Antwort auf: Konzertimpressionen und -rezensionen

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Zürich, Tonhalle-Maag – 12.11.2019 – Neue Konzertreihe Zürich

Kammerorchester Basel
Daniel Bard
Leitung und Violine
Gabriela Montero Klavier

WOLFGANG AMADEUS MOZART Ouvertüre zu „Lucio Silla“ D-Dur KV 135
WOLFGANG AMADEUS MOZART Klavierkonzert Nr. 20 d-Moll KV 466
GABRIELA MONTERO Improvisationen über „La Donna e mobile“ (Verdi, Rigoletto), „Lueget, vo Berg und Tal“ (Ferdinand Huber/Josef Anton Henne) und die Ouvetüre von „Guillaume Tell“ (Rossini)

GABRIEL FAURÉ „Masques et Bergamasques“ op. 112
DARIUS MILHAUD „Le bœuf sur le toit“ op. 58

Gestern ging es übermüdet nach der Arbeit ins Konzert … ich habe inzwischen zum dritten Mal ein Abo für die Neue Konzertreihe Zürich, obwohl ich die Konzerte an Montagen und Dienstagen schon etwas schwierig finde. Andererseits ist auch dieses Jahr wieder genug dabei, was ich hören will und worauf ich dann doch neugierig bin. In die erste Kategorie fällt das Collegium Vocale Gent (wobei ich es etwas schade finde, dass die Teile IV und V weggelassen werden), vor allem aber Grigory Sokolov und Cecilia Bartoli. In die zweite Kategorie fallen András Schiff (der gehört vielleicht auch in die erste, aber sooo ein Fan bin ich da bisher nicht), Gabriela Montero und auch Sergei Nakariakov (wobei ich auch in einem NKZ-Konzert die Cappella Gabetta schon einmal hörte und nicht gerade begeistert war).

Los ging es also gestern mit Gabriela Montero, von der ich bloss eine CD-Einspielung kenne (die Cellosonaten von Rach und Prok – ziemlich gut!), aber natürlich von ihren „Improvisations-Sessions“ gehört habe, bei denen sie spontan über Themen improvisiert, die sie sich vom Publikum vorsingen lässt. Gestern spielte sie mit dem Kammerorchester Basel, das ich bekanntlich ziemlich gut finde, aber so ganz ohne Zwiespalt war der Auftritt gestern nicht. Den Auftakt machte, als Aufwärmübung, die Ouvertüre von Mozarts „Lucio Silla“. Das Orchester schien sich erst noch ein wenig finden zu müssen – ein Kaltstart ohne Leitung (dass das bei Bard steht, ist masslos übertrieben, er spielte einfach am ersten Pult und gab ab und zu zu Beginn das Tempo vor, aber auch das machten oft andere, die halt den ersten Einsatz hatten). Das Zusammenspiel schien mir also etwas holprig, die Besetzung auch etwas gross dafür, dass sie ohne Dirigent auftraten (die Streicher: 5-5-4-4-2, dazu einige Bläser, später noch Schlagzeug und Harfe und noch mehr Bläser).

