kulturelle Gesamtschau des Phänomens Popkultur, in dem Artikel über Kraftwerk, Tote Hosen, Stones, Sido, Falco, Stockhausen, Entenhausen, Pasolini und die Documenta erstmal gleich interessant sind, wenn sie eben gut geschrieben sind? Lieber ein brillanter Artikel über Tokyo Hotel als ein passabler über David Bowie (hier bitte Lieblingsmusiker einsetzen)?

    Soll Pop-Journalismus innovativ und überraschend sein oder doch eher servil leserfreundlich („Fan-Vollbedienung“) oder einfach nur: informiert und informativ (schwer genug!)? Sollte das Magazin eine „attitude“ mit Kanten und Ecken demonstrieren (den finden wir toll, den finden wir schlimm und reden auch nicht mit ihm!), Politik machen und die Gesellschaft prägen (wollen) oder will der „Mainstream“ gewahrt bleiben, mit der Folge, dass manches auch ohne Probleme im WOM-Magazin, der Bahn-Zeitung oder TV-Spielfilm erscheinen könnte?

    Nehmt ihr eine Bürgerkriegs-Reportage im Rolling Stone genauso ernst wie eine solche z.B. im Spiegel oder in der ZEIT?

    Kann sich der Rolling Stone mit dem Feuilleton der Tageszeitungen oder Kultur-Publikationen messen oder ist er nur eine bessere „Bravo“ für Ältere mit weiter entwickeltem Geschmack, eine im besten Fall kurzweilige Popillustrierte?

    Genügen Euch Fakten, Fakten, Fakten, gehobene Homestories, alle zwei Monate ein Knittergesicht auf dem Cover und alle drei Monate ein Special über altbekannte Helden?

    Und gerade wenn man die Musik selbst lebensernst nimmt, kann es dann heißen: It’s only rock`n`roll journalism – oder geht es auch hier ums Ganze?

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    #5606655  | PERMALINK

    marcos-valle

    Registriert seit: 27.08.2002

    Beiträge: 2,587

    musikzeitschriften werfe ich nach einigen monaten in den müll.

    größere musikhistorische texte lese ich mit interesse, jedoch lese ich die 2 spalter über aktuelle bands kaum…. laaaaangweilig ! nicht die musik, aber was/wie geschrieben, das ist immer wieder der selbe schmonz….

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    "Können Sie Klavier spielen?" "Weiß nicht, mal versuchen."
    #5606657  | PERMALINK

    go1
    Gang of One

    Registriert seit: 03.11.2004

    Beiträge: 5,645

    Da muss ich mir erst Gedanken machen, diese Fragen kann ich aus dem Stand nicht beantworten. Bloße Fakten sind jedenfalls langweilig und veralten schnell. Interessant, auch langfristig, sind Thesen, Gedanken, Ideen – oder nachvollziehbare Werturteile (Kriterien). Im vorletzten SPEX-Heft war z.B. ein Artikel über Jarvis Cocker, der es wert ist, aufgehoben zu werden, weil er einen guten Gedanken über die Rolle von Popmusik heute enthält – sowas meine ich.

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    To Hell with Poverty
    #5606659  | PERMALINK

    sonic-juice
    Moderator

    Registriert seit: 14.09.2005

    Beiträge: 10,983

    Go1Da muss ich mir erst Gedanken machen, diese Fragen kann ich aus dem Stand nicht beantworten.

    Dein Wertungsmaßstab für die Gelungenheit eines Heftes würde mich sehr interessieren, was für Dich eigentlich ein gutes Heft ausmacht, insbesondere welches Niveau (auch sprachlich, stilistisch) Dir da vorschwebt. Gerade weil ich Dein Heft-Feedback immer als sehr differenziert und interessant lese und Dir das wichtig zu sein scheint. Lass Dir Zeit, aber komm bitte darauf zurück, ok! :-)

