2017: Jazzgigs, -konzerte & -festivals

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  • #10215705  | PERMALINK

    vorgarten

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    brandstand3000 war dabei (hatte ich oben geschrieben) – und mein einziges arkestrakonzert davor war im a-trane, vor knapp 70 leuten, da gab es eben keine räder, sondern scott musste sich zum selbstschutz hinknien, wenn der posaunist mal was spielte ;)

    ich fand ja beide konzerte toll, aber dass es gestern so durch die decke ging, hatte sicherlich auch etwas mit der größe des saals zu tun.

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    #10215717  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
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    Ach so, sorry, schon vergessen wegen @brandstand3000 – bin mental seit letzter Woche in Südindien :-)

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    "Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #151: Neuheiten aus dem Archiv – 09.04., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba
    #10219031  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
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    Beiträge: 67,069

    Urs Leimgruber/Pascal Marzan & Devin Gray/Miles Perkin/Eve Risser – WIM, Zürich, 30. Juni

    20:15 Werkstattkonzert 1. Set

    Urs Leimgruber – Saxophon
    Pascal Marzan – Gitarre

    21:00 Werkstattkonzert 2. Set

    Devin Gray – Schlagzeug
    Eve Risser – Klavier
    Miles Perkin – Bass

    Gestern Abend mein letztes Jazzkonzert vor der überlangen Sommerpause – die auch dieses Jahr durch das Météo in Mulhouse etwas verkürzt wird (es scheint leider zur Tradition zu werden, dass ich den Eröffnungsabend verpasse, dieses Jahr u.a. Evan Parker/Matthew Shipp, was mich schon sehr interessieren würde; letztes Mal lag es an zuwenig Urlaub, dieses Mal immerhin wegen „L’Orfeo“ unter Gardiner in Luzern). Es gab zwei frei improvisierte Sets von wohl einer Dreiviertelstunde Dauer, beide gut gelungen, beide von Combos, die wohl noch nicht oft zusammengespielt haben (beim Trio im zweiten Set bin ich nicht sicher, ob das nicht das erste Mal überhaupt war, Devin Gray lud ein und wählte die beiden anderen aus, wie es schien).

    Im ersten Set traf der Luzerner Klangalchimist Urs Leimgruber (den ich skandalöserweise tatsächlich nach wohl über einem Dutzend Jahren erst zum zweiten Mal live hörte) auf Pascal Marzan aus Paris. Die beiden steigen den Klängen nach, noch den feinsten, leisesten. Das tun sie mit Beharrlichkeit und einer guten Prise Humor. Marzan spielt eine akustische Gitarre, in die er ein kleines Mikro klebt, damit auch die ganzen Präparierungen, die er vornimmt, gehört werden können. Er schiebt Dinge zwischen Griffbrett und Saiten wie auch und unter die offenen Saiten, traktiert diese mit verschiedenen Gegenständen, wendet aber ebenso – auch in Kombination mit Präparationen – Flamenco- und klassische Spieltechniken an. Leimbgruber stopfte sein Sopransaxophon mit einem Dämpfer, der wie ein angepasster Trompetendämpfer aussah, was bei hohen Tönen einen leichten Verfremdungseffekt hat, vor allem bei vollständig geschlossenen Klappen jedoch einen speziellen Effekt bringt, den er da und dort auch quasi zum Dialog mit sich selbst, zur Antwort auf offene Linien in höheren Lagen, einsetzte. Am Tenor nahm er auch mal das Mundstück ab, blies in den Bogen, nahm auch diesen ab, hielt ihn mit kleiner Distanz vor die Lippen und spielte mit Luftströmen, die brachen und ganz leise Klänge erzeugten. Auch für das Tenoraxophon verfügt er über einen Dämpfer. Was er mit den beiden Instrumenten alles anstellt, ist jedenfalls phänomenal, dass er – durch die Om-Reunion, soweit ich weiss – auch das kraftvolle tonale Spiel wiederentdeckt hat und auch dieses einbaut, was nahtlos und völlig organisch gelingt, erweitert die Klangpalette noch zusätzlich. In Marzan (den ich davor nicht einmal dem Namen nach kannte) hat er einen kongenialen Partner gefunden, der mir nur da und dort etwas konventionell schien, insgesamt aber sehr schön zu Leimgruber passte. Hier gibt es ein interessantes Interview und diverse Hörproben von Marzan:
    http://preparedguitar.blogspot.ch/2015/02/pascal-marzan-13-questions.html

    Nach der Pause gab es dann ein Trio mit Eve Risser am präparierten Piano, Miles Perkin am Kontrabass und Devin Gray am Schlagzeug. Das Trio sass im ersten Set im Publikum und hörte zu, das Duo tat im zweiten Set dasselbe – um sich zu vergegenwärtigen, wie die WIM (Werkstatt für Improvisierte Musik) aussieht: im Regelfall sind da zwei bis maximal drei Stuhlreihen von etwa 8-10 Stühlen, in der Regel sind einige von ihnen leer. Tagsüber und auch an den meisten Abenden proben hier lokale Musiker, ein bis zweimal wöchentlich finden Konzerte statt, es gibt regelmässige Reihen (z.B. von Saxophonist und Bandleader Omri Ziegele und seinem Langzeitprojekt Billiger Bauer oder von Drummer Heinz Geisser, den man vielleicht von den Alben des Collective 4tet auf Leo kennt). Oft sitzen denn auch andere Musiker im Publikum und hören, was ihre Kollegen aushecken. Immer wieder sind aber auch Gäste aus der halben Welt da, wie eben auch gestern Abend, als der amerikanische Drummer Devin Gray mit der Elsässerin Eve Risser und dem Kanadier Miles Perkin (derzeit wie es scheint in Berlin domiziliert – kennt ihn @vorgarten zufällig? – und auch an Schaubühne tätig ist und – wenig überraschend, wenn man ihn spielen sieht – auch als Tänzer arbeitet) ein Trio bildete. Präparationen gab es natürlich noch mehr, Risser hatte wohl zwei Dutzend kleinere und grössere Gegenstände im Flügel verteilt, die sie immer wieder umarrangierte, während sie die Tasten bearbeitete oder mit verschiedenen Schlägeln die Saiten im Innern des Instruments bearbeitete. Gray spielte über weite Strecken mit Besen, schnappte sich manchmal auch kleine Glöcklein, lauschte wie auch Risser und zuvor das Duo den Klängen nach, schien sich für eine Weile fast im Schlagzeug verkriechen zu wollen. Sein Spiel war (neben Marzan) die Entdeckung des Abends, erscheint es doch zugleich sehr locker und total kontrolliert, frei und doch oft auch mit einem mitreissenden Puls, um nicht von Groove zu reden. Das Trio erzeugte nicht die hochkonzentrierte, durchaus als Zumutung zu bezeichnende Dichte des ähnlich gelagerten Trios „en corps“ mit Risser, Benjamin Duboc und Edward Perraud (das neue Album ist wohl mein Album des Jahres und das erste wäre es vor ein paar Jahren auch gewesen, wenn ich es gekannt hätte), da war viel mehr Luft, auch das in der Tat tänzerische Spiel von Perkin öffnete Räume. Risser hielt sich über weite Strecken zurück, wobei mir nicht ganz klar war, ob sie darauf wartete, dass die anderen in einen allmählichen Steigerungslauf einfallen würden, jedenfalls gab es erst im letzten Drittel Passagen, in denen ihr Spiel sich verdichtete und auch mal laut wurde, inklusive ganze Unterarme auf der Tastatur, was das Arsenal im Innern des Flügels in nervöse Unruhe versetzte. Ein schönes, nicht überragendes Set.

