Blindfoldtest #30 – gypsy tail wind

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  • #11083029  | PERMALINK

    vorgarten

    Registriert seit: 07.10.2007

    Beiträge: 12,714

    wahrnun ist es also raus. :)
    gutes bft-thema. vielleicht sind die siebziger kein schlechtes einsteigerjahrzehnt für die etwas anstrengenderen freieren großleistungen der sechziger. weil eben der spirituell/politische feuersturm nicht ewig durchzuhalten war, stattdessen in den 70ern mehr community-leben und clubkulturen gepflegt wurden, und es vermutlich immer mehr nicht auf politischen kampf oder erweckungserlebnis ausgerichtete anknüpfungspunkte mit anderen stilen gab, sei es rock, latin oder afrikanische musik. gesetztere musik für den haus- und tanzgebrauch, die die glut noch in sich trug, aber eben nicht mehr die wände zum einstürzen brachte. das muss eben auch sein. ich denke dann immer an greg norton, den bassisten von hüsker dü, der mal meinte, er würde jetzt auch nicht gerade hardcore pfeifen, wenn er die straße entlang geht. so ist eben in den 70ern jazz entstanden, der leichter zu hören war, aber seine herkunft doch nicht verleugnen musste. ein bisschen sehe ich deinen bft unter diesem blickwinkel. man kann von den tracks ausgehend weiter in diese richtung forschen, man kann aber auch von da aus in richtung actuel, späten coltrane oder zum AEC kommen.

    tatsache, sehr interessantes bft-thema. aber auch sehr komplex. community-leben und clubkulturen als biotope dieser musik ergaben sich ja u.a. auch, weil die kommerziellen orte wegfielen. daneben bestand ein großes interesse an elektrischer verstärkung und elektronischer musik im engeren sinne, das in diesem bft nur in #6 abgebildet ist.

    und natürlich gibt es in den 1970ern unfassbar heftige free-sachen (alan shorters TES ESAT z.b., und das ist ja von jemandem mit rudimentären hardbop-skills) – und daneben (das finde ich immer sehr verrückt:) pharoah sanders hat schon TAUHID eingespielt, als er noch bei coltrane war.

    und dann gäbe es noch den aspekt der hoffnung auf kommerziellen erfolg, die ich ja niemandem hier absprechen würde – onaje allan gumbs hat sich von anfang an und bis zum schluss als komplett offenen musiker definiert, der keine schubladen akzeptiert hat – und das hört man seiner musik auch auf eine sehr positive art und weise an. und natürlich gab es auch debütalben in den 1970ern, die schon kommerzielle bewerbungen sind (die miles-leute, mtume, michael henderson z.b.). und natürlich solche, die das über die spiritual-ecke versucht haben (bonner), z.t. sehr erfolgreich (norman connors).

    im bft sind leute drin, die nach langer sideman-tätigkeit schließlich sich mal als leader präsentiert haben (mcbee) – und andere, die wirklich mit diesen debüts auf die szene platzten und vielleicht tatsächlich auch etwas neues einbringen (steve reid).

    und dann fängt ja mit den 70ern auch die ecm-recherche nach einer musik an, die nicht mehr politisch gelesen werden will oder soll (? – steile these, ich weiß).

    aber so ganz grundsätzlich fühle ich mich in den frühen 1970ern im jazz sehr wohl, und ich glaube, das hat mit dem zu tun, was du hier formulierst: mehr community, mehr vernetzung, mehr melancholie, mehr sehnsucht, mehr hippie und neue sounds.

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    #11083047  | PERMALINK

    wahr

    Registriert seit: 18.04.2004

    Beiträge: 15,224

    vorgarten…und natürlich gibt es in den 1970ern unfassbar heftige free-sachen (alan shorters TES ESAT z.b., und das ist ja von jemandem mit rudimentären hardbop-skills) …

    die ich mir dann letztes jahr auch besorgen musste, als cd-reissue auf america records, nachdem du mich mit „orgasm“ angefixt hattest.

    …so ganz grundsätzlich fühle ich mich in den frühen 1970ern im jazz sehr wohl, und ich glaube, das hat mit dem zu tun, was du hier formulierst: mehr community, mehr vernetzung, mehr melancholie, mehr sehnsucht, mehr hippie und neue sounds.

    ich glaube, da könnte auch für mich noch sehr viel zu entdecken sein.

