Konzertimpressionen und -rezensionen

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    gypsy-tail-wind
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    Mit viel Verspätung doch noch ein paar Zeilen zu den ersten fünf Konzerten (inkl. einem Besuch in der Oper) des Jahres.

    Tonhalle, 7. Januar 2022 – Neue Konzertreihe Zürich

    Gstaad Festival Orchestra
    John Storgårds
    Sol Gabetta
    Violoncello

    Carl Maria von Weber Ouvertüre zu «Oberon»
    Edward Elgar Cellokonzert e-Moll op. 85

    Johannes Brahms Sinfonie Nr. 4 e-Moll op. 98

    Los ging das Konzertjahr mit Sol Gabetta und dem Gstaad Festival Orchestra unter John Storgårds. Nach der Ouvertüre zu „Oberon“ von Weber gab es das Cellokonzert von Elgar und dann als längere Zugabe Lenkys Arie aus Tschaikowskis „Eugen Onegin“ (mit Orchesterbegleitung). Nach der Pause folgte Brahms‘ Sinfonie Nr. 4. Nach dem Orchester neulich mit Argerich/Dutoit einmal mehr ein Orchester fast ganz aus jungen Menschen, aber viel internationaler (obwohl die meisten wohl bei der Tonhalle, im Opernhaus, im Kammerorchester Basel und einem der Berner Orchester beheimatet sind – aber diese Orchester sind halt alle international besetzt).

    Der Höhepunkt war eindeutig das Cellokonzert, Gabetta legte auch optisch einen flamboyanten Auftritt hin, gestaltete das Konzert mit grossem Engagement und behielt stets die Kontrolle über das Geschehen, auch im fulminanten Steigerungslauf gegen Ende, als das Orchester in vollem Fortissimo erstrahlte.

    Das Zusammenspiel mit Storgårds und dem Orchester klappte hervorragend – umso schöner, dass es dann nicht einen Satz aus einem Solo-Cello-Werk als Zugabe gab, sondern gleich noch ein Stück mit Orchester. Nach der Pause dann Brahms, und auch darin wusste das Orchester zu überzeugen. Ein rundum geglücktes Konzert.

    Kleine Tonhalle, 10. Januar 2022

    Quatuor Van Kuijk
    Nicolas Van Kuijk, Violine; Sylvain Favre-Bulle, Violine; Emmanuel François, Viola; Anthony Kondo, Violoncello

    Wolfgang Amadeus Mozart Streichquartett C-Dur KV 465 «Dissonanzen-Quartett»
    Dmitri Schostakowitsch Streichquartett Nr. 10 As-Dur op. 118
    Felix Mendelssohn Bartholdy Streichquartett f-Moll op. 80 MWV R 37

    Ein paar Tage später dann mein erster Besuch im kleinen Saal der Tonhalle (er liegt auf demselben Niveau, es gibt ebenfalls einen kleinen Balkon – aber keine seitlichen Galerien) und die Länge des Saales entspricht in etwa der Breite des grossen Saals. Für Kammermusikkonzerte, die ja leider oft nicht so viel Publikum anziehen, ist er schon geeignet, aber ich vermisse grad für so einen Rahmen die Tonhalle-Maag schon ziemlich.

    Das Quatuor van Kuijk hatte ich durch seine Schubert-CD bei alpha kennengelernt (ist auch weiterhin die einzige, die ich im Regal stehen habe) – und da das Konzert auch noch im Rahmen der (preiswerten) „Séries jeunes“ lief, war es klar, dass ich hin wollte. Streichquartette habe ich eh viel zu selten gehört seit Beginn der Pandemie (im Konzert sogar überhaupt nicht mehr seit davor). Dass es ein Konzert ohne Pause war, fand ich ebenfalls begrüssenswert.

    Mozart zu Einstieg war schön, aber mich packte das 10. Streichquartett von Schostakowitsch danach so richtig. Gewidmet ist es Mieczyslaw Weinberg. Danach das wunderbare letzte Quartett von Mendelssohn, und als Zugaben zwei Liedtranskriptionen von Poulenc, Kantilenen fast schon. Da drückte dann das französische Temperament noch so richtig durch.

    Tonhalle, 19. Februar 2022

    Maurizio Pollini Klavier

    Robert Schumann Arabeske op. 18
    Fantasie C-Dur op. 17

    Ludwig van Beethoven Klaviersonate Nr. 29 B-Dur op. 106 «Hammerklavier»

    Danach fügte mehr als ein Monat Pause (die Pandemie holte nochmal richtig Schwung, bevor sie zwei Tage davor von der Landesregierung für beendet erklärt wurde, was ihr inzwischen zum nächsten Schwung verhilft), dass ich Ende Januar nicht nach Basel zum Haydn-Konzert mit Il Giardino Armonico und dem Kammerorchester Basel bin, hatte ich erwähnt. Anja Harteros sagte ihren zwei Wochen später im Opernhaus geplanten Liederabend leider ebenfalls ab – ich war allerdings froh, weil ich wohl sonst auch dort meine Karte hätte verfallen lassen.

    Aber zu Maurizio Pollini musste ich dann einfach wieder gehen – die Lage hatte sich ein klein wenig entspannt (Wellen gibt es hier keine mehr, dazu bräuchte es ja dazwischen auch Wellentäler) und die grossen Bühnen in Zürich beschlossen gemeinsam, entgegen den Vorgaben wenigstens die Maskenpflicht im Saal aufrecht zu erhalten.

