Startseite › Foren › Kulturgut › Das musikalische Philosophicum › Retromania | ist Pop tot?
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Mal Abgesehen davon, dass Du auf Textebene eine ähnliche Arbeitsweise wie M/A/R/R/S nutzt hat Sampling als Methode erst mal gar nichts mit Retro-Phänomenen zu tun. Da du Exkurse liebst empfehle ich in diesem Zusammenhang „Ocean Of Sound“ von David Toop.
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WerbungMikko Was willst Du mir eigentlich sagen, tolo? Dass es schlechte und und gute Musik gibt, haben wir schon längst festgestellt. Mit „Retro“ oder mit Sampling hat das zunächst gar nichts zu tun. Niemand hat behauptet, Sampling sei per se ne tolle Sache. Und nicht jeder Rückgriff auf Vergangenes gelingt bzw. passt in den beabsichtigten Kontext.
Vermutlich hatte ich von deinem ‘Hauptsache es passt irgendwie’ den Eindruck, dass es für dich keine Rolle spielt, aus welchen Gründen Werke der neueren Popmusik – und sofern es das Rückbesinnen auf Pop-Historie betrifft – Zitate bzw. Samples verwenden, die nicht auf ästhetische Erwägungen zurückzuführen sind (Mashup/Bastard-Pop). Die derzeit verschollenen Innovationen innerhalb des popkulturellen Aquariums werden auf diese Weise schnell obsolet und zum Mythos degradiert. Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass es niemanden interessiert, wenn derart verwendetes Material – immer Interesse beim geneigten Rezipienten vorausgesetzt – nicht mehr oder nur schwer zu noch zu entdeckenden Quellen heranführt, was für mich wiederum stets ein wertvoller Aspekt von Zitat-Pop war und noch ist.
bullschuetzIst Sampling ein Symptom von Retro? Echt, tolo, findest Du das? Ich nicht – aber darüber ließe sich diskutieren. Oder soll die Erfindung der Sampling-Technologie gar die Geburtsstunde von Retro gewesen sein, sozusagen die Ursünde, die Wurzel allen Übels? Dem Enthüllergestus nach zu schließen, mit dem Du Dein Beispiel präsentierst, könnte man fast meinen, das ist Dein Argument. Da wären wir dann allerdings erst recht noch viel verschiedenerererererer Meinung – aber natürlich ließe sich auch darüber diskutieren. Mein Problem: Im Moment weiß ich einfach nicht, was Du sagen willst.
Ich habe nichts ‘enthüllt’ – und retro ist auch keine Sünde. PUMP UP THE VOLUME mit seinem Sampling-Wahn ist mir nur als extremes Beispiel eingefallen, wie sich Technologie auch gegen eine mögliche, zukunftsorientierte Entwicklung richten kann. Das sehr erfolgreiche Zusammenschütteln von Splittern aus früheren Musikstücken (23 unterschiedliche Samples in einem Track) sagt sowohl etwas über die Musiker, als auch über die Konsumenten dieses weltweiten No.1-Hits. Ich kann hier darüber hinaus auch nichts innovatives erkennen oder eine Hinzufügung durch Künstlerhand. Samplen kann man nur bereits vorhandenes Material. In diesem Sinne wäre Sampling retro.
atomMal Abgesehen davon, dass Du auf Textebene eine ähnliche Arbeitsweise wie M/A/R/R/S nutzt hat Sampling als Methode erst mal gar nichts mit Retro-Phänomenen zu tun.
Es geht hier nicht um mich.
Die Sampling-Methode reicht im Grunde auf etwas zurück, das man aus einem anderen Bereich der Popkultur von Brion Gysin, William Burroughs u.a. bereits kennt: Cut-up.
Samplen kann man nur bereits vorhandenes Material. Sampling ist also rückwärtsbezogen und ich finde es nicht abwegig dies als retro zu bezeichnen.
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tolomoquinkolomSamplen kann man nur bereits vorhandenes Material. In diesem Sinne wäre Sampling retro.
Wenn man nicht gerade Instrumente-Erfinder ist, kann man Musik eigentlich immer nur mit bereits vorhandenem Material machen. In diesem Sinne wäre jeder, der eine Gitarre spielt, retro. Denn wie er das tut, ist nach deiner Gleichung offenbar egal.
