Antwort auf: 2020: Jazzgigs, -konzerte & -festivals

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ARTACTS ’20 – St. Johann in Tirol – 6.-8. März 2020

Montag kam ich vom Artacts ’20 in St. Johann in Tirol zurück … seltsam, in diesen Tagen zu reisen, im Zug war es recht still, und von gewissen Strecken in Österreich abgesehen auch recht leer. Da wohl wenigstens bis Mitte April mein ganzes Programm inklusive Urlaub ins Virus fallen wird (oder schon fiel), entschied ich mich aber, hinzufahren. Am Donnerstag wurde die zweijährlich durchgeführte Foto-Ausstellung in der Galerie der Marktgemeinde St. Johann in Tirol eröffnet. Vor zwei Jahren spielte Ken Vandermark im Rahmen der Eröffnung der Foto-Ausstellung ein sicher halbstündiges Set, dieses Mal war Dave Rempis angekündigt, der sein Tenorsaxophon dabei hatte. Er spielte eine „Intervention“, ganz wie im Programm angekündigt, die dauerte wohl etwa zehn Minuten und das war’s dann auch schon. Seine Improvisation war allerdings toll, er spielte fast ohne Unterbruch mit Zirkuläratmung durch, dennoch erhielt man nicht den Eindruck von übermässiger Dichte oder gar Atemlosigkeit, im Gegenteil. Ein intensiver aber kurzer Einstieg. Als ich nachher ein wenig mit Rempis sprach (und ihm gleich noch zwei CDs abkaufte, er hatte fünf seiner Releases auf dem eigenen Label mit, eine davon war bis dahin meine einzige Rempis-CD) meinte er, er hätte den Anlass nicht überstrapazieren wollen, die Leute seien ja zum Quatschen gekommen … ja, eben, leider. Von mir aus hätte er gerne etwas weniger rücksichtsvoll sein dürfen, ich machte mich dann auch bald aus dem Staub.

: : Freitag 6. März : :

SCHMOLINER / DRAKE | Ingrid Schmoliner – p, voice / Hamid Drake – d, frame d, voice
Das Festival begann dann am Freitagabend, wie üblich in der Alten Gerberei, ein von der Grösse her perfekter Raum, der dieses Mal angenehm voll war, 2018 war er meistens total überfüllt – mag an Corona gelegen haben, die Stühle waren jedenfalls in der Regel alle besetzt und an den Wänden und hinten bei der Bar sassen noch mehr Leute. Ingrid Schmoliner am Flügel und Hamid Drake am Schlagzeug machten den Auftakt. Vorn stand ein Klaviersessel mit einem Mikrophon, und tatsächlich kam Drake gegen Ende des Sets mit seiner Rahmentrommel nach vorn und es gab einen Chant. Schmoliner arbeitete mit Präparationen, das Klavier klang mal fast wie eine Harfe, dann stark gedämpft oder auch metallisch, sägend. Ein Groove schälte sich heraus, es wurde ein wenig gerifft, dann verschwanden diese Versatzstücke wieder im Klangstrom, der wenig ereignisreich war, sich eher mit schleichenden, allmählichen Veränderungen vorwärtswälzte. Im dritten Stück sang Schmoliner, was ich jetzt nicht für die beste Idee hielt. Drake, der in wunderbarer Spiellaune war, wechselte zu den Besen, danach trommelte er auf dem Kit mit den Händen weiter, was ganz toll anzuhören war. Er kam dann eben nach vorn mit seiner Trommel, Schmoliner setzte für seine Gesangsnummer ganz aus. Drake hielt dann eine kurze Ansprache, bedankte sich für die Einladung an dieses tolle Festival, und schlug vor, dessen Namen ein drittes Wort einzuverleiben: art-love-acts. Im vierten und letzten Segment des Konzertes spielte Schmoliner dann ohne Präparationen im tiefen Register des Flügels, Low End Piano – ein wunderbarer Abschluss eines Sets, das in seinem Verlauf immer besser geworden war. Auftakt also schon einmal gelungen.

