Tenor Giants – Das Tenorsaxophon im Jazz

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  • #12062815  | PERMALINK

    soulpope
    "Ever Since The World Ended, I Don`t Get Out As Much"

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    Eigentlich sind da die „Publikumsbeschimpfungen“ von Peter Handke ein valider Ansatz 😁 ….

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    gypsy-tail-wind
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    Rollins in den Neunzigern – das geht relativ schnell, da ich nur ein Album habe, „Sonny Rollins +3“. Der Titel spielt auf „Plus 4“ an, das 1956er-Album, das Rollins mit der Rhythmusgruppe von Miles Davis und im Stück „Tenor Madness“ auch dem Saxophonisten der Davis-Band, John Coltrane, aufgenommen hat. Ich glaube, angesichts der bei „Falling in Love“ gehörten neu gefundenen Klarheit finde ich es gut möglich, irgendwo dazwischen das Einsetzen des „Spätwerks“ anzusiedeln. Dafür kann man hier auch vom Klangbild her argumentieren, denn vom E-Bass abgesehen ist das as klassisch as it gets: Tommy Flanagan sitzt am Klavier, Bob Cranshaw spielt die Bassgitarre, Al Foster sitzt am Schlagzeug – bei fünf der sieben Stücke hier, die Anfang Oktober 1995 in den Clinton Recordings Studios in NYC aufgenommen wurden. Zwei Stücke stammen von Ende August und wurden mit Stephen Scott, Cranshaw und Jack DeJohnette im selben Studio eingespielt. Alles Rückkehrer bzw. bekannte Gesichter aus der Road Band, ausser den Pianisten: der eine neu dabei (auch in der Tour-Band), der andere ein alter Weggefährte, der leider nur gelegentlich mit dabei war. Leider, weil ich ihn mit seiner ähnlich klaren Spielweise tatsächlich als eine perfekte Ergänzung zu Rollins höre. Das gilt für „Saxophone Colossus“ ebenso wie hier, und auch für die beiden Stücke auf „Falling in Love with Jazz“.

    „What a Difference a Day Made“, als Walking-Ballade gespielt, ist der Opener (irgendwie hab ich mir den Song als „… a Day Makes“ gemerkt) und Rollins spielt das bestimmt und zugleich irgendwie überlegen, wahnsinnig entspannt. Nach dem Klaviersolo gibt es Fours mit Foster, Cranshaws Bass klingt so, dass seine Aussagen im Interview mit Ethan Iverson sofort einleuchtet (ich verlinke es hier mal wieder, die betreffende Passage ist ganz am Ende zu finden). Mit „BiJi“ folgt ein Calypso, in dem Cranshaw die Resonanz und den Nachhall des elektrischen Instruments ausnutzt, um ihn im Two-Beat-Groove lang klingen zu lassen – und dazwischen umso effektiver kleinteiligere Läufe einstreut. Rollins glänzt in solchen Stücken eh fast immer und tut das auch hier. Phrase für Phrase entwickelt er ein überaus logisch klingendes Solo, verzahnt sich dazwischen immer wieder mit der Rhythmusgruppe, in der Foster zunehmend Akzente setzt und verdichtet (er tut genau all das, was mir bei den Auftritten von Tony Williams mit Rollins fast völlig fehlt). Nach fünf Minuten Rollins ist Flanagan an der Reihe und dann kann der Leader sich ein second helping nicht verklemmen. In „They Say It’s Wonderful“ ist dann die andere Band zu hören. Das Tempo ist ziemlich rasch, Cranshaw walkt, Rollins spielt das Thema, Scotts Comping wirkt sofort anders (auch, weil die Balance bei der Aufnahme anders ist) aber nicht weniger klar als das von Flanagan. Rollins fasst sich kurz und Scott übernimmt bald mit einem tollen Solo, in dem der Unterschied zu Flanagan gut hörbar wird: er nutzt andere Voicings, schrammt ein paar Male am Funk vorbei, verdichtet – und DeJohnette geht sehr schön mit, steigert dann beim Wiedereinstieg von Rollins noch mal, der sich sich zum Thema zurück rifft – toll!

