Ich höre gerade … Jazz!

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  • #8470075  | PERMALINK

    friedrich

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    Friedrich

    Sun Ra – THE SINGLES

    Auch wenn ich mich hier selbst zitiere und dies einem Selbstgespräch gleich kommt (was ich übrigens bedaure): Man muss sich mal vor Augen führen, was für Sprünge in das Utopische und Phantastische Sun Ra hier unternimmt. Experimente mit ungewissem Ausgang, mal mehr, mal weniger erfolgreich. Aber gerade, dass er sich das hier erlaubt, ist von Bedeutung. Manchmal ist das ja sogar nur skizziert und manchmal überschreitet es die Grenze zur Unanhörbarkeit. Oder hat es die Grenze zur Anhörbarkeit noch nicht erreicht? Oder habe ich die Grenze noch nicht erreicht oder überschritten? Oder wie oder was? Wie auch immer, jedenfalls beflügelt ja gerade das die Phantasie,

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    “There are legends of people born with the gift of making music so true it can pierce the veil between life and death. Conjuring spirits from the past and the future. This gift can bring healing—but it can also attract demons.”                                                                                                                                          (From the movie Sinners by Ryan Coogler)
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    #8470077  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
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    FriedrichAuch wenn ich mich hier selbst zitiere und dies einem Selbstgespräch gleich kommt (was ich übrigens bedaure): Man muss sich mal vor Augen führen, was für Sprünge in das Utopische und Phantastische Sun Ra hier unternimmt. Experimente mit ungewissem Ausgang, mal mehr, mal weniger erfolgreich. Aber gerade, dass er sich das hier erlaubt, ist von Bedeutung. Manchmal ist das ja sogar nur skizziert und manchmal überschreitet es die Grenze zur Unanhörbarkeit. Oder hat es die Grenze zur Anhörbarkeit noch nicht erreicht? Oder habe ich die Grenze noch nicht erreicht oder überschritten? Oder wie oder was? Wie auch immer, jedenfalls beflügelt ja gerade das die Phantasie,

    Mach nur! Ich lese mit Interesse, auch wenn ich zu Sun Ra wenig zu sagen habe … die Singles-Compilation finde ich allerdings sehr toll – Unhörbares fand ich da bisher nichts drauf, aber am Stück gehört habe ich sie noch nie.

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    "Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #164: Neuheiten aus dem Archiv, 10.6., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba
    #8470079  | PERMALINK

    friedrich

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    Beiträge: 5,429

    gypsy tail windMach nur! Ich lese mit Interesse, auch wenn ich zu Sun Ra wenig zu sagen habe … die Singles-Compilation finde ich allerdings sehr toll – Unhörbares fand ich da bisher nichts drauf, aber am Stück gehört habe ich sie noch nie.

    Danke für den Kommentar!

    Ich habe zu Sun Ra eigentlich auch nicht allzu viel zu sagen, da ich nicht besonders viel von ihm kenne. Diese SINGLES-Box, ein paar Alben und eine lustige GREATEST HITS. Unanhörbar ist sicher relativ, je nachdem, ob man auf Doo Wop, Blues, Swing oder Free Jazz geeicht ist – es sei denn, man ist bereit immer wieder den eigenen Standpunkt zu verändern und auch mal so eine völlig freie und doch recht noisige Improvisation auf dem Synthesizer wie COSMO-EXTENSIONS zu verarbeiten. Das gelingt aber zumindest mir besser und gewinnt an Reiz, wenn ich weiß, dass das jeweils nur ein Mosaiksteinchen von vielen ist und direkt darauf schon wieder etwas ganz anderes folgt.

    Ich weiß, das Veröffentlichungsformat war mit der 7″-Single ursprünglich ein ganz anderes, aber gerade durch die Kompilation dieser 49 Tracks entsteht eine Collage, die ein ganz anderes und vielfältiges Bild ergibt. So ein einzelnes obskures Doo Wop-Stückchen wäre ja für sich gehört nicht besonders interessant. Im Zusammenhang mit all den anderen mehr oder weder eigenartigen Stücken auf der THE SINGLES-Box bekommt es aber Bedeutung. Ebenso der Blues und die freie Synthesizer-Improvisation. Ich finde gerade das besonders reizvoll und daher lohnt es sich, das am Stück zu hören. 2 CDs sind zugegeben etwas sehr viel Ohrenfutter. Ich destillier mir daraus mal einen Mix. Eine Short Version.

