Antwort auf: Konzertimpressionen und -rezensionen

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gypsy-tail-wind@clasjaz Das war tatsächlich mein Fehler, Meyer spricht auch „Das Lied von der Erde“ an, bei den „Kindertotenliedern“ macht das ja überhaupt keinen Sinn – aber man möge mir verzeihen, ich stehe bei Mahler ja wirklich noch ganz am Anfang, auch was Kenntnisse der Chronologie oder Biographie betrifft. Was Du zum Tod schreibst, das Nachdenken darüber, das geht doch aber gerade so gut auch mit dem Topos Abschied? Da braucht es doch nicht zwingend ein sichtbares Ende und keinen Willen Summa-Willen dazu? Man verabschiedet sich doch immer wieder von Dingen, Menschen, die danach auf einer anderen Bahn fortfahren, die mit der eigenen nicht mehr gekreuzt werden soll – reicht das nicht zum Abschied?

Ja, genau dem stimme ich doch zu! Das Programmheft mit dem Text von Meyer hatte ich gestern gar nicht gelesen, das aber jetzt nachgeholt – und ich finde ihn auch sehr gut, auch weil er mindestens zwei übliche Rezeptionslinien oder – orientierungen zusammenfasst. Einmal die biografische, für die sicher mit Recht Bruno Walter genannt ist. Persönlich habe ich nur manchmal Schwierigkeiten damit, von „Ahnungen“, Vorwegnahmen, bzgl. der Kindertotenlieder etwa und dem späteren Tod der Tochter, und Ähnlichem zu sprechen – jedenfalls, soweit das bloß biografisch-chronologisch verstanden wird. Da finde ich Wollschlägers Notiz im Rückert-Band (wir sprachen neulich davon) auch korrigierend oder anregend (die Einleitung dort ist ein Vortrag zu einer Aufführung der Kindertotenlieder, aber es geht nur kurz um die Mahler’sche Verwandlung – ich hoffe, das Zitieren hier ist erlaubt, es geht zunächst noch um Rückert, aber die Worte könnten bereits Mahler gelten, der dann ja auch folgt):

Wie gelähmt bewegt sich der Stoff der trostlosen Erinnerung auf der Stelle, um den Trost der Großen Form zu gewinnen; sie ist unerreichbar wie er. Das nicht nur quantitativ von Entgrenzung bedrohte, in der nicht enden wollenden monothematischen Litanei fassungslose poetische Sprechen riskiert dabei sein Äußerstes: die Umklammerung der geschmiedeten Verse, jenen ohnmächtigen Reim des Herzens auf den Schmerz, zu dem es keine Alternative gibt. Aber gerade indem es die ästhetische Ohnmacht in sich hineinnimmt und sein Dichten damit bricht, gelangt es zu seiner einzig möglichen Wahrheit – : Mit ihr sind die ‚Kindertodtenlieder‘ die größte Totenklage der Weltliteratur geworden, eine Verlustmeldung und Todesanzeige von gewaltigster Dimension. […] [Die „Kindertodtenlieder“ wurden erst später vom Sohn veröffentlicht, daher:] Erst jenseits seiner Zeit, 30 Jahre später, wartete auf sie die Musik Gustav Mahlers, durch die sie aus ihrer Verborgenheit freikamen und die endgültige Sprache wiederfanden: einen Menschenlaut, der zu den größten Ereignissen der Geistesgeschichte gehört. Mahler, der in seiner eigenen ‚Natur‘ den Panischen Schrecken kannte, hat ihn auch in der Natur Rückerts erspürt und in ihrem Sprechen freigesetzt, indem er dessen Glätte wiederauflöste. Seine Musik umgibt den Text mit dem surreal Zeitlosen jenes Todes, in dem der Kindertod selber nur eine Metapher war; ihre Linearität verläßt die Epoche, und im letzten Lied scheinen die Klagelaute aller Kulturen kontaminiert.

Steht auf S. 38f. des Inselbandes. Abschied usw. sind nach dieser Lesart – die man doch auch auf andere Werke übertragen kann – nicht punktuelle Ereignisse mit Letztanspruch und das vermittelt dann die zweite Rezeptionslinie, für die bei Meyer Schönberg steht: Dass die Neunte nicht mehr im „Ich-Ton“ komponiert sei, sondern – den alten Topos aufgreifend – etwas Größeres durch jemanden spreche, als Instrument, dass „es“ mittels eines Individuums spreche. Auch das kann sicher auf metaphysisch-lyrische Nebelbänke führen, aber es lenkt den Blick zumindest wieder auf das Werk.

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