CONCA / HÖGBERG / BERGMAN / SARTORIUS | Paed Conca – cl /Anna Högberg – as / Elsa Bergman – b / Julian Sartorius – d
Für das folgende Quartett hatte ich keine Erwartungen, die uneigentliche Musik der Anna Högberg Attack beim Taktlos 2017 kam mir natürlich wieder in den Sinn. Das Set fing ziemlich langweilig an, alle vier spielten sie, so laut und druckvoll sie konnten, Högberg war dabei sehr dominant, das Klangbild mit strapazierter Klarinette und Altsaxophon nur mässig attraktiv. Sehr gut gefiel mir aber, wie Bergman am Bass die Musik immer besser verankerte, sie legte einen Boden, tat das aber äusserst agil und der Boden blieb so beweglich, dass er eben gar keiner war. Allmählich setzte dann auch mal eine*r der vier aus, es wurde etwas variantenreicher, es folgten dann auch leise Passagen, in den mit Klappen geklappert, tonlose Luftsäulen geblasen, Felle gekratzt, Saiten geschabt wurden. Die zweite solche Passage wirkte auf mich wie ein „Reset“, und von von da an lief das Set dann ziemlich rund. Högberg öffnet solo mit Zirkuläratmung, Sartorius stösst dazu, es entwickelt sich was – und zugleich mit dem plötzlich viel besser funktionierenden Zusammenspiel öffnet sich auch mehr Raum für individuelles Playing. Bergman griff dann auch mal zum Bogen – und sie überzeugte mich von den vieren mit Abstand am meisten (Sartorius hörte ich bisher v.a. mit Piano – Colin Vallon, Sylvie Courvoisier, ich mag sein Spiel auch sehr, aber der Rahmen hier war wohl nicht ideal für ihn). Conca fand ich leider auch etwas enttäuschend bzw. ich ging fast mit dem Eindruck aus dem Konzert, dass ich ihn eigentlich gar nicht recht gehört habe – sein Ton schien mir schrill und recht flach, er hatte neben Högberg einen schwierigen Stand, blieb in der hohen Lage, erkämpfte sich auch kein längeres Solo … also ein eher schwieriges Set, das aber versöhnlich endete. (Und wo ich meinen Bericht zum Taktlos 2017 lese, bin ich froh zu lesen, dass ich Bergman auch damals schon recht gut fand.)

TWIXT | Billy Roisz – elec, elb, visuals / dieb13 – tt, elec
In der Pause las ich die Nachricht vom Tod McCoy Tyners. Niederschmetternd, auch wenn sie mich vor einigen Jahren schon nicht überrascht hätte. Trotzdem, Ende einer Ära, das klassische Coltrane Quartett ist damit ganz verschwunden. Dass das dritte Set kein eigentliches Konzert sondern eher ein Film mit Live-Begleitung war, passte dann ganz gut. Ob das zusammengeschnittene Filmmaterial von Roisz oder von beiden stammte, wurde mir nicht klar (die Angaben oben sind dem Booklet entnommen, wobei die Bassgitarre – oder war es eine Gitarre – dort nicht steht). Die beiden hatten sich am rechten Rahn der Bühne eingerichtet, eine Leinwand wurde heruntergerollt, darauf lief der Streifen, montiert aus existierenden Kurzfilmen, stark bearbeitetes Bildmaterial, das sich mit klassischen Genres befasst: dem Roadmovie, dem Western – im Programmheft steht: „Die Filme erforschen die inneren Mechanismen etablierter filmischer Konventionen“, das mir sofort einleuchtet, denn obwohl die Bilder nicht wirklich lesbar waren, waren sie absolut verständlich, obwohl es im Bilderfluss natürlich keinen Plot (und auch gar bzw. fast keine Figuren) gab, konnte man ganz leicht folgen. Bilder von Ebenen, won Wasseroberflächen, Fahrten, Luftaufnahmen, dazwischen mal ein Bus, ein Schiff, ein vom Bäumen gesäumter Weg bis zum Horizon, verpixelt, verwackelt, in Wellen über die Leinwand gehetzt … dazu ein passender Flow von elektronischen Klängen, zu denen sich am Ende ruppige Gitarrenakkorde und Feedbacks von Roisz gesellten. Das war für mich die perfekte Tyner-Gedenkstunde, und im Ablauf des Abends auch völlig schlüssig – was sich sowieso als die grösste Stärke der 2020er-Ausgabe entpuppte: vier Sets pro Abend sind viel, von 19 Uhr bis 1 Uhr früh dauerte es jeweils ungefähr – aber die Dramaturgie, die Programmierung, passte perfekt, und das an allen drei Abenden (erinnerte mich damit an meine ersten beiden Ausgaben des Météo Festivals in Mulhouse, 2016 und 2017).

