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pharoah sanders an der westküste, live und im studio:
7.9./9.9.1973: auftritte im legendären l.a. blues club „ash grove“ (der im gleichen jahr nach anschlägen von exilkubanern schließt), aus dem material wird ELEVATION montiert (plus einem kurzen stück, das am 13. im studio entsteht)
11.9.1973: auftritt im keystone korner in san francisco (ein mitschnitt zirkuliert)
13.9.1973: session, auf der „greeting to saud (brother mccoy tyner)“ eingespielt wird
14.9.1973: session in wally heiders studio in san francisco, bei der der rest von VILLAGE OF THE PHAROAHS eingespielt wird.
ELEVATION ist ein ziemlich aufregender flickenteppich. die beiden langen stücke „elevation“ und „the gathering“ sind ausufernde improvisationen über catchy themen, die man nach einmaligem hören noch tagelang im kopf hat. sanders‘ ton ist nochmal gravitätischer geworden, von großer melancholie auch. bonner kriegt zwischendurch oft einen anfall und spielt cluster-free-jazz wie bestellt, bevor endlich der themen-vamp wiederkommen darf, den der neue bassist calvin hill fest im griff hat. der neue drummer michael carvin sucht noch seinen platz in der band, die aufnahme an sich ist irgendwie verunglückt und hat eine falsche räumlichkeit, die sowieso alles phasenweise zu brei macht. dann gibt es wieder einen afrika-seligen gassenhauer, ein indisches drone-stück (sanders‘ frau spielt das harmonium, das irre resonanzen mit einer tambura erzeugt) und eine schöne, drangeklebte meditation über ein paar klavierakkorde, die besagte tyner-hommage aus dem studio. „the gathering“ ist allerdings eins der schönste stücke bisher in der sanders-diskografie, das völlig aufreizend zwischen fröhlichkeit, melancholie und exzess hängen bleibt.
der keystone-korner-auftritt mit bonner, hill und drei drummer/percussionisten (hopps, killian und carvin) präsentiert außerdem eine sängerin namens sedatrius brown, die in einigen aufnahmen, die ich von ihr gefunden habe, auch orgel spielt.
bei den studioaufnahmen ist brown auch dabei, neben bonner, hill, killian und hopps tauchen noch kenneth nash (perc) und jemand namens „kylo kylo“ an der tambura auf. die „village-of-the-pharoahs“-suite fängt mit einem modalen brachialstück auf den akkorden von coltranes OLÉ an, das ich einschließlich sanders‘ sopransax-solo ziemlich einfallslos finde, abgesehen davon, dass noch eine tambura mitspielt, die teil 2 dann so richtig dominiert. indischer flamenco. im abschließenden teil 3 kommen dann männerstimmen zum gesumme und gejohle von brown dazu. ausfasern tut das ganze in einer merkwürdigen percussion-etüde mit gehauchten abschiedsgrüßen. insgesamt kein opus magnum.
im knapp 2-minutigen „myth“ geht es ähnlich weiter, wobei der gesang jetzt kulturell unbestimmt irgendwas zwischen indien, native america und marokko anspielt. für abwechslung auf dem album sorgen nun die bereits 1 bzw. 2 jahre alten stücke „mansion worlds“ und „memories of lee morgan“, bevor der rausschmeißer „went like it came“ wohl ein klassischer blues-shuffle und audience pleaser sein soll. VILLAGE ist ein restealbum, orientierungs- und auch etwas belanglos, hiernach ging es für sanders auf impulse nicht mehr weiter.
1974 kam dann noch LOVE IS EVERYWHERE auf, das wahrscheinlich auf früheren sessions aufgenommen wurde.
unbekanntes aufnahmedatum, 1973 (?)
die langversion von „love is everywhere“ und „to john“. angeblich soll das wieder die band bonner, branch, mcbee, connors, killian, mtume und badal roy sein, aber branch und roy sind nicht zu hören. in „to john“ sind dagegen zwei bässe dabei, außerdem eine trompete und ein weiteres tenorsax – also ist das wohl die BLACK-UNITY-besetzung und die aufnahme damit von 1971. auf dem albumcover fehlen die credits gänzlich.„love is everywhere“ wird nach dem auslaufen des themas nach 5 minuten von bonner nochmal neu aufgebaut, mit langsamem wiedereinstieg der gesamten band. in halbem tempo ändert das stück deutlich seinen charakter und wird zu einer sanft wogenden hymne, die durch die einfallsreiche rhythmusgruppe niemals langweilig wird.
„to john“ hat den standardisierten sanders-hymnen-anfang und geht dann ziemlich schnell in eine wilde freie kollektivimprovisation über. die bläser und bonner sind phasenweise merkwürdig verhallt aufgenommen, man wollte das wohl als space-musik konfektionieren. das ist alles hübsch und ziemlich dringlich gespielt, reines playing ohne thema, mit klassischer solo-abfolge. der sanders‘-hymnen-einstieg kommt am ende einfach nochmal.
so schön das für sich ist – was ist das für eine merkwürdige veröffentlichungspolitik? hat man sanders irgendwann schnell rausgekickt, restmaterial rausgehauen und keine sorgfalt mehr auf die ausstattung gelegt? von ed michel hätte ich eigentlich besseres erwartet. und das hieß wohlauch, dass sich sanders‘ musik 1973 nicht mehr verkaufte.
interessant jedenfalls war 1973 noch dieser gast-auftritt:
für das perception-label, das kurz nach der aufnahme konkurs anmeldete und dieses album sterben ließ, bevor es in die zirkulation graten konnte, ist impulse-exklusiv-noch-star sanders ein als „mystery guest“ aufgeführter prominent beteiligter musiker in einer illustren runde u.a. aus james „blood“ ulmer, juini booth, don pate, cedric lawson und jumma santos, in einem wild geremixten jazzrock-reigen, der mittlerweile wohl hinreichend als meisterwerk rehabilitiert ist. schon im afro-jazz-einstieg „sunshine fly away“ liefern sich young und sanders wilde jagden durch das groove-set, das sich wohl am ehesten mit den miles-bands dieser zeit vergleichen lässt. in „khalid of space“ ist er auf dem sopransax zu hören, völlig bei sich, im tonalen material bleibend, seine mit schönheit aufgeladenen einfache linien durch den groove schickend, um den es hier eigentlich geht. youngs irre orgelsounds bleiben in ihrer rohheit und schärfe die hauptattraktion hier, aber das ganze gebräu ist in seiner hipness unvergleichlich. im tollen closer „hello your quietness“, in dem sich mehr und mehr ein sanfter latin groove durchsetzt, darf sanders seinen tenor-ton noch mal schweben lassen und tatsächlich setzt er den letzten schönen ton.
danach wird es diskografisch stiller um sanders, hin und wieder sind live-aufnahmen dokumentiert. er zieht, soweit ich weiß, 1974 nach detroit, es folgen ein paar auftritte mit leon thomas. mal sehen, was ich davon finde.