    Pollini spielte Schumann in der ersten Hälfe: die Arabeske (die er schon 2018 in Zürich gespielt hatte) und danach eine grossartige Version der Fantasie C-Dur Op. 17. Nach der Pause folgte die Hammerklavier-Sonate von Beethoven. Den ersten Satz nahm er in irrem Tempo, legte noch bevor der Applaus ganz verklungen war los … und ich musste an die weissen Bebop-Zeitgenerations-Pianisten mit ihren wahnsinnig vielen Noten denken, von denen ca. ein Drittel falsch ist. So war das bei den irren Läufen und Sprüngen bei Pollini auch, aber das tat dem Resultat am Ende kaum Abbruch. Im zweiten Satz lief dann alles rund, der dritte war ein echter „tear-jerker“ und über weite Strecken grandios, der vierte dann geradezu monumental.

    Am Ende stehende Ovationen, minutenlang, und nach dem vierten oder fünften Abgang dann noch eine kurze Zugabe, die ich nicht (er)kannte. Mehr noch als das letzte Konzert (mein erstes) von Pollini hatte der Abend etwas Heroisches: der einst makellose Techniker, bei dem die Fähigkeiten im Alter allmählich schwinden, der aber mit grosser Erfahrung und immensem Wissen auf das Werk blickt – und sich, eben: seine schwindenden Fähigkeiten, dabei nicht im geringsten schont.

    (Oben der Blick von meinem Platz in der ersten Reihe – ich geniesse die Nähe halt immer, auch wenn das klanglich wohl gewisse Einbussen bedeutet – dafür ist das bei den eigenen Konzerte der Tonhalle auch fürs Portemonnaie schonend. Ich erwähne „eigene“, weil das z.B. bei der Neuen Konzertreihe anders ist – drum hab ich dort auch seit einigen Jahren ein Abo, weil das mit Einzelkarten teuer würde bzw. viele Plätze durch die Abonnenten teils halt eh dem regulären Verkauf entzogen sind.)

    Opernhaus, 25. Februar 2022

    Francis Poulenc (1899-1963): Dialogues des Carmélites
    Oper in drei Akten (zwölf Bildern), Libretto vom Komponisten nach dem Drama von Georges Bernanos

    Musikalische Leitung Tito Ceccherini
    Inszenierung Jetske Mijnssen
    Bühnenbild Ben Baur
    Kostüme Gideon Davey
    Lichtgestaltung Franck Evin
    Choreografische Mitarbeit Lillian Stillwell
    Choreinstudierung Janko Kastelic
    Dramaturgie Kathrin Brunner

    Le Marquis de La Force Nicolas Cavallier
    Blanche, seine Tochter Olga Kulchynska
    Le Chevalier, sein Sohn Thomas Erlank
    Madame de Croissy Evelyn Herlitzius
    Madame Lidoine Inga Kalna
    Mère Marie de l’Incarnation Alice Coote
    Sœur Constance de St.-Denis Sandra Hamaoui
    Mère Jeanne de l’Enfant Jésus Liliana Nikiteanu
    L’Aumônier du Carmel François Piolino
    Sœur Mathilde Freya Apffelstaedt
    1er Commissaire Saveliy Andreev
    2e Commissaire Alexander Fritze
    Le Geôlier Valeriy Murga
    Officier Benjamin Molonfalean
    Thierry Yannick Debus

    Philharmonia Zürich
    Chor der Oper Zürich
    Zusatzchor des Opernhauses Zürich
    Tänzerinnen und Tänzer
    Statistenverein am Opernhaus Zürich

    Am Tag nach dem russischen Überfall der Ukraine in die Oper zu gehen kam mir vollkommen irreal vor. Es waren bei weitem keine idealen Umstände, ich war müde, abgelenkt, klarer Gedanken nicht fähig. Ob der nicht gerade gut gefüllte Saal auch damit zu tun hat, oder mit der notorischen Abneigung des Etepetete-Stammpublikums gegenüber allem nach Puccini und Strauss, weiss ich nicht.

    Und doch, nach einigen Anfangsschwierigkeiten fand ich herein in den Abend und war am Ende berührt, beeindruckt, mitgenommen, ja: erschüttert. Eine hervorragende, schlichte Inszenierung von Jetske Mijnssen, in der die menschlichen Aspekte des Dramas – in denen durchaus Parallelen zur Situation derjenigen Ukrainer erkannt werden können, die um jeden Preis für die Freiheit ihres Landen kämpfen – das Einstehen für Ideale, vor allem anderen stehen. Dabei wird der Tod aber keineswegs beschönigt oder gar verherrlicht. Die grosse Szene am Ende des ersten Akts, in der die alte Priorin stribt – und dabei einen harten Kampf mit sich und Gott ficht, von Evelyn Herlitzius enorm beeindruckend … nicht dargestellt, eher: empfunden – gehörte jedenfalls zu den Höhepunkten des Abends. Und der Schluss, wenn die Nonnen eine nach der anderen im Off unter der Guillotine landen – ein wahres Ende mit Schrecken.

    Die musikalische Leitung lag in den Händen von Tito Ceccherini. Er war dafür besorgt, dass der typisch französische Konversationston und der Fluss der Musik in Perfektion gedeihen konnte, auf der Bühne wie im Graben. Immer wieder überraschte die hervorragenden Textverständlichkeit, der Gesang perfekt abgestimmt auf das hervorragend die feinsten Schattierungen betonenden Orchesters. Was dabei etwas unterging, zumindest von der überzeugenden Olga Kulchynska abgesehen, waren die Einzelleistungen der Sängerinnen: alle in denselben Kostümen (nur Kulchynska und Hamaoui, die als Novizinnen erkennbar andere Kostüme – die weissen Kopftücher, siehe Bild unten – trugen), ein sehr geschlossenes, stimmiges Ensemble – und das obendrein mit mehr Ukrainerinnen als Franzosen auf der Bühne (2 vs. 1,5, aber Hamaoui hat ihre Ausbildung in den USA gemacht).