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    "Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #151: Neuheiten aus dem Archiv – 09.04., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba
    #10247503  | PERMALINK

    atom
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    Zwar kein reines Jazz-Festival aber dennoch extrem gut besetzt:

    Le Guess Who? 2017

    „The festival has grown into a wide-ranging event for alternative or obscure or historical tastes, taking place in churches, galleries and theaters around the city, along the lines of Primavera and Big Ears in Knoxville, Tennessee.“ – The New York Times

    Le Guess Who? is the Netherlands’ mainstay event for experimental, collaborative, and otherwise out-of-the-box musical thinking. The 11th edition of the festival takes place 9-12 November in the picturesque city of Utrecht, The Netherlands.

    During four days, Le Guess Who? takes over the city center of Utrecht with 100 performances set to electrify churches, galleries, theaters and pop venues. Side programs with music, film, art, photography and markets appear at cafés, hotels, restaurants, wharf cellars, de Neude square and the hidden corners of the city.

    ua. mit

    Han Bennink Trio
    Brötzmann/Leigh
    Peter Brötzmann & Han Bennink
    Keiji Haino
    Keiji Haino & Han Bennink
    ICP Orchestra
    Matana Roberts
    Pharoah Sanders
    Linda Sharrock

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    Hey man, why don't we make a tune... just playin' the melody, not play the solos...
    #10258247  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
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    Météo – Mulhouse Music Festival 2017 – 23.-26. August
     
     
    Wie letztes Jahr zog es mich Ende August ins Elsass, ans Météo Festival in Mulhouse. Das Fazit einmal mehr: grossartig! Gut möglich, dass ich diese Edition noch einmal eine Spur besser fand als die von 2016. Ich reiste wieder erst am zweiten Tag an (dem ersten mit vollem Programm), verpasste daher den Eröffnungsabend – vielleicht mag @redbeansandrice dazu (und zum ganzen Rest) ja noch ein paar Zeilen schreiben (auf dem Programm im Théâtre de la Sinne standen: MATTHEW SHIPP / EVAN PARKER „HOMMAGE À JOHN COLTRANE“ und MARC RIBOT’S CERAMIC DOG mit Shahzad Ismaily und Ches Smith).
     
     
    MERCREDI 23 AOÛT
     
    EVE RISSER SOLO – Los ging es um halb eins, wie immer mit einem Solo-Konzert in der Chapelle Saint-Jean, das erste der vier Konzerte bestritt Eve Risser, meine Erwartungen waren hoch, wurden aber ein wenig enttäuscht, gerade auch im Licht der Solo-Konzerte der folgenden Tage. Sie mühte sich am präparierten Flügel ab, erst nach zehn oder fünfzehn Minuten gelang es, Bögen zu spannen, die halbwegs zu fesseln vermochten.
    Fazit: schön aber etwas zerfahren, etwas harmlos, * * *1/2
    Der Preis für die beste Arbeit am präparierten Klavier geht dennoch an Risser (vgl. Milesdavisquintet und Tony Buck/Magda Mayas).
     
    ALVIN CURRAN SOLO – Die Elektro-Performance im Park (mit Kopfhörern im Liegestuhl sitzen und Musik von Kristoff K. Roll hören) liessen wir aus, weiter ging es um 17:30 im Temple Saint-Etienne, der grössten Kirche am zentralen Platz der Stadt mit Alvin Curran an der (dem?) Shofar sowie dem Synthesizer und diversen anderen Utensilien. Leider war das kein so richtig gutes Konzert. Manches sollte wohl witzig sein, Weniges war es auch, aber vieles war eher etwas abgedroschen und wirkte einmal mehr zerfahren. Bögen gab es keine, aber immerhin fand er zu einem überzeugenden Schluss – was ja gerade bei einer solchen Performance durchaus nicht leicht ist. Die Hoffnung ging als in Richtung MEV, doch auch sie sollte enttäuscht werden.
    Fazit: Irritation und Langeweile. * *1/2

    YANN GOURDON SOLO – Nach einer kleinen Umbaupause folgte Yann Gourdon an der Drehleier (vielle à roue). Nach einer guten Viertelstunde hatten wir das gehört (darum kein Fazit, keine Sterne – aber es hätte eher noch einen halben weniger als bei Curran gegeben, denke ich) und zogen los in Richtung Noumatrouff, wo wie immer die Abendkonzerte stattfanden, wo man an zwei Ständen was zu Essen kriegt und an diversen Ständen richtig viele CDs kaufen kann …
     
    MILESDAVISQUINTET ! – Um 21 Uhr legte die erste Band des Abends los … was soll man erwarten von einem Klaviertrio, das sich Milesdavisquintet inklusive Ausrufezeichen nennt? Jedenfalls ist das schon mal eine klare Ansage und der Sound, den das Trio – Valentin Ceccaldi (vc), Sylvain Darrifourcq (d, perc), Xavier Camarasa (p) – zum besten gab, passte denn auch dazu. Das Set war grossartig, die ersten drei Viertel eine Art minimaler Techno, bei dem alle drei nur einzelne Töne spielten, die sich in verschiedenen Metren überlagerten, mal zusammenfanden um dann wieder auseinanderzudriften Camarasa beschränkte sich dabei auf präparierte Töne, es gab keinen Melodiefetzen, keinen Akkord, weder vom Cello noch vom Klavier. Das alles ergab einen hypnotischen Effekt, der schliesslich von einem banalen kleinen Klaviermotiv in der hohen Lage durchbrochen wurde. Mein erster Gedanke: oh nein, was soll das jetzt, warum brechen sie jetzt diese Strenge auf? Doch das bedauerte ich bald nicht mehr, denn das Trio legte einen Steigerungslauf hin, der atemberaubend war und über wohl eine knappe Viertelstunde bis zum äussersten getrieben wurde. Dann Schluss … doch Moment, das Cello spielt einfach weiter, wieder einen einzelnen Ton. Und dann steigen die anderen wieder ein, quasi eine eingebaute Zugabe zum Set, die zum Schluss noch einmal vorführt, wo die Reise angefangen hatte und verdeutlicht, wie das Trio vorging. Faszinierend und nach den Nachmittagskonzerten ein Start nach Mass.
    Fazit: * * * * *

    BIC – Die zweite Gruppe des Abends hielt erfreulicherweise das Niveau, sowohl in energetischer als auch in musikalischer Hinsicht. Gitarrist Julien Desprez hatte eine carte blanche erhalten und holte sich Ingebrigt Håker Flaten (elb), Mette Rasmussen (as) und Mads Forsby (d). Letzteren kannte ich überhaupt nicht, von Rasmussen hatte ich zu meiner Schande von ein paar Youtube-Schnipseln abgesehen noch nichts gehört. Die Musik war düster und laut, es gab eine eigene Strobo-Lichtshow auf der Bühne, Haker-Flaten (der mit Kontrabass angekündigt war) beeindruckte mit unglaublich tollem Spiel, während der eigentliche Leader der Band ein wenig unterging. Rasmussen meisterte die Herausforderung, als Bläserin in die brachiale Musik hinein und dort Wege zu finden, mit denen sie etwas Wesentliches beitragen konnte, sehr gut. Raum hatte sie dennoch etwas wenig, immerhin gab es gegen Ende eine kürzere unbegleitete Passage.
    Fazit: * * * *1/2
    Ein 20minütiges Segment aus dem Konzert tauchte gerade auf Youtube auf – das ist ein mässiges Aud-Video, ich hoffe, es wird auch diesmal wieder offizielle Mitschnitte in der Tube geben, aber das dauert wohl noch ein wenig.