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    #8470081  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
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    Ein kleiner Umweg in die Sideman-Tätigkeit des Oscar Peterson Trios … drei unglaubliche Alben in nur zwei Tagen, eingespielt in den Capitol Studios in Hollywood am 15. (Soulville) und 16. Oktober 1957. Stan Levey war der Drummer am ersten und Alvin Stoller am zweiten Tag.

    Die Reissues aus der Verve Master Edition enthalten ein paar Bonustracks. Bei Webster sind das drei Boogie-Stücke, die Webster am Klavier mit Begleitung der Rhythmusgruppe eingespielt hat, bei Hawkins gibt es zwei weitere Stücke zu hören, „Begin the Beguine“ und „I Never Had a Chance“ (in zwei Takes) sowie die Mono-Masters der Hälfte des Albums (das komplett in der Stereo-Fassung zu hören ist). „Encounters“ ist meine liebste der drei (auch wenn die Hawkins-Scheibe unglaublich eindrücklich ist!) und auch hier gibt es zum Kontrast von „Blues for Yolande“, dem Opener, am Ende noch die Mono-Version zu hören – und dann vom selben Stück noch ein nach drei Minuten abgebrochener Take.

    Ben is phenomenal. These guys can come and play with the young cats and still fit in. These guys – like Hawk and Ben – are living legends.
    ~ Johnny Griffin (c. 1957)

    Mit Webster hatte Granz das Trio schon 1953 vereint, als „King of the Tenors“ bekannt (so der Verve-Titel der Ausgabe von 1957), aber zuerst als „The Consummate Artistry of Ben Webster“ (Norgran) erschienen. Dort spielte J.C. Heard Schlagzeug in vier Quintett-Titeln mit dem Trio mit Barney Kessel (und einem Alternate Take), für die fünf Stücke im Septett, ein paar Monate später und inzwischen mit Herb Ellis, stiessen Harry Edison, Benny Carter und Alvin Stoller dazu. Auch das war schon eine tolle Scheibe, der Titel der Verve-Ausgabe mag etwas hochgegriffen sein, aber Webster war in den frühen Fünfzigern von den ganz grossen wohl der agilste, Pres hatte zwar an guten Tagen noch immer mehr zu bieten als alle anderen zusammen, Hawkins seinerseits nahm zwar ein tolles Album nach dem anderen auf, aber sein Spiel hatte sich seit den mittleren Vierzigern nicht mehr wesentlich verändert. Webster hingegen war auf dem Zenit, in schnellen Nummern zupackend und wuchtig, mit einem mitreissenden Beat und lockerem Swing, in den Balladen noch vokaler im Ton und so berührend wie kaum ein anderer, er liess sein Horn hauchen, grollen, liebkoste eine Melodie mit grösster Zärtlichkeit … und rotzte ein paar Minuten später mit unglaublicher Nonchalance einen schnellen Blues dahin. Das beste seiner Alben mit Peterson – finde ich – folgte allerdings erst ein paar Jahre später, als dieser sein Trio umgebaut und einen Drummer statt eines Gitarristen dabei hatte. Doch alles zu seiner Zeit. Auf „Soulville“ ist Webster selbst beeindruckend, ein paar der Stücke gehören zum schönsten, was es von ihm gibt – aber mich stört manchmal der übertriebene Twang von Ellis‘ Gitarre … man forderte den Texaner wohl dazu auf, diese Facette seines Spiels in den bluesigen Nummern etwas zu forcieren. Schade, da wünschte ich mir einen etwas subtileren Gitarristen. Peterson allerdings ist als Begleiter erste Sahne, etwa im Rubato-Intro zu „Time On My Hands“.