    #11083197  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
    Moderator
    Biomasse

    Registriert seit: 25.01.2010

    Beiträge: 68,339

    Ja, ECM fehlt hier ja … finde ich eine interessante These, denke aber, dass sie vermutlich falsch ist, dass eher eine ganz andere Politik gemeint war – eine jenseits von Hautfarben und quasi ohne Nahkampf? Dass das von mancher Seite als apolitisch betrachtet worden sein könnte, würde mich aber nicht wundern.

    Die Kommentare sind jetzt auch da – pardon, dass das so lange gedauert hat, war nicht geplant:
    http://forum.rollingstone.de/foren/topic/blindfoldtest-30-gypsy-tail-wind/page/9/#post-11082939

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    #11083271  | PERMALINK

    vorgarten

    Registriert seit: 07.10.2007

    Beiträge: 12,714

    vielen dank, toller bft!

    gault kenne ich gar nicht, auch das album mit jackie kaum (obwohl ich weiß, dass es sehr gut ist, aber es wartet darauf, dass ich mich mal chronologisch mit mcleans spätphase auseinandersetze).
    smith, wadud und die visitors haben es mir ziemlich angetan, gumbs und burton wurden für mich sehr bestätigt (bei gumbs gab es noch tolle sachen in dem zeitraum: das merkwürdige ricky-boger-album, die beiden mit nat adderley, das debüt von norman connors, dann garnett, sullivam, betty carter, buster williams – schon ein ziemlich gefragter mann in der zeit & szene). barron ist irgendwie auch eine bestätigung.

    nächstes mal gibt es dann vielleicht den spiritual-jazz-bft von dir? ;-)

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    #11083297  | PERMALINK

    brandstand3000

    Registriert seit: 29.12.2016

    Beiträge: 244

    auch für mich war das ein sehr schöner bft. vielen, vielen dank!

    --

    #11083371  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
    Moderator
    Biomasse

    Registriert seit: 25.01.2010

    Beiträge: 68,339

    vorgartenvielen dank, toller bft!

    Danke Dir!

    vorgarten
    gault kenne ich gar nicht, auch das album mit jackie kaum (obwohl ich weiß, dass es sehr gut ist, aber es wartet darauf, dass ich mich mal chronologisch mit mcleans spätphase auseinandersetze).

    Interessant, dachte, Da seist Du längst vertiefend gewesen! Ist ja schön, dass es auch bei anderen solche „unlogischen“ Lücken gibt, nicht nur bei mir ;-)

    vorgartensmith, wadud und die visitors haben es mir ziemlich angetan, gumbs und burton wurden für mich sehr bestätigt (bei gumbs gab es noch tolle sachen in dem zeitraum: das merkwürdige ricky-boger-album, die beiden mit nat adderley, das debüt von norman connors, dann garnett, sullivam, betty carter, buster williams – schon ein ziemlich gefragter mann in der zeit & szene). barron ist irgendwie auch eine bestätigung.

    Sullivan, klar, das war auch noch ein möglicher Kandidat, aber da hab ich nur den Zweitling „Re-Entry“ (auch auf dem WhyNot/Candid-Stapel). Das andere sind hier solche Löcher, also Adderley als Leader post Riverside und überhaupt post Cannonball (die J.J. Johnson-Band mit Billy Childs, die ich neulich hörte, finde ich aber cool, auch die Anbiederungen an die damalige Jetzt-Zeit funktionieren teils überraschend gut), Garnett (da war mir bei dem, was mir in die Finger kam, die Tendenz zu Disco immer zu grauslig, was müsste ich suchen?) und Norman Connors sowieso (den habe ich nur mit Rivers, Sanders und Shepp als Sideman) – ich werfe dann noch Harold Alexander in den Ring … auch so ein Wackelkandidat (Tips?).

    Und mein Nichteintreten auf Deine Nennung von Harold Vick vorhin war nur ein Versehen, kein Urteil – den mag ich ja auch recht gerne, aber am liebsten bleiben mir da schon das Blue Note-Album und seine Sideman-Auftritte dort und bei Jack McDuff.

