Antwort auf: Konzertimpressionen und -rezensionen

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gypsy-tail-wind
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Ich hinke schon wieder fünf Konzerte und Opern hinterher … nur ein paar Zeilen zu den letzten im alten und den ersten im neuen Jahr.

Zürich, Opernhaus – 21.12.2019

Don Pasquale
Dramma buffo in drei Akten von Gaetano Donizetti (1797-1848)
Libretto von Giovanni Domenico Ruffini und Gaetano Donizetti

Musikalische Leitung Enrique Mazzola
Inszenierung Christof Loy
Bühnenbild Johannes Leiacker
Kostüme Barbara Drosihn
Lichtgestaltung Franck Evin
Choreinstudierung Ernst Raffelsberger
Dramaturgie Kathrin Brunner

Don Pasquale Johannes Martin Kränzle
Dr. Malatesta Konstantin Shushakov
Ernesto Mingjie Lei
Norina Julie Fuchs
Carlotto Dean Murphy
Sergio R. A. Güther
Ugo David Földszin
Clara Ursula Deuker

Philharmonia Zürich
Chor der Oper Zürich

Solo-Trompete Laurent Tinguely

Am Wochenende vor Weihnachten ging ich gleich zweimal nacheinander in die Oper – zuerst gab es die gefeierte neue Aufführung von Donizettis „Don Pasquale“ unter der der Leitung des Belcanto-Spezialisten Enrique Mazzola und in der sehr guten Regie von Christof Loy. Julie Fuchs braucht man in Zürich nicht mehr vorzustellen, sie war zuletzt in „Il turco in Italia“ zu erleben und hat einerseits eine sehr schöne, schlanke, vielleicht allerdings etwas eindimensionale Stimme, andererseits ist sie auf der Bühne daheim und überzeugt meist auch schauspielerisch. Die grosse Sensation hier war aber Johannes Martin Kränzle, der den Titelhelden mit leichter Stimme gab, nicht als plumpe Buffo-Darbietung sondern als durchaus nachvollziehbare, sehr ambivalente Figur – was auch dem Regiekonzept von Loy entsprach. Dass Kränzle überhaupt wieder singt, grenzt an ein Wunder – mir war die Vorgeschichte nicht präsent, soweit ich mich erinnern kann, hörte ich ihn zum ersten Mal – mehr zu seiner Erkrankung hier:
https://www.nzz.ch/feuilleton/johannes-martin-kraenzle-spezialist-fuer-ambivalente-charaktere-ld.1526324
Mit Kränzle wurde aus dem Stück also keine oberflächliche Komödie, und das kam auch der Musik sehr zu gute. Die schlankere Stimme – die Titelrolle wird in der Regel mit einem Bass besetzt – passte denn, wie auch Fuchs, geradezu ideal zum Ansatz von Mazzola, der mit den angeblichen Traditionen aufräumt (die erst nach Donizetti entstanden sind, aber sich bis heute in vielen Köpfen halten) und zu schnelleren Tempi, einem schlankeren Spiel zurückkehrt – und dafür eben entsprechend wendige SängerInnen braucht. Kränzle war ein paar Male geradezu atemberaubend, wenn er gegen Ende im schnellsten Tempo atemberaubende Stakkato-Passagen raushaute. Fuchs gefiel mir stimmlich wohl so gut, wie zuvor noch nie (oder vielleicht beim Rameau/Gluck-Konzert). Das war am Ende ein überaus stimmiger Abend, bei dem auch die weiteren Rollen gut gesungen waren, allen voran der Ernesto von Mingjie Lei. Einen der schönsten Momente – der bei Loy auch glaubwürdig funktionierte – fand ich zweifellos das Liebesduett, das Pasquale und Norina singen, nachdem ihre Trennung besiegelt ist.

Hier der Bericht der NZZ:
https://www.nzz.ch/feuilleton/ein-mann-in-den-nicht-mehr-allerbesten-jahren-ld.1527343
Wobei noch anzumerken ist, dass der Klassik-Rezensent der NZZ am Sonntag (separate Redaktionen) gar nicht einverstanden war und bei Kränzle gerade das Gewicht vermisste … und ich muss wohl mal eine jüngere Aufnahme der Oper suchen gehen, die von Muti (mit Freni) sieht gut aus.

Zürich, Opernhaus – 22.12.2019

Haydn – Die Schöpfung
2. Philharmonisches Konzert / 1. La Scintilla-Konzert

Sopran (Gabriel / Eva) Rebecca Bottone
Tenor (Uriel) Mauro Peter
Bariton (Raphael / Adam) Morgan Pearse
Orchestra La Scintilla
La Cetra Vokalensemble