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Jan LustigerWenn man nicht gerade Instrumente-Erfinder ist, kann man Musik eigentlich immer nur mit bereits vorhandenem Material machen. In diesem Sinne wäre jeder, der eine Gitarre spielt, retro. Denn wie er das tut, ist nach deiner Gleichung offenbar egal.
Ja, fein. Ich gehe aber trotzdem auch weiterhin davon aus, dass du weißt, was mit ‚Material‘ gemeint ist.
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Der Gitarrist wird trotzdem so spielen, wie er es bei verschiedenen anderen Einflüssen gesehen hat. Und wenn er am Ende nicht versucht, Jimi Hendrix zu kopieren, sondern daraus sein eigenes Ding macht, ist das dennoch nicht Retro (und selbst dann nicht unbedingt). Das ist mit Sampling nicht anders. Ich würde sogar sagen, Sampling ist noch viel weniger Retro-anfällig als es das klassische Gitarre-Bass-Drums-Bandprinzip ist. Gesamplet wird nicht, um genau das selbe nochmal zu machen, sondern um daraus etwas neues zu kreieren, wohingegen Bands sich vordergründig oft erst einmal gründen, um gewissen Vorbildern nachzueifern.
Du würdest doch wohl nicht sagen, dass ein Rapper oder ein Techno-DJ, die Marvin Gaye samplen, das machen, um wie Marvin Gaye zu klingen, oder? Und was ist mit Samples aus zeitgenössischem Pop? Wenn Kendrick Lamar 2012 einen Beach-House-Track von 2010 samplet, dann ist das 2010-Retro? Natürlich nicht. Genauso wenig wie es 1978 Retro war, dass John und Damian O’Neill von den Undertones versucht haben, Gitarre zu spielen wie zwei Jahre zuvor Johnny Ramone.
Das ist nun mal alles etwas differenzierter zu betrachten, und eine vereinfachende Gleichung wie „Sampling = Wiederverwertung von bereits Vorhandenem = Retro“ bringt darum gar nichts.
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tolomoquinkolomSamplen kann man nur bereits vorhandenes Material. Sampling ist also rückwärtsbezogen und ich finde es nicht abwegig dies als retro zu bezeichnen.
.Die Kunst des Samplens besteht doch darin aus vorhandenem Material etwas Neues zu kreieren, ist also damit zukunftsweisend. So war es in Anfängen bei „Strawberry Fields Forever“, wurde verfeinert bei KLF, Coldcut und eben M/A/R/ R/S und dann perfektioniert bei „Endtroducing“. Zumindest unter technik-ästhetischen Gesichtspunkten.
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Hey man, why don't we make a tune... just playin' the melody, not play the solos...FriedrichNeineineineinein!
Du siehst hier ein paar Posen und nimmst sie für die ganze Wahrheit: zumindest ABC und Spandau Ballet waren aufrechte Labour-Anhänger. SB gaben sich sogar richtig kämpferisch und ABC äußerten sich auf ihrem zweiten Album auch explizit zur politischen Situation im UK. Mit den PSB war’s nicht anders, das sind ja richtige Pop-Intellektuelle. Nur weil man gut gekleidet ist und sich cool gibt, heißt das noch nicht, dass man ein herzloser Neoliberaler ist. Ich denke gerade bei Spandau Ballett – vielleicht auch bei Paul Weller – war das eher Ausdruck eines demonstrativ zur Schau getragenen Arbeiterklassen-Stolzes.
Der Zusammenhang zwischen Neoliberaler Politik und Pop ist – wenn überhaupt! – dann doch komplizierter. Aber was hat das mit Retro zu tun?
Für die popkulturelle Einschätzung ist doch wohl die (sicherlich kalkulierte) Wahrnehmung durch die breite Masse maßgeblich. „Haus am See“ von Peter Fox z.B. wird überwiegend als ironiefreie Glorifizierung des bürgerlichen Lebens wahrgenommen. Nur wenige machen sich die Mühe, den Text in Gänze zu erfassen.
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tolomoquinkolomSamplen kann man nur bereits vorhandenes Material. Sampling ist also rückwärtsbezogen und ich finde es nicht abwegig dies als retro zu bezeichnen.
Das Tramen-Break als Retroveranstaltung? Absurd. Aber das ist eben das Verführerische an dem schwammigen Wort Retro, es lässt sich so phantasievoll handhaben und es passt dann ja auch jedesmal irgendwie.