HARNIK / REMPIS / ZERANG | Dave Rempis – as, ts / Elisabeth Harnik – p / Michael Zerang – d
Den Ausklang machte dann das Trio, auf das ich nach dem zu kurzen Solo von Rempis (den ich beim Artacts ’18 ja überhaupt zum ersten und bisher einzigen Mal gehört hatte, damals nur am Altsax in einem Quartett mit der enttäuschenden jaimie branch) vom Donnerstag sehr gespannt war. Rempis spielte zunächst das Altsax, wechselte dann für den grösseren Teil des Sets zum Tenor, um am Ende wieder beim Alt zu landen. Elisabeth Harnik (auch sie kannte ich bisher bloss vom Artacts ’18) wirkte am Klavier zwar beeindruckend, aber etwas leicht, als hätte sie sich nicht so recht an die tiefen Töne gewagt (mag aber auch ein Problem der Abmischung gewesen sein). Zerang hielt sich für meinen Geschmack etwas zu sehr zurück, aber dass das Trio gut abgestimmt ist, wurde schon sehr deutlich. Mich beeindruckte Rempis am Tenorsaxophon am meisten, mit einem wunderbaren, satten Ton und Phrasen, die wie in Stein gemeisselt scheinen, noch im freiesten Umfeld – wobei er selbst in seinem Spiel gar nicht so frei wirkt, viel von der grossen Jazztradition mitzuschwingen scheint, vom Bop bis zur klassischen Avantgarde aus New York und Chicago. Ein schöner aber nicht überragender Abschluss des ersten Abends.

: : Samstag 7. März : :

KÜHNE / ULLMANN | Almut Kühne – voice / Gebhard Ullmann – ts, bcl, elec
Am zweiten Tag folgte (nach einem kurzen Krabbelkonzert für Kleinkinder mit Paed Conca, das ich ausliess) schon um 17 Uhr ein erstes Konzert in der alten Gerberei. Als „die Schöne und das Biest“ kündigte Hans Oberlechner, das umtriebige Mastermind hinter dem Artacts, das Duo an, was die beiden sichtlich belustigte. Stimme und Saxophon – keine Kombination, die mich auf dem Papier sehr ansprechen würde. Kühne hörte ich erstmals letzten Herbst beim Unerhört in einem etwas verunglückten Konzert, doch ich freute mich aufgrund ihrer damaligen Performance auf ein Wiederhören, Ullmann hatte ich zum bisher einzigen Mal im Herbst 2006 bei einem leider fast menschenleeren aber wunderbaren Konzert in Zürich mit Steve Swell und Barry Altschul gehört. Los ging es rein akustisch an der Bühnenkante, Ullman am Tenorsax und unverstärkt (Foto). Danach traten sie etwas nach hinten, Ullmann hatte einiges Equipment am Boden, arbeitete mit Echo, Loops, griff zwischendurch mehrmals zur Bassklarinette, schuf Räume und Kulissen für Kühnes Stimme, die so ziemlich alles beherrscht, von fast tonlosem Flüstergesang bis hin zu sehr intensiven Passagen. Ich fand ihren Gesang beeindruckend, die völlige Kontrolle der Stimme, die Beherrschung, und das bei grosser Lockerheit, zumindest dem Anschein nach. Ein unverhofft schönes Set.

