2018 hörte ich folgende für mich neue Alben

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  • #10667493  | PERMALINK

    wahr

    Registriert seit: 18.04.2004

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    obwohl ich so eben gerade eine top ten der liebsten in 2018 veröffentlichten alben zusammenbekommen habe, habe ich doch trotzdem einiges an für mich neuer musik in diesem jahr gehört – nur eben nicht aus diesem jahr. wie eigentlich jedes jahr.

    einen thread für neu gehörte jahresmusik im albumformat, die aber nicht unbedingt aus dem betreffenden jahr stammen muss, habe ich jedoch nicht gefunden. daher mach ich selbst einen auf. weil mich umgekehrt eben auch interessiert, was andere user an musik dieses jahr so umgetrieben hat, unabhängig von ihrer entstehungszeit.

    ich entschuldige mich schon mal für den sehr zur unwucht neigenden text im anschluss, aber er ist nicht als letztes wort geschrieben, eher als anriss einer beschäftigung, die sich mittendrin befindet.

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    #10667521  | PERMALINK

    wahr

    Registriert seit: 18.04.2004

    Beiträge: 14,806

    obwohl henry threadgill seit einigen jahrzehnten schon aktiv ist, habe ich erstmals in diesem sommer von ihm gehört, in einer besprechung zweier aktueller alben in der wire. auch @gypsy-tail-wind erwähnte die alben damals im jazz-thread des rs. aber ich beschäftige mich ja erst seit kurzem etwas mehr mit jazz, daher tauchen namen, die anderen womöglich sehr vertraut sind, eben jetzt erst auf meiner musikalischen landkarte auf. vielleicht ist dadurch auch zu erklären, dass mich das henry threadgill 14 or 15 kestra: agg mit „dirt… and more dirt“ gleich begeisterte. es fühlte sich so frisch an, gleichzeitig aber extrem entwickelt. eine gradwanderung aus genau und modern komponierten teilen und improvisation, teilweise in der instrumentation ungewöhnlich kombiniert (tuba, akkordion, klavier, bass, bleche, perkussion, und anderes mehr). exakt, brillant und immer spannend zu verfolgen. eigentlich auch erstaunlich eingängig.
    threadgills zweites album in 2018 – henry threadgill double up ensemble „double up, plays double up plus“ – hat mich dagegen kaum erreicht. hier wird die exaktheit des komponierens bis in die leblosigkeit getrieben. wobei ich generell durchaus interesse an lebloser musik haben könnte. wäre mal eine überlegung wert: top 7 der leblosen musik.

    zurück ins pralle leben und dem sehnen nach all ihren aspekten. guten tag, kinder der gestirne, guten tag, aszendenz.

    „ascension“ habe ich über die doppel-cd „the major works of john coltrane“ kennengelernt, wo auch „kulu se mama“, „om“ und „selflessness“ enthalten sind, was ich sehr passend finde. „kulu se mama“ hatte ich mir ein paar wochen vorher als gleichnamige cd besorgt, ebenfalls „crescent“ und „sun ship“. ich finde das cd-format für den späteren coltrane viel passender als lp. „ascension“ geht 40 minuten, „om“ 28 minuten, für lp denkbar ungeeignet. das gilt ebenso für „live in japan“: tracks, die über eine stunde gehen. überhaupt ist es für mich unerschwinglich, jazz nur als vinyl nachzukaufen, ich habe die cd wieder zu schätzen gelernt. „sun ship“ nahm mich gleich gefangen, „crescent“ klang braver, melodiöser. ich muss das alles sich noch weiter entwickeln lassen, jahre wohl. „selflessness“ hatte ich über youtube gehört, es gefiel mir auf anhieb, daher auch der kauf von „the major works of john coltrane“. auf vinyl besorgte ich mir dann noch „olé“, mit einem atemberaubend schönen flötenpart von eric dolphy und auch sonst mit einem feinen fluss, wiewohl ich noch das ganz ähnliche „africa/brass“ vorziehe. aber ich kenne „olé“ auch erst kurze zeit.

    ich weiß nicht genau wieso, aber „ascension I“ rauscht an mir in einem rutsch vorbei – beeindruckend vorbei – während ich „ascension II“ detaillierter höre, auf die soli achte, darauf, wie jeder solist mit einem extraschwall an lautstärke und euphorie wieder in den kreis aufgenommen wird, bis sich dann wieder ein spieler löst, zum solo ansetzt, während die anderen sich zurücknehmen, um dann wieder voller euphorie und lautstärke … – wie ein atemrhythmus. die soli sind allesamt ganz fantastisch:

    coltrane selbst setzt den ton mit dem ersten solo: suchend, findend, freiheit vorgebend, die dann wieder eingebunden wird in die form.

    dewey johnson gurgelt sich an der trompete durch, man hört die speichelblasen förmlich, lebendig und grenzgängerisch.

    pharoah sanders gelingt das kunststück, ein solo zu spielen, das sich fast vollkommen in das spiel der übrigen integriert, ich nehme es kaum als solo wahr, eine art kollektivsolo.

    freddie hubbard an der trompete spielt eher konventionell, aber nicht minder gut. zum ende seines solos lässt auch er sich ein auf unsicheres terrain.

    marion brown entsteigt eher eher zart und rund dem aszendierenden thema, er kriegt es mit den ersten wunderbar lyrischen tönen hin, dass alle ganz still werden, ein ungeheuer schöner moment! (how to buy marion brown without getting poor? @vorgarten) wohl wissend, dass es auch jemanden geben muss, der im sturm mit ruhe glänzt. dann wird brown wieder aufgenommen in den strom, wie es allen anderen auch ergangen ist.

    es kommt ein kleines drumbreak, bam … bam … bam … und archie shepp am tenorsax tritt auf. er stößt kurze töne aus, als müsse er erst die silben sammeln, aus denen er sätze bauen möchte. sein spiel scheint mir coltranes am nächsten zu kommen, er führt die freiheit fort, die coltrane am anfang gesetzt hat, er wird besonders überwältigend heimgeholt in den sog, gut gemacht, wir lieben dich.

    dann kommt john tchicai am altsax. beginnt flüssig, wird immer gepresster, soliert sich in einen strudel aus noten, die sich zu schreien verdichten, dann wieder brabbeln sie wie kleine kinder, die spaß an fantasiesprache haben. immer wieder zieht er zum ende hin die töne und lässt sich erschöpft in den kreis zurückfallen, wo er sogleich mit energiesalven wieder aufgeladen wird.

    achtundzwanzig minuten sind um, ein einziges jubilieren individueller stimmen. nur pianist mccoy tyner fällt irgendwie etwas raus und wirkt etwas verloren in dem übrigen anstieg zu den sternen, den bildlichen. aber auch das macht sinn, weil es zeigt, dass eben auch teile, die vielleicht nicht ganz zu passen scheinen, weil sie in ihrer inspiration gerade nicht mithalten oder aus ganz anderen gründen vielleicht, trotzdem einen platz verdienen. dies ist nicht nur spirituelle, sondern eben auch soziale musik, wir nehmen alle mit, keiner muss zurückbleiben, außer er möchte es so (und pianist mccoy tyner wollte es dann ja auch).

    überhaupt ist „ascension“ eine komposition, die viel mit dynamiken und intensitäten spielt, die den charakter der spieler miteinbezieht. das machen viele andere tracks sicher auch, aber hier, auf diesem hochintensiven level, kommt für mich nochmal besonders zu tragen, dass der mitmensch, mit dem man sich unmittelbar umgibt, das ganze prägt. klingt banal, aber unter dem eindruck von „ascension“ ist nichts banal. ich wunder mich selbst grad, soviele worte gefunden zu haben, denn eigentlich lässt mich „ascension“ sprachlos zurück. vielleicht ist dieser wortschwall ja auch eine folge der sozialen komponente dieser wundersamen komposition. das duett an den bässen von jimmy garrison und art davis ist auch nochmal schön, genauso schön wie das schweigen der anderen dabei, denn man weiß ja, sie sind da. schweigen in anwesenheit ist anders als schweigen in abwesenheit. ab minute sechsunddreissig steigen dann alle wieder ein, aszendieren, es wird erklommen (der spirit, das miteinander, der universelle respekt – such’s dir aus) und kommt zum ende. warum ich lange jahre direkt angst davor hatte, mir „ascension“ anzuhören, ist mir nicht ganz klar.

    muriel grossmann zitiert mit „golden rule“ ziemlich offensichtlich „india“ und andere stücke des späteren john coltrane. ist aber weniger dissonant und auf tonfindung aus. stattdessen wird eben das erreichte individuell und melodiös durchgekostet, was zu einer wirklich ganz wunderschön flüssigen, aber nicht oberflächlichen hommage geworden ist. die band unterlegt das ganze mit einer interessanten klangstruktur, der gitarristen spielt ein bisschen grantgreenig und verpasst der musik dazu noch sehr bezaubernde akzente. passt alles super und da ich dieses jahr so gerne den späteren coltrane gehört habe – aber auf die ausgrabung „both directions“ keine lust habe – setze ich „golden rule“ auf platz fünf meiner jahresliste.

    ben lamer gay hat mir mit „downtown castles can never block the sun“ dieses jahr das vielleicht individualistischte album beschert. obwohl musikalisch der vergleich sehr weit hergeholt ist, ja noch nicht mal nur hinkt, muss ich an eine mischung (in ihrer eigenart) aus skip spence‘ „oar“, nas‘ „illmatic“ und flying lotus denken. der sinn des albumtitels ist mir nicht ganz klar, obwohl ich als vertreter und nachfahre des kleinbürgertums mit affinität zur arbeiterklasse irgendwie erahne, was gemeint ist. dafür ist mir aber schnell klar geworden, dass hier sehr offen mit allen möglichen stilen gespielt wird: jazz, spoken, rap, elektronik, mpb, mikrosamples. so viel openmindness kann eigentlich nur eines bedeuten: wir haben es mit einer aktuellen tropicalismo-platte zu tun!

    auch brazil, auch jazz, aber eher ruhig: rodrigo tavares „congo“: als grundstruktur ein gitarrenalbum, angereichert mit mal perkussion, bass, vibrafon, echo, sax. musik, bei der man in jedes nachhallen hineinhorchen muss. im gegenzug horcht es zurück. das dürfte im sinne rodrigo tavares‘ sein, der seine eigene musik nämlich gar nicht so stark mit sich in verbindung bringen möchte. daher der titel „congo“, denn er ist maximal weit weg von den eigentlichen kontexten der musik. verbindung kappen als strategie. die plattform dieser musik liegt offen da. mach selbst was draus.

    mach auch was aus shabaka hutchings. „wisom of elders“ von shabaka and the ancestors hat mich anfang des jahres sehr begeistert, die mischung aus südafrikanischen einflüssen und hutchings tenosax, mit technik, kompression, übertrieben verbasstem sound in etwas zu überführen, was über eine genaue tonabnahme hinausgeht. es wurde magisch – und fiel bei den meisten im blind fold test durch. ich konnte mich gerade noch mal abhalten, meine gnostischen gemmen zu ihren ungunsten zu verdrehen. ebenfalls toll ist hutchings arbeit mit the comet is coming: die als do-cd zusammengefassten ep’s „prophecy + channel the sirits“. technosamplejazzdub reitet die apokalypsen im spitituellenkontext in sehr lustvoll zerschossener art und weise. die lustigste musik meines jahres. sons of kemets „lest we forget what we came here to do“ hat mich dagegen nur milde begeistert, weswegen ich mir auch ihr diesjähriges angebot gespart habe (wurde dann prompt die nummer 1 in der wire).

    alexander tucker hat auch wieder eine solo-platte produziert: hätte brian eno „don’t look away“ gemacht, hätte sich die rezeption überschlagen vor lob, hätte anküpfungspunkte an „before and after science“ herausgehört und von einem späten hauptwerk des „alten“, plötzlich wieder singenden und songs (statt tracks) produzierenden eno gesprochen. aber tucker ist ein ganz eigener werkler, der sowohl im dunkelfolk zu hause ist, als auch in elektronik, 80s synths, drones, grafik, malerei und comic. wer denkt beim cover nicht an dr. manhattan aus dem „watchmen“-comic, an seine transformation zum superhelden, für die er nach und nach in seine funktionalen bestandteile zerlegt werden musste. mit „don’t look away“ beendet tucker eine trilogie vorwiegend im folk verankerter alben, die mit „dorwytch“ und „third ear“ ihre vorgänger hatte. alben in schwierigen tempi, immer eine spur lähmender, als man erwartet. ein zauber, gebaut aus lehm und anderer belebter materie.

    kammerflimmer kollektief: katrin achingers stimme bleibt auf „there are actions which we have neglected and which never cease to call us“ diesmal weitgehend stumm, obwohl ich einmal ein schnelles wispern wahrzunehmen glaube, aber die qualität des kollektiefs liegt ja unter anderem darin, bewusst werden zu lassen, dass man sich nie sicher sein kann, wirklich das zu hören, was außerhalb der eigenen wahrnehmung wirklich existiert. dunkler, ohne offensichtliche hinweise auf pophistorie, keine verschmitzten titelnamen, die auflockern. stattdessen wie der albumtitel schon sagt, von handlungen angeschoben, die erledigt schienen, die aber immer wieder auf ihre existenz bestehen. die zeiten waren lustiger vorher. der krach ennerviert eine prise schärfer, helle töne laufen spitzer zu und fühlen tiefer auf den zahn, die schartigen stellen künden etwas mehr von den kämpfen, wegen derer man sich ausruhen muss. und im ausruhen brummt das brummen etwas tiefer, weil die kämpfe an die substanz gehen. und so schwingt auch unterschwelliger unmut mit, jetzt nicht mal mehr gefallen zu wollen, weil’s halt eh keinen zweck hat, kein exemplar zusätzlich verkauft, also kann man’s auch einfach lassen.

    wie man ebenfalls den härteren zeiten begegnen kann, zeigen anteloper mit „kudu“. eine zusammenarbeit von drummer jason nazary mit jamie branch, die mit „fly or die“ verantwortlich war für meine vorjahres-nummer1. hier wird scheinbar noch mehr auf die postproduktionstube gedrückt, aber in wirklichkeit hören wir ein live-set. meist werden harsche drum-figuren mit effekten versetzt, gegen die dann ab und zu die trompete von branch anbrandet. branch und nazary bringen dazu unbehagliche synths in stellung. eine alarmstimmung liegt über dem album, die die waffen überprüfen lässt.

    postproduktion in-a-macero-style mit makaya mccraven. kennengelernt habe ich ihn über ein prima gegengebürstetes liveremix-tape auf bandcamp, „in the moment remix tape“, wo kleine splittertunes aus hiphop, jazz und effekten sich zu einem vergällten trip zusammentun. „universal beings“ von diesem jahr ist das gegenteil, also eher eine zwar beatbetonte, dafür aber schmoove jazz-etude in mehreren suiten, die das feuilleton in wohlwollender absicht antanzt und mir ebenfalls gut gefallen hat, auch wenn ich ganz ganz weit im hintergrund aus den augenwinkeln eine fusionalarmglocke auszumachen glaube.

    alice coltrane in einem plattenladen in schleswig, der sich eigentlich nur auf heavy metal und hardrock spezialisiert hat, gefunden zu haben – oder vielmehr aus dem hinteren tresenbereich hervorgezaubert bekommen zu haben – gehört sicher zu den kleinen, aber feinen wundern, die einem als plattenkäufer ab und zu wiederfahren können. so kam ich zu zwei französischen früh-70er pressungen von „universal consciousness“ und „lord of lords“, die dann sogar noch in us-originalcover steckten. dabei konnte es nicht bleiben, und es kamen noch „world galaxy“ und „journey in satchidananda“ als vinyl-represses dazu. ebenso „world spirituality classics vol.1“, aber diese spezielle new-age-barrikade habe ich bisher noch nicht erklimmen können. das andere irre zeug aber schon. sitaroverkills, spirituelle suiten, synths-in karnationen. diese musik hat mindestens vierhundertvierundvierzig arme und geschlechter. vielleicht denkt sie sogar mit ihren armen, wie ein tintenfisch.

    larry youngs „unity“ landete auch im laufe des jahres als cd bei mir: geschmackvoll, aber ich ziehe an der orgel die rufferen spielarten vor. was mich aber doch nach ein paar durchläufen einnahm, war grachan moncur III mit „evolution“. schöne, verdunkelte schnell/langsam-dynamiken, zwischendurch das upliftende „the coaster“.

    freddie hubbard lerne ich so langsam auch zu schätzen. wieder über eine „5 original albums“-box mit „open sesame“, „goin‘ up“, „hub cap“, „ready for freddy“, „hub-tones“. „open sesame“ blies mir gleich unheimlich frisch entgegen, mit den latino-rhythmen und einer jugendlichen leichtigkeit. „goin‘ up“ schätze ich besonders wegen hank mobleys tenorsax, das in bereiche außerhalb der form weist. „luana“ auf „hub-cap“ schätze ich auch wegen seiner beschwingtheit. „ready for freddie“ hat wyne shorter an bord, aber hubbard ist die hauptperson, aber „crisis“ zeigt auch einen brillanten shorter. „hub-tones“, allseits gelobt, hat das wunderschön mit flöte angehöbene „prophet jennings“, das fließende, tolle titelstück mit einem tollen altsax-solo von einem mir unbekannten herren namens james spaulding uswusf.

    demgegenüber ist mir der frühe herbie hancock („5 original albums“-cd-box mit „takin‘ off“, „my point of view“, „inventions & dimensions“, „speak like a child“, „the prisoner“) auf seinen eigenen alben manchmal etwas zu gefällig, auch wenn da manchmal gute sachen wie „blind man, blind man“ bei herauskommen. während er aber fast gleichzeitig auf miles davis „miles smiles“ wieder stetig herausragend gut, knapp, ökonomisch, zielgenau, unwattiert und mit schärfe spielt. und mir auch im zusammenspiel mit wayne shorter gut gefällt. aber ich tue hancock sicher unrecht. am besten von seinen eigenen frühen alben gefällt mir „inventions & dimensions“, sie scheint mir widerhakiger und überraschender, finde ich auch von der perkussion her interessant. „maiden voyage“, die ich mir dann auch noch besorgte (cds kosten ja kaum mehr was) ist eine hübsch komponierte und umgesetzte platte, alles könner am werk. aber es langweilt mich auch etwas. aber auch hier ist sicher das letzte wort noch nicht gesprochen.