    Wir sind hier nicht mehr im LP-Zeitalter, es gibt 56 Minuten Musik und in der Mitte, zwischen zwei Dreierblöcken, eine kurze Version von „Mona Lisa“, in der Rollins nachträglich noch ein paar Glocken drübereingespielt hat. Auch hier ist das Tempo eher rasch, Cranshaw spielt Halftime und trägt das Stück, während Flanagan eine recht karge Palette mitführt und Foster erst allmählich Präsenz zu markieren beginnt. Das hier ist vielleicht (wie im Opener) die abgeklärte Version (eben: altersweise usw.) von den schamlos-kitschigen (und doch sublimen – wer kann das denn sonst im Jazz so gut verbinden?) Balladen-Tearjerkern aus den zwei Jahrzehnten davor. Rollins ist jedenfalls umwerfend, sein Ton wunderbar gekörnt und klasse eingefangen. „Cabin in the Sky“ folgt, wieder mit Scott und ergo im anderen Klangbild – gleich noch eine Ballade. Der direkte Vergleich ist spannend: Scott spielt mehr, anders, ohne zuzudecken, DeJohnette setzt seine Akzente ebenfalls recht anders als Foster, etwas flächiger vielleicht, gewichtiger und druckvoller auch (bei beiden kommt aber nie der „Rock-Drums“-Eindruck von Williams auf). Rollins lässt nach dem Thema erstmal Scott ran und kehrt dann zurück – und vielleicht kann man hier ein paar Anklänge an den Balladenstil des mittleren Coltrane (also den von „Ballads“, „Coltrane“ usw.) heraushören, wenn man will? Es wirkt fast so, als würde Rollins sich recht lange zurücknehmen, das Horn nicht so voluminös klingen lassen, wie er das meist tut. Doch dann fährt er einmal in die Tiefe runter – und da ist er gleich, der unverwechselbare Rollins-Sound. Mit „H.S.“ gibt es dann einen Blues, in dem Rollins und auch Flanagan etwas funky werden, Foster spielt einen leichten aber sehr beweglichen, abwechslungsreichen Beat drunter – und der Leader gönnt sich hier wieder ein second helping, in dem er ein paar Growls einstreut. Zum Ausklang gibt es dann einen letzten Standard (der fünfte, nur der Calypso und der Blues sind Originals hier), „I’ve Never Been in Love Before“. Hier wird nach einem langen unbegleiteten Intro von Flanagan nochmal der vom Davis Quintett der Fünfziger (zu dem Rollins ja auch ab mal gehörte, einfach leider nie offiziell dokumentiert – heute ist der 100. Geburtstag von Red Garland) patentierte Two-Beat-Groove eingesetzt, doch im Solo fällt die Rhythmusgruppe schnell in einen 4/4 – Flanagan compt hinter Rollins mal sehr fein, dann mit sperrigen Akkord-Blöcken. Der Leader rauht seinen Ton bald auf, doch dann ist erstmal die Band dran. Das Stück ist mit Abstand längste, über zwölf Minuten (der Opener dauert aber auch schon zehn Minuten). Flanagan, Cranshaw und Foster spielen ihre Soli, danach kehrt Rollins für den Abschluss zurück und setzt nochmal einen drauf.

    Für mehr Rollins aus den Neunzigern müsste ich meine Harddisks durchforsten – Live-Mitschnitte sind von ihm in grosser Zahl im Umlauf, aber wie gesagt, so tief mag ich da gerade nicht einsteigen. Auf der vierten und letzten „Road Shows“-CD ist aber mit „Keep Hold of Yourself“ noch ein Stück aus der Dekade dabei, im Oktober 1996 in Paris aufgenommen mit Clifton Anderson, Stephen Scott, Bob Cranshaw, Drummer Harold Summey Jr. und dem ersten von zwei Percussionisten, die seit den Neunzigern praktisch immer zu Rollins‘ Band gehörten, Victor See Yuen. Das Stück ist ein modaler Swinger, er erstmals auf dem „Next Album“ zu hören war – und Stephen Scott spielt ein dreiminütiges, umwerfendes Solo zum Einstieg. Er zitiert Gillespies „Bebop“ und den Klassiker „I Found a New Baby“ – und übergibt dann an Rollins, der gleich zur Sache kommt. Rollins wird in den Liner Notes so zitiert: „We played that song a lot, and I listened to several interpretations. This one clicked because of the personnel. I liked the groove.“ Und ja, den Groove finde ich hier ebenfalls klasse, auch wen mir „Harold Summey’s crisp Philly Joe Jones-isms“ (Ted Panken in den Liner Notes) eigentlich nicht so gefallen – für den Groove passen sie perfekt!

    Davor gab’s Anfang der Neunziger mit Here’s to the People“ (1991) noch eine Art Schlusspunkt mit dem älteren Personal (Harris an der Gitarre, Soskin am Klavier, aber auch schon Clifton Anderson, zudem neben Foster und DeJohnette – die wie Cranshaw weiter dabei blieben – auch Steve Jordan am Schlagzeug und Roy Hargrove an der Trompete. Und „Old Flames“ (1993) ist ein Album, das ich vielleicht mal noch nachholen werde. Neben Anderson, Flanagan (noch ein ganzes Album mit ihm am Klavier also), Cranshaw und DeJohnette ist da nämlich ein „brass choir“ dabei, für den Jimmy Heath Arrangements geschrieben hat – und bei Cranshaw steht „electric and acoustic bass“. 1998 folgte dann noch „Global Warming“, auch das wohl ein recht gutes Album (nach allem, was ich gehört habe, selbst gehört habe ich es bisher auch nicht), auf dem wieder mal zwei Line-Ups dabei sind, das eine ein Quartett mit Scott, Cranshaw und Idris Muhammad (das andere die damalige Road Band mit Anderson, Scott, Cranshaw, Drummer Perry Wilson und See Yuen).

