Irrlichts Introducing

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  • #80763  | PERMALINK

    irrlicht
    Nihil

    Registriert seit: 08.07.2007

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    1. SMOG: Red Apples
    2. LAURA NYRO: New York Tendaberry
    3. DIE ORSONS: Jetzt
    4. LITTLE DRAGON: Twice
    5. DAUGHTER: Youth
    6. BILL CALLAHAN: Summer painter
    7. SUN KIL MOON: Carissa
    8. KENDRICK LAMAR: The blacker the berry
    9. BENJAMIN CLEMENTINE: Condolence
    10. KATHRYN JOSEPH: The bird
    11. LAURA GIBSON: Five and thirty
    12. LORDE: Green light
    13. SUN KIL MOON: Lonestar
    14. ZUGEZOGEN MASKULIN/LGOONY: Füchse 2015

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    Hold on Magnolia to that great highway moon
    Highlights von Rolling-Stone.de
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    #4195623  | PERMALINK

    irrlicht
    Nihil

    Registriert seit: 08.07.2007

    Beiträge: 31,401

    Smog: Red apples

    Es gibt Dutzende Songs Callahans, die ich bewundere und liebe, aber „Red apples“ ist ein ganz besonderes Unikat. Ein wahrlich unnahbarer Song, der dem sechsten Studiowerk unter Smog den Namen gibt und um den sich ein ganzen Rankengewächs aufzieht.

    Callahan schreibt sehr oft in Gleichnissen und novellenartigen Sprachformeln, hier ist es ein bloßer Zwölfzeiler, bei dem die drei Strophen den Refrain ganz verschlungen haben. Es ist nur eine kurze Szene, unten am Fluss, die etwas verstörend direktes und doch zerstäubendes heraufbeschwört, als hätte sich die Tinte an der Stelle, an der der Punkt zu setzen ist, bereits wieder verflüchtigt. Ein benommener, fast leblos dahin treibender Song ist „Red apples“. Ein Schlagzeug humpelt gleichbleibend im Hintergrund, wie ein Schiffswrack mit Riss im Bauch, das sich mit Wasser füllt und zum Ozeanboden absinkt; am Klavier wüten dunkle, schwere Wellen übers Meer, eine Orgel säuselt behutsam aus der Weite, aus einem Winkel der Welt, der so entsetzlich fern klingt. „Red apples“ ist wie ein langsamer, spürbarer Verfall.

    „I went down to the river
    To meet the widow
    She gave me an apple
    It was red“

    Symbolik war Callahan wohl nie fremd – Pferde, Adler, Bienen, Feuer, Quellen, Lichtphänomene, die weite Steppe und Farben allgemein finden sich unentwegt, hier ist es der Fluss, der lockend seine Finger krümmt – aber schon hier wird es heikel: Eine Witwe am Fluss? Callahan spricht das „down“ hier mit deutlichem Nachdruck und leichtem Nachhall, diese Stufen führen sichtlich nicht zum blauen Strom am Wegesrand, sondern tiefer, zu einer Gedankenlandschaft, bei der musikalisch alles zur leblosen Statur geworden ist, wo man kein leichtes Rascheln am Wasser hören kann. Ganz leise ist es dort. Ein roter Apfel kommt ins Spiel, das Heiligtum der Früchte, über das es womöglich mehr Poesie und Kult gibt, als über jedes andere Gewächs, das je vom Baum gefallen ist. Mein erster Gedanke an dieser Stelle war eine spiegelverkehrte Märchenschreibung. Hier ist es er, der in den blutroten Apfel beißen soll – aber kursiert darin letztlich Gift? Und wozu wird die Farbe, der „rote Apfel“ nochmal extra hervorgehoben, wo er weder hier einem Reimschema unterliegt, noch je in seiner Tradition wirklich als grüner und gelber Ableger bewundert wurde?