    wayne shorter: angeschoben von @vorgarten, der mir shorters interesse an sci-fi, horror und okkultem näherbrachte, kaufte ich mir die „5 original albums“-cd-box mit „night dreamer“, „the soothsayer“, „etcetera“, „adam’s apple“, „schizophrenia“ – und ließ mich einsaugen in die ziehenden linien seines spiels, in die dunkleren stimmungen, aber nahm auch seine exzellenten kompositionen wahr (auch auf „miles smiles“ toll). dabei konnte es dann nicht bleiben und ich besorgte mir noch ein paar einzel-cds: „juju“, „speak no evil“, „the all seeing eye“. food for thought für noch sehr lange zeit. sein neuesalbum/neuer comic interessiert mich nicht so sehr. scheint mir etwas verschwörungstheoretisch aufgeladen, dagegen habe ich in den letzten jahren eine allergie entwickelt.

    andrew hills „point of departure“ besorgte ich mir wegen eric dolphy. in form und frei zugleich. ich scanne das aber im moment einfach nach dolphy ab, finde wieder er spielt herausragend, aber tue damit den anderen bestimmt unrecht. work in progress mal wieder.

    oliver nelsons „the blues and the abstract truth“ empfinde ich als etwas steif und theoretisch durchgezirkelt, trotzdem mit schönen momenten. für mich ist „teenie’s blues“, das letzte stück, ein höhepunkt. wieder mit einem tollen dolphy, aber auch anderen tollen beiträgen, die ich grad namentlich nicht zuordnen kann.

    überhaupt eric dolphy: dolphy gab mal einen rat im sinne von: „play inside and outside at the same time“. besser kann man sein spiel nicht charakterieren. die verankerung mit dem inneren gibt dolphys stil eine besondere tiefe, eine nachdenkliche komponente. er ist in meinen ohren kein exaltierter spieler, eher ein überleger. was es vielleicht erstmal etwas schwieriger macht, eine stellung zu ihm einzunehmen. extrovertierte spieler fordern leichter ein hit or miss heraus, dolphy dagegen nähert man sich eher durch beschäftigung, durch nachdenken und nachhören. ein multitalent, total eigen, total brillant, unfassbar, was für ein künstler der welt so früh genommen wurde. und er hatte auch humor. ich muss immer noch lachen über seinen sax-einstieg bei „out to lunch“, wo er eine melodie anspielt, um sie sodann in seine einzelteile zu zerlegen. als würde er nur einmal auf eine uhr schauen und im nächsten moment sieht man sie als einzelteile auf den boden fallen. ich bekam einen dolphy-rausch, kaufte mir seine drei brillanten „out …“-lps („out there“, „outward bound“, „out to lunch!“), ebenso seine zusammenarbeit mit booker t. – „far cry“ – kam zu charles mingus „presents charles mingus“ („thanks for not clapping!“ :)) und „town hall concert“ – und war vollkommen eingenommen von dessen „praying for eric“ („meditation“), einer meiner tracks des jahres. schließlich erstand ich eine preiswerte 5cd-box von charles mingus mit „pithecantropus“, „clown“, „blues & roots“, „oh yeah“ und „tonight at noon“. „pithecantropus“, „clown“ und „oh yeah“ machten den meisten eindruck. ich mag das kämpferische und die disziplin in den kompositionen, gleichzeitig aber auch die unbeherrschtheit in mingus musik. wie bei fast allem, was ich dieses jahr neu gehört habe, stehe ich am anfang, aber es macht ungeheuer viel spaß, sich immer wieder überraschen zu lassen.

    zu cecil taylors „conquistador!“ habe ich mich schon geäußert, ich fühlte mich atomisiert und angeregt – und besorgte mir „unit structures“ als lp-reissue, das andere blue note-album von taylor. alan silva beschrieb einmal, wie sie wochenlang dafür geübt hatten, nichts war zufall, taylor notierte die musik. und sowieso müsste man nur die sleeve notes lesen, dann wüsste man, wie cecil taylor arbeiten würde. ich besorgte mir dann die revenant-do-cd-ausgabe von „nefertiti, the beautiful one has come“ und war begeistert von dem hellen ton-wirbel, den cecil taylor, jimmy lyons (altsax) und sunny murray (drums) 1962 in einem kleinen cafe in kopenhagen 1962 losspielen, vor einem publikum, für das jazz eigentlich eher eine berieselung zum getränk darstellt und das gänzlich unvorbereitet dem tanz der drei (ohne bass!) lauschen (falls sie geblieben sind). gerade das fehlen des basses gibt dem sound eine gleißende note, was ganz merkwürdig mit dem etwas verstimmten piano korrespondiert, welches cecil taylor nur zur verfügung stand. saloon-musik des 23. jahrhunderts. anfang des jahres lernte ich durch einen blindfold test hier im forum (mr_badlands, warum ist dein account gelöscht?) dann „bemsha swing“ von taylors erstem album „jazz advance“ kennen und schätzen. ich besorgte mir dann vom fiesen, wahrscheinlich nicht autorisierten verwertungslabel „enlightenment“ die 5cd-box „the complete collection 1956-1962 – nine original albums“, was schon mal nicht stimmt, denn es sind von zwei alben nur diejenigen tracks enthalten, auf denen cecil taylor mitspielt. aber egal, in vinyl wäre mir das alles viel zu teuer. die ersten alben taylors sind ideale startpunkte, denn er hat dort einige konventionelle mitstreiter, die einen den einstieg in taylors voranpreschende innovationsspurts noch schön abferdern. ich muss hier auch besonders @gypsy-tail-wind danken, von dem ich eine herausragende stone-fm-sendung zum frühen cecil taylor hörte und die mich inspirierte, weiter in die richtung zu gehen. ich bin auch noch längst nicht fertig mit der box.

    ebenfalls auf anregung durch kommentare von @gypsy-tail-wind habe ich mir dieses ein kleines clean-feed-paket gegönnt: chicago/sao paulo underground, lama + joachm badenhorst „the elephant’s journey“, lama + chris speed „lamacal“, malaby/parker/waits mit „tamarindo“. alles gerne gehört, aber in den letzten monaten etwas in den hintergrund geraten. vieleicht sollte ich mich bei lama von den tierlautassoziationen lösen, dann könnte ich wieder lust bekommen. „tamarindo“ ist auch toll und hat einen enormen punch. wenn man aber gerade ein paar bluenote-sachen wie oben beschrieben gehört hat, dann wirkt „tamarindo“ ein bisschen sehr auf die kacke hauend. es kommt aber wieder die zeit zum gerade deswegen gerne hören.