    Rickey Boger? Noch nie gehört … aber da taucht Buddy Terry auf, noch so einer, den ich aber etwas besser kenne (dank der japanischen Mainstream-Reissue-Serie) (neben Frank Vicari, einem dieser – vermutlich unterschätzten – Studio-Alleskönner/Überallmitspieler … auch witzig).

    vorgartennächstes mal gibt es dann vielleicht den spiritual-jazz-bft von dir?

    Schauen wir mal, wie lange die Semi-Quarantäne noch anhält …

    --

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    #11083407  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
    Moderator
    Biomasse

    Registriert seit: 25.01.2010

    Beiträge: 68,339

    brandstand3000auch für mich war das ein sehr schöner bft. vielen, vielen dank!

    Danke auch Dir nochmal fürs Mitmachen, hat auch mir Spass gemacht!

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    #11083409  | PERMALINK

    vorgarten

    Registriert seit: 07.10.2007

    Beiträge: 12,714

    gypsy-tail-wind

    vorgarten
    gault kenne ich gar nicht, auch das album mit jackie kaum (obwohl ich weiß, dass es sehr gut ist, aber es wartet darauf, dass ich mich mal chronologisch mit mcleans spätphase auseinandersetze).

    Interessant, dachte, Da seist Du längst vertiefend gewesen! Ist ja schön, dass es auch bei anderen solche „unlogischen“ Lücken gibt, nicht nur bei mir

    liegt alles bereit hier. und nat adderley post cannonball ist auf jeden fall auch ein projekt.

    gypsy-tail-windGarnett (da war mir bei dem, was mir in die Finger kam, die Tendenz zu Disco immer zu grauslig, was müsste ich suchen?)

    ich muss halt immer alles umschiffen, wo dee dee bridgewater drauf zu hören ist – ein totales no-go für mich. aber „taurus woman“ von BLACK LOVE ist sehr toll (aber viel zu lang).

    gypsy-tail-windvorgartennächstes mal gibt es dann vielleicht den spiritual-jazz-bft von dir?

    Schauen wir mal, wie lange die Semi-Quarantäne noch anhält …

    tja. mein gitarren-bft ist (mit einer heute noch vorgenommenen umprogrammierung – herzlichen dank!) fertig. aber ich gönne uns allen mal eine pause, denke ich. bin sehr zufrieden und natürlich brennt es mir unter den nägeln, das zeug vorzustellen, aber es ist mir auch zu wichtig, um mich jetzt annörgeln zu lassen ;-) wird auf jeden fall sehr anders, mit ganz viel bekannten sachen, von denen jede(r) was erkennt – wahrscheinlich können die jazzer sofort 1/3 auflösen, die rockfraktion ein anderes drittel, und der rest bleibt ein bisschen länger offen (und interessiert eigentlich nur mich hier) ;-)

    --

    #11083413  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
    Moderator
    Biomasse

    Registriert seit: 25.01.2010

    Beiträge: 68,339

    Das klingt spannend! Und sorry nochmal wegen Waters/Masuo!

    Für mich halt, weil weiterhin arbeitend, gerne auf ein Wochenende hin starten, Donnerstag oder Freitag, dann stehen die Chancen gut, dass ich gleich einen ersten Eindruck hinkriege!

    Und das hier ziehe ich mir gleich mal rein (die CD mit u.a. Schumann-Liedern verklang gerade):

    --

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    #11088519  | PERMALINK

    demon

    Registriert seit: 16.01.2010

    Beiträge: 66,870

    Wie immer habe ich beim (mehrfachen!) Anhören meine Gedanken notiert, und ich poste sie jetzt ohne vorher in den Thread hineingesehen zu haben:

    #1
    Ganz wunderbar. Zweite Hälfte 60er? Vielleicht einer meiner beiden Lieblingstrompeter? Nein, nicht Miles Davis, sondern der andere, im Alphabet vor ihm. Flöten waren ja auch gerne sein Ding…
    Auf alle Fälle ein fünf-Sterne-Nummer für mich!

    #2
    Wieder klasse, aber k.A. wann & von wem.
    Garantiert nicht füher als 70er, tippe ich mal. Wahrscheinlich sogar VIEL jünger, wage ich zu raten.

    #3
    … ist mir etwas zu schrill und zu zappelig.

    #4:
    Weiterhin ein wunderbares, Programm, Flurin! Aber irgendwie zuordnen kann ich diese Nummer nicht.