    „I slept in her black arms for a century
    She wanted nothing in return
    I gave her nothing in return
    I gave her nothing in return“

    Ohne jeden markanten musikalischen Sprung liegt man aber bereits ausgestreckt in der zweiten Strophe. Aus dem Apfel wurde ein tiefer Schlaf, Jahrhunderte hat er gewährt – wie es dazu kam erfährt man nicht. Auch der Gesang bleibt fast blass, nüchtern, als wäre er einem reinen Traumgebilde entsprungen. Aber er ist wieder wach. Dann die Regung: Voller Inbrunst erklingen die Worte „nothing“ und „return“, mehr und mehr lichtet sich die Trance mit leicht aufwallenden Klaviertönen; „Sie wollte nichts dafür/Ich gab ihr nichts dafür“ – auch hier fällt mir die Deutung schwer, die Sätze klingen dringlich und bewusst gewählt, nicht wie eine nachgeschobene Randnotiz. Es ist kein Handel, wohl mehr ein vertrauter Pakt, bei dem sich die Anwesenden aber nicht einmal kennen müssen.

    „The ghost of her husband
    Beautiful as a horse
    Pulled up an apple cart
    Full of millions of red apples for us“

    Und wieder folgt der Szenenwechsel – aus zwei wurden drei, keiner hat jedoch innerhalb der Jahrhunderte je ein Wort gesprochen. Nun gehen am Fluss, wenn die Szene noch dort spielt, Geister um, sofern hier nicht bereits ein Abstraktum den Karren zieht. Wer ist der Ehemann, der zum Geist geworden ist und nun dazu verteufelt wurde Millionen von Äpfeln durch die Weiten dieser Landeschaft zu bringen? Und auch markant: Der Karren mit den Äpfeln wird nach oben transportiert, wo doch der Erzähler zu Anfang noch vehement feststellte, dass er doch zum Fluss hinabsteigt. Auch der Vergleich: Callahan wählt das Pferd, womöglich als Symbol für Stärke, für Anmut und Geschicklichkeit, aber welches Pferd ist nach derartiger Last noch wunderschön? Und welcher Beobachter denkt überhaupt über derlei Vergleiche nach, wo er nach Jahrhunderten aus dem Schlaf der Schläfer neben einer apathischen Witwe erwacht, die mit ihm vor einem kolossalen Apfelberg am Flussufer in die sichtliche Leere starrt? Sehr surreal, das alles.

    „Red apples“ ist bei aller Unkenntlichkeit aber wohl mehr als Allegorie zu verstehen. Er bleibt, verfällt dem Schlaf, erwacht und ist inmitten einer Sequenz, die sich auf ewig wiederholt. Die Äpfel wachsen und sie werden abgeerntet und dieser Zyklus verbleibt für immer. Der Ehemann, der hier schweigsam seiner Arbeit nachkommt, könnte gleichermaßen der eigene Geist sein – denn das Bild hat sich verändert, der Ort scheint nicht mehr der gleiche zu sein, was an Körper und Materie geblieben ist, ist gänzlich unscharf geworden – vielleicht aber dreht sich nur der Kreis und „Red apples“ ist ein Gleichnis, das als Ablöse zu verstehen ist. Er kam, kostete unvorsichtig und ohne überhaupt nach der Gegenleistung zu fragen – was danach blieb nun war die Berufung am Karren. Und der Berg hinauf.
    Für weitere Jahrhunderte und Millionen von roten Äpfeln.

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    Hold on Magnolia to that great highway moon
    #8389149  | PERMALINK

    hello_skinny

    Registriert seit: 11.12.2010

    Beiträge: 2,305

    Bin grade sprachlos, wirklich sehr schöner Text. Hoffe auf mehr. :-)

    #8389151  | PERMALINK

    irrlicht
    Nihil

    Registriert seit: 08.07.2007

    Beiträge: 31,401

    Hello_SkinnyBin grade sprachlos, wirklich sehr schöner Text. Hoffe auf mehr. :-)

    Lieben Dank, das freut mich sehr. :-)

    Noch schnell ein paar allgemeine Worte zu „Irrlichts Introducing“: Dieser Thread verfolgt die Idee, einzelne, mir sehr wichtige Songs/Tracks etwas genauer unter das Vergrößerungsglas zu legen – manchmal wird es dabei Instrumentals treffen, mal Songs, die stark von ihren Texten leben, je nach vom Künstler schon gewählten Weg, soll hier auch in etwa der Fokus liegen. Ich werde versuchen, dieses Thema hier regelmäßig um Neues zu ergänzen, aber täglich werden hier wohl keine großen Beschreibungen stattfinden. Auch allgemein: Anmerkungen sind immer sehr willkommen und wer beim Lesen denkt „Du Irrlicht, da hast Du jetzt aber was echt falsch verstanden und quer dran vorbei argumentiert, weil…“ – lasst es mich auch wissen. Hier gehts um nicht weniger, als die absolute, unumstößliche Wahrheit. ;-)

