Lesefrüchte

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  • #8674655  | PERMALINK

    hal-croves
    אור

    Registriert seit: 05.09.2012

    Beiträge: 4,617

    Schreckensnachrichten über China.

    Die Gesandten ermordet, der Kaiser von China getödtet, die Kaiserin-Mutter zum Selbstmord gezwungen, alle Fremden in Peking massacriert, drei Reden Wilhelms II.

    (Die Fackel: Nr. 47, Mitte Juli 1900, S. 30)

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    "Edle, freie Unbefangenheit bei Allem. ... Alle übrigen Vollkommenheiten sind der Schmuck unsrer Natur; sie aber ist der der Vollkommenheiten selbst. ... Sie ist mehr als Leichtigkeit, sie geht bis zur Kühnheit: sie setzt Ungezwungenheit voraus und fügt Vollkommenheit hinzu. Ohne sie ist alle Schönheit todt, alle Grazie ungeschickt: sie ist überschwenglich, geht über Tapferkeit, über Klugheit, über Vorsicht, ja über Majestät." (Baltasar Gracián) =>mehr<=
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    #8674657  | PERMALINK

    natsume

    Registriert seit: 24.07.2005

    Beiträge: 5,562

    Absurde Konfrontation zwischen dem aufgebrachten „Pöbel“ und Mitgliedern der
    Bürgerschaft in Lübeck während der 48er Revolution:[INDENT]
    „Corl Smolt!“ fing der Konsul [Buddenbrook] wieder an,
    indem er seine kleinen, tiefliegenden Augen auf einen etwa
    22jährigen Lagerarbeiter mit krummen Beinen richtete, der,
    die Mütze in der Hand und den Mund voll Brot, unmittelbar
    vor den Stufen stand. „Nu red‘ mal, Corl Smolt! Nu is‘ Tiet!
    Ji heww hier den leewen langen Nachmiddag bröllt…“[INDENT]“Je, Herr Kunsel…“, brachte Corl Smolt kauend hervor.
    „Dat’s nu so’n Saak … öäwer … Dat is nu so wied… Wi maaken
    nu Revolutschon.“[INDENT]“Wat’s dat för Undög, Smolt!“
    [INDENT]“Je, Herr Kunsel, dat seggen Sei woll, öäwer dat is nu so
    wied… wi sünd nu nich mihr taufreeden mit de Saak. … Wie
    verlangen nu ne anner Ordnung, un dat is ja ook gor nich mihr,
    daß dat wat is…“[INDENT]“Hür mal, Smolt, un ihr annern Lüd! Wer nu’n verstännigen
    Kierl is, der geht naa Hus un scheert sich nich mihr um Revolution
    und stört hier nich de Ordnung…“[INDENT]“Die heilige Ordnung!“ unterbrach Herr Gosch ihn zischend…
    „De Ordnung, seg ick!“ berschloß Konsul Buddenbrook. „Nicht
    mal die Lampen sind angezündet… Dat geiht denn doch tau wied
    mit de Revolution!“[INDENT]Corl Smolt aber hatte nun seinen Bissen verschluckt und, die
    Menge im Rücken, stand er breitbeinig da und hatte seine Einwände…[INDENT]“Je, Herr Kunsel, dat seggen Sei woll! Öäwer dat is man bloß
    wegen das allgemeine Prinzip von dat Wahlrecht…“[INDENT]“Großer Gott, du Tropf!“ rief der Konsul und vergaß, platt zu
    sprechen vor Indignation… „Du redest ja lauter Unsinn…“[INDENT]“Je, Herr Kunsel“, sagte Corl Smolt ein bißchen eingeschüchtert;
    „dat is nu alles so as dat is. Öäwer Revolutschon mütt sien, dat is tau
    gewiß. Revolutschon is öwerall, in Berlin und in Poris…“[INDENT]“Smolt, wat wull Ji nu eentlich! Nu seggen Sei dat mal!“
    „Je, Herr Kunsel, ick seg man bloß: wi wull nu ’ne Republik, seg

    ick man bloß…“[INDENT]“Öwer du Döskopp… Ji heww ja schon een!“

    [INDENT]“Je, Herr Kunsel, denn wull wi noch een.“

    (Thomas Mann, Buddenbrooks: Verfall einer Familie, 1901)

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    #8674659  | PERMALINK

    hal-croves
    אור

    Registriert seit: 05.09.2012

    Beiträge: 4,617

    Aus Ferdinand Lassalles Rede:
    Die Feste, die Presse und der Frankfurter Abgeordnetentag.
    »Ich habe Euch gezeigt, dass das Verderben der Presse mit Nothwendigkeit daraus hervorgieng, dass sie unter dem Vorwand, geistige Interessen zu verfechten, durch das Annoncenwesen zu einer industriellen Geldspeculation wurde. Es handelt sich also nur darum, diese beiden Dinge zu trennen, die ja auch nichts miteinander zu thun haben …
    In einem socialdemokratischen Staate muss also ein Gesetz gegeben werden, welches jeder Zeitung verbietet, irgendeine Annonce zu bringen.«

    (Die Fackel: Nr. 49, Anfang August 1900, S. 16)

