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Danke für diese wieder einmal sehr lesenswerten Eindrücke!
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AnonymInaktivRegistriert seit: 01.01.1970
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gypsy-tail-wind Dass das eine Musik des Abschieds sei – nach den Kindertotenliedern (der eigentlichen Neunten?), von denen Mahler ja mit dem Tod seiner Tochter 1907 gewissermassen eingeholt wurde, und keine Rückkehr zu „geordneten“ orchestralen Bahnen nach der überdimensionierten Achten (die ich vor vielen, vielen Jahren schon einmal angehört habe, vom Konzert mit der Sechsten in der Tonhalle – auch da fehlten mir die Worte – und dem gestrigen mit der Neunten abgesehen die einzige der Symphonien, die ich schon angehört habe, am besten kenne ich das „Lied von der Erde“), „sondern vielmehr eine Überhöhung, ja Entmaterialisierung“, wie Thomas Meyer in seinem ausführlichen Essay im Programmheft schreibt, das leuchtet alles ein – nicht bloss aus dem Rückblick sondern durchaus aus musikalischen Gründen (ich lese den Essay auch erst jetzt, nach dem Konzert).
Ob die Kindertotenlieder die „eigentliche“ Neunte gewesen seien? Vermutlich nicht, wie nie etwas „eigentlich“ etwas anderes ist. Man kolportiert immer, dass das Lied von der Erde die eigentliche Neunte sei, aus Angst oder so (vor der „ominösen“ Neunten von Beethoven, von Bruckner, nach denen nichts mehr kam, anders genannt wurde usw.). Daran glaube ich keine Minute. Und ich glaube auch nicht, dass Mahler vom Tod „eingeholt“ wurde durch den Tod seiner Tochter, er hatte ihn ja schon zuvor in sich. Es geschieht dann aber etwas im sehr eigenen Leben, das noch mehr sprachlos macht, als man zuvor schon gewesen ist. Man kann auch bei einem noch lebendigen Kind an seinen Tod denken, oder überhaupt an den Tod. (Zum Tod der Tochter von Alma und Gustav Mahler als Eltern steht uns gar kein Wort zu, sicher überflüssig, diese Ergänzung.)
Im ersten Satz scheint man sich durch eine Trümmerlandschaft zu bewegen, die im zweiten dann durch eine derbe Groteske konterkariert wird. Danach wurde in Ruhe nachgestimmt, Rattle stieg vom Podest und trank ein Glas Wasser. Weiter ging es, vom Widerstreit hin zur fast schon lähmenden Ernsthaftigkeit des Schlussatzes, den das Publikum folgerichtig zerhusten musste – bis dahin war es wunderbar still, jetzt, wo die Musik bis zum letzten forderte, liess sich das halbe Publikum abhängen und hustete munter in die leisesten, konzentriertesten Passagen hinein.
Wer im Schlusssatz der Neunten hustet, hat halt anderes im Sinn als Mahler. Sektcanapés oder so etwas.
Trümmerlandschaft, das finde ich ein interessantes Wort zu diesem ersten Satz. Er beginnt mit einer Regung, sehr einfach, sofort in den Widerhall genommen zwar, aber eben weitergehend (für mich in einem großen Gesang, der allerdings weiß, dass das Singen nichts bringt). Ist das eine Trümmerlandschaft, durch die gegangen wird? In mancher Laune möchte ich sehr zustimmen, in anderer Laune würde ich sagen, da liegt etwas über den Trümmern, das zumindest kein Himmel einlösen kann. In dieser Leere gibt es wenig Worte oder Musik. Und die „Groteske“ und auch der dritte Satz nageln die Leere zu und öffnen sie durch das täppische Tanzen, mehr gibt es nicht. Außer den letzten Satz.
Er ist nicht „neu“, er ist die Summe aus vielen Beschwichtigungs- und -besänftigungsversuchen, die Mahler seit mindestens der dritten Symphonie explizit gemacht hat – dazu gehört auch der zweite Satz der Achten, bei dem ihm zur Länge die Textvorlage und die Goetheverehrung geholfen hat. Er ist nicht neu – er ist sehr anders, wie auch der erste Satz der Neunten. Wenn man das Abschied nennt, impliziert es den Willen aufzuhören und irgendeinen Summawillen. Das höre ich da nicht – außer, dass er sich einstellt, weil irgendwann das Sprchen wirklich schwerfällt und auch – Tode zu beklagen sind, die nicht mehr aufhören.