Jetzt also beim Sampling. Was wird denn als nächstes unter Retroverdacht gestellt? 50s-Rock`n´Roll? Komm schon tolo, das war doch eine einzige Retroparty, verschnarchten Country und bösen Blues zu verschmelzen.
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I hunt alone
AnonymInaktivRegistriert seit: 01.01.1970
Beiträge: 0
Danke, Jan Lustiger, atom und Genosse Schulz, für die Klarstellungen zur These „Sampling = Retro“, die mir auch extrem unhaltbar vorkommt.
Jede Musik, auch „neue“, „innovative“, entsteht in Anknüpfung an und Auseinandersetzung mit vorhandenen Musiziertraditionen, soweit, denke ich, dürfte Einigkeit bestehen. Und nun ist die Frage, ob Sampling hier neue Exzess-Maßstäbe des Rückbesinnungswahns setzt – dieser Sicht scheinst Du zuzuneigen, tolo, und ich will begründen, warum ich das für falsch halte.
Tolo, bei Dir scheint mir eine vereinseitigte Wahrnehmung des Sampling-Phänomens zu greifen, wenn Du Sampling als irgendwie stärker vergangenheitsbezogen und weniger „kreativ“, also weniger „Eigenleistung“ erfordernd deutest als andere Musizierweisen. Sampling ist doch im Vergleich zur traditionell per Nachmusizieren realisierten Übernahme von Vorhandenem schlicht eine produktionstechnisch andere („neue“ und damit Innovationen geradezu ermöglichende) Art, Vorhandenes zu verwenden, zu bearbeiten und in neue Kontexte zu stellen. Wenn wir von „Übernahme“ oder „Zitat“ reden, wird das deutlicher: Es geht immer darum, Melodien zu übernehmen oder zu zitieren, Textbrocken, Instrumentierungsdetails, Genre-Stilistiken – und man kann das auf verschiedene Art tun; indem man sie zum Beispiel selber neu einsingt und einspielt (wie das Bob Dylan, in den 60er-Jahren als bedeutender Innovator gefeiert, von Anfang an exzessiv getan hat) oder indem man in einem Tonstudio aufgenommene Partikel ausschneidet, in Tempo und Tonhöhe verändert und in neue Kontexte setzt. Strukturell ist das Vorgehen gleich, nur das produktionstechnische Handwerk unterscheidet sich. Wenn Kanye West ein Bläserriff aus Curtis Mayfields „Move on up“ aufnimmt, entschleunigt, mit neuen Beats, neuem Text und neuer Songstruktur zusammenbringt, ist das nicht mehr oder weniger „Retro“, als wenn Bob Dylan in „Song to Woody“ eine Woody-Guthrie-Melodie verwendet. Die produktionstechnische Art der Übernahme (musizierhandwerklicher Nachvollzug oder Nutzung studiotechnischer Apparaturen) sagt überhaupt nichts aus über den Grad der dabei eingesetzten kreativen Eigenleistung – wäre es anders, müsste man ja eine Coverband (spielt selber statt zu sampeln) für kreativer, eigenständiger, weniger retro halten als jeden HipHop-Act. Letztlich würde man damit bei der Idee landen, dass „das gute alte Rockhandwerk“ irgendwie „echter“, wertvoller, authentischer sei als das kreative Jonglieren mit den avancierten Möglichkeiten moderner Technologien – willst Du das echt so sehen, tolo?
Ich wage die Gegenthese, dass der Siegeszug des Samplings, erleichtert durch technologische Innovationen, in der Popmusik der 80er-Jahre einen enormen Innovationsschub ausgelöst hat. Und schon davor wurde Sampling (damals noch technisch schwieriger zu realisieren und deshalb kein in der breiten Musikszene eingesetztes Verfahren) in der Avantgarde, musique concrete zum Beispiel, erprobt. Es handelte sich historisch also nicht um eine Retro-Technologie, sondern um das genaue Gegenteil: einen Innovationshebel.
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Zustimmung!
Gegenbeispiel oder Grenzfälle im Retro-Verdacht wäre wenn längere Passagen übernommen werden. Wie z.B. Madonnas ‚Hung up‘, das sich kalkuliert in Abba’s Sonnenstrahlen sonnt, aber dann doch was neues draus macht.
