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AnonymInaktivRegistriert seit: 01.01.1970
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Dieser Thread beruhigt mich. Ich fand die wilden Assoziationen von Marcus auch immer ein wenig arg willkürlich und konnte mit seinem Mythenbudenzauber nicht viel anfangen. Und dachte immer, ich stehe damit ganz alleine da oder kapiere da was nicht. Weil der ja auch so ein Kritikerliebling bzw Pflichtlektüre ist.
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AnonymInaktivRegistriert seit: 01.01.1970
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friedrichVerschwurbelte, vogelwilde Assoziationen und ausgefranste Denkmodelle – das kann ich bei Mystery Train bestätigen. Manchmal ist das sehr poetisch und treffend, manchmal aber auch wirr. Nüchternen Journalismus und sachliche Wissenschaft kann man von Greil Marcus wohl nicht erwarten.
Nein, das kann man sicher nicht. Das ist das Schlimme, aber auch das Anregende an Marcus‘ Büchern.
Bin jetzt ca. auf Seite 100 und ziehe das auch durch!
Unbedingt! Und immer auch die Fußnoten und Anhänge lesen, da steht bei Marcus oft das Interessanteste drin. Was auch bezeichnend für seine wilden Denk- und Strukturierungsprozesse ist.
Hatte außerdem noch im Antiquariat Lipstick Traces erworben. Mal sehen, was da auf mich zukommt.
Dagegen ist Mystery Train ein Klacks.
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soulpope "Ever Since The World Ended, I Don`t Get Out As Much"Registriert seit: 02.12.2013
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„Elvis‘ early music has drama because as he sang he was escaping limits“ ….
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"Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit" (K. Valentin)plattensammlerDieser Thread beruhigt mich. Ich fand die wilden Assoziationen von Marcus auch immer ein wenig arg willkürlich und konnte mit seinem Mythenbudenzauber nicht viel anfangen. Und dachte immer, ich stehe damit ganz alleine da oder kapiere da was nicht. Weil der ja auch so ein Kritikerliebling bzw Pflichtlektüre ist.
Wilde Azzoziationen und Mythenzauber – das trifft schon zu. Ich glaube Greil Marcus hat in den Mitt-60ern zu viel Bob Dylan gehört.
Manchmal glaube ich auch, ganze Absätze von ihm gar nicht zu verstehen. Darf man vielleicht nicht zu ernst und zu genau nehmen. Das ist mehr Literatur als Journalismus oder Wissenschaft. Aber vermutlich war er einer der ersten, der R’n’R / Pop überhaupt als Kultur ernst genommen und darüber geschrieben hat. Und da ist Mystery Train oft sehr erhellend.
bullschuetz
friedrichVerschwurbelte, vogelwilde Assoziationen und ausgefranste Denkmodelle – das kann ich bei Mystery Train bestätigen. Manchmal ist das sehr poetisch und treffend, manchmal aber auch wirr. Nüchternen Journalismus und sachliche Wissenschaft kann man von Greil Marcus wohl nicht erwarten.
Nein, das kann man sicher nicht. Das ist das Schlimme, aber auch das Anregende an Marcus‘ Büchern.
Bin jetzt ca. auf Seite 100 und ziehe das auch durch!
Unbedingt! Und immer auch die Fußnoten und Anhänge lesen, da steht bei Marcus oft das Interessanteste drin. Was auch bezeichnend für seine wilden Denk- und Strukturierungsprozesse ist.
Hatte außerdem noch im Antiquariat Lipstick Traces erworben. Mal sehen, was da auf mich zukommt.
Dagegen ist Mystery Train ein Klacks.
Genau!
Die „Anmerkungen“ reichen von Seite 227 bis Seite 398. Mehr als ein Drittel des gesamten Buches.
Die Gedankenkette Dada-Situationisischte Internationale-Punk finde ich auf jeden Fall schon mal faszinierend.
soulpope„Elvis‘ early music has drama because as he sang he was escaping limits“ ….
