Antwort auf: Konzertimpressionen und -rezensionen

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gypsy-tail-wind
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Das vorweihnachtliche Programm war mal wieder ziemlich dicht … ein paar kurze Zeilen:
 
 
Zürich, Tonhalle-Maag – 09.12.2018

Quatuor Ebène
Pierre Colombet, Violine
Gabriel Le Magadure, Violine
Marie Chilemme, Viola
Raphaël Merlin, Violoncello

Ludwig van Beethoven Streichquartett Nr. 1 F-Dur op. 18 Nr. 1
Johannes Brahms Streichquartett Nr. 1 c-Moll op. 51 Nr. 1

Ludwig van Beethoven Streichquartett Nr. 16 F-Dur op. 135

Los ging es mit einem grossartigen Konzert des Quatuor Ebène. Begonnen hat es mit Verspätung, Einlass war ungefähr, als das Konzert beginnen sollte und es dauerte fast 20 Minuten, bis die vier auf die Bühne kamen. Das Publikum wurde allmählich unruhig, doch schon nach wenigen Tönen war klar: dafür hätte man auch zwei Stunden gewartet! Beeindruckend, wie die vier zugleich aktiv gestaltend und doch sehr präzise, zugleich spontan und vollkommen durchdacht, zu Werke gingen. Beethovens erstes und sein letztes Quartett standen auf dem Programm, dazwischen das erste von Brahms. Auf die Gelegenheit, Op. 132 auch mal im Konzert zu hören, warte ich noch, Op. 135 hörte ich bereits mit dem Kuss Quartet, das wohl schlanker, weniger romantisch spielt als die Ebènes. Bei Brahms fand ich ihren Zugriff vielleicht noch etwas passender, aber alle drei Werke gefielen sehr und das Quartett beeindruckte schwer.

Bericht in der NZZ:
https://www.nzz.ch/feuilleton/das-quatuor-ebene-dringt-zum-kern-der-musik-vor-ld.1443814
 

 
Zürich, Tonhalle-Maag – 11.12.2018

Sheku Kanneh-Mason, Violoncello
Isata Kanneh-Mason, Klavier

Luigi Boccherini Sonate Nr. 6 A-Dur für Violoncello und Basso continuo
Francis Poulenc Sonate für Violoncello und Klavier FP 143

Claude Debussy Sonate d-Moll für Violoncello und Klavier L 135
Johannes Brahms Sonate Nr. 2 F-Dur op. 99 für Violoncello und Klavier

Encore: Gustav Holst In the Bleak Midwinter (arr. Kanneh-Mason)

Das Konzert des jungen Cellisten Sheku Kanneh-Mason fand im Rahmen einer Reihe statt, für die ich ein Abo gekauft habe – sonst hätte ich es mit Sicherheit nicht auf dem Schirm gehabt, und das wäre doch schade gewesen. Begleitet wurde er von seiner Schweser Isata am Klavier, und wie die beiden zusammen musizierten, war eine Freude: intensiv, den gelegentlichen Fehlgriff nicht scheuend, vor allem das Cello mit brennendem Ton, der nicht glänzen wollte sondern tief in die Musik eintauchte (auch wenn ihm, so schien mir, die Projektionskraft da und dort ein wenig zu fehlen schien). Die Bochherini-Sonate war eine hübsche Aufwärm-Übung, mit Poulenc ging es dann so richtig zur Sache. Nach der Pause Debussy, zurückhaltend und ohne jegliche Grossspurigkeit – das Publikum war am Ende unsicher, ob das nun wirklich das Ende war, so fein klang das Stück aus. Brahms‘ zweite Sonate gehört wohl zu den schönsten und eindrücklichsten Sonaten für Cello und Klavier, und auch dieses Werk meisterten die beiden Geschwister gekonnt und einmal mehr mit viel Schwung und viel Gefühl. Als Zugabe spielten sie dann noch ein Stück von Gustav Holst, „In the Bleak Midwinter“, das ich aber nicht erkannt hätte – es wird aber im Bericht im Tagesanzeiger erwähnt:
https://www.tagesanzeiger.ch/kultur/klassik/Ein-wirkliches-Talent/story/31980265
 

 
Zürich, Tonhalle-Maag – 15.12.2018.

