Konzertimpressionen und -rezensionen

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    gypsy-tail-wind
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    Zürich, Tonhalle – Neue Konzertreihe – 07.01.2024

    Angela Hewitt Klavier

    JOHANN SEBASTIAN BACH 6 Präludien und Fugen BWV 846-851, aus «Das Wohltemperierte Klavier» Band 1
    FELIX MENDELSSOHN Präludium und Fuge e-Moll op. 35/1
    DMITRI SCHOSTAKOWITSCH Präludium und Fuge Nr. 18 f-Moll, aus «24 Präludien und Fugen» op. 87
    SAMUEL BARBER Fuga. Allegro con spirito, aus Klaviersonate es-Moll op. 26

    ROBERT SCHUMANN Klaviersonate Nr. 1 fis-Moll op. 11
    E: RICHARD STRAUSS: Morgen, Op. 27 No. 4 (Arr. Reger for Piano)

    In Schreiblaune bin ich nicht, aber die Tradition will’s … das Rezital von Angela Hewitt passt zu meiner eher zögerlichen Annäherung an diese fraglos hervorragende Musikerin. Ihre Mozart-Konzerte und ihre Scarlatti-Sonaten haben mir inzwischen einen Zugang verschafft, bekannter ist sie aber für ihre Bach-Interpretationen, die mir auch beim Vertrieb immer wieder nahe gelegt werden. So ganz bin ich da noch nicht angekommen – aber das kann sich ja noch ändern.

    Das Konzertprogramm bestand aus zwei Blöcken, beim ersten sollte auf Wunsch Hewitts zwischen den Stücken nicht geklatscht werden – das fand ich sehr gut, denn dieses ganze Fugenprogramm entwickelte einen grossen Sog … und ganz ehrlich: ich wusste relativ schnell nicht mehr, an welcher Stelle wir uns befanden – was zum eigenartigen Effekt führte, dass Bach am Ende so modern wirkte wie Schostakowitsch oder Barber.

    Die zweite Hälfte gefiel mir etwas weniger gut, vielleicht war die hochromantische Musik gepaart mit der steifen Haltung Hewitts, ihren oft ausladenden Gesten, auch einfach etwas zuviel? Und um die Sonaten von Schumann kreise ich sowieso noch. Zwischen diesem und Barber war das auch eine Art Virtuosenprogramm (die Fuge hat Samuel Barber auf Wunsch von Vladimir Horowitz seiner Klaviersonate nachträglich hinzugefügt, mit dem expliziten Hinweis, dass sie auch separat aufgeführt werden könne).

    Gut, beeindruckend auch – aber berührt hat mich das nicht so richtig, auch nicht in der ersten Hälfte, in der ich allerdings gefesselt auf der Stuhlkante sass.

    Zürich, Opernhaus – 12.01.2024

    Platée
    Jean-Philippe Rameau (1683-1764)

    Ballet bouffon in einem Prolog und drei Akten. Libretto von Adrien-Joseph Le Valois d’Orville und Balot de Sovot nach einem Stück von Jacques Autreau

    Musikalische Leitung Emmanuelle Haïm
    Inszenierung Jetske Mijnssen
    Bühnenbild Ben Baur
    Kostüme Hannah Clark
    Lichtgestaltung Bernd Purkrabek
    Choreografie Kinsun Chan
    Choreinstudierung Janko Kastelic
    Dramaturgie Kathrin Brunner

    Platée Mathias Vidal
    JupiterEvan Hughes
    Junon Katia Ledoux
    Satyre/Cithéron Renato Dolcini
    Thespis Alasdair Kent
    Mercure Nathan Haller
    La Folie Mary Bevan
    Momus Theo Hoffman
    Clarine/Thalie Anna El-Khashem
    Amour Tania Lorenzo
    Erste Mänade Soyoung Lee
    Zweite Mänade Katarzyna Rzymska
    TänzerInnen Federica Porleri, Sina Friedli, Juliette Rahon, Valentina Rodenghi, Dustin Eliot, Steven Forster, Valerio Porleri, Roberto Tallarigo

    Orchestra La Scintilla
    Chor der Oper Zürich
    Statistenverein am Opernhaus Zürich

    Ganz anders der nächste Abend in der Oper. Platée, das launige Stück über die Schadenfreude von Rameau, haben Haïm/Mijnssen in die Gegenwart zu holen versucht. Platée ist bei ihnen keine Sumpfnymphe (what?) mehr sondern der Souffleur im Theater, in dem das Stück angesiedelt wird. Es gibt also kein Crossdressing mehr, keinen Verspotten der hässlichen Frau (von einem hohen Tenor, einem „haute contre“, dargestellt), sondern eine Art tolpatschiger aber überaus liebenswürdiger Typ – bei dem, dafür sorgt Rameau natürlich bereits, über den ganzen Abend die Sympathien liegen.

    Mathias Vidal debüttierte damit am Opernhaus – und er tat das mit Bravour. Es scheint wenige Opernrollen mit so grossem Gesangsanteil zu geben, er ist praktisch ohne Unterbruch auf der Bühne, um ihn herum scharen sich die anderen, ein stets Kommen und Gehen, auf der Bühne von Mijnssen und Baur in der Unterbühne, auf den Bühnenneben- und -hinterräumen, aber auch auf der Bühne selbst, beim Proben, beim Vorbereiten, beim Abhängen … mit ihrer Interpretation nimmt Mijnssen denn auch den Prolog beim Wort, in dem es heisst: „Formons un spéctacle nouveau!“ – lasst uns ein neues Theater erfinden.

    Wie es scheint wurden einige Szenen gestrichen, es galt auch, gute Lösungen für die langen Strecken zu finden, in denen nicht gesungen sondern – das ist ja alles très français – getanzt wird. Das gelang hervorragend. Die Pause wurde im zweiten Akt vor den grossen Auftritt der Folie gelegt – und Mary Bevan war in der zweiten Hälfte dann doch noch eine Art zweite tragende Säule, die mir ebenfalls hervorragend gefiel. Die Folie hat die einzige lange Solo-Passage in der Oper – und bleibt danach präsent, übernimmt quasi von Clarine (auch Anna El-Khashem gefiel mir hervorragend) den kommentierenden Part. Junon und Jupiter mit seinem Helfer Cithéron, der zusammen mit Mercure den fiesen Plan ausheckt, sind zwar die handlungstreibenden Figuren, bleiben aber Nebenfiguren. Platée dient als Opfer, um die Eifersucht Junons zu zerstreuen: Jupiter soll eine Heirat mit einer so lächerlichen Gestalt vortäuschen, dass Junon „geheilt“ wird.

    Dass Rameau sein Stück als divertissement für die Hochzeitsfeiern des Thronfolgers Louis Ferdinand mit der spanischen Königstochter Maria Teresa Rafeala konzipierte, die nicht gerade als Schönheit galt – das war „vielleicht allzu starker Tobak für eine königliche Eheschliessung. Das Werk hatte wenig Erfolg und verschwand zunächst nach einer Aufführung in der Schublade. 1749 holte Rameau es wieder hervor und führte es in Paris auf, nunmehr unter grossem Beifall des Publikums. Weitere Aufführungen folgten 1754 und bis in die 1770er-Jahre hinein“ (Silke Leopold im Programmheft).

    Das Stück scheint dabei musikalisch in vieler Hinsicht einzigartig zu sein. Wie die Charaktere musikalisch gestaltet werden, die Situationen auf der Bühne immer wieder aus dem Graben zugespitzt werden, ist wirklich umwerfend – doch ob der menschlichen Tragik des Geschehens bleibt das Lachen im Hals stecken. Der programmatische Prolog – „L’Origine de la comédie“ betitelt – zeigt, dass Rameau uns einem Librettisten klar war, dass sie Neuland betraten. Thespis, der Erfinder des Dramas, Thalia, die Muse der Komödie Momos, die Personifikation des Tadels und Amor, der Gott der Liebe treten auf, und sie alle wollen an der Geburt der Komödie mitwirken. Verspottet werden nicht nur die Sterblichen sondern auch die Bewohner*innen des Olymp.

    Rameau setzt sich auch auf satirische Wiese mit der Auseinandersetzung zwischen den Anhängern der italienischen und jenen der französischen Oper auseinander. Das wird durch die oft lautmalerische Musik – der Chor quakt wie Frösche, lacht wie eine Hochzeitsgesellschaft, das Orchester spielt die I-As des Esels usw. – hervorgehoben. Es wird parodiert auf Teufel komm raus – das Ergebnis allerdings ist so sublim, wie es komisch ist.

    Mir gefiel die ganze Aufführung richtig gut. Besonders erwähnenswert ist dabei der Einbezug der Tänzer*innen: diese traten nicht – wie üblich in der französischen Oper – quasi als fremde Elemente zwischen den gesungenen Szenen auf sondern wurden in die Handlung selbst aufgenommen, waren stets präsent – und wurden zu einem wesentlich Teil des Erfolgs der Aufführung. Auch die langen Wartszenen gegen Ende – Platée sehnt die Hochzeitsfeier herbei – werden dank der Tänzer*innen und dank der traurigschönen Musik zu einem Erlebnis. Für mich zu einem der schönsten Teile des ganzen Abends. Und dieses ist – wie schon die erste Rameau-Zusammenarbeit von Haïm und Mijnssen in Zürich, „Hippolyte et Aricie“, ein grosser Erfolg (zumindest künstlerisch … die Auslastung scheint bei Aufführung mit La Scintilla, dem so wunderbaren Alte-Musik-Ensemble des Opernhauses, generell nicht so gut zu sein – ausser Bartoli singt mit, klar).

