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pfingstluemmel
mangelsHeute gesehen: „Everything Everywhere All at Once“ Der Abend hätte echt besser sein können. Um es kurz zu machen: Absolut verschwendete Lebenszeit.
Was? Hoch vergnüglich!
Da kannst du mal sehen welch unterschiedlicher Auffassungen man doch sein kann. Die Hoffnung es könnte sich ja noch etwas entwickeln hat mich davon abgehalten den Streifen schon nach 30 Minuten zu beenden. Hätte ich aber mal besser machen sollen.
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Highlights von Rolling-Stone.deWerbungmangels Da kannst du mal sehen welch unterschiedlicher Auffassungen man doch sein kann. Die Hoffnung es könnte sich ja noch etwas entwickeln hat mich davon abgehalten den Streifen schon nach 30 Minuten zu beenden. Hätte ich aber mal besser machen sollen.
Was hat sich denn nicht entwickelt?
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Come with uncle and hear all proper! Hear angel trumpets and devil trombones. You are invited.Außerdem gesehen:
The Sparks Brothers (Regie: Edgar Wright – Großbritannien/USA, 2021) 9/10Marc Bolan ist im Fernsehen und performt einen Song mit Adolf Hitler an den Keyboards! Meine Berührungspunkte mit den Sparks setzten sich bisher nur aus ihrem massiven Singlehit der frühen 90er Jahre und der LP A Woofer in Tweeter’s Clothing zusammen, die ich neben einem Spliff-Album aus einem öffentlichen Bücherschrank mitnahm. Jetzt bin ich gleich heiß auf eine Reihe von Alben, u.a. auch die Kollabo mit Franz Ferdinand, einer Band, die ich vorher nicht eines Blickes gewürdigt hätte.
Detaillierter „Karriere“überblick, informationsreich und verspielt, visuell aufwendig umgesetzt und witzig.--
Come with uncle and hear all proper! Hear angel trumpets and devil trombones. You are invited.Na dann mach mal hinne, die Umfrage nebenan läuft noch eine Weile und bei den Sparks hast du anscheinend noch viel zu entdecken.
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Das Leben als Pensionär ist einfach nur geil!Gestern im Kino: Tár (Todd Field, US, 2022) – das folgende Gespräch mit der Cutterin Monika Willi wurde leider krankheitshalber durch ein von der Journalistin Hannah Pilarczyk (die mit Willi ein Vorbereitungsgespräch geführt hatte) moderiertes Publikumsgespräch ersetzt. Das funktionierte erstaunlich gut … und nachdem ich zunächst über das viele Herumgemeine und viele geäusserten Vermutungen etwas konsterniert war, kam am Ende doch einiges zusammen. Ein paar Einblicke ins Nähkästchen wurden versprochen, abgesehen von ein paar Details zur langwierigen Entstehungsgeschichte und dem Ablauf beim Erstellen des Schnitts in Schottland gab es nur einen für mich wirklich interessanten Punkt: Blanchett sei – natürlich – mit ihren geniekultartigen Ansprüchen am Set aufgetreten, im vollen Bewusstsein, dass es sie benötige, um den Film überhaupt zu machen, die Bilder auszufüllen – aber sie habe, ganz anders als viele andere Stars, in Sachen Kamera und vor allem danach beim Schnitt kaum Forderungen gestellt, den zuständigen Leuten ziemlich freie Hand gelassen (was ja schon zu Garbos oder Dietrichs Zeiten aussergewöhnlich war).
Ich kriege den Film (den ich zum ersten Mal sah) nicht wirklich fassen – er wirft zu viele Fragen auf, lässt zu vieles offen, unbestimmt … und ist darin vielleicht doch ein grosser Zeitkommentar (eine der diskutierten Fragen gestern war, ob es sich um einen #metoo-Film handle), indem er die ganzen Ambiguitäten und Ambivalenzen zeigt, ausbreitet – und stehen lässt. Dieses Aushaltenmüssen ist vielleicht der springende Punkt?