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~ Mut ist, zu wissen, dass es weh tun kann und es trotzdem zu tun. Dummheit ist dasselbe. Und deswegen ist das Leben so schwer. ~bullschuetz
…
Wenn wir von „Übernahme“ oder „Zitat“ reden, wird das deutlicher: Es geht immer darum, Melodien zu übernehmen oder zu zitieren, Textbrocken, Instrumentierungsdetails, Genre-Stilistiken – und man kann das auf verschiedene Art tun; indem man sie zum Beispiel selber neu einsingt und einspielt (wie das Bob Dylan, in den 60er-Jahren als bedeutender Innovator gefeiert, von Anfang an exzessiv getan hat) oder indem man in einem Tonstudio aufgenommene Partikel ausschneidet, in Tempo und Tonhöhe verändert und in neue Kontexte setzt. Strukturell ist das Vorgehen gleich, nur das produktionstechnische Handwerk unterscheidet sich. Wenn Kanye West ein Bläserriff aus Curtis Mayfields „Move on up“ aufnimmt, entschleunigt, mit neuen Beats, neuem Text und neuer Songstruktur zusammenbringt, ist das nicht mehr oder weniger „Retro“, als wenn Bob Dylan in „Song to Woody“ eine Woody-Guthrie-Melodie verwendet.
…Auch Woody Guthrie hat schon exzessiv auf bereits vorhandene Melodien zurückgegriffen, er hat sogar Melodien mehrfach verwendet, aber immer wieder einen anderen Text dazu geschrieben.
Strukturell sehe ich da aber schon einen erheblichen Unterschied zum Sampling. Das Nachspielen mit Instrumenten ist ja noch keine Kopie. Höchstens in Extremfällen, wenn das Original haargenau nachgespielt werden soll. Ein Sample ist hingegen ja schon eine Kopie, die dann aber in einen anderen Kontext gesetzt wird etc. …(wie schon erläutert).Aber was hat das mit retro zu tun?
Ich möchte mal den Begriff Vintage- Style in die Runde werfen, der ist vielleicht etwas griffiger als retro.--
life is a dream[/SIZE]atomDie Kunst des Samplens besteht doch darin aus vorhandenem Material etwas Neues zu kreieren, ist also damit zukunftsweisend. So war es in Anfängen bei „Strawberry Fields Forever“, wurde verfeinert bei KLF, Coldcut und eben M/A/R/R/S und dann perfektioniert bei „Endtroducing“. Zumindest unter technik-ästhetischen Gesichtspunkten.
Jan LustigerIch würde sogar sagen, Sampling ist noch viel weniger Retro-anfällig als es das klassische Gitarre-Bass-Drums-Bandprinzip ist. Gesamplet wird nicht, um genau das selbe nochmal zu machen, sondern um daraus etwas neues zu kreieren, wohingegen Bands sich vordergründig oft erst einmal gründen, um gewissen Vorbildern nachzueifern. Das ist nun mal alles etwas differenzierter zu betrachten, und eine vereinfachende Gleichung wie „Sampling = Wiederverwertung von bereits Vorhandenem = Retro“ bringt darum gar nichts.
bullschuetz Jede Musik, auch „neue“, „innovative“, entsteht in Anknüpfung an und Auseinandersetzung mit vorhandenen Musiziertraditionen, soweit, denke ich, dürfte Einigkeit bestehen. Und nun ist die Frage, ob Sampling hier neue Exzess-Maßstäbe des Rückbesinnungswahns setzt – dieser Sicht scheinst Du zuzuneigen, tolo, und ich will begründen, warum ich das für falsch halte.