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    Hold on Magnolia to that great highway moon
    #8389153  | PERMALINK

    grandandt

    Registriert seit: 10.10.2007

    Beiträge: 24,622

    Freut mich, D.
    Solange man hier nichts Obskures wie Woven Hand oder DCD lesen muß … Grinsesmiley!

    Nee, Du wirst in Deinen Formulierungen immer besser. Bin gespannt – vor allem auch wegen Deiner kommenden Auswahl!

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    Je suis Charlie Sometimes it is better to light a flamethrower than curse the darkness. T.P.
    #8389155  | PERMALINK

    roseblood

    Registriert seit: 26.01.2009

    Beiträge: 7,089

    Auch wenn ich zu deinem vorgestellten Song wenig Bezug habe (leider muss ich dieses böse Wort „nett“ benutzen), freue ich mich auf diesen Thread und auf deine weitere Introducing-Auswahl.

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    #8389157  | PERMALINK

    irrlicht
    Nihil

    Registriert seit: 08.07.2007

    Beiträge: 31,401

    grandandtFreut mich, D.
    Solange man hier nichts Obskures wie Woven Hand oder DCD lesen muß … Grinsesmiley!

    Ach, hier wird es sicher immer mal wieder allerhand Obskures zu lesen und auch zu hören geben – der Thread hat keine stilistischen Auflagen und ich werde versuchen, das auch im Text so zu halten.

    grandandtNee, Du wirst in Deinen Formulierungen immer besser. Bin gespannt – vor allem auch wegen Deiner kommenden Auswahl!

    Dankesehr – ich werde mal schauen, dass ich die Woche noch etwas Neues hier einstelle (derzeit gibt es eine Reihe von Songs, die in der engeren Auswahl stehen, aber mir fehlt leider etwas die Zeit).

    RosebloodAuch wenn ich zu deinem vorgestellten Song wenig Bezug habe (leider muss ich dieses böse Wort „nett“ benutzen), freue ich mich auf diesen Thread und auf deine weitere Introducing-Auswahl.

    Dank auch an Dich für’s Lesen und Hören. Kanntest Du Callahan/Smog eigentlich bereits, Roseblood und kannst mit dem Mann allgemein wenig/nichts anfangen oder liegt es hier tatsächlich an der sehr getragenen, langsamen Antastungsweise des Songs?

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    Hold on Magnolia to that great highway moon
    #8389159  | PERMALINK

    nikodemus

    Registriert seit: 07.03.2004

    Beiträge: 21,304

    Danke schön, ganz toller Track von einem meiner Lieblingsalben, immer noch eines der wenigen mit voller Punktzahl. Heute Abend fehlt mir die Muse, aber nach deiner intensiven Besprechung muss ich das ganze Album noch mal nachhören (dürfen) und werde versuchen deine lyrischen Thesen zu überprüfen und im Kontext zu hören/lesen.

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    and now we rise and we are everywhere
    #8389161  | PERMALINK

    irrlicht
    Nihil

    Registriert seit: 08.07.2007

    Beiträge: 31,401

    nikodemusDanke schön, ganz toller Track von einem meiner Lieblingsalben, immer noch eines der wenigen mit voller Punktzahl. Heute Abend fehlt mir die Muse, aber nach deiner intensiven Besprechung muss ich das ganze Album noch mal nachhören (dürfen) und werde versuchen deine lyrischen Thesen zu überprüfen und im Kontext zu hören/lesen.

    Wenn meine bisherigen Gedankengänge diesen Anreiz gegeben haben, dann ist das schon Kompliment genug – und wie auch immer: Ich freu mich jetzt schon sehr auf Deine Anmerkungen.

