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kurganrs
Frage: kannst Du mir so aus den Stehgreif sagen, welche Positionen Deiner Liste in Jazz Nähe verortet werden können?
Danke.nichts. es gibt natürlich bei einigen sachen raum für freie improvisation (haubenstock-ramatis HEXACHORD z.b. hat eine grafische notation und ist in einzelne module gegliedert, die man beliebig beim spielen variieren kann, also eigentlich total jazz, es klingt aber nicht so, wenn man es spielt
), und metheny hat „electric counterpoint“ eingespielt, aber jazz ist für mich was total anderes.
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kurganrs Frage: kannst Du mir so aus den Stehgreif sagen, welche Positionen Deiner Liste in Jazz Nähe verortet werden können? Danke.
nichts. es gibt natürlich bei einigen sachen raum für freie improvisation (haubenstock-ramatis HEXACHORD z.b. hat eine grafische notation und ist in einzelne module gegliedert, die man beliebig beim spielen variieren kann, also eigentlich total jazz, es klingt aber nicht so, wenn man es spielt
), und metheny hat „electric counterpoint“ eingespielt, aber jazz ist für mich was total anderes.
Danke für die Aufklärung.
AnonymInaktivRegistriert seit: 01.01.1970
Beiträge: 0
Vielen lieben Dank auch von mir für diese große Arbeit! Ich gestehe, dass die Musik für Gitarre in der klassischen Musik seit dem 20. Jahrhundert für mich ein sehr, sehr unerschlossenes, ja noch nicht einmal bewandertes Gebiet ist. Aus der Liste habe ich ungefähr ein Fünftel der Namen noch nicht einmal gehört, von vielen sonst „Bekannten“ wusste ich nicht, dass sie für das Instrument geschrieben haben. Mein also aus spärlicher Kenntnis gewonnenes Frohlocken stellte sich dann ein, als ich sah, dass Du Kurtágs „Grabstein für Stephan“ aufgenommen hast, ein immenser Vorschlag für eine Trauer, in der und für die eben die Gitarre die sprachlose Wüste davor und danach – vor und nach dem trauernden Ausbruch des Ensembles – hinzuzeichnen hat. Das spätere Duo für Gitarren von Kurtág kenne ich noch gar nicht.
Viel Anregungen also; sich an der Kompositionsgeschichte eines Instruments zu orientieren, ist auch ein sehr guter Wink, den Deine Liste gibt. Nach ein bisschen Erinnern fällt mir zur Ergänzung noch ein, obgleich ich die Werke noch nicht kenne, wohl aber den Musikschriftsteller ein bisschen: Claus-Steffen Mahnkopf mit „Hommage à György Kurtág“ für Gitarre und Kammerorchester – 1 Stunde, hélas!, aus 2000/01, und „Kurtág-Duo“ für zwei Gitarren (2000). Und dann – wegen Goya – erinnerte ich mich, vielmehr meine „Warenkorb-Vormerkungen“, heute noch an das hier, statt abzutippen behelfe ich mir mit diesem Link.
Wenn ich „Goldberg – Aria mit verschiedenen Veränderungen“ lese, horche ich immer auf. Ich kenne das nicht, hat Joachim Schneider da Bearbeitungen, Adaptionen komponiert? Auf seiner Website erfährt man dazu nichts, aber es scheint laut den einzelnen Titeln doch eine ziemliche Anlehnung vorzuliegen. Meine Frage geht darauf, wie weit sich die Bearbeitung von einer Transkription entfernt, z. B. in einer Weise weit, wie Hans Zender das mit Schubert’s „Winterreise“ gemacht hat? Da ist ja auch die Gitarre wichtig, aber darum wohl noch nicht für die Liste. Dann müsste man ja auch die Satie-Bearbeitungen für Gitarre aufnehmen – die habe ich hier, von Pierre Laniau, er spielt auch die 10-saitige Gitarre. – Das sind nur so ein paar Fragen, die mir gerade durch Deine Anregungen kommen.
Die Liste ist jedenfalls ausgedruckt und wird Anleitung sein. Merci!