    #5:
    Dieser BFT ist bisher in sich stimmig, sag‘ ich mal. Nur #3 fiel bisher irgendwie aus der Reihe.

    #6
    Oh – Überraschung, jetzt! Das erinnert mich bisschen an die exerimentellen Sachen von Miles Davis. Abr den würdest du bestimmt nicht in einen BFT packen…

    #7, #8:
    Beide sehr schön, aber mir fällt nichts dazu ein.

    #9
    Wow, fantastisch! ***** Ich hab das jetzt mindestens fünf Mal hintereinander angehört, es haut mich immer noch weg. Ich schaffe es nur nicht, dieses fantastische Klanggewebe in alle einzelnen Instrumente aufzudröseln… Höchster Respekt vor dem Bassisten!

    #10
    … und es geht ganz wunderbar weiter: *****
    Wie viele Instrumente hört man hier eigentlich? Eigentlich immer nur eines, aber der Tonumfang scheint ja von der Viola bis zum Bass zu reichen ;-)
    Könnte das der jüngste Titel in der Playlist sein? (Vielleicht zusammen mit #9)

    #11
    Die Nummer gefällt mir ausgezeichnet. Der Rhythmus hat für mich einen Latin Touch, ebenso ein bisschen der Bläsersound.
    Das trockene und schnörkellos gespielte Schlagzeug finde ich prima. Ich lehne mich mal ganz weit aus dem Fenster und frage ob das vielleicht einer der ganz Großen ist…
    Vom Sound her scheint mir #11 vielleicht der älteste, bestimmt aber einer der ältesten Titel des BFT 20. Und wieder 5  Sterne von mir!

    #12
    :good: (Mehr fällt mir dazu nicht ein – sorry)

    … und mein Fazit zur Kompilation als Ganzes:
    Bis auf #3 ein prima Flow; die Playlist – so finde ich – kann man auch gut „am Stück“ anhören.
    D A N K E , Flurin!

    --

    Software ist die ultimative Bürokratie.
    #11088589  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
    Moderator
    Biomasse

    Registriert seit: 25.01.2010

    Beiträge: 68,339

    Danke für die Rückmeldungen @demon! Du kannst ja auf Seite 9 inzwischen die Auflösung und meine eigenen Kommentare nachlesen. Dass mir #3 wegen der Störung des Flows etwas Bauchweh machte, steht in meinen Kommentaren auch schon mehrmals, aber ich wollte Arthur Blythe drinhaben, den Altsaxer. Dessen Debut (Thema war: Debutalben aus den Siebzigern, Zeitrahmen ist 1970-77 geworden) habe ich aber nur als LP und ich brauche, irgendwann nach Corona, erstmal einen neuen Plattenspieler …

    Dass Dir ausgerechnet der Geigen- und der Cello-Track (#9 und #10) am besten gefallen, finde ich interessant! Grad beim Cello hätte ich mit einigen Widerständen gerechnet, weil das Intro in der hohen Lage ja schon nicht so wirklich jedermanns Sache sein dürfte. Ich finde das ganze Album toll (alles Cello-Solo).

    #6 war ja auch so etwas wie ein Osterei, ein paar Bleichgesichter mitten im afro-amerikanischen Jazz … die Brecker Brothers stehen später – in den 80ern, da, wo einige von uns hier in der Jazz-Ecke musikalisch allmählich sozialisiert wurden – für eine Richtung des Jazz, die zumindest nicht sehr geliebt ist von ganz vielen. Wir hatten es neulich auch mal davon, dass nach dem aktuellen Spiritual Jazz-Revival (Kamasi Washington, Angel Bat Dawid, Shabaka Hutchings etc. – wobei ich meine, letzterer ist schon deutlich vielschichtiger) ev. auch ein Revival des kühleren weissen 80er-Jazz bevorsteht … keine Ahnung, war nicht meine These, ich halte das für eher unwahrscheinlich, aber das Young Lions-Revival (die erste Generation um die Marsalis-Brüder hat quasi Ende der Achtziger/Anfang der Neunzigern den Scheinwerfer von den gerade erwähnten weissen Jazzern auf sich umgelenkt) folgt dann wohl schon, was mich aber ähnlich kalt lassen wird. Die Breckers aber, ich komme zum Punkt, und der Leader hier, Hal Galper, waren 1970 verdammt früh dran damit, Miles Davis‘ elektrischen Jazz fortzuspinnen (oder zu kopieren) – mit Don Alias hatten sie aber auch jemanden an Bord, der bei Miles selbst mitwirkte, bei den 1969er Sessions zu „Bitches Brew“ – er wurde schon 1970 von Airto Moreira abgelöst, der dann wirklich mit der Band unterwegs war … aber Galper etc. hatten da Wissen aus erster Hand zur Verfügung. Und die Breckers finde ich auf dem Album auch ziemlich gut. Später wurden sie mir oft zu glatt, zu technisch einwandfrei, aber irgendwie dann im Ausdruck etwas zu flach (was auf Michael aber mehr zutrifft als auf Randy – der übrigens noch immer unterwegs ist, Michael starb 2007 viel zu jung).