    Zürich, Opernhaus – 4. Philharmonisches Konzert – 14.01.2024

    Philharmonia Orchestra
    Krzysztof Urbanski
    Leitung
    Sol Gabetta Violoncello

    WOJCIECH KILAR Orawa, für Streichorchester (1986)
    WITOLD LUTOSLAWSKI Konzert für Cello und Orchester (1970)

    IGOR STRAVINSKY Le Sacre du printemps (1913)

    Zwei Tage später fürs Konzert schon wieder in der Oper … Sol Gabetta mit dem Cellokonzert von Lutoslawski wollte ich mir nicht entgehen lassen, und an Urbanski hatte ich von einem Konzert in der Tonhalle-Maag, ca. 2017/18, ebenfalls beste Erinnerungen. Also hinten in die Loge reingestanden. Der Abend war perfekt programmiert: Kilars Filmstück mit minimalen Motiven, Schichtungen, hart stampfenden Beats, dann das widerspenstige, auch als eine Art Widerstreit charakterisierte Cellokonzert, und zuletzt der farbenprächtige Stravinsky mit seinen erneut stapfenden, insistierenden Rhythmen. Diesen dirigierte Urbanski dann ohne Partitur – mit vollem Körpereinsatz, aber selbst seine grossen Gesten wirkten nicht gross. Im Gegenteil: er atmet diese Musik förmlich und so war das eine perfekte erneute Begegnung, nachdem mich schon die Version des Lucerne Festival Contemporary Orchestra unter Susanna Mälkki im Sommer sehr überzeugt hatte – eher wider Erwarten, denn so richtig warm mag ich damit nicht werden bisher.

    Das Stück von Kilar fand ich mässig spannend. Es gibt Momente, in denen das Zeitgefühlt abhanden kommt (Pärt, minimal music), aber dann wird doch etwas gar dick aufgetragen – so dass sich eher Bilder der siebzehnten Folge von „Die Hard“ oder einem weiteren „Indiana Jones“ aufdrängen als Drohnenaufnahmen estnischer Wälder. Doch eben: im Kontext war da wirklich gut programmiert, und mit dem Cellokonzert von Lutoslawski folge auch vor der Pause ein richtiges Highlight. Dass das Haus dafür voll war, ist sicher Sol Gabetta zu verdanken – aber umso schöner, wenn ein ziemlich buntes, alterdurchmischtes Publikum auch mal so ein Programm hören geht, und nicht nur zur sozialen Distinktion hie und da eine Verdi-Oper mitnimmt. Gabetta war jedenfalls einmal mehr überzeugend – wie immer bei den inzwischen recht zahlreichen Gelegenheiten, die ich ergriffen habe. Im Mai höre ich sie dann bereits in Basel wieder, mit Britten unter Holliger.

    Was ich bei Urbanski unglaublich faszinierend finde und so von keinem anderen Dirigenten – auch keiner anderen Dirigentin – kenne: die Bewegungen, die er mit der linken Hand ausführt. Das wirkt unendlich elegant (ist er eh, selbst wenn er – wie bei Stravinsky – auf dem Podium herumstampft wie Rumpelstilzchen) und zugleich unglaublich präzise. Buchstäblich bis in die Fingerspitzen geht er in der Musik auf.

    Zürich, Tonhalle – 18.01.2024

    Tonhalle-Orchester
    Kent Nagano
    Leitung
    Alice Sara Ott Klavier
    Mari Eriksmoen Sopran

    CHARLES IVES The Unanswered Question
    BRYCE DESSNER Klavierkonzert (Uraufführung)

    GUSTAV MAHLER: Symphonie Nr. 4 G-Dur

    Gestern dann das erste Konzert mit dem Tonhalle-Orchester im neuen Jahr – ein weiteres Highlight und eine Art Prequel auf den Anfang Februar mit Nr. 5 beginnenden Mahler-Zyklus unter Paavo Järvi. Bryce Dessner hatte ich schon erwähnt, die Tage sind die intensivsten seiner Saison als „creative chair“: neben den Proben zur gestrigen Uraufführung fand gestern vor dem Konzert schon eine kleine Prélude mit zwei Solowerken statt (Wiederholung am Dienstag im Museum für Gestaltung), am Sonntag werden bei „Literatur und Musik“ in der kleinen Tonhalle Auszüge aus Werken für Streichquartett neben Auszüge von Édouard Louis‘ „Das Ende von Eddy“ gestellt, und am Montagnachmittag findet an der Zürcher Hochschule der Künste auch noch eine Masterclass mit Dessner statt. Danach ist er im April (Barbara Hannigan mit den Labèque-Schwestern und Live-Elektronik, Musik von Hildegard von Bingen, Barbara Strozzi, Francesca Caccini, Bryce Dessner und David Chalmin) und im Juli (Pekka Kuusiston spielt das Violinkonzert und Johanna Mallwitz dirigiert danach auch wieder Mahler, die Erste) nochmal zu hören, zudem stehen Stücke von Dessner bei zwei Kammermusik-Lunchkonzerten auf dem Programm, zu denen ich aber nicht gehen werde.

    Gestern also die Gelegenheit, ihn im Gespräch mit der Tonhalle-Dramaturgin Ulrike Thiele zu erleben. Dazu spielten zwei Studierende der ZHdK Solo-Stücke von Dessner: Raphael Duchosal führte „Four Blue Poles“ auf, eins der frühesten publizierten Werke aus dem Jahr 1999, inspiriert von einem Gemälde von Jackson Pollock und der älteren Schwester Jessica gewidmet, Tänzerin, Choreographin, Künstlerin, die für Bryce auch heute noch ein wichtiges Vorbild ist. Später war noch „Tuusula“ zu hören, gespielt von der Cellistin Selma Aerni. Dieses Stück schrieb Dessner am Ort desselben Namens, wo nicht zuletzt Sibelius gelebt hatte und wo Pekka Kuusisto bis 2018 das Kammermusik-Festival leitete – mancherorts steht zusammen mit dem 2022 verstorbenen Jaakko und bis 2022 oder immer noch, aber die Website des inzwischen „Meidän Festivaali“ („unser Festival“) genannten Festivals schreibt, dass Pekka Kuusisto von 1999 bis 2018 der künstlerische Leiter war. Jedenfalls hat Dessner sich mit Kuusisto angefreundet – und eben: der spielt im Juli in der Tonhalle Dessners Violinkonzert (da muss ich noch eine Karte kaufen, hab wegen unklaren Ferienplänen gegen Saisonende noch nicht viel geplant) und dort auch Nicolas Altstaedt kennengelernt, für den er dann in wenigen Tagen das ca. zehnminütige Solo-Stück „Tuusula“ komponiert hat. Beide Stücke – wie überhaupt fast alles, was ich von Dessner bisher gehört habe – bewegen sich innerhalb der konventionellen Klangsprache, wirken aber dennoch irgendwie sehr gegenwärtig.

    Am Ende des Gesprächs kam Thiele auch auf Ives zu sprechen, darauf, dass Bernstein die „unanswered question“ als die Frage nach dem „where to“ oder so ähnlich umformuliert habe. Desser meinte dann, seine Antwort sei: ins Hier, ins Jetzt, und er hielt ein kurzes Plädoyer für den gemeinsamen Genuss von Live-Musik, für die Gegenwärtigkeit, die dabei erzeugt wird, erlebt werden kann – und nur da.

    Das Konzert begann dann magisch – aber klar, ein paar Idiot*innen mussten noch vor dem ersten Bläser-Einsatz krachend dreinhusten. Die Solotrumpete war auf der rechten Galerie (vom Publikum aus, ich sass auf der linken) platziert und hallte durch den Raum … ich habe zwar 2019 schon einmal Ives‘ Vierte hören können, auch schon unter Nagano beim Tonhalle-Orchester und zum Glück in der klanglich viel transparenteren Tonhalle-Maag – aber sonst bin ich mit Ives‘ Musik nach wie vor ziemlich schlecht vertraut. Als Konzerteinstieg fand ich das wie gesagt: magisch!

    Danach wurde der Flügel aufgeklappt, das Orchester verdoppelte oder verdreifachte sich, Alice Sara Ott kam barfuss auf die Bühne gehüpft, Nagano hinterher – und dann gab’s die Uraufführung von Dessners Konzert, das in der Tat sehr viel Tänzerisches hat. Gewidmet ist es erneut der Schwester und auch der Pianistin Ott: „Das Stück ist sehr stark von ihrem wunderbaren Spiel inspiriert und wollte etwas schreiben, das sie sowohl herausfordert als auch ihre einzigartigen Qualitäten als Künstlerin hervorhebt. Ich bin sehr dankbar, dass sie so eng mit mir an dem Konzert gearbeitet hat. Als ich die Musik schrieb, dachte ich ebenfalls an den Klang des Tonhalle-Orchesters Zürich und die anderen wunderbaren Ensembles, die das Werk in Auftrag gegeben haben“ [Orchestre philharmonique de Radio France, Cincinnati Symphony Orchestra, DSO Berlin, Southbank Centre und Philharmonia Orchestra sind gemäss den Infos im Programmheft, von wo auch das Zitat stammt, die anderen Auftraggeber*innen].