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    gypsy-tail-wind
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    „This Is What I Do“ – matter of fact. Titel, Cover, Musik: passt alles. Sechs längere Stücke mit Clifton Anderson (er setzt zweimal aus), Stephen Scott, Bob Cranshaw, Jack DeJohnette (auf vieren, zwei davon ohne Anderson) und Perry Wilson. Keine Percussion, die Gitarre zu dem Zeitpunkt wieder raus. Anderson kriegt in „Charles M.“ (Mingus?) Platz für ein beeindruckendes Solo mit Plunger, Scott soliert im öffnenden Calypso „Salvador“ ganz hervorragend – das ist für mich eins der stimmigsten späten Rollins-Alben, wie schon beim ersten Hören (auch 2006, als nach der Concord-Übernahme von Fantasy in Europa diese Universal-Nachpressungen auftauchten) haut mich das wieder völlig um, weil Rollins in so magistraler Form ist – und einfach alles passt hier. Eine kleine Irritation gibt es wieder bei den zwei Sessions: beide aus den Clinton Recordings Studios in NYC mit demselben Personal (Troy Henderson hat aufgenommen, Sonny produziert, Lucille co-produziert) – aber wieder mit anderem Klangbild. Ich wundere mich bei all diesen gestückelten Alben ein wenig, ob das so geplant war, ob man jeweils bei den ersten Sessions (hier 8. und 9. Mai 2000, die vier Stücke DeJohnette) nicht fertig wurde oder mit manchen Takes unzufrieden war – und wenn ja, warum man die ganzen technischen Details (verwendete Mikrophone, Positionen, Mischpult-Einstellungen, was weiss ich) nicht dokumentierte, um passend fortzufahren (in diesem Fall am 29. Juli). Egal, die Musik ist wahnsinnig gut, Rollins klingt formidabel, die Grooves sind klasse, so sexy wie in „Sweet Leilani“ (ein Stück, das Bing Crosby 1973 im Film „Waikiki Wedding“ sang) klingt auch Rollins selten, aber wenn danach mit „Did You See Harold Vick?“ beim zweiten Calypso-Stück der Sound plötzlich viel trockener/flacher ist, ist das halt doch etwas irrigierend, bis man sich nach ein, zwei Minuten umgestellt hat. In der zweiten Hälfte gibt es zweimal grosses Balladen-Kino (Cinemascope, Technicolor) in „A Nightingale Sang in Berkeley Square“ (da ist Scott auch wieder toll, streut zum Einstieg ein Monk-Zitat ein) und „The Moon of Manakoora“ (beide mit DeJohnette) und dazwischen von der Session mit Perry Scott das ebenfalls schon erwähnte Rollins-Stück „Charles M.“, eine Art Blues-Ballade, mit dem umwerfenden Solo von Clifton Anderson, der hier auf Rollins, Cranshaw und Scott folgt – und für einmal zeigt, dass er durchaus das Zeug zum ebenbürtigen Partner hatte. „Moon“ ein krönender Abschluss, in dem Cranshaw/DeJohnette einen umwerfenden Groove hinlegen und der Leader darüber zu einem unverwechselbaren Höhenflug ansetzt.

    Hier lang zu „Tenor Madness“ in der irren Version vom 8. Juni 2000 (zwischen den Sessions für „This Is What I Do“ also) in Tama City in Japan. 30 Chorusse Rollins sind hier zu hören („Road Shows Vol. 1“) – besser als die Version auf „G-Man“:

    Hier sind Clifton Anderson, Stephen Scott, Bob Cranshaw, Perry Wilson und Victor See Yuen dabei. Bei den „Road Shows“ geht es dann mit Vol. 4 in Boston am 15. September 2001 weiter, Kimati Dinizulu hat inzwischen den Percussion-Posten geerbt, sonst ist dieselbe Band dabei. Rollins überlegte, das Konzert im Berklee Performance Center abzusagen, doch Lucille habe insistiert. Erst geht es in den Balladenhimmel mit „You’re Mine You“, danach steht am Ende der CD (der letzten autorisierten Rollins-CD? weiteren „Road Shows“-Volumen steht ja an sich nichts im Weg, aber die Reihe lief von 2008 bis 2016 und scheint damit eingeschlafen zu sein) ein ca. 23minütiges Medley aus „Sweet Leilani“ (Rollins in Zitierlaune, er spielt „Alfie“), einem fünfminütigen unbegleiteten Rollins-Solo, das zum Einstieg von der „Marseillaise“ zu „St. Thomas“ überleitet und immer wieder zu ersterer zurück findet und noch so einiges anderes in den Topf schmeisst – richtig abheben kann er hier vor lauter Zitaten nicht, und hat dies auch im langen „Don’t Stop the Carnival“, in dem er erstmal die Band ankündigt und dann im tiefen Register zu riffen beginnt, gar nicht erst vor. Neun Minuten honkt er repetitiv, reitet den Groove, dann wird über einsetzenden Applaus noch etwas getrommelt, bis der stotternde Rollins nach fast zehn Minuten einen Schlussstrich zieht. Danach gibt es noch eine Minuten Applaus – den letzten für Rollins auf dieser 2016 erschienenen CD vielleicht – aber das letzte Konzert hatte er da noch lange nicht gegeben. Das sind Outtakes von dem Konzert, das 2005 auch auf dem Album „Without a Song – The 9/11 Concert“ dokumentiert wurde ist. Dieses kenne ich bisher allerdings nicht.

    Von 2001 gibt es auf den „Road Shows Vol. 3“ als Opener eine umwerfende Live-Version von „Biji“, dem Calypso von „+ 3“, wieder aus Japan (Saitama). Nach langem Applaus (seltsamer Einstieg für eine CD, 45 Sekunden) geht es mit dem Riff-Thema los und aus dem Dialog der beiden Bläser spielt Anderson sich frei – und glänzt mit seiner anderen Seite: sein fliessendes Solo mit wunderbar rundem, samtenen Ton schwebt förmlich über dem Groove. Das Glanzlicht setzt aber Rollins am Schluss.