Tonhalle-Orchester Zürich
Daniel Blendulf
, Leitung
Janine Jansen, Violine

Michail Glinka Ouvertüre zu „Ruslan und Ljudmila“
Anders Eliasson Violinkonzert „Einsame Fahrt“

Sergei Prokofiev Symphonie Nr. 5 B-Dur Op. 100

Das letzte Konzert, das ich im alten Jahr mit dem Tonhalle-Orchester hörte, war auch das erste mit der derzeitigen Artist in Residence, Janine Jansen (ihren zweiten Auftritt vor einigen Wochen musste sie absagen, Veronika Eberle sprang ein). Ihr Ehemann, Daniel Blendulf, gab zugleich sein Debut am Pult des Tonhalle-Orchesters und gerade im feinen Violinkonzert von Eliasson (1947–2013) wurde ihre Komplizenschaft deutlich. Los ging es mit der Ouvertüre zu „Ruslan und Ljudmila“ von Glinka, das Orchester folgte dem Dirigenten, schwung- und kraftvoll. Eliassons Konzert wurde von einem Orchestermusiker mit ein paar launigen, aber auch recht nichtssagenden und meines Erachtens überflüssigen Worten angesagt, wohl ein Zugeständnis an die Ablehnung, auf die zeitgenössische Musik auch hierzulande leider immer noch in vielen, ja den meisten Fällen trifft. Das Werk läuft ohne Pause durch, man kann es wohl tatsächlich als eine „einsame Fahrt“ sehen, doch für klischeehafte Bilder von nordische Schneelandschaften ist es dann doch zuwenig flüssig, zuwenig kühl. Jansen schien sich fast schon in das Werk zu verwandeln, war auch dann von grösster Präsenz, wenn sie aussetzte. Das Zusammenspiel mit dem Orchester klappte bestens, alle schienen auf der Stuhlkante zu sitzen. So war es auch nach der Pause in der fünften Symphonie Prokofievs, die geradezu überschwänglich daherkam. Das machte vom Musikantischen her zwar grossen Spass, aber man darf das tatsächlich auch hinterfragen, in Bezug auf die beklemmende Geschichte des Werkes. Nichtsdestotrotz ein sehr guter Abend.

Bericht in der NZZ:
https://www.nzz.ch/feuilleton/eine-russische-umarmung-fuer-das-tonhalle-orchester-zuerich-ld.1445268

Bericht auf Seen and Heard International:
http://seenandheard-international.com/2018/12/musical-year-ends-with-a-big-smile-blendulfs-prokokiev-fifth/
 

 

Kammerorchester Basel
Nuria Rial
Sopran
Reinhold Friedrich Trompete

Johann Sebastian Bach Sinfonia aus Kantate „Bringet dem Herrn Ehre seines Namens“ BWV 148
Giuseppe Torelli Konzert D-Dur für Trompete, Streicher und Basso continuo
Georg Philipp Telemann „Erscheine bald du Irrstern“ aus „Die last-tragende Liebe oder Emma und Eginhard“ (TWV 21:9)
Johann Sebastian Bach Kantate „Jauchzet Gott in allen Landen“ BWV 51 für Sopran, Trompete und Streicher

Arcangelo Corelli Sonata a quattro D-Dur für Trompete, 2 Violinen, Streicher und Basso continuo
Arcangelo Corelli Concerto grosso g-Moll op. 6 Nr. 8 „fatto per la notte di natale“
Katalanische Weihnachtslieder „Nit de vetlla“ und „El cant dels ocells“
Georg Friedrich Händel „Let the bright seraphim“ für Sopran, Trompete und Streicher aus „Samson“