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    #5606661  | PERMALINK

    whole-lotta-pete

    Registriert seit: 19.05.2003

    Beiträge: 17,435

    Ausführlich antworten werde ich nicht, da ich den RS nicht regelmäßig lese. Aber eine Bemerkung kann ich mir nicht verkneifen – auf Sprache und Stil kann man Wert legen, aber sie sind kein Indikator für eine gute Quelle und wohlrecherchierten Inhalt! Viele Menschen scheinen verführt zu sein, sowas zu verwechseln. Sicher ist es euch aber auch schon mal so gegangen, dass in einem renommierten Medium einen Bericht gesehen oder gelesen habt, der sich um ein euch wohlbekanntes, dem Autor wohl aber deutlich wenig geläufiges Thema dreht. Da stehen einem manchmal einfach die Haare zu Berge – und Musik ist ein wunderbares Beispiel dafür! Es helfen also weder Sprache noch Stil noch künstlerisch anspruchsvolles Layout über inhaltliche Schwächen hinweg.

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    #5606663  | PERMALINK

    sonic-juice
    Moderator

    Registriert seit: 14.09.2005

    Beiträge: 10,983

    Whole Lotta Peteauf Sprache und Stil kann man Wert legen, aber sie sind kein Indikator für eine gute Quelle und wohlrecherchierten Inhalt! Viele Menschen scheinen verführt zu sein, sowas zu verwechseln.

    Dem stimme ich zu. Anders gewendet habe ich allerdings immer wieder die – insbes. auch berufliche – Erfahrung gemacht, dass jemand mit guter Quelle, wohlrecheriertem Inhalt und intellektueller Durchdringung des Stoffs (hüstel!), sich in der Regel auch einer klaren, sicheren und treffenden (wenn auch nicht unbedingt immer schönen, sondern vielleicht auch mal trockenen oder langweiligen) Sprache bedient.
    Die Qualität des Inhalts kann man bei genauerem Hinschauen also auch oft an der Qualität der Sprache erkennen. Wer oberflächlich informiert ist, „schwimmt“ oft genug auch sprachlich. Brillante Blendwerker gibt es natürlich auch ab und zu, das sind aber doch eher Ausnahme“talente“.

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    #5606665  | PERMALINK

    whole-lotta-pete

    Registriert seit: 19.05.2003

    Beiträge: 17,435

    Sonic JuiceDem stimme ich zu. Anders gewendet habe ich allerdings immer wieder die – insbes. auch berufliche – Erfahrung gemacht, dass jemand mit guter Quelle, wohlrecheriertem Inhalt und intellektueller Durchdringung des Stoffs (hüstel!), sich in der Regel auch einer klaren, sicheren und treffenden, wenn auch nicht unbedingt immer schönen, sondern vielleicht auch mal trockenen oder langweiligen Sprache bedient.
    Die Qualität des Inhalts kann man bei genauerem Hinschauen also auch oft an der Qualität der Sprache erkennen. Wer oberflächlich informiert ist, „schwimmt“ oft genug auch sprachlich. Brillante Blendwerker gibt es natürlich auch ab und zu, das sind aber doch eher Ausnahme“talente“.

    Ich kann dir insofern zustimmen, als dass ich selbst in diesen Belangen Stil zu schätzen weiß. Quellen mit mangelhafter Rechtschreibung als krasses Beispiel kann man beispielsweise einfach kaum ernst nehmen.

    Blendwerker gibt es aber m.E. leider viele. Ich denke da nur an zahlreiche Artikel in Magazinen (Print oder TV, egal) mit recht gutem Leumund, die sich um Musik oder aber auch um Videospiele drehten. Hier scheint der durchschnittlich begabte Autor auch bei hinreichender Recherche schnell überfordert, wenn er nicht wenigstens einen eigenen Fuß in der Materie steht.

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    #5606667  | PERMALINK

    observer

    Registriert seit: 27.03.2003

    Beiträge: 6,709

    Ich finde deine Fragen gar nicht so einfach zu beantworten, da ich mich bisher noch nie auf ein einziges Magazin verlassen habe. Bei mir hat sich da eine Aufgabenverteilung für die unterschiedlichen Blätter ergeben. Und so lese ich sie auch jeweils aus anderem Blickwinkel. Bei einem liegt der Schwerpunkt auf den reinen Infos über Neuerscheinungen, beim anderen dann eben die ausschweifenderen Portaits.

