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IrrlichtCallahan schreibt sehr oft in Gleichnissen und novellenartigen Sprachformeln, hier ist es ein bloßer Zwölfzeiler, bei dem die drei Strophen den Refrain ganz verschlungen haben. Es ist nur eine kurze Szene, unten am Fluss, die etwas verstörend direktes und doch zerstäubendes heraufbeschwört, als hätte sich die Tinte an der Stelle, an der der Punkt zu setzen ist, bereits wieder verflüchtigt. Ein benommener, fast leblos dahin treibender Song ist „Red apples“. Ein Schlagzeug humpelt gleichbleibend im Hintergrund, wie ein Schiffswrack mit Riss im Bauch, das sich mit Wasser füllt und zum Ozeanboden absinkt; am Klavier wüten dunkle, schwere Wellen übers Meer, eine Orgel säuselt behutsam aus der Weite, aus einem Winkel der Welt, der so entsetzlich fern klingt. „Red apples“ ist wie ein langsamer, spürbarer Verfall.
Interessante Eindrücke sind das, die sich von meinem Hörerlebnis deutlich unterscheiden. Ich mag das Langsame und das Repetitive dieser Aufnahme, die eine Art von Trance erzeugt, und denke dabei gar nicht an Benommenheit, Leblosigkeit oder Verfall. Auf mich wirkt die Musik in ihrer endlosen Wiederholung sehr gefestigt, kräftig, in sich ruhend, wie sie den langen Fluss in Richtung Ewigkeit hinuntertreibt (sie hört ja nicht auf, sondern wird ausgeblendet). An entscheidenden Stellen gewinnt sie an Nachdruck (nach der zweiten Strophe und nach dem „For us“ am Ende wird kräftiger auf die Snare geschlagen). Und die schwirrende, in den Hintergrund gemischte Orgel sorgt durchgehend für unvorhersehbare Bewegung – ich halte sie für sehr wichtig, gerade für die Stimmung des Tracks, dieses Gefühl, das er bei mir erzeugt, dass sich das Geschehen in einem Schattenreich abspielt; daher störe ich mich an dem Verb „säuseln“. Man kann die Anmutung der Musik vielleicht als traumverloren oder jenseitig bezeichnen, aber nach Verfall klingt sie für mich nicht.
Den Text des Songs mag ich gar nicht deuten. Sein Rätsel ist dazu da, genossen zu werden, nicht gelöst. Die Trauer tragende Witwe am Fluss, die dem Erzähler einen roten Apfel schenkt, die nicht bestimmte Beziehung zwischen den beiden – diese nur angedeutete Szene löst Assoziationen und Mutmaßungen aus, bei denen es nicht darauf ankommt, ob sie „stimmen“, sondern darauf, dass sie da sind, dass der Song sie hervorruft; dadurch entsteht der Eindruck einer Bedeutungstiefe, von der ich gar nicht wissen will, ob sie wirklich in den knappen Worten steckt. Callahans Meisterschaft als Songschreiber zeigt sich hier im Weglassen, in dem, was nicht gesagt wird. Und was gesagt wird, rückt die Szene ins Unwirkliche, passend zur Stimmung der Musik: Der Erzähler schläft nicht nur ein paar Stunden in den Armen der Witwe, sondern ein Jahrhundert lang; der Geist des toten Ehemanns tritt auf; und das Bild der Fülle, die den beiden Lebenden zuteil wird, ist ins Riesenhafte gesteigert: Der Karren, den der Geist heranschleppt, enthält nicht nur ein paar hundert oder tausend, sondern Millionen rote Äpfel. So sind die beiden am Ende vereint – in einem schönen Traum.
„I went down to the river
To meet the widow
She gave me an apple
It was red“
„I slept in her black arms for a century
She wanted nothing in return
I gave her nothing in return
I gave her nothing in return“
„The ghost of her husband
Beautiful as a horse
Pulled up an apple cart
Full of millions of red apples
For us“
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To Hell with Poverty