    THE NECKS – Den Abschluss des Abends machten dann The Necks, und natürlich ergab auch die Programmierung der drei Sets perfekten Sinn. Die Spielanordnung der drei australischen Musiker ist schon krass, Tony Buck (d) sitzt links im rechten Winkel zum Publikum mit Blick auf den Rücken von Chris Abrahams (p), der in dieselbe Richtung blickt aber rechts auf der Bühne sitzt und ziemlich autistisch rüberkommt. Bloss Bassist Lloyd Swanton scheint so halbwegs am Publikum interessiert zu sein – und mich dünkte bei dem guten aber nicht überragenden Set war auch er es, der die Impulse gab (aufgriff und an die anderen weiterleitete?), die zu den allmählichen – manchmal aber überraschend plötzlichen – Veränderungen der wie erwartet hypnotischen, aber im Vergleich mit den zwei Sets davor doch auch ziemlich stillen Musik führte.
    Fazit: * * * * bis * * * *1/2
     
     
    JEUDI 24 AOÛT
     
    BILL ORCUTT SOLO – Das diesjährige Festival kam mit einen Gitarrenschwerpunkt daher, bis dahin waren es Marc Ribot und Julien Desprez. Im zweiten Solokonzert in der Kapelle stand nun Bill Orcutt auf dem Programm. Er hatte in der Mitte der Bühne seinen Verstärker aufgebaut und sass grummelig und vollbärtig links daneben, man konnte ihn an den Köpfen des Publikums vorbei nur schlecht sehen. Aber hören dafür umso besser. Mich beeindruckte das völlig unprätentiöse Spiel sehr, es war unglaublich reich an Obertönen und an Klangfarben, eine Art gitarristisches Pendant zum Sound von Albert Ayler vielleicht? Im Publikum hielten manche sich die Ohren zu, denn die kahlen Steinwände spiegelten die Klänge in alle Richtungen (ohne zu hallen allerdings, dafür sorgt das stets zahlreich erscheinende Publikum) und es wurde tatsächlich ziemlich laut. Irgendwann brummelte er, er würde jetzt „White Christmas“ spielen und tat das dann auch, es folgte „Star-Spangled Banner“, die Hendrix-Referenzen verschwammen aber bald und er schaffte seine eigene Version. Dann noch ein kürzeres Stück und schliesslich mit einer seltsamen Ansage (ich glaube sowas wie: er wolle an sich nicht mehr, aber wenn wir noch wollen, spiele er halt nochmal, er hatte davor schon aufs Handy geschaut) auch noch eine kurze Zugabe.
    Fazit: sperrig aber doch wunderschön, * * * *
     
    BEAMS – Nach dem Mittagessen ging es in die Kunsthalle, die eine kleine Ecke unter dem Dach des absurd grossen Gebäudes namens La Fondérie einnimmt und eine überraschend tolle Ausstellung zur Flüchtlingskrise bot. Darin fand um 17:30 dann eine Performance statt, die Alvin Curran mit seinem Workshop gab (es gibt beim Météo stets auch ein paar Workshops, zu denen man sich anmelden kann, einen leitete dieses Jahr Curran). Das war alles irgendwie okay, aber auch etwas nervig und langfädig und ja, langweilig – Reduktion fand ich das, Minimalismus nicht, aber das hätte es wohl sein sollen, obwohl es auch noch einen kurzen Free-Jazz-Moment gab, der dann aber auch unpassend war … keine Ahnung, überzeugte einmal mehr nicht.
    Fazit: * *

    Das zweite Set in der Fondérie liessen wir weg, wir hatten das endlose Warm-Up gehört und es versprach nicht unbedingt, nach unserem Geschmack zu werden. Zudem gibt es beim Météo so viel Musik zu hören, dass es ganz gut ist, das eine oder andere Set auszulassen. Es spielten jedenfalls unten im Erdgeschoss ISABELLE DUTHOIT (voc, cl) / HILD SOFIE TAFJORD (frh, elec).
     
    SPILL – Im Noumatrouff ging es an diesem zweiten Abend (dem dritten insgesamt, aber der Eröffnungsabend findet traditionell im Stadttheater statt) mit einem Duo los, das eigentlich ein begleitetes Schlagzeugsolo war. Tony Buck entpuppte sich nach seinem ebenfalls semi-autistischen Auftritt vom Vorabend als ganz netter Kerl, der sich von der Pianistin Magda Mayas begleiten liess. Neben Risser und Camarasa kommt sie in Sachen präpariertes Klavier aber nicht sehr gut weg, eben: das war gar kein Duo sondern ein Schlagzeugsolo mit hübscher Begleitung – dafür, dass die beiden gemäss Programm schon fünfzehn Jahre zusammenspielen eine seltsame und für mich letztlich zu wenig stringente Sache, aber nett anzuhören.
    Fazit: * * *

    INCERTUM PRINCIPIUM – Beim nächsten Set stand Chris Abrahams auf der Galerie des Noumatrouff und wir wunderten und schon, ob er den Nachfolger für Buck rekrutierte, der sich eindeutig zu freundlich gezeigt hatte … am Schlagzeug in dieser französischen Gruppe mit norwegischem Gast sass nämlich der grossartige Edward Perraud, der auch eindeutig den Preis des bestangezogenen Mannes (Frauen sind tatsächlich mitgemeint) des Festivals gewinnt. Ingebrigt Håker Flaten war diesmal am Kontrabass zu hören, dazu stiessen die beiden jungen Bläser Benjamin Dousteyssier (as, bari) und Aymeric Avice (t, flh). Das gab eine tolle Mischung aus avanciertem Jazz im Stil der mittleren Sechzigern und neueren Einflüssen, am Ende jedenfalls für mich ein rundum gelungenes Set. Die Bläser waren toll – wenn man eine so grossartige und vielseitige Rhythmusgruppe hinter sich hat, kann man wenig falsch machen, aber durchaus durchfallen. Avice spielte streckenweise simultan Trompete und Flügelhorn, Dousteyssier griff sich zwischendurch ein paar Male (oder nur einmal?) das Barisax, glänzte aber meist am Alt.
    Fazit: * * * *1/2

    OREN AMBARCHI / WILL GUTHRIE – Den Abschluss machte Oren Ambarchi, der hinter einem Tisch voller Utensilien sass, so dass man seine Gitarre kaum sehen konnte, im Duo mit dem Schlagzeuger Will Guthrie (noch zwei Australier übrigens). Ambarchi war sicherlich eine der Entdeckungen des Festivals, obwohl ich nicht weiss, ob ich ihm nachgehen werde, ob ich seine Aufnahmen, so sie denn mit den beiden gehörten Sets zu vergleichen sind, daheim anhören würde. Jedenfalls gab das – um Unterschied zum ersten Duo des Abends – eine tolle Mischung. Er bearbeitete seine Gitarre, loopte, nutzte Delays, hatte neben einem grossen Verstärker auch einen Leslie dabei, wie er üblicherweise für die Hammond Orgel genutzt wird, was dann eine Art Gitarren-Orgel-Sound erzeugte. Das war alles sehr experimentell, erschloss neue Räume und war irgendwie auch das pure Gegenteil zu Orcutt, mit dem der Tag begonnen hatte. Der Abend lief nach einem ähnlichen Schema ab wie der erste: in der Mitte der Free Jazz (wenngleich von völlig anderer Sorte), davor und danach zwei irgendwie vergleichbare und ähnlich besetzte Formationen.
    Fazit: * * * *
     