    (Das Bild oben zeigt den Bühnenvorhang vor der Vorstellung. Ich weiss nicht, ob es ab ein, zwei Tagen später auch noch einen Kommentar zum Überfall auf die Ukraine gab – aus der Kulchynska ja stammt (und Murga ebenfalls) – nachdem das „Hindernis“ der für März geplanten Auftritte Netrebkos aus dem Weg geräumt war; blau-gelb angeleuchtet wurde die Oper dann jedenfalls auch noch – schöne und durchaus wichtige Gesten, aber wie sagte Selenskyj: er braucht Munition, keine Mitfahrgelegenheit.)

    Tonhalle, 4. März 2022 – Neue Konzertreihe Zürich

    Bomsori Kim Violine
    Thomas Hoppe Klavier

    Ludwig van Beethoven Violinsonate Nr. 5 F-Dur op. 24 «Frühlingssonate»
    Karol Szymanowski Nocturne und Tarantella op. 28

    Gabriel Fauré Violinsonate Nr. 1 A-Dur op. 13
    Henryk Wieniawski «Fantasie brillante sur ‚Faust‘ de Gounod» op. 20

    Zugaben: ein Stück von Grażyna Bacewicz und die „Mélodie“ von Myroslav Skoryk

    Am Freitag gab es dann bereits das siebte und zweitletzte Konzert der Neuen Konzertreihe 2021/22. Es spielte die koreanische Geigerin Bomsori Kim mit dem deutschen Pianisten Thomas Hoppe. Dass im Programm mit Szymanowskis „Nocturne und Tarantella“ ein Werk zu finden war, das dieser 1915 zurück in seiner Heimat Tymoschiwka im Zentrum der heutigen Ukraine komponiert hat, als der Krieg durch Europa zog, passte dann besser, als das vorgesehen war. Szymanowski gehörte zur grundbesitzenden polnischen Obersicht und gilt als polnischer Komponist, aber so einfach ist das alles in der Gegend ja bekanntlich nicht. Das Werk war für mich das klare Highlight des Konzertes, das insgesamt schon sehr dem Schema Virtuosin mit Begleitung entsprach. Das Zusammenspiel mit Hoppe war zwar mehr als bloss routiniert, aber die Rollen waren schon recht klar verteilt. Das fand ich bei Beethoven und etwas weniger bei Fauré schon ein wenig schade (die erste echte französische Violinsonate, mit fast 100 Jahren Verspätung?), aber Bomsori überzeugte dennoch. Die Gounod-Bearbeitung (Wieniawski, auch Pole, war selbst ein Geigenvirtuose) waren ein gefälliger Rausschmeisser, doch das kam dann anders und gab dem für meine Ohren insgesamt eher mittelprächtigen Konzert noch einmal einen guten Dreh. Als erste Zugabe erklang ein Stück von Grażyna Bacewicz – leider finde ich nicht heraus, wie das Stück hiess, ich habe da auch bisher bloss Einspielungen der Sonaten vorliegen. Bomsori Kim sagte das Stück an und erwähnte, dass es ihr wichtig sei, auch jüngere Musik zu spielen. Erste Leute waren schon davor aufgestanden, aber nach der zweiten Zugabe erhob sich der ganze (vermutlich beinah ausverkaufte) Saal: „Mélodie“ von Myroslav Skoryk war das Stück, einem Komponisten aus Lemberg bzw. Lviv (1938-2020). Bei der Ansage versagte Bomsori die Stimme und Tränen standen in ihren Augen – auch währenddem sie das Stück dann spielte. Und am Ende auch bei uns im Saal. Das mag wohlfeil sein, diese Worte der Solidarität, eine Widmung von der Bühne eines Konzertsaales, der zu einem elitären, abgehobenen Bereich gehört, der auch hier an den Lebensrealitäten der allermeisten völlig vorbei geht – aber wo nach acht (oder zwanzig) Jahren (Desinformations/Cyber/Proxy-)Krieg in Europa der Westen allmählich aufzuwachen scheint und sogar fast die Reihen schliesst, liegt halt schon etwas in der Luft, was die gerade erlebten Tage zu besonderen macht.


    (Foto: Opernhaus Zürich/Herwig Prammer)

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    #11733791  | PERMALINK

    soulpope
    "Ever Since The World Ended, I Don`t Get Out As Much"

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    @ „gypsy“ : Dank für die rezenten Impressionen ….

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      "Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit" (K. Valentin)
    #11744235  | PERMALINK

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    Valentin Silvestrov Gebet für die Ukraine – Bearbeitung für Sinfonieorchester von Andreas Gies (2022)
    Dmitri Schostakowitsch Konzert für Violoncello und Orchester Nr. 1 Es-Dur op. 107
    Dmitri Schostakowitsch Sinfonie Nr. 8 c-Moll op. 65

    Konzerthausorchester Berlin

    Christoph Eschenbach Conductor

    Bruno Philippe Cello

     

    Zum Solikonzert für die Ukraine umgewidmet. Passt aber natürlich auch musikalisch, die Achte. Tolles Teil, tolle Orchesterleistung. Wäre Bruno Philippe (Cello im op. 107) ein Metaller würden ihn wohl einige des „Posertums“ bezichtigen. Am Samstag um 20:15 auch auf 3SAT anzuschauen (und danach bestimmt in der Mediathek).