Tolo, bei Dir scheint mir eine vereinseitigte Wahrnehmung des Sampling-Phänomens zu greifen, wenn Du Sampling als irgendwie stärker vergangenheitsbezogen und weniger „kreativ“, also weniger „Eigenleistung“ erfordernd deutest als andere Musizierweisen. Sampling ist doch im Vergleich zur traditionell per Nachmusizieren realisierten Übernahme von Vorhandenem schlicht eine produktionstechnisch andere („neue“ und damit Innovationen geradezu ermöglichende) Art, Vorhandenes zu verwenden, zu bearbeiten und in neue Kontexte zu stellen. Wenn wir von „Übernahme“ oder „Zitat“ reden, wird das deutlicher: Es geht immer darum, Melodien zu übernehmen oder zu zitieren, Textbrocken, Instrumentierungsdetails, Genre-Stilistiken – und man kann das auf verschiedene Art tun; indem man sie zum Beispiel selber neu einsingt und einspielt (wie das Bob Dylan, in den 60er-Jahren als bedeutender Innovator gefeiert, von Anfang an exzessiv getan hat) oder indem man in einem Tonstudio aufgenommene Partikel ausschneidet, in Tempo und Tonhöhe verändert und in neue Kontexte setzt. Strukturell ist das Vorgehen gleich, nur das produktionstechnische Handwerk unterscheidet sich. Wenn Kanye West ein Bläserriff aus Curtis Mayfields „Move on up“ aufnimmt, entschleunigt, mit neuen Beats, neuem Text und neuer Songstruktur zusammenbringt, ist das nicht mehr oder weniger „Retro“, als wenn Bob Dylan in „Song to Woody“ eine Woody-Guthrie-Melodie verwendet. Die produktionstechnische Art der Übernahme (musizierhandwerklicher Nachvollzug oder Nutzung studiotechnischer Apparaturen) sagt überhaupt nichts aus über den Grad der dabei eingesetzten kreativen Eigenleistung – wäre es anders, müsste man ja eine Coverband (spielt selber statt zu sampeln) für kreativer, eigenständiger, weniger retro halten als jeden HipHop-Act. Letztlich würde man damit bei der Idee landen, dass „das gute alte Rockhandwerk“ irgendwie „echter“, wertvoller, authentischer sei als das kreative Jonglieren mit den avancierten Möglichkeiten moderner Technologien – willst Du das echt so sehen, tolo?
Ich wage die Gegenthese, dass der Siegeszug des Samplings, erleichtert durch technologische Innovationen, in der Popmusik der 80er-Jahre einen enormen Innovationsschub ausgelöst hat. Und schon davor wurde Sampling (damals noch technisch schwieriger zu realisieren und deshalb kein in der breiten Musikszene eingesetztes Verfahren) in der Avantgarde, musique concrete zum Beispiel, erprobt. Es handelte sich historisch also nicht um eine Retro-Technologie, sondern um das genaue Gegenteil: einen Innovationshebel.
Sampling: Tool, Fälschung, Kopie, Innovation, Rückwärtsschub, Retro?
Es ist amüsant, dass Leute, die auf sog. Authentizität von Musik bzw. der von Künstlern großen Wert legen, gleichzeitig von den Möglichkeiten der Sampling-Technik schwärmen (ich beziehe mich bei dieser Beobachtung auf mein persönliches Umfeld, denn mir ist natürlich nicht bekannt, wie sich das im Forum verhält).
Zitat-Pop, Vintage und Retro sind unterschiedliche Dinge. Über die Notwendigkeit der Verarbeitung zurückliegender popkultureller Einflüsse im Zitat-Pop muss nicht viel diskutiert werden. Vintage ist ein leidlicher, sehnsüchtiger, nostalgischer An- oder Einfall. Retro hat mit Vergangenheit und Erinnerung zu tun und enthält mindestens ein Element der exakten Wiederholung, die eine Nachbildung eines alten Stils erst erlaubt. Ein Merkmal von Retro-Künstlern ist es, nicht zitiert zu werden; man hält sich an die Originale.
Sampling ist Rückgriff (und in diesem Sinne retro). Eher Zapping-Tool der Künstlichkeit als der Kunst. Mehr Trödelladen als Kreativ-Workshop. Beim Sampling wird von den Hervorbringern nichts real nachgespielt bzw. interpretiert – wie es z.B. beim nacheifern junger Künstler oder Bands ihrer Vorbilder der Fall ist -, sondern bereits fertiges Material, also vorhandene und vorrätige Artefakte (Stimme, Instrument, Musikstück, Excerpt) zurückliegender Pop-Historie kopiert und dupliziert. Künstlerisches Handwerk oder Handschrift haben keinerlei Bedeutung (nicht nur die Cut- & Mix-Technik im Hip-Hop kommt aus musikalischer Sicht ohne besondere handwerkliche Geschicklichkeit aus). Der Unterschied liegt also in der Aneignung.