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    "Edle, freie Unbefangenheit bei Allem. ... Alle übrigen Vollkommenheiten sind der Schmuck unsrer Natur; sie aber ist der der Vollkommenheiten selbst. ... Sie ist mehr als Leichtigkeit, sie geht bis zur Kühnheit: sie setzt Ungezwungenheit voraus und fügt Vollkommenheit hinzu. Ohne sie ist alle Schönheit todt, alle Grazie ungeschickt: sie ist überschwenglich, geht über Tapferkeit, über Klugheit, über Vorsicht, ja über Majestät." (Baltasar Gracián) =>mehr<=
    #8674661  | PERMALINK

    hal-croves
    אור

    Registriert seit: 05.09.2012

    Beiträge: 4,617

    Vorbemerkung: Der folgende Artikel ist nicht nur aus verschiedenerlei Gründen interessant und von (auch aktueller) Relevanz, sondern zeigt außerdem mit manchmal schmerzlicher Deutlichkeit, dass Karl Kraus keineswegs immer ein verlässlicher Leuchtturm progressiver Humanität war, sondern gelegentlich auch Anzeichen von kaltschnäuzigem Wohlstandschauvinismus aufwies. Manchen früheren Artikel habe ich hier nicht gepostet, weil der geradezu verächtliche Antizionismus, der darin zum Ausdruck kam (Kraus vertrat mit Vehemenz die Forderung nach Assimilation der Juden, die er selbst als kaisertreuer Patriot praktizierte), nach Auschwitz keinen Bezug mehr findet. Hier dagegen zeigt er sich mit seiner Abwehrhaltung gegen (ostjüdische) Armutsflüchtlinge sozusagen ganz „postmodern“, und die abschließende Sottise gegen Theodor Herzl ist durchaus amüsant und hat auch letztlich den Ausschlag für mich gegeben, diesen Artikel hier zu posten.