    „How to Dance“, „How to Breathe“ und „How to Feel“ waren die Arbeitstitel der drei Sätze, die am Ende mit „Dance like [Viertelnote] = 140“, „Dans un rêve, gentle, sea like [Viertel] = 110-116“ und „Measured [Viertel] = 140“ überschrieben wurden. Der Tanz, tänzerische Bewegungen, stehen in den beiden Ecksätzen im Zentrum, so ist der erste über weite Strecken mit einer Art barockem Generalbass unterlegt – und Dessner schreibt in seinem Text mehr über seine ältere Schwester, deren Werdegang vom Cincinnati-Ballet in die zeitgenössische New Yorker-Tanzszene, wo er Werke von Merce Cunningham, William Forsythe, Pina Bausch oder Anne Teresa De Keersmaeker gesehen habe. Über die Ostinato-Bässen werden fliessende Linie gelegt, Drehmelodien, Tanzmuster, die sich in der Musik abbilden. Der zweite Satz ist dann eine Art Naturpoem – dem neulich gehörten Orchesterstück „Mari“ nicht unähnlich, aber ohne dessen fast schon spektralen Klangfarbenreichtum. „Das Orchester bietet verschiedene Horizonte, die Blechbläser weichen den Holzbläsern und die Streicher wechseln die Perspektive. Momente der Dissonanz oder Unterbrechung bilden einen Kontrapunkt zur Solistin“, so Dessner. Das finale ist „der abwechslungsreichste der drei Sätze und auch der virtuoseste“. Die tänzerische Bewegung kehrt zurück, „aber mit mehr Intensität. Das Material wechselt zwischen lyrischen, langsamen Momenten und dann zu den freudigen Mustern der schnellen Abschnitte.“

    Freude, Fröhlichkeit – eher denn Nachdenklichkeit – durchzieht das Werk sowieso, denn Jessica Dessner kämpft seit Jahren gegen ihre Krebserkrankung und der Bruder, der sie auch darin bewundert, wollte für sie ein positives, fröhliches Werk schreiben. Das ist wirklich sehr schön herausgekommen, finde ich, reich an Klangfarben und Rhythmen, sehr abwechslungsreich in der Orchestrierung (mit vielen Passagen, in denen – darin vielleicht Mahler nicht unähnlich? – Celli und auch Bratschen im Zentrum stehen) – und die mir bis anhin vollkommen unbekannte Pianistin Alice Sara Ott begeisterte mich. Wie sie die Balance zwischen höchster Präzision, wie sie in den schnellen Sätzen gnadenlos eingefordert wird, und einem lyrischen Ton, einer Beseeltheit, fand, war wirklich toll zu erleben. Es gab langen, grossen Applaus, diverse Auf- und Abgänge, Dessner wurde auf die Bühne gerufen, Nagano und Dessner blieben dann aber auch einmal hinten und liessen Ott allein nach vorn, sie hüpfte – tänzerisch wie das gerade gespielte Werk nach vorn und wieder zurück … schön, sehr schön!

    Nach der Pause dann Mahler – und Schönheit, die fast schon schmerzhaft wird, besonders im dritten Satz (bei dem Eriksmoen schon auf einem Stuhl neben Nagano Platz genommen hatte), dessen Einstieg für mich wohl zum schönsten gehört, was ich kenne. Die Symphonie scheint mir aber in vielerlei Hinsicht gebrochen zu sein, ironisch vielleicht, oder auch in einer Art Umetzung des „die Welt auf den Kopf stellens“, wie es im irren Text geschieht, den die Sopransolistin im vierten Satz singt („Wir geniessen die himmlischen Freuden…“ aus „Des Knaben Wunderhorn“)? Jedenfalls wahnsinnig toll – und ein klasse Teaser auf den kommenden Mahler-Zyklus mit Järvi, der dann wohl in der Saison 2024/25 richtig Fahrt aufnehmen wird (2024 kommt nur Nr. 5).

    Dass es vor der Schlittenglöcklein-Symphonie zehn Grad warm war, danach um die Null und Schneefall herrschten, war dann gewiss ein Zeichen dafür, dass es … ähm, schöne Zufälle hie und da gibt? Jedenfalls der perfekte Abschluss des Abends. (Im Hintergrund das blaue Licht des fliegenden Holländers.)

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    "Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #151: Neuheiten aus dem Archiv – 09.04., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba
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    gypsy-tail-wind
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    PS: hier noch die auch in Zürich gespielte Zugabe von Sol Gabetta:

    Peteris Vasks, „II. Pianissimo (Dolcissimo)“ aus „Gramata cellam“

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    "Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #151: Neuheiten aus dem Archiv – 09.04., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba
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    soulpope
    "Ever Since The World Ended, I Don`t Get Out As Much"

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    Dank für Deine Impressionen zu Angela Hewitt …. das Programm sehr interessant strukturiert …. mit der Pianistin wurde ich – durchaus mit Parallelen zu Deinen Schilderungen – nie richtig warm ….

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      "Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit" (K. Valentin)
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    gypsy-tail-wind
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    Hast Du Hewitt denn auch schon live gehört @soulpope?

    Als nächstes hab ich (am Montag Jazz und) am Dienstag das Kammerorchester Basel unter René Jacobs mit Händel anstehen, „Aci, Galatea e Polifemo“ konzertant (Solist*innen sind: Kateryna Kasper, Aci; Sophie Harmsen, Galatea; Christian Senn, Polifemo – ich glaub die drei kenne ich alle noch nicht) und dann am 28. Januar in Genf die neue Oper von Hector Parra, „Justice“, am 30. in Lugano Buchbinder Beethovens Sonaten Nr. 3, 8, 10 & 21) …

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    soulpope
    "Ever Since The World Ended, I Don`t Get Out As Much"

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    gypsy-tail-wind Hast Du Hewitt denn auch schon live gehört @soulpope?

    Nein, meine Annäherungsversuche passierten ausschliesslich via „Dose“ …. wir haben uns da halt nie ineinander verfangen …. btw ich eigne ausschliesslich ihre Aufnahme der Bachschen Partiten aus 1997 auf Hyperion, spiele diese aber kaum ….

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      "Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit" (K. Valentin)
    #12237781  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
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    Haha, lustigerweise ist das exakt auch meine eine Bach-Einspielung von ihr bisher!

    Die beiden Mozart-Konzerte-CDs (KV 238, KV 246, KV 271 mit dem Kammerorchester aus Mantua bzw. KV 482 und KV 491 mit dem National Arts Centre Orchestra unter Hannu Lintu) waren Geschenke vom Vertrieb, die Bach kriegte ich dort mal für einen Fünfer oder so (unter der Rubrik „alte Lagerbestände abbauen“), die beiden Scarlatti-CDs habe ich gekauft.

    --

    "Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #151: Neuheiten aus dem Archiv – 09.04., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba
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    soulpope
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    gypsy-tail-wind Haha, lustigerweise ist das exakt auch meine eine Bach-Einspielung von ihr bisher! Die beiden Mozart-Konzerte-CDs (KV 238, KV 246, KV 271 mit dem Kammerorchester aus Mantua bzw. KV 482 und KV 491 mit dem National Arts Centre Orchestra unter Hannu Lintu) waren Geschenke vom Vertrieb, die Bach kriegte ich dort mal für einen Fünfer oder so (unter der Rubrik „alte Lagerbestände abbauen“), die beiden Scarlatti-CDs habe ich gekauft.

    Meine Bach CD war auch ein gutgemeintes Geschenk 😁 ….

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      "Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit" (K. Valentin)
    #12240391  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
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    23.01.2024 – Unzertrennlich – Basel, Don Bosco

    Kateryna Kasper, Sopran (Aci)
    Sophie Harmsen, Mezzosopran (Galatea)
    Christian Senn, Bass (Polifemo)
    Kammerorchester Basel
    René Jacobs
    Leitung

    GEORG FRIEDRICH HÄNDEL
    Ouvetüre zu «Agrippina» HWV 6
    «Aci, Galatea e Polifemo» HWV 72, Dramatische Kantate.
    (Konzertante Aufführung)