Die Zehnte – und es genügt schon der erste Satz bei der unübersichtlichen Textlage – ist komponiert, als ob es keine Zugeständnisse mehr geben solle.
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gypsy-tail-wind Programmheft … das leuchtet alles ein – nicht bloss aus dem Rückblick sondern durchaus aus musikalischen Gründen
Danke auch dafür, der Text zur Neunten ist tatsächlich erhellend.
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@bullschuetz Ich finde den Text auch sehr gut – Meyer ist aber auch einer der allerbesten Musikjournalisten und -kenner hierzulande, gerade was Musik des 20. Jahrhunderts betrifft (Mahler ist für ihn soweit ich bisher von ihm gelesen oder im Radio gehört habe, fast noch etwas früh). Auf jeden Fall ist klar, dass man über Mahler schreiben, sprechen soll – was denn sonst? In der Regel sind die Texte in den Programmheften (die man nach dem recht deutlichen Preisaufschlag, mit dem die 2017/18-Saison in der Interims-Spielstätte begann, inzwischen immerhin gratis kriegt) weniger ausführlich und weniger anregend.
@clasjaz Das war tatsächlich mein Fehler, Meyer spricht auch „Das Lied von der Erde“ an, bei den „Kindertotenliedern“ macht das ja überhaupt keinen Sinn – aber man möge mir verzeihen, ich stehe bei Mahler ja wirklich noch ganz am Anfang, auch was Kenntnisse der Chronologie oder Biographie betrifft. Was Du zum Tod schreibst, das Nachdenken darüber, das geht doch aber gerade so gut auch mit dem Topos Abschied? Da braucht es doch nicht zwingend ein sichtbares Ende und keinen Willen Summa-Willen dazu? Man verabschiedet sich doch immer wieder von Dingen, Menschen, die danach auf einer anderen Bahn fortfahren, die mit der eigenen nicht mehr gekreuzt werden soll – reicht das nicht zum Abschied?
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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #158 – Piano Jazz 2024 - 19.12.2024 – 20:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba
AnonymInaktivRegistriert seit: 01.01.1970
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gypsy-tail-wind@clasjaz Das war tatsächlich mein Fehler, Meyer spricht auch „Das Lied von der Erde“ an, bei den „Kindertotenliedern“ macht das ja überhaupt keinen Sinn – aber man möge mir verzeihen, ich stehe bei Mahler ja wirklich noch ganz am Anfang, auch was Kenntnisse der Chronologie oder Biographie betrifft. Was Du zum Tod schreibst, das Nachdenken darüber, das geht doch aber gerade so gut auch mit dem Topos Abschied? Da braucht es doch nicht zwingend ein sichtbares Ende und keinen Willen Summa-Willen dazu? Man verabschiedet sich doch immer wieder von Dingen, Menschen, die danach auf einer anderen Bahn fortfahren, die mit der eigenen nicht mehr gekreuzt werden soll – reicht das nicht zum Abschied?