    Als um Mitte Juni die Scharen jüdischer Paupers und Militärflüchtlinge aus Rumänien nach dem Westen zu ziehen begannen, gerieth die Bevölkerung aller civilisierten Länder in Unruhe. Einmüthig forderte die Presse in England, Canada, Argentinien die Regierungen auf, zur Abwehr solchen Zuzugs wirksame Maßregeln zu ergreifen; und die diplomatischen Vertretungen der Vereinigten Staaten von Nordamerika wurden beauftragt, die Bestimmungen, die die Landung derartiger Auswanderer an den nordamerikanischen Küsten verbieten, in den osteuropäischen Blättern neuerlich zu publicieren. Erinnerte man sich doch allenthalben und zumeist in England, dem Land des freien Asyls, der verderblichen Wirkungen, die sich vor einigen Jahren aus der Zulassung der russischjüdischen Emigranten ergeben haben. Der englische Arbeiter forderte Schutz gegen eine neue Bedrohung seiner wirtschaftlichen Lage, und den Hütern des moralischen standard des englischen Volkes klangen die Worte im Ohr, die wenige Monate, nachdem die russischen Juden im Osten Londons sesshaft geworden waren, ein hervorragender englischer Richter in öffentlicher Sitzung zu sprechen sich bemüssigt sah: dass Verbrechen, die England seit Jahrzehnten fremd geworden seien, sich gegenwärtig auf der Tagesordnung des Gerichtshofs befänden.
    Unmittelbarer als die Seestaaten war Oesterreich durch die Auswanderung aus Rumänien bedroht, und uns Westösterreichern, die durch den galizischen Pauperismus so viel zu leiden haben, musste es doch klar sein, dass fremde Paupers im Reiche keine Aufnahme finden dürfen. Einmüthig, hätte man erwarten sollen, würde also unsere Presse verlangen, dass man die rumänischen Juden die Grenze nicht überschreiten lasse, sie wiesen denn zuvor nach, dass sie die Monarchie ohne Aufenthalt passieren werden. Aber wer von unserer liberalen Presse solches erwartet hat, hatte vergessen, dass Schmocks Nachkommen nicht nur die Gesinnungslosigkeit und Unbildung, sondern auch die Sentimentalität des Ahnherrn eignet. Immer wieder bestimmt ihr warmes Gefühl ihr Urtheil über die Ereignisse. Als im letzten Winter hunderttausend österreichische Kohlengräber heroisch litten, welche Unsummen haben sich’s da die Unternehmer kosten lassen müssen, um die liberale Presse zu bestimmen, dass sie ihr Gefühl schweigen heiße und nüchtern die wirtschaftlichen Folgen erwäge, die sich aus der Gewährung der Forderungen der Strikenden ergeben würden. Angesichts der Leiden der rumänischen Auswanderer aber war Schmock nicht zu halten: hier war nicht nur sein Menschenherz verletzt; sein jüdisches Gewissen bäumte sich auf, und die rumänische Regierung hatte es zu büßen, dass sie ihm nicht rechtzeitig goldene Zügel angelegt hatte. Die Pinsel, die Leitartikel und Economist schreiben, malten Grau in Grau Rumäniens politische und financielle Lage, der locale Theil wiederhallte von Seufzern und Stöhnen über das klägliche Schauspiel, das die Lager der Auswanderer boten, und die Kritiker drohten mit Repressalien an den Dichtungen der Königin von Rumänien. Der strafende Satiriker Julius Bauer stieß mit seinen platten Versfüßen nach der fürstlichen Dichterin, die er wie alte Hofschauspieler bisher »über ihre Kräfte gelobt« hatte. Carmen Sylva aber begann für das Schicksal ihres nächsten Werkes zu zittern.
    Spät genug erinnerte sich die österreichische Regierung ihrer Pflicht und traf Anstalten, die rumänischen Einwanderer von Wien abzuschaffen. Schon wollte die liberale Presse diese Maßnahmen als Ausfluss antisemitischer Gesinnung rügen, als sie rechtzeitig erfuhr, dass erst die Energie, mit der die liberale ungarische Regierung gegen die rumänischen Juden vorgieng, der unseren Muth gemacht hatte. Da hieß es schweigen. Und auch die letzten Empörungsrufe verstummten, als fast zur selben Zeit eine Ministerkrise in Rumänien Herrn Carp zur Regierung brachte, der, wohlvertraut mit westeuropäischen Sitten, den Weg zur ‚Neuen Freien Presse‘ zu finden und sie so völlig umzustimmen wusste, dass argwöhnische Menschen durch den Reclameartikel, den das Blatt dem neuen Minister widmete, und durch den Eifer, mit dem es seither Rumäniens Interessen in dem Conflict mit Bulgarien vertreten hat, auf den Gedanken gebracht wurden, Herr Carp müsse wohl seine reformatorische Thätigkeit mit einer Erhöhung des Dispositionsfonds begonnen haben.
    Ganz erfolglos ist aber die Campagne für die rumänischen Juden doch nicht geblieben. Die ‚Neue Freie Presse‘ hat eine Sammlung für sie eröffnet, und unser gebildetes Bürgerthum, das bekanntlich den Leserkreis des Blattes bildet, ist ihrem Rufe gefolgt: Gegen 16.000 Kronen sind durch Vermittlung der ‚Neuen Freien Presse‘ bisher den rumänischen Juden zugeflossen, und täglich langen neue Spenden ein.
    Unser »gebildetes Bürgerthum« macht neuestens erfreuliche Fortschritte im selbständigen Denken. Ehedem hat es wahllos den Winken der ‚Neuen Freien Presse‘ gehorcht. Was sie verfocht, hat es zu seiner Sache gemacht. Wie anders heute! Ja, wenn es sich um Dreyfus oder um rumänische Juden handelt, glaubt man der ‚Neuen Freien Presse‘ noch. In auswärtigen Dingen gilt sie als wohlinformiert. Wenn sie aber von österreichischen Angelegenheiten spricht, findet sie überall taube Ohren.
    Da hatte kürzlich Herr Dr. Herzl einen seltsamen Einfall. Der zukünftige Bewohner der Luftschlösser von Zion (erbaut vom Architecten Marmorek) war beim Nachsinnen über die kürzeste Route, auf der sie zu erreichen wären, zum Problem des lenkbaren Luftschiffs gelangt und vernahm, es gebe hier in Wien einen genialen Erfinder namens Kress, dem zur Ausführung eines Luftfahrzeugs, in dem Oesterreichs hervorragendste Theoretiker und Praktiker die beste bisherige Lösung des Problems erblicken, die Bagatelle von 20.000 Kronen fehlt. Soll Kress das Schicksal des Erfinders der Schiffsschraube und anderer österreichischer Erfinder theilen? Der künftige König von Zion erinnerte sich, dass er bis auf Weiteres noch österreichischer Patriot ist, und beschloss von der Macht, die das führende Blatt unseres gebildeten Bürgerthums ausübt, zu Kress‘ Gunsten Gebrauch zu machen. Ein Sonntags-Feuilleton erzählte den Lesern, die eben gehört hatten, dass Deutschland der trügerischen Hoffnung des Grafen Zeppelin eine Million Mark geopfert habe, wie in Oesterreich inzwischen das Modell eines Drachenfliegers construiert worden sei, der das Luftschiff der Zukunft sein werde, und wie hier die Aussicht winke, dass eine der größten Culturthaten von einem Oesterreicher vollbracht werde – wenn er nur noch 20.000 Kronen erhalte. Es brauchte also nichts weiter, als dass jeder Abonnent der ‚Neuen Freien Presse‘ eine halbe Krone hergebe ….
    In ihrem Morgenblatt vom 7. August hat die ‚Neue Freie Presse‘ das vorletzte Verzeichnis der Spenden veröffentlicht, die ihr für die rumänischen Juden übergeben wurden. Es füllt dreiviertel Spalten. Darunter werden in vier Zeilen die Beiträge veröffentlicht, die der Administration für den Fonds zur Inbetriebsetzung des Kress’schen Luftschiffes zugekommen sind. Für die rumänischen Auswanderer hat die ‚Neue Freie Presse‘ 14.143 Kronen 56 Heller, für Kress 273 Kronen gesammelt. Am 15. August folgte ein weiterer Ausweis der Spenden, die in einer Woche, vom 7. bis 14., für die rumänischen Juden eingeflossen waren: 942 Kronen 94 Heller. Ein neuer Ausweis von Beiträgen für den Fonds zur Inbetriebsetzung des Kress’schen Luftschiffes wird bis auf weiteres nicht veröffentlicht werden. Herr Kress drängt ja nicht. Das gebildete Bürgerthum von Wien hat ihm 273 Kronen zur Verfügung gestellt. Es ist also zu hoffen, dass auch die restlichen 19.727 Kronen noch aufzubringen sein werden.