     

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    #11744239  | PERMALINK

    soulpope
    "Ever Since The World Ended, I Don`t Get Out As Much"

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    plattensammlerValentin Silvestrov Gebet für die Ukraine – Bearbeitung für Sinfonieorchester von Andreas Gies (2022) Dmitri Schostakowitsch Konzert für Violoncello und Orchester Nr. 1 Es-Dur op. 107 Dmitri Schostakowitsch Sinfonie Nr. 8 c-Moll op. 65 Konzerthausorchester Berlin Christoph Eschenbach Conductor Bruno Philippe Cello Zum Solikonzert für die Ukraine umgewidmet. Passt aber natürlich auch musikalisch, die Achte. Tolles Teil, tolle Orchesterleistung. Wäre Bruno Philippe (Cello im op. 107) ein Metaller würden ihn wohl einige des „Posertums“ bezichtigen. Am Samstag um 20:15 auch auf 3SAT anzuschauen (und danach bestimmt in der Mediathek).

    Dank für den Hinweis  :good: ….

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      "Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit" (K. Valentin)
    #11744355  | PERMALINK

    Anonym
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    Vielleicht bin ich ja auch zu sehen ;-)

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    #11744381  | PERMALINK

    yaiza

    Registriert seit: 01.01.2019

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    Falls man das Konzert in der Mediathek nachschauen kann, werde ich es auch tun.

    Ich gehe nä. Woche ebenfalls zum Schostakowitsch-Schwerpunkt: erst Kammermusik und dann gegen Ende der Woche zum Konzerthausorchester / Krzysztof Urbańsky (Hartmann VK m. Kolja Blacher und DSCH Sinf. 5)

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    #11752223  | PERMALINK

    yaiza

    Registriert seit: 01.01.2019

    Beiträge: 5,628

    Dann mache ich mal weiter… zunächst mit einer Übersicht.

    Dem Komponisten Dmitri Schostakowitsch war vom 15.-27. März 2022 der Saisonschwerpunkt im Konzerthaus Berlin gewidmet. Ich war bei drei Kammermusikabenden und einem Konzert mit dem Konzerthausorchester. Es war ein Privileg, diesen Künstlern zuzuhören – an für uns friedlichen Frühlingsabenden in Berlin.

    (21.03.2022) Antoine Tamestit Viola, Alexander Melnikov Klavier – Brahms: Sonaten op. 120 Nr. 1 und 2 ; Schostakowitsch: Violasonate op. 147 ; (Zugabe) Schumann: Märchenbilder op. 113 4. Satz
    Tagesspiegel online 22.03.22

    (23.03.2022) Jean Johnson Klarinette, Baiba Skride Violine, Alban Gerhardt Violoncello, Steven Osborne Klavier -Schostakowitsch: 2. Klaviertrio op. 67; Messiaen: Quatuor pour la fin du temps

    (24.03.2022) Pavel Haas Quartett* & Boris Giltburg (Klavier) – Suk: Meditace na staročeský chorál „Svatý Václave“ ; Korngold: 3. Streichquartett; Schostakowitsch: Klavierquintett op. 57; (Zugabe) Dvořák: Klavierquintett 3. Satz (Furiant)
    *  aktuelle Besetzung: Veronika Jarůšková, Marek Zwiebel, Luosha Fang, Peter Jarůšek

    (25.03.2022) Konzerthausorchester Berlin, Ltg. Krzysztof Urbanski; Kolja Blacher Violine
    Hartmann: Violinkonzert; Schostakowitsch 5. Sinfonie op. 47

    Der Schwerpunkt wurde vor ca. 2 Jahren vorbereitet. Hier noch ein kurzer Blick auf die anderen Konzerte:

    15.03. Elisabeth Leonskaja, Klavier: (Prokofjew: Sarkasmen; Klaviersonaten DSCH (#2) und Tschaikowsky
    16.03. Jonian I. Kadesha, Violine u. Martin Klett, Klavier: Violinsonaten Mozart (KV 304) und DSCH op. 134
    17./18./19.03. (siehe Post plattensammler v. 18.03. ) DSCH Cellokonzert op. 107 (Bruno Philippe), Sinfonie #8
    19.03. Orgelkonzert mit Daniel Zaretsky (u.a. DSCH Ausw. Bearb. Präludien, Passacaglia für Orgel)
    20.03. Mitgl. KH-Orch.: DSCH Streichquartett #8 op. 110; Beethoven Streichquartett op. 18 Nr. 1
    20.03. im Kino Babylon: Babylon Orchester Berlin live zu rest. unzens. Filmversion „Das neue Babylon“)
    22.03. Minji Kim, Cello u. Julia Hamos, Kl.: u.a. DSCH Cellosonate op. 40
    22.03. Jazzrausch Bigband (Ltg. R.Sladek): UA „Schostakowitsch’s Breakdown“ (Auftragswerk KH Berlin)
    26.03. Armida Quartett, GrauSchumacher Duo & Ulrich Noethen: Musik und Lesung Ausz. aus „Der Lärm der Zeit“ v. Julian Barnes
    27.03. Familienkonzert mit KH Orch.: Ausz. Jazz Suite 2 und Sinfonie #5
    27.03. RSB Ltg. V. Jurowski: DSCH 1. Violinkonzert op. 77 (Julia Fischer, v); Prokofjew: „Andante Assai“ aus der Klaviersonate #4 (Bearb. für Orchester v. Prokofjew); Rachmaninow: Sinfonische Tänze op. 45

    Das Konzert von heute mit dem RSB wird auch live im rbb Kultur ab 20.03 Uhr übertragen.