    Beim Stone, den ich mit kurzen Unterbrechungen eigentlich seit dem ersten Heft lese, waren es eigentlich schon immer die ausführlicheren Stories, die ich geschätzt habe. Über die Gewichtung von Alte Meister/neue Bands, Haus-/Fremdautoren, musikbezogene und artfremde Themen kann man bei jeder Ausgabe neu streiten. Das ist mal mehr und mal weniger gelungen. Aber mit Interesse und Begeisterung habe ich schon immer Artikel gelesen, die mir mehr über die Welt des Künstlers erzählt haben, als dass sie einen historischen Abriss gegeben haben. (Ich denke da z.B. an das Rufus Wainwright-Interview, das Jonathan Safran Foer-Porträt, das Flaming Lips-Special und einige andere). Da spielt es oft auch nicht mal die große Rolle, ob ich schon vorher ein Interesse für diese Person hatte oder nicht. Da ist es dann wichtig, ob mir der Autor überzeugend etwas zu erzählen hat. Viel diskutiert wurde ja z.B. der Joe Meek-Artikel, wo von einigen bemängelt wurde, dass der Fokus zu stark auf den Aspekt seiner Homosexualität gelegt wurde. Aber war es nicht grade auch dieser individuelle Aufhänger, der dieses Porträt dann auch lebendig machte? Will sagen, ein guter, fesselnder Artikel darf gern auch individuell und streitbar sein und sollte nicht so konzipiert werden, als wäre es der einzige, der jemals über den Künstler erscheinen wird.

    Und ja, z.Zt. hebe ich die alten Exemplare noch auf.

    --

    Wake up! It`s t-shirt weather.
    #5606669  | PERMALINK

    mistadobalina

    Registriert seit: 29.08.2004

    Beiträge: 20,833

    zu deiner ersten Frage, sonic:

    Der RS ist das einzige Magazin das ich sammle und zwar von Anfang an. Ich war wohl auch eine der ersten Abonnentinnen. Tatsächlich war ich damals voll beglückt, endlich mal ein „Musikmagazin“ für Erwachsene zu lesen. Dabei ist es auch geblieben.

    Nur die Zeiten haben sich sehr verändert – vor allem durch das Internet. Früher bezog man ja Informationen über Popmusik aus Zeitschriften, nun hole ich mir alles aus dem Internet. Und sehr oft werden im RS inzwischen Platten besprochen, die ich schon längst habe. Kurz: der RS hinkt oft hinterher, kann nur noch kommentieren. Das verändert seine Stellung (wie die jeder Musikzeitschrift), die Spannung ist halt nicht mehr so da, wenn ich das Heft bekomme. Trotzdem freue ich mich auf das Heft, weil mich interessiert, was die Redaktion über die Szene und die Platten schreibt. Aber ich fühle mich ebenbürtiger als früher – die Schreiber und Schreiberinnen sind für mich keine Helden mehr – so wie es in den 70er und 80er Jahren ganz bestimmt für mich war. Na ja, ich bin ja auch älter und weiser geworden. ;-)

    --

    When I hear music, I fear no danger. I am invulnerable. I see no foe. I am related to the earliest time, and to the latest. Henry David Thoreau, Journals (1857)
    #5606671  | PERMALINK

    dougsahm
    Moderator

    Registriert seit: 26.08.2002

    Beiträge: 17,863

    Natürlich erwarte ich eine eierlegende Wollmilchsau. Zumindest waren das in verschiedenen Lebensphasen meine Ansprüche..

    In jungen Jahren: Zusammenhänge erkennen

    In Zeiten der Zeitknappheit: Beim Querlesen keine neuen Trends verpassen

    Beim Saunieren: Kurzweilige Lektüre (Zeitungen sind zu sperrig, Bücher zu schade)

    Bei Muse: Journalistischen Esprit

    --

    #5606673  | PERMALINK

    anne-pohl

    Registriert seit: 12.07.2002

    Beiträge: 5,438

    dougsahm
    Beim Saunieren: Kurzweilige Lektüre (Zeitungen sind zu sperrig, Bücher zu schade)

    Und die Seitenlaminierung ist natürlich auch nicht unwichtig.