Ich glaube, Elvis sang so wie er sang und bewegte sich so wie er sich bewegte, weil er Hummeln im Hintern hatte und damit zur richtigen Zeit am richtigen Ort war und einen Nerv traf.
Und einfach mal ein schönes Zitat aus Mystery Train:
„R’n’R ist eine Kombination aus guten Ideen (…) und entsetzlichem Schrott, fürchterlichen Geschmacksverirrungen und Fehlurteilen, Naivität und Manipulation sowie Momenten unvorstellbarer Klarheit und Originalität, Vergnügen, Spaß, Vulgarität, Exzeß, Neuheit und äußerster Enervierung (…). (Seite 128)
Da will ich doch mehr davon!
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„Etwas ist da, was jenseits der Bedeutung der Worte, ihrer Form und selbst des Stils der Ausführung liegt: etwas, was direkt der Körper des Sängers ist, und mit ein- und derselben Bewegung aus der Tiefe der Stimmhöhlen, der Muskeln, der Schleimhäute, der Knorpel einem zu Ohren kommt, als wenn ein und dieselbe Haut das innere Fleisch des Ausführenden und die Musik, die er singt, überspannen würde.“ (Roland Barthes: Die Rauheit der Stimme)So, habe Mystery Train durch – genau genommen den gut 220 Seiten starken Hauptteil. Jetzt kommen noch 170 Seiten Anmerkungen und Diskographien. Wobei „Anmerkungen und Diskographien“ ziemlich irreführend ist, denn Greil Marcus kommentiert das so ausführlich, dass das eigentlich ein fast eigenständiger Text ist.
Ich schrieb bereits, dass Mystery Train nicht immer leicht zu lesen ist. Marcus interpretiert, fabuliert, mystifiziert und neigt zu wilden Assoziationsketten, ist einerseits bestens informiert und kommt andererseits zu sehr subjektiven Urteilen. Er schreibt – in dieser Reihenfolge – über den obskuren Harmonica Frank, Robert Johnson, The Band, Sly Stone, Randy Newman und abschließend über Elvis. Nebenbei werden Hermann Melville, Mark Twain, F. Scott Fitzgerald, Raymond Chandler und viele andere gestreift. Das wirkt manchmal geistreich, manchmal geschwätzig und unfokussiert, manchmal verwirrend aber am Ende setzt sich daraus ein Mosaik zusammen.
Worum geht es in Mystery Train eigentlich? Der Untertitel von Mystery Train lautet im Original „Images Of America in Rock’n’Roll Music“. Wollte ich es sehr knapp zusammenfassen, würde ich vielleicht sagen: Greil Marcus interpretiert Rock’n’Roll als Ausdruck des tief in der amerikanischen Seele verankerten Mythos vom Amercian Dream – mit all seinen Verheißungen, seinen Möglichkeiten, seine Triumphen, seinen Illusionen und Lügen und seinen dunklen Seiten. Wobei R’n’R für ihn keinen Stilbegriff ist, sondern für eine Musikkultur steht, die sich aus traditioneller amerikanischer Musik wie Folk, Country, Gospel und Blues speist, immer wieder neue Verbindungen eingeht, sich stetig wandelt und immer wieder Grenzen überschreitet.
Beeindruckt hat mich das Kapitel über Elvis: Da verdichtet sich alles findet seinen Höhepunkt. Ein Niemand aus den Südstaaten, ein Stück white trash (was als „Weißes Gesindel“ beschrieben wird), einer, der sich fast am untersten Ende des amerikanischen Klassensystems befindet, mit dem man eigentlich nichts zu tun haben will oder darf, ungebildet und arm aber hoch talentiert und mit dem Willen zum Erfolg, verbindet etwas miteinander, das eigentlich nicht zusammengehört, nämlich weißen Country mit schwarzem Blues und einer ordentlichen Portion showmanship. Kalkulierter Tabubruch – geschickt gemanaget von den gewieften Geschäftsleuten Sam Phillips und Colonel Tom Parker.