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vielen dank für deine einlassungen, @clasjaz! ich weiß ja, dass mich niemand um eine solche liste gebeten hat, ich kenne ja noch nicht mal diesen bereich des forums so gut, als dass ich hätte einschätzen können, ob das vielleicht ein thema ist oder schon mal war.
clasjazAus der Liste habe ich ungefähr ein Fünftel der Namen noch nicht einmal gehört, von vielen sonst „Bekannten“ wusste ich nicht, dass sie für das Instrument geschrieben haben.
letzteres ging mir auch so. fast alle scheinen sich mal darangewagt zu haben, und ich frage mich, wie machen sie das: sich mit den eigenarten verschiedener instrumente für ein neues stück zu beschäftigen? in der zusammenarbeit mit instrumentalist*innen, wahrscheinlich. britten hat sich mit dowland beschäftigt, auch das lag nahe. man müsste eigentlich noch boulez aufnehmen, sein „marteau sans maître“ hat eine höllische schwierige, markante, gitarrenstimme, aber das werk ist eben nicht um sie herum gebaut (genausowenig wie henzes „cimarrón“, deshalb habe ich das wieder rausgenommen).
clasjazMein also aus spärlicher Kenntnis gewonnenes Frohlocken stellte sich dann ein, als ich sah, dass Du Kurtágs „Grabstein für Stephan“ aufgenommen hast, ein immenser Vorschlag für eine Trauer, in der und für die eben die Gitarre die sprachlose Wüste davor und danach – vor und nach dem trauernden Ausbruch des Ensembles – hinzuzeichnen hat. Das spätere Duo für Gitarren von Kurtág kenne ich noch gar nicht.
auch das ein streitfall: wird das stück wirklich von der gitarre bestimmt? ist sie nur eine farbe? der satz ist sehr einfach, viele akkorde aus leeren saiten, und doch… ich liebe das stück sehr, ich kenne kein anderes mit einer vergleichbaren stimmung, und der jähe wechsel in die kakofonie erschüttert mich (und meine nachbarn) jedes mal. ich kann mir kein anderes instrument denken, dass man statt der gitarre ins zentrum setzen könnte.
clasjaz
Claus-Steffen Mahnkopf mit „Hommage à György Kurtág“ für Gitarre und Kammerorchester – 1 Stunde, hélas!, aus 2000/01, und „Kurtág-Duo“ für zwei Gitarren (2000). Und dann – wegen Goya – erinnerte ich mich, vielmehr meine „Warenkorb-Vormerkungen“, heute noch an das hier, statt abzutippen behelfe ich mir mit diesem Link.danke, das muss ich nachprüfen. jürgen ruck und elena casoli sind gitarrist*innen, die aktuell sehr umtriebig sind, unterrichten, spielen, aufnehmen, neue werke verlangen. so kam ich auch auf schneiders goldberg-variationen, ohne sie zu kennen: weil ruck sie aufgenommen hat.
clasjazWenn ich „Goldberg – Aria mit verschiedenen Veränderungen“ lese, horche ich immer auf. Ich kenne das nicht, hat Joachim Schneider da Bearbeitungen, Adaptionen komponiert? Auf seiner Website erfährt man dazu nichts, aber es scheint laut den einzelnen Titeln doch eine ziemliche Anlehnung vorzuliegen. Meine Frage geht darauf, wie weit sich die Bearbeitung von einer Transkription entfernt, z. B. in einer Weise weit, wie Hans Zender das mit Schubert’s „Winterreise“ gemacht hat? Da ist ja auch die Gitarre wichtig, aber darum wohl noch nicht für die Liste. Dann müsste man ja auch die Satie-Bearbeitungen für Gitarre aufnehmen – die habe ich hier, von Pierre Laniau, er spielt auch die 10-saitige Gitarre. – Das sind nur so ein paar Fragen, die mir gerade durch Deine Anregungen kommen.
wie die goldberg-variationen zu verstehen sind, müssen wir gemeinsam herausfinden! mit den bearbeitungen bin ich auch unschlüssig, da gibt es natürlich viel, von bach bis ligeti. manchmal hat der komponist (die komponistin) die bearbeitung abgesegnet, dann fand ich das werk listenreif. takemitsu hat lennon/mccartney für klassische gitarre arrangiert, das ist ein sehr populäres werk… ich weiß nicht.