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    Hold on Magnolia to that great highway moon
    #8389163  | PERMALINK

    carrot-flower
    Moderator

    Registriert seit: 26.09.2007

    Beiträge: 3,122

    In den letzten Tagen habe ich „Red Apples“ (neben „River Guard“ mein liebster Callahan-Track) einige Male gehört, weil ich dachte, „Ach, wenn Irrlicht sich solch eine Mühe macht, muss man darauf doch auch inhaltlich reagieren.“ Und dann tuckert das Hirn an und deutelt und deutelt, und ich wache nachts auf mit „Red Apples“ im Ohr. Also, raus damit, damit ich den Apfel-Wurm loswerde. Zu einer Gesamtdeutung bringe ich es aber nicht bei Callahans Eros-/Tod-Bilderlotto. Ich pick mir einfach was raus.

    IrrlichtEin benommener, fast leblos dahin treibender Song ist „Red apples“.

    Wie so oft, höre ich das etwas anders. Auch für mich wird eine gespenstische, von der Welt losgelöste Atmosphäre heraufbeschworen, aber es gibt viele sehr dynamische und gefühlvolle Elemente, die dem Track Lebendigkeit verleihen, und auch in Strophe 1 und 3 eine Handlung mit Interaktion und Bewegung (auch wenn diese nicht vor Quicklebendigkeit vibriert). Callahan singt für seine Verhältnisse innig, mit starker Betonung, und die aufsteigenden Klavierakkorde nebst wieder absteigender Melodie rhythmisieren den Track. Ich muss, passend zum Bild des Flusses, an bewegtes Wasser denken (hast du ja in deiner Deutung auch genannt). Können wir uns auf den Styx einigen? Und/oder darauf, dass der Song zumindest verschlafen wassertritt, also auf bewegte Art nicht von der Stelle kommt?

    ein langsamer, spürbarer Verfall

    Für mich ist der Song repetitiv, da verfällt schon nichts mehr, eher staubt es (trotz des Flusswassers), the worms have left the building :-)

    Symbolik war Callahan wohl nie fremd

    :wow: (‚tschuldige die kleine Frechheit.)

    Eine Witwe am Fluss?

    Ja, was treibt die denn da? Wie oben schon erwähnt, bei Callahans zentnerschwer aufgeladener Bildsprache drängt sich eine lückenlose Dechiffrierung nicht gerade auf. Gut so.
    Beim Bild einer Frau in Trauer an einem Fluss fiel mir natürlich als Erstes der Totenfluss der griechischen Mythologie ein. Interessant ist, dass dieser Fluss anscheinend weder überquert wird, noch die Protagonisten irgendwo hin bringen soll, was der Szenerie tatsächlich eine seltsame Gebremstheit verleiht. Die Möglichkeit einer Reise oder Transformation ist vorhanden, wird aber nicht genutzt. Dass die Witwe noch in Trauer ist, wird in Strophe 2 ja deutlich, sie trägt noch Schwarz. Durch mehr wird sie auch nicht charakterisiert. Sie kann dem Lyrischen Ich, das sie ja gezielt aufsucht, irgendeine Form des Handels anbieten, der irgendetwas mit ihrer wie auch immer gearteten Verbindung zum Totenreich zu tun haben muss (stelle ich mal in den Raum, Umstellen erlaubt). Eine Witwe in Trauer ist ja eine tragische Figur, jemand, der einen großen Verlust erlitten hat (lustige Witwen seien hier mal vernachlässigt), irgendwo zwischen Dies- und Jenseits lebt und während seiner Trauerzeit seiner Umwelt Distanz und Takt abfordert, einen gewissen Respektspersonen-Status inne hat. Welcher Art der Einfluss hier ist, wird aber nicht recht deutlich, ebenso wenig, weshalb Callahan hier die Witwe statt einer Hexe oder Göttin wählt. Vielleicht, um Esoterik auszuschließen (wäre mir sympathisch). Nun kommt der rote Apfel ins Spiel, Symbol der Sinnlichkeit, der Verführung, der Sünde, aber im Märchen auch Auslöser tödlicher Nickerchen. Die ergänzende und die Strophe bedeutungsvoll beschließende Nennung der Farbe wendet den ganzen bisherigen Track, der rote Apfel leuchtet aus all der Fahlheit heraus. Ob er bedeutet, dass die Witwe den Erzähler als neuen Mann erwählt hat, ob der Apfel den folgenden langen Schlaf auslöst oder nicht, erfährt man nicht. In jedem Fall vertraut sich der Erzähler für ein Jahrhundert (warum er wohl nicht ein märchenhaftes „a hundred years“ schreibt?) ihren schwarzen Armen an, ein Bild, das für mich nicht unbedingt behaglich wirkt, ich muss an eine Schwarze Witwe denken. Was der Erzähler durch diesen langen Schlaf gewinnt, wird nicht deutlich, nur, dass er eine Gegenleistung für angemessen hält. Nun wird es vollends großartig.