Ja, genau dem stimme ich doch zu! Das Programmheft mit dem Text von Meyer hatte ich gestern gar nicht gelesen, das aber jetzt nachgeholt – und ich finde ihn auch sehr gut, auch weil er mindestens zwei übliche Rezeptionslinien oder – orientierungen zusammenfasst. Einmal die biografische, für die sicher mit Recht Bruno Walter genannt ist. Persönlich habe ich nur manchmal Schwierigkeiten damit, von „Ahnungen“, Vorwegnahmen, bzgl. der Kindertotenlieder etwa und dem späteren Tod der Tochter, und Ähnlichem zu sprechen – jedenfalls, soweit das bloß biografisch-chronologisch verstanden wird. Da finde ich Wollschlägers Notiz im Rückert-Band (wir sprachen neulich davon) auch korrigierend oder anregend (die Einleitung dort ist ein Vortrag zu einer Aufführung der Kindertotenlieder, aber es geht nur kurz um die Mahler’sche Verwandlung – ich hoffe, das Zitieren hier ist erlaubt, es geht zunächst noch um Rückert, aber die Worte könnten bereits Mahler gelten, der dann ja auch folgt):
Wie gelähmt bewegt sich der Stoff der trostlosen Erinnerung auf der Stelle, um den Trost der Großen Form zu gewinnen; sie ist unerreichbar wie er. Das nicht nur quantitativ von Entgrenzung bedrohte, in der nicht enden wollenden monothematischen Litanei fassungslose poetische Sprechen riskiert dabei sein Äußerstes: die Umklammerung der geschmiedeten Verse, jenen ohnmächtigen Reim des Herzens auf den Schmerz, zu dem es keine Alternative gibt. Aber gerade indem es die ästhetische Ohnmacht in sich hineinnimmt und sein Dichten damit bricht, gelangt es zu seiner einzig möglichen Wahrheit – : Mit ihr sind die ‚Kindertodtenlieder‘ die größte Totenklage der Weltliteratur geworden, eine Verlustmeldung und Todesanzeige von gewaltigster Dimension. […] [Die „Kindertodtenlieder“ wurden erst später vom Sohn veröffentlicht, daher:] Erst jenseits seiner Zeit, 30 Jahre später, wartete auf sie die Musik Gustav Mahlers, durch die sie aus ihrer Verborgenheit freikamen und die endgültige Sprache wiederfanden: einen Menschenlaut, der zu den größten Ereignissen der Geistesgeschichte gehört. Mahler, der in seiner eigenen ‚Natur‘ den Panischen Schrecken kannte, hat ihn auch in der Natur Rückerts erspürt und in ihrem Sprechen freigesetzt, indem er dessen Glätte wiederauflöste. Seine Musik umgibt den Text mit dem surreal Zeitlosen jenes Todes, in dem der Kindertod selber nur eine Metapher war; ihre Linearität verläßt die Epoche, und im letzten Lied scheinen die Klagelaute aller Kulturen kontaminiert.
Steht auf S. 38f. des Inselbandes. Abschied usw. sind nach dieser Lesart – die man doch auch auf andere Werke übertragen kann – nicht punktuelle Ereignisse mit Letztanspruch und das vermittelt dann die zweite Rezeptionslinie, für die bei Meyer Schönberg steht: Dass die Neunte nicht mehr im „Ich-Ton“ komponiert sei, sondern – den alten Topos aufgreifend – etwas Größeres durch jemanden spreche, als Instrument, dass „es“ mittels eines Individuums spreche. Auch das kann sicher auf metaphysisch-lyrische Nebelbänke führen, aber es lenkt den Blick zumindest wieder auf das Werk.
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gypsy-tail-windZürich, Tonhalle-Maag – 27.04.2018
London Symphony Orchestra
Simon Rattle
Gustav Mahler: Symphonie Nr. 9Hier ist nun die Kritik von Christian Wildhagen, die morgen in die Printausgabe kommen dürfte:
https://www.nzz.ch/feuilleton/simon-rattle-in-zuerich-mahlers-neunte-neu-gehoert-ld.1381709Neunzig Minuten hat das natürlich nicht gedauert bzw. nur, wenn man den langen Applaus und die längere Pause nach dem zweiten Satz mitrechnet. Davon abgesehen kann ich das alles nachvollziehen bzw. teilen.
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gypsy-tail-wind
gypsy-tail-windZürich, Tonhalle-Maag – 27.04.2018 London Symphony Orchestra Simon Rattle Gustav Mahler: Symphonie Nr. 9
Hier ist nun die Kritik von Christian Wildhagen, die morgen in die Printausgabe kommen dürfte: https://www.nzz.ch/feuilleton/simon-rattle-in-zuerich-mahlers-neunte-neu-gehoert-ld.1381709 Neunzig Minuten hat das natürlich nicht gedauert bzw. nur, wenn man den langen Applaus und die längere Pause nach dem zweiten Satz mitrechnet. Davon abgesehen kann ich das alles nachvollziehen bzw. teilen.
