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Anonym
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gypsy tail wind
Ein kleiner Umweg in die Sideman-Tätigkeit des Oscar Peterson Trios … drei unglaubliche Alben in nur zwei Tagen, eingespielt in den Capitol Studios in Hollywood am 15. (Soulville) und 16. Oktober 1957. Stan Levey war der Drummer am ersten und Alvin Stoller am zweiten Tag.
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aber Webster war in den frühen Fünfzigern von den ganz grossen wohl der agilste, Pres hatte zwar an guten Tagen noch immer mehr zu bieten als alle anderen zusammen, Hawkins seinerseits nahm zwar ein tolles Album nach dem anderen auf, aber sein Spiel hatte sich seit den mittleren Vierzigern nicht mehr wesentlich verändert. Webster hingegen war auf dem Zenit, in schnellen Nummern zupackend und wuchtig, mit einem mitreissenden Beat und lockerem Swing, in den Balladen noch vokaler im Ton und so berührend wie kaum ein anderer, er liess sein Horn hauchen, grollen, liebkoste eine Melodie mit grösster Zärtlichkeit … und rotzte ein paar Minuten später mit unglaublicher Nonchalance einen schnellen Blues dahin. Das beste seiner Alben mit Peterson – finde ich – folgte allerdings erst ein paar Jahre später, als dieser sein Trio umgebaut und einen Drummer statt eines Gitarristen dabei hatte. Doch alles zu seiner Zeit. Auf „Soulville“ ist Webster selbst beeindruckend, ein paar der Stücke gehören zum schönsten, was es von ihm gibt – aber mich stört manchmal der übertriebene Twang von Ellis‘ Gitarre … man forderte den Texaner wohl dazu auf, diese Facette seines Spiels in den bluesigen Nummern etwas zu forcieren. Schade, da wünschte ich mir einen etwas subtileren Gitarristen. Peterson allerdings ist als Begleiter erste Sahne, etwa im Rubato-Intro zu „Time On My Hands“.
Wenn ich Hawkins in den letzten eineinhalb oder fast zwei Jahrzehnten seiner Karriere mit einem Wort beschreiben müsste, wäre es wohl „hungrig“. Sein Spiel zehrt buchstäblich alles in sich auf, wenn er fertig ist, ist der Tisch leer, das Geschirr und die Tischdecke hat er gleich auch noch verschlungen. Auf wenigen Alben kommt dieser Hunger so schön zum Ausdruck wie auf „The Genius of Coleman Hawkins“ – wobei „schön“ ein unpassendes Wort ist. Im Gegenteil zu Webster war Hawkins nicht daran interessiert, irgendwas zu liebkosen, zu umschmeicheln. Nein, er geht gleich und immer und nur in medias res – etwas anderes ist undenkbar.
Er starb übrigens dann wirklich am fehlenden Hunger – irgendwann versiegte sein gigantischer Appetit einfach, der elegante Mann mit Hut und gepflegtem Schnäuzer begann schon ein paar Jahre zuvor einen Vollbart zu tragen und furchterregend dreinzuschauen … Ende der Sechziger ging Hawkins an den Folgen übermässigen Alkoholkonsums zu Grunde.Bis dahin war es aber noch ein langer Weg und im Oktober 1957 war er in bester Verfassung. Er spielte auch kompetitivere Alben mit anderen Tenorsaxophonisten ein, etwa „Night Hawk“ mit Eddie „Lockjaw“ Davis und einige Jahre später mit Sonny Rollins „Sonny Meets Hawk“. Aber das Treffen mit Ben Webster verlief äusserst freundschaftlich. Die beiden versuchen eher, sich in Lockerheit und Reichtum des Tones auszustechen denn mit rasanten Linien oder besonders schlauen Reharmonisierungen oder sonstigen Griffen in die Trickkiste. Das Ergebnis ist ein unendlich entspanntes, dank Petersons Mannen aber stets satt groovendes Album, das die beiden Meister in langsamen und mittelschnellen Stücken präsentiert. Das charmanteste ist wohl „La Rosita“ über einen rumpelnden Latin-Beat. Komponiert hatte das Stück ein Bandleader namens Walter Haenschen, der sich Gus nannte und als Carl Fenton seine Band leitete, als Komponist hier aber das Pseudonym Paul Dupont verwendete. Wer auf dieses Stück von 1923 kam und wie, das würde mich schon sehr interessieren! Daneben gibt es wundervolle Versionen von „It Never Entered My Mind“, „Prisoner of Love“ und „Tangerine“, eine hart swingende Version von „You’d Be So Nice to Come Home To“, als Opener das zupackende Hawkins-Original „Blues for Yolande“ und als Closer „Shine On Havest Moon“, noch eine Rarität, ein Tin Pan Alley-Song aus dem ersten Jahrzehnt des zwanzigsten Jahrhunderts. Das Album gehört zu den wenigen Jazz-Alben, bei denen ich wohl beinah jeden Ton jedes Solos mitsingen könnte – ein Fest!
Wenn ich diese feinen Worte lese, die Porträts da oben sehe, die Musik höre, werde ich melancholisch. Ziemlich melancholisch. Bei Webster bin ich mir nicht sicher, aber ich glaube schon, dass er auch zu den Hungrigen gehört? Dennoch, Hawkins ist da unerbittlicher und sein Encounter mit Rollins lässt mich auch nie los. Aber jetzt gehe ich mal nach Langem wieder – das wird aber passen – zu „Epitaph“ von Mingus, da Du Schuller bei Peterson ja auch noch erwähnt hast.
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