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WerbungDanke einmal mehr – und ich hoffe, Du machst weiter!
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Was „Love In Us All“ betrifft habe ich mir zum Line-Up noch gar nie Gedanken gemacht … ich habe inzwischen das japanische Remaster von 2014 da:
https://www.discogs.com/de/Pharoah-Sanders-Love-In-Us-All/release/8498061
Da gibt es eine Liste der Musiker nur in Japanisch, aber es ist wohl dieselbe wie beim Discogs-Eintrag und ergo auch nicht weiter hilfreich. Und das ist auch mal wieder ein Fall, wo alle einfach einander abzuschreiben scheinen.—
Was das Ende von Impulse betrifft, tippe ich mal ein wenig (die Kapitelüberschrift davor lautet „The last wave rises …“):
… AND CRASHES
As 1974 wore on, it was clear that Steely Dan, Jim Croce, and Chaka Khan (with her group, Rufus) were ABC’s sole hitmakers, and were pulling the company along. But together they could not offset the overextension of resources and chronic mismanagement that its other labels were suffering at the time, including multi-million-dollar contracts for superstar artists whose output never returned the investment. Part of the blame, according to Phil Kurnit, lay with ABC corporate back in New York City.
They saw records as becoming a billion-dollar industry in the U.S. [and] said to ABC, „Do all the things you can to expand the record division and be as aggressive as possible.“ Lasker ran with that [Jay Lasker: ein kurzer Nachruf mit ein paar Infos]. For example, Lasker bought a lot of distributors so ABC really had a branch distribution system [by the mid-seventies]. They had only a little fragment of it under Newton.
Lasker began looking to import hit-producing formulas from outside the company. He began pestering Backer about a sales-topping jazz label run by the man who, ironically, had founded Impulse.
„By 1974, we were going through the down cycle,“ Backer says [Steve Backer – noch ein Nachruf]. „They were cutting their losses. Pharoah Sandes was the best-paid of Impulse at the time–his contract was not renewed. The pressure to equal the success of Creed Taylor at CTI put a different spin on my being able to move forward at the pace that I wanted to. I loved CTI’s records–Freddie Hubbard’s Red Clay, Grover Washington Jr.’s stuff–it was highly produced and highly glossed. The packaging was the Impulse idea taken to the extreme, but the artistry and the production work was different than everybody else in jazz at that point. CTI was the high point of the entire fusion situation.“ [Für alle Fälle: Wir haben hier auch einen CTI-Thread]
Taylor’s winning formula had been to recruit a tight cadre of jazz veterans (Milt Jackson, Stanley Turrentine, Hank Crawford, Hubert Laws, Ron Carter) with an updated repertoire of „standards“ (well-known rock and funk melodies) and employ pop production standards (and budget), adding string arrangements and the like. CTI’s unabashed pop sensibility earned critical reproach yet solid sales, and eventually caught Lasker’s attention.
I remember one meeting specifically, because Jay hat a way of mispronouncing artists‘ names, and so he started by saying, „You know what, Steve? Creed Taylor is really doing well–I should have listened to you, we should have signed that Chuck Corea and Stanley Turpentine“ [laughs]. I said, „Yeah, I guess we should’ve Jay.“
But the writing was on the wall: for the first time in the label’s history, ABC brass was looking to influence the general direction of Impulse.
Before 1974 ended, Steve Backer departed ABC to pursue a leading jazz role at former CBS Records president Clive Davis’s newly formed Arista Records, striking the art-commerce balance anew with a wider view than his acoustic-based approach at Impulse. He was successful almost immediately.
I went to meet with [Davis] about starting a jazz division with him, and we came to terms. It seemed this would be a very aggressive thrust into the marketplace, and that I would have complete artistic latitude. I signed [avant-garde saxophonist] Anthony Braxton, and the Brecker Brothers. … [Tenor saxophonist] Michael Brecker and Randy [his trumpet-playing brother] added amplification to their instruments, so they were a terrific, qualified sort of fusion band that was immensely successful. They sold a quarter-million albums by their second album.
Meanwhile, back at ABC, Ed Michel continued his various studio efforts. His duties at BluesWay had crested in 1973 with the release of a whopping thirty-four albums over a two-year period, spurred by a production and licensing deal with former Vee Jay Records president Al Smith. Included were a plethora of blues musicians like Sunnyland Slim, produced by Smith; others, like Earl Hooker, Charles Brown, and Jimmy Witherspoon, produced by Michel; and John Lee Hooker, whose rock-blues efforts were overseen by Bill Szymczyk. There were also best-of’s from BluesWay’s first wave, plus reissues from the recently acquired catalogs of Vee Jay, featuring Jimmy Reed, and the Houston-based Duke/Peacock, with classic recordings by Bobby Bland, Junior Parker, and other R&B stars.
For Impulse, Michel balanced a year’s worth of new titles by the label’s leading artists (Jarrett, Barbieri, Klemmer, White, and Rivers) with in-the-can recordings from Sanders (Village of the Pharoahs [AS-9254], Elevation [AS-9261], Love In Us All [AS-9280]) and Shepp (Kwanza [AS-9262]) and a final psychedelic jazz disc from guitarist Howard Roberts (Equinox Exrpess Elevator [AS-9299]). There were more best-of titles (Re-Evaluation two-fers on Albert Ayler, Coleman Hawkins, Yusef Lateef and Ahmad Jamal) and the increasingly popular Coltrane gems from the vault: Live in Japan [AS-9246-2], Africa/Brass Sessions, Volume 2 [AS-9273], and Interstellar Space [AS-9277].