FREE MUSIC ST. JOHANN | Elisabeth Aufschnaiter – acc / Wolfgang Brunner – b / Cäsar Cechmann – ts, ss, fl / Bernard Embacher – clars / Lukas Massinger – elg / Markus Massinger – elb / Barbara Romen – prep dulcimer / Gunter Schneider – contra g / Ingrid Wegmayr – elg / Markus Köhle – spoken words
Nach einer längeren Pause ging es um 19 Uhr wieder mit dem üblichen Viererblock weiter. Den Auftakt machte ein bunter Haufen lokaler Musiker*innen, die sich auch am Vorabend schon im Publikum getummelt hatten, „Free Music St. Johann“, eine Gruppe, die seit 2015 besteht und gemäss dem Programmheft etwa von Cornelius Cardew und Christian Wolff beeinflusst ist. Den Text im Programmheft („stets mit möglichst allen Mitmusizierenden in Kontakt zu ein, achtsam zu sein, sie wahrzunehmen, um auf sie auch reagieren zu können … Es geht um Selbstdisziplin, Reduktion, den Verzicht auf ausgeprägte Idiome und traditionelle Klischees bzw. die Suche nach einer meta-idiomatischen Ausdrucksform …“) finde ich gelinde gesagt etwas schwierig – voller hehrer Ziele, an denen die Musik dann aber auch gemessen wird. Und dabei entpuppte sich die Sache mit dem Verzicht auf Klischees, der meta-idiomatischen Ausdrucksform doch als letztlich kaum umsetzbare Prämisse. Das Tenorsaxophon heulte, die Flöte und die Klarinetten fiepsten, die Gitarren verursachten Rückkopplungen oder heulten auch mal auf … ein auch dank Akkordeon und Zither ziemlich buntes Klangbild, doch das Set wirkte ziemlich streng und letztlich klang es auch wie schon hundertmal gehörte, typisch europäische Improvisation. Etwas Auflockerung bot dann aber Markus Köhle, der Poetry Slammer, der mit improvisierten Wortkaskaden dazustiess. Das schien dann auch die Stimmung der anderen auf der Bühne etwas zu entkrampfen, es wurde immer wieder mal geschmunzelt und alles wirkte etwas lockerer, gelöster – und so nahm das Set nach seinem zähen Anfang doch noch ein ganz gutes Ende.

WEBSTER / EDWARDS / KEPL | Colin Webster – as / John Edwards – b / Irene Kepl – v
Das zweite Konzert des Abends gehörte auch zu jenen, auf die ich neugierig war. Colin Webster kannte ich zwar ebensowenig wie Irene Kepl, doch das Line-Up wie auch die Präsenz von Edwards liessen mich auf ein feines Set hoffen. Webster spielte nur Altsax, mit schönem Ton, weniger hart als Rempis. Edwards am Bass legte eine umwerfende Performance hin, Kepl hielt sich allerdings bis zum Ende sehr zurück – und das kann man nicht den Männern auf der Bühne zum Vorwurf machen, denn Räume gab es immer wieder, sie spielte auch die meiste Zeit mit, aber halt zuwenig nach vorn, sie nahm sich nicht den Raum, den sie hätte haben können – und hätte einnehmen sollen. So blieb das ein wenig hinter den Erwartungen, aber aber doch ganz gut. Das – und vielleicht kam Drake auch deshalb auf „art-love-acts“ – schmälerte aber nicht den Applaus. Es kam zwar schon mal vor, dass bei einem Konzert ein paar Leute gingen, bei einem anderen (Mopcut, erwartungsgemäss) die Ränge weniger dicht besetzt waren – aber bejubelt wurde ohne Ausnahme jedes Konzert – was mich ehrlich gesagt ein wenig irritierte. Dieses Trio spielte dann noch eine Zugabe, was nun bei dem dichten Abendprogramm nicht nötig gewesen wäre, aber gut …