    --

    #11752389  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
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    Beiträge: 68,139

    Wollte ja längst auch wieder was schreiben … aber der Abstand wird langsam etwas gross. Zwei Opernbesuche sind noch nachzumelden:



    Giochino Rossini: L’Italiana in Algeri – Zürich, Opernhaus – 17.3.

    Musikalische Leitung: Gianluca Capuano | Inszenierung: Moshe Leiser, Patrice Caurier | Bühnenbild: Christian Fenouillat | Kostüme Agostino Cavalca | Lichtgestaltung: Christophe Forey | Video: Étienne Guiol | Choreinstudierung Ernst Raffelsberger | Dramaturgie: Kathrin Brunner, Christian Arseni

    Isabella: Cecilia Bartoli
    Mustafà: Pietro Spagnoli
    Lindoro: Lawrence Brownlee
    Taddeo: Nicola Alaimo
    Haly: Ilya Altukhov
    Elvira: Rebeca Olvera
    Zulma: Siena Licht Miller

    Orchestra La Scintilla (Hammerklavier: Enrico Maria Cacciari)
    Chor der Oper Zürich
    Statistenverein am Opernhaus Zürich

    Das war, wie ich schon erwähnte, die Übernahme einer Produktion aus Salzburg (dort an Pfingsten 2018 aufgeführt). Mit etwas Abstand ist die Albernheit, die ich konstatiert hatte, ein wenig in den Hintergrund getreten. Es mag eine Beschönigung aus der Sicherheit des Privilegierten sein, aber die auch in einer Rezension zu lesende Behauptung, dass die Komödie gerade vor dem zeitgeschichtlichen Hintergrund eine Unbedingtheit erreichte, dass das ganze Ensemble (auch der Chor und die Statisten beim Spaghetti-Essen) wie elektrisiert agierte – das ist schon sehr zutreffend. Es glänzten also nicht nur Bartoli und Brownlee (vor vier Jahren sang er hier neben Bartoli die Titelrolle in „Le Comte Ory“ und das Gespann war schon da sagenhaft gut – leider hatte ich darüber soweit ich sehen kann nichts geschrieben) und Spagnoli (er war die zweite Besetzung, die ersten paar Aufführungen sang Ildar Abdrazakov, auch Bartoli und Brownlee sangen nicht alle Aufführungen). Das war eine herausragende Ensemble-Leistung, in der auf der Bühne alles passte. Und im Graben hatte Gianluca Capuano alles im Griff (er dirigierte die – soweit ich weiss letzte von diversen Zürcher – Wiederaufnahmen der altgedienten Cenerentola mit Bartoli in der Saison 2019/20 und auch das umwerfende Konzert in der Tonhalle mit Bartoli und Franco Fagioli von letztem November).

    Fotos: Monika Rittershaus / (c) Opernhaus Zürich (auf dem ersten Foto Spagnoli/Bartoli, auf dem zweiten Brownlee, auf dem dritten die Azzurri beim Spaghettiplausch)



    L’Olimpiade – Arien von Giovanni Battista Pergolesi (1710-1736) mit einem Dokumentarfilm von David Marton und Sonja Aufderklamm – Zürich, Opernhaus – 13.3.

    Musikalische Leitung: Ottavio Dantone | Regie / Schnitt: David Marton | Kamera / Schnitt: Sonja Aufderklamm | Bühnenbild: Christian Friedländer | Kostüme: Tabea Braun | Lichtgestaltung: Henning Streck | Dramaturgie: Claus Spahn

    Clisten: eCarlo Allemano
    Aristea: Joélle Harvey
    Argene: Lauren Snouffer
    Licida: Anna Bonitatibus
    Megacle: Vivica Genaux
    Aminta: Thomas Erlank
    Alcandro: Delphine Galou

    Die Mitwirkenden des Dokumentarfilms: Margrith Alpiger, Flavio Corazza, Katharina und Ervin Hardy, Erika Kunz, Esther Kunz, Berti Meier, Karen Roth, Hanni und Heinz Rüedi, Rolf Wendel

    Orchestra La Scintilla

    Dazu hatte ich ein paar Zeilen mehr geschrieben … Sonntagnachmittag – einer der ersten mit wunderbarem Frühlingswetter, der grosse offene Platz vor dem Opernhaus war voll mit Menschen, im Haus leider halbleere Rängen. Die Aufführung war enorm berührend. David Marton (Regie) und Sonja Aufderklamm (Kamera) drehten gemeinsam einen Dokumentarfilm in einem Altersheim im Umland von Zürich und verwoben bewegte Bilder mit Arien aus „L’Olimpiade“ von Pergolesi. Von der für Herbst 2020 geplanten Oper, die – nachdem noch die Generalprobe abgehalten wurde – dem zweiten (Veranstaltungs-)Lockdown zum Opfer fiel, blieb fast nichts übrig: Am Ende gab es einen Bühnenbild-Hintergrund, und da wurden dann auch ein paar Figuren vor der Renaissance-Landschaft auf dem Gemälde drapiert. Anderswo gegen Ende sassen die Sänger*innen in Kinostühlen vor einer Leinwand, auf der dann – auf der Bühne, statt wie bis dahin den gesamten Bühnenhintergrund füllend – die Filmaufnahmen zu sehen waren. Hatten die Sänger*innen bis dahin vor den Bildern agiert, gucken sie nun selbst auf sie – und erhoben sich für eine nächste Arie.

    Im Gespräch äusserte sich Marton zum Konzept der völlig umgestalteten Aufführung. Er hatte, in Budapest in der Isolation sitzend, keine Lust, „alte Inszenierungskonzepte unter strengen Corona-Einschränkungen irgendwie halbgut umzusetzen. Meine Strategie war eher: Lass alle ursprünglichen Pläne fahren und schaue, was passiert. Vielleicht entstehen ja aus dieser Null-Situation neue Ideen, denen ich zu einem anderen Zeitpunkt gar nicht folgen würde.“ Er begann also, im Netz gefundene Bilder mit Musik von Pergolesi zu montieren (auch welche aus Filmen von Ingmar Bergmann … passend dazu gab’s übrigens in der „Italiana“ eine Szene, in der die berühmte Brunnenszene aus „La dolce vita“ im Hintergrund lief), und daraus wuchs der neue Plan:

    Die Experimente haben dich auf den Gedanken gebracht, die Pergolesi- Oper als Filmprojekt zu realisieren, da szenische Proben nur mit Abstand und Maske möglich waren.

    Den Impuls, szenische Aktion durch Film zu ersetzen, hatten gerade im Schauspielbereich in der damaligen Corona-Situation ja viele. Mir ging es allerdings sehr konkret um die Wechselwirkungen von Bildern und Musik. Dieses Thema treibt mich schon seit Beginn meiner Theaterlaufbahn um: Dass man über die Verwendung von Musik nicht nur im Sinne von Narration nachdenkt. Dass man Bildfolgen und Szenen ähnlich rhythmisieren kann wie Musik. Dass Musik in der Oper nicht immer eine Geschichte transportieren muss, sondern Bilder und Musik auf einer anderen Ebene zusammenkommen und diese sich gegenseitig bespiegeln.

    Als du das Opernhaus dann mit dem Wunsch konfrontiert hast, einen Dokumentarfilm über alte Menschen zu drehen und den mit den Pergolesi- Arien zu verbinden, waren wir sehr überrascht, denn der Inhalt der Oper und die alten Menschen haben auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun. Ausserdem waren die Altersheime im Sommer und Herbst 2020, als du drehen wolltest, wegen der Infektionsgefahr noch streng abgeschottet.

    Ich wollte, dass das Projekt etwas mit der Zeit zu tun hat, in der wir uns befinden. Und die Situation der alten Menschen während der Pandemie hat mich sehr beschäftigt: Wie verletzlich sie sind, wie sie von ihren Angehörigen zwangsweise getrennt wurden, obwohl ihr Leben ja auch schon ohne Corona von grosser Einsamkeit geprägt war. Ich dachte: Ältere Menschen bilden einen wesentlichen Teil des Opern-Publikums, die wegen Corona nun nicht mehr ins Theater gehen können. Wie wäre es daher, wenn wir zu ihnen gingen, ihnen Musik vorspielten und zuhören würden? So ist die Idee entstanden, einen Dokumentarfilm über alte Menschen zu drehen. Ich habe dann spontan die österreichische Filmemacherin und Kamerafrau Sonja Aufderklamm als Partnerin für das Projekt gewinnen können, gemeinsam haben wir den Film dann realisiert. Sonja war genau die richtige für das Vorhaben. Sie hat einen künstlerischen Blick für die Komposition von Filmbildern und ein sensibles Auge für Menschen. Im Sommer, als grenzüberschreitende Reisen wieder möglich waren, sind wir nach Zürich gekommen, haben tatsächlich alte Menschen getroffen, mit ihnen geredet und drei Wochen lang gedreht. Es war ein grosser Glücksfall, dass uns trotz der strengen Schutzmassnahmen die Türen geöffnet wurden – von einem Altersheim in Rümlang in der Nähe des Zürcher Flughafens, aber auch von anderen alten Menschen, die uns in ihre Wohnungen und in ihr Leben gelassen haben.

    (Quelle: https://www.opernhaus.ch/spielplan/kalendarium/lolimpiade/2021-2022/ / 2022-03-27, auch im Programmheft und der aktuellen Ausgabe des „Opernhaus Mag“ zu lesen)

    Dass dann unter den elf unterschiedlich betagten Menschen eine Geigerin war, die als Kind KZ und Todesmarsch überlebte, dass eine lebensfrohe Niederländerin, die sich schön macht und zum Flughafen spaziert, um dort in Kaffees zu sitzen, weil sie immer noch auf den Richtigen hofft, unvermittelt davon erzählt, wie ihr Vater sie in ihrer Kindheit missbraucht hatte, das verstärkt nur die Wirkung des Konzepts, das auch ohne solche „Hämmer“ schon sehr stark gewesen wäre – aber das gehört halt zum Leben der portraitierten Menschen mit dazu. Eine andere Frau hat noch ihre Violine bei sich, packt sie aus, stimmt sie mühsam – kann sie dann aber nicht mehr in Spielposition halten – stattdessen übernimmt in dem Moment, als ihre Musik eben nicht mehr erklingen kann, das Orchester für die nächste Arie. Einen Handlungsbogen aus der Oper gab es dabei nicht, die Arien taten aber auch so genau ihren Zweck, nämlich Gefühle evozieren. Und statt Rezitativen, die die Handlung vorantrieben, gab es dann eben die Aussagen der alten Menschen, aus denen dann zusammen mit der Musik eine neue Geschichten entstanden ist.

