Antwort auf: Irrlichts Introducing

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irrlicht
Nihil

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Smog: Red apples

Es gibt Dutzende Songs Callahans, die ich bewundere und liebe, aber „Red apples“ ist ein ganz besonderes Unikat. Ein wahrlich unnahbarer Song, der dem sechsten Studiowerk unter Smog den Namen gibt und um den sich ein ganzen Rankengewächs aufzieht.

Callahan schreibt sehr oft in Gleichnissen und novellenartigen Sprachformeln, hier ist es ein bloßer Zwölfzeiler, bei dem die drei Strophen den Refrain ganz verschlungen haben. Es ist nur eine kurze Szene, unten am Fluss, die etwas verstörend direktes und doch zerstäubendes heraufbeschwört, als hätte sich die Tinte an der Stelle, an der der Punkt zu setzen ist, bereits wieder verflüchtigt. Ein benommener, fast leblos dahin treibender Song ist „Red apples“. Ein Schlagzeug humpelt gleichbleibend im Hintergrund, wie ein Schiffswrack mit Riss im Bauch, das sich mit Wasser füllt und zum Ozeanboden absinkt; am Klavier wüten dunkle, schwere Wellen übers Meer, eine Orgel säuselt behutsam aus der Weite, aus einem Winkel der Welt, der so entsetzlich fern klingt. „Red apples“ ist wie ein langsamer, spürbarer Verfall.

„I went down to the river
To meet the widow
She gave me an apple
It was red“

Symbolik war Callahan wohl nie fremd – Pferde, Adler, Bienen, Feuer, Quellen, Lichtphänomene, die weite Steppe und Farben allgemein finden sich unentwegt, hier ist es der Fluss, der lockend seine Finger krümmt – aber schon hier wird es heikel: Eine Witwe am Fluss? Callahan spricht das „down“ hier mit deutlichem Nachdruck und leichtem Nachhall, diese Stufen führen sichtlich nicht zum blauen Strom am Wegesrand, sondern tiefer, zu einer Gedankenlandschaft, bei der musikalisch alles zur leblosen Statur geworden ist, wo man kein leichtes Rascheln am Wasser hören kann. Ganz leise ist es dort. Ein roter Apfel kommt ins Spiel, das Heiligtum der Früchte, über das es womöglich mehr Poesie und Kult gibt, als über jedes andere Gewächs, das je vom Baum gefallen ist. Mein erster Gedanke an dieser Stelle war eine spiegelverkehrte Märchenschreibung. Hier ist es er, der in den blutroten Apfel beißen soll – aber kursiert darin letztlich Gift? Und wozu wird die Farbe, der „rote Apfel“ nochmal extra hervorgehoben, wo er weder hier einem Reimschema unterliegt, noch je in seiner Tradition wirklich als grüner und gelber Ableger bewundert wurde?

„I slept in her black arms for a century
She wanted nothing in return
I gave her nothing in return
I gave her nothing in return“

Ohne jeden markanten musikalischen Sprung liegt man aber bereits ausgestreckt in der zweiten Strophe. Aus dem Apfel wurde ein tiefer Schlaf, Jahrhunderte hat er gewährt – wie es dazu kam erfährt man nicht. Auch der Gesang bleibt fast blass, nüchtern, als wäre er einem reinen Traumgebilde entsprungen. Aber er ist wieder wach. Dann die Regung: Voller Inbrunst erklingen die Worte „nothing“ und „return“, mehr und mehr lichtet sich die Trance mit leicht aufwallenden Klaviertönen; „Sie wollte nichts dafür/Ich gab ihr nichts dafür“ – auch hier fällt mir die Deutung schwer, die Sätze klingen dringlich und bewusst gewählt, nicht wie eine nachgeschobene Randnotiz. Es ist kein Handel, wohl mehr ein vertrauter Pakt, bei dem sich die Anwesenden aber nicht einmal kennen müssen.

„The ghost of her husband
Beautiful as a horse
Pulled up an apple cart
Full of millions of red apples for us“

Und wieder folgt der Szenenwechsel – aus zwei wurden drei, keiner hat jedoch innerhalb der Jahrhunderte je ein Wort gesprochen. Nun gehen am Fluss, wenn die Szene noch dort spielt, Geister um, sofern hier nicht bereits ein Abstraktum den Karren zieht. Wer ist der Ehemann, der zum Geist geworden ist und nun dazu verteufelt wurde Millionen von Äpfeln durch die Weiten dieser Landeschaft zu bringen? Und auch markant: Der Karren mit den Äpfeln wird nach oben transportiert, wo doch der Erzähler zu Anfang noch vehement feststellte, dass er doch zum Fluss hinabsteigt. Auch der Vergleich: Callahan wählt das Pferd, womöglich als Symbol für Stärke, für Anmut und Geschicklichkeit, aber welches Pferd ist nach derartiger Last noch wunderschön? Und welcher Beobachter denkt überhaupt über derlei Vergleiche nach, wo er nach Jahrhunderten aus dem Schlaf der Schläfer neben einer apathischen Witwe erwacht, die mit ihm vor einem kolossalen Apfelberg am Flussufer in die sichtliche Leere starrt? Sehr surreal, das alles.

„Red apples“ ist bei aller Unkenntlichkeit aber wohl mehr als Allegorie zu verstehen. Er bleibt, verfällt dem Schlaf, erwacht und ist inmitten einer Sequenz, die sich auf ewig wiederholt. Die Äpfel wachsen und sie werden abgeerntet und dieser Zyklus verbleibt für immer. Der Ehemann, der hier schweigsam seiner Arbeit nachkommt, könnte gleichermaßen der eigene Geist sein – denn das Bild hat sich verändert, der Ort scheint nicht mehr der gleiche zu sein, was an Körper und Materie geblieben ist, ist gänzlich unscharf geworden – vielleicht aber dreht sich nur der Kreis und „Red apples“ ist ein Gleichnis, das als Ablöse zu verstehen ist. Er kam, kostete unvorsichtig und ohne überhaupt nach der Gegenleistung zu fragen – was danach blieb nun war die Berufung am Karren. Und der Berg hinauf.
Für weitere Jahrhunderte und Millionen von roten Äpfeln.

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Hold on Magnolia to that great highway moon