    Bei mir gab’s gestern eine konzertante Aufführung von Händels Serenata a tre „Aci, Galatea e Polifemo“ in Basel – René Jacobs leitete das Kammerorchester Basel zum wiederholten Mal bei so einem Unterfangen (für mich war’s die Premiere) – und das war richtig schön. Die zweite Hälfte fand ich echt umwerfend. Es gab keine Pause, mit der vorangestellten „Agrippina“-Ouvertüre (weil die Serenata keine Ouvertüre hat) dauerte das ganze so 1:40 Stunden. Was in der Mitte passierte, weiss ich nicht, aber mich dünkte, dass alle irgendwie nochmal einen Gang hochschalteten, wenn davor manches zwar sehr schön aber auch etwas verhalten wirkte, war ich plötzlich mitten drin und sass öfter buchstäblich auf der Stuhlkante – also auf der Kante der harten Bank: Ich hatte wie beim Mozart-Abend mit Ibraghimova/Bezuidenhout einen Platz im „Seitenschiff“ des Don Bosco, was in dieser umgebauten modernen Kirche einfach eine Bank an der Wand ist. Gute Sicht, okaye Akustik dafür, dass man da in einer Art Gang sitzt, der nur drei Meter oder so hoch ist (aber auch nicht tiefer als das … für ein Haydn-Konzert mit Antonini und dem Solisten Christian Tetzlaff sass ich mal auf der steil ansteigenden Tribüne im hinteren Teil des Kirchenschiffs und kann mich nicht erinnern, dass es dort wesentlich besser geklungen hätte (ich vermute es gab in der Kirche mal eine Empore über dem Eingangsbereich und die wurde quasi von der Tribüne verdeckt, in diese verbaut). Das Orchester war klein (Streicher 5-4-3-2-1, dazu Oboe, zwei Trompeten, Pauken … Blockflöte noch, glaub ich? Konnte nicht alles sehen, falls das angekündigte Fagott dabei war, hab ich es echt nicht gehört – aber wer weiss, bei sowas kann es ja sein, dass man es merken würde, wenn’s plötzlich nicht mehr da wäre), aber eine grosse Continuo-Gruppe mit Cembalo/Orgel, Harfe, Theorbe und dem einen Cello (der Kontrabass gehörte da oft auch mit dazu). Jacobs hat da wohl auch ein wenig arrangiert – war jedenfalls super. Und das Solist*innen-Trio war umwerfend, Kateryna Kasper (Sopran) als Aci und Christian Senn (Bass) als Polifemo, die als Gegensatzpaar um Sophie Harmsen (Mezzo), die Galatea, buhlten. Alle drei klasse, die Koloraturen sassen fast immer (auch da schien es im Lauf der Aufführung mehr Sicherheit zu geben), die Diktion war bei allen nicht perfekt, aber nachdem ich grad im Kontext von „Platée“ wieder mal etwas über die Franzosen vs. die Italiener in der Oper las, musste ich auch öfter mal ein wenig schmunzeln, weil Händel mancherorts auch schon fast den Exzess sucht in den unendlichen Zier-Linien, da werden Silben derart zerdehnt, dass Textverständlichkeit eigentlich in den Arien gar nicht mehr möglich ist. Dazwischen gab es aber zahlreiche (gesungene und wie mir schien auch völlig auskomponierte, also nicht nur vom Continuo halb-spontan begleitete) Rezitative, in denen das natürlich anders war. Netterweise kriegte man beim Eingang den Text in die Hand gedrückt und es war – der Stimmung nicht dienlich – im Saal hell genug, als dass man mitlesen konnte. Und gestern sass mal wieder Julia Schröder am ersten Pult – sie ist auf einigen meiner liebsten KOB-CDs dabei (z.B. derjenigen mit Musik aus Bologna auf DHM), aber recht selten bei den Konzerten. Und etwas Bewegung war natürlich schon auf der Bühne, Polifemo – und später der tote Aci – sangen öfter mal von einem kleine Podest zwischen Pauke und Trompeten hinten auf der Bühne, es gab diverse Auf- und Abgänge, die Oboensolistin kam jeweils nach vorn zwischen die ersten und zweiten Violinen, wenn sie Arien begleitete. Wunderbar war’s!

    Das Programmheft steht weiterhin online:
    https://www.kammerorchesterbasel.ch/de/konzerte/unzertrennlich.html

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    "Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #151: Neuheiten aus dem Archiv – 09.04., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba
    #12244627  | PERMALINK

    yaiza

    Registriert seit: 01.01.2019

    Beiträge: 5,414

    vielen Dank auch von mir für die letzten Berichte,gypsy.

    gypsy-tail-wind    […] und im Juli (Pekka Kuusiston spielt das Violinkonzert und Joana Mallwitz dirigiert danach auch wieder Mahler, die Erste) […]

    falls Dich Mahler 1 mit Joana Mallwitz interessiert, solltest Du Dich womöglich auf Schönklang einstellen… In ihrem Antrittskonzert im Konzerthaus dirigierte sie drei erste Sinfonien (Prokofiev, Weill,Mahler). Prokofiev fand ich noch am gelungensten; bzgl. Weill 1 fand ich es gut, dass sie das Werk ins Programm nahm. Beim Live-Hören wurde mir aber bewusst, warum ich bisher nicht so andocken konnte – natürlich gibt es tolle Momente, aber die Sinfonie ist einfach nicht ausgereift. Weill hatte diese auch nie freigegeben usw. (Die Partitur aus Studienzeiten wurde nach seinem Tod gefunden). Mahler 1 wurde meiner Meinung nach viel zu poliert gespielt…

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    #12244659  | PERMALINK

    yaiza

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    hier auch noch ein Nachtrag von mir…

    20.01.2024
    Vogler Quartett (Tim Vogler, Frank Reinecke, Stefan Fehlandt, Stephan Forck)
    Konzerthaus Berlin, Kleiner Saal

    Louis Théodore Gouvy: Streichquartett Nr. 5 c-Moll op. 68
    Erwin Schulhoff: Fünf Stücke für Streichquartett
    Giuseppe Verdi: Streichquartett e-Moll

    Die Fünf Stücke für Streichquartett wurden eingerahmt von zwei Streichquartetten, die in den 1870ern komponiert wurden. Eine Verbindung könnte schon auch Mendelssohn als Vorbild darstellen. Von Louis Théodore Gouvy war mir bisher nur der Name bekannt (durch eine CD mit vierhändigen Klavierwerken des Duos Tal Groethuysen). Gespielt wurde sein 5. Streichquartett. Laut dig. Programmheft (ich kaufe die Printausgabe nicht mehr, da kein Fan des neuen Formats) nimmt es „den höchsten Rang unter seinen Beiträgen zu dieser Gattung“ ein. Ich weiß gar nicht, ob es Aufnahmen gibt… vielleicht höre ich mal weiter. Ich fand es auf jeden Fall interessant, etwas von Louis Théodore Gouvy zu hören und im Vorfeld mehr zum Komponisten und seinem Spagat zwischen zwei Nationen zu lesen.
    In der Mitte des Konzerts dann die Fünf Stücke von Schulhoff. Da diese 1923 komponiert wurden, erfuhren sie im letzten Jahr eine höhere Aufmerksamkeit; u.a. spendierte Dlf Kultur eine 2h-„Interpretationen“-Sendung, es gab eine neue Einspielung durch das Schumann Quartett… Ich habe es genossen, diese „fünf Masken“ (Alla valse viennese/serenata/czeca/tango milonga/tarantella) live zu hören. Ich denke, es war Harald Eggebrecht, der in der Interpretationen-Sendung wiederholt darauf einging, dass Schulhoff den Interpreten „immerzu Stöckchen zwischen die Beine wirft“,um nicht wirklich nach Walzer usw. zu klingen. Das fand ich dann auch spannend beim Vogler Quartett zu verfolgen.
    Nach der Pause wieder Rückkehr in die 1870er. Das Vogler Quartett begann nicht gleich mit dem Verdi Streichquartett, sondern stieg zu Erläuterungszwecken mit dem Anfang des Kopfsatzes von op. 44/2 von Mendelssohn ein. Dieses Streichquartett soll Verdi bei einer Aufführung gehört haben. Er war sehr begeistert und fühlte sich inspiriert, ebenfalls ein Streichquartett zu komponieren (beide Quartette stehen in e-Moll). Von diesem Quartett wurde inzwischen die Erstfassung von 1873 gefunden (das Vogler Quartett war mit der Aufführung im März 2023 betraut; bisher wurde die überarbeitete Fassung von 1876 gespielt). Es folgte eine sehr schöne Einführung vom 2. Geiger Frank Reinecke kurz zur Kontaktaufnahme des Leipziger Uni-Prof. und Historikers Axel Körner mit ihm und dann aus seiner Sicht als 2. Geiger zu den Änderungen. Für Zuschauer, die mit der Fassung von 1876 gut vertraut waren, war das sicher hochspannend. Aber auch ich fand es interessant, Verschiebungen von ausgewählten Parts zu hören, die das Vogler Quartett anspielte bevor es das Quartett dann ganz aufführte. Als Zugabe wurde noch eine kleine Vorarbeit von Verdi zum Streichquartett gespielt. Alles in allem, war das ein sehr sehr interessanter Abend… Am nächsten Tag hörte ich mir mal wieder op. 44/2 von Mendelssohn an – eine schöne Anregung aus dem Konzert.

    https://www.deutschlandfunkkultur.de/verdi-quartett-von-1873-wird-erstmals-ungekuerzt-aufgefuehrt-100.html
    https://www.deutschlandfunkkultur.de/erwin-schulhoff-fuenf-stuecke-fuer-streichquartett-dlf-kultur-4d8efb3c-100.html

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    #12245105  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
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    @yaiza Merci, ich weiss wegen Mallwitz noch nicht – ev. komme ich erst an dem Tag aus den Ferien heim (die Wohnung, die ich gemietet habe, war mit der Extra-Nacht billiger, als wenn ich eine Nacht weniger gebucht hätte, drum lass ich es noch offen) und würde v.a. wegen Kuusisto hingehen. Da Järvi aber demnächst seinen Mahler-Zyklus in der Tonhalle startet, ich dort gerade Mahler unter Nagano hörte und in Basel auch demnächst in einer Version für Kammerorchester, wäre das vielleicht im Vergleich ganz interessant.

    Das Streichquartett Nr. 5 von Gouvy kenne ich noch nicht (die anderen erst recht nicht) – aber es ist auf diesem Komponisten-Portrait von Bru Zane zu finden (gibt’s beim Vertrieb, drum hab ich das Label – die Label? hiess mal „ediciones singulares“, aber ich glaub Bru Zane war immer der „Schirm“, die Stiftung dahinter, die auch anderswo die Finger im Spiel hat – auf dem Schirm):
    https://bru-zane.com/en/pubblicazione/cantate-oeuvres-symphoniques-et-musique-de-chambre/

    Sonntag war in Genf an der vierten und letzten Aufführung von „Justice“ – Musik von Héctor Parra, Idee/Szenario/Regie von Milo Rau, Drehbuch von Fiston Mwanza Mujila. Ein erschütterndes Stück Polit-Theater, das aber nur deshalb so gut war, weil die Brücke zur Oper dank Parras Musik ganz hervorragend gelungen ist. Eingebunden wurden diverse Musikstücke aus dem Kongo und Sambia – der Unfall, auf den das Stück sich bezieht, geschah in Katanga im Süden, nah an der Grenze – und Parra hat dazu im Programmheft einen sehr langen Text geschrieben, den ich gelegentlich noch nachlesen möchte. Vorn links auf den beiden Plasticstühlen hatte sich der Gitarrist Kojack Kossakamvwe installiert, der schon bei Saalöffnung dort sass und etwas herumspielte, während das Orchester sich im Graben einrichtete und sich aufwärmte.