    Am Fazit hat sich hier mit dem Abstand nichts geändert: die Musik – so unfassbar schön sie auch ist, wurde von den Bildern und den Gesprächs-Szenen (Marton selbst bleibt in diesen unsichtbar) fast erschlagen, spielt manchmal buchstäblich die zweite Geige. Das hielt die grossartigen Sängerinnen und Sänger – allen voran Vivica Genaux und Anna Bonitatibus – allerdings keine Sekunde ab, ihr Bestes zu geben. Und das war sehr viel. Die Frage, ob die Bilder nicht durch die Musik noch um ein Vielfaches berührender wirkten, lässt sich nicht klären, ist dann aber auch müssig (obwohl die Antwort mein Fazit vom Kopf auf die Beine – oder umgekehrt – stellen könnte). Mit Ottavio Dantone am Pult von La Sctintilla – dem Originalklang-Ensemble des Opernhauses, das auch bei der Italiana im Graben sass – war auch hier für eine hervorragende musikalische Umsetzung gesorgt.

    Fotos: Herwig Prammer / (c) Opernhaus Zürich

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    soulpope
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    @ „gypsy“ : scheene Photos ….

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    gypsy-tail-wind
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    Ja, das haben die hier wirklich gut im Griff. Auch die (teuren) Programmhefte enthalten jeweils einige. Und im Magazin, das man vor Ort gratis kriegt, sind jeweils auch noch welche. Und sowohl Magazin wie auch Programmhefte werden auf schönes, körniges Papier (nicht so halben Plastic wie z.B. bei der Scala) gedruckt.

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    soulpope
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    gypsy-tail-wind …. Ja, das haben die hier wirklich gut im Griff. Auch die (teuren) Programmhefte enthalten jeweils einige. Und im Magazin, das man vor Ort gratis kriegt, sind jeweils auch noch welche. Und sowohl Magazin wie auch Programmhefte werden auf schönes, körniges Papier (nicht so halben Plastic wie z.B. bei der Scala) gedruckt.

    Sowas schätze ich auch sehr …. und zahle für Qualität gerne ….

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    gypsy-tail-wind
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    Kosmos Kammermusik: Vilde Frank – Kleine Tonhalle, Zürich – 24.04.2022

    Vilde Frang Violine
    Denis Kozhukhin Klavier

    Johannes Brahms Violinsonate Nr. 1 G-Dur op. 78
    Franz Schubert Fantasie C-Dur D 934 für Violine und Klavier

    Béla Bartók Violinsonate Nr. 1 op. 21 Sz 75

    Auch die kleine Tonhalle wurde im Rahmen der umfassenden Renovation ordentlich aufgehübscht – das Konzert gestern war aber eines, für das ich mir die geräumigere Maag-Halle zurück gewünscht hätte. Bis auf den letzten der 609 Plätze gefüllt und so eng bestuhlt, dass die ganze Reihe auf den Gang raus muss, um jemanden durchzulassen … aber egal, ich war jetzt zum zweiten Mal seit der Wiedereröffnung im kleinen Saal (das erste Mal war das Quatuor Van Kuijk im Januar) und auch gestern passte musikalisch alles.

    Die Sonate von Brahms zum Einstieg wirkte im Nachhinein ein wenig wie eine Aufwärmübung, aber wie die beiden späteren ist auch die erste ein Stück mit wundervollen Melodien und überhaupt von immenser Schönheit. Die Fantasie von Schubert – fünfzig Jahre älter und bei der Uraufführung liefen selbst Rezensenten raus – wirkte im Vergleich dann für meine Ohren sehr modern. Da ist erstmal der atemberaubende Einstieg, die hochdramatische Steigerung aus dem ppp ins pp – wie Vilde Frang das gestaltete, war grandios! Danach die Form, die Brüche und das Verbindende, die frugalen Tanz-Partien, die Momente sublimer Schönheit dazwischen, die eine Ruhe nur vorspielen, denn darunter brodelt es ständig. Ein grossartiges Stück – aber das wusste ich ja schon. Dass die Künstlerin und der Künstler danach eine Pause wünschten, entgegen der Ankündigung: mehr als verständlich. Auch für den Pianisten gab es beim Schubert sehr viel Arbeit. Bartók folgte dann also nach einer kürzeren Pause als „standalone“ zum Abschluss – eine Zugabe verweigerten die beiden trotz riesigem Applaus konsequenterweise, es hätte echt nicht gepasst. Gab es schon bei Schubert wuchtige und leicht dissonante Momente, so dominierten diese bei Bartók – so wurde im Programmablauf auch eine Richtung erkennbar, die Abfolge der Werke wirkte jedenfalls wie ein ziemlich irrer Steigerungslauf. Die Sonate Bartóks wurde erst 2006 (85 Jahre nach der Uraufführung) von Gidon Kremer und Martha Argerich überhaupt erstmals in der Tonhalle aufgeführt. Die Tänze, die hier anklingen, stammen aus der Volksmusik, den etwa 3000 Tänzen und Melodien, die Bartók damals gerade klassifizierte und im Hinblick auf ihre Veröffentlichung überprüfte. Faszinierend zu hören, wie die Musik entsteht, wie die beiden Instrumente oft mehr neben- als miteinander spielen, ihre beiden Stimmen sich dennoch zusammensetzen, manchmal auch kurz zusammenfinden, um wieder auseinanderzugehen. Ein dichtes, sperriges Stück voller harter Klänge, wuchtiger Akkorde, rasanter Läufe, dazu so kraftvoll ausgeführte Pizzicato-Griffe, bei denen ich manchmal befürchtete, das würde die Violine doch nicht aushalten. Schon nach dem Schubert gab es grossen Applaus, nach Bartók noch mehr davon.