    --

    #5606675  | PERMALINK

    napoleon-dynamite
    Moderator

    Registriert seit: 09.11.2002

    Beiträge: 21,865

    Sonic JuiceDafür, könnte man einwenden, kennen sie sich aber vielleicht zudem mit Thomas Mann, der israelischen Siedlungspolitik oder Heidegger aus und können möglicherweise entsprechend interessante übergeordnete Bezüge herstellen?

    Lipstick traces on a cigarette?

    Die Tage mehr dazu, das deutsche Feuilleton war jedenfalls für mich immer sehr weit weg von pop culture.

    --

    A Kiss in the Dreamhouse  
    #5606677  | PERMALINK

    herr-rossi
    Moderator
    -

    Registriert seit: 15.05.2005

    Beiträge: 87,241

    Sonic JuiceIst der Rolling Stone Euch selbst ein Kulturgut, das das Sammeln und Archivieren lohnen würde, oder nur Informationsträger, den man nach Monatsablauf ins Altpapier gibt?

    Ich habe alle Ausgaben ab Nr. 1, sogar in den dafür vorgesehen Ordnern. Und ich nutze die Hefte auch.

    Wie sieht für Euch eine ideale Ausgabe des Rolling Stone bzw. überhaupt eines Musik(kultur)magazins aus?

    Diese Zweispalter über neue Bands und Künstler halte ich inzwischen auch für weitgehend entbehrlich, was dazu zu sagen ist, passt doch bestens in die Reviews. Das Internet ist inzwischen einfach schneller, wie Mista schon sagte. Was das Internet nicht leisten kann, sind dagegen ausführlichere Analysen und Hintergrundberichte. Die Debatte um den „New Weird Folk“ wäre so ein Beispiel. Mich würde es auch interessieren, neue Genres wie Grime erklärt zu bekommen. Sehr gelungen fand ich vor einiger Zeit einen Artikel, wie das Phänomen Tokio Hotel von den Fans geschaffen wird, das war mal ein interessanter Ansatz, der die Fans nicht nur als willenlose Objekte der Marketingstrategen betrachtet. Überhaupt sollte der Fokus nicht immer nur auf die Bands und Künstler gerichtet sein, ich würde z.B. gerne mehr über Produzenten lesen. Oder die Songwriter, die den Mainstream beliefern, nicht selten mit interessanten Arbeiten. Warum gab es z.B. nie einen Artikel über Max Martin? Oder ein Special über Timbaland?
    Den Mix aus aktuellen und historischen Themen finde ich beim RS schon sehr gelungen.

    Wollt Ihr hauptsächlich Artikel über Eure (potentiellen) Lieblingsbands mit gelungenen Konsumempfehlungen lesen oder geht es Euch um eine kulturelle Gesamtschau des Phänomens Popkultur, in dem Artikel über Kraftwerk, Tote Hosen, Stones, Sido, Falco, Stockhausen, Entenhausen, Pasolini und die Documenta erstmal gleich interessant sind, wenn sie eben gut geschrieben sind? Lieber ein brillanter Artikel über Tokyo Hotel als ein passabler über David Bowie (hier bitte Lieblingsmusiker einsetzen)?

    Zustimmung in allen Punkten. In der neuen SPEX ist z.B. ein ausführlicher Beitrag über die Berliner Hiphop-Szene (Aggro & Co.), die mir musikalisch fern steht, aber es interessierte mich schon zu erfahren, was es damit auf sich hat, ob da nicht vielleicht doch mehr dran aus. Die Zitatcollagentechnik fand ich eher mühselig zu lesen, aber einige nuancierende Einsichten kamen dabei rum. Also, kein Idealbeispiel – aber ich möchte gerne etwas lesen, von dem ich nicht viel weiß. Mir ist es z.B. unwichtig, dass es noch nie ein ABBA-Special gab, weil ich daraus bestimmt nichts erfahren werde, was ich nicht schon weiß.
    Ich hab dagegen z.B. mit großem Vergnügen das „Lexikon der Rockgitarristen“ von Rudolf & Schäfer gelesen (komplett!!), beide auch RS-Autoren, musikalisch überhaupt nicht meine Welt, aber das ist einfach sehr unterhaltsam geschrieben, jeder Artikel eine kleine Glosse, sowas würde ich auch gerne gelegentlich im RS lesen. Da trifft inhaltliches Verständnis auf Formulierungskunst.

