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obwohl henry threadgill seit einigen jahrzehnten schon aktiv ist, habe ich erstmals in diesem sommer von ihm gehört, in einer besprechung zweier aktueller alben in der wire. auch @gypsy-tail-wind erwähnte die alben damals im jazz-thread des rs. aber ich beschäftige mich ja erst seit kurzem etwas mehr mit jazz, daher tauchen namen, die anderen womöglich sehr vertraut sind, eben jetzt erst auf meiner musikalischen landkarte auf. vielleicht ist dadurch auch zu erklären, dass mich das henry threadgill 14 or 15 kestra: agg mit „dirt… and more dirt“ gleich begeisterte. es fühlte sich so frisch an, gleichzeitig aber extrem entwickelt. eine gradwanderung aus genau und modern komponierten teilen und improvisation, teilweise in der instrumentation ungewöhnlich kombiniert (tuba, akkordion, klavier, bass, bleche, perkussion, und anderes mehr). exakt, brillant und immer spannend zu verfolgen. eigentlich auch erstaunlich eingängig.
threadgills zweites album in 2018 – henry threadgill double up ensemble „double up, plays double up plus“ – hat mich dagegen kaum erreicht. hier wird die exaktheit des komponierens bis in die leblosigkeit getrieben. wobei ich generell durchaus interesse an lebloser musik haben könnte. wäre mal eine überlegung wert: top 7 der leblosen musik.
zurück ins pralle leben und dem sehnen nach all ihren aspekten. guten tag, kinder der gestirne, guten tag, aszendenz.
„ascension“ habe ich über die doppel-cd „the major works of john coltrane“ kennengelernt, wo auch „kulu se mama“, „om“ und „selflessness“ enthalten sind, was ich sehr passend finde. „kulu se mama“ hatte ich mir ein paar wochen vorher als gleichnamige cd besorgt, ebenfalls „crescent“ und „sun ship“. ich finde das cd-format für den späteren coltrane viel passender als lp. „ascension“ geht 40 minuten, „om“ 28 minuten, für lp denkbar ungeeignet. das gilt ebenso für „live in japan“: tracks, die über eine stunde gehen. überhaupt ist es für mich unerschwinglich, jazz nur als vinyl nachzukaufen, ich habe die cd wieder zu schätzen gelernt. „sun ship“ nahm mich gleich gefangen, „crescent“ klang braver, melodiöser. ich muss das alles sich noch weiter entwickeln lassen, jahre wohl. „selflessness“ hatte ich über youtube gehört, es gefiel mir auf anhieb, daher auch der kauf von „the major works of john coltrane“. auf vinyl besorgte ich mir dann noch „olé“, mit einem atemberaubend schönen flötenpart von eric dolphy und auch sonst mit einem feinen fluss, wiewohl ich noch das ganz ähnliche „africa/brass“ vorziehe. aber ich kenne „olé“ auch erst kurze zeit.
ich weiß nicht genau wieso, aber „ascension I“ rauscht an mir in einem rutsch vorbei – beeindruckend vorbei – während ich „ascension II“ detaillierter höre, auf die soli achte, darauf, wie jeder solist mit einem extraschwall an lautstärke und euphorie wieder in den kreis aufgenommen wird, bis sich dann wieder ein spieler löst, zum solo ansetzt, während die anderen sich zurücknehmen, um dann wieder voller euphorie und lautstärke … – wie ein atemrhythmus. die soli sind allesamt ganz fantastisch:
coltrane selbst setzt den ton mit dem ersten solo: suchend, findend, freiheit vorgebend, die dann wieder eingebunden wird in die form.
dewey johnson gurgelt sich an der trompete durch, man hört die speichelblasen förmlich, lebendig und grenzgängerisch.
pharoah sanders gelingt das kunststück, ein solo zu spielen, das sich fast vollkommen in das spiel der übrigen integriert, ich nehme es kaum als solo wahr, eine art kollektivsolo.
freddie hubbard an der trompete spielt eher konventionell, aber nicht minder gut. zum ende seines solos lässt auch er sich ein auf unsicheres terrain.