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AnonymInaktivRegistriert seit: 01.01.1970
Beiträge: 0
vorgartenvielen ich weiß ja, dass mich niemand um eine solche liste gebeten hat, ich kenne ja noch nicht mal diesen bereich des forums so gut, als dass ich hätte einschätzen können, ob das vielleicht ein thema ist oder schon mal war.
Ob schon einmal etwas Thema war, ist vielleicht gar nicht so wichtig. Man kann ja jederzeit etwas zum Thema machen oder es wieder machen; die Schwierigkeit ist womöglich eher, das zur „richtigen“ Zeit zu tun und frag mich jetzt nicht, welche das sei. Ob gerade die da sind, die Interesse oder / und Wissen haben und beides teilen möchten, und welche der Imponderabilien des Tagesgeschäfts es sonst seien. Bei der Gelegenheit: In einem Stones-Forum sollte es doch viele geben, die sich mit der Gitarre auskennen, Leidenschaft für sie haben, aber es scheint, als seien die Grenzen kaum zu überwinden. Ich finde, wenn eine Stimme, ein Thread sich erhebt, hört man gleich, ob das eine Stimme ist, bei der man mitsingen kann. Gewiss, auch ich lese oft nur mit, muss mich zum Schreiben auch zunehmend am Schlawittchen packen und es zur Motivation zusammenflechten … wie viele Hölzer legt man sich selbst in den Weg. Ich sage das alles so, im Battle gegen die Frustration, die Du vielleicht haben magst.
fast alle scheinen sich mal darangewagt zu haben, und ich frage mich, wie machen sie das: sich mit den eigenarten verschiedener instrumente für ein neues stück zu beschäftigen? in der zusammenarbeit mit instrumentalist*innen, wahrscheinlich. britten hat sich mit dowland beschäftigt, auch das lag nahe. man müsste eigentlich noch boulez aufnehmen, sein „marteau sans maître“ hat eine höllische schwierige, markante, gitarrenstimme, aber das werk ist eben nicht um sie herum gebaut (genausowenig wie henzes „cimarrón“, deshalb habe ich das wieder rausgenommen).
Das ist sicher ein Punkt und vieles entsteht ja auch durch eine wechselseitige Wahrnehmung der Akteure, Spieler und Komponisten, also Menuhin zum Beispiel möchte eine Solosonate, und Bartók, fast schon tot, gibt sie ihm. Vielleicht kann man es sich auch so denken, dass Menuhin ihn noch ein bisschen am Leben wissen will. Es gibt ganz sicher auch Tipps von Interpreten für’s Instrument, was Beethoven ja völlig egal war. Oder sie, die Spieler, wie Joachim, fuhrwerken im Nachhinein an solchen Insistierungen von Schumann wie seinem Violinkonzert herum. Aber das sind Violinsachen, die fallen mir eher ein als Gitarrensachen, so anders dürfte es sich aber nicht verhalten?
Kurtág zum Beispiel, und Mist, schon wieder Violine (aber ich komme gleich noch auf den „Grabstein“), hatte für seine Kompositionen für das Instrument eine Imitation einer Geige aus Papier oder Pappe! Vermutlich, um zu prüfen, ob „das“ eine menschliche Hand überhaupt greifen kann.
