Emily Jane White auf der "Treue" in Bremen, 3.11.2010

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  • #72431  | PERMALINK

    carrot-flower
    Moderator

    Registriert seit: 26.09.2007

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    Some enchanted evening, fürwahr! Emily Jane erscheint nicht auf der kleinen Bühne des Veranstaltungsschiffs „Treue“, sie betritt sie. Angetan mit allerlei Gestricktem und einer entschlossen unhippen Ponyfrisur, würde man ihr spontan eher ein staubernstes Plädoyer für ungeborenes Leben oder, wenn schon Musik, strikt Erbauliches zutrauen. Von irgendwo höre ich das Wort „Grundschullehrerin“, und später will es wieder keiner gewesen sein. Denn nun findet natürlich das statt, was man erwarten durfte und was mich immer zutiefst erfreut: Magische Musik-Metamorphose. In dieser unscheinbaren und uneitlen Person haust diese Stimme, hausen diese dunklen Worte, haust der Wille zum Gewitter, haust die Unbehaustheit. Das bannt mich und den Rest der bis dahin schnatterfreudigen Meute sofort, und es folgt eines der schönsten Konzerte, die ich je erlebt habe.

    White verzichtet auf Klavier und Streichinstrumente und wird lediglich von Henry Nagle an der Pedal-Steel-Gitarre bzw. E-Gitarre und einem Bassisten (ob dies James Finch Jr. war, muss mog:wai aufklären) begleitet. Diesen Instrumenten wird viel Raum gewährt, sodass beispielsweise die auf den Alben oft gewittrig drohende E-Gitarre hier richtiggehend losdonnern darf; überhaupt ist es eine Freude, Nagle zuzusehen, so ernsthaft und entspannt ist er bei der Sache. Der Bassist, wenngleich von zaghafter Erscheinung, entlockt dem E-Bass zuweilen einen celloartigen Klang, der für allerhand Ellenbogenstöße sorgt. Insgesamt ein etwas rauerer Gesamteindruck, der allen Stücken sehr gut tut, die ansonsten recht nah an den Albumfassungen sind. Das royale Gepräge, das viele Tracks (wie „Victorian America“) durch Streicher und schreitende Rhythmen haben, habe ich hier nicht vermisst.

    Es ist das erste Konzert dieser auf 50 Tage angelegten Tour, und das merkt man den Musikern auch durchaus an; es klappert mal, mal lügen die Monitorboxen, sodass die Intonation schrägliegt. White wirkt recht ruhig, aber ihr sehr spezieller Gesangsstil wird anfangs durch Nervosität ein bisschen torpediert: Sie haucht ja stets sehr stark, zugleich presst sie die Töne stark akzentuiert hervor, und damit zwischen diesen „Schubsern“ noch etwas tönt, braucht man eine Menge Luft. Diese fehlt manchmal, sodass der Gesang etwas abgehackt wirkt. Später gibt sich das, und auch die steil angesetzten Töne gelingen wunderbar.

    Dadurch, dass auf ein Piano verzichtet wurde, fallen natürlich einige Songs aus, die ohne das Instrument wohl nicht befriedigend umsetzbar sind. Dass das ausgerechnet meine Lieblingssongs sind, ist ein kleiner Wermutstropfen für mich (kein „Demon“, keine „Wild Tigers“, kein „Frozen Heart“). Auch „Red Dress“ nicht, dafür „A Shot Rang Out“, „Bessie Smith“ und „Stairs“ (für das es, neben „The Ravens“, den meisten Beifall gibt). Von den Songs des neuen Albums (das ich noch nicht hundertprozentig im Ohr habe) stechen „California“ und „The Cliff“ heraus.

    In all der melancholischen Beschaulichkeit gibt es für mich auch einen kleinen schrägen Moment: Country und speziell die Pedal Steel sind nur in kleinen Dosen etwas für mich, doch umso wundersamer die Wirkung bei „Country Life“, in dem die schlingerne Pedal Steel so wunderbar mit dem leichten Schlingern des Schiffs korrespondiert, die Lüster schaukeln, das Publikum besumst hin und her wankt. Ein Moment für mein Buch der Momente.

    Die Tour hat gerade erst begonnen: Geht hin!

    Setlist mag übrigens gern jemand anders hinzufügen, ich wollte nicht mitschreiben.

    --

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    #7801695  | PERMALINK

    mikko
    Moderator
    Moderator / Juontaja

    Registriert seit: 15.02.2004

    Beiträge: 34,399

    Vielen Dank für diesen tollen Bericht, Carrot!

    Ich kann mir das Konzert ziemlich gut vorstellen, obwohl ich nicht mal die Musik kenne. – Welche Platte von Emily Jane White empfiehlst Du als Einstieg?

    --

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    #7801697  | PERMALINK

    carrot-flower
    Moderator

    Registriert seit: 26.09.2007

    Beiträge: 3,122

    Gern, die Begeisterung musste raus…

    Ich mag die ersten beiden Alben gleich gern, am ausgereiftesten ist aber wohl das zweite, „Victorian America“ (zu dem es hier auch einen Thread gibt). Ich kann mir gut vorstellen, dass dir diese Musik gefällt.

    --

    the pulse of the snow was the pulse of diamonds and you wear it in your hair like a constellation
    #7801699  | PERMALINK

    mikko
    Moderator
    Moderator / Juontaja

    Registriert seit: 15.02.2004

    Beiträge: 34,399

    Vielen Dank, ich werd‘ mich mal darum kümmern.

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    Twang-Bang-Wah-Wah-Zoing! - Die nächste Guitars Galore Rundfunk Übertragung ist am Donnerstag, 19. September 2019 von 20-21 Uhr auf der Berliner UKW Frequenz 91,0 Mhz, im Berliner Kabel 92,6 Mhz oder als Livestream über www.alex-berlin.de mit neuen Schallplatten und Konzert Tipps! - Die nächste Guitars Galore Sendung auf radio stone.fm ist am Dienstag, 17. September 2019 von 20 - 21 Uhr mit US Garage & Psychedelic Sounds der Sixties!
    #7801701  | PERMALINK

    tops
    This charming man

    Registriert seit: 04.05.2003

    Beiträge: 3,598

    Wirklich schöner Bericht, Carrot Flower. Danke. Gern wäre man dabeigewesen. Wie nah war denn „Bessie Smith“ an der LP-Version? Und: war „Dark Undercoat“ überhaupt noch anderweitig repräsentiert?

    Eine Pedal-Steel-Schwalbe macht übrigens noch keinen Country-Sommer, auch dann nicht, wenn „Country Life“ besungen wird. Will sagen: von Country Music ist Emily Jane weit entfernt. Oder bezieht sich Deine bedauerliche Belastbarkeitsgrenze bereits auf die schlichte Instrumentation?

    Die Diskrepanz zwischen äußerem Erscheinungsbild und musikalischer Substanz, zwischen „allerlei Gestricktem“ nebst „Ponyfrisur“ und diesen doch mehrheitlich tiefgründig-schattigen Songs, scheint mir ein feminines Phänomen zu sein. Ich habe das oft beobachtet, von Mary McCaslin bis Marissa Nadler. More than meets the eye. Bei performierenden Männern tut sich da eher selten ein Widerspruch auf: what you see is what you get. Auf eine Frage nach dem Wieso wüßte ich freilich keine schlüssige Antwort.

    Schließlich würde mich interessieren: gab es 7″Singles am Merchandising-Stand (es sollen bei Gigs im UK unlängst welche angeboten worden sein)?

    --

    #7801703  | PERMALINK

    irrlicht
    Nihil

    Registriert seit: 08.07.2007

    Beiträge: 31,445

    Sehr schön, Carrot, damit treibst Du nun natürlich meine Vorfreude in höchste Höhen. Am Sonntag werde ich auch lauschen.

    --

    Hold on Magnolia to that great highway moon
    #7801705  | PERMALINK

    carrot-flower
    Moderator

    Registriert seit: 26.09.2007

    Beiträge: 3,122

    topsWie nah war denn „Bessie Smith“ an der LP-Version? Und: war „Dark Undercoat“ überhaupt noch anderweitig repräsentiert?

    Durch das fehlende Schlagzeug war eine stärkere Akzentuierung per Gitarre nötig, insgesamt wirkte der Song dadurch noch etwas drängender, er hat für mich dadurch sehr gewonnen. Leider war „Dark Undercoat“ stark unterrepräsentiert, immerhin gab es noch „Dagger“ und „Time On Your Side“ zu hören.