    (Die Fackel: Nr. 50, Mitte August 1900, S. 8-12)

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    "Edle, freie Unbefangenheit bei Allem. ... Alle übrigen Vollkommenheiten sind der Schmuck unsrer Natur; sie aber ist der der Vollkommenheiten selbst. ... Sie ist mehr als Leichtigkeit, sie geht bis zur Kühnheit: sie setzt Ungezwungenheit voraus und fügt Vollkommenheit hinzu. Ohne sie ist alle Schönheit todt, alle Grazie ungeschickt: sie ist überschwenglich, geht über Tapferkeit, über Klugheit, über Vorsicht, ja über Majestät." (Baltasar Gracián) =>mehr<=
    #8674663  | PERMALINK

    hal-croves
    אור

    Registriert seit: 05.09.2012

    Beiträge: 4,617

    Welche Version ist die richtige?

    Ernst Schneider, der Liebliche, veröffentlicht am 17. August eine pathetische Erklärung wegen seines Sohnes, dessen Schulden er fürder nicht zahlen wolle. Er beklagt, dass die Eltern nicht verhüten können, »dass Kinder durch Verkehr mit stinkenden Juden moralisch geschädigt werden«.
    So heißt es im ‚Deutschen Volksblatt‘.
    In der ‚Deutschen Zeitung‘ steht statt dessen: »Durch Verkehr mit Angehörigen der jüdischen Race«.
    Herr Schneider wird sich vor seinen Wählern zu rechtfertigen haben, ob er selbst der milderen Textierung zugestimmt hat.

    (Die Fackel: Nr. 50, Mitte August 1900, S. 22)

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    "Edle, freie Unbefangenheit bei Allem. ... Alle übrigen Vollkommenheiten sind der Schmuck unsrer Natur; sie aber ist der der Vollkommenheiten selbst. ... Sie ist mehr als Leichtigkeit, sie geht bis zur Kühnheit: sie setzt Ungezwungenheit voraus und fügt Vollkommenheit hinzu. Ohne sie ist alle Schönheit todt, alle Grazie ungeschickt: sie ist überschwenglich, geht über Tapferkeit, über Klugheit, über Vorsicht, ja über Majestät." (Baltasar Gracián) =>mehr<=
    #8674665  | PERMALINK

    hal-croves
    אור

    Registriert seit: 05.09.2012

    Beiträge: 4,617

    Das ‚Börsenblatt für den deutschen Buchhandel‘ veröffentlicht folgenden Briefwechsel:

    Deutsch-akademische Lese- und Redehalle in Wien
    VIII/1, Kochgasse 9.

    Wien, am 13. August 1900.

    Herrn Robert Lutz, Verlagsbuchhandlung
    in Stuttgart.

    Euer Wohlgeboren!
    Namens des Ferialausschusses der deutsch-akademischen Lese- und Redehalle in Wien erlaube ich mir, an Sie mit der Bitte heranzutreten, uns für die Bücherei unseres Vereines, der die deutschnational-freisinnigen Studenten Wiens zu seinen Mitgliedern zählt, ein Exemplar von Fürst Krapotkin’s »Memoiren eines Revolutionärs« spenden zu wollen. Das rege Interesse, das allenthalben im Deutschen Reich den deutschen Studenten Oesterreichs und ihren Bestrebungen entgegengebracht wird, lässt uns hoffen, keine Fehlbitte gethan zu haben.
    Mit dem Ausdruck unserer vorzüglichsten Hochachtung zeichne ich
    I.A.d.F.-A.:
    med. K . . . R . . . . . . .
    d.Z. Bücherwart.

    *
    Stuttgart, 15. August 1900.

    Löbl. Deutsch-akadem. Lese- und Redehalle in Wien.

    Auf Ihre Zuschrift theile ich Ihnen mit, dass ich Ihrem Wunsche der unentgeltlichen Abgabe der Krapotkin’schen Memoiren nicht entsprechen kann. Ich bin nicht in der Lage, Bücher an wohlhabende Kreise zu verschenken. Die Absatzverhältnisse deutscher Bücher, auch guter und bester, sind häufig derart, dass sie einem deutschen, wohlhabenden und auf Bildung Anspruch machenden Publicum nicht zur Ehre gereichen; während anderseits die Aufforderungen, Bücher unentgeltlich herzugeben, gerade in Deutschland in ein die berechtigten Grenzen überschreitendes System gebracht sind.
    Trotzdem bin ich bereit, zu Ihren Gunsten eine Ausnahme zu machen, wenn Sie mir nachweisen können, dass die Mitglieder Ihres Studentenvereines mehr Wasser als Bier trinken, in welchem Falle es mir ein Vergnügen wäre, zur Stillung des Wissensdurstes derselben auf meine Kosten beizutragen.
    Hochachtungsvoll
    gez. Robert Lutz.

    *

    Jeder Verleger und Herausgeber wird den vernünftigen Worten des Herrn Lutz zustimmen, besonders hier in Wien, wo das Schnorren um Freiexemplare zu einer wahren Plage geworden ist. Aber es handelt sich diesmal um einen liberalen Verein. Bloß die ‚Ostdeutsche Rundschau‘ hat deshalb von dem Vorfall Notiz genommen und – nicht den Brief des Verlegers, aber das Bettelschreiben der »Deutsch-akademischen Lese- und Redehalle in Wien« abgedruckt. Wer aber nach der Ueberschrift »Schnorrende Judenstudenten«, mit der die Notiz der ‚Ostdeutschen Rundschau‘ versehen war, etwa glaubte, das Blatt des Herrn H.K. Wolff wolle das Schnorren als eine jüdische Unart rügen, hat schwer geirrt. Nicht dass geschnorrt wird, sondern dass »Judenstudenten« schnorren, brachte die ‚Ostdeutsche Rundschau‘ in Harnisch. Bei der Vordringlichkeit der Juden befürchtet sie, dass die deutschnationalen Studenten, wenn sie sich entschließen, schnorren zu gehen, zu spät kommen und bei den schon allzu oft von den »jüdischen« Verbindungen angebettelten Verlegern taube Ohren finden könnten. Sie richtet also ihre Mahnung an die Verleger. Diese mögen »die freche Anmaßung – der Judenstudenten – in ihre Schranken zurückweisen«. »Wenn ein deutscher Buchhändler für deutsche Studenten ein Opfer bringen will, so wird er bei der Lese- und Redehalle deutscher Hochschüler ‚Germania‘ in Wien hiefür genug Gelegenheit finden.« Wie aber, wenn der deutsche Buchhändler von der »Germania« den Nachweis verlangte, dass ihre Mitglieder »mehr Wasser als Bier trinken«?

    (Die Fackel: Nr. 51, Ende August 1900, S. 22-24)

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    hal-croves
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    Liebe Fackel!

    Warum hat die ‚Neue Freie Presse‘ so wüthend auf die neuen Zwanzig-Kronen-Noten geschimpft?
    Weil sie keine Recensions-Exemplare erhalten hat.

    (Die Fackel: Nr. 54, Ende September 1900, S. 25)

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    hal-croves
    אור

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    Liebe Fackel!

    Für einen »Verein zur Abhaltung der Damen von akademischen Vorträgen« ersuchen wir um Deine Förderung.
    Mehrere akademische Bürger.

    (Die Fackel: Nr. 57, Ende Oktober 1900, S. 28)

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    hal-croves
    אור

    Registriert seit: 05.09.2012

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    Vorbemerkung: Bei dem folgenden Artikel ist mir ziemlich unwohl zumute, aber er ist einfach zu gut geschrieben, um ihn auszulassen. Vielleicht nähert man sich ihm am besten wie einem sehr heftigen, aber eben auch sehr guten Horrorfilm.

    Bankhaus Wotan & Comp.

    Die Deutschnationalen haben auf allen Linien gesiegt, und als tüchtiger Feldherr beschloss K.H. Wolf, dem geschlagenen Feinde keine Zeit zur Sammlung zu gönnen, ihm unverzüglich bis an seine letzte Zufluchtsstätte nachzusetzen. Die Juden mussten ganz vernichtet werden. K.H. Wolfs wilde, verwegene Schar hatte im Sturm die Wahlbezirke der judenfreundlichen Deutschfortschrittlichen in Böhmen erobert, aber der Führer weiß wohl, die stärkste Position der Judenschaft ist die Börse. Nun galt es, sie auch von dort zu vertreiben. Ein Feldzug der Deutschnationalen ward gepredigt: gegen die Börse? Nein, weiter: an die Börse. Am Abend des 8. Jänner verkündet eine Extra-Ausgabe der ‚Ostdeutschen Rundschau‘ den Getreuen die Siege in den Sudetenländern. Am unteren Rand der Seite steht in fetter Schrift: »Wir bitten die Rückseite zu beachten!« Und wenn der Leser gehorsam das Blatt wendete, las er in überlebensgroßen Buchstaben: »Das in nationalen Kreisen bestens bekannte Bank- und Wechselhaus Th. J. Plewa & Sohn (gegründet 1856)« wird empfohlen. »Börsenaufträge für alle Börsen werden bestens ausgeführt.« Mächtige Aufregung ergriff das deutschnationale Lager. Wie leicht hätte man über dem Wahlsieg seine Ausnützung vergessen können! Unruhige Fragen schwirrten hin und her: Die Bureaux von Plewa und Sohn sind wohl schon geschlossen? Es ist ja neun Uhr abends. Wenn man nur morgen früh noch zurechtkommt. Werden Creditactien »auf die Wahlen in Böhmen flau« sein? Soll man Rente geben? Mairente oder Kronenrente? Man müsste telephonisch bei der ‚Ostdeutschen‘ anfragen, wie morgen der Leitartikel sein wird. Wenn Wolf obstructionslustig ist, dann glaubt die Börse nicht mehr an Investitionen. Ich geb‘ Alpine. Heil Schönerer! Heil Wolf! Heil Plewa! (gegründet 1856). Wir haben den »eisernen Ring« von Czechen, Polen und Römlingen zerschlagen. Jetzt lasst uns den Ring von Gold gewinnen, den Schottenring! Wir fürchten niemanden auf der Welt, auch nicht die Gegnerschaft des Goldes. Ein wackerer deutscher Mann steckt jeden Gegner in die Tasche.
    Sicherem Vernehmen nach soll außer dem Jahrestag der Schlacht von Sedan und den Geburtstagen Bismarcks, Schönerers und Wolfs auch der Jahrestag der Gründung der Firma Th. J. Plewa & Sohn (Bank- und Wechselhaus, gegr. 1856) als nationaler Feiertag der Deutschen in der Ostmark erklärt werden. Die Frage aller »Interessenten« aber wird von nun an nicht mehr lauten: Wie ist die Lage der Deutschen in Oesterreich?, sondern: »Wie hoch notiert Ostmark?«

    (Die Fackel: Nr. 65, Mitte Jänner 1901, S. 18-19)

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    "Edle, freie Unbefangenheit bei Allem. ... Alle übrigen Vollkommenheiten sind der Schmuck unsrer Natur; sie aber ist der der Vollkommenheiten selbst. ... Sie ist mehr als Leichtigkeit, sie geht bis zur Kühnheit: sie setzt Ungezwungenheit voraus und fügt Vollkommenheit hinzu. Ohne sie ist alle Schönheit todt, alle Grazie ungeschickt: sie ist überschwenglich, geht über Tapferkeit, über Klugheit, über Vorsicht, ja über Majestät." (Baltasar Gracián) =>mehr<=
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    hal-croves
    אור

    Registriert seit: 05.09.2012

    Beiträge: 4,617

    Die Gehirnerweichung war neulich zu einer Orgie geladen: Das Wien der Zeitungen empfieng den deutschen Kronprinzen. Soweit die politische Ausschlachtung des Ereignisses in Frage kommt, war höchstens die übliche fortschrittliche Paralyse zu verzeichnen, die sich in der Vision einer »Festigkeit des Dreibundes« äußert. Erst im »localen Theil« waren die Aufgaben einer systematischen Verblödung »voll und ganz« erfasst. Das Losungswort des Tages war: »Jugendfrisch.« Mochte die Gestalt des deutschen Kronprinzen auf dem Perron des Nordwestbahnhofes, in der evangelischen Kirche, beim Galadiner oder im Théâtre paré auftauchen, sie war und blieb jugendfrisch. Es versteht sich von selbst, dass anlässlich der Ankunft des Gastes »auf das kalte, unfreundliche, regnerische Wetter der letzten Tage ein frischer, heller Morgen« gefolgt war und dass man es »schon in den frühesten Morgenstunden an der Stadtphysiognomie merkte, dass Wien einen Festtag habe«: »Im Glanze der Morgensonne flutete durch die Gehalleen eine festlich geputzte Menschenmenge.« Was wurde an dem Tage »neuerdings bewiesen«? Dass »die Wiener Disciplin einzuhalten verstehen«. Wie war das Aussehen des Monarchen auf dem Bahnhof? Ein »blühendes«. Und er gieng, »obwohl eine kühle Brise durch die Halle fegte«: – »ohne Mantel«. Was hielt ein Mann empor, als die kaiserliche Equipage auf dem Stubenring anlangte? Ein Bittgesuch. Was wurde der Mann hierauf? Verhaftet.
    Und nun das Galadiner! Nachdem Schmock schon das Gefrorne erwähnt hat, ruft er: »Die Musik löste die Zungen.« Der jugendfrische Kronprinz begann, als ob man ihn aufgezogen hätte, mit der Erzherzogin Maria Josepha zu plaudern, »bald so angelegentlich, dass Beide lachten.« »Vor dem Servieren des Bratens und als der Champagner eingeschänkt wurde, bemerkte man jene eigenthümlich gespannte Stimmung ….« Begann der Dreibund zu wackeln? Nein, gemeint ist jene eigenthümlich gespannte Stimmung, »welche dem Abhalten von Toasten vorausgeht«. »Hofrath v. Loebenstein gab das Zeichen, dass jetzt vollständige Ruhe herrschen müsse.« Und die Theilnehmer an der Hoftafel wissen so gut Disciplin einzuhalten wie die Wiener. »Der Kaiser nahm einen Bogen aus der Brusttasche seines Waffenrocks, setzte den Zwicker auf und erhob sich. Als alle Gäste seinem Beispiel gefolgt waren ..« Nach dem Kaiser, der mehr väterlich gesprochen hatte, sprach der Kronprinz, der wieder in seiner Art, nämlich mehr jugendfrisch, sprach. Ueber seine Rede äußert sich das ‚Neue Wiener Tagblatt‘: »Und wenn er auch langsam die einzelnen Sätze sprach, manchmal zögerte oder Pausen machte, er fand doch immer das richtige Wort und den Ausdruck, der ihm ziemte – er ließ keinen Zweifel darüber aufkommen, dass er wusste, was er sagen wollte.« Kein Wunder! Denn die ‚Neue Freie Presse‘ verräth uns, dass der Prinz »ein Blatt Papier in seiner Hand hatte«. Sie weiß aber auch zu melden, dass der Kronprinz »mit entschieden norddeutschem Accent« sprach. Gibt es Trompeten, die Hoch rufen können? Das ‚Neue Wiener Tagblatt‘ scheint es zu glauben: »Wie eine Trompete«, versichert es, »schmetterte der junge Prinz sein Hoch in den Saal hinein.« Der Vertreter der ‚Neuen Freien Presse‘ hat wiederum für optische Effecte einen fein entwickelten Sinn. Er machte schon auf dem Perron eine eigenthümliche Beobachtung: »Der jähe Farbenwechsel auf dem von einem knospenden blonden Schnurrbärtchen gezierten Gesichte verrieth die innere Bewegung, welche den Prinzen in dem Augenblick erfüllte, als er, an der Rechten seines väterlichen Freundes schreitend, zum erstenmale im Auslande die schwere Bürde der Repräsentation auf seinen Schultern ruhen fühlte. Doch währte dieser seelische Zustand kaum zwei oder drei Secunden ….«
    Die Loyalitätsreporter haben uns nichts verheimlicht. »Aussprechen, was ist«, war stets ihre Devise. So wurde uns denn vom ‚Extrablatt‘ der Name des Fiakerkutschers verrathen, der den Kronprinzen mit den Worten: »Steig’n S‘ eini, kaiserliche Hoheit!« zu einer Praterfahrt animiert hatte, und wir erfuhren auch, dass der Kronprinz auf dem Balle bei Hofe bei der Damenwahl »25 Mascherln« erhalten und zehn Bouquets ausgetheilt hat. Ja, es wurde uns sogar erzählt, was er mit den »Mascherln« gethan hat. »Als er sah, dass die Erzherzoge die erhaltenen ‚Mascherln‘ auf den Aermel steckten, steckte auch er zwei von den Damenspenden, die er von den Erzherzoginnen erhielt, auf den Aermel seines Rockes, während er die übrigen in den beiden Rocktaschen verwahrte.« Der deutsche Kronprinz hat also anlässlich seiner Wiener Anwesenheit zwei Mascherln und den Dreibund befestigt ….