Aber Dein Gedanke geht auf etwas anderes, oder? Wie kommt ein Komponist, eine Komponistin – wo sind die eigentlich in der Liste? – dazu, die Gitarre einzubringen? Im Sinne von: für diesen musikalischen „Gedanken“ brauche ich die Gitarre. Und da kann man aber doch direkt springen und fragen: Wie legitimieren sich eigentlich Bearbeitungen, Adaptionen, Transkriptionen? Aber warum sollten sie nicht legitimiert sein, wenn andererseits nicht wenige Komponisten diese Art der Ausweitung des Instrumentalen von vornherein gestattet oder befördert haben, oder sich selbst davon wie auf einer Suche haben leiten lassen wollen (Bach, Schumann, bei den Jüngeren weiß ich es schlicht nicht, Kurtág ausgenommen, der frühe Gitarrenstücke, op. 6, glaube ich, verworfen hat und dann für Cymbalon u. Ä. genutzt hat). – Und was ist Musik für Gitarre? Bei Gitarrenkonzerten ist es klar, bei Solokompositionen auch, aber, sind es quantitative Gegebenheiten, die dann Boulezens meisterlosen Hammer ausschließen? Vermutlich, vielleicht ist die Frage auch nicht ganz so wichtig oder irgendwie auf Abwegen. Sonst müsste man eine größer besetzte Symphonie auch wahlweise als ein Werk für erste Geigen mit Begleitung bezeichnen können, was, zugegeben, echt abwegig wäre. Also, mir scheint, ich bringe gerade zu viel durcheinander …
Deshalb konkret zum Grabstein:
auch das ein streitfall: wird das stück wirklich von der gitarre bestimmt? ist sie nur eine farbe? der satz ist sehr einfach, viele akkorde aus leeren saiten, und doch… ich liebe das stück sehr, ich kenne kein anderes mit einer vergleichbaren stimmung, und der jähe wechsel in die kakofonie erschüttert mich (und meine nachbarn) jedes mal. ich kann mir kein anderes instrument denken, dass man statt der gitarre ins zentrum setzen könnte.
Die Liebe zu dem Stück teile ich völlig! und unsere Nachbarn haben das hinzunehmen. Den Streitfall würde ich aber anders sehen; erstens, kann eine Farbe nicht bestimmend sein? Dann, steht die Gitarre im Zentrum? Wie ist das Zentrum zu fassen? Linear gesehen ist es die Kakofonie, der empörte, sich nicht einkriegende Ausbruch. Als ich das jetzt wieder gehört habe, in der Interpretation von de Leeuw (Elliott Simpson Gitarre; Jürgen Ruck spielt es im Porträtkonzert mit Eötvös), hat mich fast erschlagen, dass kurz vor dem Ausbruch die Instrumente sich wie menschliche Klagelaute anhören. Am Grab. Oder ist das Zentrum die Zusammenfassung einer Imagination, gehalten permanent, zumindest vorne und hinten, wie von zwei Armen der Gitarrenleere? Eines ist der „Grabstein für Stephan“ jedenfalls nicht: ein „verkapptes Gitarrenkonzert“, wie Wolfgang Sandner im Booklet zur ECM-Ausgabe meint. Frage mich erneut nicht, wie man darauf kommen kann. Oder irre ich mich da?
In dem mit Gedanken, Arbeitsäußerungen, Filiationen vollgespickten Band: „György Kurtág – Drei Gespräche mit Bálint András Varga und Ligeti-Hommagen“ nennt Varga einen Brief von Kurtág an die Mitglieder der Berliner Philharmoniker, zu beachten für die Uraufführung. Varga sagt im Gespräch mit Kurtág (Marta ist übrigens immer dabei, die Kluge), ich hoffe, das zu zitieren, ist hier erlaubt: „Du machtest sie darauf aufmerksam, dass sie sich von dem allzu einfachen Notenbild nicht irreleiten lassen sollten. Wenn sie verstünden, was hinter den Noten und Tönen stecke, würde ihnen ein erschütterndes Erlebnis zuteil werden.“ Das kann man als Allerweltsklausel für jedes Werk halten – „wenn ihr nur wüsstet und verstündet …“. Nein, ich glaube, auch deshalb ist das Werk für mich einzigartig, dass es hier tatsächlich um das Außerordentliche, nicht zu Begreifende, aber Tatsächliche geht. So wie Werner Schroeter auf die Frage nach dem „natürlichen Tod“ knapp zurückfragte: „Gibt es einen natürlichen Tod?“ In wieweit das alles mit der Gitarre zu tun hat, als solcher, weiß ich nicht. Ich weiß nur, dass es bei Kurtág in diesem Werk funktioniert, unabänderlich erscheint.
jürgen ruck und elena casoli sind gitarrist*innen, die aktuell sehr umtriebig sind, unterrichten, spielen, aufnehmen, neue werke verlangen. so kam ich auch auf schneiders goldberg-variationen, ohne sie zu kennen: weil ruck sie aufgenommen hat.
wie die goldberg-variationen zu verstehen sind, müssen wir gemeinsam herausfinden! mit den bearbeitungen bin ich auch unschlüssig, da gibt es natürlich viel, von bach bis ligeti. manchmal hat der komponist (die komponistin) die bearbeitung abgesegnet, dann fand ich das werk listenreif. takemitsu hat lennon/mccartney für klassische gitarre arrangiert, das ist ein sehr populäres werk… ich weiß nicht.
Die Goya-Einspielung von Ruck und Casoli habe ich jetzt bestellt, wie bei Schneider und seinen Goldbergs weiterzukommen ist, weiß ich nicht. Ohne sie auch zu bestellen, aber das scheue ich noch. Im Netz habe ich nichts Näheres gefunden. Und Bach hat das Werk von Schneider doch nicht abgesegnet? (Gould hat für alle möglichen Bearbeitungen oder Arrangements oder Transkriptionen von Bach eine große Bresche geschlagen, weil Bach für ihn nicht instrumentengebunden war, er erwähnt irgendwo sogar eine Bearbeitung für Saxofon-Quartett oder so ähnlich …)Auch das Beispiel Takemitsu (ich kenne dieses populäre Werk nicht, will nichts heißen) spricht vielleicht dafür, das Ganze sehr offen zu halten. Wenn man den Überblick möchte. Was ist aber mit der Entscheidung, die Gitarre prominent in einem Werk sehen zu wollen / können? Ich nehme an, man muss sich auf die Vielfalt der Möglichkeiten zurückziehen, also weite Felder in Augenschein nehmen.
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du hast natürlich recht: das ganze offen zu halten, ist entscheidend, es geht gar nicht anders. deshalb sind listen ja auch eigentlich quatsch (oder: poesie). was meine ich mit „um die gitarre herum gebaut“? dass der „grabstein“ ein gitarrenkonzert sein soll, finde ich trotzdem absurd. aber ich könnte es nicht gut begründen. natürlich können farben auch zentral stehen, und nicht alles muss ein zentrum haben.
die transkriptionen für gitarre sind trotzdem mit vorsicht zu genießen, denke ich. viele erklären sich aus der schieren not, dass man als gitarrist*in, wenn man das größere publikum gewinnen will, nichts zu bieten hat außer dem spanischen zeug. keine klassik, keine romantik, kein impressionismus, nichts jedenfalls, was auf dem niveau liegt, auf dem sich andere instrumente bedienen können (fernando sor… furchtbar). so verstehe ich ja auch den sprunghaften erfolg der gitarre in der neuen musik, weil die gitarrist*innen endlich angefangen haben, werke einzufordern. und so bin ich ja auch schnell in der neuen musik gelandet: es gab nichts anderes.
was da im gespräch mit kurtag herauskommt, ist sehr interessant. was hinter dem einfachen notenbild steht… man hört das sofort, die kraft liegt nicht in den komplizierten bewegungen. aber es gibt auch eine spezifische magie in den leeren saiten der gitarre (jedenfalls für die, die sie spielen), auch die sonate von ginastera fängt so an. ich kenne leider zu wenig von kurtag, das werde ich ändern.