Als Montero dann von KV 466 auf die Bühne kam, wirkte vieles entspannter, hier gelang das kammermusikalische Miteinander recht gut. Es ging eher langsam los, fast etwas verhalten, doch umso mehr erhielten die bezaubernden Melodien von Mozart ihren Raum. Montero spielte das gradlinig und schnörkellos (auf dem grossen Steinway), was mir sehr entgegenkam. Danach folgte die angekündigte „Improvisations-Session“. Nach einem Hin und Her schmetterte ein Herr hinten im Saal den Anfang der Arie „La Donna e mobile“ aus Verdis „Rigoletto“. Montero spielte das Thema ein paar Mal auf dem Flügel, dachte ein wenig nach – und legte dann los mit einer ziemlich beeindruckenden Improvisation, die wohl einen ungefähren Eindruck vermittelte, wie ein Chopin oder ein Liszt in den Salons den 19. Jahrhunderts aufspielten. Grosse Geste, allmählicher Aufbau, Verdichtung, harmonische Verwandlungen – alles drin, und durchaus mit Formbewusstsein. Das Publikum war begeistert, und dabei war das erst der Anfang. Als zweites sang jemand vom Balkon das Schweizer Volkslied „Lueget, vo Berg und Tal“ (luege=schauen) – und auf die Frage, ob das denn auch wirklich alle im Saal kannten, sang das Publikum gleich das ganze Lied. Diese Idee – dass das Ausgangsmaterial allen Anwesenden bekannt ist – steht am Ausgang von Monteros Konzept der Improvisation. Sie will damit Schwellen abbauen, aufzeigen, dass klassische Musik gar nicht so verdammt kompliziert ist sondern durchaus auf kleinen Melodien oder Fetzen, Motiven baut. Wenn sie das nun spontan vorexerziert, an Material, das alle kennen, so ihre Vorstellung, wird das quasi erfahrbar für das Publikum im Saal. Mit dem Volkslied trieb sie allerlei Schabernack, natürlich ist so eine Darbietung auch ein Schaulauf (war es bei Liszt ja bestimmt auch). Los ging es im Stil von Bach, strenge Rhythmik, Kontrapunkt, dann wurde das aufgelockert, schrammte am Ragtime vorbei, die Bässe begannen zu „jumpen“, aber das wurde immer gleich wieder gebrochen mit kleinen Verschiebungen … verdammt virtuos eben, aber schon ziemlich toll. Als drittes kam die Ouvertüre von Rossinis „Guillaume Tell“ zum Zug. Los ging es mit einer irrwitzigen Mischung aus Tango und Walzer, die dann in eine ausgereifte (moderne) Jazz-Improvisation mündete, das nervtötende Motiv wurde zum Glück mehrfach gebrochen, erklang vor allem in Moll statt in Dur, wurde auch wie schon zu Beginn anders rhythmisiert. Das Publikum war begeistert, eine Zugabe braucht es da aber nicht auch noch, das Konzert war inzwischen schon fast eineinhalb Stunden lang.

In der Pause wurde der Flügel in Windeseile abmontiert und verräumt (ich hatte schon mal erlebt, wie schnell das geht und war beeindruckt: linker Fuss weg, kippen, andere zwei Füsse und Pedalaufhängung weg, dicke Schutzdecke zusammengezurrt und weggerollt mit dem Ungetüm). Das KOB spielte noch zwei Stücke der ganz anderen Art, wie ich sie auch mit diesem Orchester noch nicht gehört habe. Aber ich dachte auch öfter wieder, dass ein Dirigent eben doch gut getan hätte, um das Ganze zusammenzuhalten. Bei Fauré ging das besser, dafür fehlte mir hier teils die musikalische Ausgestaltung ein wenig, manches war wohl etwas undeutlich, etwas zu wenig pointiert (beim Mozartkonzert davor hatte das besser gepasst, da wurde zum Beispiel die Dynamik auch ausgekostet). Der wilde Ritt von Milhaud zum Schluss war dann wieder besser, auch wenn der Anfang rhythmisch ziemlich holprig wirkte. Mit der Zeit fand das Ensemble immer besser zusammen, die Bläser glänzten, die Streicher traten oft im einzelnen Register auf, besonders die Celli waren toll. Aber gerade das ist doch auch wieder ein Werk, bei dem eine lenkende Hand, ein klar umgesetztes Konzept wichtig wäre. Die Rallentandi und anderes gelangen zwar auch ohne Dirigent gut, aber es schien halt doch etwas mehr Unschärfen zu geben, als bei so launischer, wechselhafter Musik gut war.

Vom Ablauf her wurde ich etwas an ein anderes Konzert der Neuen Konzertreihe erinnert: letzte Saison spielte das KOB da mit Mikhail Pletnev. Das war insgesamt vom Orchester her besser – auch da hatte es, wie diesmal mit Milhaud – sein Schaulaufen, aber die „Pulcinella“-Suite (die mir wohl weniger zusagt als das Rindvieh, das gar nicht auf dem Dach war) gelang vom Zusammespiel, vom Zusammenhalt her, einiges besser. So war das ein etwas gemischter Abend mit einer tollen Pianistin und einem Orchester, das sein Potential nur teils entfalten konnte.

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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #159: Martial Solal (1927–2024) – 21.1., 22:00; #160: 11.2., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba