Lesefrüchte

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  • #8674805  | PERMALINK

    hal-croves
    אור

    Registriert seit: 05.09.2012

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    lathoUnd ist immer das gleiche, aktuell eben von der AfD und deren außenpolitischem „Vordenker“ Gauland (haha!): eine Außenpolitik im Sinne des 19. Jhds., losgelöst von Bündnissen, denn die Westbindung ist solchen Leuten ja ein Dorn im Auge (das gilt auch für die PDL). Damit verbunden ist vor allem die Loslösung von westlichen Werten gemeint, zunächst mal der Beseitigung der „Ideen von 1968“ – fordert die gar nicht mehr so Neue Rechte ja seit den späten Siebzigern. Später sollen dann die „Ideen von 1789“ dran glauben, also Abschaffung der Demokratie und des Wahlrechts, gefordert ganz im Einklang mit den Altvorderen aus der Weimarer Republik. Rollback to fascism.

    Da stimme ich zu.

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    "Edle, freie Unbefangenheit bei Allem. ... Alle übrigen Vollkommenheiten sind der Schmuck unsrer Natur; sie aber ist der der Vollkommenheiten selbst. ... Sie ist mehr als Leichtigkeit, sie geht bis zur Kühnheit: sie setzt Ungezwungenheit voraus und fügt Vollkommenheit hinzu. Ohne sie ist alle Schönheit todt, alle Grazie ungeschickt: sie ist überschwenglich, geht über Tapferkeit, über Klugheit, über Vorsicht, ja über Majestät." (Baltasar Gracián) =>mehr<=
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    #8674807  | PERMALINK

    hal-croves
    אור

    Registriert seit: 05.09.2012

    Beiträge: 4,617

    Aus der Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung vom 7. September 2014, Seite 45

    Ich bin der Troll

    Die ersten Nachrichtenportale im Internet schließen ihre Leserkommentare, weil ihnen das Gerede, das Kritisieren und der Hass dort auf die Nerven gehen. Wer sind die Leute, die das Internet vollschimpfen? Besuch bei einem Leserkommentierer, bei Uwe Ostertag