    Die letzten zehn Minuten vor Beginn gehörten Kossakamvwe dann allein mit seinem irren Gitarrenspiel, das eine Art Update der kongolesischen Popmusik inkl. Rumba-Anklänge bot, während Mujila still gestikulierend mit jemandem auf der Bühne hin und her geht. Mujila leitete dann ein, führte als eine Art Moderator durch den Abend, sprach stets beim Übergang der fünf Akte in einer Art Brechung die Titel. Die Sänger*innen wurden auch kurz vorgestellt – aber nicht etwa ihre Figuren sondern in ganz knapper Form ihre eigenen Biographien erläutert. Mit Willard White in der Rolle des alten Priesters eine Legende dabei, 1946 in Jamaica geboren, von Evelyn Rothwell entdeckt, an der Juilliard ausgebildet, Masterclasses bei Callas … Das dürfte überhaupt so ziemlich der diverseste Cast gewesen sein, der bei einer Opernproduktion hierzulande je zu sehen war. Ähnlich übrigens auch im Saal, wenngleich der der Anteil an Bleichgesichtern und Langnasen bei weitem überwog.

    Musikalisch war das ein grosser Synkretismus, der aber in ein Ganzes mündete, das tatsächlich die Haupt-Stärke der Oper auskostete: das Transportieren grosser Gefühle in oft herzzerreissenden Arien, ganz besonders wenn Axelle Fanyo am Zug war, die die Mutter eines der Opfer gab – ihre junge Tochter, die beim Unfall, um den sich alles dreht, starb, tauchte als eine Art Gespenst auch auf. Dieser Unfall geschah 2019 in einem Dorf in der Provinz Katanga, als ein mit Schwefelsäure beladener Tanklaster in einen Markt rast und 21 Menschen teils langsam und qualvoll sterben, währende weitere schwer verletzt werden. Die Säure wird beim Kobaltabbau eingesetzt (auch dabei kommt es zu Unfällen) und dieser Laster war im unterwegs im Auftrag von Glencore, dem Genfer Rohstoffhandel-Riesen, weswegen Genf auch der Ort war, an dem diese Oper aufgeführt werden konnte, musste.

    Rau reiste mit seiner Crew an den Ort des Geschehens und Filmaufnahmen – auch von den fürchterlichen Handy-Videos, die von geschockten Zeugen vor Ort gemacht wurden – wurden immer wieder eingebettet. Handlungszeitpunkt ist aber eine kleine Feier fünf Jahre später – also 2024 – bei der die Einweihung einer Schule im Ort gefeiert werden soll. Ein westlicher Manager (Tantsits) und seine Wohltätigkeitsgemahlin (Münch) führen dabei Regie, um sie herum gruppieren sich die anderen: eine Anwältin, zwei Priester, ein paar der Opfer oder Angehörigen, aber auch als eine Art Outcast die Fahrerin des Unglückslasters (natürlich in der Wirklichkeit die einzige Person, die verurteilt wurden – die Opfer bzw. ihre Familien wurden mit wenigen hundert Dollar Blutgeld gekauft, die Mutter erhielt z.B. 250$ für ihre gestorbene Tochter – das muss diese vielbeschworene humanitäre Tradition der Schweiz sein, auch ein stichhaltiges Argument, warum es die Konzernverantwortungsinitiative neulich selbstverständlich abzulehnen galt – stoppt mich, bevor ich irre werde).

    Dass Mujila (der seit längerem in Österreich lebt) aus der Gegend stammte, ebenso wie der phantastische Countertenor Serge Kakudji (der bei der Reise natürlich dabei war, es gibt Fotos, wie er am Rand der Glencore-Mine eine seiner Arien singt), war vermutlich kein reiner Zufall sondern Arbeit derjenigen, die sich um das Casting kümmerten (Rau ist ja am Kongo schon länger dran und dürfte einige hilfreiche Kontakte geknüpft haben).

    Die zahlreichen Berichte online und in der gedruckten Presse dünken mich nicht immer ausgewogen: manche lehnen den aktuellen politischen Rahmen ab oder finden, dass die Verbindung mit der Musik nicht gelungen ist, andere konnten wohl die musikalische Ebene nur teils würdigen (die Journos, die eher für Afrika-Berichterstattung zuständig sind und jetzt halt mal in die Oper gingen …) – schwierig, und am Ende wie in den Vorab-Berichten oftmals doch nur Versatzstücke, wie sie im Programmheft dem langen Gespräch mit Rau und Mujila entnommen werden können.

    Für mich funktionierte das wie gesagt sehr, sehr gut. Die Musik von Parra schlug Brücken, der Einbezug von Kossakamvwe über die ganzen knapp zwei Stunden hinweg, der Wechsel zwischen Arien und Chor-Partien, die Brechungen durch den gesprochenen Text, die durchaus gelungene Regie, die in vielen kleinen Einfällen und Szenen unsere eigene Lebenswelt immer wieder entlarvte, unsere Floskeln, unser oft unreflektiertes und unwissendes Schlafwandeln – ich war am Ende jedenfalls völlig geplättet. Das Orchestre de la Suisse Romande unter der Leitung von Titus Engel war hervorragend. Die Schlagwerk-Abteilung hatte mit diversen Marimba-, Vibra- und Xylophonen und vielen unterschiedlichen Trommeln viel Arbeit, Blech und Holz ebenfalls prägnante Einsätze, die oft auch mit der Gitarre am Bühnenrand einhergingen. Neutönerisch wirkte das selten, aber auch nie traditionalistisch – im Gegenteil, irgendwie sehr frisch, sehr offen – und eben: mit dem Mut zur grossen Geste, zumindest was die Melodien angeht, die Arien.

    Der Cast:

    Justice
    Opéra de Hèctor Parra
    Livret de Fiston Mwanza Mujila d’après un scénario de Milo Rau
    Création mondiale / Nouvelle production en coproduction avec le Festival Tangente St. Pölten

    Direction musicale Titus Engel
    Mise en scène Milo Rau
    Scénographie Anton Lukas
    Costumes Cedric Mpaka
    Lumières Jürgen Kolb
    Vidéos Moritz von Dungern
    Dramaturgie Clara Pons
    Dramaturgie Giacomo Bisordi
    Direction des chœurs Mark Biggins

    Le directeur Peter Tantsits
    La femme du directeur Idunnu Münch
    Chauffard Katarina Bradić
    Le prêtre Willard White
    Le jeune prêtre Simon Shibambu
    Le garçon qui a perdu ses jambes Serge Kakudji
    Avocate/L’enfant mort Lauren Michelle
    Le mère de l’enfant mort Axelle Fanyo
    Le librettiste Fiston Mwanza Mujila (Sprechrolle)
    Victimmes Joseph Kumbela, Pauline Lau Solo (Sprechrollen)

    Chœur du Grand Théâtre de Genève
    Orchestre de la Suisse Romande

    avec la participation de Kojack Kossakamvwe

    Was es mit der seltsamen Blech-Decke im renovierten Grand Théâtre auf sich hat, weiss ich nicht – aber zu diesem Stück passte sie perfekt. Sie ist auch sonst sehr schön, finde ich – die Lichter der Saalbeleuchtung darin sehen aus wie Sterne und wurden dieses Mal quasi schlangenförmig von hinten nach vorn ausgeschaltet vor Beginn der Aufführungen – im Saal war es dann zu dunkel und ich zu sehr mit Applaudieren beschäftigt, als dass ich bessere Fotos geschafft hätte – auf dem unten all die Solist*innen inkl. der beiden „victimes“, oben inkl. Chor, Engel, Mujila, Kossakamvwe. Besucht habe ich die vierte und letzte Vorstellung, Sonntag 28. Januar 2024 um 15 Uhr. Es gab viel und langanhaltenden Applaus.

    --

    "Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #151: Neuheiten aus dem Archiv – 09.04., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba
    #12245829  | PERMALINK

    yaiza

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    vielen Dank für diesen interessanten Text!

    gypsy-tail-wind … Das Streichquartett Nr. 5 von Gouvy kenne ich noch nicht (die anderen erst recht nicht) – aber es ist auf diesem Komponisten-Portrait von Bru Zane zu finden (gibt’s beim Vertrieb, drum hab ich das Label – die Label? hiess mal „ediciones singulares“, aber ich glaub Bru Zane war immer der „Schirm“, die Stiftung dahinter, die auch anderswo die Finger im Spiel hat – auf dem Schirm): https://bru-zane.com/en/pubblicazione/cantate-oeuvres-symphoniques-et-musique-de-chambre/

    ah…

    was Symphonien betrifft, kann man bei cpo gut weiterhören
    ich hörte die #1,mendelssohn- vielleicht auch schumann-esk — ich könnte schon auch nachvollziehen, warum ihm die Eigenständigkeit/Originalität nicht zugestanden wurde (erinnert mich auch daran, nochmal mehr bei Niels Gade reinzuhören); die Flötenstimmen sind in der Gouvy 1 aber toll.
    https://www.jpc.de/jpcng/cpo/detail/-/art/louis-theodore-gouvy-saemtliche-symphonien/hnum/7384075

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    #12247143  | PERMALINK

    yaiza

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    Abschluss der Schubert-Woche
    So, 28.01.2024 im Pierre Boulez Saal