marion brown entsteigt eher eher zart und rund dem aszendierenden thema, er kriegt es mit den ersten wunderbar lyrischen tönen hin, dass alle ganz still werden, ein ungeheuer schöner moment! (how to buy marion brown without getting poor? @vorgarten) wohl wissend, dass es auch jemanden geben muss, der im sturm mit ruhe glänzt. dann wird brown wieder aufgenommen in den strom, wie es allen anderen auch ergangen ist.
es kommt ein kleines drumbreak, bam … bam … bam … und archie shepp am tenorsax tritt auf. er stößt kurze töne aus, als müsse er erst die silben sammeln, aus denen er sätze bauen möchte. sein spiel scheint mir coltranes am nächsten zu kommen, er führt die freiheit fort, die coltrane am anfang gesetzt hat, er wird besonders überwältigend heimgeholt in den sog, gut gemacht, wir lieben dich.
dann kommt john tchicai am altsax. beginnt flüssig, wird immer gepresster, soliert sich in einen strudel aus noten, die sich zu schreien verdichten, dann wieder brabbeln sie wie kleine kinder, die spaß an fantasiesprache haben. immer wieder zieht er zum ende hin die töne und lässt sich erschöpft in den kreis zurückfallen, wo er sogleich mit energiesalven wieder aufgeladen wird.
achtundzwanzig minuten sind um, ein einziges jubilieren individueller stimmen. nur pianist mccoy tyner fällt irgendwie etwas raus und wirkt etwas verloren in dem übrigen anstieg zu den sternen, den bildlichen. aber auch das macht sinn, weil es zeigt, dass eben auch teile, die vielleicht nicht ganz zu passen scheinen, weil sie in ihrer inspiration gerade nicht mithalten oder aus ganz anderen gründen vielleicht, trotzdem einen platz verdienen. dies ist nicht nur spirituelle, sondern eben auch soziale musik, wir nehmen alle mit, keiner muss zurückbleiben, außer er möchte es so (und pianist mccoy tyner wollte es dann ja auch).
überhaupt ist „ascension“ eine komposition, die viel mit dynamiken und intensitäten spielt, die den charakter der spieler miteinbezieht. das machen viele andere tracks sicher auch, aber hier, auf diesem hochintensiven level, kommt für mich nochmal besonders zu tragen, dass der mitmensch, mit dem man sich unmittelbar umgibt, das ganze prägt. klingt banal, aber unter dem eindruck von „ascension“ ist nichts banal. ich wunder mich selbst grad, soviele worte gefunden zu haben, denn eigentlich lässt mich „ascension“ sprachlos zurück. vielleicht ist dieser wortschwall ja auch eine folge der sozialen komponente dieser wundersamen komposition. das duett an den bässen von jimmy garrison und art davis ist auch nochmal schön, genauso schön wie das schweigen der anderen dabei, denn man weiß ja, sie sind da. schweigen in anwesenheit ist anders als schweigen in abwesenheit. ab minute sechsunddreissig steigen dann alle wieder ein, aszendieren, es wird erklommen (der spirit, das miteinander, der universelle respekt – such’s dir aus) und kommt zum ende. warum ich lange jahre direkt angst davor hatte, mir „ascension“ anzuhören, ist mir nicht ganz klar.
muriel grossmann zitiert mit „golden rule“ ziemlich offensichtlich „india“ und andere stücke des späteren john coltrane. ist aber weniger dissonant und auf tonfindung aus. stattdessen wird eben das erreichte individuell und melodiös durchgekostet, was zu einer wirklich ganz wunderschön flüssigen, aber nicht oberflächlichen hommage geworden ist. die band unterlegt das ganze mit einer interessanten klangstruktur, der gitarristen spielt ein bisschen grantgreenig und verpasst der musik dazu noch sehr bezaubernde akzente. passt alles super und da ich dieses jahr so gerne den späteren coltrane gehört habe – aber auf die ausgrabung „both directions“ keine lust habe – setze ich „golden rule“ auf platz fünf meiner jahresliste.
ben lamer gay hat mir mit „downtown castles can never block the sun“ dieses jahr das vielleicht individualistischte album beschert. obwohl musikalisch der vergleich sehr weit hergeholt ist, ja noch nicht mal nur hinkt, muss ich an eine mischung (in ihrer eigenart) aus skip spence‘ „oar“, nas‘ „illmatic“ und flying lotus denken. der sinn des albumtitels ist mir nicht ganz klar, obwohl ich als vertreter und nachfahre des kleinbürgertums mit affinität zur arbeiterklasse irgendwie erahne, was gemeint ist. dafür ist mir aber schnell klar geworden, dass hier sehr offen mit allen möglichen stilen gespielt wird: jazz, spoken, rap, elektronik, mpb, mikrosamples. so viel openmindness kann eigentlich nur eines bedeuten: wir haben es mit einer aktuellen tropicalismo-platte zu tun!