    Meine bodenlose Unkenntnis, was Country betrifft, kann und mag ich nicht leugnen (im memoriam eines gewissen Threads), ich assoziiere lediglich die Pedal-Steel-Gitarre bei „Country Life“ stark damit. Hat sich also was mit Country-Moment, ok…

    Am Merchandising-Stand gab es keine 7“ Singles, dafür wahnwitzigerweise Stoffbeutel.

    --

    the pulse of the snow was the pulse of diamonds and you wear it in your hair like a constellation
    #7801707  | PERMALINK

    carrot-flower
    Moderator

    Registriert seit: 26.09.2007

    Beiträge: 3,122

    IrrlichtSehr schön, Carrot, damit treibst Du nun natürlich meine Vorfreude in höchste Höhen. Am Sonntag werde ich auch lauschen.

    Verschwiegen habe ich, dass in Bremen eine gewisse Haruko im Vorprogramm spielte, du wärst vermutlich geschmolzen.

    Bitte berichte doch nach Sonntag hier deine Eindrücke, ja?

    --

    the pulse of the snow was the pulse of diamonds and you wear it in your hair like a constellation
    #7801709  | PERMALINK

    irrlicht
    Nihil

    Registriert seit: 08.07.2007

    Beiträge: 31,445

    Carrot FlowerVerschwiegen habe ich, dass in Bremen eine gewisse Haruko im Vorprogramm spielte, du wärst vermutlich geschmolzen.

    Leider sonst nur in Kiel, wie ich eben gelesen habe. Wäre natürlich traumhaft gewesen. :liebe:

    Carrot FlowerBitte berichte doch nach Sonntag hier deine Eindrücke, ja?

    Versteht sich doch von selbst.

    --

    Hold on Magnolia to that great highway moon
    #7801711  | PERMALINK

    foe

    Registriert seit: 16.11.2007

    Beiträge: 4,794

    Ja, ääh, ein wirklich feiner Bericht, Carrot Flower. Danke.

    Ich hatte ja im Vorfeld leise Zweifel, ob Emily ihre Qualitäten auch live entfalten könnte. Wie ich deinen Beschreibungen entnehmen kann, waren die wohl eher unbegründet. Sie kann es also. Und der Veranstaltungsort scheint ja auch gut ausgewählt zu sein. Ein Konzert auf einem Schiff? Ich möchte gerne auch zu schöner Musik auf einem Schiff besumst hin und her wanken.

    --

    #7801713  | PERMALINK

    natsume

    Registriert seit: 24.07.2005

    Beiträge: 5,562

    Carrot Flower[…] es folgt eines der schönsten Konzerte, die ich je erlebt habe.

    Danke für den Bericht. Ganz ähnlich erging es mir letztes Jahr in Berlin.
    Und im Doppelpack mit Haruko? Ich beneide dich! Kannst du vielleicht
    noch zwei, drei Worte zu ihr schreiben?

    --

    #7801715  | PERMALINK

    carrot-flower
    Moderator

    Registriert seit: 26.09.2007

    Beiträge: 3,122

    Ja, gern, obwohl mir da ein bisschen das Herz blutet. Ich finde ja, dass Harukos Musik einen ganz besonderen Zauber hat („Autumn, Golden Trees“ wird ewig einer meiner Lieblingssongs bleiben), aber dieser Auftritt war für mich ein Overkill an naivem Charme. Speziell die Lyrics haben mich diesmal richtiggehend gestört. Für mich muss, wenn schon die Musik bewusst simpel gehalten ist, wenigstens in den Texten ein reflexives Moment liegen. Ich habe durchaus eine Schwäche für Märchenhaftes und Naturbilder, doch mit der doppelgleisigen Naivität von Text und Musik komme ich nicht klar, wenn mir das eine erwachsene Frau darbietet. Ich finde an Emily Jane White auch die Lyrics sehr beeindruckend, insofern war der Kontrast einfach sehr groß (auch, wenn klar ist, dass White als Muttersprachlerin grundsätzlich ganz andere Möglichkeiten hat). Harukos Stimme ist jenseits aller Kritik, darin liegt für mich auch ihre Einzigartigkeit, doch diese vermittelt allein schon einen solch mädchen- und märchenhaften Charme, dass mir alles, was in dieselbe Kerbe schlägt, zu viel ist.