    Wenn ich Hawkins in den letzten eineinhalb oder fast zwei Jahrzehnten seiner Karriere mit einem Wort beschreiben müsste, wäre es wohl „hungrig“. Sein Spiel zehrt buchstäblich alles in sich auf, wenn er fertig ist, ist der Tisch leer, das Geschirr und die Tischdecke hat er gleich auch noch verschlungen. Auf wenigen Alben kommt dieser Hunger so schön zum Ausdruck wie auf „The Genius of Coleman Hawkins“ – wobei „schön“ ein unpassendes Wort ist. Im Gegenteil zu Webster war Hawkins nicht daran interessiert, irgendwas zu liebkosen, zu umschmeicheln. Nein, er geht gleich und immer und nur in medias res – etwas anderes ist undenkbar. Bei Fletcher Henderson entwickelte er überhaupt erst das Jazzspielt auf dem Saxophon, anfangs holprig und linkisch, aber schon in den frühen Dreissigern war sein Spiel von einer unglaublichen Virtuosität, harmonisch von einem Reichtum, wie man ihn sonst eher von Pianisten kennt – er forschte in raschen, gleichmässigen Linien jeden Winkel der Songs aus, die er spielte. Zu Zärtlichkeit fähig war er natürlich auch – man denke nur an „Body and Soul“ oder höre sich hier „You’re Blasé“ an. Interssanterweise spielten Webster wie auch Hawkins beide Harold Arlens „Ill Wind“ ein. Hawkins machte keine Melodie kaputt, aber wenn es um die Improvisation ging, kam er zur Sache und graste die Musik ab – danach war es kahl, es blieb nichts mehr zu sagen. In den Fünfzigern und Sechzigern sind seine langen Linien oft stark synkopisch phrasiert, was eine Art flüssigen Ruckelgroove erzeugt, ein Hin und Her oder ein Auf und Ab. Im Gegensatz zu Webster wird wenig variiert, er spielt durch, vom Anfang bis zum Ende. Auf der Scheibe heisst das auch, dass es eigentlich nur einen Solisten gibt: Coleman Hawkins. Der flexible Beat des Peterson Trios mit Alvin Stoller lässt die Musik bei aller manchmal kaum auszuhaltenden Insistenz Hawkins‘ atmen, lässt sie dehnbar und beweglich scheinen, hilft auch, die durchaus vorhandene Wärme in seinem Ton hervorzuholen. Für mich ein schwieriges Album, ein wirklich harter Brocken, den ich erst über die Jahre zu schätzen lernte – aber mit Sicherheit einer von Hawkins‘ eindrücklichsten Momenten in der ganzen, langen Karriere.
    Er starb übrigens dann wirklich am fehlenden Hunger – irgendwann versiegte sein gigantischer Appetit einfach, der elegante Mann mit Hut und gepflegtem Schnäuzer begann schon ein paar Jahre zuvor einen Vollbart zu tragen und furchterregend dreinzuschauen … Ende der Sechziger ging Hawkins an den Folgen übermässigen Alkoholkonsums zu Grunde.

    Bis dahin war es aber noch ein langer Weg und im Oktober 1957 war er in bester Verfassung. Er spielte auch kompetitivere Alben mit anderen Tenorsaxophonisten ein, etwa „Night Hawk“ mit Eddie „Lockjaw“ Davis und einige Jahre später mit Sonny Rollins „Sonny Meets Hawk“. Aber das Treffen mit Ben Webster verlief äusserst freundschaftlich. Die beiden versuchen eher, sich in Lockerheit und Reichtum des Tones auszustechen denn mit rasanten Linien oder besonders schlauen Reharmonisierungen oder sonstigen Griffen in die Trickkiste. Das Ergebnis ist ein unendlich entspanntes, dank Petersons Mannen aber stets satt groovendes Album, das die beiden Meister in langsamen und mittelschnellen Stücken präsentiert. Das charmanteste ist wohl „La Rosita“ über einen rumpelnden Latin-Beat. Komponiert hatte das Stück ein Bandleader namens Walter Haenschen, der sich Gus nannte und als Carl Fenton seine Band leitete, als Komponist hier aber das Pseudonym Paul Dupont verwendete. Wer auf dieses Stück von 1923 kam und wie, das würde mich schon sehr interessieren! Daneben gibt es wundervolle Versionen von „It Never Entered My Mind“, „Prisoner of Love“ und „Tangerine“, eine hart swingende Version von „You’d Be So Nice to Come Home To“, als Opener das zupackende Hawkins-Original „Blues for Yolande“ und als Closer „Shine On Havest Moon“, noch eine Rarität, ein Tin Pan Alley-Song aus dem ersten Jahrzehnt des zwanzigsten Jahrhunderts. Das Album gehört zu den wenigen Jazz-Alben, bei denen ich wohl beinah jeden Ton jedes Solos mitsingen könnte – ein Fest!