    Am 20./21. Dezember 2005 , 13. Januar sowie 9. und 10. Februar 2006 entsteht Rollins‘ letztes Studioalbum, „Sonny, Please“. Er bringt die Working Band mit Bobby Broom und neuem Drummer mit: Broom hat Scott abgelöst, Steve Jordan spielt das Schlagzeug, Anderson, Cranshaw und Dinizulu sind dabei. Auf einem Stück übernimmt Joe Corsello von Jordan – und auf zweien spielt Cranshaw zur Abwechslung wieder einmal Kontrabass. Los geht es mit dem Titelstück, einem simplen Groove mit prominenter Percussion, über den Rollins zu einem freien Flug ansetzt. Das ist hier nicht mal mehr modal, ein Orgelpunkt reicht eigentlich schon (die Gitarre spielt ein paar Akkorde, aber so weit im Hintergrund und so offen, dass sie eh nicht in die Quere kommt). Anderson übernimmt nach dem langen Solo und schlägt sich wieder ziemlich gut. Die erste grosse Ballade folgt auf dem Fuss, Noel Cowards „Someday I’ll Find You“ mit einer wunderbaren Posaunenbegleitung hinter Rollins‘ Themenpräsentation – und mit fast 10 Minuten das längste Stück des Albums. Alles in allem wirkt Rollins hier für meine Ohren gelöst und in allerbester Laune, die Atmosphäre ist eher noch lockerer als auf „This Is What I Do“ – und das ist vielleicht auch ein wenig das Problem: oft wirkt das wie ein mitgeschnittene Jam-Session, viele schöne Momente, keine richtige Geschlossenheit (wie ich sie beim Vorgänger höre). Ich kann mir gut vorstellen, dass das etwas mit der Personalie Broom statt Scott zu tun hat: ich mag zwar einerseits das offenere Klangbild sehr, aber zugleich kittet Broom nichts, er spielt spärliche, oft ziemlich langweilige Schrammelakkorde im Hintergrund – und ein paar eher harmlose Soli. Das klingt alles sehr schön, hat aber wenig Biss. Scott geht viel mehr nach vorn; Broom wirkt auf mich eher, als spiele er einfach mit. Mit „Serenade“ ist hier auch auch ein Stück Salonmusik (es stammt aus einem Ballet namens „Les Millions d’Arlequin“) zu hören (hier übernimmt Corsello an den Drums) – natürlich ein Rollins-Glanzlicht.

    Übrigens finde ich auch hier – wenn ich in „Nishi“ und etwas weniger auch in „Remembering Tommy“ (Flanagan, I presume? Er starb am 16. November 2001 – schönes Posaunensolo hier) mit ihm am Kontrabass höre – Cranshaws Aussage, dass er an der Bassgitarre nicht anders spiele, nachvollziehbar: bloss geht es hier, nach all den Jahren, in die andere Richtung.

    Am 15. Mai 2006 ist Rollins mit derselben Band aber einem neuen (Gast-)Drummer in Toulouse: Victor Lewis – gleich drei Stücke sind davon auf den „Road Shows“-CDs erschienen: ein Remake des Klassikers „More Than You Know“ (1955 als B-Seite der 10-LP „Sonny Rollins & Thelonious Monk“ erscheinen, später auf dem 12″-LP „Moving Out“) auf Vol. 1 bietet neben dem souveränen Leader (nicht zuletzt mit einer wunderbaren Solo-Kadenz am Schluss) ein schönes Solo von Bobby Broom; auf Vol. 3 gibt es gleich nochmal Cowards „Someday I’ll Find You“, dieses Mal eine Viertelstunde lang und ein weiteres Rollins-Balladenmeisterwerk (ich frage mich an der Stelle, ob Broom vielleicht einfach nicht der richtige Mann fürs Plattenstudio ist?); und auf Vol. 4 dann noch „H.S.“ (Anderson pausiert), ein Stück von „+3“, das Horace Silver gewidmet ist – dem Pianisten, der 1954 dabei war, als Miles Davis und Rollins dessen drei künftige Klassiker „Airegin“, „Oleo“ und „Doxy“ einspielten. Rollins ist hier in Zitierlaune (zumindest „There Will Never Be Another You“ ist mir gerade aufgefallen, ich glaube, da versteckt sich noch mehr).

    Der Groove in „Island Lady“, beim ersten Auftritt von Rollins in Victoria (BC, Kanada) Ende Juni 2007, wie er in der Ansage davor sagt, ist grossartig, die Stimmung aufgeräumt fröhlich – und Clifton Anderson kriegt mal wieder etwas Raum. Steve Jordan spielt das Schlagzeug, ansonsten sind wieder dieselben Leute dabei: Broom, Cranshaw, Dinizulu. Vol. 1 von „Road Shows“ endet direkt nach „Island Lady“ mit „Some Enchanted Evening“ vom September 2007, als Rollins mit einem exquisiten Trio in der Carnegie Hall spielte: Christian McBride am Bass und der alte Gefährte Roy Haynes (mit dem Rollins z.B. 1949 die Bud Powell’s Modernists Session für Blue Note machte). Grosses Balladenkino mal wieder – und ein seltenes Beispiel für Rollins im alten favorisierten Setting und obendrein auch mit einem lebendigeren Bassisten als seit langem üblich. Zwei weitere Aufnahmen von 2007 gibt es auf Vols. 3 und 4 von „Road Shows“: zuerst ein fast 24minütiges „Why Was I Born?“ aus Marciac (Jordan am Schlagzeug, wie damals, als Rollins das Stück 1991 erstmals einspielte), in dem Rollins nach dem Gitarrensolo von Broom fast 20 Minuten zuerst als Solist und dann im Dialog mit Jordan zu hören ist. Ein Parforce-Ritt, wie es ihn selbst bei Rollins nicht oft gibt. Auf Vol. 4 gibt es zum Einstieg „In a Sentimental Mood“ aus dem Barbican in London von Ende November, das fast zur Hälfte aus einer Solo-Kadenz von Rollins besteht – zugleich meisterhaft und auch ziemlich zerklüftet. Hier spielt Jerome Jennings Schlagzeug und Kimati Dinizulu ist zum letzten Mal dabei.