Danke für den Link – ich habe ihn bedenklich gelesen. Ich habe von Rattle und Mahler IX den Mitschnitt von Aufführungen im Oktober 2007.
Es ist nicht das Schlechteste, was sonst, es ist eine stimmige Lesart, aber – ich höre sie gerade wieder – doch sehr wie ein emotionales Uhrwerk. So ging es mir schon vor Jahren mit seiner Mahler X (Cooke), die im Artikel erwähnt wird, das ist doch etwas lieb. Wildhagen ist sehr lau. Als ob die Zehnte nur eine ausformulierte Ehetragödie sei. Ja, es gibt Notizen dazu in den überlieferten Partiturskizzen. Na und? Braucht es immer diese schlichten Nasenstupse?
Wildhagen:
Rattle setzt dem – namentlich in den Mittelsätzen – einen Tonfall der Wut, des Aufbegehrens, der bitteren Ironie, ja des Lebensekels entgegen. Besonders im stellenweise drastisch überzeichneten Ländler-Scherzo kommt dabei eine Stärke dieses Dirigenten zum Tragen: das pointierte Gestalten in kleinteiligen Einheiten, durchaus frei und charakteristisch im Ausdruck, aber immer kontrolliert und gestützt durch einen subtil vorwärtsdrängenden Puls. So ist auch die Rondo-Burleske hier kein apokalyptisches Tohuwabohu, eher ein Pandämonium aus Fratzen und Zerrbildern einer ehedem schönen Welt, die schon im unerbittlich schreitenden Kopfsatz zu Grabe getragen wurde.
Bittere Ironie höre ich da nirgends – ich spreche ja nur von Rattle 2007, das könnte alles ganz anders sein in der Tonhalle Maag! – und wird wohl anders gewesen sein, vielleicht. Ist, zu Wildhagen, aber flapsig geschrieben, warum sollte die Apokalypse kein Pandämonium sein, und Fratzen kein Tohuwahohu veranstalten können?
Ich habe das Rondo (dass ich im Programmheft zur Aufführung in Zürich sehr gut beschrieben fand) gestern mit Rosbaud wiedergehört und da waren auf einmal sofort die „Vorbereitungen“ zum Schlusssatz deutlich. Bei Rattle, 2007, ist davon nichts zu hören.
Alles in allem: Rattle macht für mich nach wie vor nichts besser bei Mahler. Und Wildhagen weiß nicht, dass ein Weitermachen (Symphonie X) nicht unbedingt bedeutet, dass schon zuvor ein Abschied genommen wurde, nicht nur in IX. Immer wieder. Er will halt auf den letzten Abschied hinaus. Und Resignation und Schweigen dürfen nicht sein, wie hört sich das denn an.
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Was es möglicherweise zu bedenken gilt: Rattle scheint in Berlin bis zum Schluss nie so richtig angekommen zu sein – beim LSO aber sofort, noch bevor er ganz aus Berlin weg ist … ich habe keine Vergleichsmöglichkeiten und Rattle interessiert mich auch zu wenig, aber das Konzert fand ich schon eindrücklich. Das lag an der Musik, am Zusammenwirken von Rattle und dem sehr lebendigen Orchester (perfekter Klang ist da jedenfalls nicht das Hauptziel, das machte ja schon die Sitzordnung klar), weniger an Rattles Auftreten, das mir recht uncharismatisch schien. Wenn man den Stimmen, die ich aufgeschnappt habe, glauben darf, ist Rattle jedenfalls dabei, ein glückliches neues Kapitel seiner Laufbahn aufzuschlagen.