    Peterson (und mit ihm Produzent Norman Granz) war in den Tagen unheimlich beschäftigt. Am 10. Oktober nahm er schon das Album „Stan Getz And The Oscar Peterson Trio“ auf (ohne Drums), am 11. „Sonny Stitt Plays the Blues“ (mit Stan Levey und Roy Eldridge), am 14. dann „Louis Armstrong Meets Oscar Peterson“ (mit Stan Levey) und am 17. eine Session für Ella Fitzgeralds Ellington Songbook. Am 19. spielte die ganze JATP-Truppe dann in Chicago im Civic Opera House, Petersons Trio ist auf „Ella Fitzgerald At The Opera House“ (mit Jo Jones), „Stan Getz And J.J. Johnson At The Opera House“ (mit Connie Kay), seinem eigenen Set (siehe letzter OP-Post) und mit den JATP All Stars zu hören (deren Set wurde etwas verstreut veröffentlicht, soweit ich weiss).

    Zum Stitt-Album schrieb ich auch schon ein paar Zeilen:

    gypsy tail wind

    Only the Blues enstand im Oktober 1957 und ist ein atypisches Album: Stitt trifft auf einen anderen Jam-Heroen mit eisernen Chops, Roy Eldridge (der am selben Tag noch ein eigenes Balladen-Album mit Russell Garcia einspielte und an den Aufnahmen für Herb Ellis‘ Klassiker „Nothing But the Blues“ mitwirkte – soviel eben zu den Chops aus Stahl). Am Piano sass Oscar Peterson, seine Mannen (Herb Ellis und Ray Brown) waren mit dabei, ebenso Drummer Stan Levey. Die Stimmung ist geladen, die Bandd spielte vier lange Blues ein, ausser dem „Cleveland Blues“, bei dem Take 3 der Master wurde, alle nur in einem Take. Das kürzeste Stück ist der Opener „The String“ mit genau zehn Minuten Dauer, das längste der „Cleveland Blues“ mit zwölf Minuten. Die Funken fliegen nur so zwischen Eldridge, Stitt und Peterson. Das ist keine schöne Musik, sondern Musik, die eine einfache, direkte Sprache spricht, die direkt in den Bauch geht. Die CD-Ausgabe, die 1997 in der „Verve Elite Edition“ erschien, fügte die Stücke „I Didn’t Know What Time It Was“ und „I Remember You“ sowie diverse Takes von „I Know That You Know“ an – alle drei kurze Standards, klassisches Stitt-Material jener Zeit (Eldridge ist nicht zu hören). Ich kenne die Story dazu nicht, aber der Produzent im Kontrollraum bellt die Musiker förmlich an zwischen diversen False Starts und Breakdowns… vermutlich ist es Norman Granz, der auf der CD als Produzent angegeben wird. Spannung scheint nicht nur auf der musikalischen Ebene vorhanden zu sein.

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    #8470083  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
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    Um diese alte CD machte ich stets einen Bogen, aber als irgendwann klar wurde, dass es nie eine offizielle Neuausgabe geben würde (dafür diverse spanische Piratenausgaben), kaufte ich sie mir dann doch … aber wichtig war sie mir nie, ich kenne sie auch vergleichsweise schlecht. Getz ist mir in dieser Zeit nicht so nach wie in den frühen Jahren und auch später wieder – ich weiss nicht genau, woran es liegt, wohl am Ton und an der Aufgeräumtheit, mit der er zur Sache geht (das betrifft auch sein Spiel auf anderen Granz-Alben dieser Zeit, „For Musicians Only“ oder die Opera House-Aufnahmen mit J.J. Johnson … die wenig zuvor gemachten Aufnahmen mit Bob Brookmeyer und die West Coast-Sessoins finde ich klasse). Vielleicht ist das hier einfach eine Spur zu entspannt-oberflächlich (und durchaus zuwenig kompetitiv), als dass es wirklich gut ist?

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    #8470085  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
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    Die letzte Scheibe im alten Trio-Format mit Gitarre und Bass – und die letzte Grosstat. Ich hatte die CD gekauft, ohne viel über sie gelesen zu haben, nur aufgeschnappt, dass sie gut sei … und sie hat mich beim ersten Hören schon schwer beeindruckt und dabei ist es geblieben. Das Trio ist im ersten Stück sofort in dieser lock-down Sache drin und groovt wie die Hölle. Und das Beste an der CD: man kriegt noch über eine halbe Stunde mehr Musik, die auch hier wieder live mitgeschnitten wurde, in der Town Tavern in Toronto am 5. Juli 1958.