„I knew there was more unissued stuff when I put out Interstellar Space–which got everybody really excited,“ Michel states. „But I didn’t last much past that.“
As Backer had felt the winds shifting, so Lasker’s turn came to be buffeted. Leonard Goldenson (Nachruf, Wiki), focused primarily on the day-to-day affairs of ABC’s TV network, had left his position as chairman, leaving his assistant Marty Pompadour to deal with the record division. Spying the decrease in ABC Records‘ bottom line, Pompadour had taken the bold move to creating an office above Lasker: his choice was the accountant and business manager Jerry Rubenstein.
„Pompadour felt that Lasker was old hat,“ Phil Kurnit recalls. „He was enamored with Rubenstein, with whom he did a lot of business. Rubenstein was a very bright guy, and a C.P.A. He had something to do with Crosby, Stills, Nash and Young; Poco; and had been handling everything for Mama Cass, who had already passed away. Lasker said, ‚You’re in breach of contract‘ and walked out. It was a surprising move for Pompadour to make and it was a surprising move for Lasker to make, which proved to be Lasker’s undoing in the end. And it proved Pompadour’s undoing–he ultimately was out, and a large part of it was because of what happened with the record division.“
The opening weeks of 1975 saw the news go public in Billboard, while the effect blew hard through ABC’s offices.
„The whole company flushed,“ reports [Dennis] Lavinthal. „It really happened when Jerry Rubenstein came in. Here was a guy who knew very little about the music business but had a lot of clients as a business manager. This is not a story that hasn’t been repeated ad infinitum in the music business over the last thirty years. Corporate guys bring in non-music people to run the record companies, and they toilet them because it’s not a business that you can run with M.B.A.’s and accountants. It’s a feel business.“
In a matter of weeks, all ABC staff linked to Lasker were let go in a regime change.
„Jay Lasker was out, a new team was in, and i was one of Jay’s boys so I was hasta la vista, but I wouldn’t leave the studios. I was working fifty-hour days!“ remembers Michel with a laugh. „I finally had to come back to the building for something and they found me to tell me I was fired. People said, ‚If they knew where you were you would have been fired six weeks ago.'“
Michel remembers that he was let go sometime in early 1975. The House That Trane Built–as an active enterprise operating with the same consistent vision–effectively ended, awaiting tenants and direction from a new landlord named Rubenstein. Goldenson and ABC’s shareholders would soon be forced to divest ABC of its record division. Michel and Lavinthal would continue on their respective paths in the music business. Lasker would jump to the helm at other labels, including Arista and Motown.
Phil Kurnit sums it up: „Lasker survived, ABC ultimately didn’t. Where Impulse figured into any of this, who knows?“
aus: Ashley Kahn: The House That Trane Built. The Story of Impusle Records, New York/London, 2006, S. 256f. & 260f. (S. 258/59 ist eine Doppelseite über Sam Rivers‘ Album „Crystals“)
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Lavinthal, dessen Vater Lou den Vertrieb von ABC leitete, kam jung zum Label und wird bei Kahn (S. 238) so über Michel zitiert:
„My recollection [of Impulse] is a catalog company with Ed Michel making some quirky records and smoking some good weed,“ says Lavinthal. „There were some fun experimental projects that took place–a Howard Roberts album called Antelope Freeway. At the same time, Impulse was this avant-garde, non-melody expression of strong emotion.“
Was in Kahns Buch auch recht klar hervortritt und auch in der längeren Passage oben angedeutet wird, ist der „boardroom divide“ (S. 239) bei ABC: zwischen dem „ABC Brass“ in der Geschäftsleitung und denen, die Platten produzierten, gab es schon zu Beginn mit Bob Thiele eine riesige Distanz. Ein „natural match“ für Impulse war ABC noch nie, aber dort hatte halt damals Creed Taylor so erfolgreich gewirkt, dass man ihn machen liess, als er Impulse auf die Beine stellen wollte. Bob Thiele, der nach dem halben Dutzend von Taylor verantworteten Alben (dieser übernahm 1962 unter dem neuen Besitzer MGM die Leitung von Verve Records, das dessen Gründer Norman Granz gerade veräussert hatte) bei Impulse übernahm und bis zum Ende des Jahrzehnts das Label prägen sollte, wird bei Kahn im Kontext mit dem Bruch, der sich abzeichnete – gemäss Thiele ein „defining point in his career“ (Kahn paraphrasiert die Autobiographie, S. 199) – bei der Louis Armstrong-Session, die „What a Wonderful World“ zeitigte, so zitiert:
In Thiele’s view, „I fought for the black musicians all my life. … What happened in the last few years with me at ABC, the musicians, when they couldn’t get what they wanted, the only person they had contact with was me. And they would blame me, not knowing I was the only one fighting for them all the time.“
Der Präsident von ABC-Paramount, Larry Newton, Thieles grosser Kontrahent, wollte von Armstrong keine Ballade sondern einen Dixieland-Kracher à la „Hello, Dolly!“ … die Single kam ohne grossen Werbeaufwand heraus und wurde erst 1988 zum Hit, als sie im Film „Good Morning, Vietnam“ verwendet wurde. Und klar, ein Plattentitel wie „Liberation Music Orchestra“ – das schon in die Abnabelungsphase von Thiele fällt, als auf den Alben beim Produzenten-Credit stand: „Bob Thiele, for Flying Dutchman Production“, aber Haden trat in diesem Fall selbst als Produzent auf – passte den „suits“ in der Teppichetage von ABC mit ihren überaus konservativen Ansichten ganz und gar nicht in den Kram.
In dieser Zeit, als Thiele schon mit einem Fuss zur Tür raus war, haute er ironischerweise noch den letzten grossen kommerziellen Erfolg für das Label raus: Pharoah Sanders‘ Album Karma (AS-9181), „a one-off, two-track album that stood out–particularly on free-form rock radio–with the singular yodeling technique of vocalist Leon Thomas, and proved to be in tune with the spiritual uplift of the day. As underground and college deejays began to program the album’s hit tune, „The Creator Has a Master Plan,“ Karma became the successor–in message, sales, and episodic length–to A Love Supreme.“ (S. 200f.)
Thiele hatte Sanders schon 1965 unter Vertrag nehmen wollen, doch er hörte immer wieder dieselbe Antwort: „What kind of crap is this? This isn’t going to sell.“ – die Widerstände verschwanden selbst beim Erfolg von Karma nicht, das immerhin zwölf Wochen an der Spitze der Jazz-Charts von Billboard stand, wie Thiele sich gemäss Kahn erinnert. Doch nach dem unerwarteten Erfolg hiess es von Seiten des Präsidenten von ABC plötzlich: „‚Hey, did we sign that Pharoah Sanders?‘ I replied, ‚No, you didn’t want to.‘ ‚Oh,‘ he said, ’sign him up now; he’s hot, let’s get him.'“ (S. 201).