    „Sie wollte nichts dafür/Ich gab ihr nichts dafür“ – auch hier fällt mir die Deutung schwer, die Sätze klingen dringlich und bewusst gewählt, nicht wie eine nachgeschobene Randnotiz.

    Ich bin geneigt, das „Nichts“ groß zu schreiben, denn es scheint mir sehr wohl ein Etwas zu sein, es wird so stark betont. There’s a whole lot of Nothung goin‘ on! Der eine zieht sich für 100 Jahre aus der Welt zurück, die andere verlangt Nichts dafür. Ob man das jetzt mit „Lethe“ übersetzen kann, keine Ahnung, aber man lehnt sich wohl nicht zu weit aus dem Fenster, wenn man mutmaßt, dass es für beide eine Menge zu vergessen gibt, und festhält, dass dies nur über einen Handel oder (wie du es nanntest) Pakt möglich ist.

    Deine Deutung der letzten Strophe ist mir etwas zu sehr an der Realität gemessen und bekommt dadurch Schlagseite, und gegen Ende hast du mich ganz verloren. Ich glaube gar nicht, dass der Erzähler zum Sisyphos wird, und das „Pferd“ tut mir auch nicht leid (to pull up bedeutet übrigens nicht notwendigerweise „hochziehen“, sondern kann auch einfach „heranziehen“ bedeuten). Ich finde die Strophe auch sehr unzugänglich, aber ein paar Ideen kann ich beisteuern:

    Der ehemals betrauerte Ehemann wird hier quasi auf doppelte Weise als solcher demontiert oder im Gegenteil erhöht. Er tritt in der eh schon jenseitigen Szenerie als Geist auf, zudem verglichen mit einem Tier, zwar schön und stark, aber doch ohne echte Einwirkungsmöglichkeit und nicht auf Augenhöhe mit einem Menschen, ein Bild männlicher Kraft, aber eben jenseitig. Wenn man mich zu einer Deutung zwingen würde, würde ich sagen, der Verflossene gibt durch das Schenken (?) der unzähligen Äpfel der neuen Liebe, nee, sagen wir lieber, dem neuen Verhältnis (immerhin gibt es jetzt ein „us“), seinen Segen und ermöglicht den unendlichen Zyklus von gemeinsamem Vergessen.

    Wie aus all dem eine schlüssige Deutung werden soll, wird uns nikodemus verraten, ich freu mich drauf :-)

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    the pulse of the snow was the pulse of diamonds and you wear it in your hair like a constellation
    #8389165  | PERMALINK

    udw
    so little gets done

    Registriert seit: 22.06.2005

    Beiträge: 3,284

    Jetzt habt ihr mich aber so neugierig gemacht, dass ich mich ärgere, „Red Apple Falls“ heute nicht beim Plattenhändler meines Vertrauens mitgenommen zu haben.

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    so little is fun
    #8389167  | PERMALINK

    roseblood

    Registriert seit: 26.01.2009

    Beiträge: 7,089

    Irrlicht
    Dank auch an Dich für’s Lesen und Hören. Kanntest Du Callahan/Smog eigentlich bereits, Roseblood und kannst mit dem Mann allgemein wenig/nichts anfangen oder liegt es hier tatsächlich an der sehr getragenen, langsamen Antastungsweise des Songs?

    Smog waren mir vom Namen her ein dunkler Begriff, musikalisch konnte ich mir jedoch nichts darunter vorstellen. Ich höre das Lied gerade erneut. Im Grunde gefällt es mir. Ich bin solcher vor-sich-her-weinenden Musik natürlich nicht abgeneigt. Auch die sporadisch-lakonische Umsetzung ist gut, aber irgendetwas fehlt mir in diesem Lied (und ich weiss nicht einmal genau was), dass ich es unbedingt nun gern öfters hören möchte.