    Krawall stiften, das dauert zwei Minuten. Uwe Ostertag scrollt durch Google News. Eine Meldung zum Jugenddrogenbericht. Ostertag überfliegt den Vorspann, den Text liest er nicht. „Das ist doch immer das Gleiche“, sagt er und springt in den Kommentarbereich. Mit den Zeigefingern haut er einen Satz in die Laptoptastatur. Er löscht ein paar Wörter, ergänzt, löscht: „Gebt den Hartz-IV-Empfängern weniger Geld, dann hat sich auch das Drogenproblem bei Jugendlichen gelöst.“ Uwe Ostertag fährt sich mit der Zunge über die Lippen, er drückt Enter.
    Es ist ein Kommentar von vielleicht 200, die er heute schreibt. Uwe Ostertag hat immer eine Meinung, zu allen Themen – außer Sport. Er kommentiert überall im Netz, von morgens bis in die Nacht hinein, sieben Tage die Woche. Ostertag sagt: „Provozieren, das ist wie ein Orgasmus.“ In seinen grauen Augenhöhlen funkelt es hellblau, sein Gesicht verzieht sich zum Lächeln. „Wenn sich jetzt jemand aufregt, dann ist das mein Ejakulat.“ Jede Nachricht wird kommentiert. Wer sich in die Halbwelt endloser Diskussionsstränge begibt, wird wie von einem Strudel aufgesogen. Hunderte schalten sich täglich in die Debatten bei „Spiegel Online“, „FAZ.net“ oder „Süddeutsche.de“ ein. Die meisten diskutieren über das Thema des Textes, manche liefern zusätzliche Informationen, korrigieren den Autor. Uwe Ostertag hingegen polemisiert, er provoziert. „Ich bin der Troll“, sagt er. Troll, so nennt man in der Netzsprache Menschen, die an Diskussion nicht interessiert sind, die Streit wollen.
    Uwe Ostertag, 55, sitzt in seinem Wohnzimmer im fränkischen Ochsenfurt. Die Krücken sind an die Wand gelehnt. Die Hüfte ist künstlich, das Kreuz gebrochen. Mühsam ist er über alte Decken in die Sofaecke gerutscht. Früher war er Grenzoffizier in der DDR, später Schlosser. Seit 1999 ist er Frührentner. „Ich bin ein Krüppel“, sagt er. Seine Frau hat ihn vor zehn Jahren verlassen, der gemeinsame Sohn ist bei ihm geblieben. Ostertag stellt den Laptop auf seinen Schoß und wischt mit der Hand den Staub vom Bildschirm. Auf der schwarzen Schrankwand gegenüber steht ein Adventskranz, die Kerzen nicht angezündet, daneben ein kleiner Plastikweihnachtsbaum und ein Schild: „Frohe Weihnachten!“ Es ist Hochsommer. Jeden Morgen um halb acht, wenn sein 18-jähriger Sohn zur Schule gegangen ist, setzt sich Ostertag auf das Sofa. Er klappt den Laptop auf und liest, was in der Welt passiert. Dann beginnt das, was er seine Arbeit nennt.
    2001 kauft sich Ostertag seinen ersten Computer, kurz darauf meldet er sich in den Foren und Kommentarbereichen an. Er durchkämmt das Internet. Er liest Blogs und Nachrichtenseiten, Hintergründe und Archive, Meinungen und Essays. „Damals habe ich angefangen zu denken.“ Während er das sagt, hacken seine Zeigefinger den nächsten Kommentar ins Netz. In Berlin haben Asylsuchende eine Schule besetzt, sie sind im Hungerstreik. Ostertag schreibt: „Die Flüchtlinge in Kreuzberg drohen mit Selbstmord. Ich betone: sie DROHEN. Um es zu tätigen sind sie zu feige.“ Am Anfang, sagt Ostertag, habe er noch schmalzig, liebevoll, philosophisch geschrieben. „Das hat aber niemanden interessiert.“ Seine Beiträge veränderten sich, sie wurden aggressiver. „Indem ich alles überspitze, in alle Richtungen, will ich die Leute aufwecken“, sagt er.
    Im Februar 2011 hält ein Polizeiwagen in der kleinen Wohnsiedlung in Ochsenfurt. Es klopft an Ostertags Tür, sein Sohn ist vor ein paar Minuten zur Schule gegangen. Ein Durchsuchungsbefehl, zwei Beamte und ein Gerichtsvollzieher betreten die Zweizimmerwohnung. Sie packen den Computer ein, Ostertags wertvollsten Besitz. Er ist ein Beweisstück. Gegen Uwe Ostertag liegt eine Anzeige vor. Der Vorwurf, den die Staatsanwaltschaft Würzburg gegen ihn erhebt: Volksverhetzung. „Da war ich schon richtig baff“, sagt Ostertag. Mit einem Kommentar über körperlich Behinderte war er zu weit gegangen: „Aus einer Apfelkiste sortiert man auch die schlechten aus und wirft sie weg.“
    Ostertags Krücken retten ihn. Er spricht von einer „Selbstpersiflage“, da er doch selbst schwerbehindert sei. Die Staatsanwaltschaft lässt ihm das durchgehen. Kein Verfahren, keine Strafe. „Seitdem bin ich ein Staatsfeind“, sagt er und grinst. Die Anzeige hat ihn nicht gebremst. „Ich habe gemerkt, dass ich noch viel weiter gehen kann“, sagt er. „Ich habe nichts zu verlieren, mir kann keiner was.“ Die Provokationen werden schärfer, die Beleidigungen entgleisen: Der Bundespräsident sei ein kriegstreiberisches Arschloch, die katholische Kirche eine „Kinderficksekte“, die Bundesregierung korrupt, Veganer faschistisch. Jeden Tag spuckt Uwe Ostertag seinen Hass ins Netz. Er kämpft gegen alles und nichts. Sein größter Wunsch: „So ein richtiger Shitstorm.“ Ostertag will das, wovor sich andere fürchten. Er will Streit. Er will Prügel.
    „90 Prozent der Bevölkerung denkt nicht. Die leben ihr Leben und interessieren sich nicht dafür, wieso es ihnen so scheiße geht“, sagt er ohne vom Bildschirm aufzublicken. Ostertag ist unzufrieden mit der Regierung, mit der Gesellschaft. „Jede Meinung ist heute gleich politisch unkorrekt“, sagt er und zieht hastig an seiner Zigarette. Die unzähligen Kommentare sind seine Form des Protests. Das Netz belohnt Provokation. Bei Twitter folgen Ostertag über 2300 Menschen. Seine Trophäen sammelt er in einem Ordner auf seinem Laptop, viele Screenshots, fein säuberlich archiviert. Je beißender die Kritik, desto mehr Beifall bekommt er. „Hier, vor zwei Tagen“, er zeigt auf den Bildschirm, „da haben 1500 Leute meinen Kommentar bei ‚Süddeutsche.de‘ positiv bewertet.“ Immer wieder öffnet er neue Fenster. „Das sind die Beweise.“ Beweise dafür, dass viele denken wie er. Mal sind es 500 positive Bewertungen, mal 2000. Ostertag liest eine Nachricht vor, die er von einem Follower bei Twitter bekommen hat: „Uwe, lass dir nicht das Maul verbieten. Geig den Mächtigen mal die Meinung!“ Die einzigen Gegner, die Uwe Ostertag hat, sind die Social-Media-Redakteure der Nachrichtenseiten.
    München. Ein Großraumbüro am Stadtrand, 22. Stock. Jedes Mal, wenn Uwe Ostertag bei „Süddeutsche.de“ kommentiert, muss Frank Porzky entscheiden: freischalten oder sperren? Porzky ist in den Weiten der Kommentarspalten ein Jäger, der die Trolle unter Kontrolle bringen muss. Wenn Ostertag bei „Süddeutsche.de“ hetzt, kann der Verlag rechtlich belangt werden. Uwe Ostertag balanciert auf einem schmalen Grat: Geht er in seinem Beitrag zu weit, löscht ihn Porzky. Ist er zu zahm, sagt er, findet er keinen Zuspruch bei den anderen Lesern. Frank Porzky deutet auf den Bildschirm: Eine graue Seite, lange Listen. „Das ist die Akte Ostertag.“ 1500 Mal hat er bei „Süddeutsche.de“ kommentiert. Jeder zehnte Kommentar wurde gesperrt. Vier Mal ist er in den letzten zwei Jahren verwarnt worden – wegen mangelnder Sachlichkeit, fehlendem Niveau oder Schmähkritik. „Wenn er noch einmal über die Stränge schlägt“, sagt Porzky, „können wir ihn sperren.“ Für Porzky ist es ein Klick, eine kurze Entscheidung. „Das ist mir egal“, sagt Ostertag. „Dann kommentiere ich woanders. Bei der ‚SZ‘ behandeln sie einen sowieso wie ein Kind.“
    Anfang vergangener Woche hat „Süddeutsche.de“ die Kommentarspalten abgeschafft. Unter die Meldung zum Wirtschaftswachstum oder den Leitartikel zur Außenpolitik kann Ostertag nicht mehr seine Meinung abladen. Stattdessen stellt die Redaktion eine Frage, über die es eine Diskussion geben soll. Etwa: „Wie sollte Deutschland sein politisches Gewicht in der Welt einsetzen?“ Redakteure wie Frank Porzky wollen stärker moderieren, mehr Beiträge löschen und so die Qualität der Debatten erhöhen. Damit bedrohen sie Uwe Ostertag, und Ostertag macht das wütend. Mit den Änderungen bei „Süddeutsche.de“ werde eine „neue Ära des Medienfaschismus eingeläutet, um noch leichter unbequeme Meinungen zu zensieren“, schreibt er bei Facebook. „Scheinbar wird die Kritik der Kommentatoren immer lauter, dass man zu solchen Maßnahmen greift.“
    In Ochsenfurt ist es mittlerweile dunkel geworden. Ostertag sitzt mit kurzer Unterbrechung seit zwölf Stunden vor dem Computer. Er rollt seinen gekrümmten Körper vom Sofa und humpelt zum Lichtschalter. Die Glühbirne geht an, sie baumelt einsam von der Decke. Allein ist Ostertag nicht. In den Kommentarspalten hat er Menschen kennengelernt, die sind wie er. In der Dunkelheit finden sie sich, die Trolle. Mit zwei von ihnen hat er sich mal zum Kaffee verabredet. Heute war ein guter Tag für den Troll Uwe Ostertag. Von den Dutzenden Kommentaren ist nur eine Handvoll gesperrt worden. „Samstags sind die Zensoren nicht so aufmerksam“, sagt er und grinst selbstzufrieden. Wann hat er zum letzten Mal positiv kommentiert? „Gar nicht so lange her. Das Burka-Verbot in Frankreich“, grummelt er nach einer Minute, „das war gut.“ Uwe Ostertag hält inne, blickt nachdenklich auf Weihnachtsbaum und Adventskranz. Es vergehen ein paar Sekunden, dann schaut er wieder auf den Bildschirm. Bei „Google News“ sucht er sich einen Artikel. Überschrift. Vorspann. Kommentarbereich. Tastatur-Hacken. Enter. Die Nacht ist noch jung.