Steve Backer, der 1969 zum Label stiess (er kam vom wesentlich jüngeren Verve, wo er z.B. mit Laura Nyro zu tun hatte – Creed Taylor ging zwar 1967 zu A&M, aber im selben Jahr installierte er bei Verve auch das Folk-Sublabel Folkways, das Platten von Nyro, Richie Havens etc. herausbrachte), hatte die Idee, College-Package-Touren zu organisieren, die als langfristige Anlage Impulse-Musiker als Performance-Künstler an Colleges und in Rock-Clubs brachte. Tickets wurden billig verkauft, weil das ganze den Anzügen von ABC erfolgreich als langfristiges Investment verkauft werden konnte. Dabei waren zunächst bei einer „experimental regional tour“ Pharoah Sanders, Alice Coltrane, John Klemmer und Michael White. Später folgte eine Tour durch das ganze Land, bei der auch noch Archie Shepp dazustiess (in der Zeit hatten Charles Lloyd, Miles Davis, Rahsaan Roland Kirk, Cannonball Adderley und ein paar andere schon den Gang in die Rock-Arenas genommen und spielten in den Fillmore-Clubs in New York und San Francisco). Diese Tourneen halfen, Impulse-Platten abzusetzen und Backer wurde zum „general manager“ des Labels (ähm, mit Prokura, wie sexy ist das denn).
Backer war es, der – ahnungslos im Jazzgeschäft aber ein grosser Liebhaber der Musik und Coltrane-Fan – als erstes mal fünf grossartige Musiker für das Label verpflichten konnte (1972/73): Gato Barbieri, Keith Jarrett, Marion Brown, Dewey Redman und Sam Rivers. Er löste damit in Kahns Worten (S. 244) „the last great avant-garde wave on Impulse“ aus – in derselben Zeit etwa, in der die letzten direkt Coltrane verbundenen Musikern – Alice Coltrane, Archie Shepp und Pharoah Sanders – ihre Verbindungen zum Label allmählich lösten.
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Ob das alles noch in den Sanders-Thread gehört? Irgendwie schon, man kann es ja im Bedarfsfall auch noch in den Impulse-Thread rüberholen.
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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #158 – Piano Jazz 2024 (Teil 1) - 19.12.2024 – 20:00; #159: Martial Solal (1927–2024) – 21.1., 22:00; #160: 11.2., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tbawow, tausend dank, natürlich gehört das in den sanders-thread! ich habe kahn irgendwann mal gelesen, aber seine darstellung der schlussphase war mir nicht mehr präsent.
was ja dazu passt, hier aber nicht erwähnt wird, ist ja das sun-ra-debakel bei impulse (wobei es sich ja irgendwie doch am ende ein bisschen für ra lohnte, mal mit impulse zu tun gehabt zu haben). was ich gar nicht mehr wusste, ist, dass es ja auch ed michel war, der 1972 den riesendeal mit alton abraham abschloss – 30 saturn-übernahmen, neue aufnahmen, ein sampler, wovon am ende nur ein bruchteil umgesetzt wurde. die neuen aufnahmen (AFRO BLACK usw.) wurden von michel und abraham gemeinsam für abc produziert. dann, 1975, war plötzlich schluss – die re-issues wurden abgesagt, die bereits erschienenen sachen flogen aus dem label-katalog und landeten in den grabbelkisten der plattenläden, obwohl sie erst kurze zeit auf dem markt waren. szwed recherchierte da nicht weiter, sun ra hatte, das kann man an seinen interviews ablesen, offensichtlich auch keine ahnung, was da eigentlich bei abc los war.
hier erfährt man nun, was 1975 los war. und das gejammer von thiele, michel usw., dass sie immer druck von oben bekommen haben, aber genauso bei den musikern in die rolle der label-agenten rutschten, die was versprechen und dann nicht halten, kann man schon gut nachvollziehen.
und backer war also der mann, der steve coleman zu rca gebracht hat. das war mir vorher auch nicht klar. es gab ja auch noch den sanders-kommerz-versuch auf arista, LOVE WILL FIND A WAY, aber das war wohl eher auf norman conners‘ mist gewachsen, der sowas ja schon für buddah produzierte und nach deren konkurs zu arista ging.
jedenfalls: sanders 1975 abzusägen, war wohl tatsächlich ziemlich dumm. letztlich ist er bis heute mit diesem programm unterwegs und kann durch seine verbindung coltrane-impulse-spiritual jazz immer wieder mal erfolgreich reaktiviert werden (wie in den 90ern kurz bei verve). ich bin eigentlich ziemlich gespannt darauf, sanders‘ weg durch die 70er, 80er, eigentlich bis heute weiterzuverfolgen.
edit. überhaupt ein spannendes thema – jazz nach dem jazz. was machen die leute eigentlich alle ab mitte der 70er. archie shepp ab KWANZA wollte ich ja auch immer mal durchhören. bei alice war der fall ja klar, mit michel zu warner, 4 alben, dann rückzug. aber die anderen? marion brown, michael white, garnett, rivers, lowe, aber auch so halb-bekannte wie michael carvin z.b. wie haben die weitergemacht?
zuletzt geändert von vorgarten--
Das Thema ist schon spannend, ja … aus dem Gedächtnis und unzulässig verknappt:
Rivers machte weiter, hielt sich einigeramssen, aber ohne die Exposure
Brown und Lowe machten in Europa bzw. auf europäpischen Klein(st)labeln weiter, aber versank dabei ziemlich (denke der war auch bei Impulse nie wirklich bekannt/bedeutend)
Garnett machte Disco-Schlock (oder vielleicht auch nur harmlosen Funk) (fing er sich wieder oder starb er?)
White – keine Ahnung …Sanders – und Shepp! – hätten sie wohl halten müssen, aber Shepp war ja schon früher weg (BYG und America in Paris etc.) – aber da es ja eh eine grössere Flurbereinigung in der Plattenlabelwelt gab und das ABC-Management eh kein echtes Interesse an der Sache hatte, hätte das längerfristig wohl auch nicht mehr viel geändert.