    Weiter geht es dann 2009 mit „Solo Sonny“, das auf „Road Shows Vol. 3“ zwischen ein Stück von 2012 und „Why Was I Born?“ programmiert wurde – eine Aufnahme aus St. Louis – auch dabei an dem Abend, aber hier nicht zu hören, waren Anderson, Broom, Cranshaw und die neuen Drum-Section: Kobie Watkins (d) und Sammy Figueroa (perc). Rollins ist in Zitierlaune irgendwo in der Mitte geht es z.B. vom „Tennessee Waltz“ direkt in „Blue Moon“ in „The Song Is You“ – und doch funktioniert das hier für meine Ohren prächtig (und sehr viel besser als beim 9/11-Konzert). Watkins/Figueroa blieben bis 2012, als Rollins seine letzten Auftritte absolvierte. „Road Shows Vol. 2“ stammt komplett von 2010, auf Vols. 3 und 4 gibt es je zwei Stücke von 2012 – dazu die Tage dann noch ein letzter Post hier.

    Und wegen Sammy Figeroa, den ich neulich übersehen hatte, ein erratum: oben schrieb ich, dass es zwei Percussionisten gab in all den Jahren: Victor See Yuen und Kimati Dinizulu; es sind drei, denn eben: in den letzten Jahren war Sammy Figueroa dabei – und damit verschoben sich die Akzente ein wenig (stärker zur Trommel, konkret der Conga).

    Ein richtiges Fazit mag ich nicht ziehen – einfach ein paar eher lose, nicht lange überdachte Gedanken. Fragen nach Relevanz oder so sind mir angesichts des überragenden Werkes von Rollins relativ egal. Verlor er seine Relevanz z.B. vielleicht genau da, als er sich um 1990 herum in neue Umfeld akustischen Neo-Bop einreihen konnte und fortan auf Experimente mit E-Pianos und Synthesizern, Studio-Experimente mit Overdubs oder Disco-Beats verzichtete? So könnte eine Argumentationslinie lauten, die ich ähnlich uninteressant fände wie die Gegenbehauptung, dass Rollins durch das aufkommen der musikalischen Neo-Cons gerade wieder an Bedeutung gewann.

    Im Rückblick tendierte ich fast eher zur Arbeitsthese, dass Rollins letztlich fast von Beginn an ein Solitär war. Wie wenig er sich um die Sitten und Bräuche (und Unsitten) des Musikbusiness scherte, wird ja spätestens 1959 klar, als er sich für drei Jahre zurückzog (dass er 1958 nur noch zwei Alben mache, kann man vielleicht schon als allmähliches Abbremsen vor dem Stop deuten). Klar hatte er kongeniale Partner an seiner Seite (darunter auch welche, die gerne vergessen gehen: Thad Jones, René Thomas … andere werden überschätzt: Elvin Jones war 1957 noch keine grosse Nummer), klar holte er sich hervorragende Leute (oder liess sich diese von Bob Weinstock, George Avakian usw. zur Seite stellen): Tommy Flanagan, Ray Bryant, Kenny Drew, Sonny Clark, Horace Silver, Wynton Kelly, Jim Hall, Doug Watkins, Wilbur Ware, Oscar Pettiford, Ray Brown, Henry Grimes, Max Roach, Philly Joe Jones, Shelly Manne, vereinzelt auch andere Bläser: Kenny Dorham, eben Thad Jones, Donald Byrd – viele waren das nicht, natürlich darf man Clifford Brown in der Band von Roach nicht vergessen.

    Aber wer war wirklich zentral für Rollins? Ich denke da erstmal vor allem an drei Leute: Thelonious Monk, Miles Davis und Max Roach. Andere tauchten kurz an seiner Seite auf, gaben Impulse oder erwiesen sich als Partner auf Augenhöhe: Bud Powell (vermutlich schon ein Einfluss), Coleman Hawkins (unbedingt ein Einfluss, aber die Begegnung war ja erst später), Don Cherry (da hab ich manchmal das Gefühl, dass dieser von Rollins mehr Impulse kriegte als umgekehrt … aber die Live-Aufnahmen müsste ich auch wieder mal in Ruhe anhören, die korrigieren ja das verfälschende Bild der damaligen Platte schon deutlich), Oscar Pettiford (ist die „Freedom Suite“ vielleicht die perfekteste Umsetzung des Trio-Konzepts, weil hier nicht „einfach ein Gig“ wie im Vanguard oder eine lockere Session mit zugewandten Orten wie „Way Out West“ dokumentiert wurde, sondern ein supertightes, sich aufeinander verlassen könnendes Trio zusammenfand, das auch eine perfekte Balance zwischen Struktur und Freiheit, Komposition und Improvisation gefunden hat?).

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    vorgarten

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    sonny rollins, the way i feel (1976)

    ich hänge ja immer noch in der phase, wo sich tenorsaxofonisten zwischen der kalten kommerzialisierung von latin und funk und der euphorie von disco die frage stellen müssen, was sie zur musik ihrer zeit sinnvolles beitragen möchten, und hier stellt rollins einfach seine aktuelle – eher fröhliche – gefühlslage vor. hat man sich dabei wieder an die fiesen ohrwurmmelodien seiner eigenen komposition gewöhnt, gibt es einiges zu entdecken: die sparringpartner sind patrice rushen und lee ritenour, der dominanteste mitspieler ist aber billy cobham, der die engen räume zu absurden figuren und soli nutzt. irgendwie reißen sie jedes stück aus der gemäßigten ausgangslage, patrice rushen steuert einen ziemlich tollen monsterfunk mit space-akkorden bei, das ist alles irgendwie aus der zeit gefallen, macht aber spaß und erscheint mir durchaus inspiriert. rushen ist hier 21, überhaupt eigentlich eine ziemliche killer-band:

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    #12065279  | PERMALINK

    soulpope
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    Bernt Rosengren (1937 – 2023)      R.I.P ….