URUK | Franz Hautzinger – t / Isabelle Duthoit – voice, cl / Hamid Drake – conga, frame d, voice / Michael Zerang – cga, bgo, tamb
Das dritte Set präsentierte dann zwei Duos, eins mit lärmigen Jungs aus Chicago, das andere ein luftig-ätherisches französisch-österreichisches – ob das gut gehen konnte? Oh ja! Zu meiner ziemlich grossen Überraschung (ich schäme mich inzwischen fast ein wenig für meine Skepsis) funktonierte das ganz hervorragend. Hautzinger und Duthoit rahmten die beiden Trommler ein, diese sassen in der Mitte mit je einer Conga-Trommel als Basis, bei Zerang zudem Bongos, ein Tamburin, Glöcklein usw., bei Drake seine Rahmentrommel und die Stimme. Von Ritualen, ritueller Musik und der Erforschung von deren möglicher Bedeutung für die Gegenwart ist im Programmheft die Rede, und auch das ergab durchaus Sinn. Jedenfalls spielte Hautzing in diesem Set mehr Trompete, als ich bisher von ihm ingesamt gehört hatte, will sagen: er blies sie oft richtig kräftig, mal mit, mal ohne das Vierteltonventil, mit sattem, schönen Ton – und natürlich obendrein mit einer ganzen erweiterten Klangpalette, die mit Dämpfern anfing und bis zu tonloser Luft mit Ventilgeklapper reichte. Duthoit erwies sich einmal mehr als begnadete Stimmakrobatin, die Klarinette kam gegen Ende des Sets auch öfter zum Einsatz. Mit den beiden Trommlern fügte sich das alles harmonisch zusammen, Drake spielte die Conga auch mal mit Besen, Zerang wechselten zwischen Conga und Bongos, griff sich öfter ein grosses Tamburin, hätte kleine Glöcklein und mehr dabei. Ein klangschönes, intensives und äusserst stimmiges Set.

MOPCUT | Audrey Chen – voice, synth / Julien Desprez – elg / Lukas König – d, synth
Den Austakt vor inzwischen ausgedünntem Publikum machte das Trio Mopcut um die Sängerin (Schreierin?) Audrey Chen, die in der Mitte der Bühne hinter einem kleinen Synthesizer stand. Einen noch kleineren hatte König auf seiner Stehtom liegen (die er aber dennoch öfter mit nutzte). Desprez bewegte sich oft wie ein Derwisch, wenn es galt, die Pedalen im rechten Moment zu erwischen, seine Gitarre war klanglich fast nicht als solche erkennbar. Düster Klänge produzierte er, die das eigentliche Rückgrat der Musik des Trios zu sein scheinen. Sich überschlagende Wellen von Feedbacks, harte Verzerrungen, donnernde Soundscapes, wenn er den Körper der Gitarre fixiert und mit Wucht an ihrem Hals zerrt und würgt. Gewalttätige Musik? Vielleicht, aber durch König, der stellenweise fast nur das zerdellte Becken (auf dem Bild ganz am Rand vor dem Verstärker zu sehen) nutzte, auch verspielt. Chen war streckenweise fast beängstigend intensiv, die etwas ausgeklügeltere Lichtchoreographie passte am Ende auch sehr gut. Krasses Set und einmal mehr ein Abschluss, bei dem deutlich wurde, wie gut sich der ganze Abend zusammengefügt hatte. Vielleicht hätte man aber für Mopcut besser mal die Stühle weggeräumt? Ich war ja schon nach dem ersten Abend froh, ins Tirol gefahren zu sein, nach dem zweiten wäre ich glücklich heim, doch es kam noch besser.

: : Sonntag 8. März : :

Am Samstag liess ich das in der etwas abgelegenen Weitau um 16 Uhr stattfindende Solo-Konzert on Franz Hautzinger aus – er spielte 2017 beim Météo ein geräuschhaftes Solo-Set (Link findet sich oben bereits), mir war dieses Mal die längere Erholungszeit wichtiger – zudem gab es am Abend ja noch einmal vier Sets, und die sollten es in sich haben!