Bei Arista sind es halt wirklich v.a. Braxton und Threadgill … letzterer kam ja in den Neunzigern sogar noch kurz bei Sony unter, das ist schon erstaunlich, ebenso wie die ganze RCA/Novus-Ecke, in der es ja u.a. auch Steve Lacy gab … und Rivers landete da ja auch nochmal ganz kurz.
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der einzige (privat) dokumentierte live-auftritte einer sanders-übergangsband, mit überraschender präsenz von leon thomas, dessen diskografie ab 1973 auch ein ziemliches loch hat. in paul’s mall gegenüber spielt die miles-band mit sonny fortune und den drei gitarristen, aber auch sanders und thomas schaffen es, das publikum ziemlich aus den socken zu hauen. das programm ist ziemlich abwechslungsreich ohne standards und coltrane-kompositionen, sanders spielt grandiose soli auf tenor und sopran, thomas singt sparsam, aber mit viel präsenz, zusammen gehen ihre stimmen organisch ineinander über, es gibt keinerlei platzhirsch-verhalten. besonders interessant ist ein sopran-solo von sanders über „one big mansion“, in dem er neue klangfarben ausprobiert, die eindeutig in eine fernöstliche richtung gehen. die rhythm section ist gut und inspiriert, dominiert von bonners soul-piano. für eine ordentliche aufnahme hiervon hätte es 1974 wahrscheinlich durchaus noch publikum gegeben.
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17.11.1975, paris, maison de la radio
pharoah ist ende 1975 offensichtlich mit einem quartett auf frankreich-tour und stößt dort auf sehr viel liebe, wie man an diesem frenetischen closer hören kann.das quartett hat es allerdings in sich – danny mixon ist der überraschende pianist (joe bonner hatte die sanders-band damals noch nicht verlassen), calvin hill ist noch mal dabei, und an den drums sitzt hier und für die nächste zeit greg bandy.
die drei sind durchgehend on fire. in anderen ausschnitten hört man mixon an der schweren kirchenorgel des saals, in einem freien duett mit hill (nur mit bogen), bevor die band in einen schnellen groove fällt, sanders ein schönes, melancholisches solo spielt, dann eine seiner irren unbegleiteten zwischenspiele einschiebt und an den im post-tyner-modus völlig durchdrehenden mixon abgibt (könnte ein direkter lehrmeister von leuten wie kenny kirkland sein). es folgt ein schönes hill-solo zu den sounds des vermaledeiten harmoniums (auch mixon?) und bendian beginnt sein solo aus der stille heraus, mit abstrakten kommentaren von mixon. percussionorgie, sanders-geschrei, das melancholische thema, schließlich im halben tempo und latin beat das schöne ausfaden der band. das hätte man alles doch sehr gerne mal auf einem vernünftigen tonträger vorliegen. an inspiration fehlt es sanders auch post-impulse kein bisschen.
das tollste ist aber wirklich „love is everywhere“, von sanders geshoutet, in einem ausflippenden latin beat gespielt, schließlich im duett mit dem publikum ins universum verabschiedet. „love is everywhere… love is everywhere… in paris… in paris…“ und paris so: „yeah!“
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august/september 1976
erste post-impulse-aufnahmen für india navigation, mit drei neuen originalen („harvest time“, „love will find a way“ und „memories of edith johnson“) und einer band, die neue klangfarben setzt: e-gitarre (tisziji muñoz) und hammondorgel (clifton „jiggs“ chase, dem späteren erfinder der rhythmussequenz von grnadmaster flashs „the message“). steve neil ist der neue in der reihe großartiger bassisten bei sanders, und greg bandy sitzt wieder an den drums. der treue percussionist ist einmal mehr lawrence killian.das album hat eine große ruhe und geschlossenheit, es ist vom ersten ton an als sanders-album identifizierbar. dabei gibt es kaum ein sanfteres, ruhigeres stück in seiner diskografie als das 20-minütige „harvest time“, das mit minimalen (aber tollen!) variation erstmal 9 miuten lang nur aus muñoz‘ weichen phaser-akkorden, neils‘ einfachem bass-vamp und sanders schönen, diesmal recht introvertierten linien und hauchgeräuschen besteht. dann kommt unaufdringliche glöckchen-percussion, neil ändert den vamp, geht dann in ein solo über, während sich die klangfarben ändern. ein harmonium schickt sanfte wellen ins geschehen (sanders‘ frau bedria), muñoz befreit sich leise vom akkordschema, das stück steht still und die resonanzen übernehmen. wenn sanders wieder einsetzt, hält die band die ambivalenz zwischen diesem stillstand und der trance der ersten hälfte, schwingt mal hier-, mal dorthin, bis sanders ein gefühlvolles outro anstimmt.
in „love will find a way“ dann erstmals drums, und der großartige körperlich nahe sound der band wird verräumlicht (mit drums und percussion recht weit hinten). jetzt übernimmt die orgel das 4-akkord-schema, muñoz findet ein eigenes riff dazu (diesmal im zeittypischen santana-sound). das liebeslied singt sanders selber und gar nicht mal schlecht. es folgen schöne soli von sanders, muñoz und chase, die viel individualismus zulassen. am ende wird die band leiser und das schlusswort hat killian an den congas.
der schöne flow des albums wird mit einem etwas schmalzigen orgel-gospel beendet, zu dem es auch noch etwas background-geheule gibt, das zurecht keinen credit bekommen hat. das stück dauert allerdings nur 5 minuten und tut nicht sonderlich weh. es gibt etwas merkwürdige percussion dazu, mit kesselpauken und gongs. sanders spielt lediglich das simple thema.
der durchaus interessante gitarrist muñoz, der ja bis heute unterwegs ist, konnte 1978 selbst sein debüt auf india navigation einspielen (RENDEZVOUS WITH NOW), wo er allerdings sehr wie eine santana-kopie klingt. für sanders war er angeblich der einzige gitarrist, mit dem er spielen konnte, doch das sollten sich sharrock und ulmer nicht allzu sehr zu herzen nehmen bzw. genommen haben.