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soulpope "Ever Since The World Ended, I Don`t Get Out As Much"Registriert seit: 02.12.2013
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gypsy-tail-windWas es möglicherweise zu bedenken gilt: Rattle scheint in Berlin bis zum Schluss nie so richtig angekommen zu sein – beim LSO aber sofort, noch bevor er ganz aus Berlin weg ist … ich habe keine Vergleichsmöglichkeiten und Rattle interessiert mich auch zu wenig, aber das Konzert fand ich schon eindrücklich. Das lag an der Musik, am Zusammenwirken von Rattle und dem sehr lebendigen Orchester (perfekter Klang ist da jedenfalls nicht das Hauptziel, das machte ja schon die Sitzordnung klar), weniger an Rattles Auftreten, das mir recht uncharismatisch schien. Wenn man den Stimmen, die ich aufgeschnappt habe, glauben darf, ist Rattle jedenfalls dabei, ein glückliches neues Kapitel seiner Laufbahn aufzuschlagen.
Man würde manch andrem Dirigenten die Chance (und auch die Promotion) von Hrn. Rattle wünschen …. aber ich kann auch vor der heimischen Haustüre kehren und die Tantren des Hrn. Welser-Möst (er)tragen ….
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"Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit" (K. Valentin)Der war hier ja auch schon … an seine Zeit an der Oper habe ich keine Erinnerung, aber Bruckner 8 neulich war überzeugend.
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gypsy-tail-windWas es möglicherweise zu bedenken gilt: Rattle scheint in Berlin bis zum Schluss nie so richtig angekommen zu sein – beim LSO aber sofort, noch bevor er ganz aus Berlin weg ist … ich habe keine Vergleichsmöglichkeiten und Rattle interessiert mich auch zu wenig, aber das Konzert fand ich schon eindrücklich. Das lag an der Musik, am Zusammenwirken von Rattle und dem sehr lebendigen Orchester (perfekter Klang ist da jedenfalls nicht das Hauptziel, das machte ja schon die Sitzordnung klar), weniger an Rattles Auftreten, das mir recht uncharismatisch schien. Wenn man den Stimmen, die ich aufgeschnappt habe, glauben darf, ist Rattle jedenfalls dabei, ein glückliches neues Kapitel seiner Laufbahn aufzuschlagen.
Das mag alles so sein. Ob Rattle in Berlin in oder nach mehr als einem Dezennium Schwierigkeiten in Berlin gehabt hat und dann jetzt beim London Symphony sich fröhlicher fühlt, ist doch völlig egal und allein seine und deren Sache. Meinetwegen kann Rattle auch charismatisch auftreten, meinetwegen auch nicht, das ist doch nicht wichtig. Jeder hat seine Eigenarten, Ticks und was weiß ich. Ich finde also, dass es da bzgl. Rattles Freundschaft mit Berlin gar nichts zu bedenken gilt. Pardon. Aber Du wolltest sagen, dass Rattle jetzt, nach zig Jahren in Berlin, endlich so spielen kann, wie er möchte? Daran glaube ich nicht, wenn man so lange an etwas festhält. Und trotzdem, das sagte ich ja schon oben, kann es natürlich gut sein, dass er nach zehn Jahren sich besser umtut. So recht mag ich daran aber nicht glauben. Obwohl ich gerne das Konzert gehört hätte.
Du sagst gar nichts zu Deiner Einschätzung von Wildhagens Zeilen. Nun gut. Ich habe vorhin noch einmal Gielens Interpretation – ich hätte auch eine andere nehmen können, aber man hat Launen – der Neunten, dritter und vierter Satz gehört. Das ist, im Rondo, so viel beanspruchender als Rattle 2007, und im Adagio ist auch die schlichte Anweisung zu hören, langsam, noch zurückhaltend. Einfach ist sie nicht. Vor allem aber liegt da nicht der Klebeklang der Berliner bei Rattle drüber – den ich bei ihnen sonst nie vermute – und drin. Die ganzen bedenkenswerten Abschwächungen und Steigerungen, von Rattle einfach so mitgenommen, ein zurückhaltendes Ende, nicht einmal das. Er geht flott durch die Geschichte und insofern eben stimmig für ihn und in sich selbst. Aber ein „Verstehen“ ist das für mich nicht, um das Wort aus dem Nachbarthread zur russischen Klavierschule aufzunehmen. Bei Gielen beginnt das Verstummen des letzten Satzes lange zuvor – und nicht nur in begleitenden Wörtern, sondern in der Musik selbst, in sehr viel feineren Streicherschlenkern, die Rattle ohne Anweisung ins Burschikose durchgehen zu lassen scheint. Und auch das Anheben der Streicher im letzten Satz bei Gielen ist äußerste Force, die nicht weiterweiß, immer nur Schritt für Schritt, bei Rattle 2007 hört sich das an wie: Jetzt kommt etwas Schönes. Gut, wenn es in der Tonhalle Maag anders war.