Etwas enttäuschend fand ich dann das letzte Konzert mit der grossartigen Nuria Rial – an ihr lag es wohlgemerkt gar nicht. Im Gegenteil, wie leicht ihr Gesang ist, mit welcher Natürlichkeit sie singt, ist auch im Konzert schwer zu fassen. Allerdings war sie gar nicht so oft zu hören, eine weitere Arie aus Telemanns Werk („Das Auge starrt, die Lippen beben“) stand direkt vor der gesungenen im Programm, wurde aber leider nicht aufgeführt. Der Kaltstart, den Friedrich hinlegte, das wieder einmal eher etwas verhaltene Spiel des KOB, vermochten nicht wirklich zu packen. Rials Gesang bewegte sich auf ganz anderen Höhen, die Bach-Kantate zumal war vielleicht das schönste, was es an dem Abend zu hören gab. Allerdings war ich überrascht, wie schlecht die Textverständlichkeit war – was ich allerdings bei einer solchen Stimme am Ende nicht so schlimm finde. Nach der Pause hatte das KOB mit und ohne Friedrich wieder einen längeren instrumentalen Teil zu spielen, der wohl etwas besser glückte als in der ersten Konzerthälfte, aber so richtig zu glänzen vermochte Friedrich leider auch nun nicht (ich erinnerte mich unweigerlich ans vorweihnachtliche Konzert, das Regula Mühlemann vor einem Jahr mit der ebenfalls nicht gänzlich überzeugenden Capella Gabetta in der Tonhalle gegeben hatte – dort stand „Let the Bright Seraphim“ ebenfalls auf dem Programm und der damalige Trompetensolist war phantastisch, auch wenn Mühlemann sicher nicht den natürlichen „Flow“ schafft (dafür versteht man bei ihr aber auch wirklich jede Silbe), den Rial ganz einfach zu haben scheint, ohne dass sie dafür etwas zu tun braucht (klick). Der Höhepunkt in der zweiten Konzerthälfte war aber nicht die abschliessende Händel-Arie sondern das zweite der katalanischen Weihnachtslieder, bei dem es sich um „El cant dels ocells“ handelte, jenes Stück, mit dem Pau Casals nach dem Gang ins Exil jedes seiner Konzerte beendete. Die beiden Lieder hat Quito Gato arrangiert, der an der Theorbe bzw. an Gitarren im Orchester sass, ein guter Mann, der auch für die kürzliche alpha-CD „De vez en cuando la vita“ verantwortlich zeichnete, auf der Leonardo Garía Alarcon mit seiner Cappella Mediterranea Lieder von Serrat (arrangiert eben von Gato) mit Musik des „siglo de oro“ koppelt. Gato war sicherlich auch der Mann hinter der Zugabe, einer Vokalise von Duke Ellington (ich vermute aus der Zeit mit Ivie Anderson, Rials Ansage verstand ich nur zur Hälfte, obwohl ich ganz vorne sass), für die Friedrich zum Flügelhorn griff und wohl ein wenig improvisierte, dabei aber mit seinem grossen Ton Rial und das Orchester ein paar mal fast zu übertönen drohte. Fazit: das KOB braucht wohl, um richtig gut zu sein, einen Dirigenten, der den Tarif durchgibt – sei es Heinz Holliger wie kürzlich mit Schubert/Gubaidulina in Basel (bzw. auf der aktuellen CD mit Schuberts „grosser“ Symphonie C-Dur) oder noch besser Giovanni Antonini, der derzeitige Principal Guest Conductor, mit dem das KOB auch am Haydn-Projekt von alpha bzw. der Haydn-Stiftung in Basel beteiligt ist.
 
 
Weiter geht es am 2. Weihnachtstag in Luzern mit Gounods „Roméo et Juliette“, letztere gesungen von der von mir bekanntlich geschätzten Regula Mühlemann … bin gespannt, auch wegen der Lektüre von Peter Hagmanns Kritik, die mich überhaupt zum Kauf einer Karte verleitete:
http://www.peterhagmann.com/?p=1858

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