    Nehmt ihr eine Bürgerkriegs-Reportage im Rolling Stone genauso ernst wie eine solche z.B. im Spiegel oder in der ZEIT?

    Das lese ich z.B. normalerweise nicht, ich finde es sehr bemüht, eine Musikzeitschrift mit solchen Themen „relevant“ machen zu wollen. Die Musik und das Schreiben über Musik soll relevant sein.

    --

    #5606679  | PERMALINK

    mikko
    Moderator
    Moderator / Juontaja

    Registriert seit: 15.02.2004

    Beiträge: 34,399

    Ein guter Einstiegsbeitrag, sonic. Und überhaupt spannende Fragen. Ich muss da auch erstmal drüber nachdenken. Und jetzt ist es spät. Morgen vielleicht mehr.

    --

    Twang-Bang-Wah-Wah-Zoing! - Die nächste Guitars Galore Rundfunk Übertragung ist am Donnerstag, 19. September 2019 von 20-21 Uhr auf der Berliner UKW Frequenz 91,0 Mhz, im Berliner Kabel 92,6 Mhz oder als Livestream über www.alex-berlin.de mit neuen Schallplatten und Konzert Tipps! - Die nächste Guitars Galore Sendung auf radio stone.fm ist am Dienstag, 17. September 2019 von 20 - 21 Uhr mit US Garage & Psychedelic Sounds der Sixties!
    #5606681  | PERMALINK

    themagneticfield

    Registriert seit: 25.04.2003

    Beiträge: 34,031

    Ui das sind aber viele Fragen auf einmal und die Antworten sind mir oft zu Stone bezogen.

    Ich sehe – wie es ja wohl auch angedacht ist – den RS nicht mehr als reines Musikmagazin (ob er es je war sei dahingestellt, die Prioritäten indes haben sich schon etwas verschoben) und als solches ist er nur noch semiinteressant für mich. ICh möchte tatsächlich kein Musikmagazin, dass sich über 10 Seiten, der Weltpolitik widmet, ich möchte noch nicht mal eins, dass ein zwanzigseitiges Special über alte Meister bringt, wenn mich sowas interessiert kauf ich mir die Lektüre zur Band oder irgendwelche gesonderten Specials. Das soll nicht heißen, dass ich Specials an sich überflüssig finde, nur reicht mir zugegebenermaßen eine etwas gestrafftere Variante, mit einigen guten Hinweisen zum Einstieg, bei der Herangehensweise an einen mir noch nicht bekannten Künstler. Das dabei die Recherche dennoch fundiert sein sollte, und meines Erachtens auch sein kann, und der Bericht sich auf einem gehobenen sprachlichen Niveau befinden sollte, ist natürlich unwidersprochen und auch recht zwingend. Das Problem ist, wie auch von SJ schon mal angesprochen, sich dabei nicht in irgendwelchen intelektuellen Floskeln zu verlieren, quasi ständig mehr Wert darauf zu legen seinen Bildungsstand zu demonstrieren und weniger auf das Thema, und dabei Gefahr zu laufen staubtrocken zu werden und zu langweilen, im schlimmsten Fall zu verärgern. In dem Moment ist mir dann tatsächlich eine klare Sprache lieber. Ich bin mir auch gar nicht sicher ob ich ein erwachsenes Musikmagazin will, ob das überhaupt möglich ist, ob das Kind in mir Musik nicht immer auf dieser Ebene des Neuentdeckens und Überraschelassens halten möchte. Somit wüsste ich auch kein „erwachsenes“ Musikmagazin zu benennen, da der RS bei mir eigentlich nicht mehr im Rahmen Musikmagazin funktioniert, zumindest nicht in seiner Gesamtheit.
    Bisher hab ich alle Ausgaben (bis zu meinem Austieg Mitte letzten Jahres) gesammelt und auch behalten, wie auch die des ME, musste allerdings feststellen, dass mich zuletzt beim Durchblättern alter Ausgaben des ME (so Mitte 80er), diese mehr fasziniert haben, als alte RS-Ausgaben (Anfang 90er), was allerdings auch an dem zeitlichen Rahmen liegen mag, da die frühen – mittleren 80er einfach auch der Anfang meiner musikalischen Sozialisation waren und es somit sehr spannend für mich war, da nochmal rückblickend reinzuschnuppern, Alle andren gekauften Musikmagazine waren für mich tatsächlich Ex und Hopp-Unterhaltungslektüre.