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pharoah sanders‘ karriere im jahr 1977 fällt in zwei teile – eine ausgedehnte europatournee im quartett mit khalid moss (p), hayes burnett (b) und clifford jarvis (dm), wovon ein mitschnitt aus kopenhagen kursiert; und einen eintrag ins kapitel us-jazz nach dem jazz, mit norman connors und phyllis hyman für buddah records bzw. arista, bei dem zumindest ein neues album eingespielt wird, das viel geschmähte LOVE WILL FIND A WAY.
norman connors legt in interviews wert darauf, dass sein weg von der avantgarde hin zu r&b, disco und smooth jazz nicht den zwängen des marktes unterworfen war. selbst als er elvin jones bei coltrane vertreten hätte (wo er erstmalig auf sanders traf), sun ras drummer war, mit shepp und brown gespielt hätte, wäre er immer auch ein soul-fan gewesen. sein eigenes debüt DANCE OF MAGIC (u.a. mit hancock, bartz, mcbee und stanley clarke) erschien 1972 bei cobblestone, dem jazzableger von buddah. dahin wechselte er danach und wurde deren a&r manager, wo er mit der ersten und zweiten liga des jazz kommerzielle alben machte. mit den sängerinnen jean carne und phyllis hyman, aber auch mit post-miles michael henderson landete er einige r&b-hits, die man immer noch sehr gut hören kann, vor allem „valentine love“ und „you are my starship“ (1980 gab es noch den disco-hit „take me to the limit“, da war connors allerdings schon führender produzent bei arista, das 1978 den vertrieb von buddah übernahm).
auf der welle des erfolgs von „you are my starship“ (1976, mit henderson, gumbs, lee ritenour, hubert eaves, don alias und gary bartz) überredete connors sanders, für das nachfolgealbum ROMANTIC JOURNEY dessen „thembi“ neu aufzunehmen.
https://www.youtube.com/watch?v=uO8vs2rzo3M
mit bei dieser hollywood-session dabei sind u.a. ritenour (g) und jerry peters (p), die beiden co-solisten, mit denen sanders sehr unaufgeregt ideen tauscht, dominant ist daneben der e-bass von alphonso johnson. wir hören viel percussion, auch streicher, spaciges e-piano (wahrscheinlich eaves), versteckt auf diesen sessions hören wir noch reggie lucas, victor feldman, gary bartz (der dauer-solist von connors, der hier natürlich pausiert), george bohanon und oscar brashear, also lauter leute, die nach dem ende des us-jazz ein bisschen session-honorar gebrauchen können.
im geraden beat auf funky bass-vamp-basis, mit sanften streichern und komischen urwald-geräuschen, kommt das einfache thema von „thembi“ natürlich nochmal glatter rüber. sanders spielt sopran, sein ton ist natürlich schön, hat aber seine rauheiten und ecken. sanders wirkt nicht gerade dplaziert hier, seine harmonieseeligen linien sind ernst gemeint und werden auch hier und da überblasen, bewegen sich aber mit grazie im einfachen pop-arrangement, ohne es sprengen zu wollen. das stück fließt 5 minuten lang auf gleichem intensitätslevel, bis drums und percussion während des klaviersolos in double time wechseln und auch sanders nochmal zulegt.
auch bei der nächsten connors-session ist sanders dabei, diesmal für eine version seines „creators“, den connors schon ohne ihn auf „you are my starship“ eingespielt hatte (mit bartz und einem ziemlich coolen funky beat):
https://www.youtube.com/watch?v=0iFt9g5uiQc
die version mit sanders ist viel näher am original. sanders spielt tenor, es gibt ein rubato-intro und ein ziemlich wildes und auratisches solo. connors standard-pianist bobby lyle tut sein möglichstes, um etwas modalen jazz mit einem twist zu spielen, sängerin eleanor mills (und connors selbst) versuchen am ende sowas ähnliches wie das leon thomassche jodeln, und mühelos überführen sie alle gemeinsam das stück reibungslos in den pop, für den jazz nur noch eine farbe ist.
das wohl meist missverstandene und meistgedisste sanders-album überhaupt entsprang ebenfalls der connors-fabrik. die texturen sind üppig, sanders bleibt auf vergleichsweise brave soli beschränkt, 2 sachen davon landeten synergetisch noch auf einem phyllis-hyman-album, der closer, auf dem connors mitsingt, auf dessen album MELANCHOLY FIRE. das cover zeigt den pharoah von spitzen rotlackierten fingernägeln gehalten.
man tut LOVE WILL FIND A WAY allerdings ein bisschen unrecht, wenn man es nur als kommerzprodukt abtut. sanders ist durchaus umfassend involviert, hat auch die songs für frau hyman geschrieben, z.t. sogar die lyrics. es sind weggefährten dabei, kenneth nash, khalid moss, lenny white wechselt bei den etwas wilderen sachen an die drums. das ultrakitschige „love will find a way“ ist wirklich hübsch und selbstvergessen, auch das hyman-feature „love is here“ hat ein tolles tenorsolo. aber es gibt auch wirklichen quatsch hier, z.b. „got to give it up“ von marvin gaye mit partygeräuschen. und es wird schon sehr deutlich, dass das alles nicht 100%ig auf sanders‘ mist gewachsen ist, dafür ist auch „pharomba“, das am nahesten an seinen impulse-sachen dran ist, nur ein schwacher aufguss seiner trademarks.
22.7. 1978
die intensive umarmung durch connors zieht sich bis ins folgejahr 1978, als sanders mit der band des drummers in montreux auftritt. auf diesem album ist er auf drei stücken zu hören, die sich viel weiter in sanders‘ welt bewegen als die studiosessions. selbst connors‘ standardpianist bobby lyle wagt sich weit ins freie fach hinaus und am ende gelingt allen auf „casino latino“ eine ziemlich heiße version von sanders‘ „you’ve got to have freedom“.aber zurück ins jahr 1977.