IRENE KEPL PROJECT – LAUT SCHWEIGEN | Irene Kepl – v, comp / Annette Giesriegl – voice / Colin Webster – as / Jakob Gnigler – ts / Elisabeth Harnik – p / dieb13 – tt / Matija Schellander – b / Uli Winter – vc / ChorArt St. Johann – choir
Den Auftakt machte ein Kompositionsauftrag, den das Festival zum 20. Jubiläum an Irene Kepl erteilte, die Geigerin, die am Vorabend schon mit Webster und Edwards gespielt hatte. „Eine komische Oper“, wie angekündigt, war das eher nicht, aber auf jeden Fall ein besonderes und eigenwilliges Stück Musik. Die Mezzosopranistin Annette Giesriegl sass in der Mitte der Bühne an einem Tisch, sie führte als Sprecherin/Sängerin/Spielmacherin durch das Werk, würfelte immer wieder, zog aus Karten oder Zetteln einen und rezitierte etwas. Durch das Würfeln wurde das Stück wohl erst quasi erstellt, zufallsgeneriert. Im Text fanden sich Gegensatzpaare, durch Gegenüberstellung komisch wirkende Phrasen, Widersprüche, Buchstabensalat – und das war alles auch Aufgabe des kleinen Chors, der hinter dem Publikum auf der schmalen Galerie (sie führt in den Backstagebereich) stand. Am Ende war das ganze etwas harmlos aber amüsant, musikalisch nahm es allmählich Fahrt auf, es gab Momente, in denen sich Chor/Spielmacherin mit freien Kollektivimprovisationen wunderbar verzahnten. Kepl hielt sich auch hier wieder recht zurück, aber Webster liess mal sein Altsaxophon fauchen, Gnigler blies komplexe Phrasen mit seinem wunderschönen Ton, Harnik griff in den Flügel, dieb13 legte Platten auf, Schellander und Winter griffen mal rhythmisierend, mal geräuschhaft ein.

EVANS / GROPPER / KOSACK / SAND / STEIDLE | Peter Evans – t / Philipp Gropper – ts / Liz Kosack – keys / Jordan Sand – b / Oliver Steidle – d
Danach ging der Abend dann richtig los (obwohl in der Reihe hinter mir die Nörglerin, die obendrein den ganzen Abend durchhustete, bestenfalls in die Hand, meinte, jemand hätte erzählt, das Konzert in Berlin sei grottig gewesen … bei der „Oper“ ging sie nach einer Viertelstunde vor sich hin grummelnd, dass sie sich so einen Scheiss nicht antue, raus – nächstes Mal zuhause bleiben, Gnädigste!) … die ersten zehn oder fünfzehn Minuten war ich zunächst etwas skeptisch. Steidle trommelt einen harten, einfachen Beat, die Bläser spielen Kürzel, rhythmische Patterns, Sand ebenfalls. Alles beginnt aber bald, sich zu verschieben, die Stimmen sind versetzt, die Musik bleibt straff aber bewegt sich dennoch unaufhörlich, unaufhaltbar. Kosack spielt dazu Fills und Schnörkel, bleibt aber in der Basslage, so dass sich das alles zunächst überhaupt nicht nach „Solo“ anfühlt. Doch allmählich geschieht immer mehr, das straffe Gerüst wird immer mehr gedehnt, bis irgendwann ein richtiges Solo, kurz nur, den Bann bricht. Kleine Motive tauchen auch, auch mal ein raffiniertes längeres Thema, Evans bläst zwei umwerfende, nun auch längere Soli, Gropper neben ihm glänzt mit einem wunderbaren Ton, schlank, lyrisch, versucht gar nicht erst, Evans die Stirn zu bieten – sehr schön auch das Statement, das sie mit dem eng nebeneinander Stehen abgeben. Kosack interveniert immer wieder, Sand und Steidle ziehen mehr oder weniger das Ding durch, das sie von Anfang an machen: ein recht grobschlächtiger Beat, der sich stets da oder dorthin verschiebt, manchmal scheinen drei oder vier verschiedene Metren gespielt zu werden, und doch ist alles total tight – das Konzept geht am Ende für mich völlig auf, die Kontrolle, die Freiräume, die Gesamtdramaturgie – es gab dann doch auch langsamere Passagen, ruhige gar – , dass da zugleich eine total enge Band steht, aber dass hier auch ein paar der schönsten individuellen Momente geschehen (wie sie z.B. bei Högberg/Conca etc., und letztlich auch bei Webster/Edwards/Kepl fehlten) – das überzeugte mich am Ende völlig! Und ich hatte dann noch die Gelegenheit, ein paar Worte mit Philipp Gropper zu wechseln, ein paar Fragen zum Funktionieren der Musik zu stellen. Etwa sechs Stücke hätten sie gespielt, sie gehen ohne Unterbruch durch (in St. Johann wohl für fast 70 Minuten, was bei einem Abend mit vier Sets ordentlich lange ist – aber für mich war es keine Sekunde zu lang!), schwenken ein in ein nächstes Stück, das manchmal nur aus einem kurzen rhythmischen Pattern, einer Phrase besteht, bewegen sich dann weiter, in einem Flow, der sich fortwährend verändert, irgendwie amöbenhaft, ganz klar umrissen und dennoch nie greifbar, immer schon einen Schritt weiter. Bis hierhin das klar beste Set des Festivals … und hätte Louis Moholo seine Gigs nicht absagen müssen, ich wäre davon ausgegangen, dass das auch so bleiben würde.

DIE HUSBAND | Aurora Hackl Timón – d / Billy Roisz – elec, elb, voice / Elise Mory – p, synth / Karolina Preuschl – elec, voice / Leo Riegler – voice, sax / Marie Vermont – elec
Das dritte Set gehörte dann einer Truppe von Dadaisten um den Conférencier und Schnulzensänger Leo Riegler, der im Arztkittel auf die Bühne kam (und später passend dazu eine rauchte – wie schön übrigens, dass auch in Österreich in Gastrobetrieben usw. inzwischen ein Rauchverbot gilt, ich habe mich schon im Januar an den Besuch beim Artacts ’18 erinnert und wie damals noch jedes Café mit Rauchschwaden verhangen war – es wurde da in der Regel nicht einfach nur geraucht sondern gleich multipel massiv Kette). Aber gut, Riegler stand links am Rand hinterm Mikrophon, er hatte auch ein paar Einspieler ab Band dabei, Anweisungen für das Verhalten im Konzert und weitere Durchsagen, die teils schlichtweg nicht stimmten … hinten mittig sass die rockig aufspielnde Schlagzeugerin Aurora Hackl Timón, zudem gab es neben der bereits bekannten Billy Roisz (die wieder eine Gitarre oder einen Bass dabei hatte, aber sie/ihn auch dieses Mal nur zum Erzeugen von Klängen nutzte, nicht zum konventionellen Spiel) noch drei weitere Damen hinter diversen Keyboards, Synthesizern und selbstgebautem Equipment – schon klar, dass der Doktor keinen Nebenbuhler toleriert in Die Husband, die gemäss seiner Website „das Halleluja gebrochener Herzen und fröhlichem Zerstörertums“ ist. Elise Mory spielte zwischendurch auch den Flügel, Marie Vermont („Marie Vermont was abducted by aliens in 1999 and lives as an experiencer since then, nowadays in Vienna“) hatte einen Tisch voller kleiner Gerätschaften und dutzenden Kabeln, Karoline Preuschl stand vorne rechts, gegenüber von Riegler, und erwies sich am ehesten als seine Sparring-Partnerin, neben Synthesizern steurte sie öfter Gesang bei (Roisz manchmal auch) und später das Mikrophon, als Riegler aus der Daunendecke, die mitten auf der Bühne lag, sein Saxophon im Gänsekleid holte und zu spielen anfing. Natürlich fanden auch dieses Set nicht alle gut, aber es war ein entspannter und bunter Trip zwischen Dada und schwarzem Humor (Georg Kreisler guckte von oben glücklich zu) – und eine perfekte Brücke zwischen zwei intensiven Jazz-Sets. Auch hier wieder eine äusserst glückliche Programmierung.

4 BLOKES | Jason Yarde – as, ss / Alexander Hawkins – p / John Edwards – b / Mark Sanders – d
Ein Set gab es noch, es begann gegen Mitternacht und dauerte bis nach ein Uhr früh – und es entpuppte sich rasch als das für mich intensivste und begeisterndste Set des Festivals. Schon der Einstieg erfolgte mit nahezu absurder Wucht, in langen Medley spielte die Band das übliche Repertoire, für das Louis Moholo die „4 Blokes“ ins Leben gerufen hatte: um Klassiker von Dudu Pukwana, Chris McGregor und den Blue Notes zu spielen. Wegen einer grösseren Operation (die er wie ich hörte gut überstanden habe) musste er seine Gigs absagen (und weil Edwards schon seit Freitag in St. Johann war, sprang beim Konzert in Dachau obendrein Neil Charles am Bass ein). Mit Mark Sanders war aber ein in mehrerer Hinsicht perfekter Ersatz zur Stelle: einerseits spielte er in den 80ern mal mit Pukwana und kennt die Musik, andererseits scheinen er und Moholo eine mutual admiration society zu formen, und obendrein sind Edwards/Sanders seit einiger Zeit eines der herausragenden Rhythmusgespanne im Jazz und in der improvisierten Musik. Sanders spielte unfassbar intensiv, vermutlich hatte man damit nicht so richtig gerechnet, denn die Balance war ziemlich schief, das Klavier versank oft und wurde eher noch gefühlt als gehört. Aber bei dem Energielevel, das da herrschte, machte das am Ende wenig. Natürlich gab es ruhige Momente, Hymnisches, doch nie brach die Spannung ab, Yarde erwies sich als Rhapsode, spielte am auch am eine wunderschöne Balladenmelodie am Sopran mit geballter Ausdruckskraft. Hawkins und Edwards hatten derweil sichtlich grössten Spass, waren stets hier und zugleich dort und überhaupt überall. Es war fast schon lächerlich, wie gut und intensiv dieses Set war – und dass es eine ganze Stunde dauerte und von einer siebenminütigen Zugabe gefolgt wurde, machte den Spass nur noch grösser. Ein wunderbarer Ausklang, der mich um halb zwei total geflasht in die Nacht hinaustorkeln liess … Musik, in der alles gebündelt scheint, was das Leben so bereithält, Freude und Leid, eine Fröhlichkeit, die wie jene des Blues stets auch das Gegenteil mitschwingen lässt, eine Traurigkeit, die einen aber vor lauter Freude zum Singen bringen kann. Faszinierend, dass das auch ohne Moholo klappte – und obendrein dank Sanders auf einem Level, das der alte Meister gar nicht mehr durchgehalten hätte.

Ein Versuch, das alles auch noch zu Besternen:

Ingrid Schmoliner/Hamid Drake – Artacts ’20, St. Johann in Tirol – 6.3. * * *1/2
Anna Högberg/Paed Conca/Elsa Bergmann/Julian Sartorius – Artacts ’20, St. Johann in Tirol – * * *
Twixt (Billy Roisz/dieb13) – Artacts ’20, St. Johann in Tirol – 6.3. * * *
Dave Rempis/Elisabeth Harnik/Michael Zerang – Artacts ’20, St. Johann in Tirol – 6.3. * * *1/2
Almut Kühne/Gebhard Ullmann – Artacts ’20, St. Johann in Tirol – 7.3. * * * *
Free Music St. Johann/Markus Köhle – Artacts ’20, St. Johann in Tirol – 7.3. * * *
Colin Webster/John Edwards/Irene Kepl – Artacts ’20, St. Johann in Tirol – 7.3. * * *1/2
Uruk (Isabelle Duthoit/Franz Hautzinger/Hamid Drake/Michael Zerang) – Artacts ’20, St. Johann in Tirol – 7.3. * * * *
Mopcut (Audrey Chen/Julien Desprez/Lukas König) – Artacts ’20, St. Johann in Tirol – 7.3. * * *1/2
Irene Kepl: Laut Schweigen – Artacts ’20, St. Johann in Tirol – 8.3. * * *
Peter Evans/Philipp Gropper/Liz Kosack/Jordan Sand/Oliver Steidle – Artacts ’20, St. Johann in Tirol – 8.3. * * * *1/2
Die Husband – Artacts ’20, St. Johann in Tirol – 8.3. * * *1/2
4 Blokes (Jason Yarde/Alexander Hawkins/John Edwards/Mark Sanders) – Artacts ’20, St. Johann in Tirol – 8.3. * * * * *

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