    #6 ist dann auch der älteste Track, #11 der jüngste (eben: 1970 bzw. 1977), dass diverse Leute mehrmals auftauchen (z.B. der Pianist von #2, der neulich verstorbene Onaje Allan Gumbs, oder der Bassist/Leader von #1, Cecil McBee) hilft bei der relativen Geschlossenheit sicherlich auch. Da wird schon aus einem ähnlichen Geist heraus musiziert, denke ich.

    Freut mich jedenfalls, dass Dir der Mix gefiel!

    --

    "Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #158 – Piano Jazz 2024 (Teil 1) - 19.12.2024 – 20:00; #159: Martial Solal (1927–2024) – 21.1., 22:00; #160: 11.2., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba
    #11088635  | PERMALINK

    demon

    Registriert seit: 16.01.2010

    Beiträge: 66,870

    Gleich nach meinem Beitrag hatte ich den Thread „quergelesen“ und dabei natürlich auch die Auflösung gesehen. Alles böhmische Dörfer für mich!
    Ich bin ja froh, dass ich nicht der einzige war, den #6 an Miles Davis erinnert hat. Und ebenso nicht der einzige, der bei #11 „latin“ schrieb (statt „Südafrika“, wie du).

    --

    Software ist die ultimative Bürokratie.
    #11088775  | PERMALINK

    stefane
    Silver Stallion

    Registriert seit: 24.07.2006

    Beiträge: 7,211

    Bin jetzt endlich dazugekommen, mir in Ruhe die Auflösung durchzulesen.

    stefane
    Track 1
    Schöner Einstieg mit dem Glöckchengeläut, dem leisen Piano und dem gestrichenen Bass. Dann wird der Bogen zur Seite gelegt und der Bass wird singend, treibend, sehr klangfarblich und melodisch. Eine eher weiche, einnehmende Trompete, dann ein sehr zurückhaltendes und abgedunkeltes Sopransaxophon, gefolgt von der Flöte, auch die mit wenig Schärfe gespielt. Die Percussion sehr prominent, was mich normalerweise stört, hier aber überraschenderweise überhaupt nicht. Die Basslinien habe ich doch schon mal gehört: „The Creator Has a Master Plan“ revisited? In Minute 11 steigt dann das Intensitätsniveau, wenn das Piano mit seinen Blockakkorden und der Bass wunderbar zusammengehen. In Minute 13 mit dem Gebläse und den Klangfarben schießt mir dann schon wieder irgendwie Pharoah Sanders in den Kopf.
    Gefällt außerordentlich, auch wenn das abrupte Ende vielleicht besser hätte gelöst werden können.
    Würde das Stück gegen Ende der Siebziger verorten. Vielleicht ist hier gar keine „lupenreine“ Jazzband unterwegs, sondern eher Leute aus dem Soul- und Funk-Umfeld?

    Cecil McBee also.
    George Adams am Sopransaxophon. Er hat ja auch in der Fatback Band gespielt. War meine Funk-Assoziation also zumindest teilweise berechtigt.
    Ansonsten kenne ich von den Mitwirkenden nur noch Billy Hart als Sideman von Jimmy Smith, Eddie Harris und Eddie Henderson.
    Habe mir den Track inzwischen noch mehrmals angehört, gefällt immer noch sehr.
    Welche Platten von Cecil McBee, die in eine ähnlich Richtung gehen, sind denn sonst noch empfehlenswert?

    stefane

    Track 2
    Solo Piano. Locker-flockig, sehr gefällig, aber mit einem schönen, leicht treibenden Fluß. Insgesamt kommt mir das vom Klangbild aber etwas zu „clean“ und von der Harmonik etwas zu konventionell daher.