     
    VENDREDI 25 AOÛT
     
    Jeweils um halb 12 gibt es an den vier Haupttagen des Météo auch ein kurzes Kinderkonzert im Innenhof der Bibliothek, die an der Grand’Rue direkt neben der Kapelle liegt. An diesem dritten waren wir erstmals dabei, es spielte AYMERIC AVICE, der Trompeter, den wir am Vorabend schon gehört hatten. Auch solo war er ziemlich toll, spielte erneut simultan Trompete und Flügelhorn, was einen sehr tollen, ziemlich dissonanten Effekt hatte (er spielte wohl meist unisono, aber eben: nicht wirklich), für die meisten Kinder war das eher nicht, aber die echten Kinder sind eh die seltsamen älteren Jazzfans im Asterix-Look, die sich auch nicht zu blöd waren, in die erste oder zweite Sitzreihe zu hocken, weiter vorne als ein paar der relativ wenigen Kinder. Ach so, ein Monk-Stück gab es auch noch, aber welches weiss ich nicht mehr.
     
    LAURA CANNELL SOLO – Den eigentlichen Auftakt zum folgenden Tag machte die britische Violinistin Laura Cannell mit einem Programm, das sich zwischen alter Musik und Folklore bewegte. Wenigstens zweimal griff sie zwei Blockflöten, die sie simultan spielte. Da gehörte einiger Mut dazu – und es drängte sich auch die Vermutung auf, dass sie wohl noch nie vor so zahlreichem Publikum gespielt hat. Wir (redbeans und ich, that is) kauften jeweils eine der beiden CDs, die sie mithatte und danach draussen beim Weisswein nach dem Konzert vertickte. In die Kirche passte das perfekt und war auch wirklich schön.
    Fazit: * * *1/2 (oder auch ein halber mehr)
     
    OREN AMBARCHI SOLO – Nach dem tollen Schlusspunkt vom Vorabend war es klar, dass wir auch zum Solo-Set von Ambarchi gehen würden. Der fand um 16:00 im viel zu eng bestuhlten Entrepôt statt, wo er auf der Bühne wieder seine ganzen Utensilien auf dem Tisch ausgebreitet hatte, hinter dem er Platz nahm. Das klanglich erneut höchst inspirierende Solo-Set gefiel mir alles in allem wohl noch eine Spur besser und war von den Gittarreien wohl der Höhepunkt, auch wenn für mich das Solo-Set von Orcutt doch am schönsten war. Jedenfalls war damit die anfänglich leichte Skepsis wegen des Gitarrenschwerpunkts endgültig verflogen.
    Fazit: * * * *1/2

    Die Hitze und Enge im Entrepôt wurde zu unerträglich als dass wir nach der Pause nochmal reingehen mochte – so verpassten wir das Duo-Set der Elektroniker JASON KAHN / NORBERT MÖSLANG.
     
    ONCEIM / JOHN TILBURY – Weiter ging es um 18:30 in der salle modulable des Kulturzentrums La Filature, wo sich die grosse Gruppe Onceim eingerichtet hatte, die Frédéric Blondy auf die Beine gestellt hatte und die in diesem ersten Konzert ein neues Werk von John Tilbury aufführen sollte, das um einen Beckett-Text herum gebaut war. Hinter den 29 Musikern standen Lautsprecher, aus denen verschiedene Sprecher_innen Sätze lasen, während die Musiker vorne im Pianissimo fast nicht spielten. Irgendwann begannen die gesprochenen Passagen sich zu überlagern … das ganze war nicht völlig ohne Reiz aber doch sehr zäh. Dass man z.B. nicht auf die Idee kam, die Texte – auch nur bzw. am besten nur in der französischen Fassung, die auch das Original ist (hier kann man die englische Fassung nachlesen) – hinter den Musikern an die Wand zu projizieren, war wirklich schade. So blieb das ganze gelinde gesagt sehr akademisch, auch wenn ein anwesender Bekannter fasziniert war davon, dass die grosse Gruppe genau wie Tilbury solo geklungen hätte und auch noch was von Morton Feldman erzählte.
    Das Line-Up: Bertrand Denzler saxophone, Jean-Sébastien Mariage guitare, Benjamin Duboc contrebasse, John Tilbury composition, piano, Xavier Charles clarinette, Pierre-Antoine Badaroux saxophone, Antonin Gerbal batterie, Joris Rühl clarinette, Louis Laurain trompette, Giani Caserotto guitare, Benjamin Dousteyssier saxophone, Frédéric Blondy direction artistique, Félicie Bazelaire violoncelle, Sébastien Beliah contrebasse, Patricia Bosshard violon, Cyprien Busolini alto, Pierre Cussac accordéon, Jean Daufresne euphonium, Vianney Desplantes euphonium, Jean Dousteyssier clarinette, Yoann Durant saxophone, Rémi Durupt percussions, Elodie Gaudet alto, Jean-Brice Godet clarinette, Frédéric Marty contrebasse, Anaïs Moreau violoncelle, Stéphane Rives saxophone, Diemo Schwarz électronique, Alvise Sinivia piano, Deborah Walker violoncelle, Julien Loutelier batterie.
    Fazit: unzugänglich (unzulänglich?) * *
    Oder auch nicht, denn unzugänglich war das eigentlich überhaupt nicht, im Gegenteil, es war ja ohne und lag einfach da vor einem, aber das reichte dann auch nicht ganz. Keine Ahnung.
     
    MUSICA ELETTRONICA VIVA – Im Noumatrouff um 21 Uhr ging es los mit den alten Meistern, einer Übung in Nostalgie, die leider erneut enttäuschend war. Links am Flügel sass Frederic Rzewski (der bei mir basierend auf jugendlichem Halbwissen einen semi-legendären Ruf geniesst) und spielte eine kitschige Melodie nach der anderen, die Richard Teitelbaum in der Mitte am Synthesizer (und Elektronik) und Alvin Curran rechts an Flügel und Synthesizer (und Elektronik) aufgriffen. Es gab wieder eine disparate Klangcollage, die ohne Plan zu entstehen schien, wie schon Currans Solo durchaus ansprechende Momente hatte, klanglich auch recht interessant war, aber am Ende – ein halber Trump-Witz hilft auch nicht viel weiter – mäandernd und erstaunlich unstrukturiert wirkte dafür, dass das alles so geniale Komponisten und Konzeptarbeiter sein sollen.
    Fazit: * * * (das ist aber grosszügig, dann kriegt Cannell wohl schon vier)