bin gespannt, was es mit den goya-caprichos auf sich hat, ich werde aus der titelliste nicht schlau und finde keine beschreibung des programms. schneiders goldberg-variationen gibt es hier (und offenbar haben sie auf sehr abstrakter ebene mit dem vorbild zu tun):
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AnonymInaktivRegistriert seit: 01.01.1970
Beiträge: 0
Jetzt, so spät, nur eine kurze Rückmeldung, ich möchte noch ausführlicher schreiben demnächst. – Dass ich „Goldberg“ nicht gefunden habe, ist auch eine Art Witz. Ich war nicht einmal auf die Idee gekommen, bei yt zu suchen. Danke für den Link, ich höre gerade hinein. Das ist schon interessant! Erster Eindruck: gewiss mehr als eine Transkription. Bei der Aria kann ich noch folgen, das ist die Reduzierung, extrem, auf die Melodielinie, jede Verzierung – mal abgesehen davon, dass sich die Leute ohnehin bei Bach um deren richtige Ausführung streiten – weggeschoben. Kann man machen, finde ich, kann man sogar gut machen; weil, bei Bach scheinen selbst die möglichen Ornamente gar keine zu sein, insofern sie völlig angelegt sind im Tonlauf, also nichts Hinzukommendes sind – und wenn sie in einer Interpretation so erscheinen, gefällt’s mir gleich nicht. Dann, gleich in der ersten Variation, komme ich an meine Grenzen. Das möchte ich alles hören mit den Noten vor mir, also mit denen von Bach, das mache ich demnächst. Fragt sich immer noch, ob ich das verstehe, denn Schneider geht entschieden, scheint mir, in den Gedanken: Was, wenn Bach nicht so fahrlässig mit der Instrumentenwahl umgegangen wäre, ich weiß, provokativ gesagt, stimmt ja auch nicht wirklich, er jedenfalls ist nicht auf die Idee gekommen, so weit ich weiß, die Chaconne für ein Tasteninstrument vorzusehen. Also, da ist etwas, ich behalte den Vorschlag, es sei eine Abstraktion, im Hinterkopf, das eine Demonstration ist, eine Auslegung mit dem Anspruch: Hört hin, so hört sich das nämlich auch an, was Bach da gemacht hat. Und man kann es gut mit der Gitarre hörbar machen.
Dies so einfach aus dem Ärmel geschüttelt, mag es Quark sein. – Goya / Ruck soll nächste Woche eintrudeln, ich berichte dann.
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danke dir! ich habe bisher nur kurz reingehört in die aria mit verschiedenen veränderungen (und bin auch über den übergang in die erste veränderung gestolpert). ich höre die sachen gerade für mich chronologisch durch und bin zuletzt bei henzes märchenbildern (1980) hängen geblieben. ich bewege mich dabei ausschließlich auf youtube, weil ich nach neuen interpretationen der stücke, die ich schon kenne, suche – und man findet sehr viel interessante sachen, diplomprüfungen und andere vorspiele, bei denen sich einige natürlich die schwersten stücke überhaupt auswählen und in der regel daran scheitern (mad lady macbeth aus henzes royal winter music z.b.), weil sie das ganze sportlich nehmen. und dann gibt es so fetisch-seiten wie diese hier, auf der man dann aber eine sehr schöne version von poulencs sarabande findet.
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AnonymInaktivRegistriert seit: 01.01.1970
Beiträge: 0
Und ich danke Dir! Mit Schneider und seinen Goldbergs habe ich noch nicht weitergemacht, aber die Noten liegen schon bereit … Den Guitarsalon werde ich mir später ansehen, gleich erst einmal die Sarabande von Poulenc. Es ist doch interessant, wie man sich Wege suchen kann / muss in der Fülle und welche man wählt. Für mich ist das, da es um die Gitarre geht, doppelt und dreifach nicht vertrautes Feld (was auch das Meiste drüben im Jazzthread betrifft), sagte ich ja schon, von ein paar Werken abgesehen. Aber so sehe ich mir die Liste an und möchte da auch picken nach den Komponisten, von denen ich schon einmal anderes gehört habe – diese sollen mir also das Gehen leichter machen. Da interessiert mich z. B. Krenek, Manfred Trojahn, Wadada Leo Smith – und von Henze und Berio habe ich Royal Winter Music und die Sequenza XI sogar im Regal, aber so lange nicht gehört, dass ich dies nun mit dem neuen Interesseboden ganz neu angehen kann.
Und eben auch mit den Caprichos Goyescos (vol. 1; wobei vol. 2 wohl beabsichtigt war, aber nicht realisiert wurde, zumindest werden im Booklet Kompositionen u. a. von Bernd Franke, Andras Hamary, Claus-Steffen Mahnkopf, Maurizio Pisati und José Maria Sanchez Verdú angekündigt), die nun schon Samstag hier eingeflogen sind. Alles Auftragswerke von Jürgen Ruck und also ihm gewidmet. Der Text für das informative Booklet stammt von Ruck, die meisten Caprichos, die sich die Komponisten – und die Komponistin Cathy Milliken, ansonsten ist noch Lisa Spalt, wenn das mal keine nom de plume ist, da, die mit Clemens Gadenstätter zusammen ein höchst forderndes, mit allem harschen Witz gespicktes Werk Ruck auf die Beine gelegt hat – die meisten Goya-Vorlagen sind also auch wiedergegeben.