Einerseits steckt Elvis knietief im spießig provinziellen Milieu seiner Herkunft, geprägt von home, mother, god and apple pie, religiös, prüde, öde und perspektivlos, andererseits gibt es die Verlockungen von Rausch, Sex und Ruhm. Das sind unauflösbare Widersprüche, die eine riesige Spannung verursachen. Denn diese Verlockungen sind mit einem Tabu belegt und ihnen darf nur ausnahmsweise oder von einem Künstler als Außenseiter und Idol nachgegeben werden. Für die Dauer einer Show oder auch nur einer 45er Single ergötzt sich das Publikum am Exzess und an der Obszönität. Es jubelt seinem Helden zu, der das stellvertretend auslebt und macht sich dadurch die eigene trostlose Existenz etwas leichter erträglich. Doch am Ende muss Elvis mit einer Country- oder Gospelplatte doch immer wieder in den sicheren Schoß der Herde und der Kirche zurückkehren. Oder man beobachtet mit einer Mischung von Entsetzen und Lust, wie er grandios scheitert und in die Hölle abstürzt.
Als Greil Marcus Mystery Train 1975 veröffentlichte, lebte Elvis sogar noch, hatte sich aber auch schon das eine oder andere mal verkauft und sich an den eigenen Haaren wieder aus dem Sumpf gezogen. Marcus’ andere Beispiele waren damals aber alle schon entweder einen gewaltsamen frühen Tod gestorben (Johnson), in der Obskurität verschwunden (Harmonica Frank), übel abgestürzt (Sly Stone), waren ausgebrannt (The Band) oder – in den Augen von Marcus – missverstanden (Newman), also am Ende irgendwie gescheitert. 2 Jahre später war auch Elvis tot.
Vom Lastwagenfahrer zum Millionär – der ureigene amerikanische Traum, verwirklicht durch Talent, Willen und groß inszenierte Grenzüberschreitung. Und am Ende der Absturz. Und das geht immer wieder von neuem so. Das ist Rock’n’Roll !
Das schreibe ich als weißer, europäischer obere-untere-Mittelklasse-Europäer mit Universitätsabschluss und Rentenversicherung und denke: Kann ich R’n’R aus dieser Perspektive überhaupt richtig verstehen? Kann ein Europäer überhaupt R’n’R spielen? Für Greil Marcus haben immerhin die Rolling Stones es geschafft und im Übrigen waren The Band zu 4/5 Kanadier. Aber eigentlich, ganz eigentlich wurzelt R’n’R ganz tief in der amerikanischen Seele.
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„Etwas ist da, was jenseits der Bedeutung der Worte, ihrer Form und selbst des Stils der Ausführung liegt: etwas, was direkt der Körper des Sängers ist, und mit ein- und derselben Bewegung aus der Tiefe der Stimmhöhlen, der Muskeln, der Schleimhäute, der Knorpel einem zu Ohren kommt, als wenn ein und dieselbe Haut das innere Fleisch des Ausführenden und die Musik, die er singt, überspannen würde.“ (Roland Barthes: Die Rauheit der Stimme)Danke @friedrich, guter Text! Sollte ich mir vielleicht auch mal zulegen.
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If you talk bad about country music, it's like saying bad things about my momma. Them's fightin' words.
soulpope "Ever Since The World Ended, I Don`t Get Out As Much"Registriert seit: 02.12.2013
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@ „friedrich“ : interessante Gedanken und Worte …. wie Du sagst ist sind zahlreiche Schlüsse von ihm äußerst subjektiv, ich ziehe dies (in Zeiten einer geistigen Richtungslosigkeit) der geistigen Leere vor ….
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"Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit" (K. Valentin)Vielen Dank, Friedrich. Schön zu lesen. Vielleicht muss ich doch noch mal ran.
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The highway is for gamblers, better use yurr sense Contre la guerreDanke!
Meine Interpretation von Mystery Train ist auch ziemlich subjektiv. Das muss erlaubt sein bei einem Buch, das nicht gerade aus klar vorgetragenen Thesen und präzisen Schlüssen besteht.