    Onaje Allan Gumbs, den Namen hatte ich schonmal gehört, wußte bisher aber wenig über ihn.
    So richtig packt mich der Track aber immer noch nicht.

    stefane
    Track 3
    Hier gefällt mir das Klavier schon deutlich besser: hämmernder, kompromißloser und dissonanter als im Track zuvor. Gleichzeitig höre ich beim Piano einen dezent karibischen, afrokubanischen und brasilianischen Touch zugleich, im Hintergrund ein dezenter Samba Beat. Auch die Percussion sehr beschwingt. Das Saxophon mit freien Passagen, aber überhaupt nicht harsch. I wanna dance!
    Würde ich in den Siebzigern verorten.

    Steve Reid also.
    Daß ich Arthur Blythe am Altsaxophon nicht erkannt habe, ist natürlich unverzeihlich.
    Sehe gerade, daß „Rhythmatism“ 2019 auf Soul Jazz Records als Vinyl Reissue erschienen ist. Kommt auf den Zettel.

    stefane
    Track 4
    Stimmungswechsel. Eine schwermütige Stimmung durch den gestrichenen Bass, das Saxophon eher getragen und mit sehr organischen, langgezogenen und fließenden Bögen. In Minute 5 dann sehr schön das zurückgenommene Piano mit den dezent tänzelnden Becken im Hintergrund.

    John Stubblefield, auch das ein für mich eher Unbekannter.
    Joe Chambers an den Drums. Habe gerade nochmals in Wayne Shorters „The All Seeing Eye“ und „Adam’s Apple“ reingehört. Mit dem Wissen jetzt kann man den Drumsound natürlich deutlich erkennen.

    stefane
    Track 5
    John Coltranes „Naima“?
    Gedämpfte Trompete; schönes, perlendes Piano; ein wunderbar singender Bass, also eigentlich alles da; berührt mich aber trotzdem irgendwie nicht so richtig.

    Billy Gault, war mir bisher völlig unbekannt. Auch die sonstigen Mitglieder der Band sind mir höchstens dem Namen nach geläufig.
    Auch hier nochmals mehrere Male angehört, und ich muß mich etwas korrigieren: gefällt mir inzwischen immer besser, scheine mich irgendwie auf den Sound eingegroovt zu haben.

    stefane
    Track 6
    Und nun wieder ein Stimmungswechsel: Ein dichter Funk-Rhythmus-Teppich hält das Stück am Köcheln. Auch hier wieder das Sopransaxophon mit einer tragenden Rolle. Insgesamt klingt das an manchen Stellen wie eine etwas abenteuerlustigere Filmmusik einer Siebziger Jahre-Großstadt-Fernsehkrimi-Reihe aus den USA. Normalerweise gefällt mir so etwas eher nicht, weil zu konfrontativ und „in the face“, hier hat das aber einen gewissen Charme.
    Electric Miles?

    Hal Galper hatte ich bisher eher als Sideman verortet. Daß er doch einige Platten als Leader aufgenommen hat, war mir nicht bewußt.
    Die Brecker Brothers hätte ich hier niemals erkannt.

    stefane
    Track 7
    Schönes Sopransaxophon zum Einstieg. Der Drummer gefällt mir: treibt das Stück nach vorne, aber auf eine sehr tänzelnde Art. Auch das Piano ganz wunderbar. Geht sehr an mich.
    Aus den Siebzigern?

    The Visitors, auch hier muß ich mich wieder als Ignorant outen.
    Sehe gerade, daß sie in den Siebzigern auf Muse Records drei weitere Platten veröffentlicht haben. Ähnlich empfehlenswert?

    stefane
    Track 8
    Sehr atmosphärisch, eigentlich genau mein Ding. Bass und Drums gehen auch ganz hervorragend zusammen. Weiß allerdings nicht, was ich vom Piano halten soll, das für mich den Track etwas ruiniert: irgendwie seltsam gläsern und manchmal aufgesetzt wirkend.
    Definitiv aus den Siebzigern. An den Drums könnte Jack DeJohnette sitzen.

    Schon wieder Cecil McBee am Bass.
    Wußte nicht, daß Lonnie Liston Smith einen Bruder hat, der auch Musiker ist. Der Piano-Sound gefällt mir immer noch nicht so richtig.

    stefane
    Track 9
    Toll. Seltsam und großartig, wie hier alles auseinanderstrebt, die Violine und das zweite Saiteninstrument ihr Ding durchziehen, die Congas und Percussion sich davon aber nicht beirren lassen, so daß der Groove nie versiegt.

    Immer noch toll!
    Michael White war mir bisher nur als Sideman von Pharoah Sanders geläufig.
    Sehe gerade, daß er auch an mehreren Platten von John Lee Hooker mitgewirkt hat, vermutlich über die Connection zu ABC Records, bei denen John Lee Hooker Anfang der Siebziger unter Vertrag war.
    John Lee Hooker – Settin‘ on Top of the World

    Aus John Lee Hookers 74er-Platte „Free Beer and Chicken“. Michael White ist nach ungefähr eineinhalb Minuten an der elektrischen Violine zu hören. Auch durch das Xylophon und die Kalimba ein sehr ungewöhnlich instrumentierter Bluestrack.
    Schön, solche Querverbindungen entdecken zu können.

    stefane
    Track 10
    Und es geht weiter mit einem Cello, dessen Tonspektrum ich ja sowieso liebe; dann ein Bass, trocken aufgenommen, schnalzt aber trotzdem schön.
    Fällt mir schon von der zeitlichen Einordnung ziemlich schwer.

    Abdul Wadud, auch das wieder eine echte Entdeckung.
    Finde den Track immer noch wunderbar: eine großartige Balance zwischen Sprödigkeit und ungewöhnlichem Groove.
    Schade, daß es das Album nirgends zu kaufen gibt.

    stefane
    Track 11
    Das Piano hat teils einen schönen Professor Longhair New Orleans Twist, sanft aber unaufhaltsam rollend. Auch die Bläsersätze gehen an mich. Das Schlagzeug „knallt“ mir aber etwas zu sehr.
    USA, Mitte der Siebziger, ziemlich sicher.

    Kann jetzt nach mehrmaligem Hören die Südafrika-Assoziation nachvollziehen, vor allem das Piano klingt für mich aber immer noch mehr nach New Orleans.
    Schon wieder Ron Burton am Piano, der mir schon bei Track 7 sehr gut gefallen hatte. Sehe gerade, daß er ein Mitstreiter von Rahsaan Roland Kirk war.

    stefane
    Track 12
    Schöner Solo Piano-Ausklang. Sehr variabel, manchmal verspielt, dann wieder mit viel Attacke so richtig hingelangt. Hält die Spannung über die gesamten nahezu sieben Minuten aufrecht, auch wenn der Pianist an manchen Stellen demonstrieren mußte, daß er technisch alles drauf hat.

    Kenny Barron, wäre ich auch niemals draufgekommen. Habe von ihm allerdings bisher auch nur drei Platten aus den Achtzigern („Scratch“, „1+1+1“, „What If?“).

    Nochmals mein Dank an @gypsy-tail-wind für den interessanten und lehrreichen BFT.

    --

    "Bird is not dead; he's hiding out somewhere, and will be back with some new shit that'll scare everybody to death." (Charles Mingus)
    #11088907  | PERMALINK

    demon

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    stefane
    Welche Platten von Cecil McBee, die in eine ähnlich Richtung gehen, sind denn sonst noch empfehlenswert?

    Das Album, aus dem dieser Track stammt, geht schon mal nicht in eine ähnliche Richtung…

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    #11088951  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
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    @stefane In Sachen Cecil McBee als Leader kann ich nicht weiterhelfen, ich weiss nicht, ob er mehr in der Richtung gemacht hat, wobei wie @demon ja wohl andeutet, das betreffende Album auch sehr vielseitig ist. Als Leader von ihm habe ich bloss noch die wesentlich aufgeräumtere (aber vielleicht auch bessere) „Compassion“ auf Enja (1977, auch wieder eine interessante Band: Joe Gardner, Chico Freeman, Dennis Moorman, Steve McCall, Famadou Don Moye).

    Die vier Alben der Visitors kenne ich leider alle nur digitalisiert aus der Sphäre, hab sie ewig nicht angehört, aber wenn mich meine Erinnerung nicht täuscht, sind sie recht ähnlich.