    THE TURBINE ! FEAT. TOSHINORI KONDO – Die zweite Gruppe des Abends blies dann aber die verbliebenen Reste der Siebziger, die noch altbacken über der Bühne schwebten, vom Platz. In der Mitte hatte Kondo seinen Stuhl, daneben die Elektronik-Kiste, die immer dabei ist, dahinter zwei Lautsprecher auf Ständern. Links kämpfte Harrison Bankhead sich auf die Bühne, wo er Kontrabass spielte, manchmal dazu sang und zwischendurch an den Flügel sass, rechts Benjamin Duboc am anderen Kontrabass, und dahinter neben Bankhead der Schlagzeuger Ramón López und zwischen ihm und Duboc Hamid Drake am zweiten Schlagzeug. Es war eine Freude, den beiden Drummern zuzusehen, die sich auf Augenhöhe begegneten (López mag man von Barry Guys Gruppen her kennen), während Bankhead manchmal etwas herumzufummeln schien und Duboc als Schwerarbeiter sehr toll war und dafür sorgte, dass alles irgendwie zusammenfand. Er war halt der ziemlich normale Franzose neben den bunten Paradiesvögeln (Bankhead und López) und den beiden Coolen Hunden (Drake und Kondo). Kondo war aber die Ingredienz, die das Set wirklich toll machte mit seinen gespentischen Klangkulissen, den Echos und Delays, den Wah-Wah-Verzerrungen etc.
    Fazit: * * * *1/2

    BILL ORCUTT/CHRIS CORSANO/GURO SKUMSNES MOE – Den Abschluss des durchwachsenen Abends machte dann der zweite Auftritt von Bill Orcutt. Er spielte eigentlich eine Art Duo mit Chris Corsano, bei dem die äusserst seltsame norwegische Bassistin Guro Moe als drittes Rad am Wagen ziemlich überflüssig schien. Als es losging konnte ich den Lachreiz ob ihres skurrilen Schreigesanges und des zombiehaften Verhaltens nicht unterdrücken, am Bass schrummte sie nur heftig herum, das schien mir alles mehr mit irgendeiner Form von Black oder Death Metal oder auch nur Fun Punk (aber völlig ohne Fun) zu tun zu haben als mit Improvisation – und als sie dann eine Saite wechseln musste, zog sie sie zwar irgendwie an, aber Nachstimmen war nicht, und kam bei der Spielweise auch sowieso nicht drauf an. Orcutt schien sie völlig zu ignorieren (er wirkte aber auch beim Solo-Set schon völlig unkommunikativ), guckte auch wieder auf sein Handy (verdammt, die 40 Minuten sind immer noch nicht um?) und ging relativ bald nach hinten, um seinen Verstärker doppelt so laut zu stellen (was schreit die da drüben so dämlich rum, will die mich verarschen? BÄMMMM!). Corsano fand ich einen supremen Langweiler, auch wenn sein übersauberes und hartes Spiel zu Orcutt irgendwie schon ganz gut passte. Moe scheint ja spielen zu können, aber das konnte man nach dem Set echt nicht ahnen.
    Fazit: keine Ahnung, was das genau war, aber mehr als * *1/2 liegen nicht drin
    Hier ist gerade das zweite Video aufgetaucht – aber wie immer geht das irgendwie nicht, wirkt alles viel zu harmlos im Miniaturformat am Rechner, da muss man so lauf aufdrehen können, dass sich die Haustiere auch zwei Stockwerke drüber noch hinter die Schränke verkriechen, sonst geht das nicht! Nach der Dreiminutenmarke ist auch der Moment, wo Orcutt zum Verstärker geht und den Soundcheck über den Haufen wirft … im Raum war er danach so laut, dass man vom, ähm, „Gesang“ für längere Zeit gar nichts mehr hören konnte, die Leute am Mischpult waren offensichtlich grad draussen rauchen oder völlig überrumpelt.
     
     
    SAMEDI 26 AOÛT
     
    Auch am letzten Tag gingen wir zum Kinderkonzert, denn da war HARRISON BANKHEAD angesagt – sein kurzes Set war super, er sang wieder, und diesmal war das nicht nur eine Marotte sondern wirklich toll. Er erzählte Geschichten und liess auch seinen Bass singen … die Kinder hatten diesmal wohl nicht viel davon, aber für die Grossen war es umso schöner.
     
    FRANZ HAUTZINGER SOLO – In der Kapelle gehörte der letzte Auftritt dem österreichischen Trompeter Franz Hautzinger, der zwei Mikrophone aufgebaut hatte, die ganz unterschiedliche Verstärkungen seiner Geräuschkulissen boten. Etwas gewöhnungsbedürftig war es, aber das Set entwickelte – fast ohne einen konventionell gespielten Ton auskommend – einen guten Fluss und er spann auch gekonnt dramaturgische Bögen. Als Zugabe spielte er – seine Vierteltontrompete nutzend – eine kurze Fassung des Hummelsummenfluges und hatte schelmische Freude daran, wie schön das in der Kapelle klang (selbst bei ihm, der das Ding nun nicht gerade mit brillantem Ton blies, aber sich immerhin nicht in der hyperschnellen Linie verhedderte, was ihn selbst wohl am meisten freute).
    Fazit: * * *1/2
     
    ONCEIM „LAMINAIRE #7“ – Weiter ging es erneut im Filature und einmal mehr mit Onceim, diesmal mit einem Stück von Frédéric Blondy. Uns trieb es trotz der Enttäuschung vom Vortag hin, und sei es nur, um zu sehen, wie fast keine Leute mehr kommen würden … dem war nicht so und das Hingehen lohnte sich auch, denn diesmal wurde viel mehr gespielt, immer noch oft zart und karg, aber es geschah deutlich mehr und die tolle Akustik des Saales kam auch schön zur Geltung – man konnte oft die einzelnen Beiträge der Musiker zuordnen, auch wenn da fünf Klarinettisten sassen. Tilbury war auch diesmal im Saal und Blondy spielte beide Male nicht mit (was wohl der Grund war, weshalb von den 30 angekündigten Leuten nur 29 mitwirkten).
    Line-Up siehe oben
    Fazit: ziemlich gut, vor allem auch nach der Enttäuschung vom Vortag, * * *1/2
     
    L’OCELLE MARE – Weiter ging es – wie letztes Jahr – zwei Stunden vor dem Schlusskonzert (das ebenfalls wie letztes Jahr nur zwei aber dafür etwas längere Sets bot) im Noumatrouff mit einem kürzeren, vornehmlich elektronischen Set. Zu hören war Thomas Bonvalet am elektrischen Banjo, Mundharmonika und diversen weiteren Utensilien und auch ihm gelangen sowohl klanglich wie auch dramaturgisch immer wieder tolle Dinge.
    Fazit: eine schöne Einstimmung auf den krönenden Abschluss, * * *
     
    THE PERE UBU MOON UNIT – Um 21 Uhr ging es dann richtig los – und wie! Pere Ubu ist bei mir eine eklatante Bildungslücke, die ich wenigstens im Hinblick auf das Frühwerk bald mal angehen will … aber was die Gruppe um Sänger David Thomas in dem Set bot, war echt grossartig. Die Songs sind super, die Musik passt perfekt, Thomas ekelt sich durchs Set, raunzt seine Musiker an, bricht – wohl alles einstudiert bzw. immer wieder so gemacht – einen Song ab, motzt, lässt wieder von vorne anfangen. Der unförmige wüste Kerl, der genau das sein will, zieht auch mal zwischendurch völlig sinnfrei einen seiner klobigen Schuhe aus, nimmt die Socke ab, zieht sie und den Schuh wieder an, derweil Gagarin, der schräg hinter ihm am Synthesizer steht, geekelt hervorguckt (der Typ sah sowieso aus, als hätte er sich mit den Security-Leuten besser verstanden als mit den Musikern). Gitarrist Keith Moline stand derweil stoisch rechts auf der Bühne und schien den ganzen Unfug zu ignorieren, während Klarinettist Darryl Boon und Drummer Steven Mehlmann ihre Parts in den Spielchen hatten. Gerade letzterer überzeugte mich im Vergleich zu Corsano am Vorabend sehr – was er spielte war zwar (meistens) weniger virtuos, aber dafür stets song- und sachdienlich und musikalisch passend. Die Show gehört am Ende aber ganz Thomas, der mit seiner unverwechselbaren Stimme wimmert und heult, raunzt und brüllt, dass der Himmel weinen muss. Das ganze war natürlich ordentlich skurril, aber das alles war diente letztlich nur der Inszenierung der Musik – und war durchaus angemessen.
    Fazit: * * * * *