    TIMO STEPPAT

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    "Edle, freie Unbefangenheit bei Allem. ... Alle übrigen Vollkommenheiten sind der Schmuck unsrer Natur; sie aber ist der der Vollkommenheiten selbst. ... Sie ist mehr als Leichtigkeit, sie geht bis zur Kühnheit: sie setzt Ungezwungenheit voraus und fügt Vollkommenheit hinzu. Ohne sie ist alle Schönheit todt, alle Grazie ungeschickt: sie ist überschwenglich, geht über Tapferkeit, über Klugheit, über Vorsicht, ja über Majestät." (Baltasar Gracián) =>mehr<=
    #8674809  | PERMALINK

    hal-croves
    אור

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    Die einzige Konzession, zu der ich mich etwa noch herbeiließe, wäre die, mich so weit nach den Wünschen des Publikums zu richten, daß ich das Gegenteil tue. Aber ich tue es nicht, weil ich keine Konzessionen mache und eine Sache selbst dann schreibe, wenn sie das Publikum erwartet.

    (Die Fackel: Nr. 259-260, 13.07.1908, S. 47)

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    "Edle, freie Unbefangenheit bei Allem. ... Alle übrigen Vollkommenheiten sind der Schmuck unsrer Natur; sie aber ist der der Vollkommenheiten selbst. ... Sie ist mehr als Leichtigkeit, sie geht bis zur Kühnheit: sie setzt Ungezwungenheit voraus und fügt Vollkommenheit hinzu. Ohne sie ist alle Schönheit todt, alle Grazie ungeschickt: sie ist überschwenglich, geht über Tapferkeit, über Klugheit, über Vorsicht, ja über Majestät." (Baltasar Gracián) =>mehr<=
    #8674811  | PERMALINK

    hal-croves
    אור

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    […] Wahrlich, wenn Hotelportiers nicht bloß einen dekorativen Zweck haben sollten, so sind es scherzhafte Apparate zur Irreführung des Publikums. Sicher weiß man es aber nicht. Das ist es eben. Man möchte gern das Gegenteil von dem tun, was sie einem raten, aber leider ist auch auf diesen Weg kein Verlaß. Denn es kann vorkommen, daß ein Hotelportier irrtümlich eine richtige Auskunft gibt, und dann steht man da. Oh, es wird sich einmal herausstellen, daß diese Männer in den Portierlogen geboren und gleich Kant nie aus ihrem Geburtsort herausgekommen sind. Wie hätten sie auch mit ihren geringen Kenntnissen vom Eisenbahnwesen die Reise in die Städte machen können, in deren Hotels sie heute ihre eigenartige Tätigkeit entfalten? Sie sind schon auf dem Standpunkt geboren, auf den unsereins erst nach den mannigfachen Ärgernissen und Enttäuschungen gelangt: es sei viel schöner, sich das Reisen vorzustellen.
    Und muß man denn wirklich erst reisen, um zu erfahren, daß es so viele Berufe gibt, deren Nützlichkeit mit ihrer koloristischen Wirkung nicht gleichen Schritt zu halten vermag? Kontrollore zum Beispiel gibt es auch auf der Straßenbahn. Sie unterscheiden sich von den Kondukteuren dadurch, daß sie Handschuhe tragen, aber während die Kondukteure die Karten immerhin abzwicken, schauen sie sie bloß an. Wozu gibt es Kontrollore? Der Kellner, dem man die Hotelrechnung bezahlt, ist gewiß ganz besonders rätselhaft. Aber hat man denn das Geheimnis jener Personen ergründet, die in unseren ureigenen Stammlokalen für nichts anderes entlohnt werden, als dafür, daß sie das Geld bekommen? Sie sind in hohem Grade malerisch. Und hat man sich schon einmal gefragt, was die sonderbaren Männer zu bedeuten haben, die in einem Kaffeehaus oder Restaurant plötzlich vor uns hintreten und sich stumm verbeugen? Mit großer Mühe ist es mir gelungen, herauszubringen, daß es die Besitzer sind. Aber diese Erschließung hatte mit so vielen anderen tatsächlichen Wahrheiten gemeinsam, daß sie mich nicht befriedigte. Es war damit noch nicht aufgeklärt, welche Bedeutung die Pantomime jener Männer hat. Denn daß sie uns nichts nützt, daß sie uns zur Unterbrechung unserer Lektüre, unserer Gespräche, unseres Nachdenkens zwingt, liegt auf der Hand. Dieser Gruß nötigt uns sogar zu einem Gegengruß, wir sind also gezwungen, eine Unfreundlichkeit mit einer Freundlichkeit zu erwidern. Ich kannte einen Cafétier, der täglich mit einem Blick vor mich hintrat, gegen den das ave Caesar, morituri te salutant eine leere Versprechung war. Ob nun darin bloß eine unzerstörbare Ergebenheit oder auch der stille Vorwurf lag, daß das Geschäft nicht zum besten gehe, nie vergesse ich diesen Blick eines verendenden Kaffeesieders. Wie anders wirkt der Hotelier einer Sommerfrische auf mich ein, dessen Stummheit weltmännisches Gehaben bedeutete, ohne daß ich mir freilich zu erklären wußte, warum es gerade vor mir produziert werde. Als ich mich aber einmal zu der unvorsichtigen Bemerkung hinreißen ließ, daß das Rindfleisch gut sei, vernahm ich diese Ansprache: »Es ist erfreulich, ein solches Lob aus so kompetentem Munde zu hören, und soll dies uns ein Ansporn sein, nicht zu erlahmen, sondern unerschrocken auf dem einmal betretenen Wege fortzufahren.« Er ist also Feuerwehrobmann, sagte ich mir, und die Perspektive in ein winterliches Leben tat sich vor mir auf, wo es keine Kurgäste mehr gibt und das zurückgehaltene Deutschtum wieder in seine Rechte tritt … Ach, ich habe oft den Nutzen der Restaurants und der Kaffeehäuser gewürdigt, nie aber ist es mir klar geworden, welchen Zweck die Restaurateure und die Cafétiers haben. […]