    Donald Smith hat als Sideman ein paar recht prominente Gigs abseits seines Bruders gehabt, z.B. auf „The Great Pretender“ von Lester Bowie (ein Album, das das Versprechen des Line-Ups leider aber nicht einhalten kann) oder auf zwei Black Saint-Alben von Oliver Lake. Auf dem grossartigen 3-CD-Set „Dog Years in the Fourth Ring“ von Roland Kirk (32 Jazz, kam in den späten 90ern heraus) gibt es Aufnahmen mit Tete Montoliu (1963), George Gruntz (1964), Ron Burton (1970/72), Donald Smith (1973) und Hilton Ruiz (1975), um nur die Pianisten zu nennen. ich weiss nicht, ob Smith 1973 (in Berlin, von da stammt die Aufnahme) nur als Einspringer dabei war, die offizielle Diskographie bietet ja vieles mit Burton und danach Ruiz, aber nichts mit Smith. Auf dem sehr schönen Verve-Album Kirks, „Now Please Don’t You Cry, Beautiful Edith“ von 1967 sitzt dafür Lonnie Liston Smith am Klavier (und auf „A Meeting of the Times“, Kirks wunderbarem Album mit dem Sänger Al Hibbler, gibt es noch ein Stück mit ihm).

    Die Connection von Michael White zu John Lee Hooker war mir nicht bekannt … mag letzteren zwar enorm gerne (seit meiner Kindheit eigentlich), habe aber nur zwei Alben im Regal, auf dem ersten taucht mit Dicke Wells ein anderer seltsamer Gast auf, die Band ist mit Barry Galbraith, Milt Hinton und Panama Francis auch aus Jazzern bestückt, und neben Wells guckt noch Billy Preston rein („Serves You Right to Suffer“), die andere ist die Scheibe, die bei meinem Vater im Regal steht, „Live at the Café au Go-Go“, beide von 1966, aber das Live-Album mit klassischer Blues-Band, in der Otis Spann und Muddy Waters mitwirken. Da könnte ich durchaus etwas Verstärkung gebrauchen, werde mir die Youtube-Links mal zu Gemüte führen!

    Was Abdul Wadud angeht, ich hatte es oben mal erwähnt, neben Aufnahmen mit Arthur Blythe hat er besonders häufig und von den 60ern bis in die 90er mit Julius Hemphill aufgenommen. „Dogon A.D.“ (das wunderbare International Phonograph-Reissue ist wohl nicht mehr leicht zu finden, es gab danach aber nochmal eins in Japan, glaube ich?) oder „Flat Out Jump Suite“ (Black Saint) sind Klassiker, „Coon Bid’ness“ ist auch sehr schön, „Live in New York“ (Red), „Rad Materials and Residuals“ (Black Saint) und dann das spätere „Julius Hemphill Trio Live from the New Music Cafe“ (Music&Arts) sind alle ebenfalls hörenswert. Wadud taucht aber u.a. auch bei Frank Lowe, Muhal Richard Abrams, George Lewis, James Newton etc. auf. Und er spielt auf Arthur Blyhtes Debut „The Grip“ (India Navigation – auch so ein Label, bei dem ich mir mal einige Reissues wünschen würde).

    Was ich ja noch interessant finde, darauf sind wir noch nicht wirklich eingegangen: die Plattenlabel, auf denen die Stücke erschienen. Die sind sehr unterschiedlich, von Kleinstlabeln und musikergeführten (Strata East, Mustevic, Bisharra) über damalige Marktmächte (White) und Neustarts von gestandenen Musikbusiness-Leuten, die mal weiter weg von der Bebop-Orthodoxie (Mainstream) und mal näher dran (Cobblestone, Muse) waren, zu den europäischen Independent-Label (Steeplechase, Storyville), die damals wohl noch längst nicht so grosse Kataloge am Start hatten wie heute, und schliesslich einem japanischen Label (Trio/WhyNot). Wobei ich jetzt gar nicht wusse, ob ich Mainstream nicht mit Impulse gruppieren sollte …

    MPS und Enja fehlen eher zufällig, weil ich da weniger solide ausgestattet bin bzw. die Kataloge ausufernd gross sind … bei Black Saint/Soul Note hatte ich nicht geguckt, bin mir auch gar nicht sicher, ob es dort viele Debuts gab (was für MPS und Enja auch gilt)?

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