Ob der Film nun als Starvehikel (anders hätte er gar nicht funktioniert bzw. kaum Leute in die Kinos gelockt) als den Geniekult, den er darstellt, selbst portiert … ob er ein grossartiger Film ist oder doch eher äusserst gekonntes Handwerk? Wieviel Haneke drinsteckt (die Kälte, die Risse, die immer tiefer werden), wie es sich mit den „übersinnlichen“ Elementen verhält (wobei ich zu den Leuten gehöre, die von einem Geräusch aus einem Kühlschrank ebenfalls schier in den Irrsinn getrieben werden können), ob die zu dick aufgetragen sind (ich finde: ja, eher – der Film wird mir da etwas zu plakativ) … ist das ein Geisterfilm? Wie ist das mit dem Slapstick (Tár stürzt die Treppe hoch – Schnitt: sie schlägt mit Nudelholz auf Eis in einem Küchentuch und fertig sich eine völlig aus der Zeit gefallene Kühlpackung für ihr zerschlagenes Gesicht – die Risse sind jetzt sichtbar, Tár ist gezeichnet.
Die Ausbreitung der ganzen Cancel/Woke/Identitäts-Debatte am Anfang des Films in der Szene an der Juilliard (aus der später dieses gedokterte Filmchen auftaucht) war mir vielleicht auch eine Spur zu platt. Da wird quasi eine trockene Auslegeordnung von Argumenten und Sensibilitäten gemacht – und das kippt mit der Figur des nonbinären pansexuellen bipoc-Studenten schon ins Lächerliche … oder: ist auch das wieder eine Art Slapstick-Szene? Die Frage des Universalismus kommt am Ende mit dem Bernstein-Video, das Tár in der Enge ihres Kinderzimmers auf VHS wieder schaut, nochmal in den Film. Untermauert quasi die Argumente, die Tár an der Juilliard brachte – und liegt halt, wie wir inzwischen wissen könnten, wenn wir es wollten (westliche Musik ist schlicht nicht universell, und mit der „Zivilisation“ ist es ja eh nicht so weit her), doch daneben. Dieses Fass mag der Film aber – soweit ich ihn verstehe – nicht auch noch öffnen, bleibt in der Sache bei seinem Star.
Die Szene mit Adam Gopnik als sich selbst – das Gespräch vor Publikum in New York am Anfang des Films – könnte man auch noch besprechen: Satire auf die Klassikwelt? Spielt Gopnik sich distanzlos selbst? Das geht dann weiter mit der Buchpräsentation, als die Welt von Tár schon dahinbröckelt.
Und nochmal die Slapstick-, die Horrorszenen: im Keller in Berlin (einem imaginierten Berlin, das die Berlinerin Pilarczyk wohl auch als eine Art Satire deutet – sie sagte leider nicht viel, stellte fast nur Fragen, um das Gespräch in Gang zu halten) mit dem plötzlich auftauchenden Hund/Wolf … überhaupt die Schauplätze, die klinisch sauberen, fast sakral anmutenden Parkhäuser und Tunnels, in denen Luxuskarossen geräuschlos herumcruisen … in Berlin gibt’s natürlich noch den Schmuddeltunnel (eine Bahn-Unterführung?) an der Jogging-Strecke von Tár, und bei einem ihrer morgendlichen Trainings hört sie im Park auch Schreie einer Frau und versucht erfolglos, sie zu orten – noch so ein beklemmendes Horror-Element … auch das könnte man wohl abendfüllend bereden oder zerreden.
Es gab im Gespräch auch Nebenschauplätze, die ich sehr seltsam fand … Versuche, die offen gelassenen Missbrauchsgeschichten auszudeuten (was lief mit dem ehemaligen Schützling, die sich das Leben nimmt? woran ist Tár am Ende überhaupt gescheiter bzw. was führte zu ihrer Entlassung?), die Frage, warum die fünfte Symphonie Mahlers als „Five“ und nicht „Fifth“ bezeichnet werde (was jemand als Ironie betrachtete – aber „Mahler five“ zu sagen ist doch im Englischen völlig normal?)