    (Die Fackel: Nr. 261-262, 13.10.1908, S. 20-22)

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    "Edle, freie Unbefangenheit bei Allem. ... Alle übrigen Vollkommenheiten sind der Schmuck unsrer Natur; sie aber ist der der Vollkommenheiten selbst. ... Sie ist mehr als Leichtigkeit, sie geht bis zur Kühnheit: sie setzt Ungezwungenheit voraus und fügt Vollkommenheit hinzu. Ohne sie ist alle Schönheit todt, alle Grazie ungeschickt: sie ist überschwenglich, geht über Tapferkeit, über Klugheit, über Vorsicht, ja über Majestät." (Baltasar Gracián) =>mehr<=
    #8674813  | PERMALINK

    hal-croves
    אור

    Registriert seit: 05.09.2012

    Beiträge: 4,617

    Von den Sehenswürdigkeiten.

    In der russischen Kreisstadt Rybinsk, lese ich, werden die Summen, die für die Instandhaltung der Monumente bestimmt sind, zur Instandhaltung der Bedürfnisanstalten verwendet. In anderen Städten wird die umgekehrte Methode geübt. Ein Gleichmaß ist nirgends zu erzielen. Wenn ich aber die Wahl habe, entscheide ich mich unbedenklich für das System von Rybinsk.
    Aus manchen meiner Äußerungen wird man schon entnommen haben, daß ich ein Feind von Sehenswürdigkeiten bin. Nicht als ob ich für die künstlerischen Vorzüge eines Reiterstandbildes blind wäre. Aber ich glaube, daß die Fülle von Reiterstandbildern, durch die sich unser armes Dasein hindurchwinden muß, uns in unserer Entwicklung dermaßen hemmt, daß wir schlechterdings dazu unfähig gemacht werden, Reiterstandbilder zu schaffen. Dies war ehedem paradox, aber nun bestätigt es die Zeit, sagt Hamlet. Sein Grab ist heute eine Sehenswürdigkeit von Helsingör. Aber wie konnte es sich als solche erhalten, da doch pietätvolle englische Badegäste die Steine, die die Grabstelle bezeichnen, als Andenken mitzunehmen pflegen? Es konnte sich als Sehenswürdigkeit erhalten, weil der Hotelportier vor Beginn einer jeden Saison eine neue Fuhre Kiesel bestellt, so daß der Vorrat nie ausgeht. Wenns aber nach der Pietät der englischen Badegäste ginge, gäbe es längst kein Grab Hamlets mehr. Und ähnlich verhält es sich mit allen anderen Sehenswürdigkeiten. Es gibt deren so viele, daß man sich ganz aufs Sehen verlegt und das Schaffen verlernt. Die Kunst dient dazu, uns die Augen auszuwischen. Wenns auf der Weltbühne nicht klappt, fällt das Orchester ein. Und selbst die ästhetischen Werte des Menschen scheinen bloß die Bestimmung zu haben, uns für eine Lumperei zu kaptivieren. Nun würde ich mich gern von einem Wiener Kutscher überhalten lassen, wenn ers nur nicht mit echtem Gemütston täte; und mir von einem italienischen Wirt die Gurgel abschneiden zu lassen, wäre mir ein Vergnügen, wenns nicht mit diesem träumerischen Zug geschähe. Die Unbequemlichkeiten des Daseins nehme ich nur ohne ästhetische Entschädigung in Kauf, und wenn ich einen Verdruß habe, will ich mich nicht bei den malerischen Attitüden aufhalten. Schlechte Instrumente taugen nicht, aber wenn sie sich als Individualitäten aufspielen, dann ist doppelte Vorsicht geboten. Der embellierte Dreck ist die einzige Illusion, gegen die ich ein Vorurteil habe. Ich weiß, nicht alle denken so. Der Philister, der nicht im Stande ist, sich seine Gemütserhebungen selbst zu besorgen, muß unaufhörlich an die Schönheit des Lebens erinnert werden. Selbst zur Liebe bedarf er einer Gebrauchsanweisung. Erst wenn ihm eine Chansonettensängerin versichert hat, daß ach die Liebe, ja die Liebe so schön sei, nur müsse man »den Zauber auch verstehn«, erst dann glaubt ers. Und sein Ehrgeiz ist geweckt; denn »wer die Liebe zu genießen nicht versteht, der laß‘ es lieber gehn, der ist ganz einfach blöd«. Er hat die Wahl, für blöd zu gelten oder die Liebe zu genießen, und zieht natürlich das zweite vor. In Liebe und Leben muß er vor eine fertige Sache gestellt werden, sonst sieht er die Schönheit nicht. Er geht etwa über einen Platz, auf dem Gemüsefrauen ihren Stand haben. Er vermißt etwas. Seitdem sich aber zwischen den Gemüsefrauen ein bronzener Feldmarschall erhebt, ist die Sache in Ordnung. Die Lebensgüter müssen ihm vor die Nase gehalten werden. Eine Chansonettensängerin erklärt ihm die Liebe, ein Denkmal mahnt ihn an noch höhere Interessen, und in keiner Lage vermag er des Anschauungsunterrichts zu entraten.
    In Rybinsk wäre er tief unglücklich. Denn setzen wir den Fall, er käme dort am Bahnhof an und hätte sogleich das Bedürfnis, ein Monument aufzusuchen, – die Folgen wären nicht abzusehen. Er müßte warten, bis er wieder einmal nach Rom kommt, wo er sicher ist, seine Altertümer mit allem Komfort der Neuzeit ausgestattet vorzufinden. Am wohlsten freilich mag er sich in Berlin fühlen. Dort ist vorgesorgt. Denn als ich einmal im Tiergarten einen Schutzmann fragte, wo hier das nächste –, ließ er mich gar nicht zu Ende sprechen und verwies mich auf das Denkmal Ottos des Faulen.