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Pardon, bin nicht in Schreiblaune (nur zwischendurch kurz am Handy) und die Diskussion überfordert mich ein wenig. Aber dass das alles egal ist scheint mir etwas schnell gedacht – es ist doch möglich, dass sich bei anderen Konstellation andere Fügungen ergeben? Dass das schlicht unmöglich ist – auch nicht, wenn es nur um Rattle geht – mag ich jetzt wirklich nicht glauben. Dass sich zudem Sichtweisen verändern oder in anderer Konstellation sich anders materialisieren?
Ich lese also Wildhagens etwas undeutliche Zeilen, Deine mir ziemlich ruppigen, diese auch als Attacke auf mein Geschreibsel hier – aber das läuft leider völlig ins Leere (die zweifache Versicherung, dass es neulich anders war ist wiederum völlig müßig, da ich die Berkiner Einspielung nicht kenne – und jetzt natürlich erst recht keine Lust drauf mehr habe, wenn ich denn irgendwann zum vertieften Mahler-Hören kommen werde), weil ich nicht in der Lage bin, über Mahlers Symphonien zu diskutieren. Das wird sich hoffentlich ändern, aber das wiederum wird wohl noch etwas dauern.
zuletzt geändert von gypsy-tail-wind--
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AnonymInaktivRegistriert seit: 01.01.1970
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@gypsy-tail-wind Oh, das war ganz sicher nicht als Attacke gemeint und Ruppigkeit hatte ich (hier) auch nicht im Sinn. Entschuldige, wenn sich das anders ausnahm. Deine Konzertmitteilung war mir einfach Anlass, Rattles Neunte wiederzuhören. Und da Du den Link zu Wildhagen eingestellt hattest, habe ich meinen Eindruck formuliert. Ich finde die Rezension tatsächlich nicht sehr prickelnd, aber irgendein Bashing ist nicht meine Absicht. Rattle kann jederzeit daherkommen und mich überzeugen. Ich sage aber nicht, dass es wichtig sei, mich zu überzeugen.
Übrigens finde ich, dass man zu jedem Zeitpunkt seines „Wissens“ oder seiner „Vertrautheit“ mit einem Werk diskutieren kann. Sonst könnte ich mich zum Beispiel gleich hier abmelden. Es gibt doch immer nur ein „Further on“.
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Alles klar @clasjaz, ist auch kein Problem, musste mich aber ein wenig abgrenzen gestern. Die Diskussion führe ich ja, soweit ich momentan im Stande bin. Über die Reihenfolge der Sätze in der Sechsten, die Anzahl Hammerschläge u.Ä. kann ich aber nicht diskutieren, über Interpretationsansätze bei Mahler allgemein erst recht nicht, weil mir dazu schlicht noch die Erfahrung und das Wissen fehlt.
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Grigory Sokolov – Klavier
Joseph Haydn
Sonate (Divertimento) Nr. 32 g-Moll Hob. XVI:44
Sonate (Divertimento) Nr. 47 h-Moll Hob. XVI:32
Sonate Nr. 49 cis-Moll Hob. XVI:36
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Franz Schubert
4 Impromptus D 935Am Montagabend in trat Grigory Sokolov in der Tonhalle-Maag auf – er tritt seit längerem jährlich in Zürich auf, gehört habe ich ihn leider erstmals letzte Saison (und einige Jahre davor einmal in Luxemburg), und diese Konzerte sind Ereignisse von solcher Güte, dass ich es sehr bedaure, nicht wenigstens in den inzwischen sieben oder acht Jahren, in denen ich mich mit klassischer Musik beschäftige, jedes Mal hingegangen zu sein. Haydn und Schubert standen dieses Mal auf dem Programm, ich freute mich vor allem auf den Schubert, hatte bei Haydn meine übliche leise Skepsis in Sachen modernes Instrument bei mir, als ich meinen inzwischen üblichen Platz in der ersten Reihe einnahm.