    PETER BRÖTZMANN/HEATHER LEIGH/TOSHINORI KONDO – Auch der Schlussabend war, so stellte sich heraus, wieder perfekt programmiert. Auch die letzte Gruppe spielte ein ziemlich langes, etwa stündiges Set. Brötzmann stieg zwar heftig honkend ein, sein Ton am Tenorsaxophon mit all den Obertönen ähnlich reich wie jener von Orcutt im Solo-Set, aber ungleich ruppiger und schroffer, kantig, manchmal abgehackt, hart. Doch im Verlauf des Sets sollte er geradezu zart spielen, auch am Tarogato. Kondo war diesmal am linken Rand aufgebaut, während in der Mitte Heather Leigh sass, die schon ein wenig verblühte Siegerin der Wahl zur Mining Town Beauty Queen irgendwo in West Virginia vor schon so einigen Jahren. Der Promo-Shot mit Brötzmann ist perfekt, denn Leigh stellt in der Tat ein weiches und breites und tiefes Bett auf, in das Brötzmann sich betten kann, wie immer er will – und zur Bettmetapher passt natürlich auch seine hübsche Zeichnung. Kondos verstärkte Trompete und Leights Pedal Steel fügten sich oft so zusammen, dass sie fast zu verschmelzen schienen, das gab dann in der Tat eine grossartige Kulisse für Brötzmanns expressionistisches Spiel. Es gab aber auch Duo-Momente in allen möglichen Konstellationen und das Set entwickelte eine tolle Dramaturgie – auch indem es einem ruhigen Ende zufloss, bei dem Kondo leider länger aussetzte. Doch dann geschah tatsächlich das Unerwartete und das Trio gab noch eine heftige Zugabe, in der auch Kondo wieder aktiv dabei war.
    Fazit: Das war tätsächlich das Sahnehäubchen! * * * * *

    --

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    #10258609  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
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    Das Raking, gebündelt:

    * * * * *
    Peter Brötzmann/Heather Leigh/Toshinori Kondo – Météo, Noumatrouff, Mulhouse – 26.8.
    The Pere Ubu Moon Unit – Météo, Noumatrouff, Mulhouse – 26.8.
    Milesdavisquintet! – Météo, Noumatrouff, Mulhouse – 23.8.

    * * * *1/2
    The Turbine! feat. Toshinori Kondo – Météo, Noumatrouff, Mulhouse – 25.8.
    Incertum Principium (Edward Perraud, Ingebrigt Håker Flaten, Benjamin Dousteyssier, Aymeric Avice) – Météo, Noumatrouff, Mulhouse – 24.8.
    Oren Ambarchi – Météo, L’Entrepôt, Mulhouse – 25.8.
    BIC (Julien Desprez, Mette Rasmussen, Ingebrigt Haker-Flaten, Mads Försby) – Météo, Noumatrouff, Mulhouse – 23.8.

    * * * *
    The Necks – Météo, Noumatrouff, Mulhouse – 23.8.
    Bill Orcutt – Météo, Chapelle Saint-Jean, Mulhouse – 24.8.
    Oren Ambarchi/Will Guthrie – Météo, Noumatrouff, Mulhouse – 24.8.
    Laura Cannell – Météo, Chapelle Saint-Jean, Mulhouse – 25.8.

    * * *1/2
    Franz Hautzinger – Météo, Chapelle Saint-Jean, Mulhouse – 26.8.
    Onceim/Frédéric Blondy – Météo, La Filature, Mulhouse – 26.8.
    Eve Risser – Météo, Chapelle Saint-Jean, Mulhouse – 23.8.

    * * *
    L’Ocelle Mare (Thomas Bonvalet) – Météo, Noumatrouff, Mulhouse – 26.8.
    Musica Elettronica Viva (Alvin Curran, Frederic Rzewski, Richard Teitelbaum) – Météo, Noumatrouff, Mulhouse – 25.8.
    SPILL (Tony Buck, Magda Mayas) – Météo, Noumatrouff, Mulhouse – 24.8.

    * *1/2
    Alvin Curran – Météo, Temple Saint-Etienne, Mulhouse – 23.8.
    Bill Orcutt/Chris Corsano/Guro Skumsnes Moe – Météo, Noumatrouff, Mulhouse – 25.8.

    * *
    Onceim/Frédéric Blondy/John Tilbury – Météo, La Filature, Mulhouse – 25.8.
    Beams (Alvin Curran Workshop) – La Kunthalle, Mulhouse – 24.8.

    Dabei scheinen mir ev. die Solos von Hautzinger und Ocelle Mare etwas zu tief zu sein und dem Tilbury-Ding von Onceim könnte ich auch noch knapp einen halben mehr geben – aber das passt glaub ich schon so.

    --

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    #10258695  | PERMALINK

    vorgarten

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    ein schöner bericht und ein verlockendes line-up. orcutt und ambarchi habe ich auf deinen hinweis hin schon ein bisschen für mich entdeckt, mich hätte wohl vor allem ambarchis duo mit will guthrie interessiert, den ich als teil des ames trios (clayton thomas, jean-luc guionnet) live ziemlich umwerfend fand. und die necks hätte ich wohl ein bisschen anders gehört ;-)
    sind brötzmann & leigh eigentlich zusammen? (ich weiß ja nach wie vor nicht, was ich von brötzmanns erotischer kunst halten soll…)

    --

    #10258733  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
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    vorgartenein schöner bericht und ein verlockendes line-up. orcutt und ambarchi habe ich auf deinen hinweis hin schon ein bisschen für mich entdeckt, mich hätte wohl vor allem ambarchis duo mit will guthrie interessiert, den ich als teil des ames trios (clayton thomas, jean-luc guionnet) live ziemlich umwerfend fand. und die necks hätte ich wohl ein bisschen anders gehört
    sind brötzmann & leigh eigentlich zusammen? (ich weiß ja nach wie vor nicht, was ich von brötzmanns erotischer kunst halten soll…)

    The Necks – ich hoffe nicht … ich sah sie erst zum zweiten Mal (nach über 10 Jahren), war damals begeistert und hoffte auf ein ähnliches Erlebnis – doch das Set hob für mein Empfinden einfach nicht so richtig ab. Hätte es das getan, wäre mir die Aufstellung auf der Bühne wohl total Wurst gewesen, aber so wie es war, wenn sich halt nicht Trance einstellt sondern eine gewisse Nachdenklichkeit, die Gedanken eben nicht geleert werden sondern etwas umherschweifen, überlegt man sich die seltsamsten Dinge ;-)

    Brötzleigh – keine Ahnung, hatte mir die Frage nie gestellt.