auch brazil, auch jazz, aber eher ruhig: rodrigo tavares „congo“: als grundstruktur ein gitarrenalbum, angereichert mit mal perkussion, bass, vibrafon, echo, sax. musik, bei der man in jedes nachhallen hineinhorchen muss. im gegenzug horcht es zurück. das dürfte im sinne rodrigo tavares‘ sein, der seine eigene musik nämlich gar nicht so stark mit sich in verbindung bringen möchte. daher der titel „congo“, denn er ist maximal weit weg von den eigentlichen kontexten der musik. verbindung kappen als strategie. die plattform dieser musik liegt offen da. mach selbst was draus.
mach auch was aus shabaka hutchings. „wisom of elders“ von shabaka and the ancestors hat mich anfang des jahres sehr begeistert, die mischung aus südafrikanischen einflüssen und hutchings tenosax, mit technik, kompression, übertrieben verbasstem sound in etwas zu überführen, was über eine genaue tonabnahme hinausgeht. es wurde magisch – und fiel bei den meisten im blind fold test durch. ich konnte mich gerade noch mal abhalten, meine gnostischen gemmen zu ihren ungunsten zu verdrehen. ebenfalls toll ist hutchings arbeit mit the comet is coming: die als do-cd zusammengefassten ep’s „prophecy + channel the sirits“. technosamplejazzdub reitet die apokalypsen im spitituellenkontext in sehr lustvoll zerschossener art und weise. die lustigste musik meines jahres. sons of kemets „lest we forget what we came here to do“ hat mich dagegen nur milde begeistert, weswegen ich mir auch ihr diesjähriges angebot gespart habe (wurde dann prompt die nummer 1 in der wire).
alexander tucker hat auch wieder eine solo-platte produziert: hätte brian eno „don’t look away“ gemacht, hätte sich die rezeption überschlagen vor lob, hätte anküpfungspunkte an „before and after science“ herausgehört und von einem späten hauptwerk des „alten“, plötzlich wieder singenden und songs (statt tracks) produzierenden eno gesprochen. aber tucker ist ein ganz eigener werkler, der sowohl im dunkelfolk zu hause ist, als auch in elektronik, 80s synths, drones, grafik, malerei und comic. wer denkt beim cover nicht an dr. manhattan aus dem „watchmen“-comic, an seine transformation zum superhelden, für die er nach und nach in seine funktionalen bestandteile zerlegt werden musste. mit „don’t look away“ beendet tucker eine trilogie vorwiegend im folk verankerter alben, die mit „dorwytch“ und „third ear“ ihre vorgänger hatte. alben in schwierigen tempi, immer eine spur lähmender, als man erwartet. ein zauber, gebaut aus lehm und anderer belebter materie.
kammerflimmer kollektief: katrin achingers stimme bleibt auf „there are actions which we have neglected and which never cease to call us“ diesmal weitgehend stumm, obwohl ich einmal ein schnelles wispern wahrzunehmen glaube, aber die qualität des kollektiefs liegt ja unter anderem darin, bewusst werden zu lassen, dass man sich nie sicher sein kann, wirklich das zu hören, was außerhalb der eigenen wahrnehmung wirklich existiert. dunkler, ohne offensichtliche hinweise auf pophistorie, keine verschmitzten titelnamen, die auflockern. stattdessen wie der albumtitel schon sagt, von handlungen angeschoben, die erledigt schienen, die aber immer wieder auf ihre existenz bestehen. die zeiten waren lustiger vorher. der krach ennerviert eine prise schärfer, helle töne laufen spitzer zu und fühlen tiefer auf den zahn, die schartigen stellen künden etwas mehr von den kämpfen, wegen derer man sich ausruhen muss. und im ausruhen brummt das brummen etwas tiefer, weil die kämpfe an die substanz gehen. und so schwingt auch unterschwelliger unmut mit, jetzt nicht mal mehr gefallen zu wollen, weil’s halt eh keinen zweck hat, kein exemplar zusätzlich verkauft, also kann man’s auch einfach lassen.