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    #8389169  | PERMALINK

    irrlicht
    Nihil

    Registriert seit: 08.07.2007

    Beiträge: 31,401

    UDWJetzt habt ihr mich aber so neugierig gemacht, dass ich mich ärgere, „Red Apple Falls“ heute nicht beim Plattenhändler meines Vertrauens mitgenommen zu haben.

    Mit „Red apple falls“ kann man definitiv wenig falsch machen – es ist zwar nicht mein liebstes Werk von Callahan (das wäre wohl mittlerweile tatsächlich das jüngst erschienene „Apocalypse“), aber die Rätselhaftigkeit, Vieldeutigkeit und auch Geschlossenheit des Albums lohnt zu entdecken. Viel Freude dabei!

    RosebloodSmog waren mir vom Namen her ein dunkler Begriff, musikalisch konnte ich mir jedoch nichts darunter vorstellen. Ich höre das Lied gerade erneut. Im Grunde gefällt es mir. Ich bin solcher vor-sich-her-weinenden Musik natürlich nicht abgeneigt. Auch die sporadisch-lakonische Umsetzung ist gut, aber irgendetwas fehlt mir in diesem Lied (und ich weiss nicht einmal genau was), dass ich es unbedingt nun gern öfters hören möchte.

    Das kann ich sogar nachvollziehen, „Red apples“ ist zwar kein Track, der in Smogs Zirkel aus dem Kreis purzelt, aber schon ein kleiner Granit, wenn man eventuell nicht allzu viel Freude am Rätseln mitbringt und der musikalischen Vitalität mehr Interesse entgegen bringt. Bezüglich letzterem, einer gewissen Dynamik, würde ich andere Songs wählen, „A man needs a woman or a man to be a man“, „Bloodflow“ und natürlich das wunderbare „Jesus“ (als kleine Verneigung vor The Velvet Underground) solltest Du ruhig mal antesten. Da gibt es viel zu Entdecken.

    @Queen of carrot flowers: Viele bedenkenswerte Bemerkungen, ganz lieben Dank Dir – an vielen Stellen ist jetzt der Stein erst recht ins Rollen gekommen (ich finde auch Deine abschließende Deutung sehr schlüssig), bei manchem sind mir auch direkt eine Reihe von Ergänzungen eingefallen, die ich aber erst noch in einen verständlichen Gedankenrahmen bringen muss. Dazu fehlt mir im Moment leider etwas die Zeit, aber am Wochenende mach ich mich mal dran. Und auf nikos Schlüsse bin ich ebenfalls höchst gespannt!

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    Hold on Magnolia to that great highway moon
    #8389171  | PERMALINK

    go1
    Gang of One

    Registriert seit: 03.11.2004

    Beiträge: 5,644

    IrrlichtCallahan schreibt sehr oft in Gleichnissen und novellenartigen Sprachformeln, hier ist es ein bloßer Zwölfzeiler, bei dem die drei Strophen den Refrain ganz verschlungen haben. Es ist nur eine kurze Szene, unten am Fluss, die etwas verstörend direktes und doch zerstäubendes heraufbeschwört, als hätte sich die Tinte an der Stelle, an der der Punkt zu setzen ist, bereits wieder verflüchtigt. Ein benommener, fast leblos dahin treibender Song ist „Red apples“. Ein Schlagzeug humpelt gleichbleibend im Hintergrund, wie ein Schiffswrack mit Riss im Bauch, das sich mit Wasser füllt und zum Ozeanboden absinkt; am Klavier wüten dunkle, schwere Wellen übers Meer, eine Orgel säuselt behutsam aus der Weite, aus einem Winkel der Welt, der so entsetzlich fern klingt. „Red apples“ ist wie ein langsamer, spürbarer Verfall.