    ich habe es nicht so häufig, das mir tränen beim musikhören einschießen, aber ich hatte diesen moment in 2018, als ich albert aylers „spiritual unity“ hörte. mir kommt albert aylers spiel wie eine einzige zuspitzung vor, ein konzentrat aller noten und aller schreie zu einem einzigen ton, der wie ein laser die nerven abtastet. das muss ich mir angelesen haben. egal. vollkommen ohne beispiel. ich besorgte mir „bells/prophesy“ dann als expanded edition und entdeckte auch hier besondere momente zwischen marschmusik, chaos und erbauung. parallel lese ich immer wieder in val willmers „as serious as your life“ und habe langsam das gefühl, das ein leben nicht mehr ausreicht, diesen auseinanderfächernden kosmos von tönen, die immer wieder versuchen, miteinander in kontakt zu treten und denen damit etwas entgegensetzen, die immer wieder versuchen, sie daran zu hindern, auch nur halbwegs zu folgen.

    immer auf der suche nach einem vergessenen kleinen, feinen werk, das ich zum meisterwerk hochschreiben könnte, auf das sein meisterwerkliches treiben auf mich, den großen entdecker, abfärben möge, machte mich aufmerksam auf poly styrenes „translucence“. dabei entdeckte ich eine vergessene kleine, feine platte, eine zarte ohrfeige für menschen, die 1980, zwei jahre nach „germfree adolescence“, womöglich etwas in der richtung von x-ray spex erwartet hatten. stattdessen luftig leichter reggae mit karibik-feeling, dargeboten von einer kleinen, süßen band und poly styrene. die issues aber, die hätten auch auf „germfree adolescence“ gepasst: „don’t give yourself an electric shock/ don’t let them win in toytown“.

    womit wir beim reggae wären. dieses mal brachte mir mein traditionelles, jährliches bestellpaket bei hardwax „peace and love“ von dadawah, wohinter ras michael steckt, der nyabinghi-meister: eine besonders schön versumpfte version der jamaikanischen psychedelik. dazu noch eine lp aus dem wackies-katalog: prince douglas mit dem hervorragenden „dub roots“, fantastische dubs aus der wackies-küche, ausnahmsweise mal mit nicht vollständig eradizierten stimmen; sowie die maxi-single von stranger cole und heptone leroy sibbles mit dem mächtigen „the time is now“-riddim + version. auf dem dug out-label wurde mabraks „drum talk“ wiederveröffentlicht: poems und talk drums in der king tubby-mangel. am ende des jahres dann besorgte ich mir noch bei souljazz „i’m in love with a dreadlocks – brown sugar and the birth of lovers rock 1977-80“ von brown sugar, einer female-vocal-group, die um 1980 herum das „lovers rock“-genre im reggae mit erfand. dennis bovell mischte auch mit. zu brown sugar gehörte unter anderem auch caron wheeler, die dann später mit soul II soul bekannt wurde. wunderbar souliger reggae, gespeist aus liebe, stolz und selbstbewusstsein. schließlich überzeugte mich auch dubkasm mit „rastrumentals“: eine lockere mischung aus conscious reggae und brasilianischen einflüssen, die in mehrjährigem austausch entstand. nimmt das alte mit ins neue. platz 9 meiner jahresalben.

    khalab brachte mit „black noise 2084“ eine fantastisch rhythmisierte platte heraus, die sich aus afrikanischen field-recordings, elektronik, rap und overdubbed jazz speist, ohne dabei nur eine sekunde in gefällige gefilde abzudriften. stattdessen tiefste bässe, sirrende elektronik und drums, die nicht durch melodien durch müssen. gäste sind auch mit von der party: unter anderem shabaka hutchings und tenesha the wordsmith. adrian sherwoods on-u-sounds ist als vorbild nicht weit, sodass ich mir auch gleich mal „songs of praise“ von african head charge über bandcamp besorgte (mit diversen bonustracks übrigens). kannte ich halt noch nicht, man kann eben nicht alles von sherwood kennen. obwohl schon sowas wie ein hauptwerk in seiner karriere als produzent.

    alan silva versuchte laut eigener aussage in seiner arbeit für „seasons“ fortzuführen, was auf „ascension“ immer wieder an dem punkt, an dem die soli anfangen, aufhörte: eine einzige kollektive improvisation. mit „seasons“ erreichte er das über 6 plattenseiten in anwesenheit des art ensemble of chicago, alan shorter, wolfgang kühn und anderen mehr. ich lud mir das runter und ließ mich einen autofahrttag lang davon weichspielen, bis mich seite 6 dann komplett überwältigte. zu weihnachten habe ich mir dann die original-triple-lp auf actuel/byg gegönnt – statt dem weißen album der beatles, denn das kannte ich ja schon und die demos wollte ich nicht. aber „seasons“ ist was für 2019.

    so, das war’s. sorry für kraut und rüben und halb- bis vierteldurchdachtes. ich habe bestimmt noch was vergessen, aber dann ist das vergessene selbst schuld, darf sich aber immer gerne wieder melden. kommt alle gut rein ins neue jahr.

    Alben, 2018 veröffentlicht:

    1. henry threadgill 14 or 15 kestra: agg | dirt… & more dirt

    2. khalab | black noise 2084

    3. alexander tucker | don’t look away

    4. ben lamar gay | downtown castles can never block the sun

    5. muriel grossmann | golden rule

    6. anteloper | kudu

    7. makaya mccraven | universal beings

    8. rodrigo tavares | congo

    9. dubkasm | rastrumentals – brazil roots connection

    10. kammerflimmer kollektief | there are actions which we have neglected and which never cease to call us

    zuletzt geändert von wahr
    #10667559  | PERMALINK

    mick67

    Registriert seit: 15.10.2003

    Beiträge: 76,902

    wahr…ich entschuldige mich schon mal für den sehr zur unwucht neigenden text im anschluss, aber er ist nicht als letztes wort geschrieben, eher als anriss einer beschäftigung, die sich mittendrin befindet.

    Entschuldigen solltest Du Dich besser für diese unsägliche Komplettverweigerung von Groß-Kleinschreibung. Macht den Text für mich unlesbar und ist nebenbei gesagt ziemlich respektlos gegenüber interessierten Lesern.