wie man ebenfalls den härteren zeiten begegnen kann, zeigen anteloper mit „kudu“. eine zusammenarbeit von drummer jason nazary mit jamie branch, die mit „fly or die“ verantwortlich war für meine vorjahres-nummer1. hier wird scheinbar noch mehr auf die postproduktionstube gedrückt, aber in wirklichkeit hören wir ein live-set. meist werden harsche drum-figuren mit effekten versetzt, gegen die dann ab und zu die trompete von branch anbrandet. branch und nazary bringen dazu unbehagliche synths in stellung. eine alarmstimmung liegt über dem album, die die waffen überprüfen lässt.
postproduktion in-a-macero-style mit makaya mccraven. kennengelernt habe ich ihn über ein prima gegengebürstetes liveremix-tape auf bandcamp, „in the moment remix tape“, wo kleine splittertunes aus hiphop, jazz und effekten sich zu einem vergällten trip zusammentun. „universal beings“ von diesem jahr ist das gegenteil, also eher eine zwar beatbetonte, dafür aber schmoove jazz-etude in mehreren suiten, die das feuilleton in wohlwollender absicht antanzt und mir ebenfalls gut gefallen hat, auch wenn ich ganz ganz weit im hintergrund aus den augenwinkeln eine fusionalarmglocke auszumachen glaube.
alice coltrane in einem plattenladen in schleswig, der sich eigentlich nur auf heavy metal und hardrock spezialisiert hat, gefunden zu haben – oder vielmehr aus dem hinteren tresenbereich hervorgezaubert bekommen zu haben – gehört sicher zu den kleinen, aber feinen wundern, die einem als plattenkäufer ab und zu wiederfahren können. so kam ich zu zwei französischen früh-70er pressungen von „universal consciousness“ und „lord of lords“, die dann sogar noch in us-originalcover steckten. dabei konnte es nicht bleiben, und es kamen noch „world galaxy“ und „journey in satchidananda“ als vinyl-represses dazu. ebenso „world spirituality classics vol.1“, aber diese spezielle new-age-barrikade habe ich bisher noch nicht erklimmen können. das andere irre zeug aber schon. sitaroverkills, spirituelle suiten, synths-in karnationen. diese musik hat mindestens vierhundertvierundvierzig arme und geschlechter. vielleicht denkt sie sogar mit ihren armen, wie ein tintenfisch.
larry youngs „unity“ landete auch im laufe des jahres als cd bei mir: geschmackvoll, aber ich ziehe an der orgel die rufferen spielarten vor. was mich aber doch nach ein paar durchläufen einnahm, war grachan moncur III mit „evolution“. schöne, verdunkelte schnell/langsam-dynamiken, zwischendurch das upliftende „the coaster“.
freddie hubbard lerne ich so langsam auch zu schätzen. wieder über eine „5 original albums“-box mit „open sesame“, „goin‘ up“, „hub cap“, „ready for freddy“, „hub-tones“. „open sesame“ blies mir gleich unheimlich frisch entgegen, mit den latino-rhythmen und einer jugendlichen leichtigkeit. „goin‘ up“ schätze ich besonders wegen hank mobleys tenorsax, das in bereiche außerhalb der form weist. „luana“ auf „hub-cap“ schätze ich auch wegen seiner beschwingtheit. „ready for freddie“ hat wyne shorter an bord, aber hubbard ist die hauptperson, aber „crisis“ zeigt auch einen brillanten shorter. „hub-tones“, allseits gelobt, hat das wunderschön mit flöte angehöbene „prophet jennings“, das fließende, tolle titelstück mit einem tollen altsax-solo von einem mir unbekannten herren namens james spaulding uswusf.