Wenn es eine Art Kunst ist, dann – nach Meinung von Diedrich Diederichsen – eine der Reproduktion und damit auch der Fälschung. Für Zitiermaschinisten (Sampling-Künstler) geht es darum, sich mit Hilfe von Archivmaterial und daraus herausfiletierten Schnipseln – also den künstlerischen Hervorbringungen anderer – in die Welt hineinzumontieren. Das Selbstverständnis des Künstlers in der Popkultur, der aus sich selbst schöpfend, eigenverantwortlich und kreativ vorgeht, hat sich damit und mit Hilfe neuer digitaler Möglichkeiten, wenn nicht erledigt, so doch radikal verändert. Sampling bzw. bloße Veränderung der Anordnung der Splitter allein reicht jedoch nicht aus. Kreativ Neues entstünde erst durch ein anderes, vom Künstler selbst hinzugefügtes Element und zwar eines ohne pophistorische Vergangenheit – eben ein neues.
Ein weiterer Aspekt im Zusammenhang mit Innovation, Ästhetik, Kreativität, Klangvielfalt, der Sampling-Technik und elektronischer Popmusik wäre die digitale Klangerzeugung als perfektes Imitat anderer, nichtelektronischer Instrumente. Im Sampling-Land der Fälschungen, Simulationen und Illusionen entsteht mittels Software-Emulation mit Hilfe eines Keyboard-Interface z.B. ein Saxophon-Solo oder auf Tastendruck auch schon mal eine komplette Holzbläser-Sektion oder gleich ein ganzes virtuos ‘aufspielendes’ Fake-Orchester. Samplings dieser Art begegnet man in vielen Werken unterschiedlichster Musikstile – meist ohne es überhaupt noch zu bemerken. Die Nachahmung scheint perfekt und mit Physical Modelling werden Dinge wie Gehäuseresonanz, Einschwingung, Anschlagstärke u.ä. künstlich erzeugt, um der musikalischen Genusserfahrung zu genügen. Illusion tritt an die Stelle der Innovation und als nächstes sind die Interpreten fällig. Ich kann schon die Frage hören: wieso ist das wichtig und wen interessiert das?
Klick! Klick!.
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tolomoquinkolomEs ist amüsant, dass Leute, die auf sog. Authentizität von Musik bzw. der von Künstlern großen Wert legen, gleichzeitig von den Möglichkeiten der Sampling-Technik schwärmen (ich beziehe mich bei dieser Beobachtung auf mein persönliches Umfeld, denn mir ist natürlich nicht bekannt, wie sich das im Forum verhält).
Ich lege überhaupt keinen Wert auf die „sog. Authentizität“, weil sie kein Qualitätsmerkmal ist und jede Kunst sich inszeniert. Und eigentlich solltest du wissen, dass das Pochen auf Authentizität bei einem nicht unbeachtlichen Anteil des Forums eher verpönt ist.
tolomoquinkolomRetro hat mit Vergangenheit und Erinnerung zu tun
Dann muss man etwas erlebt haben, um Retro sein zu können? Dann kann eine Band von 20-jährigen, die gezielt versucht, wie die Beatles zu klingen, also gar nicht Retro sein, weil sie sich gar nicht an die 60er erinnern können? Direkt gefragt: Meintest du das eher im Sinne von „und/oder“ oder siehst du das wirklich aneinander gekoppelt?
tolomoquinkolomSampling ist Rückgriff (und in diesem Sinne retro).
Das hatten wir schon mal. Sich an Dur- und Moll-Akkorde zu halten, ist auch ein Rückgriff. Das Strophe-Refrain-Prinzip ist Rückgriff. Die Gitarre-Bass-Drums-Band ist Rückgriff. Rückgriff auf Etabliertes. Wenn du es dir so einfach machst, treibst du den Retro-Begriff noch weiter ins Absurde, als er es ohnehin schon ist.
tolomoquinkolomEher Zapping-Tool der Künstlichkeit als der Kunst.
Wenn Künstlichkeit und Kunst gegeneinander ausgespielt werden, wird’s ein wenig lächerlich, sorry. Das kannst du eigentlich nur rechtfertigen, wenn du wieder die Relevanz von Authentizität ins Spiel bringst, über die du dich zu Beginn deines Posts bereits erfolglos lustig gemacht hast.
tolomoquinkolomKünstlerisches Handwerk oder Handschrift haben keinerlei Bedeutung (nicht nur die Cut- & Mix-Technik im Hip-Hop kommt aus musikalischer Sicht ohne besondere handwerkliche Geschicklichkeit aus).