    Da aber erfahrungsgemäß bloß die Hunde so klug sind, Sehenswürdigkeiten vom praktischen Standpunkt zu betrachten und selbst vor Marksteinen der preußischen Geschichte nicht zurückschrecken, ist es für uns Menschen eine schwere Zeit der Not, in der wir leben. So weit wir uns umsehen, ist eigentlich nur die Wiener Stadtverwaltung bis heute so erfinderisch gewesen, einer Lösung des Problems, wie man das Angenehme mit dem Nützlichen verbinde, einigermaßen nahezukommen. Nur sie war klug genug, den ästhetischen Bedürfnissen des Bürgers gleich an Ort und Stelle Rechnung zu tragen. Hier, im Zentrum der Stadt, führen ein paar Stufen abwärts zu einer Sehenswürdigkeit, für deren Instandhaltung man selbst in Rybinsk ein Herz hätte. Denn neben allen Wundern einer modernen Architektonik ist es die anmutige Überraschung eines Aquariums, die den Besucher dazu bestimmt, länger zu verweilen, als er ursprünglich geplant hatte, und gerne befolgt man die Weisung, vor dem Verlassen der Anstalt die Goldfische zu betrachten. Es soll vorkommen, daß Zugereiste den Ort in Begleitung von Fremdenführern besuchen, die diesen Programmpunkt zwischen die Besichtigung der Museen und die Besteigung des Riesenrades gerne einschieben.
    An Sehenswürdigkeiten, die bloß das Auge erfreuen, ist ja diese Stadt sonst überreich. Ihre Straßen sind mit Kultur gepflastert, während die Straßen anderer Städte mit Asphalt gepflastert sind. Die Vergangenheit reicht in die Gegenwart hinein, und daraus erklärt sich die Wiener Unpünktlichkeit. Bahnzeit ist hier einige Minuten hinter der Stadtzeit zurück, aber Stadtzeit einige Jahrzehnte hinter der europäischen Zeit. In der Vergangenheit sind wir den andern Völkern weit voraus. Jedoch gerade diese bunte Mischung der Zeiten macht unser Stadtbild besonders anziehend. Wenn aus einem Nachtkaffeehaus das Volkslied dringt: »Kinder, wer kein Geld hat, der bleibt z’haus, heut komm ich erst morgen früh nach Haus«, so beweist dies an und für sich schon eine gewisse Schlamperei der Zeitenfolge. Aber nur ein paar Schritte hat man vom Nachtcafé ins Mittelalter, denn gerade gegenüber steht der Stefansdom, dem zur Linken ein Einspännerstandplatz und zur Rechten das Grab Neidharts von Reuenthal sich befindet. Ebenso bequem haben es die Besucher eines Champagnerlokals, die, ohne erst lange suchen zu müssen, gleich vor dem Ausgang das Denkmal Karls des Großen und Omnibusverkehr nach allen Richtungen haben. Wer die »Grinzinger« verläßt, sieht sich einer Fürstengruft gegenüber. Und wer auf dem Gassenstrich plötzlich vor jenem ehrwürdigen Wahrzeichen Halt macht, in das einst wandernde Schlossergesellen ihren Nagel einschlugen, der findet ein Täfelchen daneben, auf dem die Worte zu lesen sind: »Die Sage vom Stock im Eisen ist beim Portier um 20 Heller erhältlich«. Dieser Portier ist glücklicher als sein dänischer Kollege, er verkauft die Sage, aber er muß die Nägel nicht erneuern.
    Man wird also zugeben, daß hierzulande ein moderner Zug durch die Historie geht. Die praktischen Einrichtungen dieser Stadt mögen nicht immer sehenswürdig sein, ihre Sehenswürdigkeiten sind durchaus praktisch eingerichtet. Aber es sind eben doch nur Sehenswürdigkeiten, und es gibt deren zu viele. Bedenkt man dazu, daß auch die Menschen dieses Landes einem mehr dekorativen als realen Zweck entsprechen, so bekommt man einen Begriff von der Schwierigkeit des hiesigen Lebens. In deutschen Ländern ist der Sinn für das Ornamentale so sehr entwickelt, daß kein Käse ohne Salathülle auf den Tisch kommt. Der Salat, mit dem die Deutschen sich selbst servieren, ist ein Orden. Hier aber gibt es Menschen, die ganz und gar eine Salatexistenz führen. Der Salat zum Selbstzweck erhoben ist zum Beispiel ein Stationsvorstand, der von Hoheiten angesprochen wird. Er sieht schön aus, wird zu jedem Schnellzug serviert, findet aber keine praktische Verwendung. Der Vorstand der nächsten Station, der das ganze Jahr zu keiner Hoheit kommt, muß für Betriebszwecke herhalten. Das ist aber ein Ausnahmsfall, in der Regel sind die Beamten Sehenswürdigkeiten, und zu ihrer Instandhaltung wird an den ästhetischen Sinn der Bevölkerung appelliert. Ein besonderer Schmuck unserer Stadt ist neuestens ein Polizeirat, der im Gerichtssaal weint, weil böse Menschen ihn einer geschlechtlichen Beziehung verdächtigt haben. Ähnlich geht es in anderen Lebensverhältnissen zu, das Stigma des Malerischen, vor dem ich gewarnt habe, ist hier Ehrenzeichen und Bürgschaft einer Karriere, und überall verschwinden die Nutzmenschen hinter den Salatmenschen. Die Leute, die uns bedienen, sie sind Sehenswürdigkeiten. Der Kutscher ist eine Individualität, und ich komme nicht vorwärts. Der Kellner hat Rasse und läßt mich deshalb auf das Essen warten. Der Kohlenmann singt vergnügt auf seinem Wagen, und ich friere. Aber wir dürfen nicht murren. Denn die Menschheit ist frei, sie hat sich das allgemeine Qualrecht erobert. Sie darbt lieber zwischen den Monumenten, als daß sie sichs zwischen den Bedürfnisanstalten gut gehen ließe. Nur manchmal erfaßt uns eine heimliche Sehnsucht nach der russischen Kreisstadt Rybinsk.