    --

    #10667579  | PERMALINK

    sparch
    MaggotBrain

    Registriert seit: 10.07.2002

    Beiträge: 36,537

    Mick hat recht, diese Kleinschreiberei nervt ungemein und macht den Text auch für mich unlesbar. Schade.

    --

    If you stay too long, you'll finally go insane.
    #10667595  | PERMALINK

    wahr

    Registriert seit: 18.04.2004

    Beiträge: 14,806

    Wer selbst einen in kleine Abschnitte eingeteilten Text, in dem das Hauptsujet zur Orientierung fett unterlegt ist, nicht lesen kann/will, weil ihm die Kleinschreibung nicht passt, der lässt es halt.

    #10667633  | PERMALINK

    vorgarten

    Registriert seit: 07.10.2007

    Beiträge: 12,010

    danke für diesen schönen bericht, @wahr! ich habe interessanterweise bei deinen aktuellen jazz-favoriten (mccraven, gay, threadgill) ziemliche (und sehr verschiedene) schwierigkeiten, könnte ohne den frühen hancock wohl nicht leben, aber es ist allgemein toll nachzuvollziehen, wie du dich in den jazz (neu) einhörst. was marion brown angeht, ist wohl @gypsy-tail-wind auch hier der größere spezialist. bei shorter würde ich auf jeden fall das frühe album SECOND GENESIS, als auch die späteren blue notes SUPER NOVA und vor allem MOTO GROSSO FEIO empfehlen. und noch ein ganz großer tipp: teste mal die wenigen sachen an, die es vom noch weirderen bruder gibt. und ich muss mich jetzt mal an die neue kammerflimmer heranwagen.

    --

    #10667657  | PERMALINK

    herr-rossi
    Moderator
    -

    Registriert seit: 15.05.2005

    Beiträge: 85,018

    Es lässt sich leichter lesen, als ich vermutet hätte …

    wahr
    immer auf der suche nach einem vergessenen kleinen, feinen werk, das ich zum meisterwerk hochschreiben könnte, auf das sein meisterwerkliches treiben auf mich, den großen entdecker, abfärben möge, machte mich aufmerksam auf poly styrenes „translucence“. dabei entdeckte ich eine vergessene kleine, feine platte, eine zarte ohrfeige für menschen, die 1980, zwei jahre nach „germfree adolescence“, womöglich etwas in der richtung von x-ray spex erwartet hatten. stattdessen luftig leichter reggae mit karibik-feeling, dargeboten von einer kleinen, süßen band und poly styrene. die issues aber, die hätten auch auf „germfree adolescence“ gepasst: „don’t give yourself an electric shock/ don’t let them win in toytown“.

    „Translucence“ ist tatsächlich ein hidden gem. Kennst Du eigentlich Hollie Cook? Sie ist die Tochter des Sex Pistols-Drummers Paul Cook und gehörte der Spätinkarnation der Slits an. Ihre Musik ist nicht weit entfernt von dem, was Poly Styrene damals spielte, ihr diesjähriges Album Vessel Of Love könnte daher auch etwas für Dich sein. Beispiel

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    #10667659  | PERMALINK

    cloudy

    Registriert seit: 09.07.2015

    Beiträge: 10,424

    Auch von mir danke für diesen Beitrag!

    Du bist ja wirklich tief in den Jazz eingestiegen, @wahr. Und man spürt Deine Begeisterung. Ich wusste aber bislang noch gar nicht, dass Du es auch mit dem Reggae hast!? Deine Berichte darüber klingen auch sehr spannend, und ich denke, ich werde mich mal mit der Damenriege, die diesen „souligen Reggae“ gemacht hat, befassen müssen… Danke für diesen Hinweis. :good:

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    schnief schnief di schneuf
    #10667679  | PERMALINK

    latho
    No pretty face

    Registriert seit: 04.05.2003

    Beiträge: 36,938

    Wie üblich hält wahr das Niveau des Forums über dem „Scheiß-Bayern-BVB“-Niveau – danke dafür. Alles unbekannt, keine Ahnung, ob oder wann ich mich mit Jazz jenseits der Klassiker (Dolphy sicherlich) oder Dub näher befassen werde, aber Anreize gibt es jetzt ja. Super!

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    If you talk bad about country music, it's like saying bad things about my momma. Them's fightin' words.
    #10667713  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
    Moderator
    Biomasse

    Registriert seit: 25.01.2010

    Beiträge: 67,069

    schöner rückblick @wahr – ich kenne natürlich längst nicht alles, aber ein paar gedanken und kommentare steuere ich gerne bei.

    zunächst zu henry threadgill – die so unterschiedliche sicht auf die zwei jüngsten alben kann ich nur schwer nachvollziehen, in der richtung mag deine beobachtung zutreffen, aber gerade die mischung aus organsation und freiheit, aus improvisation in vorgegebenen rahmen (die natürlich nicht standard-akkord-schemata entsprechend sondern z.b. mit rhythmischen oder melodischen motiven, man mag sie „zellen“ nennen, funktioniert) charakterisiert sein schaffen schon seit längerem … ich bin versucht zu sagen: charakterisiert sein spätwerk, und dieses mit der entstehung der band zooid vor knapp 20 jahren einsetzen zu lassen – aber wer weiss, vielleicht überrascht threadgill uns ja alle nochmal und findet noch einmal etwas ganz anderes. ich möchte dich jedenfalls ermutigen, da weiter dranzubleiben, z.B. mit folgenden aufnahmen: „air song“, „air raid“ oder „air time“ (die ersten zwei whynot, das letzte nessa) mit dem trio air (henry threadgill, fred hopkins, steve mccall), dann unbedingt „just the facts and pass the bucket“ (about time) und vielleicht noch „tomorrow sunny / the revelry, spp“ (pi) … für mich ist threadgill ohne zweifel eine der interessantesten stimmen des jazz seit den späten sechzigern – neben anthony braxton (bei dem ich angesichts eines ausufernden werkes keinen guten überblick habe) oder roscoe mitchell (der mir vom temperament her noch etwas lieber ist als threadgill, aber die zwei kann man eigentlich kaum vergleichen … auf „made in chicago“ von jack dejohnette bei ecm sind sie gemeinsam zu hören, ebenfalls der grosse muhal richard abrams am klavier).