Dirigent Riccardo Minasi

Joseph Haydn Die Schöpfung, Oratorium Hob. XXI:2

Wenige Stunden später sass ich wieder auf demselben Platz, ganz oben, mit relativ gutem Blick im Verhältnis zum Preis … eine Matinee (Beginn um 11:15) an einem Sonntag ein paar Tage vor Weihnachten ist natürlich praktisch ausverkauft, und mit Mauro Peter war ein weiterer Publikumsliebling am Start. Mich zog es hin wegen der Kombination von Scintilla/Minasi/Haydn – letzte Saison dirigierte Minasi ja alle vier Konzerte des Jubiläumssaison von La Scintilla, dem Originalklang-Ensemble der Oper Zürich, und bei drei davon war ich zur Stelle und jedes Mal überzeugt vom Ergebnis. Und das war auch dieses Mal nicht anders – was wohl tatsächlich sehr viel mit dem Orchester zu tun hatte. Denn wie abwechslungsreich das alles gesetzt ist, wie raffiniert sich die verschiedenen Teile an- und ineinanderfügen, wie der Chor beigezogen, einzelne Instrumentengruppen, das machte aus der (mit Pause) etwa zweieinhalbstündigen Aufführung ein äusserst abwechslungsreiches Erlebnis. Minasi hielt dabei stets die Fäden in der Hand, dirigierte energisch aber äusserst differenziert, das Orchester klang durchsichtig und warm, der kleine Chor war hervorragend (er besteht aus AbsolventInnen der Schola Cantorum Basiliensis, die Einstudierung hatte Carlos Federico Sepúlveda, der Maesto al Coro und zugleich einer der Sänger im Bass-Register, inne), die Solistin und die beiden Solisten überzeugten, besonders der australische Bariton Morgan Pearse. im Gegensatz zum Rezensten, der für Seen and Heard International berichtet hat und der im Parkett auf den teuren Plätzen sass:

War die Balance oben wieder einmal viel besser, fast immer sogar sehr gut abgestimmt. Dass die Stimme von Rebecca Bottone hie und da etwas spitz klang, ist sicher so, doch am Ende fand ich sie doch sehr gut. Mauro Peter hatte neulich in „Belshazzar“ nicht so recht überzeugt, doch die Partie in der „Der Schöpfung“ passte perfekt, er sang mit vollem Ton und viel Wärme, auf die Höhe kam es dabei nicht an, denn die scheint bei ihm nicht die grosse Stärke zu sein. Ein wunderbarer Ausklang der letzten vernünftigen Woche des Jahres …

Genf, Grand Théâtre – 29.12.2019

LES INDES GALANTES
Opéra-ballet by Jean-Philippe Rameau
Libretto by Louis Fuzelier

Musical Director Leonardo García Alarcón
Musical direction Assistant Fabian Schofrin
Musical direction Assistant Rodrigo Calveyra
Stage director Lydia Steier
Stage direction Assistant Maurice Lenhard
Assistant mise en scène Luc Birraux
Choreographer Demis Volpi
Scenographer Heike Scheele
Costumes designer Katharina Schlipf
Set designing Assistant Annika Tritschler
Lighting Designer Olaf Freese
Dramaturgy Krystian Lada
Choir director Alan Woodbridge

Hébé / Émilie / Zima Kristina Mkhitaryan
Amour / Zaïre Roberta Mameli
Phani Claire de Sévigné
Fatime Amina Edris
Bellone / Osman / Adario Renato Dolcini
Ali Gianluca Buratto
Don Carlos / Damon Anicio Zorzi Giustiniani
Huascar / Don Alvaro François Lis
Valère / Tacmas Cyril Auvity

Cappella Mediterranea
Grand Théâtre de Genève Ballet
Grand Théâtre de Genève Chorus

Den Ausklang machte dann letzten Sonntag eine Fahrt nach Genf, wo ich in der Nachmittagsvorstellung die Dernière von „Les Indes galantes“ sah. Der neue Intendant in Genf ist ein Zürcher, und er will aus der Oper in Genf das erste Haus der Schweiz leiten, wie er bei seinem Antritt kämpferisch angesagt hat (mehr dazu hier). Die Aufführung des Stückes, dessen Titel in heutige Sprache übertragen sowas wie „exotische Erotizismen“ heisst, war ein ziemliches Fest. Die Bühne ist als Lazarett angelegt, die Kostüme usw. legen die Zeit des ersten Weltkriegs nahe (eine ähnliche Idee, aber ganz anders umgesetzt, gab es letztes Jahr in Zürich im „Parsifal„). Das Spiel – angesiedelt in einem Theater, das dem Grand Théâtre de Genève nachempfunden ist – öffnet mit dem Prolog: Hébé (Kristina Mkhitaryan, stimmlich manchmal etwas schrill, aber doch sehr gut) und ihre Anhänger geben sich gerade die Fleischeslust hin, als Bellone, die Göttin des Krieges und der Krieger auftritt und die Jungen dazu auffordert, den Ruhm des Krieges zu erringen. Die zwei Göttinen – Bellone wird von einem Mann gesungen (wie der unten angefügten NZZ-Rezension zu entnehmen ist in diesem Fall mit Renato Dolcini einem Bartoli-Schüler) – spielen also um das Wohl der Menschheit. Hébé ruft dabei Amor an (Roberta Mameli in dieser Hosenrollen, die für mich herausragendste Stimme des Abends) und bittet ihn um Unterstützung.