    (Die Fackel: Nr. 266, 30.11.1908, S. 5-10)

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    "Edle, freie Unbefangenheit bei Allem. ... Alle übrigen Vollkommenheiten sind der Schmuck unsrer Natur; sie aber ist der der Vollkommenheiten selbst. ... Sie ist mehr als Leichtigkeit, sie geht bis zur Kühnheit: sie setzt Ungezwungenheit voraus und fügt Vollkommenheit hinzu. Ohne sie ist alle Schönheit todt, alle Grazie ungeschickt: sie ist überschwenglich, geht über Tapferkeit, über Klugheit, über Vorsicht, ja über Majestät." (Baltasar Gracián) =>mehr<=
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    hal-croves
    אור

    Registriert seit: 05.09.2012

    Beiträge: 4,617

    »Gut schreiben« ohne Persönlichkeit kann für den Journalismus reichen. Allenfalls für die Wissenschaft. Nie für die Literatur.

    (Die Fackel: Nr. 266, 30.11.1908, S. 21)

    **********

    Der Unechte glaubt an keine Echtheit. Und glaubte er, er würde nicht begreifen, wie man echt sein könne, in einer Zeit, in der es wirklich niemand nötig hat, echt zu sein.

    (a.a.O., S. 25)

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    "Edle, freie Unbefangenheit bei Allem. ... Alle übrigen Vollkommenheiten sind der Schmuck unsrer Natur; sie aber ist der der Vollkommenheiten selbst. ... Sie ist mehr als Leichtigkeit, sie geht bis zur Kühnheit: sie setzt Ungezwungenheit voraus und fügt Vollkommenheit hinzu. Ohne sie ist alle Schönheit todt, alle Grazie ungeschickt: sie ist überschwenglich, geht über Tapferkeit, über Klugheit, über Vorsicht, ja über Majestät." (Baltasar Gracián) =>mehr<=
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    hal-croves
    אור

    Registriert seit: 05.09.2012

    Beiträge: 4,617

    […] Es ist Beruf und Pflicht des Geistes, dem Geist anzugehören und zu helfen und dabei sich selbst die höchste Rechtfertigung zu gewinnen. Es ist nahezu das einzige zuverläßige Zeugnis für eines Mannes Wert, wenn er mit dem Bewußtsein der eigenen auch das fremder Bedeutung vereinigt, wenn er neben dem einfachen Instinkt der Icherhaltung den feineren, selteneren einer gerechten Würdigung des fremden, edlen Selbst bewahrt. Es bleibt die einzige Aufgabe, die ein unabhängiger schöpferischer Mensch anerkennen mag, der gleichgiltigen Zwangsgesellschaft ringsum eine absichtsvolle, freie, aus unabhängiger Wahl aneinandergeschlossene, durchgeformte und bestimmte Vereinigung entgegenzubilden, die durch sich selbst eine höhere Art erwirkt, welche den Einzelnen über sein gegebenes Maß hinaushebt. Es ist die einzige Entwicklung, die ihren Mann verdient. Freilich gehört ein gewisser Mut dazu, soviel Zutrauen nicht bloß zu sich, sondern zu fremden Menschen, Ideen, Leistungen zu haben, nichts kann tiefer erschüttern, als ein Irrtum in dieser Grundfrage. Aber Geist ist eben Mut schlechthin.
    Die Rechtfertigung des eigenen Wesens durch solche Wahlgemeinschaft bedeutet einen Gewinn, der selbst mit Enttäuschungen nicht zu teuer bezahlt wird. Überhaupt welche Angst vor bösen Erfahrungen! Als wären sie nicht die einzige Währung, mit der wir die Launen, Abenteuer, Zügellosigkeiten, Genüsse, all die Jahreszeitenwechsel, den Sternenhimmel unserer Geistigkeit bezahlen müssen! […]

    (Die Fackel: Nr. 267-268, 17.12.1908, S. 20)

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    "Edle, freie Unbefangenheit bei Allem. ... Alle übrigen Vollkommenheiten sind der Schmuck unsrer Natur; sie aber ist der der Vollkommenheiten selbst. ... Sie ist mehr als Leichtigkeit, sie geht bis zur Kühnheit: sie setzt Ungezwungenheit voraus und fügt Vollkommenheit hinzu. Ohne sie ist alle Schönheit todt, alle Grazie ungeschickt: sie ist überschwenglich, geht über Tapferkeit, über Klugheit, über Vorsicht, ja über Majestät." (Baltasar Gracián) =>mehr<=
    #8674819  | PERMALINK

    stormy-monday
    We Shall Overcome

    Registriert seit: 26.12.2007

    Beiträge: 21,204

    Wie immer ganz gross. Danke.