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    #10258751  | PERMALINK

    redbeansandrice

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    Brötzleigh – keine Ahnung, hatte mir die Frage nie gestellt.

    ziemlich sicher nicht, auf twitter kam ihr Mann jedenfalls zuletzt im Juni vor… alles weitere hoffentlich morgen – das Foto hier (gestern in Frankfurt) find ich uebrigens todcool:

    --

    .
    #10258755  | PERMALINK

    vorgarten

    Registriert seit: 07.10.2007

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    toll. ich bin aber ganz sicher, dass der rauch regelkonform innerhalb der gelben linien geblieben ist.

    --

    #10258773  | PERMALINK

    napoleon-dynamite
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    Ist Heather Leigh nicht mit David Keenan zusammen?

    --

    I'm making jokes for single digits now.
    #10258777  | PERMALINK

    redbeansandrice

    Registriert seit: 14.08.2009

    Beiträge: 13,486

    ja

    --

    .
    #10260385  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
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    Um vom Klatsch wieder zum Météo zurückzukehren … danke an @redbeansandrice für den Link zu diesem kurzen Bericht über den Eröffnungsabend (mit dem bei Regional-TV üblichen Fremdschäm-Effekt):
    https://telebasel.ch/2017/08/25/regio-meteo-music-festival/

    Zudem sind auf der Website jetzt auch die Radio-Termine – Anne Montaron war vor Ort und es gibt mehr Übertragungen als im letzten Jahr (da waren es glaube ich drei). Gespannt bin ich v.a. auf ein Wiederhören von Incertum Principium, so sich das einrichten lässt (bin ja im Herbst dann noch auf Reisen), BIC wird als Konserve nicht recht funktionieren, bei The Necks bin ich gespannt, ob es besser wirkt als ich es live fand, und über Orcutt werde ich mich auch freuen, so die Aufnahmen die Runden machen werden. Curran und Spill brauche ich wohl eher nicht nochmal zu hören, obwohl Spill z.B. gut für die Beschallung von Zahnarztpraxen geeignet wäre.

    Radio France était à Mulhouse pour enregistrer des concerts présentés au FESTIVAL MÉTÉO. Anne Montaron diffusera plusieurs de ces concerts de l’édition 2017 dans son excellente émission « À l’improviste » sur France Musique le jeudi soir de 23h à minuit. Suivez le programme :

    ⌘ JEUDI 07 SEPTEMBRE 2017 | 23H

    BIC

    Julien Desprez guitare, Mette Rasmussen saxophone , Ingebrigt Haker Flaten basse, Mads Forsby batterie
    > Concert enregistré mercredi 23 août 2017, au Noumatrouff à Mulhouse.

    ⌘ JEUDI 14 SEPTEMBRE 2017 | 23H

    THE NECKS
    Tony Buck batterie, percussions, Lloyd Swanton contrebasse, Chris Abrahams piano
    > Concert enregistré mercredi 23 août 2017, au Noumatrouff à Mulhouse.

    ⌘ Date à venir
    BILL ORCUTT SOLO

    Bill Orcutt guitare
    > Concert enregistré jeudi 24 août 2017, à la Chapelle Saint-Jean à Mulhouse.

    ⌘ Date à venir
    SPILL

    Tony Buck batterie, percussions, Magda Mayas piano
    > Concert enregistré jeudi 24 août 2017, au Noumatrouff à Mulhouse.

    ⌘ Date à venir
    ALVIN CURRAN SOLO

    Alvin Curran shofar, clavier, électronique
    > Concert enregistré mercredi 23 août 2017, au Temple Saint-Etienne à Mulhouse.

    ⌘ Date à venir
    INCERTUM PRINCIPIUM

    Edward Perraud batterie, percussions, Ingebrigt Haker Flaten contrebasse, Aymeric Avice trompette, Benjamin Dousteyssier saxophone
    > Concert enregistré jeudi 24 août 2017, au Noumatrouff à Mulhouse.

    https://www.francemusique.fr/emissions/a-l-improviste

    Der italienische Freund hat inzwischen auch ein paar weitere Videos hochgestellt:

    The Necks:

    Oren Ambarchi/Will Guthrie:

    The Turbine! feat. Toshinori Kondo:

    Ein paar Photos habe ich auch noch gekriegt, müsste aber zuerst nachfragen, ob ich sie hier reinstellen darf.

    --

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    #10260405  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
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    btw, morgen geht’s für einen langen Vor- und Nachmittag nach Williau … Hans Koch/Manuel Troller um 11 Uhr im Rathaus (da gibt es unter dem Dach einen kleinen Theatersaal) und dann um 14 Uhr in der grossen Festivalhalle das Duo Kris Davis/Angelica Sanchez sowie Urs Leimgruber/Jacques Demierre/Barre Phillips + Thomas Lehn. (Gestern Abend traten da auch The Necks wieder auf … keine Ahnung, ob das Schweizer Radio das Set ausgestrahlt hat.)

    Bin sehr gespannt, Koch kenne ich bisher nur aus grösseren Besetzungen um Barry Guy, das Trio mit Leimgruber nur ab Konserve, und das Klavierduo natürlich bisher nur separat in diversen Besetzungen – und Sanchez sieht man hier ja live auch nicht alle Tage.

    --

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    #10262171  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
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    Hans Koch/Manuel Troller, Kris Davis/Angelica Sanchez, Jacques Demierre/Urs Leimbgruber/Barre Phillips + Thomas Lehn – Jazzfestival Willisau – 2. September 2017
     

     
    Gestern endete mein persönlicher Festivalsommer mit einem guten, aber nicht herausragenden Tag in Willisau. Los ging er mit Heinz Holliger und Patricia Kopatchinskaja sowie der Camarata Zürich und Thomas Demenga in Luzern, weiter ebenda mit Monterverdis L’Orfeo unter Gardiner, dann ging es ans Météo – Mulhouse Music Festival und erneut nach Luzern, wo Kopatchinskaja und Holliger einmal mehr im Zentrum standen. Den Abschluss nun machten drei Konzerte in Willisau, von denen das dritte mit dem Besten gehörten in diesen zwei Wochen unbedingt mithalten konnte. Zunächst ging es um 11 ans Konzert der Reihe „Intimities“, in der Solos, Duos oder eher etwas ruhigere Musik vorgestellt, dann um 14 Uhr ans Nachmittagskonzert mit zwei Gruppen. Dass ich den Tag nicht super fand hatte am Ende wohl weniger mit der Musik zu tun als mit der Atmosphäre, die mir in Willisau einfach nicht so richtig passen will – das war letztes Jahr beim Zorn-Marathon etc. auch nicht grundlegend anders.