demgegenüber ist mir der frühe herbie hancock („5 original albums“-cd-box mit „takin‘ off“, „my point of view“, „inventions & dimensions“, „speak like a child“, „the prisoner“) auf seinen eigenen alben manchmal etwas zu gefällig, auch wenn da manchmal gute sachen wie „blind man, blind man“ bei herauskommen. während er aber fast gleichzeitig auf miles davis „miles smiles“ wieder stetig herausragend gut, knapp, ökonomisch, zielgenau, unwattiert und mit schärfe spielt. und mir auch im zusammenspiel mit wayne shorter gut gefällt. aber ich tue hancock sicher unrecht. am besten von seinen eigenen frühen alben gefällt mir „inventions & dimensions“, sie scheint mir widerhakiger und überraschender, finde ich auch von der perkussion her interessant. „maiden voyage“, die ich mir dann auch noch besorgte (cds kosten ja kaum mehr was) ist eine hübsch komponierte und umgesetzte platte, alles könner am werk. aber es langweilt mich auch etwas. aber auch hier ist sicher das letzte wort noch nicht gesprochen.
wayne shorter: angeschoben von @vorgarten, der mir shorters interesse an sci-fi, horror und okkultem näherbrachte, kaufte ich mir die „5 original albums“-cd-box mit „night dreamer“, „the soothsayer“, „etcetera“, „adam’s apple“, „schizophrenia“ – und ließ mich einsaugen in die ziehenden linien seines spiels, in die dunkleren stimmungen, aber nahm auch seine exzellenten kompositionen wahr (auch auf „miles smiles“ toll). dabei konnte es dann nicht bleiben und ich besorgte mir noch ein paar einzel-cds: „juju“, „speak no evil“, „the all seeing eye“. food for thought für noch sehr lange zeit. sein neuesalbum/neuer comic interessiert mich nicht so sehr. scheint mir etwas verschwörungstheoretisch aufgeladen, dagegen habe ich in den letzten jahren eine allergie entwickelt.
andrew hills „point of departure“ besorgte ich mir wegen eric dolphy. in form und frei zugleich. ich scanne das aber im moment einfach nach dolphy ab, finde wieder er spielt herausragend, aber tue damit den anderen bestimmt unrecht. work in progress mal wieder.
oliver nelsons „the blues and the abstract truth“ empfinde ich als etwas steif und theoretisch durchgezirkelt, trotzdem mit schönen momenten. für mich ist „teenie’s blues“, das letzte stück, ein höhepunkt. wieder mit einem tollen dolphy, aber auch anderen tollen beiträgen, die ich grad namentlich nicht zuordnen kann.
überhaupt eric dolphy: dolphy gab mal einen rat im sinne von: „play inside and outside at the same time“. besser kann man sein spiel nicht charakterieren. die verankerung mit dem inneren gibt dolphys stil eine besondere tiefe, eine nachdenkliche komponente. er ist in meinen ohren kein exaltierter spieler, eher ein überleger. was es vielleicht erstmal etwas schwieriger macht, eine stellung zu ihm einzunehmen. extrovertierte spieler fordern leichter ein hit or miss heraus, dolphy dagegen nähert man sich eher durch beschäftigung, durch nachdenken und nachhören. ein multitalent, total eigen, total brillant, unfassbar, was für ein künstler der welt so früh genommen wurde. und er hatte auch humor. ich muss immer noch lachen über seinen sax-einstieg bei „out to lunch“, wo er eine melodie anspielt, um sie sodann in seine einzelteile zu zerlegen. als würde er nur einmal auf eine uhr schauen und im nächsten moment sieht man sie als einzelteile auf den boden fallen. ich bekam einen dolphy-rausch, kaufte mir seine drei brillanten „out …“-lps („out there“, „outward bound“, „out to lunch!“), ebenso seine zusammenarbeit mit booker t. – „far cry“ – kam zu charles mingus „presents charles mingus“ („thanks for not clapping!“ :)) und „town hall concert“ – und war vollkommen eingenommen von dessen „praying for eric“ („meditation“), einer meiner tracks des jahres. schließlich erstand ich eine preiswerte 5cd-box von charles mingus mit „pithecantropus“, „clown“, „blues & roots“, „oh yeah“ und „tonight at noon“. „pithecantropus“, „clown“ und „oh yeah“ machten den meisten eindruck. ich mag das kämpferische und die disziplin in den kompositionen, gleichzeitig aber auch die unbeherrschtheit in mingus musik. wie bei fast allem, was ich dieses jahr neu gehört habe, stehe ich am anfang, aber es macht ungeheuer viel spaß, sich immer wieder überraschen zu lassen.