Vier „Entrées“ markieren in der Folge die Stationen des Dramas bzw. stellen an sich jede für sich ein eigenes Mini-Drama dar, in denen verschiedene exotische – und eben erotisch aufgeladene – Weltgegenden und ihre EinwohnerInnen zum Zuge kommen. Geht es zunächst in die Türkei – der grosszügige Pascha (gesungen auch von Dolcini) lässt am Ende die Sklavin, die er liebt (Mkhitaryan), die aber einen anderen liebt, samt ihres Liebhabers frei), führt die zweite Szenerie zu den Inkas in Peru. Ein spanischer Offizier liebt die Inka-Prinzessin Phani (fabelhaft gesungen von Claire de Sévigné) – doch auch der Inka-Priester Huascar (Dolcini) liebt die Prinzessin – doch seine Sonnenzeremonie wird von einem Erdbeben unterbrochen, das laut Huascar heisse, dass die Götter wünschten, dass Phani zu seiner Frau werde. Der geliebte Spanier erklärt dieser, dass das Erdbeben ein Trick gewesen sei – dann bricht der Vulkan aus und Huascar wird von brennenden Steinen erschlagen. Nach der Pause geht es zum Prinzen Tacmas (Cyril Auvity, auch ein Sänger, den ich sehr schätze, aber noch nie live gehört hatte), der die Sklavin Zaïre liebt (die zweite Rolle von Mameli), die aber seinem Favoriten Ali gehört (der superber Gianluca Buratto), wobei Tacmas selbst die hübsche Sklavin Fatime sein eigen nennt – und damit ist auch alles schon klar, es gibt Verkleidungen (cross-dressing galore) und Prüfungen und am Ende kommen die „richtigen Paare“ zusammen (wobei das „niedere Paar“ hinter einer Säule des inzwischen kriegsversehrten Theaters zugange geht). Im vierten und letzten Teil geht es erneut in die „neue Welt“, doch dieses Mal zu den „Wilden“ Nordamerikas: der Krieger Addario (natürlich wieder Dolcini) liebt Zima (Mkhitaryan), die Tochter des lokalen Chiefs, fürchtet aber seine Rivalen, den Spanier Don Alvar und den Franzosen Damon – doch Zima entscheidet sich für Addario – und mit der Versöhnung, bei der auch die Europäer mitwirken, kommt es zugleich zur Versöhnung von Hébé und Bellone, die ja von denselben beiden DarstellerInnen gesungen wurden. An den Schluss stellt die Aufführung dann den Ohrwurm „Les sauvages“ (auch als Cembalo-Stück bekannt), das sonst früher im vierten Teil erklingt. Weil es die Derniere war spielten Leonardo Garcia Alarcón und seine superbe Capella Mediterranea als Zugabe dann noch jene Musik, die eigentlich am Ende von Rameaus Opéra-ballet steht (2018 hat György Vashegyi bei Glossa eine neue Einspielung vorgelegt, die ich aber noch nicht angehört habe, das Line-Up ist mit Chantal Santon-Jeffery, Katherine Watson, Véronique Gens, Reinoud Van Mechelen etc. jedenfalls erstklassig … da gibt es aber eine viel spätere Fassung mit drei Entrées, die dritte wurde wohl da wieder gestrichen, hat drum auch auf zwei CDs Platz – muss das ganze jedenfalls mal in Ruhe zuhause nachhören, vielleicht halt in einer älteren Einspielung, aber welche Versionen dort vorliegen, weiss ich nicht, die von Vashegyi lag halt grad griffbereit).

Die Aufführung als Ganzes fand ich hervorragend, dass die Ballet-Kompagnie der Oper Genf mitwirkte, dass das gesamte Ensemble praktisch permanent auf der Bühne stand (der Chor manchmal in den Bögen der oberen Stockwerke des Theaters, den Logen, die es im GTG gar nicht gibt), machte die Aufführung auch visuell zum Ereignis. Wie alles ineinandergriff, wie Bühne und Musik, SolistInnen, Chor, Continuo (u.a. mit Quito Gato, Monica Pustilnik und Alix Verzier), Orchester (am ersten Pult Florence Malgoire) zusammenwirkten, war wunderbar. Dass bei der Dauer (inklusive Zugabe und Pause wurden dreieinhalb Stunden daraus) die Spannung nicht ganz ohne Unterbrüche gehalten werden kann, ist klar – liegt aber sicher auch an der Montage der Vorlage, die viel für Aug und Ohr bieten will, aber eben keinen wirklich geschlossenen dramatischen Bogen anstrebt.

Der Ausflug hat sich jedenfalls gelohnt, ich bin gespannt auf den zweiten im Juli, wenn Messiaens „Saint François d’Assise“ aufgeführt wird (mit dem OSR unter Jonathan Nott, und wieder mit de Sévigné, die Titelrolle singt Kyle Ketelsen, den ich in Zürich jüngst als Rodolfo in „La sonnambula“ und davor auch schon als Golaud in „Pelléas et Mélisande“ gehört habe).

Rezension der NZZ:
https://www.nzz.ch/feuilleton/rameau-les-indes-galantes-in-genf-lasst-die-friedenspfeife-kreisen-ld.1528784

zuletzt geändert von gypsy-tail-wind

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