Das „Programm“ besteht schlicht darin, etwas zu den Caprichos zu machen. Sonst keine Vorgabe. Die Grafiken müssen demnach in Musik transkribiert werden und Jürgen Ruck hebt in seinem Text auch gleich mit einer eigenwilligen, aber sehr aufschlussreichen und für mich fruchtbaren Erläuterung dieser Art von Transkriptionen an. Er geht nämlich vom Technischen weg und natürlich könnte man mir hier vorwerfen, dass ich das alles ganz simpel-technisch vorstelle, wenn ich von Transkriptionen spreche. Aber das ist Absicht, man könnte auch allgemeiner Adaption sagen, aber eine Lösung sehe ich da auch nicht. Ruck holt sich also Arnulf Rainer zur Aufhellung, von ihm sieht man auch ein Werk als Cover. Die gewonnenen, geschaffenen Auseinandersetzungen mit Goyas Caprichos, seien – eben Rainer zufolge zu seinen Werken – Ergebnisse einer „energetischen Transformierung“. „Verwandlung, Umwälzung abgelagerter Kräfte in neue präsente Menschen oder gegenwärtige Strahlung, Energie.“ Zugegeben, das hört sich nach Worten aus dem hohen Haus des Seelenverstehens an, und meistens suche ich da das Weite. Indes, ich habe mir angewöhnt, so etwas angesichts der Werke herunterzuschrauben – auch, soweit es geht, meine Aversion – und da bleibt für mich hier: Da ist eine Bewegung, erstens die von Goya, zweitens die der Betrachter, seien sie Komponist*innen oder nicht, und drittens die der Komponist*innen, die in ihren Tonmöglichkeiten und Klangvorstellungen wieder etwas „aufs Papier“ bringen. Das macht es echt nicht einfacher! Es wird einem auf solchen Programm-Platten eine kleine Enzyklopädie vorgelegt, und ich persönlich finde mein Staunen gut, dass die Komponist*innen noch leben. (Habe ich nicht geprüft, aber möglich wäre es.) Bei Goya hatte ich keinen Zweifel …
Jetzt bin ich da also anderthalb Mal durchgegangen und ich übertreibe nicht, wenn ich beides sage: Dieser glasklare Gitarrenklang von Ruck, auch dort, wo er richtig zu tun hat, ist das eine; das andere, dass die Möglichkeiten der Gitarre wirkliche Möglichkeiten sind, die mir ins Ohr gehen. Aber das spielt gerade weniger eine Rolle.
Interessanter finde ich den etwas größeren Zusammenhang all der „Beziehungskunst“ (Transkription, Adaption …), die sich in den „Ablagerungen“ manifestiert, – recht besehen, ein anachronistischer Witz von Rainer, der immer das Epigonale einbezieht, weil es irgendwann eben nicht mehr anders ging, die Zeit der Genies war vorbei, im Moment als sie begann. Warum auch nicht. Wie man sich auf alles beziehen kann, mit Köpfchen und Kopf, Satire und Spott, Häme und Verzweiflung, Trauer und Zugucken, und eben: Hinsehen.
Das alles wird noch nicht zu Ende gehört sein, denn immer sind da ja, siehe oben, die Drei, und dann noch die Vierten, wir, die wir es hören, was aus allem geworden ist. Und wie die Ablagerung und das Freischaufeln weitergeht. Die Zeiten sehen allemal danach aus, dass es schwierig wird. Die Verdunkelung – zeitgenössische Anmerkung – nimmt zu. Nein. Entfesselt sich, ermuntert sich. Vermutlich war das in Goyas Land auch so. Ziemlich sicher.