Dass der Film solide recherchiert ist, fand ich einen klaren Pluspunkt. Es gibt ordentlich Name-Dropping und einige schöne Episoden (z.B. die mit Leon Goossens, dem Oboisten, der mit seinem weiten Vibrato das A zum Stimmen vorgab … und Dirigent Thomas Beecham lakonisch zum Orchester meinte „take your pick“). Auch nicht fehlen darf Antonia Brico, über die ich in der Klassik-Ecke vor ein paar Wochen ein paar Zeilen geschrieben hatte, anlässlich des in Bologna gesehen Dokumentarfilms „Antonia – Portrait of a Woman“ (Judy Collins/Jill Godmilow, US, 1974) – den Film gibt’s auch (in der gezeigten restaurierten Fassung) in der Tube:
Zuletzt fand ich Nina Hoss in dem Film echt stark. Überhaupt ein rundum gelungenes Casting, fand ich: Noémie Merlant, Sophie Kauer
Julian Glover … jedenfalls unbedingt sehenswert, auch wenn ich einige Frage(zeichen) habe.—
PS: Ein Punkt, den ich vergessen habe ist, ob man dem Film (seiner Erzählposition; dem, was er uns als Zuschauer*innen erzählt) eigentlich trauen kann? Es gibt, dünkt mich, genügend Anzeichen dafür, dass man das nicht unbedingt tun sollte.
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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #164: Neuheiten aus dem Archiv, 10.6., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tbagypsy-tail-wind … Tár (Todd Field, US, 2022)
Ich habe den Film auch erst gerade im Urlaub angeschaut. Danke nochmal @gypsy-tail-wind für Deinen Hinweis auf Antonia Brico… das wäre dann etwas gewesen, das ich durch den Film dazugelernt hätte.
Am Anfang des Filmes fühlte ich mich tatsächlich unwohl. Einige Augenroll-Momente (Plattitüden), dann die -so kam es mir vor- sehr männliche Darstellung der „Lydia Tár“, diese blöden Namen („Andris Davis“, echt jetzt?) — das sind Äußerlichkeiten, auf denen ja letztlich nicht der Fokus lag… Irgendwann dachte ich mir, ok, das wird alles aus der Perspektive der Hauptfigur sein (Übertreibung als Stilmittel), dann war ich mir auch nicht sicher, wie die zeitliche Abfolge der Geschehnisse ist. … ich wartete auf einen „A Beautiful Mind“ -Moment, also wie in jenem Film geschehen eine Art Auflösung, ab der man dann manches im Film rückwirkend anders einordnet (den gab es für mich ja dann auch) usw. Es wird sich lohnen, den Film mehrfach zu schauen. Es prallen einfach immer wieder viele Infos, Details auf einen ein.
Da kommt irgendwie viel zusammen: Ausnutzen von Macht(position), (gefühlt ständige) Beobachtung durch Social Media, Arbeitsbeziehungen, Intrigen (von innen/außen heraus, auch mit dem Zweck, jd. auffliegen zu lassen) … und hier habe ich bestimmt noch einiges vergessen.
Der Klassikbetrieb (anfangs prasselt ja soviel davon ein) schmolz dann im Laufe des Films zum Rahmen zusammen. Er diente wohl dazu, der Hauptfigur so ein Strahlen, Unantastbarkeit zu geben…aber das kam mir anfangs so altmodisch vor. Ist das echt noch so? Es war auf jeden Fall interessanter als die Story in Politik & Wirtschaft spielen zu lassen.
Außerdem ließen sich aber schon ganz gut einige Sachen andocken. Die Diskussion um Trennung der Persönlichkeit/Infos zum Leben und Werk finde ich immer spannend, diesen Erwähnungen zur „Zeit“ würde ich beim zweiten Anschauen mehr folgen wollen; gelungen auch die Anspielungen zur nur digitalen Veröffentlichung usw. Und dann auch immer wieder die Widersprüche — in der Masterclass wird das so und so erklärt, im Normalbetrieb dann ganz anders gehandelt…
Naja, ich könnte noch länger drüber schreiben — also war es für mich ein guter Film :)
Zur Frage Drehorte Berlin: intuitiv hätte ich direkt auf die Yorckbrücken bei der von Dir angesprochenen Joggingszene getippt. ich meine auch in einer Rezi was gelesen zu haben. Aber da weiß ich auch nicht mehr, ob es Wissen oder Raterei war…. suche ich nochmal heraus. Ansonsten finde ich, dass Berlin in den betreffenden Szenen eine ganz gute Figur macht.
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Es kommt tatsächlich sehr viel zusammen in dem Film … drum war wohl auch die Publikumsdiskussion am Ende wirklich gut. Zur digitalen Rezeption gab es ja ein paar Szenen: die am Mischpult im Dresdner Konzertsaal, als Tár meint, nein, sie wolle MP3, das Format, in dem die Leute die Aufnahme dann hören würden … und die Szene, in der sie die junge Cellistin fragt, wie sie denn du Prés Elgar gehört habe … mit der Antwort „Youtube“ hatte sie da eindeutig nicht gerechnet (und ich frag mich gerade, ob die Mischpult-Szene nicht schon davor lag im Film? Ich denke schon – das wäre dann vielleicht auch wieder so ein kleiner Hinweis drauf, dass wir der Erzählstimme nicht unbedingt trauen dürfen. Ein solcher Continuity-Fehler macht der Film nämlich ganz gewiss nicht.)
Was die Sache mit der Trennung von Werk und Autor angeht sei mir eine kleine Stichelei gen Norden gestattet: das ist ja eine Haltung, die in Deutschland nach 1945 zwangsläufig auf äusserst fruchtbaren Boden fiel. Mir ist das – also der Ruf nach strikter Trennung – aber eh immer zu einfach. Gerade wie reine biographische Lesarten es auch sind. In der Diskussion hier wurde auch der totgeplättete Topos von „Genie und Wahnsinn“ bemüht … auch da rollen sich mir die Fussnägel auf.
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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #164: Neuheiten aus dem Archiv, 10.6., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tbaDie beiden Szenen (mp3, youtube) sehe ich in zwei verschiedenen Zusammenhängen… Bei der Szene in der Technikkabine wird Bezug auf die Professionalität genommen (schon sehr vorbildlich, an die Endverbraucher zu denken) und die andere Szene ist so halbprivat. Da möchte sie ja auch erstmal ihr Wissen mit Nennung des Orchesters und Dirigenten einflechten, aber das interessierte die junge Cellistin eben mal nicht. Fand ich gut eingefangen.
Ich war, wie oben kurz beschrieben, während des Films auch gut mit Spekulieren beschäftigt… zum Ende hin, hat sich dann doch vieles zusammengefügt, habe aber auch das Gefühl, dass da noch was offen ist, das dem Erzählten nochmal einen ganz anderen Dreh geben könnte. Es wird ja auf mehrere Genres angespielt, vielleicht gehört das dann auch dazu.
Hier der Artikel aus dem TSP 23.02.2023 — zum Schluss dann auch mit Nennung von Drehorten in Berlin
https://www.tagesspiegel.de/kultur/cate-blanchett-ist-tar-absturz-einer-souveranin-9401153.html
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Gestern Abend habe ich diesen beeindruckenden Film in der ARD-Mediathek gesehen:
Der Mauretanier (The Mauretanian, Kevin Macdonald, 2021).
Jodi Foster kämpft in dem Film um die Freilassung eines in Guantanamo zu Unrecht Inhaftierten. Sehr sehenswert!
Sollten die Angaben in Wiki stimmen, so empfinde ich das Verhalten von Obama als … skandalös!
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Das Leben als Pensionär ist einfach nur geil!yaizaDie beiden Szenen (mp3, youtube) sehe ich in zwei verschiedenen Zusammenhängen… Bei der Szene in der Technikkabine wird Bezug auf die Professionalität genommen (schon sehr vorbildlich, an die Endverbraucher zu denken) und die andere Szene ist so halbprivat. Da möchte sie ja auch erstmal ihr Wissen mit Nennung des Orchesters und Dirigenten einflechten, aber das interessierte die junge Cellistin eben mal nicht. Fand ich gut eingefangen.