    Interessante Eindrücke sind das, die sich von meinem Hörerlebnis deutlich unterscheiden. Ich mag das Langsame und das Repetitive dieser Aufnahme, die eine Art von Trance erzeugt, und denke dabei gar nicht an Benommenheit, Leblosigkeit oder Verfall. Auf mich wirkt die Musik in ihrer endlosen Wiederholung sehr gefestigt, kräftig, in sich ruhend, wie sie den langen Fluss in Richtung Ewigkeit hinuntertreibt (sie hört ja nicht auf, sondern wird ausgeblendet). An entscheidenden Stellen gewinnt sie an Nachdruck (nach der zweiten Strophe und nach dem „For us“ am Ende wird kräftiger auf die Snare geschlagen). Und die schwirrende, in den Hintergrund gemischte Orgel sorgt durchgehend für unvorhersehbare Bewegung – ich halte sie für sehr wichtig, gerade für die Stimmung des Tracks, dieses Gefühl, das er bei mir erzeugt, dass sich das Geschehen in einem Schattenreich abspielt; daher störe ich mich an dem Verb „säuseln“. Man kann die Anmutung der Musik vielleicht als traumverloren oder jenseitig bezeichnen, aber nach Verfall klingt sie für mich nicht.

    Den Text des Songs mag ich gar nicht deuten. Sein Rätsel ist dazu da, genossen zu werden, nicht gelöst. Die Trauer tragende Witwe am Fluss, die dem Erzähler einen roten Apfel schenkt, die nicht bestimmte Beziehung zwischen den beiden – diese nur angedeutete Szene löst Assoziationen und Mutmaßungen aus, bei denen es nicht darauf ankommt, ob sie „stimmen“, sondern darauf, dass sie da sind, dass der Song sie hervorruft; dadurch entsteht der Eindruck einer Bedeutungstiefe, von der ich gar nicht wissen will, ob sie wirklich in den knappen Worten steckt. Callahans Meisterschaft als Songschreiber zeigt sich hier im Weglassen, in dem, was nicht gesagt wird. Und was gesagt wird, rückt die Szene ins Unwirkliche, passend zur Stimmung der Musik: Der Erzähler schläft nicht nur ein paar Stunden in den Armen der Witwe, sondern ein Jahrhundert lang; der Geist des toten Ehemanns tritt auf; und das Bild der Fülle, die den beiden Lebenden zuteil wird, ist ins Riesenhafte gesteigert: Der Karren, den der Geist heranschleppt, enthält nicht nur ein paar hundert oder tausend, sondern Millionen rote Äpfel. So sind die beiden am Ende vereint – in einem schönen Traum.

    I went down to the river
    To meet the widow
    She gave me an apple
    It was red“

    I slept in her black arms for a century
    She wanted nothing in return
    I gave her nothing in return
    I gave her nothing in return“

    The ghost of her husband
    Beautiful as a horse
    Pulled up an apple cart
    Full of millions of red apples
    For us“

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    To Hell with Poverty
    #8389173  | PERMALINK

    go1
    Gang of One

    Registriert seit: 03.11.2004

    Beiträge: 5,644

    Carrot FlowerBeim Bild einer Frau in Trauer an einem Fluss fiel mir natürlich als Erstes der Totenfluss der griechischen Mythologie ein. Interessant ist, dass dieser Fluss anscheinend weder überquert wird, noch die Protagonisten irgendwo hin bringen soll, was der Szenerie tatsächlich eine seltsame Gebremstheit verleiht. Die Möglichkeit einer Reise oder Transformation ist vorhanden, wird aber nicht genutzt. Dass die Witwe noch in Trauer ist, wird in Strophe 2 ja deutlich, sie trägt noch Schwarz. Durch mehr wird sie auch nicht charakterisiert. Sie kann dem Lyrischen Ich, das sie ja gezielt aufsucht, irgendeine Form des Handels anbieten, der irgendetwas mit ihrer wie auch immer gearteten Verbindung zum Totenreich zu tun haben muss (stelle ich mal in den Raum, Umstellen erlaubt).

    Deinen Gedanken zur Musik und zum Text kann ich im Großen und Ganzen folgen, aber ich weiß nicht, wo hier ein Handel, ein „Ich gebe dir x, damit du mir y gibst“, hereinkommt? Die beiden Schlüsselzeilen („She Wanted Nothing In Return / I Gave Her Nothing In Return“) widersprechen dem doch direkt. Dass man hier „nichts“ in „etwas“ verwandeln muss, um die Idee des Handels zu retten, spricht m.E. gegen sie.

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    To Hell with Poverty
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