23.8.1977
der copenhagen-auftritt im quartett ist ziemlich spektakulär, vor allem, weil der pianist khalid moss auf eine klassischere weise traditionell spielt als z.b. bonner, und gleichzeitig mit clifford jarvis ein ungemein heißer drummer dabei ist, der sanders vielfältige angebote macht. den beginn macht eine 30-minütige version der neuen komposition „you’ve got to have freedom“, die erst auf einem kommenden album erstmals aufgenommen wird, seitdem aber ein klassiker im sanders-repertoire ist. das zweite stück hat allerdings eine hardbop-struktur, in der der pianist moss deutlich auflebt. sanders spielt ein paar changes mit, dann geht er in ein heißes duett mit jarvis über, das irgendwann interstellar-space-charakter annimmt. es gibt eine tolle unbegleitete phase, dann macht die band schön klassisch mit moss‘ solo weiter.dass sanders wieder mit klassischen jazz-stücken flirtet, ist eine neue entwicklung. auf anderen mitschnitten der europa-tournee wurde mehrfach eckstines „i want to talk about you“ dokumentiert, einmal auch „my favorite things“. was genau dieses stück ist, hat bisher niemand herausgefunden (es scheint jedenfalls kein original zu sein):
das dritte stück fängt mit einem bass-solo von hayes burnett an (über den ich nicht viel weiß, auf den wildflower-sessions taucht er in der band von jimmy lyons auf), in das die band schließlich frei einsteigt, um am ende noch ein tolles solo auf gestrichenem bass zuzulassen.
danach kommt das wunderbare „harvest time“, hier in ein entspanntes, beseeltes stück modal jazz verwandelt, dass durch jarvis‘ begleitung durchgehend spannend bleibt. esfolgt ein schönes melancholisches solo von moss, dann steigt sanders wieder ein, der durchgängig „in“ spielt, ein schöner kontrast zu den freien sachen woher.
den abschluss bildet ein 20-minütiges freies stück, in dem sich eine percussionorgie, eine wilden kollektivimprovisation, ein schönes bass-solo, hymnische rubato-themen und eine geräuschstudie, bei der sanders ins horn ruft, glöcklichen klingeln, einander abwechseln – und dann kommt auf den letzten minuten tatsächlich der walzerrhythmus von „my favorite things“ (leider im sanders-solo abgeschnitten).
eine wirklich tolle band; die reaktionen auf die anderen europa-auftritte sind ähnlich enthusiastisch, dummerweise wurde das alles offenbar nirgends (paris, amsterdam, willisau, frankfurt,…) vernünftig dokumentiert.
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nachtrag zum montreux-auftritt:
es gibt die lange version von „you’ve got to have freedom“ auch als bootleg unter dem titel MEDITATION, und das wiederum findet sich hier in der tube:
ab dem (angeber-)klaviersolo gibt es aber auch ein live-video, das sehr viel spaß macht:
buzzy jones versucht sanders zu imitieren, dann grölen sie beide pseudo-westafrikanisch herum, die band ist supertight und das publikum aus dem häuschen.
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andere aufnahmen aus dem jahr 1978 kriege ich nicht zu fassen – weder ED KELLY & FRIEND (später als ED KELLY & PHAROAH SANDERS wiederveröffentlicht, sanders war ja noch bei arista und durfte auf seinem ersten theresa-gastspiel nicht aufs cover und namentlich genannt werden), noch hilton ruiz‘ kirk-hommage FANTASIA auf denon. @soulpope: kannst du aushelfen?
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Am 14.11. spielt Pharoah Sanders in Berlin. Siehe Promo-Foto. Ich habe mich 1/3 von @vorgarten verführen lassen, 1/3 fiel ich bereitwillig durch bloßes Anhauchen um, 1/3 bin ich einfach neugierig – so oder so, ich gehe da hin.
Um mir ein paar Grundkenntnisse in Sachen Pharoah Sanders anzueignen habe ich mir inzwischen zwei PS-Alben angehört, Jewels Of Thought und Karma. Mannomann, was für ein grandioser, wilder, kitschiger und überwältigender Rausch! Ich glaube, ich muss da meine Ratio in den stand-by Modus schalten und mich ganz auf dieses – ich sag mal – spirituelle Szenario einlassen. Muss man glauben, dass der Creator einen Masterplan hat („peace & happiness for every man“), um Sanders zu goutieren? Ich bin in dieser Hinsicht ja eher skeptisch. Aber so lange wie die Musik läuft, nehme ich das Pharoah Sanders voll und ganz ab! Danach ist was anderes.
zuletzt geändert von friedrich--
„Etwas ist da, was jenseits der Bedeutung der Worte, ihrer Form und selbst des Stils der Ausführung liegt: etwas, was direkt der Körper des Sängers ist, und mit ein- und derselben Bewegung aus der Tiefe der Stimmhöhlen, der Muskeln, der Schleimhäute, der Knorpel einem zu Ohren kommt, als wenn ein und dieselbe Haut das innere Fleisch des Ausführenden und die Musik, die er singt, überspannen würde.“ (Roland Barthes: Die Rauheit der Stimme)Bei Sanders bin ich auch, hoffentlich wird es nicht so ernüchternd wie letzte Woche McCoy Tyner …
Habt ihr Lust auf ein Meet-up vor oder nach dem Konzert? (Also mit mir, nicht mit Pharoah)
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A Kiss in the Dreamhousenapoleon-dynamiteBei Sanders bin ich auch, hoffentlich wird es nicht so ernüchternd wie letzte Woche McCoy Tyner …
Habt ihr Lust auf ein Meet-up vor oder nach dem Konzert? (Also mit mir, nicht mit Pharoah)@napoleon-dynamite: Was ist denn bei McCoy Tyner vorgefallen bzw. nicht vorgefallen, so dass es eine Ernüchterung war? Bei Pharoah bin ich mir ja sehr unsicher, was mich da erwartet …
Wegen Meet-up muss ich vorgarten mal persönlich ansprechen. Er macht sich hier ggwrtg rar.
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„Etwas ist da, was jenseits der Bedeutung der Worte, ihrer Form und selbst des Stils der Ausführung liegt: etwas, was direkt der Körper des Sängers ist, und mit ein- und derselben Bewegung aus der Tiefe der Stimmhöhlen, der Muskeln, der Schleimhäute, der Knorpel einem zu Ohren kommt, als wenn ein und dieselbe Haut das innere Fleisch des Ausführenden und die Musik, die er singt, überspannen würde.“ (Roland Barthes: Die Rauheit der Stimme)
soulpope "Ever Since The World Ended, I Don`t Get Out As Much"Registriert seit: 02.12.2013
Beiträge: 56,509
vorgarten …. andere aufnahmen aus dem jahr 1978 kriege ich nicht zu fassen – weder ED KELLY & FRIEND (später als ED KELLY & PHAROAH SANDERS wiederveröffentlicht, sanders war ja noch bei arista und durfte auf seinem ersten theresa-gastspiel nicht aufs cover und namentlich genannt werden), noch hilton ruiz‘ kirk-hommage FANTASIA auf denon. @soulpope: kannst du aushelfen?