Ich war, wie oben kurz beschrieben, während des Films auch gut mit Spekulieren beschäftigt… zum Ende hin, hat sich dann doch vieles zusammengefügt, habe aber auch das Gefühl, dass da noch was offen ist, das dem Erzählten nochmal einen ganz anderen Dreh geben könnte. Es wird ja auf mehrere Genres angespielt, vielleicht gehört das dann auch dazu.Hier der Artikel aus dem TSP 23.02.2023 — zum Schluss dann auch mit Nennung von Drehorten in Berlin
https://www.tagesspiegel.de/kultur/cate-blanchett-ist-tar-absturz-einer-souveranin-9401153.htmlStimmt natürlich, dass die zwei Szenen einen ganz anderen Kontext haben – bezeichnend fand ich sie aber schon, auch im Kontext mit der von Dir aufgeworfenen Frage nach dem „ist das in der Klassikwelt noch immer so“. Die hat sich mir nicht gestellt, ich denke es ist noch deutlich heftiger (die Nachtessen mit den Sponsoren, bei denen Künstler*innen quasi als dressierte Äffchen der Staffage dienen, gibt es z.B. nach wie vor – die kamen im Film nur ganz am Rand vor und Tár, klar, sonst wäre sie ja nicht Tár, entzieht sich dem).
Den Artikel las ich gerade – und finde ihn ziemlich schwierig, weil er ganz vieles ausformuliert, was im Film nicht annähernd so klar rüberkommt. Das ist wohl für mich die Stärke des Filmes: die Auslassungen, Andeutungen, Ambiguitäten. Das schrieb ich ja oben bereits so ähnlich … und darin liegt auch die Suggestivmacht des Films. Vielleicht könnte man da auch eine Parallele von Form und Inhalt argumentieren: Wie Tár im Film ihre Umgebung mannipuliert, so manipuliert der Film sein Publikum – es bleibt ein Unbehagen. Und ordentlich Faszination.
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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #164: Neuheiten aus dem Archiv, 10.6., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tbagypsy-tail-wind Stimmt natürlich, dass die zwei Szenen einen ganz anderen Kontext haben – bezeichnend fand ich sie aber schon, auch im Kontext mit der von Dir aufgeworfenen Frage nach dem „ist das in der Klassikwelt noch immer so“.
die Frage bezog ich auf den Anfang des Films; Vorstellung/Vermarktung als Persönlichkeit mit großer Strahlkraft und die unantastbar scheint…
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Gestern im Kino wieder Satyajit Ray: Goddess [Devi] (IN, 1960). Was für ein grossartiger, verstörender Film! Ein Ehemann lässt seine sehr junge Frau zu zurück, um in Kalkutta zu arbeiten und Englisch zu lernen. Die beiden scheinen glücklich. In seiner Abwesenheit hat sein Vater im Traum eine Vision: die Ehefrau sei die Reinkarnation von Kali. Das Urteil. Es folgt: Gefängnis. Sie „heilt“ ein krankes Kind (oder macht es vor dem Sterben nochmal die Augen öffnen, wer weiss das schon so genau) und bald strömen die Menschen in das herrschaftliche Haus, um ihr zu huldigen. Sie schreibt ihrem Mann, er solle sofort kommen – was er tut und ihr den Irrsinn ausreden will. Er arrangiert die gemeinsame Flucht nach Kalkutta – in einer irren Szene gehen die beiden auf einem Trampelpfad mitten durch hohes Schilf zum Fluss (Murnau und all die anderen Expressionisten lassen grüssen) – doch bevor sie das Flussufer erreichen, überkommen die junge Frau Zweifel: was, wenn sie wirklich die Reinkarnation der Göttin sei?