    Weiter geht es nun in der zweiten Mai-Hälfte wieder, dann endet die Durststrecke (zwischen Mitte März und Mitte Mail nur Frang und davor ungeplant in Locarno Ernst Reijseger & Cuncordu e Tenore de Orosei (auch grossartig, eine genre-übergreifende Musik, zu der ich aber nichts geschrieben habe). Im Mai stehen dann Holliger mit dem Swiss Orchestra an, Strauss‘ „Arabella“ (mit Hanna-Elisabeth Müller, Anett Fritsch, Josef Wagner und Pavol Breslik, Inszenierung von Carsen, geleitet von Poschner), dann das nächste Sokolov-Rezital (Eroica-Variationen, Op. 117 und – whoah! – Kreisleriana), und dann das eigentlich für Mai 2020 geplante Tripelkonzert mit Faust/Gabetta/Bezuidenhout und Antonini beim Kammerorchester Basel.

    Und dann doch noch der Nachgedanke zum gestrigen Konzert, der schon im Konzert auftauchte: Es war ja wirklich Bartók, der die Leute aus den Stühlen riss – warum nur kann ein Konzert heute, 2022, nicht einfach mit dem Stück von 1928 öffnen und dann eines von 1960 und eines von 2010 folgen lassen? Da wäre Bartóks Sonate dann nicht so geeignet (Kind/Bade und so), aber ich merke, wie ich nach der Pandemiepause vermehrt mit der konservativen Programmgestaltung zu hadern anfange. Durch die intensiven Konzertjahre (ca. 2016 bis Anfang 2020) kam bei mir so viel zusammen, dass ich inzwischen oft die Wahl habe, wieder zu einem Programm zu gehen, in dem eine Symphonie gespeilt wird, die ich doch vor zwei Jahren oder so erst grad gehört habe. Von der Kammermusik brauchen wir gar nicht reden, da war in der Zeit der Tonhalle-Maag mehr los, aber auch da nicht genug, finde ich – aber klar, zu Kammermusik gehen die Leute halt einfach nicht hier (das mag ganz profane Gründe haben, der ältere neben mir meinte gestern, man habe ja gar keine Nuancen hören können, er hätte aber schon gesehen, dass gespielt worden sei … nunja, es ist hart, die jüngeren Leute im Publikum sind sehr untervertreten – und wie gesagt: Frang hat eine unglaubliche Palette an Klängen geboten, vom ppp bis zum fff, den Ton in schier endlosen Schattierungen und Einfärbungen gestaltet etc.)

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    #11776217  | PERMALINK

    soulpope
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    „gypsy“ : Dank für Bericht und Gedanken ….

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    #11777081  | PERMALINK

    yaiza

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    Von mir vielen Dank für den Bericht, besonders die Info zur Bartók Violinsonate … UA usw.

    gypsy-tail-wind… Und dann doch noch der Nachgedanke zum gestrigen Konzert, der schon im Konzert auftauchte: Es war ja wirklich Bartók, der die Leute aus den Stühlen riss – warum nur kann ein Konzert heute, 2022, nicht einfach mit dem Stück von 1928 öffnen und dann eines von 1960 und eines von 2010 folgen lassen? Da wäre Bartóks Sonate dann nicht so geeignet (Kind/Bade und so), aber ich merke, wie ich nach der Pandemiepause vermehrt mit der konservativen Programmgestaltung zu hadern anfange…

    Ich rechne mit einer „Durststrecke“ … zur Zeit wird wohl doch auf Nummer sicher gegangen, um die Säle erstmal wieder voll zu bekommen, was ich den Musikern und Spielstätten auch wünsche. Die 2. Hälfte 20.Jh. und bisheriges 21.Jh. wird weiterhin zu kurz kommen bzw. hier weicht man dann auf „Specials“ oder „Festivals“ aus — sieht nicht nach Integration aus ;)

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    #11777337  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
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    Ja, davon gehe ich auch aus: in der Krise noch weniger wagen statt mehr. Kann man nur hoffen, dass durch die grossartige Endemie-Strategie (die von den gleichen Kreisen durchgedrückt wird, die bei all diesen Veranstaltern in den Stiftungsräten sitzen – da sind wir dann wieder beim Thema vom schmutzigen Geld) nicht das Publikum dezimiert, bevor die erhoffte wirtschaftliche Erholung zum greifen kommt.

    Ich hatte ja schon mal erwähnt, dass ich Sommer ans Lucerne Festival möchte. Mit dabei ist z.B. ein „grosses“ Konzert mit Anne-Sophie Mutter, die ein neues Konzert von Thomas Adès uraufführt, der auch gleich am Pult steht. Das älteste Werk des Programmes stammt von Stravinsky (das Hauptwerk im zweiten Konzertteil ist eine Symphonie von Lutoslawski). Das Konzert würde wohl anderswo mit einer Brahms-Symphonie kombiniert – aber in Luzern werden die 1898 Plätze des KKL-Saals vermutlich fast auf den letzten gefüllt sein – vermutlich obendrein mit einem deutlich tieferen (aber immer noch viel zu hohen) Altersschnitt. Aber ich verstehe da vermutlich auch das Publikum nicht (am Festival was „Besonderes“ hören wollen, daheim immer wieder Beethoven, Brahms und um sich progressiv zu geben vielleicht mal Mahler).

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