    15.00 Uhr Workshop-Abschlusskonzert
    Aiko Bormann, Michèle Bréant (Sopran)
    Luzia Ernst, Catalina Geyer, Sina Günther, Maria Tilibtsev (Mezzosopran)
    David Kennedy, Bruno Meichsner (Bariton)
    Anna Gebhardt, Lucas Huber Sierra, Wan-Yen Li (Klavier)
    Elitsa Desseva (Studienleitung, Klavier)
    Thomas Hampson (Künstlerische Leitung)

    Wolf Das Ständchen
    Schubert An die untergehende Sonne D 457, Auflösung D 807, Die Götter Griechenlands D 677, Der Tod und das Mädchen D 531
    Wolf Der Genesene an die Hoffnung, Auch kleine Dinge können uns entzücken, Mausfallen-Sprüchlein, Der Tambour
    Schubert Auf dem See D 543, Der Winterabend D 938, Willkommen und Abschied D 767, Heimliches Lieben D 922
    Wolf Der Gärtner, Zitronenfalter im April, Du denkst mit einem Fädchen mich zu fangen,Nimmersatte Liebe
    Schubert Die Männer sind méchant D 866/3, Du liebst mich nicht D 756
    Wolf Anakreons Grab, Auf einer Wanderung

    Bereits am Fr.u. Sa. zuvor wurden die je 2h-Workshops mit den jungen Interpreten und Thomas Hampson aus dem Boulez Saal via Livestream übertragen. Ich hatte im letzten Jahr angefangen,diese zu schauen und freute mich, dass ich in diesem Jahr kurz zuvor, aber noch rechtzeitig daran dachte, mir eine Karte für das Abschlusskonzert zu kaufen. Da war kein Platz mehr im Parkett erhältlich und somit kam ich in die Gelegenheit, mal das Hörerlebnis vom Oberring/1. Rang aus zu testen. Im Block H angekommen (super Blick!) war schnell festzustellen, dass im Parkett noch sehr viele Plätze frei waren und wohl auch frei bleiben. Meine Sitznachbarn waren schon bei anderen Konzerten in der Schubert-Woche dabei und führten dann auch gleich den bundesweiten Bahnstreik an. Das war sicher schade für die, die auf eine Anreise per Bahn verzichten mussten. Es folgte ein sehr schönes Konzert (ca. 80min) mit abwechselnden Blöcken von Liedern die Franz Schubert und Hugo Wolf auf Texte verschiedener Dichter komponierten. Natürlich war es interessant, nun die Stimmen aus dem Livestream der letzten beiden Tage live zu hören. Ich kannte die meisten Lieder bisher gar nicht und ließ alles einfach auf mich wirken. Im Oberring kommt auch alles sehr gut an. Vom Vortrag her gefielen mir die beiden Sopranistinnen Aiko Bormann und Michèle Bréant sowie der Bariton Bruno Meichsner und die Pianistin Wan-Yen Li am meisten. Bei den Sängerinnen spiegelt es auch meine offensichtliche Vorliebe für Sopran bei Liedern mit Frauenstimme wider (zumindest stelle ich das immer mehr fest).

    Gleich zu Anfang war mir aufgefallen, dass Konstantin Krimmel auch im Publikum saß. Ich überlegte, ob er vielleicht in den Workshop eingebunden war, aber in den Heften wurde er nicht genannt.
    Kurz vor dem Abendkonzert beim Lesen des neuen Programmzettels dann die Auflösung: Samuel Hasselhorn war erkrankt und Konstantin Krimmel sprang für ihn ein. Zum einen sicher schade, nicht Samuel Hasselhorn hören zu können, aber bei Konstantin Krimmel spürte ich zumindest vom Radiohören her, dass er ein Top-Ersatz sein würde. Erst ca. 2 Wochen zuvor war ein Studiokonzert (BR) mit ihm und Ammiel Bushakevitz zu hören… Da habe ich noch gedacht, „na einen der beiden höre ich ja demnächst live“ :)
    Vom geplanten Wolf-/Mahler/Schubert-Programm sind die 6 Lieder nach Heine aus dem „Schwanengesang“ sowie „Der Feuerreiter“ von Wolf ins neue Programm übernommen worden:

    20.00 Konstantin Krimmel (Bariton) & Ammiel Bushakevitz (Klavier)
    Schumann Fünf Lieder (A. von Chamisso) op. 40 Märzveilchen, Muttertraum, Der Soldat, Der Spielmann, Verratene Liebe
    Loewe Herr Oluf op. 2/2; Der du von dem Himmel bist, Geisterleben (beide op. 9 Heft 1 Nr. 4+5), Der Totentanz op. 44 Nr. 3, Archibald Douglas op. 128
    Wolf Der Feuerreiter, Gebet, Abendbilder
    Schubert Sechs Lieder nach Heine aus D 957 Das Fischermädchen, Am Meer, Ihr Bild, Die Stadt, Der Doppelgänger, Der Atlas

    Dieses Programm fand ich schon vom Blatt her sehr attraktiv. Zuerst Schumanns „Andersen“-Lieder und auf den anschließenden Carl Loewe-Programmteil freute ich mich sehr. Das kam auch so überraschend, mal wieder den „Balladenkönig“ zu hören.
    Ich war zum ersten Mal zu Liedprogrammen im Boulez-Saal… Ich habe mich lange schwer getan mit diesem Saal. Anfangs hatte er bei Kammermusikabenden eine Hörsaal-Ausstrahlung auf mich; vielleicht auch, weil sich die Interpreten in der Mitte des „Ovals“ befanden, natürlich mit entsprechender Beleuchtung, und ich vom Platz meiner gewählten PK aus immer so einen Blick auf die ansteigenden Sitzreihen hatte. Nun stand das Klavier in der „Nordkurve“, die nicht besetzt und abgedunkelt war. An diesem Abend war nur der Bereich um Sänger & Pianist beleuchtet. Dies trug zu einer gespannten Atmosphäre bei. Konstantin Krimmel und Ammiel Bushakevitz hatten, so schien es, das Publikum von Anfang an in der Hand. Kein Mucks, kein Huster… es fiel gar nicht mehr auf, dass der Saal voll besetzt war. Auch ich merkte an mir, wie gespannt ich dem Vortrag folgte. Gut gefiel mir, dass die beiden den Loewe-Block gleich mit einem Highlight begannen. Ich habe zwei CDs zu Hause, auf denen „Herr Oluf“ ans Ende gesetzt wurde, aber diese sehr bekannte frühe Ballade funktionierte bestens als Einstieg in diesen Programmteil. Und auch durch die weitere Auswahl kam ich mir wie in so einer Schauerballaden-Runde vor und genoss es. In Loewe-Liedern geht es szenisch zu, da werden viele Situationen beschrieben und auch verschiedene Rollen gesungen. Konstantin Krimmel beherrscht das auf jeden Fall. Ich merkte nicht, wie die Zeit bis zur Pause verging. Toll war auch, dass tatsächlich nur nach den Blöcken applaudiert wurde, so dass sich eben auch eine konzentrierte Stimmung und wirkliche Zuhör-Atmosphäre ausbreiten konnte. (Im neu erstellten Programm war der Hinweis bzgl. Applauses nach den Liedgruppen nicht aufgenommen. Im Konzert am Nachmittag stand er unter dem Programm, wurde aber nicht beachtet.)
    Im zweiten Teil knüpfte er mit „Der Feuerreiter“ von Hugo Wolf an die Stimmung zu Ende des ersten Teils an. Es kam mir wie eine Mini-Oper vor. Ich kannte von Hugo Wolf bisher fast nichts, bin aber auch durch die im anderen Programm gehörten Lieder am Haken. Das gefühlte Finale dann mit den Liedern nach Heine aus dem Schwanengesang. Ich wartete erst auf das Grummeln des „Atlas“, merkte dann aber eben schnell, dass die beiden die Reihenfolge umgestellt haben. Von der Dramaturgie kann ich es sehr gut nachvollziehen, „Die Stadt“ und „Der Doppelgänger“ ans Ende zu stellen und mit „Der Atlas“ zu schließen.
    Nach kurzer Stille brandete der Applaus auf. Die beiden Interpreten fielen sich in die Arme und man sah nicht nur dem Publikum die Freude über diesen sehr gelungenen Abend an. Konstantin Krimmel bedankte sich, dass alle so zahlreich erschienen waren und nicht schon früher gingen. Ein „Das ist heutzutage nicht mehr selbstverständlich“ schloss sich dann von ihm noch an. Als Zugabe trug er „Die Uhr“ von Carl Loewe vor. Nach weiterem Applaus stellte er das Publikum vor die Wahl. Wir haben etwas „Feuriges“ oder „Schauriges“. Während ich ja ans Schaurige dachte, kam von einigen aus dem Publikum aus Spaß die Antwort: „beides“… nach kurzem Blickkontakt ließen sich die beiden darauf ein und fragten noch zurück, mit welchem begonnen werden soll. Es folgte Schumanns „Belsatzar“ und das anschließende „Feurige“ habe ich leider nicht erkannt.
    Nach den drei Zugaben stand das Publikum und dieser wundervolle Abend, der soviele Überraschungen bereithielt, fand dann durch das Anknipsen der Saalbeleuchtung ein Ende … vorerst… denn auf dem Weg durch’s Foyer oder auch Richtung Ausgang schwebte dann doch so manche gepfiffene Melodie durch den Raum (wie nach der „Dreigroschenoper“ im BE, Anfang Januar). Ich muss auch zugeben, dass sich der „Herr Oluf“-Ohrwurm bei mir wieder aktiviert hatte und sich noch die nächsten Tage hartnäckig hielt.