Und hier werden handwerkliche Geschicklichkeit und künstlerisches Handwerk zusammengeworfen. Kreativität lässt du völlig außen vor. Denn natürlich hat es mit künstlerischer Geschicklichkeit (!) zu tun, Samples kreativ zu nutzen. Oder hältst du Sampling für prinzipiell unkreativ?
tolomoquinkolomZitiermaschinisten
Mit dem Begriff wäre ich bei deiner Post-Historie in diesem Thread vorsichtig.
tolomoquinkolomKreativ Neues entstünde erst durch ein anderes, vom Künstler selbst hinzugefügtes Element und zwar eines ohne pophistorische Vergangenheit – eben ein neues.
Du meinst, so wie es der vom Sampling stark geprägte Hip Hop war? Keiner hat behauptet, dass Sampling immer und überall innovativ und kreativ ist. Mit absoluten Aussagen (Sampling = Rückgriff = Retro) wirfst nur du um dich.
Dein Zitat meines Posts ist übrigens um wichtige Stellen gekürzt worden, ohne dass du die Kürzungen gekennzeichnet hast. So wie es dasteht, habe und hätte ich es nicht geschrieben; du hast eine (eher beiläufige) Aussage und das Fazit genommen und den argumentativen Unterbau weggelassen. Grobes Foul.
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tolomoquinkolom
Die Nachahmung scheint perfekt und mit Physical Modelling werden Dinge wie Gehäuseresonanz, Einschwingung, Anschlagstärke u.ä. künstlich erzeugt, um der musikalischen Genusserfahrung zu genügen. Illusion tritt an die Stelle der InnovationWer heute noch eine echte Hammond B3 spielen will, ist „retro“.
Wer aber den Sound der B3 elekronisch nachahmt, ist ein Fälscher.
Ich fürchte, dir kann man auch gar nix recht machen…--
Software ist die ultimative Bürokratie.
AnonymInaktivRegistriert seit: 01.01.1970
Beiträge: 0
Nana, ich finde Deine Überlegungen schon interessant, sonst würde ich ja nicht immer wieder mal antworten. Ich glaube bloß, dass Du falsch liegst. Ich versuche mich mal an Deinen Zitaten abzuarbeiten, um die Unterschiede kenntlich zu machen.
tolomoquinkolomÜber die Notwendigkeit der Verarbeitung zurückliegender popkultureller Einflüsse im Zitat-Pop muss nicht viel diskutiert werden.
Nein, das greift mir viel zu kurz – aus meiner Sicht wäre es so richtiger: „Über die Notwendigkeit der Verarbeitung zurückliegender Einflüsse in der Kunst muss nicht viel diskutiert werden. Wenn man das mal akzeptiert, merkt man, wie die theoretisch so hübsch saubere Trennung zwischen „Rückwärtsgewandtheit“ und „Innovation“ anfängt zu verschwimmen.
tolomoquinkolomSampling ist Rückgriff (und in diesem Sinne retro). Eher Zapping-Tool der Künstlichkeit als der Kunst. Mehr Trödelladen als Kreativ-Workshop. Beim Sampling wird von den Hervorbringern nichts real nachgespielt bzw. interpretiert (wie es z.B. beim nacheifern junger Künstler oder Bands ihrer Vorbilder der Fall ist), sondern bereits fertiges Material, also vorhandene und vorrätige Artefakte (Stimme, Instrument, Musikstück, Excerpt) zurückliegender Pop-Historie kopiert und dupliziert. Künstlerisches Handwerk oder Handschrift haben keinerlei Bedeutung (nicht nur die Cut- & Mix-Technik im Hip-Hop kommt aus musikalischer Sicht ohne besondere handwerkliche Geschicklichkeit aus).
Das kommt mir wie pure Polemik vor und obendrein falsch. Dass nicht „real“ nachgespielt wird durch Saitenanschlagen, Pianotastendrücken oder Trommelbehämmern, ist natürlich richtig. Aber was sagt das aus?