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    Contre la guerre ...and everybody’s shouting “Which Side Are You On?”
    #8674821  | PERMALINK

    cycleandale
    ALEoholic

    Registriert seit: 05.08.2010

    Beiträge: 10,342

    Nochmal Richard Brautigan:

    Die Karma Reparaturausrüstung: Teile 1-4

    1. Besorg dir genug zu essen und iß es.

    2. Such dir einen ruhigen Platz zum Schlafen, und schlaf da.

    3. Reduziere intellektuellen und emotionalen Lärm bis du zu deiner eigenen Stille kommst, und hör ihr zu.

    4.

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    l'enfer c'est les autres...
    #8674823  | PERMALINK

    Anonym
    Inaktiv

    Registriert seit: 01.01.1970

    Beiträge: 0

    Aus gegebenem Anlass, da jüngst im Milena-Verlag dieses bedeutende Buch von Andreas Latzko wiederveröffentlicht wurde:

    „Bei dieser Gelegenheit sei allen, die sich nach einem Beweis von Europäertum in der deutschen Literatur des heutigen Krieges umsehen, nachdrücklichst die Pflicht eingeschärft, das vor einigen Wochen erschienene Buch »Menschen im Kriege« sich zu beschaffen, das heißt: ihre Buchhändler zur Durchsetzung des Grenzübertrittes zu veranlassen. (…) Da dieses als Kriegsdokument wichtigste an maßgebenden, den Einflüsterungen der Menschlichkeit keineswegs verschlossenen Stellen Verständnis gefunden hat, so kann der Widerstand untergeordneter Mächte nur von den noch schlechter Unterrichteten ernst genommen werden. Andere wissen den Tag nicht mehr fern, an dem das offizielle Österreich darauf stolz sein wird, daß es auch durch diese Tat am Weltkrieg beteiligt war.“

    (Karl Kraus, Die Fackel, Nr. 462, Wien 1917)

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    #8674825  | PERMALINK

    hal-croves
    אור

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    Erfahrungen sind Ersparnisse, die ein Geizhals beiseite legt. Weisheit ist eine Erbschaft, mit der ein Verschwender nicht fertig wird.

    (Die Fackel: Nr. 267-268, 17.12.1908, S. 43)

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    "Edle, freie Unbefangenheit bei Allem. ... Alle übrigen Vollkommenheiten sind der Schmuck unsrer Natur; sie aber ist der der Vollkommenheiten selbst. ... Sie ist mehr als Leichtigkeit, sie geht bis zur Kühnheit: sie setzt Ungezwungenheit voraus und fügt Vollkommenheit hinzu. Ohne sie ist alle Schönheit todt, alle Grazie ungeschickt: sie ist überschwenglich, geht über Tapferkeit, über Klugheit, über Vorsicht, ja über Majestät." (Baltasar Gracián) =>mehr<=
    #8674827  | PERMALINK

    hal-croves
    אור

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    Schweiß bricht aus, wenn man jemand Fremdes hinter der Tür vermutet, wenn man vom Vorgesetzten wegen eines Fehlverhaltens zur Rede gestellt wird, oder aber, wenn man nachts aufwacht und nicht mehr weiß, was man im Leben eigentlich will. Die wie aus dem Nichts sich meldende Angst vor der Leere gehört zur existenziellen Ambivalenz des außengeleiteten Charakters, der sich an den Erwartungen der Anderen orientiert und gleichzeitig die Ansprüche der Anderen fürchtet. […] Im Zweifelsfall ist für das kommunikative und kooperative Ich von heute die Sicherung der Beweglichkeit in der Anpassung wichtiger als die Fixierung auf selbst gesetzte Ziele und Pläne.

    (Heinz Bude, Gesellschaft der Angst, S. 91)

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    "Edle, freie Unbefangenheit bei Allem. ... Alle übrigen Vollkommenheiten sind der Schmuck unsrer Natur; sie aber ist der der Vollkommenheiten selbst. ... Sie ist mehr als Leichtigkeit, sie geht bis zur Kühnheit: sie setzt Ungezwungenheit voraus und fügt Vollkommenheit hinzu. Ohne sie ist alle Schönheit todt, alle Grazie ungeschickt: sie ist überschwenglich, geht über Tapferkeit, über Klugheit, über Vorsicht, ja über Majestät." (Baltasar Gracián) =>mehr<=
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    hal-croves
    אור