    marion brown – da würde ich mich auch nicht gerade als spezialisten bezeichnen, aber unbedingt zu empfehlen ist das grossartige erste album auf esp-disk‘, „marion brown quartet“ – es hat eine etwas verzwickte veröffentlichungsgeschichte mit einem falschen/zusätzlichen track, daher ist es wichtig, dass man die richtige cd-ausgabe (gut hast du dich mit dem medium versöhnt!) erwischt, auf der alle tracks zu finden sind. das ist diese hier, esp 4011 (USA, 2005):
    https://www.discogs.com/Marion-Brown-Marion-Brown/release/4510904
    „why not“, das nachfolge-album auf esp-disk‘ ist ebenfalls sehr gut, auch „three for shepp“ auf impulse! … „juba lee“ kriegt man leider nicht in einer vernünftigen ausgabe, ans ecm-album komme ich nur halbwegs ran (das klappt aber bei @vorgarten viel besser wenn ich mich nicht täusche, und ich hab auch lange keinen anlauf mehr genommen), in der „2-on-1“-cd-serie bei impulse!/universal ist zudem ein feiner, aber musikalisch ganz anders gearteter twofer von brown zu finden, „geechee recollections/sweet earth flying“ (die alben sind 1973/74 entstanden und ziehen u.a. text mit ein, wadada leo smith taucht auf, ebenso die gerade erwähnten steve mccall und muhal richard abrams, aber auch paul bley und jumma santos). ob man spätere alben von brown braucht oder nicht, muss man selbst rausfinden. ergänzend kann man sich „the group live“ auf nobusiness gönnen (brown mit ahmed abdullah, billy bang, sirone, fred hopkins und andrew cyrille, rec. 1986)

    und nach john tchicai fragst du zwar nicht, aber ungebeten dies: schau mal, ob die alben des new york art quartet aufzutreiben sind, ohne arm zu werden: „new york art quartet“ auf esp-disk‘ finde ich in diesem fall das weniger interessante, aber „old stuff“ (eine cd auf cuneiform) ist super. die gruppe bestand aus roswell rudd, tchicai, lewis worrell und milford graves (esp) bzw. rudd, tchicai, finn van eyben und louis moholo (cuneiform), auch das album „roswell rudd“ (america, gab es in der „free america“ cd-series bei universal mal wieder) ist in wahrheit das nyaq (in der zweiten besetzung, also bereits in europa). tchicai war in den usa auch teil der new york contemporary five mit don cherry/ted curson, archie shepp, ronnie boykins und sunny murray (split savoy-album mit bill dixon und mehr, am einfachsten dürfte der (nicht ganz vollständige, glaub ich) storyville-twofer zu finden sein, „archie shepp & the new york contemporary five“. er wirkt zudem auf mehreren klassischen alben des new jungle orchestra um den gitarristen pierre dorge mit, und natürlich auf johnny dyanis „witchdoctor’s son“ mit don cherry und „angolian cry“ mit harry beckett (alles steeplechase). tchicai war mit einer nachbarin befreundet und ich hatte vor ein paar jahren mal das vergnügen, ihn in empfang zu nehmen (ich hörte ihn auch – nur kurz, leider, an einer schule über mittag – spielen) und wir sassen damals länger bei uns in der küche und quatschten … unvergesslich! sehr toll, und vinyl only, ist dann auch „tribal ghost“ (nobusiness) mit charlie kohlhase, garrison fewell, cecil mcbee und billy hart (rec. 2007) – holen, so lange das noch geht!

    larry young mag aus heutiger sicht etwas gepflegt wirken – er war damals aber der erste (und blieb eigentlich der einzige) organist, der die aufbrüche coltranes so halbwegs auf sein instrument übertrug … mag sein, dass „into somethin'“ mit sam rivers oder „mother ship“ eher für dich wären? vielleicht kannst du ja online mal irgendwo ein ohr voll nehmen.

    bei freddie hubbard bin ich eher etwas skeptischer bzw. ich habe mich längst mit ihm versöhnt (vielleicht ist der mitschnitt aus dem onkel pö’s was für dich? vinyl und cd, wenn mich nicht alles täusch), aber ich höre seine alben eher selten … bei herbie hancock geht es mir aber wie @vorgarten: ich möchte ohne seine musik, besonders ohne seine blue note-alben, nicht sein! ich habe die alte box mit den „complete blue note sixties sessions“, in der es ein ausführliches booklet gibt, das für den ganzen zeitraum (1962-69) auch die anderen sessions durchgeht bzw. kurz highlights und mehr erwähnt. mit dieser kontextualisierung – die weit über miles davis‘ second quintet hinausgeht, aber dieses ist schon als dreh- und angelpunkt zu sehen – wird es umso eindrücklicher, war hancock schon in diesen jungen jahren gemacht hat (note to self: ich muss seine autobiographie kaufen!)

    zu wayne shorter: warum fehlt wohl gerade „speak no evil“ in dieser albums-box? das album höre ich irgendwie neben „out to lunch“, das mag seltsam klingen, aber für mich geht da ähnlich viel ab wie bei dolphy, und ähnlich unerwartetes, aber natürlich auf shorters eigene art, die viel zurückhaltender ist (aber ohne den „restraint“, den ich bei joe henderson, um noch eins der besten pferde aus dem damaligen bn-stall ins rennen zu lassen, manchmal höre … hast du die fünf alben mit kenny dorham schon mal angehört? zudem „mode for joe“ und noch mehr „inner urge“) – alles beeindruckender stoff, blue note hatte schon ein händchen, und wenn man sich so anhört, was anderswo damals lief, geht die leistung von lion/wolff schon weit über die „richtige auswahl“ hinaus – die aura existiert halt wirklich … und ja, die verschwörungstheoretischen untertöne in shorters graphic novel sind wirklich schwer auszuhalten (aber sie gehen nicht über das genretypische hinaus, vermute ich mal – dystopien sind ja sowas wie der normalfall von superheldencomics?)