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      "Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit" (K. Valentin)
    #12065309  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
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    Oh, traurig! Unvergesslich in „Knife in the Water“ – das war neben Stankos „Litania“ meine erste Begegnung. Bzw. früher, aber da wusste ich das noch nicht.

    Was Rollins angeht, Du machst mir jetzt fast Lust, „The Way I Feel“ noch nachzuholen @vorgarten! (Bei „Nucleus“ hab ich den Drang bisher nicht.)

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    #12065497  | PERMALINK

    soulpope
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    gypsy-tail-windOh, traurig! Unvergesslich in „Knife in the Water“ – das war neben Stankos „Litania“ meine erste Begegnung. Bzw. früher, aber da wusste ich das noch nicht

    Btw vermutlich auch ein Saxist der „Sonny Rollins Schule“ ….

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    #12065535  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
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    soulpope

    gypsy-tail-windOh, traurig! Unvergesslich in „Knife in the Water“ – das war neben Stankos „Litania“ meine erste Begegnung. Bzw. früher, aber da wusste ich das noch nicht

    Btw vermutlich auch ein Saxist der „Sonny Rollins Schule“ ….

    Ja, denke ich auch … angereichert mit anderem, aber frag mich jetzt nicht was alles – ich habe keine Ahnung, wen die damals kannten und hörten, als Rosengren seinen Stil formte.

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    #12065631  | PERMALINK

    redbeansandrice

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    ich hab in diesem ersten Bernt Rosengren Album mit Lasse Werner (Bombastica, war in meinem ersten bft) eigentlich immer eher Bezuege zu den Coltrane Prestige Alben gehoert – kenne mich aber auch echt nicht gut mit Rollins aus… das Album hier von 1974 ist jedenfalls ganz klar ein Album von jemandem, der Coltrane rauf und runter gehoert hat, ein bisschen Ayler, sicher Don Cherry… und damit ein Produkt fuer die Jugendzimmer des Jahres 1974 geschaffen hat, wie es sonst nur Pharoah Sanders konnte, oder wenn man mag Gato Barbieri… das Rezept ist recht einfach, und ich hab mich gefragt, ob es ein bisschen so ist, wie die Joel Dorn Produktionen, die wir manchen von Rosengrens Kollegen Mitte der 70er gewuenscht haetten… Im wesentlichen sind drei Besetzungen zu hoeren, eine grosse mit tp/tb/ts/ts/bs Frontline und grosser Rhythmusgruppe p/b/b/dr/perc/perc, die aber nicht immer alle spielen… wer die Tyner Phase von Bobo Stenson hoeren will… daneben gibt es ein Quartett ts/ts/b/dr wobei Rosengren selbst teilweise auch Altsax und Klavier spielt… und kleinere kammermusikalische Besetzungen, die tuerkisch angehauchten Folkjazz spielen… dass es gerade die Tuerkei wurde, mag damit zu tun haben, dass mit Maffy Falay und Okay Temiz zwei Stars des tuerkischen Jazz im Lineup sitzen… ist jedenfalls ein tolles, sehr stimmiges Album, das man so weghoeren kann, obwohl es seine Free Jazz Wurzeln nicht verraet… und ja, klar, natuerlich hoert man auch, dass Rosengren ganz klassisch schoen spielen kann… gehoert nach vorgartens Schema von oben jedenfalls eindeutig in die spirituelle Abteilung und nicht in die Muckerabteilung der Coltrane Nachfolge…


    einer der schoensten Tracks, auch wenn hier kein grosses Tenorsolo zu hoeren ist, der zweite Tenorist Tommy Koverhult spielt Floete…

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    #12065653  | PERMALINK

    soulpope
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    @ „redbeansandrice“ …. :

    Anno 1965 …. hör mal ….

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    #12065661  | PERMALINK

    vorgarten

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    aber das ist doch lupenreiner coltrane-einfluss, oder? allein der soloeinstieg in „for all we know“… beim anderen stück vielleicht noch mit seitenblick zu mobley. rollins höre ich da nicht wirklich raus, obwohl rosengren den bestimmt auch auswendig kannte. spätestens ab den 70ern ist der richtungsentscheid aber wirklich klar, so wie redbeans es beschreibt. guter mann jedenfalls, ich hab sonst auch nur BOMBASTICA (wahrscheinlich nach dem bft gekauft) und seit kurzem das album mit karin krog.

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    #12065687  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
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    Ja, in den zwei Stücken höre ich auch astreinen Coltrane … aber hier z.B. nicht mehr (Solo ab 9:22 oder so, sollte an den Beginn des zweiten Stücks bei ca. 7 Minuten springen):

    (2. Solo ab 25:18 – halt auch wieder Ballade … müsste man mal noch ein schnelles auftreiben, aber ich hab keine Zeit zu suchen und nicht grad was präsent.)