    (Die Fackel: Nr. 74, Mitte April 1901, S. 8-10)

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    "Edle, freie Unbefangenheit bei Allem. ... Alle übrigen Vollkommenheiten sind der Schmuck unsrer Natur; sie aber ist der der Vollkommenheiten selbst. ... Sie ist mehr als Leichtigkeit, sie geht bis zur Kühnheit: sie setzt Ungezwungenheit voraus und fügt Vollkommenheit hinzu. Ohne sie ist alle Schönheit todt, alle Grazie ungeschickt: sie ist überschwenglich, geht über Tapferkeit, über Klugheit, über Vorsicht, ja über Majestät." (Baltasar Gracián) =>mehr<=
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    hal-croves
    אור

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    Der unmäßige Antialkoholismus scheint auf die Gehirnthätigkeit des Menschen ebenso ungünstig einzuwirken wie der Alkohol. Der Congress, der neulich in unserer Stadt tagte, hat immerhin den praktischen Erfolg gehabt, dass man eine ganze Reihe bedauernswerter Opfer jener Bewegung kennen lernen und die typischen Verfallserscheinungen, die ein durch Jahre fortgesetzter Genuss einer fixen Idee gezeitigt hat, studieren konnte. In diesem Sinne waren uns natürlich auch die publicistischen Helfer des Antialkoholiker- Congresses willkommen. In der ‚Zeit‘ hat sich ein Herr Dr. M. Hirschfeld, Arzt in Charlottenburg, zum Worte gemeldet, dem man das Bestreben anmerkt, alles Schlechte auf dieser Welt, folglich auch die lex Heinze, dem Alkohol aufs Kerbholz zu setzen. Ohne uns den Zusammenhang von Trunkenheit und Prüderie näher zu erklären, schreibt er den tiefsinnigen Satz hin: »Wenn Menschen das Natürliche anstößig, das Nackte ‚unanständig‘ vorkommt, so trägt die chronische Alkoholisierung großer Bevölkerungsschichten hieran mehr Schuld, als man gewöhnlich annimmt.« Herr Dr. Hirschfeld begnügt sich aber nicht mit der Versicherung, dass der Enthaltsame der Sittlichkeitsseuche gegenüber immun ist. Wichtiger scheint ihm selbst der Nachweis, dass auch allen anderen Infectionskrankheiten der Trinker eher anheimfällt, als der Feind des Alkohols. Man möchte nun meinen, dass dies eine längst beglaubigte, statistisch tausendmal erhärtete Thatsache ist. Aber Herr Dr. Hirschfeld hält es nicht für überflüssig, sie noch mit einem schlagenden Beispiel aus der jüngsten Vergangenheit zu belegen. »Der Einzige«, ruft er, »welcher bei den Wiener Pestfällen mit dem Leben davon kam, Dr. Pöch, war total abstinent.« Man wird zugeben, dass ein solcher Gedankengang nur in einem sehr vorgerückten Stadium von Antialkoholismus möglich ist. Der Wiener Laboratoriumspest sind drei Menschen zum Opfer gefallen; Dr. Müller wäre, hätte er sich nicht bei der Reinigung des Krankenzimmers inficiert, am Leben geblieben, und weder ihm noch dem Diener und der Wärterin, die starben, hat damals irgend jemand Trunksucht nachgesagt. Herrn Dr. Hirschfeld ist bloß bekannt, dass Dr. Pöch – außer ihm kamen noch zwei Nonnen mit dem Leben davon – enthaltsam ist. Wahrlich, eine Statistik, die ihresgleichen sucht! Aber taktisch klug ist es nicht, in einer Zeit, da es die Trunksucht zu bekämpfen gilt, die erschreckenden Wirkungen des Antialkoholismus zu zeigen.

    (Die Fackel: Nr. 76, Anfang Mai 1901, S. 9-10)

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    "Edle, freie Unbefangenheit bei Allem. ... Alle übrigen Vollkommenheiten sind der Schmuck unsrer Natur; sie aber ist der der Vollkommenheiten selbst. ... Sie ist mehr als Leichtigkeit, sie geht bis zur Kühnheit: sie setzt Ungezwungenheit voraus und fügt Vollkommenheit hinzu. Ohne sie ist alle Schönheit todt, alle Grazie ungeschickt: sie ist überschwenglich, geht über Tapferkeit, über Klugheit, über Vorsicht, ja über Majestät." (Baltasar Gracián) =>mehr<=
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    hal-croves
    אור