Entgegen der Hoboken-Numerierung spielte Sokolov die drei Sonaten von Haydn in chronologischer Reihenfolge, Nr. 32 g-Moll Hob. XVI:44 entstand (möglicherweise gemeinsam mit Nr. 20 B-Dur Hob. XVI:18) in den Jahren 1771–73, die beiden zweisätzigen Sonaten mit jeweils einem stilisierten Menuett als zweiten Satz seien von persönlichem, melancholischem Charakter und stünden den Sonaten Carl Philipp Emanuel Bachs am nächsten, so Marc Vignal in seinen Liner Notes zur Haydn-Box von Ronald Brautigam. Die Sonate Nr. 47 h-Moll Hob. XVI: 32 erschien 1776 mit fünf weiteren (Nr. 42–47, Hob. XVI:27–32, entstanden zwischen 1765 und 1773), die Sonate Nr. 49 cis-Moll Hob. XVI:36 erschien wiederum in einem Sechserpaket im Jahr 1780 (Nr. 48–52 und Nr. 33, Hob. XVI:35–39 und 20) und entstand wohl nach 1778.
Sokolov spielte die Sonaten wie zu erwarten war ohne Unterbrüche – ein paar Sekunden für die Huster und die Raschler und ohne Applaus ging es direkt weiter, der Saal wie üblich stark verdunkelt. Aufhebens gemacht wird allein um die Musik, und die – gerade der Haydn – hatte es in sich. Wie zart das klang, welche Nuancen Sokolov diesen Stücken entlockte, wie leise er zu spielen vermochte – und wie fein noch die schnellten Passagen umgesetzt waren, die Töne förmlich wie Perlen an einer Schnur, um die alte Metapher aufzugreifen, und jeder Ton stets perfekt abgesetzt. Das Pedal kam angemessen spärlich zum Einsatz, der Effekt war in der Tat fast jener eines Hammerflügels. Besonders schön fand ich dabei die in der Mitte erklingende Sonate in h-Moll – auch hier gibt es ein Menuett, und zwar an zentraler Stelle, wo gerade in einer Moll-Tonart der langsame Satz erwartet würde. Die Dramaturgie der drei Sonaten war in sich perfekt, mit der zweisätzigen eher langsamen g-Moll zum Auftakt, die mit einem etwas rascheren Satz endet, dann der h-Moll-Sonate mit einem langsameren Allegro zum Auftakt, einem Menuett in der Mitte und einem schnellen Finale (Presto), worauf die wiederum dreisätzige cis-Moll (die Tonart wurde später durch die Mondschein-Sonate populärer) folgte, die mit einem Moderato öffnet und auf einen rascheren Mittelsatz ein Menuett folgen lässt, wieder im Moderato.
Nach der Pause folgten dann die zweiten Schubert-Impromptus – auch sie perfekt inszeniert, ohne viel Effekte, mit höchster Konzentration. Es geht Sokolov, und das macht ihn wohl so besonders, einzig und allein um die Musik, alles andere interessiert ihn nicht. Den letzten Ton lässt er kaum verklingen, erhebt sich, verneigt sich und geht ab. Das wiederholte sich dann bei den üblichen Zugaben, von denen ich die erste (ein Chopin-Scherzo?) erkannte, und wohl die vierte auch wieder, aber ohne sagen zu können, was für ein Stück das war. Sechsmal kam er zurück, setzte sich hin und spielte weiter, ohne zu warten, bis der Saal still war, erhebte sich und ging wieder. Dabei ist er natürlich ein echter Star mit einer ordentlichen Aura, der eben all den Quatsch nicht nötig hat. Zum Konzert im Frühling 2019, das gerade angekündigt wurde, werde ich natürlich auch wieder gehen, keine Frage (und denselben Platz habe ich auch wieder, wie ich gestern erfuhr).
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Schlagwörter: Kammermusik, Klassik, klassische Musik, Konzertberichte, Lied, Oper
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