    Nat Hentoff zitiert in seinen Liner Notes, was Gunther Schuller ihm über seinen Freund Peterson erzählte:

    „Oscar himself,“ Schuller began, „is a tremedously swinging pianist. And, unlike many pianists, he can swing on two levels, you might say. He can be very soft and delicate – and swing. And he can be very strong-armed in his swing. In a technical sense, as a pianist, he’s a virtuoso. Add to those qualities his dynamic energy and drive and a full-blooded earthiness that he gets across to me all the time. As interested and involved as I am in modern jazz, I must also say that Oscar’s kind of earthiness is not present in many musicians these days. And Oscar does it unabashedly besides.
    „As a trio,“ Schuller continued, „there is nothing comparable to this particular combination – Oscar, Ray, and Herb – in contemporary jazz. Ray Brown is the agent of cohesion. His rhythm, his beat is so great that you can’t help being drawn into his orbit – as a player or listener.
    „In terms of collective dynamics, this is a perfectly integrated and controlled trio. They’re more prepared and organized in that respect than most jazz groups are. When they play softly, for example, they all play softly in perfect blend. And they can build to a forte; they just don’t leap onto it. That’s another point about Oscar too. He can play forte. Not all pianists can. And when Oscar does, your head can go through the ceiling. And as for Herb, I certainly enjoy him too as part of the unit and in his solos. His is a different kind of earthiness; and I even like that hillbilly tinge that comes from his background.
    „The kind of earthiness Oscar and the trio project is almost a sexual thing. It’s forthright, direct in its feeling. The trio has in their music what the old jazz has, real virility. And if the mood’s on them, they don’t care if it gets crude and bawdy, even banging at times. It’s the expression of very healthy, human feelings.“

    Ich hoffe doch sehr, Hentoff hat Schuller wenigstens zwei Drittel seines Honorars abgegeben … das oben ist noch nicht mal alles, Hentoff schreibt am Schluss nicht einmal eigene Sätze hin, bloss ein paar Zeilen bevor er meint, er habe Peterson Freund Schuller um ein paar Aussagen gebeten.

    Aber egal … die Scheibe öffnet mit „Sweet Georgia Brown“, dann folgen inzwischen bekannte Stücke wie „Should I?“ und „When Lights Are Low“, bevor mit „Easy Listenin‘ Blues“ die zweite LP-Seite beginnt. Da sind dann noch „Pennies from Heaven“, Gillespies „The Champ“ und „Moonligt in Vermont“ zu hören. Die Bonustracks öffnen tollerweise mit Bobby Troups wundervollem Riff-Tune „Baby, Baby All the Time“ (Riff-Tunes sind Scheisse, aber das hier ist eine der wenigen Ausnahmen!), dann folgen der Rodgers/Hart-Standard „I Like to Recognize the Tune“, Clifford Browns „Joy Spring“, und zwei Standards, die ihren Ursprung im Film hatten, „Gal in Calico“ und „Love Is Here to Stay“. Diese Bonustracks stammen übrigens von einem leider nie erschienenen Sequel, das noch ein weiteres Stück („Blues for Junior“) hätte umfassen sollen.

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    Anonym
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    gypsy tail wind

    Ein kleiner Umweg in die Sideman-Tätigkeit des Oscar Peterson Trios … drei unglaubliche Alben in nur zwei Tagen, eingespielt in den Capitol Studios in Hollywood am 15. (Soulville) und 16. Oktober 1957. Stan Levey war der Drummer am ersten und Alvin Stoller am zweiten Tag.