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    Der Münchener Ingenieur Wenng hat jüngst Herrn Dr. Lueger einen silbernen Lorbeerkranz und die Anerkennung der bayerischen Christlichsocialen überbracht. Darüber gerieth begreiflicherweise unsere freisinnige Presse in helle Wuth. Sie hat ja seit Jahren behauptet, christlichsocial und clerical seien ein und dasselbe, und ihre Leser glaubten darum, der christlichsociale Herr Wenng sei als der Beauftragte der bayerischen Clericalen, der stärksten Partei im Lande, nach Wien gekommen. In Wahrheit stehen Clericale und Christlichsociale in Bayern einander ebenso feindlich gegenüber wie bei uns in Tirol, und Herr Wenng ist nicht von der mächtigen bayerischen Centrumspartei, sondern nur von den paar hundert Anhängern der dortigen »christlichen und antisemitischen Partei« nach Wien gesandt worden. Dass er hier im Namen Münchens sprach, ist keine geringere Ueberhebung, als wenn etwa ein Noske für Wien das Wort zu führen sich erdreistet oder die liberale Journalistik in der »Concordia« sich für die Repräsentanz der Wiener Schriftsteller ausgibt. Aber so wenig auch die Sympathien der Gefolgschaft des Herrn Wenng für den Wiener Bürgermeister bedeuten mögen, so wertvoll war für ihn eine Kundgebung, zu der der Besuch aus München die Gelegenheit bot. In diesen Tagen, in denen die liberale Presse den Antisemitismus, den sie einst durch Todtschweigen zu vernichten hoffte, immer wieder todtsagt und dadurch wirklich schon getödtet zu haben glaubt, ist der Antisemitismus zum erstenmal officiell anerkannt worden. Bisher fand er bloß als »christlichsociale Partei« – ein Titel, dessen Pflichten er höchstens ein paar Wochen im Jahre erfüllt und den er sonst nur auf der Visitkarte führt – zu den höchsten Kreisen Zutritt, so wie ein Commis seine Reserve-Officiers-Uniform anlegt, um bei der Frühjahrsparade oder gar beim Hofball in die Nähe des Kaisers zu gelangen. Jetzt aber wurde »den im Wiener Rathhause versammelt gewesenen Vertretern der Wiener und Münchener christlichen und antisemitischen Partei« der Dank des Kaisers ausgesprochen. Die liberale Presse hat von diesem kaiserlichen Dank nicht weiter Notiz genommen. Ihr ist es gleich zuwider, wenn von »christlich-social« und wenn von »christlich und antisemitisch« die Rede ist. Und außerdem bezahlt ja auch der Bürgermeister den Abdruck der an ihn gerichteten Kaiserworte nicht. Die freisinnige Journalistik hat also gar keinen Grund, Herrn Dr. Lueger freiwillig die Reclame zu machen, die ein Brotfabrikant oder ein Kunsttischler für schweres Geld erkaufen müssen.

    (Die Fackel: Nr. 79, Anfang Juni 1901, S. 13-14)

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    "Edle, freie Unbefangenheit bei Allem. ... Alle übrigen Vollkommenheiten sind der Schmuck unsrer Natur; sie aber ist der der Vollkommenheiten selbst. ... Sie ist mehr als Leichtigkeit, sie geht bis zur Kühnheit: sie setzt Ungezwungenheit voraus und fügt Vollkommenheit hinzu. Ohne sie ist alle Schönheit todt, alle Grazie ungeschickt: sie ist überschwenglich, geht über Tapferkeit, über Klugheit, über Vorsicht, ja über Majestät." (Baltasar Gracián) =>mehr<=
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    hal-croves
    אור

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    Eine Nachricht, geeignet, die größte Bestürzung im alldeutschen, Schadenfreude im christlichsocialen Lager zu wecken: Die ‚Ostdeutsche Rundschau‘ hat in einem längeren Aufsatz den Berliner Symbolisten Stefan George verhimmelt, und siehe da – Stefan George ist nichts als ein Symbol für Abeles. Die Berliner Dichter heißen nämlich in der Regel Abeles, und als solcher hat sich ja bekanntlich auch Herrn Brahms jüngster naturalistischer Kostknabe, Herr Vacano, vor einer in diesem Falle gar nicht enttäuschten Mitwelt entpuppt. Stefan George – ein Abeles: das bedeutet nun freilich eine der ärgsten Blamagen für die auf dem Rassenstandpunkt stehende Literaturkritik, welche einen Schriftsteller, der zufällig Hofmannsthal heißt, aber sonst ein gewiss feineres Formentalent ist als Herr George, erbarmungslos den »Literaturhebräern« zuzählt.

    (Die Fackel: Nr. 79, Anfang Juni 1901, S. 21)

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    "Edle, freie Unbefangenheit bei Allem. ... Alle übrigen Vollkommenheiten sind der Schmuck unsrer Natur; sie aber ist der der Vollkommenheiten selbst. ... Sie ist mehr als Leichtigkeit, sie geht bis zur Kühnheit: sie setzt Ungezwungenheit voraus und fügt Vollkommenheit hinzu. Ohne sie ist alle Schönheit todt, alle Grazie ungeschickt: sie ist überschwenglich, geht über Tapferkeit, über Klugheit, über Vorsicht, ja über Majestät." (Baltasar Gracián) =>mehr<=
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    Anonym
    Inaktiv

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    Sehr schön, Hal. Spielst du mit dem Gedanken die Gesamtausgabe der Fackel hier einzustellen?

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    #8674683  | PERMALINK

    latho
    No pretty face

    Registriert seit: 04.05.2003

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    pinchSehr schön, Hal. Spielst du mit dem Gedanken die Gesamtausgabe der Fackel hier einzustellen?

    Du warst schneller.

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    If you talk bad about country music, it's like saying bad things about my momma. Them's fightin' words.
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