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    "Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #158 – Piano Jazz 2024 - 19.12.2024 – 20:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba
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    gypsy-tail-wind
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    Kleiner Zwischenruf mit ganz wem anderem – heute ist nicht nur der Geburtstag von Jackie McLean und Dewey Redman (beide im selben Jahr, 1931 – wobei bei McLean auch 1932 in Frage zu kommen scheint? – und beide starben sie auch 2006), sondern auch der vom Vice Pres, Lady Q, Paul Quinichette (dessen Todestag sich am 25. zum 40. Mal jähren wird): „On the Sunny Side of the Street“ vom fast gleichnamigen Prestige-Album von 1957:

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    gypsy-tail-wind
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    Sonny Rollins @80 – am 7. September 1930 kam Walter Theodore „Sonny“ Rollins in New York City zur Welt. Vol. 2 der „Road Shows“ beginnt mit einem hervorragenden „They Say It’s Wonderful“ vom 1. Oktober 2010 aus Sapporo, Russell Malone spielt ein feines Gitarrensolo zum Einstieg, Bob Cranshaw, Kobie Watkins und Sammy Figueroa sind dabei – und Watkins spielt hier länger hervorragende Fours mit Rollins. Als Ausklang des Albums dient ein nicht mal dreiminütiges „St. Thomas“ vom 7. Oktober aus Tokyo. Dazwischen gibt es knapp 50 Minuten vom Konzert, das Rollins am 80. Geburtstag im Beacon Theatre in seiner Geburtsstadt gab. Zu diesem Anlass konnte natürlich nicht einfach nur die Working Band aufspielen: die geladenen bzw. auf der CD dokumentierten Gäste sind Roy Hargrove (t), Ornette Coleman (as), Jim Hall (g), Christian McBride (b) und Roy Haynes (d) – neben Malone, Cranshaw, Watkins und Figueroa.

    Francis Davis meint in den Liner Notes, über das Highlight des Albums habe man noch Monate später gesprochen: die allererste Begegnung von Rollins mit Ornette Coleman. Los geht es im Trio mit Christian McBride und dem Überraschungsgast (das 2007 schon in der Carnegie Hall aufspielte, s.o.) – und nach seinem ersten Solo, nach viereinhalb Minuten kündet Rollins noch einen Überraschungsgast an, jedoch ohne seinen Namen zu nennen: „somebody told me that there’s somebody in the house that is going to say happy birthday to me, and he’s someplace backstage and he’s got a horn, and I wish he’d come out now – he’s here … he’s here“. Coleman lässt sich von da an noch fast vier Minuten Zeit, in denen Rollins nicht etwa einfach die Rhythmusgruppe riffen sondern spielt gleich selbst noch ein zweites, noch besseres und eigenwilligeres Solo – zu der überaus wachen Begleitung von McBride/Haynes. Grosser Applaus, als das Publikum den Gast erkennt, der bei Minute acht auf die Bühne kommt und Rollins natürlich erstmals zu Ende spielen lässt. Coleman muss dann erstmal sein Blatt zähmen, doch nach ein oder zwei Chorussen gibt er dem Stück eine neue Richtung – seine Richtung. Und er spielt ebenfalls ein hervorragendes Solo voller eigenwilliger Linien – Davis: „simultaneously reminiscent of Texas hully-gully and Mozart and Brahms“. Rollins kann danach natürlich nicht still bleiben, spielt nochmal, dann Ornette wieder (grossartig, finde ich – auch wie McBride/Haynes sich einlassen können), und Rollins zum Schluss noch ein viertes Mal. Kein Wunder, dauert das über 20 Minuten! Rollins spielt hier sehr frei auf – nicht erst, nachdem Ornette das Szepter übernommen hat, sondern bereits im öffnenden ersten seiner vier Soli: als nehme er bereits voraus, was noch folgen sollte.

    Davor gibt es Jim Hall – Rollins kündet ihn als „the favorite guitar player of all the other guitar players“ an – mit der Rhythmusgruppe (Cranshaw, Watkins, Figueroa) und „In a Sentimental Mood“ – Hall spielt das Thema und Cranshaw legt eine wunderbare Begleitung darunter – Rollins begnügt sich leider damit, die Band anzusagen, denn zu einer Wiederbegegnung der beiden kommt es hier (zumindest auf den Stücken auf der CD) leider nicht. Nach dem irren Lauf mit Coleman folgen noch zwei Stücke vom Konzert, beide Mit Roy Hargrove und der ganzen Rollins-Band (also Malone plus die drei gerade genannten). „I Can’t Get Started“ ist seit Bunny Berigan ein Paradestück für Trompeter, ähnlich „Body and Soul“ für Saxophonisten – Hargrove stellt das Thema vor, wunderbar begleitet von Malone, Rollins hält sich fast ganz zurück, schattiert gegen Ende ein wenig, übernimmt dann für ein Solo, das nah an der Melodie von Vernon Duke bleibt, aber den „cry“ nicht missen lässt. „Rain Check“ ist dann ein Romp mit Soli für Malone und die Bläser, die am Ende in einen langen Austausch (ohne Drums) treten. Sehr schön, und auch eine Erinnerung daran, dass Rollins einer der ersten modernen Jazzer war, die Strayhorns Musik spielten (das Stück ist auf „Worktime“ zu hören, einem Prestige-Album). Das erwähnte kurze „St. Thomas“ in einem sehr entspannten Tempo und mit Band-Intros (ohne Hargrove, dafür mit japanischen Dankesworten) fügt sich nahtlos an. Die Stücke sind auf den vier Volumen von „Road Shows“ öfter mit Crossfades montiert und Ansagen für folgende Stücke sind ans Ende bzw. in den Applaus des Vorgänger-Stücks montiert.