GM vergleicht Sly Stone mit Stagger Lee, einem legendären Ganoven, der einen Mann erschoss, weil der ihm im Streit seinen Stetson-Hut vom Kopf gerissen hatte. Und dann setzte er sich in aller Ruhe den Hut wieder auf und ging davon. Eine stolze unberechenbare Gestalt, der Regeln nichts bedeuteten, die sich nichts gefallen ließ und machte, was sie wollte – und am Ende im Gefängnis starb. Das sind solch typische Assoziatioen von GM, die ihrerseits Interpretationsspielraum lassen. Mehr Metapher als Fakt. Aber gerade das hat auch seinen Reiz.
Ich fand Mystery Train sehr inspirierend und höre seit dem Lesen viel Elvis und auch anders als zuvor.
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„Etwas ist da, was jenseits der Bedeutung der Worte, ihrer Form und selbst des Stils der Ausführung liegt: etwas, was direkt der Körper des Sängers ist, und mit ein- und derselben Bewegung aus der Tiefe der Stimmhöhlen, der Muskeln, der Schleimhäute, der Knorpel einem zu Ohren kommt, als wenn ein und dieselbe Haut das innere Fleisch des Ausführenden und die Musik, die er singt, überspannen würde.“ (Roland Barthes: Die Rauheit der Stimme)
soulpope "Ever Since The World Ended, I Don`t Get Out As Much"Registriert seit: 02.12.2013
Beiträge: 56,509
friedrichDanke! Meine Interpretation von Mystery Train ist auch ziemlich subjektiv. Das muss erlaubt sein bei einem Buch, das nicht gerade aus klar vorgetragenen Thesen und präzisen Schlüssen besteht …. Ich fand Mystery Train sehr inspirierend und höre seit dem Lesen viel Elvis und auch anders als zuvor.
Da bist Du ja u.a bei den erweiterten „Nashville Sessions“ eh goldrichtig ….
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"Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit" (K. Valentin)
AnonymInaktivRegistriert seit: 01.01.1970
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friedrich So, habe Mystery Train durch […]
Danke für Deine hochinteressante Lektüre-Reflexion! Ich möchte ihr meine eigene entgegenstellen, weil sie einerseits sehr ähnlich ist, was die Wahrnehmung des sehr speziellen Marcus-Stils betrifft, andererseits aber vollkommen anders. Sorry, dauert jetzt ein bisschen, weil ich die Gedanken einen nach dem anderen abarbeiten muss …
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AnonymInaktivRegistriert seit: 01.01.1970
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Erstens: Ich habe das Buch Mitte/Ende der 80er-Jahre erstmals gelesen, und das ist ein wichtiger Unterschied zu Deiner Lektüre heute.
Damals gab es noch keine Bootleg-Series, keine Box mit allen 66er-Auftritten von Dylan and the Band, damals gab es weder Youtube noch Amazon. Insofern war das Buch von Marcus ein Expeditionsbericht über die Reise durch einen mir unbekannten Kontinent. Er schrieb im Anhang (der ist bei Marcus immer fluffiger zu lesen als der Hauptteil und immer ein Füllhorn an Anregungen, Lese- und Hörtipps) über all diese faszinierenden Dinge wie die kompletten Basement Tapes, Live-Bootlegs oder bahnbrechende Aufsätze von Ben Fong Torres, von denen ich nicht die Bohne wusste, wie ich sie mir jemals zugänglich machen könnte. Ich hatte das Gefühl, dass ich aus diesem Buch Dinge erfuhr, von denen ich sonst niemals je gehört hätte und von denen ich jenseits dieses Buches auch nie wieder was erfahren würde. Allein diese Erweiterung des Möglichkeitshorizonts war der Hammer.
Das ist heute vermutlich kaum noch nachvollziehbar, vermutlich rede ich wie Opa, der vom Krieg erzählt. Aber so war’s.