Sie kehren ins Haus zurück, der Mann fährt wieder nach Kalkutta, die Pilgerschlangen sind jetzt hunderte von Metern lang, die Frau vereinsamt, auch ihr kleiner Neffe meidet sie, der davor lieber bei ihr war als bei seiner Mutter, der argwöhnisch das Geschehen betrachtenden Frau des zweiten Sohnes des Hauses. Als der Ehemann erneut zurückkehrt, hat die Katastrophe gerade ihren Lauf genommen: der Neffe erkrankte, sein Vater und der Grossvater schicken in ihrem Wahn den von der Mutter herbeigerufenen Arzt fort: die Göttin soll den Neffen heilen. Doch der stirbt. Der Ehemann findet seine Frau in voller Göttinen-Aufmachung, sie bittet ihn um Hilfe, um ein weiteres Geschmeide um ihren Hals zu binden. Er merkt, dass sie wahnsinnig geworden ist, gebrochen. Sie müsse „zum Wasser“. Sie reisst sich los, rennt davon – über ein düsteres Blumenfeld. Finis.
Eine düstere Parabel über den aussterbenden Landadel des 19. Jahrhundert (ein Milieu, das Ray auch anderswo beschrieb – nicht zuletzt im ähnlich meisterhaften „The Music Room“), über die Verführungskraft von religiösen Wirrungen. In dunklem Schwarzweiss gefilmt, mit präzisen, wunderschönen Bildern und immer wieder Überblendungen, die allmählich selbst eine Art Fiebertraum-Effekt auslösen. Dazu kommt eine Intimität, die an den Stummfilm gemahnt: der stumme Dialog der Augen der Eheleute, als der Mann zum ersten Mal zurückkommt und sie – von hinten im Raum – beobachtet, wie sie sich von den Gläubigen huldigen lässt. Da baut der Film eine Nähe und Zartheit auf, die wirklich verführerisch ist. Das erinnert an die glückliche Szene zu Beginn, in der die beiden gemeinsam im Bett liegen und über seine bevorstehende Abreise sprechen.
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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #164: Neuheiten aus dem Archiv, 10.6., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tbayaiza
gypsy-tail-wind Stimmt natürlich, dass die zwei Szenen einen ganz anderen Kontext haben – bezeichnend fand ich sie aber schon, auch im Kontext mit der von Dir aufgeworfenen Frage nach dem „ist das in der Klassikwelt noch immer so“.
die Frage bezog ich auf den Anfang des Films; Vorstellung/Vermarktung als Persönlichkeit mit großer Strahlkraft und die unantastbar scheint…
Mit „Anfang“ meinst Du die Szene in New York, das Gespräch vor Publikum mit Adam Gopnik? Das finde ich auch nicht eindeutig, v.a. wegen letzterem: Gibt der unironisch sich selbst, so als etwas unsympathischer, wortmächtiger Wichtsack, der die Biographie mit Flamboyanz widergibt (Gegenschnitt zu Francesca, die Wort für Wort weiss, was er sagen wird – vielleicht hat sie den Text verfasst?) – oder stecken da doch irgendwie Brechungen drin, die mir entgangen sind?
Ausgangspunkt der Publikumsdiskussion hier war der „Anfang“ so: Sequenz 1 (New Yorker-Gespräch), Sequenz 2 (Mittagessen mit dem Geldsack, der gerne ein richtiger Dirigent wäre), Sequenz 3 (Juilliard-Masterclass). Die drei Szenen dauern schon ordentlich lange (eine halbe Stunde?), lassen den Film auch sehr getragen (mit langsamen Schnitten usw.) beginnen, und setzen Tár als Figur: öffentlich, in einer halbprivaten/halbberuflichen Situation, und dann vor den Studierenden (in einer, wie wir später erfahren, eigentlich device-free-Zone).
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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #164: Neuheiten aus dem Archiv, 10.6., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tbaAuch mal wieder einen Film gesehen:
Stupnitsky – No Hard Feelings
Sehr schön, sehr anrührend. Und Lawrence sollte noch ein paar Oscars bekommen.
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If you talk bad about country music, it's like saying bad things about my momma. Them's fightin' words.Den habe ich gestern auch gesehen. Die erste Hälfte hatte durchaus einige schöne Momente, JLaw ist Bombe, insgesamt wars aber nicht so weit von der handelsüblichen verklemmten Netflix Romcom entfernt. Schade. Bereit fürs längst überfällige Jennifer Lawrence Revival bin ich natürlich trotzdem.
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Slept through the screening but I bought the DVD -
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