    Es gibt danach noch eine Coda von 2012: auf Vol. 3 der „Road Shows“ finden sich zwei Stücke aus Marseille, 25. Juli 2012, Palais Longchamp. Die Band ist hier wieder um Clifton Anderson erweitert und hat mit Peter Bernstein einen letzten neuen Gitarristen. Das 12minütige „Patanjali“ ist ein irrer Lauf: ein kleines rhythmisches Motiv, das repetiert wird, bis daraus halt ein Stück wird („Sonnymoon“ ist im Vergleich richtiggehend ausgereift) – immerhin gibt es eine Art Bridge. Und es gibt vor allem einen irren Beat von Cranshaw/Watkins/Figueroa – Figueroa spielt trommellastiger als seine Vorgänger und das kommt hier richtig gut (er konzentrierte sich stark auf die Congas, die er hier auch spielt). Unter Rollins rifft Anderson weiter, Bernstein fügt sich gut ein – und wie sich Rollins mit dem Beat verzahnt, ist echt irre.

    Das Stück wurde in den letzten Jahren immer wieder gespielt, es gibt ein paar Amateurvideos davon, die trotz schlechter Qualität eine Idee von der Power geben, mit der die Band mit ihrer phantastischen Drum-Section damals unterwegs war – hier beim Detroit Jazz Festival am 31. August 2012.:

    Der Closer der CD, „Don’t Stop the Carnival“, stammt ebenfalls vom Konzert im Palais Longchamp. Vom Stück gibt es fast nur Live-Aufnahmen: die inzwischen natürlich bestens bekannte Studio-Einspielung von 1962 kam nicht mit dem Rest des Albums „What’s New“ heraus sondern erstmals 1973 auf dem französischen LP-Twofer „Vol 3: ‚What’s New?‘ / Vol 4: ‚Our Man In Jazz'“. Rollins klingt hier, ca. sechs Wochen vor seinem 82. Geburtstag, so gut wie eh und je – und das Stück, das hier als Zugabe am Ende der CD steht (das Publikum klatscht mit), beschliesst dann ja in der Version vom 9/11-Konzert aus Boston auch Vol. 4. Das passt schon, dass am Ende von Rollins beiden letzten Alben (2014 und 2016 erschienen) eins seiner signature tunes steht, in dem der karibische Faden, der sich durch seine Musik hindurchzieht, gewürdigt wird.

    Auf Vol. 4 gibt es aus Marseille noch „Professor Paul“ und direkt danach das am 30. Oktober 2012 in Prag aufgenommene „Mixed Emotions“ – ein Duo mit dem Gitarristen Saul Rubin. „Professor Paul“, so Ted Panken in den Liner Notes, ist tatsächlich ein damals erst grad komponiertes und Paul Jeffrey gewidmetes neues Rollins-Stück, „a highly abstracted contrafact of ‚Without a Song'“, das Rollins wiederum 1961 mit Jim Hall eingespielt hat, der Nachbar und Mentor von Peter Bernstein war, der hier ein bescheidenes, elegantes Solo spielt, bevor Rollins übernimmt – und sich einmal mehr mit dem hier ziemlich kargen Beat von Watkins/Figueroa verzahnt. Das ist wirklich hervorragend – und zeigt, dass Rollins‘ Rückzug (der erst 2014 offiziell erklärt wurde, aber soweit mir bekannt gab es nach 2012 keine Auftritte mehr) wohl zum richtigen Zeitpunkt erfolgte. Jedenfalls nicht zu spät.

    Der Schlusspunkt, „Mixed Emotions“, ist eine kurze Rubato-Ballade mit Saul Rubin an der Gitarre. Rollins ist bei 1:17 fertig, Rubin spielt noch ein paar Sekunden weiter), die Rollins seit 1951, als er die Version von Dinah Washington in der Jukebox von Al’s Luncheonette an der St. Nicholas Avenue hörte, im Kopf herumgespukt sei. 61 Jahre später nimmt er das Stück zum ersten – und letzten – Mal auf. Was für ein Ton! „I never had an opportunity to do it, though I wanted to. I like Saul’s playing very much, and he enhanced my memory of the tune“, zitiert Panken Rollins in den Liner Notes. Ein kurzer Abschied, der durchaus wehmütig stimmt, angesichts der unglaublichen Laufbahn, die hier ihr Ende nimmt.

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    vorgarten

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    the milestone jazzstars, in concert (1979)

    das muss dann doch noch hierhin, aus mindestens zwei gründen: 1. rollins und tyner zusammen post-coltrane, was erstaunlich abgeht – und wo ich beim (wieder mal total inspirierten) rollins einen ansatz heraushöre als bei den spiritual-jazz-saxofonisten der zeit (gartz, lloyd usw.), nicht drüberschwebend, sondern klare, rhythmisch akzentuierte linien setzend. das weißt schon in die slicken 80er jahre, hat hier aber noch ein anderes feuer.

    und 2., am ende, rollins im trio mit carter und foster, also state of the tenor vor henderson – auch da kann man unterschiede scharfstellen – und sich ein ganzes album in dieser besetzung zu dieser zeit (oder später) wünschen. überhaupt: das konzept hier, bei den „jazzstars“, setzt natürlich auf individuelle wow-effekte, nicht auf die idee, dass das ja eigentliche eine tolle band sein könnte – deshalb gibt es solos, duos, trios und nur ein paar quartette, auch das mag man bedauern. ich find die alle ziemlich super hier.

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