    Schade, aber irgendwie habe ich in der Schweiz fast immer ein Problem damit, wenn Festbänke in Zelten stehen und Volksfeststimmung aufkommt. Wobei ich dieses Problem wohl auch anderswo hätte, aber gerade solche Stimmung kommt in Mulhouse nun echt nicht auf, wo das abendlich genutzte Festivalgelände etwas ausserhalb zwischen Tramdepot und Hôtel de Police findet, während in Willisau viele Anwohner des stockkonservativen Hinterlands den Samstag- und Sonntagnachmittag dort zu verbringen scheinen – im Zelt gibt es auch noch gefällige Musik von jüngeren Bands aus der Region, gestern war das Le Rex aus Luzern, ein Quintett mit Alt- und Tenorsax, Posaune, Tuba und Drums, die Hard Bop mit faux New Orleans-Einschlag spielten, alles etwas gar geschliffen, aber der Applaus war wohl grösser als fürs krönende Konzert der alten Herren am Schluss des Nachmittagsblockes. So ist das eben, und das mag ich nunmal nicht. Aber gut, zur Musik …
     

    Hans Koch/Manuel Troller – Los ging es um 11 Uhr im Dach des Rathauses mitten in der Altstadt – dass diese nicht autofrei ist, ist unverständlich (das Bild ganz oben entstand auf dem Heimweg, als ich vor dem Regen davonrannte, der mich kurz vor dem Bahnhof noch einholte, aber als der grosse Wolkenbruch kam, war ich schon im Schärme, wie man hier sagt). Hans Koch an der Bassklarinette und am Sopransaxophon (mit Effekten, die nie reisserisch eingesetzt wurden) und Manuel Troller an akustischer und elektrischer Gitarren fingen sehr leise aber höchst konzentriert an, sie schienen sich aneinander heranzutasten. Troller erwähnte nach dem Set, dass ihm dieser ruhige Einstieg sehr gut gefallen hatte, mir kam er etwas zu eng vor, als würden die beiden zu sehr aufeinander reagieren wollen, was die Entwicklung verlangsamte bzw. verunmöglichte, wenn es denn in extremis geschehen wäre – doch das geschah natürlich nicht, allmählich entwickelten sich Bögen, beide schöpften die klanglichen Möglichkeiten ihrer Instrumente aus, Troller hatte die Gitarre zunächst flach auf seinen Knien liegen und bearbeitete sie mit einem Bogen und anderen Utensilien, herkömmliche Gitarrentöne gab es im Verlauf des Sets zwar auch, aber nur Klangfetzen, einen Akkord, einzelne Töne, die ins Geschehen eingeworfen wurden, später im Set an der elektrischen Gitarre manchmal mit einer groben Wucht. Koch setzte vor allem die klanglichen Mittel der Bassklarinette in ihrer ganzen Vielfalt ein, liess sie summen, knurren, heulen und schreien, spielte mit Luftströmen, streckte ein anderes Mal das Sopransaxophon in die Höhe, um mit Speichelgeräuschen zu spielen (dasselbe sollte Urs Leimgruber im dritten Set auch wieder machen).

    Ein feines, nachdenkliches und reichhaltiges Set zum Einstieg * * * *
     

    Kris Davis/Angelica Sanchez – Um 14 Uhr ging es in der grossen Festhalle weiter, zwei längere Sets, die insgesamt mehr Musik boten als die etwas kurzgeratenen Dreierblöcke des Zorn-Marathons letztes Jahr (dort gab es jeweils dreimal 40 Minuten und fliegenden Wechsel, Drums und alles war für alle Gruppen aufgebaut, es mussten jeweils bloss vorne ein paar Stühle, Mikrophone und Notenständer umplaziert oder entfernt werden. Davis sagte Sanchez an, meinte, sie würden jetzt einfach mal eine Stunde spielen, ohne zu reden, und das geschah dann auch. Die beiden Flügel waren ineinandergeschoben, Davis sass rechts am vorderen, Sanchez links am hinteren. Zum Zuschauen etwas schwierig, auf die Hände sehen wäre höchstens von ganz hinten mit Fernglas gegangen (die Bühne ist hoch, die meisten Sitzreihen flach), zudem gab es von hinter der Bühne elend mühsames Licht (das auch die Handykamera völlig überforderte, wie man unschwer sehen kann). Immerhin sass ich zwischen den Photographen in der vordersten Reihe in der Mitte und konnte sie beide immer sehen. Sie gingen mit der Herausforderung – sich nicht in den Weg zu kommen und dennoch zusammen zu spielen – äusserst gekonnt um, mal wechselten sie kurze Phrasen, dass spielte eine nur mit der linken Hand in der tiefsten Lage, während die andere darüber improvisierte. Klanglich war Davis spitzer, Sanchez runder und weicher – was wenigstens teils an den Instrumenten gelegen haben mag, aber schon auch zu meiner Wahrnehmung der beiden passt – wobei ich Sanchez ja noch nicht sehr gut kenne. Die Musik war streckenweise wohl etwas gefällig, sie schienen vorbereitetes Material zu spielen, Kompositionen oder wenigstens Konzepte, die nie so eng wirkten wie jene, die mir letztes Jahr beim Duo mit dem Zürcher Saxophonisten Christoph Irniger sehr auf die Nerven gingen. die beiden waren mit höchster Konzentration bei der Sache, Sanchez hatte sehr oft ein Lachen im Gesicht und ganz offensichtlich gelang ihnen, was sie vorhatten. Eine kurze Zugabe spielten sie dann auch noch, Mich vermochte es nicht restlos zu überzeugen, aber auch das passt wieder ins bisherige Bild, denn so richtig komme ich ihnen beiden nicht auf die Schliche – aber ich bleibe dran! (Und würde Sanchez sehr gerne mal solo oder im Trio hören – aber ich glaube nicht, dass sie schon oft in Europa spielte.)

    Fazit: * * * * bis * * * * 1/2
     

    Urs Leimgruber/Jacques Demierre/Barre Phillips + Thomas Lehn – Nach einer halbstündigen Pause ging es weiter mit dem phänomenalen Trio Urs Leimgruber (ss, ts), Jacques Demierre (p) und Barre Phillips (b). Für das Konzert in Willisau stiess Thomas Lehn an analogen Synthesizern dazu – Skepsis war diesbezüglich fehl am Platz, bei mir hatte sowieso die Vorfreude überwiegt, dieses Trio – und Barre Phillips! – endlich einmal live erleben zu können. Die Klänge, die Lehn seinem Instrumentarium entlockte, fügten sich bestens in die Klangströme ein, die das Trio entfaltete. Es gab unglaublich leise Passagen (in denen die Photographen rund um mich herum mit ihrem Geklacker ziemlich nervig waren, aber sie gaben sich doch grosse Mühe, nicht zu stören), die allmählich in Klangwellen mündeten, die alles zu überrollen schienen und in denen die vier Musiker zu einer völlig organischen Einheit verschmolzen. Leimgruber kehrte ja spätestens mit der Reunion von OM, die auch in Willisau stattfand, auch wieder zum herkömmlichen Spiel zurück – davon war in diesem Konzert nicht viel zu hören, klar, aber dass es auch einbezogen wird, wenngleich nur in Fragmenten (ähnlich wie zuvor bei Koch/Troller) erweitert natürlich die eh schon unfassbare Klangpalette, die er zu bieten hat. Besonders freute ich mich aber darauf, Barre Phillips endlich einmal live zu hören. Ich hatte im Vorfeld gehört, er sei krank gewesen, hätte in der letzten Zeit einige Konzerte absagen müssen. Als ich früh auf meinen Platz zurückkehrte, war er dabei, sich aufzuwärmen, stand allein mit seinem Bass auf der grossen Bühne. Sein Spiel enttäuschte nicht, war aber klanglich fand ich eher bescheiden zu hören – das allerdings ist das Dilemma der ersten Reihe: die beiden Flügel zuvor hörte ich praktisch unverstärkt in echt, beim letzten Set klappte das mit Lehn und dem Bass natürlich nicht und der Sound des Basses litt ein wenig darunter. Aber nichtsdestotrotz, was die vier vorführten war freie Improvisation vom Allerfeinsten – es gab zärtliche Momente, leise, weite Bögen mit geschicktem Spannungsaufbau und -abbau, wilde Klangfluten, in denen man schier zu ertrinken drohte, immer wieder raffinierte Brechungen durch alle vier Beteiligten.

    Grossartig, da kann es nur eine Bewertung geben: * * * * *

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