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    #12247793  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
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    30.01.2024 – Rudolf Buchbinder: Vi presento Beethoven – Lugano, LAC

    Rudolf Buchbinder Klavier

    LUDWIG VAN BEETHOVEN:
    Klaviersonate Nr. 3 C-Dur, Op. 2 No. 3
    Klaviersonate Nr. 8 c-Moll, Op. 13 „Pathétique“

    Klaviersonate Nr. 10 G-Dur, Op. 14 No. 2
    Klaviersonate Nr. 21 C-Dur, Op. 53 „Waldstein“

    E: Schlusssätze aus Nr. 23 f-Moll, Op. 57 „Appassionata“ & Nr. 17 d-Moll, Op. 31, No. 2 „Tempest“

    Vier Konzerte diese Woche, seit der Oper in Genf – und heute Abend noch ein Doppelkonzert mit dem 86jährigen Pierre Favre im Jazzclub. Ein paar Zeilen nur zum Gehörten. Buchbinder endlich mit Beethoven-Sonaten zu hören (das Konzert mit seinem Diabelli-Programm in der Tonhalle hatte ich ausgelassen) war mit ein Grund für den kurzen Urlaub in Genf und im Tessin. Und das hat sich sehr gelohnt, ganz wie erhofft. Den Einstieg fand ich etwas verhalten, auch schienen da und dort ein paar verrutschte Töne in die Läufe zu geraden. Doch das Konzert geriet zu einer Art Steigerungslauf, schon vor der Pause und erst recht danach. Buchbinders Spiel wirkte immer fokussierter, dichter, zwingender, und die „Waldstein“ geriet wirklich phänomenal. Dabei macht er – das ist ja bekannt – keinerlei Aufhebens um gar nichts: vom Moment, in dem er die Bühne betritt, bis zum ersten Ton, dauerte es kaum mehr als fünf Sekunden. Auch am Schluss stellt er sich rasch hin, geht raus, kommt wieder, spielt eine erste, dann eine zweite Zugabe – und nun war das der pure Rausch: die Schlusssätze zweier weiterer Sonaten gerieten so gut wie davor die „Waldstein“. Das war jedenfalls klar das beste Live-Erlebnis, das mir in Sachen Beethoven-Sonaten bisher vergönnt war.

    01.02.2024 – Sergej Krylow / Play&Conduct – Lugano, Auditorio Stelio Molo (RSI)

    Orchestra della Svizzera Italiana
    Sergej Krylow
    Violine & Leitung

    MAX BRUCH: Concerto per violino e orchestra n. 1 in sol minore op. 26 (1868)

    RODION K. ŠČEDRIN su temi di GEORGES BIZET: Carmen Suite, balletto in un atto per orchestra d’archi e percussioni op. 37 (1967)

    Zwei Tage später führte mich der Weg erneut nach Lugano, aber nicht ins LAC, den Prachtbau am See, sondern zum ersten Mal endlich ins Auditorium der Radiotelevisione Svizzera (RSI), wo das Orchestra della Svizzera italiana (OSI – das Pendant zum OSR, dem Orchestre de la Suisse Romande, das ich in Genf in der Oper gehört hatte) jeweils einen Teil seiner Saison bestrietet. Ich erwischte das letzte Konzert, bevor der Rest wohl im viel grösseren Saal im LAC laufen wird. Das Auditorium, in dem ECM seit Jahren viele seiner Produktionen aufnimmt, ist Teil eines wabenörmigen grossen Gebäudekomplexes – auf dem Foto sind nur zwei Seiten des Sechsecks zu sehen, das auf drei Seiten Platz fürs Publikum bietet. Der Eingang ist hinter der Bühne auf der Galerie, zwei Seiten dienen nur als Zugänge bzw. für die Treppen, um in den unteren Bereich zu gelangen (ich sass oben an der Seite – hatte Glück, dort noch einen Platz in der ersten Reihe zu erwischen, das Konzert war ausverkauft).

    Das Programm fand ich ehrlich gesagt fast etwas weniger verlockend als die Aussicht, den Raum endlich mal zu betreten. Doch besonders der erste Teil war richtig gut. Bruchs Violinkonzert, einst ein Repertoire-Klassiker (Bruch selbst regte sich schon darüber auf, dass alle Welt nur das erste hören wollte, nicht die anderen, die auch gut seien, wenn nicht sogar besser) scheint ja längst etwas aus der Gunst gefallen zu sein – das Konzert des OIS mit Sergej Krylow, der u.a. in Lugano als Dozent tätig ist, war jedenfalls meine erste Gelegenheit, das Konzert live zu hören. Krylow stand vorn in der Mitte, spielte mit dem Rücken zum Orchester, drehte sich aber immer wieder um, um zwischendurch zu dirigieren. Die Besetzung war relativ klein (die Streicher glaub ich 8-7-5-4-3), das geriet zwar nicht direkt kammermusikalisch, aber doch recht intim, was auch in den recht kleinen Saal bestens passte. Als Zugabe spielte Krylow dann noch einen langsamen Satz aus einer der Sonaten oder Partiten von Bach.

    In der Pause gab es einen Umbau, denn danach waren keine Bläser mehr, dafür viel mehr Schlagwerk dabei. Die Schchedrin-Bearbeitung von Themen aus Bizets „Carmen“ kannte ich nicht (die einzige Aufnahme, die mir vorliegt, findet sich in der grossen Janssons/BR-Box, aus der ich noch keinen Ton gehört habe, Bizets eigene Suiten sind mir ebenfalls nicht vertraut, die sind auch nur als „Beifang“ in irgendwelchen Boxen ins Regal gewandert). Ich fand das im Konzert reizvoll, weil Motive oft abbrechen, vom einen Register ins nächste springen, oft zum Schlagwerk, wo die Mallets viel Arbeit hatten – besonders prominent das grosse Marimbaphon. Aber auch die Pauken durften mal eins der Motive intonieren, die alle Welt pfeifen kann. Zwischendurch fand ich diese Aufteilung der Motive, das Wechselspiel zwischen den Instrumenten, weniger prominent und da Geschehen entsprechend etwas vorhersehbarer. Aber klar, den Leuten (ich finde dazu keine Infos, aber ich denke im Saal haben um die 300 Platz) gefiel das.

    Hier gibt’s den Live-Stream zum Nachschauen:
    https://www.rsi.ch/cultura/musica/concerti/Orchestra-della-Svizzera-italiana-Sergej-Krylov–2057712.html

    03.02.2024 – Mozart / Mahler – Zürich, Tonhalle

    Tonhalle-Orchester Zürich
    Paavo Järvi
    Music Director
    Cristina Gómez Godoy Oboe

    WOLFGANG AMADEUS MOZART: Oboenkonzert C-Dur KV 314

    GUSTAV MAHLER Sinfonie Nr. 5 cis-Moll

    Gestern Abend hörte ich in der Tonhalle dann die zweite Aufführung des Auftakts des Mahler-Zyklus, den das Orchester mit Paavo Järvi in Angriff nimmt (weitere Aufführungen folgen diese Saison nicht mehr). Das war wirklich ein grossartiges Erlebnis. Den Einstieg machte das gut 20mminütige Oboenkonzert von Mozart (rekonstruiert aus dem daraus adaptierten Flötenkonzert, wie ich es verstanden habe). Das Orchester spielte dafür in ähnlich kleiner Besetzung auf wie das OIS ein paar Tage zuvor. Ich erinnerte mich sofort an eins von Järvis ersten Konzerten mit dem Tonhalle-Orchester, in der Zwischensaison, als er noch nicht Chefdirigent war, aber schon mehrere Konzerte gestaltete. Da stand eins der Violinkonzerte mit Janine Jansen auf dem Programm – und genau so toll war das Oboenkonzert mit der jungen Solistin Cristina Gómez Godoy. Eine schnörkellose, beinah kammermusikalische Herangehensweise, ein aufmerksam hörendes Miteinander von Solistin und Orchester, aber bei aller Spontanität auch eine schnörkellose, unaufgeregte Sicht auf Mozart, wie ich sie bevorzuge, weil dadurch die unglaubliche Emotionalität seiner Musik umso schöner zum Vorschein gebracht werden kann. Toll!

    Nach der Pause dann das Haupt-Event, wegen dem die Tonhalle zweimal ausverkauft war: Mahlers fünfte Symphonie. Mir ist sie bisher noch nicht so wirklich begegnet. In Auszügen z.B. in „Tár“, in einer kammermusikalischen Adaption letztes Jahr beim Lucerne Festival … und jetzt zum ersten Mal richtig, in grosser Orchesterbesetzung und mit einem Dirigenten, der Mahler für das Grösste überhaupt hält und sich freut, jetzt mit einem Orchester, das er für geeignet hält, sich hinter die Symphonien des vegetarischen Velofahrers und abergläubischen Pedanten und Machos mit Hang zu heftigen Wutausbrüchen zu machen. Das alles tut natürlich wenig zur Sache. Zur Sache ging es auf der Bühne, die Solisten an der Trompete und am Horn lieferten ebenso wie das ganze Orchester eine Spitzenleistung. Eine Musik, die mit ihren angedeuteten Tänzen, ihren überirdischen aber stets – schicksalshaft, möchte man einschieben – gebrochenen Melodien, ihren schroffen Brüchen, Abbrüchen, Aufbrüchen … ja was wenn? Durchaus: überwältigt, gerade mich, den ich sie zum ersten Mal so, in voller Wucht, erlebte. Aber eben auch – völlig anders als die Vierte – beglückt mit einem unglaublichen Reichtum an Ideen, an Emotionen. Danach benommen raus in die dunkle Nacht, um nur um am nächsten Morgen schon wieder in der Tonhalle aufzutauchen – für ein Kontrastprogramm aus der französischen Bonbonnière.