zu cecil taylors „conquistador!“ habe ich mich schon geäußert, ich fühlte mich atomisiert und angeregt – und besorgte mir „unit structures“ als lp-reissue, das andere blue note-album von taylor. alan silva beschrieb einmal, wie sie wochenlang dafür geübt hatten, nichts war zufall, taylor notierte die musik. und sowieso müsste man nur die sleeve notes lesen, dann wüsste man, wie cecil taylor arbeiten würde. ich besorgte mir dann die revenant-do-cd-ausgabe von „nefertiti, the beautiful one has come“ und war begeistert von dem hellen ton-wirbel, den cecil taylor, jimmy lyons (altsax) und sunny murray (drums) 1962 in einem kleinen cafe in kopenhagen 1962 losspielen, vor einem publikum, für das jazz eigentlich eher eine berieselung zum getränk darstellt und das gänzlich unvorbereitet dem tanz der drei (ohne bass!) lauschen (falls sie geblieben sind). gerade das fehlen des basses gibt dem sound eine gleißende note, was ganz merkwürdig mit dem etwas verstimmten piano korrespondiert, welches cecil taylor nur zur verfügung stand. saloon-musik des 23. jahrhunderts. anfang des jahres lernte ich durch einen blindfold test hier im forum (mr_badlands, warum ist dein account gelöscht?) dann „bemsha swing“ von taylors erstem album „jazz advance“ kennen und schätzen. ich besorgte mir dann vom fiesen, wahrscheinlich nicht autorisierten verwertungslabel „enlightenment“ die 5cd-box „the complete collection 1956-1962 – nine original albums“, was schon mal nicht stimmt, denn es sind von zwei alben nur diejenigen tracks enthalten, auf denen cecil taylor mitspielt. aber egal, in vinyl wäre mir das alles viel zu teuer. die ersten alben taylors sind ideale startpunkte, denn er hat dort einige konventionelle mitstreiter, die einen den einstieg in taylors voranpreschende innovationsspurts noch schön abferdern. ich muss hier auch besonders @gypsy-tail-wind danken, von dem ich eine herausragende stone-fm-sendung zum frühen cecil taylor hörte und die mich inspirierte, weiter in die richtung zu gehen. ich bin auch noch längst nicht fertig mit der box.
ebenfalls auf anregung durch kommentare von @gypsy-tail-wind habe ich mir dieses ein kleines clean-feed-paket gegönnt: chicago/sao paulo underground, lama + joachm badenhorst „the elephant’s journey“, lama + chris speed „lamacal“, malaby/parker/waits mit „tamarindo“. alles gerne gehört, aber in den letzten monaten etwas in den hintergrund geraten. vieleicht sollte ich mich bei lama von den tierlautassoziationen lösen, dann könnte ich wieder lust bekommen. „tamarindo“ ist auch toll und hat einen enormen punch. wenn man aber gerade ein paar bluenote-sachen wie oben beschrieben gehört hat, dann wirkt „tamarindo“ ein bisschen sehr auf die kacke hauend. es kommt aber wieder die zeit zum gerade deswegen gerne hören.
ich habe es nicht so häufig, das mir tränen beim musikhören einschießen, aber ich hatte diesen moment in 2018, als ich albert aylers „spiritual unity“ hörte. mir kommt albert aylers spiel wie eine einzige zuspitzung vor, ein konzentrat aller noten und aller schreie zu einem einzigen ton, der wie ein laser die nerven abtastet. das muss ich mir angelesen haben. egal. vollkommen ohne beispiel. ich besorgte mir „bells/prophesy“ dann als expanded edition und entdeckte auch hier besondere momente zwischen marschmusik, chaos und erbauung. parallel lese ich immer wieder in val willmers „as serious as your life“ und habe langsam das gefühl, das ein leben nicht mehr ausreicht, diesen auseinanderfächernden kosmos von tönen, die immer wieder versuchen, miteinander in kontakt zu treten und denen damit etwas entgegensetzen, die immer wieder versuchen, sie daran zu hindern, auch nur halbwegs zu folgen.
immer auf der suche nach einem vergessenen kleinen, feinen werk, das ich zum meisterwerk hochschreiben könnte, auf das sein meisterwerkliches treiben auf mich, den großen entdecker, abfärben möge, machte mich aufmerksam auf poly styrenes „translucence“. dabei entdeckte ich eine vergessene kleine, feine platte, eine zarte ohrfeige für menschen, die 1980, zwei jahre nach „germfree adolescence“, womöglich etwas in der richtung von x-ray spex erwartet hatten. stattdessen luftig leichter reggae mit karibik-feeling, dargeboten von einer kleinen, süßen band und poly styrene. die issues aber, die hätten auch auf „germfree adolescence“ gepasst: „don’t give yourself an electric shock/ don’t let them win in toytown“.