    --

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    #7801717  | PERMALINK

    mogwai

    Registriert seit: 16.11.2003

    Beiträge: 1,876

    carrot, deine eindrücke zu emily kann ich fast durchgehend unterstreichen. einziger unterschied bei mir: ich fand die pedal steel (die ja nur bei wenigen songs zum einsatz kam) sehr gut. für mich hat das nochmal eine andere ebene in das set gebaut, die mir wirklich gefallen hat.

    ansonsten hat mich das konzert wirklich beeindruckt. alle gespielten songs haben durch die konzentriertere instrumentierung in meinen ohren klar gewonnen. (besonders ist mir das bei den songs von victorian american aufgefallen. das album gefiel mir persönlich ja nicht so gut wie das debüt. nach dem gig habe ich victorian america allerdings wieder mal aufgelegt und hatte einen ganz anderen zugang gewonnen.) henry’s stil an der e-gitarre passt perfekt zu emilys songs. am e-bass war nicht james finch jr, den namen des spielers habe ich leider schon wieder vergessen. zumindest ist er franzose und erst ein paar tage vor dem gig zur band gestoßen und angelernt worden. (vorher hatte er noch nie mit emily gespielt)

    sehr schade finde ich natürlich, dass dir unser set im vorprogamm nicht so sehr zugesagt hat, carrot. aber nun… deine kritik kann ich schon nachvollziehen. als beteiligter nehme ich harukos musik ja eh auf einer ganz anderen ebene wahr und weiß auch nicht genau, wie die konzerte „draußen“ ankommen. allerdings weiß ich, dass es mir immer sehr, sehr viel spaß macht mit ihr zu spielen. (v.a. wenn ich sie mit e-gitarre begleite. das ist z.zt. wegen bandscheibenvorfall aber nicht möglich. verstärker schleppen würde mich umbringen.)

    --

    #7801719  | PERMALINK

    carrot-flower
    Moderator

    Registriert seit: 26.09.2007

    Beiträge: 3,122

    mog:waiich fand die pedal steel (die ja nur bei wenigen songs zum einsatz kam) sehr gut. für mich hat das nochmal eine andere ebene in das set gebaut, die mir wirklich gefallen hat.

    Ich habe dieses Instrument durch das Konzert auch ganz anders und deutlich positiver wahrgenommen als bislang, durch den insgesamt rustikaleren Klang hat es für mich gewonnen, und außerdem machte es großen Spaß zu sehen, wie es gespielt wird.

    alle gespielten songs haben durch die konzentriertere instrumentierung in meinen ohren klar gewonnen.

    Das sieht mein Freund ebenso, ich selbst mag viele kleine Ornamente auf den Alben auch sehr gern (und das Klavier, das Klavier!), insofern kann ich nicht gewichten. Insgesamt ist es aber bereichernd, wenn ein Konzert andere Fassungen von Songs präsentiert und ihnen einen anderen Charakter verleiht. Für mich haben vor allem „Dagger“ und „Bessie Smith“ gewonnen, ich habe vorher gar nicht gehört, wie wunderbar ersteres ist.

    Sag mal: Hat sie „Hole In The Middle“ gespielt? Ich wünschte, ich hätte doch mitgeschrieben.

    --

    the pulse of the snow was the pulse of diamonds and you wear it in your hair like a constellation
    #7801721  | PERMALINK

    mogwai

    Registriert seit: 16.11.2003

    Beiträge: 1,876

    ich bin mir zwar nicht sicher, aber ich glaube sie hat hole in the middle tatsächlich ausgelassen. dagger, bessie smith und time on your side waren, zumindest wenn meine erinnerung micht nicht trügt, die einzigen songs des debüts. ich hätte mir zwar mehr aus dark undercoart gewünscht, kann aber nachvollziehen dass man zur promo des dritten albums das debütalbum nicht mehr allzu stark berücksichtigt. nichtsdestotrotz war es natürlich ein sehr schönes set! und da mir einige perlen vom zweiten album erst beim konzert wirklich bewusst geworden sind, war das set vielleicht doch grade richtig für mich. ; )

    zum rustikaleren klang der pedal steel: henry hatte ein (sehr sparsam eingestelltes) distortion-pedal zwischengeschaltet. dadurch klang die pedal steel ein klein bisschen erdiger, als man es eigentlich gewohnt ist. gute idee!

    hast du dir das neue album eigentlich mitgenommen? mich würde deine meinung dazu sehr interessieren. (gerne dann im thread zur platte) wir haben ein exemplar davon geschenkt bekommen und ich höre es in den letzten tag sehr regelmäßig, möchte meine meinung dazu aber noch nicht „manifestieren“.

    --

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