    Was brauch ich also in Musikmagazinen? Ein bis zwei längere Interviews, sofern sie denn gut geführt sind, halte ich für unerlässlich, die kürzeren Artikel über Newcomer sind mittlerweile in den Zeiten des Internets und des Musikimports (siehe Veröffentlichungsdatendebatte) tatsächlich etwas obsolet, wobei ich nicht ausschliessen möchte, dass es ab und an dennoch was zu entdecken gibt. Da wären mir dann aber tatsächlich Berichte, die sich mit Musiksparten oder Ländern beschäftigen, garniert mit dem ein oder andren Tipp, wesentlich lieber. Genauso würde ich es bevorzugen wenn die Musikmagazine auf den oben genannten Trend etwas mehr eingehen würden und die Musik etwas globaler sehen, sprich auch besprechen würden, wenn sie noch nicht in Deutschland veröffentlicht ist. Es wird doch immer so gern als Argument gebracht, man kann Musik heute überall bekommen, wenn man denn an ihr interessiert ist, dann bitte schön kann man auch die Grenzen in der Berichterstattung sprengen, wie ich finde. Das wäre – zumindest für mich – ein Bereich der auch einen RS wieder interessant machen würde (wie auch eine etwas größere Reflektionsfläche Vinylveröffentlichungen betreffend). Natürlich müssen auch hier Fakten Recherche und Niveau, Hand in Hand gehen, nur ist mir nicht ersichtlich warum ein Format wie Roots im Radio mit seinen erwiesenermaßen vielfältigen Tipps, nicht auch auf ein Musikmagazin in gewissem Maße übertragbar sein sollte. Ich denke da sollte man auch den Leser in seinem Wunsch an stichhaltiger Information nicht unterschätzen. Und auch wenn das Wort „Infotainment“ ein grausames ist, ich persönlich wäre schon dran interessiert, dass der Entertainmentbereich dabei nicht völlig unter den Tisch fällt (wieder das Kind im Manne), so les ich auch heute noch gerne – schlagt mich nicht – eine Rubrik wie Blind Date (bei der irgendwelche durchaus respektablen Musiker ihre Meinung über andre Musiker abgeben). Ich zumindest finde sowas a) unterhaltend und b) gar nicht mal uninformativ, wenn man denn die richtigen Protagonisten und die richtige Musikauswahl trifft.
    Was mich abschliessend zu meinem bis dato eigentlich immer wichtigsten Punkt Musikmagazine betreffend bringt, die Plattenrezensionen und da liegt leider, meiner Meinung nach, Magazinübergreifen vieles im Argen. Oftmals kann ich wählen zwischen dröge, hingeschludert oder zu 90% mit Referenzen zugemüllt. Die wirklich liebevolle Rezension, wie sie für mich z.B ein Uwe Kopf früher gerne mal geschrieben hat, finde ich nur noch selten. Der Rolling Stone hat da mit Joachim Hentschel, Wolfgang Doebeling, Arne Willander und Maik Brüggemeyer sicherlich noch überdurchschnittlich viele Möglichkeiten, die für mich nun halt leider auf Grund der Orientierung des Restheftes momentan flachfallen.

    --

    "Man kann nicht verhindern, dass man verletzt wird, aber man kann mitbestimmen von wem. Was berührt, das bleibt!
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