Und dass beim Sampeln nur „kopiert und dupliziert“ wird, ist, mit Verlaub, Stuss. Es wird verändert, gepitcht, de- und rekontextualisiert, kombiniert, geschnitten, montiert, da werden Tonhöhen und damit Klangcharakteristika verändert, Geschwindigkeiten und damit Groove-Charakteristika manipuliert, da wird aus herausgeschnittenen Schnipseln etwas völlig anderes als das, was im Ursprungszusammenhang zu hören war. Dass man dazu keine handwerkliche Geschicklichkeit braucht, bezweifle ich aus meiner eigenen, durchaus von Dilettantismus geprägten Erfahrung. Vor allem aber: Ist nur Kunst, was unter Aufwendung handwerklicher Geschicklichkeit hergestellt wird? Es kommt doch wohl auf andere Dinge an. Im Fall Sample zum Beispiel: Rhythmusgefühl, Stilgefühl, Groove-Kompetenz, Vision, Ideenreichtum, Kompetenz beim Sich-Zurechtfinden im riesigen Archiv der Möglichkeiten. Man nehme bloß mal „Eye know“ von de La Soul. Die Art, wie da aus einer gepfiffenen Melodielinie von Otis Redding etwas herausgeschnitten und durch Loop-Technik zu etwas ganz anderem gemacht wird, während doch noch das Ursprungsmaterial erkennbar und dadurch ein Traditionsbezug, eine bewusste Einordnung in die schwarze Musikgeschichte transparent gemacht wird … Die Art, wie da ein Steely-Dan-Bläserriff genutzt wird, Material also aus einem ganz anderen Stil-Universum … Die Art, wie ein halbes Dutzend weitere Tracks aus dem Soul-Genre mit hineingeschraubt werden, die aber, oh Wunder, sensationell zusammengrooven und ein Werk wie aus einem Guss ergeben … Das ist von großer Raffinesse und großem Geschichtsbewusstsein – und gleichzeitig: Wer wollte ernsthaft behaupten, dass das nicht innovativ ist, dass da nicht eine ganz neue Nummer draus erwachsen ist, dass da kein handwerkliches Können wirkt (von der Sample-Montage bis zum virtuosen Rap, der drübergelegt ist), dass da keine hochindividuelle künstlerische Handschrift erkennbar wird?tolomoquinkolomWenn es eine Art Kunst ist, dann – nach Meinung von Diedrich Diederichsen – eine der Reproduktion und damit auch der Fälschung. Für Zitiermaschinisten (Sampling-Künstler) geht es darum, sich mit Hilfe von Archivmaterial und daraus herausfiletierten Schnipseln – also den künstlerischen Hervorbringungen anderer – in die Welt hineinzumontieren.
Wieder Polemik, diesmal auch noch moralinsauer („Fälschung!“).
tolomoquinkolomDas Selbstverständnis des Künstlers in der Popkultur, der aus sich selbst schöpfend, eigenverantwortlich und kreativ vorgeht, hat sich damit und mit Hilfe neuer digitaler Möglichkeiten, wenn nicht erledigt, so doch radikal verändert.
Erledigt? Halte ich für Unsinn. Radikal verändert? Darüber kann man streiten. Aber: Wenn sich das Selbstverständnis des Künstlers dank neuer digitaler Möglichkeit radikal verändert, wie Du sagst – dann wäre das doch genau, was ich gesagt habe: Ein Innovationshebel. Neue Möglichkeiten, die zu radikalen Veränderungen führen: Nicht gerade die Definition von Retro, oder? Entsprechend abweisend haben viele Vertreter der alten Popschule, viele Fans der guten alten handgemachten Ropckmucke damals auf die Heraufkunft von Hip-Hop reagiert. Stichwort: „Ist doch keine Musik mehr …“ Denen war das defintiv viel zu innovativ.
tolomoquinkolomSampling bzw. bloße Veränderung der Anordnung der Splitter allein reicht jedoch nicht aus. Kreativ Neues entstünde erst durch ein anderes, vom Künstler selbst hinzugefügtes Element und zwar eines ohne pophistorische Vergangenheit – eben ein neues.
Was wäre denn ein „Element ohne pophistorische Vergangenheit“? Also, mir fällt da auf die Schnelle nicht viel ein – da könnte man wohl allenfalls bei Scott Walker fündig werden (aber selbst da habe ich heftigste Zweifel). Aber den findest Du ja auch wieder nicht gut. Abgesehen davon: Wollte irgendwer bezweifeln, dass zum Beispiel „Eye Know“ kreativ Neues bietet, von den Künstlern selbst hinzugefügte Elemente?
Zusammengefasst: Deinen Fundamentalverdacht gegen das Sampling finde ich nach näherem Nachdenken noch abwegiger als am Anfang. Aber danke für die provokative und damit inspirierende These. Und das ist keine Ironie!
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