    bei andrew hill rate ich dann mal zu „judgement“ als nächstem berührungspunkt, aber eigentlich überhaupt zu fast allen seinen blue note-alben, „black fire“, „smokestack“, „andrew!!!“, „compulsion“, „grass roots“, „dance with death“, „passing ships“, „lift every voice“ … und auch das späte „timelines“ (und wenn das was ist, die vertonung von jean toomers „cane“ als „dusk“ sowie die big band in „a beautiful day“, beide palmetto)

    dein urteil zu oliver nelson kann ich bestens nachvollziehen – bei mir kippte die reserviertheit gegenüber diesem so durchdachten, strukturierten spiel (ich gehe davon aus, dass manche soli im voraus genau ausgearbeitet wurden) in ziemlich grosse faszination, die bis heute nicht mehr aufhört … nelson ist zudem ein meister der stimmungen, das wird in „blues and the abstract truth“ natürlich klar, aber auch z.b. auf „nocturne“ (prestige). zudem ist „straight ahead“ (prestige) wenigstens so toll wie „blues“, da hat die aura von impulse! leider stark verzerrend auf die historie gewirkt (und die erste begegnung mit dolphy, „screaming the blues“, ebenfalls auf prestige, ist natürlich auch nicht zu verachten, aber etwas konventioneller).

    eric dolphy war überdies ein spätzünder (wie coltrane) – erst mit 30 jahren ging es so richtig los, als er in die band von chico hamilton kam. die wunderbare version der „ellington suite“ verschwand allerdings sofort wieder; eine testpressung tauchte in den 90ern in england auf und blue note/emi/capitol/manhattan/pacific/whoever brachte das ding damals dann auch auf cd heraus – das beste album von dolphys zeit bei hamilton, denke ich. „truth“ ist auch ganz gut, aber die aufnahmen verraten insgesamt noch längst nicht das immense potential dolphys.

    dass cecil taylor bei dir so eingeschlagen hat, freut mich übrigens sehr!

    ps: mit dem genörgel über die kleinschreiberei ist es wie mit dem murmeltier …

    --

    "Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #151: Neuheiten aus dem Archiv – 09.04., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba
    #10667721  | PERMALINK

    sokrates
    Bound By Beauty

    Registriert seit: 18.01.2003

    Beiträge: 18,959

    @wahr: Ich hab’s noch nicht ganz kapiert. Dir geht’s um Alben, die Du 2018 entdeckt hast, aber vorher veröffentlicht wurden. Warum findet sich dann in Deinem Post am Ende eine Liste mit 18er Veröffentlichungen? Eine Art Zusatzservice?

    Wie ist Deine Threadidee – soll es essayistisch bleiben oder sind auch Listen erlaubt?

    --

    „Weniger, aber besser.“ D. Rams
    #10667731  | PERMALINK

    vorgarten

    Registriert seit: 07.10.2007

    Beiträge: 12,010

    gypsy-tail-wind
    marion brown – da würde ich mich auch nicht gerade als spezialisten bezeichnen, aber unbedingt zu empfehlen ist das grossartige erste album auf esp-disk‘, „marion brown quartet“ – es hat eine etwas verzwickte veröffentlichungsgeschichte mit einem falschen/zusätzlichen track, daher ist es wichtig, dass man die richtige cd-ausgabe (gut hast du dich mit dem medium versöhnt!) erwischt, auf der alle tracks zu finden sind. das ist diese hier, esp 4011 (USA, 2005):
    https://www.discogs.com/Marion-Brown-Marion-Brown/release/4510904
    „why not“, das nachfolge-album auf esp-disk‘ ist ebenfalls sehr gut, auch „three for shepp“ auf impulse! … „juba lee“ kriegt man leider nicht in einer vernünftigen ausgabe, ans ecm-album komme ich nur halbwegs ran (das klappt aber bei @vorgarten viel besser wenn ich mich nicht täusche, und ich hab auch lange keinen anlauf mehr genommen), in der „2-on-1“-cd-serie bei impulse!/universal ist zudem ein feiner, aber musikalisch ganz anders gearteter twofer von brown zu finden, „geechee recollections/sweet earth flying“ (die alben sind 1973/74 entstanden und ziehen u.a. text mit ein, wadada leo smith taucht auf, ebenso die gerade erwähnten steve mccall und muhal richard abrams, aber auch paul bley und jumma santos). ob man spätere alben von brown braucht oder nicht, muss man selbst rausfinden. ergänzend kann man sich „the group live“ auf nobusiness gönnen (brown mit ahmed abdullah, billy bang, sirone, fred hopkins und andrew cyrille, rec. 1986)

    das kann ich alles voll und ganz unterschreiben, @wahr. MARION BROWN QUARTET ist für mich eine der tollsten jazzalben überhaupt, da ist ja auch noch alan shorter dabei – aber man sollte unbedingt die ausgabe mit den 4 stücken finden (das, was ansonsten wegfällt, ist das fantastische „mephistopheles“, das die shorter-brüder auf waynes THE ALL SEEING EYE nochmal eingespielt haben). WHY NOT war meine erstbegegnung mit brown, für mich ebenso unersetzlich.

    was vielleicht aber gerade passt, ganz neu rausgekommen und ziemlich erschwinglich ist, ist das hier. dave burrell ist noch so ein irrlicht des modernistishen jazz, da geht manches oft ganz schön daneben, manchmal gelingen ihm aber momente, die es nur bei ihm gibt. sein spiel ist gleichzeitig eklektisch und pedantisch, aber funktioniert immer gut, wenn es richtung imaginärer latin-folklore geht – und genau danach sieht die setlist hier aus, und das kann auch brown sehr gut (beide haben eine lange geschichte zusammen, auch wenn burrell hier offensichtlich nur für hilton ruiz eingesprungen war). ich habe das jedenfalls auch gerade bestellt.

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    #10667735  | PERMALINK

    Anonym
    Inaktiv

    Registriert seit: 01.01.1970

    Beiträge: 0

    #10667755  | PERMALINK

    dengel

    Registriert seit: 08.07.2002

    Beiträge: 74,733

    Alle Neuererscheinungen des Jahres 2018, die ich mir zugelegt habe.

    --

    #10667763  | PERMALINK

    themagneticfield

    Registriert seit: 25.04.2003

    Beiträge: 33,921

    Schön, dass diesen bekloppten Kleinschreibemist jetzt noch mehr mitmachen. Da geht dann eine weiterer Prozentsatz „Informationsquelle Forum“ flöten. Keine Ahnung, was damit bewiesen werden soll.

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    "Man kann nicht verhindern, dass man verletzt wird, aber man kann mitbestimmen von wem. Was berührt, das bleibt!
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