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    Freilich nicht nur die Erwerbsarbeit, auch das Familienleben und die Freizeitgestaltung, eigentlich das Leben insgesamt, scheinen für die meisten Menschen in der modernen Gegenwartsgesellschaft unter Optimierungsdruck zu stehen. Die jungen, hoch gebildeten Frauen setzen auf die Vereinbarkeit von anspruchsvollem Beruf und bindungsstarker Familie; die neuen risikokompetenten Männer wollen nicht als einsame Wölfe enden; man will weder leben, um zu arbeiten, noch arbeiten, um zu leben, sondern so viel Leben beim Arbeiten wie möglich und so viel Arbeit beim Leben wie nötig. Man sorgt sich um die Bindung, den Sex, das Outfit, die berufliche Herausforderung, die erotische Ausstrahlung und die körperliche Verfassung. Entgrenzung, Selbstwerdung, Flexibilität und Kreativität beschreiben eine Lebensführung außengeleiteter Intensivierung, bei der Hochstimmungen sich mit einem Mal in Leerlaufgefühle verwandeln. Die Nachwuchsplanung wird zum Albtraum, die Partnerschaft unterliegt dem Stresstest, die Teamsitzungen lassen sich nur im Wachkoma bewältigen, und bei der Vorstellung der Arbeitsergebnisse ist wieder die Enge im Brustkorb zu spüren.
    Die Mobilisierung des Könnens in alle Richtungen und auf allen Ebenen wird von der plötzlich auftauchenden Frage nach dem Wollen auf Grund gesetzt. Wozu das alles? Worum geht es im Zweifelsfall? Was will ich im Leben? Das sind die Fragen der Angst um sich selbst, die eine große Erschöpfung mit sich bringen können.
    Man fühlt sich gehetzt, getrieben und angegriffen. Alles wirkt stumpf, matt und reizlos. Man wacht morgens wie gerädert auf, als habe man nicht geschlafen. Der Rest des Ichs, das den Kaffee macht und den Rechner hochfährt, schafft es nicht, sich gegen den selbstzerstörerischen Hang zu wehren, alles infrage zu stellen, unaufhörlich darüber zu grübeln, ob es einen Weg raus gibt, oder die Abgeschnittenheit von den Vorgängen im Betrieb oder Zuhause zu beklagen. Warum um Himmels willen läuft immer alles so schief?
    Offenbar kann die Angst, etwas nicht hinzubekommen, sich ab einem bestimmten Punkt in die Angst verwandeln, alles falsch gemacht zu haben. Der Optimierungswahn verdeckt nur die Existenznot. Der gute Rat, Prioritäten zu setzen, vergisst, dass man dazu Prioritäten empfinden muss.

    (Heinz Bude, Gesellschaft der Angst, S. 94-96)

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    "Edle, freie Unbefangenheit bei Allem. ... Alle übrigen Vollkommenheiten sind der Schmuck unsrer Natur; sie aber ist der der Vollkommenheiten selbst. ... Sie ist mehr als Leichtigkeit, sie geht bis zur Kühnheit: sie setzt Ungezwungenheit voraus und fügt Vollkommenheit hinzu. Ohne sie ist alle Schönheit todt, alle Grazie ungeschickt: sie ist überschwenglich, geht über Tapferkeit, über Klugheit, über Vorsicht, ja über Majestät." (Baltasar Gracián) =>mehr<=
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    hal-croves
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    Als einzelne Person wollen wir insbesondere Freunden und Bekannten gegenüber nicht ängstlich erscheinen. Mit dem Ausdruck von Gefühlen der Hilflosigkeit, der Blockierung und der Lähmung macht man sich nicht gerade attraktiv. Das ängstliche Ich ist kein Individualitätstyp, mit dem man punkten könnte. Das heute popkulturell hochgehaltene Ideal der Coolness kontrolliert sich geradezu an der Zensierung des Ausdrucks von Angst.

    (Heinz Bude, Gesellschaft der Angst, S. 120-121)

    Der Siegeszug von Liberalismus und Demokratie, die Entstehung einer technischen Zivilisation und die Ausbreitung einer historischen Kultur haben eine Gesellschaft hervorgebracht, die nichts als Gesellschaft ist. Die Bezugnahme auf den Anderen hat die Bezugnahme auf eine kosmische Natur oder eine geheime Seele ersetzt. Die Anderen aber sind Himmel und Hölle zugleich: Sie können mich mit ihrer Zustimmung, Aufmunterung und Einfühlung aufrichten und stark machen, sie können mich aber auch mit ihrer Ablehnung, ihrer Missgunst und ihrer Distanzierung beunruhigen und vernichten. Der außengeleitete Charakter hat nichts anderes als die Anderen, die ihm Halt im Leben geben und einen Begriff seiner selbst vermitteln. […] Der Radar-Mensch folgt den Moden, den Vergnügungen, den Erregungen und den Ressentiments der Anderen mit jener Indifferenz, die nötig ist, um bei der nächsten Welle wieder mit dabei sein zu können. Das äußere Mitmachen ohne innere Beteiligung ist hier die Methode, sich der Angst um sich selbst zu entledigen.

    (a.a.O., S. 155-156)

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    "Edle, freie Unbefangenheit bei Allem. ... Alle übrigen Vollkommenheiten sind der Schmuck unsrer Natur; sie aber ist der der Vollkommenheiten selbst. ... Sie ist mehr als Leichtigkeit, sie geht bis zur Kühnheit: sie setzt Ungezwungenheit voraus und fügt Vollkommenheit hinzu. Ohne sie ist alle Schönheit todt, alle Grazie ungeschickt: sie ist überschwenglich, geht über Tapferkeit, über Klugheit, über Vorsicht, ja über Majestät." (Baltasar Gracián) =>mehr<=
    #8674833  | PERMALINK

    hal-croves
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    Das Publikum läßt sich nicht alles gefallen. Es weist eine unmoralische Schrift mit Empörung zurück, wenn es ihre kulturelle Absicht merkt.

    (Die Fackel: Nr. 272-273, 15.02.1909, S. 43)

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    "Edle, freie Unbefangenheit bei Allem. ... Alle übrigen Vollkommenheiten sind der Schmuck unsrer Natur; sie aber ist der der Vollkommenheiten selbst. ... Sie ist mehr als Leichtigkeit, sie geht bis zur Kühnheit: sie setzt Ungezwungenheit voraus und fügt Vollkommenheit hinzu. Ohne sie ist alle Schönheit todt, alle Grazie ungeschickt: sie ist überschwenglich, geht über Tapferkeit, über Klugheit, über Vorsicht, ja über Majestät." (Baltasar Gracián) =>mehr<=
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