    aber Webster war in den frühen Fünfzigern von den ganz grossen wohl der agilste, Pres hatte zwar an guten Tagen noch immer mehr zu bieten als alle anderen zusammen, Hawkins seinerseits nahm zwar ein tolles Album nach dem anderen auf, aber sein Spiel hatte sich seit den mittleren Vierzigern nicht mehr wesentlich verändert. Webster hingegen war auf dem Zenit, in schnellen Nummern zupackend und wuchtig, mit einem mitreissenden Beat und lockerem Swing, in den Balladen noch vokaler im Ton und so berührend wie kaum ein anderer, er liess sein Horn hauchen, grollen, liebkoste eine Melodie mit grösster Zärtlichkeit … und rotzte ein paar Minuten später mit unglaublicher Nonchalance einen schnellen Blues dahin. Das beste seiner Alben mit Peterson – finde ich – folgte allerdings erst ein paar Jahre später, als dieser sein Trio umgebaut und einen Drummer statt eines Gitarristen dabei hatte. Doch alles zu seiner Zeit. Auf „Soulville“ ist Webster selbst beeindruckend, ein paar der Stücke gehören zum schönsten, was es von ihm gibt – aber mich stört manchmal der übertriebene Twang von Ellis‘ Gitarre … man forderte den Texaner wohl dazu auf, diese Facette seines Spiels in den bluesigen Nummern etwas zu forcieren. Schade, da wünschte ich mir einen etwas subtileren Gitarristen. Peterson allerdings ist als Begleiter erste Sahne, etwa im Rubato-Intro zu „Time On My Hands“.

    Wenn ich Hawkins in den letzten eineinhalb oder fast zwei Jahrzehnten seiner Karriere mit einem Wort beschreiben müsste, wäre es wohl „hungrig“. Sein Spiel zehrt buchstäblich alles in sich auf, wenn er fertig ist, ist der Tisch leer, das Geschirr und die Tischdecke hat er gleich auch noch verschlungen. Auf wenigen Alben kommt dieser Hunger so schön zum Ausdruck wie auf „The Genius of Coleman Hawkins“ – wobei „schön“ ein unpassendes Wort ist. Im Gegenteil zu Webster war Hawkins nicht daran interessiert, irgendwas zu liebkosen, zu umschmeicheln. Nein, er geht gleich und immer und nur in medias res – etwas anderes ist undenkbar.
    Er starb übrigens dann wirklich am fehlenden Hunger – irgendwann versiegte sein gigantischer Appetit einfach, der elegante Mann mit Hut und gepflegtem Schnäuzer begann schon ein paar Jahre zuvor einen Vollbart zu tragen und furchterregend dreinzuschauen … Ende der Sechziger ging Hawkins an den Folgen übermässigen Alkoholkonsums zu Grunde.

    Bis dahin war es aber noch ein langer Weg und im Oktober 1957 war er in bester Verfassung. Er spielte auch kompetitivere Alben mit anderen Tenorsaxophonisten ein, etwa „Night Hawk“ mit Eddie „Lockjaw“ Davis und einige Jahre später mit Sonny Rollins „Sonny Meets Hawk“. Aber das Treffen mit Ben Webster verlief äusserst freundschaftlich. Die beiden versuchen eher, sich in Lockerheit und Reichtum des Tones auszustechen denn mit rasanten Linien oder besonders schlauen Reharmonisierungen oder sonstigen Griffen in die Trickkiste. Das Ergebnis ist ein unendlich entspanntes, dank Petersons Mannen aber stets satt groovendes Album, das die beiden Meister in langsamen und mittelschnellen Stücken präsentiert. Das charmanteste ist wohl „La Rosita“ über einen rumpelnden Latin-Beat. Komponiert hatte das Stück ein Bandleader namens Walter Haenschen, der sich Gus nannte und als Carl Fenton seine Band leitete, als Komponist hier aber das Pseudonym Paul Dupont verwendete. Wer auf dieses Stück von 1923 kam und wie, das würde mich schon sehr interessieren! Daneben gibt es wundervolle Versionen von „It Never Entered My Mind“, „Prisoner of Love“ und „Tangerine“, eine hart swingende Version von „You’d Be So Nice to Come Home To“, als Opener das zupackende Hawkins-Original „Blues for Yolande“ und als Closer „Shine On Havest Moon“, noch eine Rarität, ein Tin Pan Alley-Song aus dem ersten Jahrzehnt des zwanzigsten Jahrhunderts. Das Album gehört zu den wenigen Jazz-Alben, bei denen ich wohl beinah jeden Ton jedes Solos mitsingen könnte – ein Fest!

    Wenn ich diese feinen Worte lese, die Porträts da oben sehe, die Musik höre, werde ich melancholisch. Ziemlich melancholisch. Bei Webster bin ich mir nicht sicher, aber ich glaube schon, dass er auch zu den Hungrigen gehört? Dennoch, Hawkins ist da unerbittlicher und sein Encounter mit Rollins lässt mich auch nie los. Aber jetzt gehe ich mal nach Langem wieder – das wird aber passen – zu „Epitaph“ von Mingus, da Du Schuller bei Peterson ja auch noch erwähnt hast.

