Re: Oasis – Don’t Believe The Truth

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matis

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Beatles überwunden

Oasis sind einfach nur präsent. Heute erscheint auf Sony ihr neues Album „Don’t Believe the Truth“. Als selbsternannte größte Band der Welt wollten Oasis den weißen Mann an der Gitarre retten und auch noch an die Liebe glauben.

Diese Band funktioniert wie eine zuverlässige Heizung. Man legt eine ihrer Platten auf, und die Musik ist einfach nur präsent. Oasis-Songs sind manchmal gut, häufig mäßig, aber bisweilen großartig – doch wo Oasis draufsteht, ist immer Oasis drin. Und zwar in jedem Takt und Akkord hörbar. Bislang zumindest. Auf „Don’t Believe the Truth“, dem an diesem Montag erscheinenden sechsten Longplayer der selbsternannten größten Band der Welt, ist das etwas anders.

Schon die Titelgebung deutet an, daß sich Maßgebliches verändert haben muß bei den Gallagher-Brüdern. Man prügele sich kaum und vertrage sich inzwischen besser, bescheiden sowohl Sänger Liam wie Gitarrist und „Banddiktator“ Noel zuletzt. Doch ein Statement wie „Don’t Believe the Truth“ verkörpert für die auf ihre Herkunft so stolzen Arbeiterklassensprößlinge einen noch herberen Einschnitt. It’s Postmoderne, und Oasis will sich dem nicht mehr verschließen. Zur Erinnerung: Anfang der neunziger Jahre, in den perspektivlosesten Zeiten, die Gitarrenrock je durchlebte, traten Oasis an. Gemeinsam mit den ungleich mehr artsy, camp und popistisch angelegten ungeliebten Kollegen von Blur belebte man das seinerzeit tote Genre Britpop neu und kreirte damit ein Refugium, in dem der popkulturell in arger Bedrängniß (HipHop, Techno, Riot Grrrls) befindliche „weiße Mann mit der Gitarre“ überleben konnte. Wenn man die köstlichen Interviews nachschlägt, die Liam und Noel reihenweise gaben und in denen sie diese Strategie untermauertern, kommt man aus dem Lachen nicht heraus. Die doppelköpfige Gallagher-Figur entspricht dabei mit ihrem in England stets titelseitenfähigen Gepolter in etwa einem sozialdemokratischen Dieter Bohlen. Dementsprechen besetzten Oasis im Widerstreit mit ihren postmodernen Antipoden Blur von Anfang an die Rolle der lauten Schläger- und Pöbeltypen, die noch an die große Liebe glaubten und deren bisweilen großartige Popmusik stets klare Wahrheiten anbot. Studentisches war verpönt, Liam und vor allem Noel Gallaghers Bezugspunkte waren der Pop der Beatles und der in England nach wie vor als kulturelles Deutungsmuster geläufige Habitus ihrer Arbeiterklassenherkunft. Auf ihren beiden ersten Platten „Definitely Maybe“ und „(What’s the Story) Morning Glory“ reformulierten sie einen Teenage- und Rock’n’Roll Mythos nach dem anderen.

„Wir sind keine Band, die sich weiterentwickelt. Wir machen Rock’n’Roll“, hat Liam Gallagher mal gesagt. Eine Provokation, die jedoch bislang die Sache traf. Bei „Don’t believe the Truth“ ist man sich da aber nicht mehr so sicher. Geblieben ist die absolute Präsenz von Oasis, geblieben ist die schwankende Qualität ihrer Songs. Verändert haben sich die musikalischen Bezugspunkte. Noel Gallaghers Trauma, als Songwriter einen upgedaten Paul McCartney abgeben zu müssen, scheint überwunden. An die Stelle der Beatles rückt so die komplette Rock- und Folk-Musik der sechziger Jahre. Zudem trommelt Ringo Starrs Sohn Zak nun als Bandmitglied. Fast die Hälfte der neuen Songs stammt zudem von den neuen Bandmitgliedern. Hatte „Heathen Chemistry“ 2002 in Produktion und Arrangement den unbedingten Willen zum hochglänzend Hymnischen, ist der Sound diesmal ungleich roher. Die Single „Lyla“ ist einer der wenigen Songs, die noch am alten Hochglanz-Hymnenkonzept anknüpfen, und kokettiert mit dem „Street fighting Man“ der Stones. „Part of the Queue“ und „The Importance of being idle“ sind dagegegen viel bessere Popsongs, die sich zwischen Freddy Mercury’esken Sottisen, Westcoast-Verstatzstücken und Kinks-Anleihen breit machen. Mit dem superben Uptempo-Rocker „The Meaning of Soul“ hat auch Liam ein großes Stück Musik lancieren dürfen. „Mucky Fingers“, klar der beste Song der Platte, ist dagegen ein im Geiste Bo Diddleys nölendes, noisiges, bluesiges und archaisches Hymnending, das auch als Remake von Velvet Undergrounds „Waiting for the Man“ durchgehen könnte.

Die neuen Songs von Oasis sind disparater geworden und das – keine Frage – tut ihnen ausgesprochen gut. Richtig groß sind sie vor allem in ihren spröderen Momenten. Ob das aber die Kids verstehen? Bei Blur-Fans hätte man da keine Zweifel.

Marek Lantz, junge Welt

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five to seven