womit wir beim reggae wären. dieses mal brachte mir mein traditionelles, jährliches bestellpaket bei hardwax „peace and love“ von dadawah, wohinter ras michael steckt, der nyabinghi-meister: eine besonders schön versumpfte version der jamaikanischen psychedelik. dazu noch eine lp aus dem wackies-katalog: prince douglas mit dem hervorragenden „dub roots“, fantastische dubs aus der wackies-küche, ausnahmsweise mal mit nicht vollständig eradizierten stimmen; sowie die maxi-single von stranger cole und heptone leroy sibbles mit dem mächtigen „the time is now“-riddim + version. auf dem dug out-label wurde mabraks „drum talk“ wiederveröffentlicht: poems und talk drums in der king tubby-mangel. am ende des jahres dann besorgte ich mir noch bei souljazz „i’m in love with a dreadlocks – brown sugar and the birth of lovers rock 1977-80“ von brown sugar, einer female-vocal-group, die um 1980 herum das „lovers rock“-genre im reggae mit erfand. dennis bovell mischte auch mit. zu brown sugar gehörte unter anderem auch caron wheeler, die dann später mit soul II soul bekannt wurde. wunderbar souliger reggae, gespeist aus liebe, stolz und selbstbewusstsein. schließlich überzeugte mich auch dubkasm mit „rastrumentals“: eine lockere mischung aus conscious reggae und brasilianischen einflüssen, die in mehrjährigem austausch entstand. nimmt das alte mit ins neue. platz 9 meiner jahresalben.
khalab brachte mit „black noise 2084“ eine fantastisch rhythmisierte platte heraus, die sich aus afrikanischen field-recordings, elektronik, rap und overdubbed jazz speist, ohne dabei nur eine sekunde in gefällige gefilde abzudriften. stattdessen tiefste bässe, sirrende elektronik und drums, die nicht durch melodien durch müssen. gäste sind auch mit von der party: unter anderem shabaka hutchings und tenesha the wordsmith. adrian sherwoods on-u-sounds ist als vorbild nicht weit, sodass ich mir auch gleich mal „songs of praise“ von african head charge über bandcamp besorgte (mit diversen bonustracks übrigens). kannte ich halt noch nicht, man kann eben nicht alles von sherwood kennen. obwohl schon sowas wie ein hauptwerk in seiner karriere als produzent.
alan silva versuchte laut eigener aussage in seiner arbeit für „seasons“ fortzuführen, was auf „ascension“ immer wieder an dem punkt, an dem die soli anfangen, aufhörte: eine einzige kollektive improvisation. mit „seasons“ erreichte er das über 6 plattenseiten in anwesenheit des art ensemble of chicago, alan shorter, wolfgang kühn und anderen mehr. ich lud mir das runter und ließ mich einen autofahrttag lang davon weichspielen, bis mich seite 6 dann komplett überwältigte. zu weihnachten habe ich mir dann die original-triple-lp auf actuel/byg gegönnt – statt dem weißen album der beatles, denn das kannte ich ja schon und die demos wollte ich nicht. aber „seasons“ ist was für 2019.
so, das war’s. sorry für kraut und rüben und halb- bis vierteldurchdachtes. ich habe bestimmt noch was vergessen, aber dann ist das vergessene selbst schuld, darf sich aber immer gerne wieder melden. kommt alle gut rein ins neue jahr.
Alben, 2018 veröffentlicht:
1. henry threadgill 14 or 15 kestra: agg | dirt… & more dirt
2. khalab | black noise 2084
3. alexander tucker | don’t look away
4. ben lamar gay | downtown castles can never block the sun
5. muriel grossmann | golden rule
6. anteloper | kudu
7. makaya mccraven | universal beings
8. rodrigo tavares | congo
9. dubkasm | rastrumentals – brazil roots connection
10. kammerflimmer kollektief | there are actions which we have neglected and which never cease to call us
zuletzt geändert von wahr