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    #8470089  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
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    Hawkins geht zur Sache, immer, unerbittlich. Webster ist – seiner Physis zum Trotz – ein Tänzer, ein Charmeur, ein Schlangenbeschwörer (er fuhr auch gerne auf einem schlanken Rennrad durch Amsterdam … das wäre unter Hawkins‘ Würde gewesen, zudem musste er ja stets seine Mappe bei sich haben mit dem Cognac drin, von dem keiner einen Schluck abkriegte … hab leider selbst grad keinen zur Hand, verdammt, das wär jetzt was).

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    #8470091  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
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    Lief schon gestern Nacht … ich glaube, ich behalte sie mal ein wenig in der Nähe und höre sie öfter die nächsten Tage.

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    #8470093  | PERMALINK

    newk

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    #8470095  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
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    Mood music von 1955, arrangiert von Russ Garcia

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    friedrich

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    Gene Ammons – BOSS TENOR

    Den King of the Tenors kontere ich mal mit dem Boss der Tenöre.

    Ich habe mich mal eine Weile sehr (na ja, etwas …) für Gene Ammons interessiert, aber immer das Gefühl gehabt, das amtliche Album von ihm gibt es nicht. Sein ganzes Oeuvre scheint etwas fahrig zu sein, vielleicht wegen seiner Drogenabhängigkeit, die ihn wohl daran hinderte, über längere Zeit konstant mit einer Band zusammenzuarbeiten, so dass er stattdessen mal hier, mal da mit wechselndem Personal aufnahm.

    BOSS TENOR ist jedoch eine stimmige Sache. Gene Ammons ist der einzige Bläser, der sich hier von einer understated agierenden rhythm section begleiten lässt, der Ray Barretto mit den Congas etwas Würze hinzufügt. Ammons ist Ammons mit seinem obercoolen bluesigen Ton, maskulin und sinnlich zugleich – wobei das ja sowieso kein Widerspruch sein muss. Musik für die Stunde nach Mitternacht.

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    “There are legends of people born with the gift of making music so true it can pierce the veil between life and death. Conjuring spirits from the past and the future. This gift can bring healing—but it can also attract demons.”                                                                                                                                          (From the movie Sinners by Ryan Coogler)
    #8470099  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
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    Gehört sicher zu den besten seiner Alben … „Organ Stories“ finde ich auch klasse, enthält das Album „Twistin‘ the Jug“ (mit Joe Newman und Jack McDuff) sowie die ganze Session mit Johnny „Hammond“ Smith und Frank Wess, die auf den Mischmasch-Alben „Angel Eyes“ und „Velvet Soul“ veröffentlicht wurde.

    Dann „Nice ’n Cool“ (auf „Gentle Jug“) und „Jug“ mit Richard Wyands, „You Talk That Talk“ und „Boss Tenors in Orbit“ mit Sonny Stitt, das Quartett-Material auf „Jug & Dodo“ …

    Ich mag eigentlich fast alles von ihm, auch wenn die meisten Alben für sich nicht wahnsinnig gut sind – sein Spiel entschädigt für manches!

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    #8470101  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
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    Zur Nacht noch die erste CD … und zu Ammons noch die Ergänzung: „Brother Jack Meets the Boss“ von/mit Jack McDuff ist ebenfalls klasse!

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    "Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #164: Neuheiten aus dem Archiv, 10.6., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba
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    gypsy-tail-wind
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    Und noch ein grandioses „Ida Lupino“ … hatte eigentlich mit der Red-Ausgabe gerechnet, im Briefkasten lag jedoch gerade die florentiner Piraten-CD von Sunspots, aber das ist auch egal, BYG war ja immer schon ein dubioses Unterfangen, auch wenn sie natürlich phantastische Musik dokumentiert haben!

    Wenn ich das nun höre, mit einigen Tagen Abstand all den Bley-Aufnahmen aus den Sechzigern, dann habe ich mit Mark Levinsons Bass viel weniger Probleme. Klar, er sticht nicht heraus wie Gary Peacock, aber sein Solo im Titelstück ist gut gemacht und es fehlt auch nichts im Ganzen des Trios. Und ich las gerade, der Typ war 1966 auch erst zwanzig und entschied sich ja kurz danach, ins Audio-Business der obersten Klasse einzusteigen und die Musik ruhen zu lassen.

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