    04.02.2024 – Kammermusik-Matinée – Zürich, Kleine Tonhalle

    Haika Lübcke Flöte, Piccolo
    Sarah Verrue Harfe
    Elisabeth Harringer-Pignat Violine
    Ewa Grzywna-Groblewska Viola
    Paul Handschke Violoncello

    GABRIEL PIERNÉ «Voyage au pays du Tendre» nach M. de Scudéry für Flöte, Violine, Viola, Violoncello und Harfe
    TŌRU TAKEMITSU «And then I knew ‚twas Wind» für Flöte, Viola und Harfe
    DANIEL SCHNYDER «Marsyas and Apollo» für Piccolo und Harfe
    JEAN CRAS Quintett für Harfe, Flöte, Violine, Viola und Violoncello

    Zu diesem Konzert wollte ich, weil Pierné (das Bonbon) und Cras (der Seebär) nicht alle Tage gespielt werden. Beide haben ihre Stücke für das Quintette Instrumental de Paris geschrieben, das der Flötist René Le Roy und der Harfenist Pierre Jamet gemeinsam leiteten – daher die ungewöhnliche Besetzung. „Im Fluss“ ist das Thema der Kammermusik-Matineen in dieser Saison, und das ist bei Pierné gegeben durch die musikalische Reise durch die imaginäre Welt, die die Schriftstellerin Madeleine de Scudéry erfand und von der Pierné sich inspirieren liess. Dass diese nun als Exponentin der „Preziosität“ gilt, passt perfekt, denn précieux – sowohl kostbar wie auch affektiert, etwas geziert – empfand ich das Stück von Pierné tatsächlich.

    Hervorragend gefiel mir dann das dunklere, viel zupackendere aber nicht weniger facettenreiche Stück von Takemitsu, dessen Titel an ein Gedicht von Emily Dickinson angelehnt ist. Geschrieben hat er es für Aurèle Nicolet, der es im März 1992 uraufführte.

    Das Stück von Daniel Schnyder entstand für Haika Lübkes Prospero-CD „Piccolo Legends“ (2022) und interpretiert die Legende vom Flöte spielenden Satyr und seiner Begegnung mit Apollo, die Marsyas nicht gut ausging: Apollo knüpfte ihn an einen Baum, und aus seinem Blut entstand der gleichnamige Fluss Marsyas. Schnyder war anwesend (zweites Foto, das erste dient als Ersatz, weil ich gestern in der vollen Tonhalle eh nur Ausschuss hingekriegt hätte von meinem Stehplatz hinten in der seitlichen Galerie) und alle waren zufrieden, schien es – aber ich habe mich unter dem Einfluss der Lektüre von Ethan Iversons Artikel über die „Rhapsody in Blue“ in der New York Times („The Worst Masterpiece“), seinem zugehörigen Blog-Eintrag sowie den Kommentaren/Diskussionen dort, gefragt, ob das nicht ein gutes Beispiel für das mangelhafte Können in Sachen Rhythmus sei, das in der Klassik immer noch eher die Regel als die Ausnahme zu sein scheint. Das soll keine Fundamentalkritik sein, auch wenn sie durchaus an Fundamentales rührt. Mir gefiel das Stück, es war klanglich attraktiv, ging an beiden Instrumenten auch kurz über die traditionellen Spielweisen hinaus. Und es bietet schöne Ideen und Motive – aber da liegt vielleicht das Problem: die Umsetzung dieser Motive, die oft stark rhythmisch zu sein scheinen, auch durchaus prägnant in der Harfe – das wirkte auf mich alles etwas beliebig, verwischt, unklar konturiert, irgendwie ohne Prägnanz phrasiert.

    Den Ausklang machte dann das Quintett von Jean Cras, und das fand ich wieder sehr gut. Dass mich dort und auch bei Pierné diese rhythmische Ebene nicht beschäftigten, hat gewiss mit der Musik zu tun, mit den herkömmlicheren (Tanz-)Rhythmen, die da jeweils zu Einsatz kommen und die natürlich für Musiker*innen dieses Kalibers keinerlei Problem darstellen. Bei Schnyder spielt halt immer der Jazz rein mit seinen anderen Sets an Anforderungen – und die Brücke schlagen können weiterhin nur wenige Musiker*innen (mich dünkte, Thomas Enhco, den ich neulich ja mit der vermaledeiten „Rhapsody in Blue“ gehört habe, der habe das souverän gekonnt, aber ist vielleicht als Jazzmusiker nicht direkt der tiefsinnigste … ich muss auch die Einspielung von Stefano Bollani mit Riccardo Chailly wieder mal hervorkramen). Aber gut, Cras nochmal, Autodidakt (Mentor war Henri Duparc), der als Marineoffizier nebenbei komponierte – und dabei sehr interessante Werke schuf, wie ich finde. Dass der Fluss hier das Meer ist, mag das übergreifende Thema etwas strapazieren, aber dafür können sie halt demnächst wieder mal das Forellenquintett aufführen, das so langweilig und so erfolgreich sein wird wie immer. Cras‘ Quintett fand ich einiges ansprechender als Piernés, klarer, vielschichtiger, überzeugend in seiner Mischung aus Arbeit mit Motiven und virtuosen Läufen, der Art und Weise, wie die Bälle zwischen den fünf Stimmen hin und her gingen.

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    yaiza

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    Mo, 29.01.2024 Konzerthaus Berlin, Kleiner Saal

    Augustin Hadelich, v., Marie-Elisabeth Hecker, vc., Martin Helmchen, p.

    Haydn Klaviertrio G-Dur Hob XV:25; Kodály Duo für Violine und Violoncello op. 7 //
    Kurtág „Varga Bálint Ligaturája“ für Violine, Violoncello und Pianino (Deutsche EA); Schumann Klaviertrio d-Moll op. 63

    Ein großartiger Abend folgte auf den Abschlussabend der Schubert-Woche. Luxus.
    Das Haydn Klaviertrio mit dem „Rondo all‘ Ongarese“ bereitet auf den weiteren Abend vor. Und hier ging es mir auch schon wie bei anderen Konzerten, die mit diesem Klaviertrio begannen… Ich bin kein großer Fan davon, aber es erlaubt ein Ankommen im Konzert, der Abend sollte ja noch intensiv werden. Womit ich dann auch schon zum Kodály Duo für Violine und Violoncello (1914) komme. Was für ein großartiges Geschenk, dass Augustin Hadelich und Marie-Elisabeth Hecker dieses live spielen. Ich genieße noch fast 3 Wochen später nach und möchte es mir noch gar nicht auf Tonträger anhören, weil die Eindrücke noch so lebendig sind. … Aus dem Programmheft: „Dabei spiegelt Kodály die musikalische Praxis der ungarischen Bäuer*innen, so genau es geht: Beispielsweise deutet der Komponist vor Beginn den folkloristischen Brauch, sich vor Beginn des Konzerts improvisierend einzuspielen, mit einer Art Kadenz an. Später arbeitet er mit dialogisierenden Soli, variantenreichen Phrasierungen und deutlichen Motiv- und Klangzäsuren. “ (Hannah Schmidt)
    Die Pause war geprägt von Gesprächen mit den Sitznachbarn zum gerade gehörten Duo. Der zweite Teil begann mit der DEA von „Varga Bálint Ligaturája“ (2007) für die Trio-Besetzung von György Kurtág, das er zu Ehren seines Freundes , er verstarb am 31.12.2019, schrieb. Dank eines Impulskaufes im Fachhandel habe ich auch schon länger ein Buch von (in intern. Schreibweise) Bálint András Varga zu Hause. („Drei Fragen an 73 Komponisten“; Link) und mir vorher noch einmal das Kurtág-Kapitel durchgelesen. Sie lernten sich Anfang 1972 in Budapest kennen. Kurtág war erstmal misstrauisch und zurückhaltend ggü. dem „Head of Promotion“ des ungarischen Musikverlages Editio Musica Budapest… als er das Drei-Fragen-Projekt (das ein Langzeitprojekt werden sollte) 1978 begann, sagte ihm Kurtág auch erstmal ab. 1982 war er bereit, die Fragen zu beantworten und nannte das Interview auch eine „Hommage à Bálint“. Die UA der „Varga Bálint Ligaturája“ fand im Nov. 2007 in einem Konzert des Wiener Klaviertrios statt (Link UE); im Jan. 2024 nun also die DEA im Konzerthaus Berlin mit einem aufgestellten Klavier ggü. des Flügels. Das war schon im ersten Teil ein interessantes Bild. Das Stück könnte man als „ruhig“ empfinden; vielleicht auch weil viel verschmilzt (evtl. Hinweis auf Ligatura/Begriff aus Typographie)… mir ist aber mind. ein großer Ausbruch in Erinnerung.
    Nach 3-4 min drehte sich Martin Helmchen um 180° und setzte sich auf den Hocker vor dem Flügel, so dass sie ohne Unterbrechung das 1. Klaviertrio von Robert Schumann beginnen konnten. Ein wirklich schöner Moment. Ich war zu diesem Zeitpunkt schon mit soviel Eindrücken zu Kodály und Kurtág gefüllt, dass ich das Klaviertrio von Schumann als sehr lange Zugabe empfand und es genoss, den dreien beim Spiel zuzusehen. Danach langer Applaus und zur Abrundung des Abends nochmal das „Rondo all‘ Ongarese“ als Zugabe.
    Nachblickend muss ich schon sagen, dass ich immer noch sehr vom Abend beeindruckt bin. Ich hatte es gar nicht vor, aber ich werde mir wohl doch noch eine Karte für ein Konzert der drei im Mai (wird wohl ein Gesprächskonzert mit Musik) holen.

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