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AnonymInaktivRegistriert seit: 01.01.1970
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Zweitens: Marcus zeigte, dass man vollkommen anders über Popmusik schreiben kann. Nicht aus einer kurzatmigen Hier- und Jetzt-Perspektive. Sondern mit dem Horizont des Kulturhistorikers. Marcus machte klar, dass diese Musik, die ich immer unhinterfragt als reinen Zeitgeistausdruck der 60er-Jahre verstanden hatte, in vergangenen Jahrzehnten – nichts da: in vergangenen Jahrhunderten! – wurzelt und eine Position im Kontinuum amerikanischer Geschichte, Alltagsgeschichte, Gegengeschichte, Geschichte von unten besetzt. Ich dachte, wenn man über Popmusik schreibt, schreibt man über was Brandaktuelles – und plötzlich ging es quasi zurück bis zu den Ideen, Idealen und Ideologien der Pilgerväter.
Ich fand das abgefahren und einleuchtend zugleich, es war auf den ersten Blick größenwahnsinnig und auf den zweiten Blick folgerichtig, plausibel.
Heute mag das nicht mehr besonders anmuten, denn um historische Dimensionen geht es längst in Unmengen von Texten (nicht zuletzt sehr prominent in Dylans Chronicles). Damals aber hat Marcus eine Tür aufgestoßen.
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AnonymInaktivRegistriert seit: 01.01.1970
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Drittens: So schwer verständlich, assoziativ und gedanklich tollkühn Marcus ist – das Sly-Stone-Kapitel fand ich mindblowing.
Sly mit dem Staggerlee-Mythos kurzzuschließen, der Erzähltradition vom legendären, moralisch einfach nicht in kleinkarierte Schablonen zu packenden Anti-Onkel-Tom in all seiner ganzen Ambivalenz als Vorbild der Unterdrückten und egoistischer Schuft, als unbeugsamer Held und Macho-Macker, als Rebell und Zuhälter … das war, finde ich, ein genialer Marcus-Move. Was er hier vorgelegt hat, geht mir bis heute immer wieder durch den Kopf, wann immer ich mich mit schwarzer Musikkultur befasse.
Staggerlee ist der Schwarze, der sich weigert, ein Sklave zu sein und sich jeder Ungerechtigkeit lächelnd zu fügen. Der Staggerlee-Mythos handelt von der wahnsinnigen Kraft, die es kostet, und dem irren Mut, den es erfordert, um aus der rassistischen Unterdrückung auszubrechen; vom hohen Preis, den es dafür im Zweifel zu bezahlen gilt; und auch von der Gefahr, auf dem Weg der kämpferischen Selbstbehauptung seinerseits zum sexistischen Unterdrücker zu werden.
Von Miles Davis über James Brown, Curtis Mayfield, Aretha Franklin und Nina Simone bis hin zu Kendrick Lamar: Fast jede dieser Karrieren lässt sich mit Erkenntnisgewinn betrachten, wenn man sie, wie Marcus es vorgemacht hat, in Bezug zum Staggerlee-Mythos setzt. Dann sind sie …
… stolze und zugleich zutiefst gebrochene Nachfolger und Wiedergänger wie Miles (der dem Staggerlee-Typ Jack Johnson ja gar ein musikalisches Denkmal setzte),
… fast schon schizophren zwischen Rollenannahme und Rollenablehnung, zwischen Rebellentum und Überanpassung changierende Getriebene wie Brown,
… Gegenmodelle wie der Anti-Macho Mayfield (der auf seine Art aber absolut auch ein Anti-Onkel-Tom war und nebenbei mit Superfly quasi den Soundtrack zum cineastisch aktualisierten Staggerlee-Mythos einspielte) oder wie Kendrick Lamar (der die toxisch-machistische Note des role models zu überwinden trachtet, ohne die Stärke, die der Staggerlee-Haltung innewohnt, verlieren zu wollen),
… Opfer und Überlebende des Staggerlee-Mythos wie Aretha und Nina, beide gequält von toxischen Männern in Staggerlee-Tradition; wobei Nina in gewisser Weise phasenweise selber sowas wie ein weiblicher Staggerlee war.
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AnonymInaktivRegistriert seit: 01.01.1970
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Viertens, zusammengefasst: Man kann gegen Mystery Train gewiss allerlei einwenden. Für mich persönlich ist es aus den genannten Gründen dennoch bis heute eines der wichtigsten Musikbücher überhaupt.
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