Wie auch immer, ich muss da näher dran, so etwas wie Gadenstätter und Spalt da machen – Ruck muss spielen und einen üblichen Jahrmarktsdialog dazu sprechen – der Mann will Busen, die Frau, wieso? Reichts nicht, der Mann, doch, die Frau, na also, aber der Mann will Busen, die Frau, wieso? usw., ist noch einfach, weil sehr goyesk. Schwieriger ist dann die Frage des Zusammenklangs der Imagination von Goya und Überschreibungen von Ablagerungen. Oder sind es doch nur Zuschreibungen?
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ich habe dir noch gar nicht gedankt für diese beschreibung des goya/ruck-projekts, @clasjaz. aber viel darüber nachgedacht. ich gehe bei solchen be- oder verarbeitungen fremder kunst, die hier ja auch noch das medium wechselt (und du hast recht: dazwischen spielen ja auch noch die bildbetrachtenden und die hörer*innen der stücke eine dritte und vierte rolle), manchmal verloren – vielleicht ist das auch faulheit, sich nicht nur mit der musik, sondern auch noch mit ihren bezügen zu beschäftigen. auch das FLOSS DER MEDUSA ist ja so ein beziehungskunstwerk, es bezieht sich ja nicht nur auf die berichte der überlebenden, sondern auch auf das berühmte gleichnamige bild.
mich würde aber sehr interessieren, wie cathy miliken für gitarre schreibt. es ist nicht der erste auftrag, den sie von jürgen ruck erhalten hat, ihr werkverzeichnis führt noch das stück für gitarre solo, „wie fliehen“ von 2004 auf. im märz bin ich bei der uraufführung ihres neuen streichquartetts im publikum, für die ardittis zu ihrem 50. geburtstag geschrieben, sie spielen das im pierre-boulez-saal. anyway – die liste füllt sich.
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clasjaz Und eben auch mit den Caprichos Goyescos (vol. 1; wobei vol. 2 wohl beabsichtigt war, aber nicht realisiert wurde, zumindest werden im Booklet Kompositionen u. a. von Bernd Franke, Andras Hamary, Claus-Steffen Mahnkopf, Maurizio Pisati und José Maria Sanchez Verdú angekündigt), die nun schon Samstag hier eingeflogen sind. Alles Auftragswerke von Jürgen Ruck und also ihm gewidmet. […]
vielen Dank auch von mir @clasjaz für diesen Hinweis und Deine Gedanken…
Hier wird Claus-Steffen Mahnkopf zu „El sueño de la razon produce monstruos“ erwähnt: Gitarre und Laute ONLINE 14.06.2015 (unter dem Kommentar zum Tagungsband vom Symposium)
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sean shibe, dreams & fancies (2017)
der 1992 geborene sean shibe ist eine entdeckung, die ich durch @gypsy-tail-wind gemacht habe. er hat viele mir wichtige klassiker der modernen gitarrenliteratur eingespielt, und alle interpretation gehören für mich zu den besten, die ich kenne: auf dieser debüt-cd mit englischen werken spielt er brittens „nocturnal“, waltons fünf bagatellen und berkeleys sonatina, auf CAMINO (2021) de fallas „homenaje“, mompous „suite compostelana“ und poulencs sarabande, auf PROFESIÓN (2023) villa-lobos‘ préludes und etüden, außerdem die sonate von ginastera. als nächstes würde ich ein henze-programm bei ihm bestellen.
die englischen sachen (aus den späten 50ern, den 60ern und frühen 70ern) sind alles überredungs- und auftragswerke, die auf julian bream zurückgehen, der professioneller klassikgitarrist wurde, als sein instrument noch kein bisschen ernst genommen wurde. der bezug zu dowland (von dem spielt shibe hier auch drei stücke zwischendurch, was eigentlich kein bruch ist) liegt bei allen komponisten nah, auch die umgehung der spanischen tradition, man hört hier aber, wie vielschichtig das alles zusammenhängt. brittens „nocturnal“ dekonstruiert z..b. eine downloand-aria, entwickelt aus den fragmenten eigene bewegungen (in fast allen damals bekannten spieltechniken), die aber insgesamt einen fluss ergeben, an dessen ende das dowland-stück im quasi unbearbeiteten zustand wie aus dem nebel auftaucht.
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