Sorry sehe Deine Frage erst jetzt …. hab das schon lange nicht mehr gehört – aber aus der Erinnerung eher schaumgebremste Hommage von Ruiz an seinen Mentor – Details zu Pharoah Sanders nicht (mehr) abrufbar …. viel reizvoller zum Thema Rahsaan Kirk fand ich jedenfalls die Vibration Society Scheibe auf Stash aus 1986 mit Steve Turre + Bill Hardman + Junior Cook + Hilton Ruiz + (glaube ich da Scheibe nicht im Zugriff ….) Walter Booker + Leroy Williams ….
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"Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit" (K. Valentin)vorgarten
1.7.1970
summun, bukmun, umyun. eine wilde trommelgruppe um die bass-vamps von cecil mcbee und das hymnische klavier von lonnie liston smith herum. und wenn gary bartz, pharoah sanders und woody shaw gerade nicht trommeln und rascheln und klappern, spielen sie kurze soli und kommentare auf ihren hauptinstrumenten (sanders allerdings auf dem sopransax), die für schöne abwechslung sorgen, sich aber nicht groß aus dem hintergrund nach vorne drängeln.
harmonisch ist das furchtbar simpel, aber man gerät automatisch in ein anderes hören, eine ziemlich glücklich machende trance (oder man schaltet ab und lässt es vorbeiplätschern). nichts schreit hier um aufmerksamkeit, keine individuelle stimme möchte gewürdigt werden, es gibt keine meistersoli oder dramatische zuspitzungen. die perkussion ist allerdings so toll verzahnt, dass eigentlich immer etwas neues passiert. und auch die kurzen bläserbeiträge bringen das statische bild immer an anderer stelle zum leuchten. clifford jarvis ist ein guter mann für eine polyrhythmische grundbewegung, aber es ist vor allem mcbee, der hier mehr sein will als funktional, eine handgemachte einzelstimme gegen resonanzen und drones behauptet, gerade und vor allem in seinem arco-spiel im zweiten stück.so wie sanders gelingt es ihm, hipness mit sentimentalität zu verbinden. was eben auch beweist, dass im sich immer mehr herauskristallisierenden sanders-konzept nicht die kollektive gleichförmigkeit an oberster stelle steht, sondern der individuelle beitrag dazu.Bevor der Meister am Dienstag in Berlin persönlich erscheint, noch was hierzu:
Von den drei mir bekannten Pharoah Sanders-Alben (neben Karma und Jewels Of Thought) ist dies das mir liebste. Warum? Zunächst scheint mir das eher untypisch für PS in dieser Phase zu sein. Ein 20-minütiges Percussions-Ungetüm – Summun, Bukmun, Umyun -, das für mich mehr nach Afro Cuban oder Afro-Beat klingt als nach John Coltrane. Harmonisch simpel? Mag sein, aber rhythmisch berauschend. Und als zweites und letztes ein kaum kürzeres Stück- Let Us Go Into The House of the Lord -, dieses jedoch schwebend, meditativ, sakral.
Man kann beides als spirituell auffassen, jedoch auf jeweils ganz unterschiedliche Art. Und zum Glück für mich kommt das ohne demonstrative Weltrettungs-alle-Menschen-werden-Brüder-Botschaft aus.
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„Etwas ist da, was jenseits der Bedeutung der Worte, ihrer Form und selbst des Stils der Ausführung liegt: etwas, was direkt der Körper des Sängers ist, und mit ein- und derselben Bewegung aus der Tiefe der Stimmhöhlen, der Muskeln, der Schleimhäute, der Knorpel einem zu Ohren kommt, als wenn ein und dieselbe Haut das innere Fleisch des Ausführenden und die Musik, die er singt, überspannen würde.“ (Roland Barthes: Die Rauheit der Stimme)Auch wenn‘s schwer fällt:
Pharoah Sanders, 15.11.2017, Festsaal Kreuzberg, Berlin
Publikum im dicht gefüllten Festsaal für ein Jazzkonzert relativ jung, viele U30, einige U40, wenige Ü60, 10-20% junge Frauen, die offenbar größtenteils ihre boyfriends begleiten. Pharoah Sanders wird um 22:00 h auf die Bühne geführt. Strahlend weißes Hemd über der Hose, dunkle Sonnenbrille und Kappe mit Schirm nach hinten, langer weißer Bart. Jubel im Publikum. Kompetentes aber unaufälliges Quartet. Pharoah Sanders ist der leader, spielt aber am wenigsten und verhaltendsten, wirkt steif und kraftlos. Ruft ein paar mal „Alright!“ ins Publikum, das mit „Yeah!“ antwortet. Einige balladenartige Stücke rühren mich an. Einmal lässt sich Pharoah 10-15 Minuten in einem Sessel im Bühnenhintergrund nieder. Dann ein Schatten seines Hits The Creator …, bei dem mancher im Publikum einen verklärten Blick bekommt. Unbeholfene Tanzeinlagen von Pharoah, Mitklatsch- und Mitsinganimationen, die das Publikum willig mitmacht. Am Ende nimmt Pharoah einmal die Sonnebrille ab und blickt über das Publikum ins Leere. Nach gut einer Stunde Schluss. Jubel. Publikum fordert mintutenlang lautstark eine Zugabe bis ein lächelnder Ansager mitteilt, dass Pharoah nicht mehr auf die Bühne kommen wird.
Danach an der Bar frage ich meinen Begleiter, wie er es fand.
„Der arme Pharoah. Das war traurig.“
„Aber die meisten im Publikum würden genau das Gegenteil erzählen, oder?“
„Glaube ich nicht, die sind ja nicht blöde!“
Ich wage nicht, zu widersprechen.Ich wünsche Pharoah Sanders einen ruhigen und friedlichen Lebensabend.
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„Etwas ist da, was jenseits der Bedeutung der Worte, ihrer Form und selbst des Stils der Ausführung liegt: etwas, was direkt der Körper des Sängers ist, und mit ein- und derselben Bewegung aus der Tiefe der Stimmhöhlen, der Muskeln, der Schleimhäute, der Knorpel einem zu Ohren kommt, als wenn ein und dieselbe Haut das innere Fleisch des Ausführenden und die Musik, die er singt, überspannen würde.“ (Roland Barthes: Die Rauheit der Stimme) -
Schlagwörter: Freejazz, Jazz, Pharoah Sanders
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