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Ani DiFranco – To the Teeth (1999)
Nachdem ich zuletzt den großen Verlust beschrieb, den der Tod der großen Laura Nyro für die Popmusik bedeutete, soll dieser Beitrag von dem Trost handeln, der darin besteht, dass sie eine wahrhaft würdige Nachfolgerin gefunden hat. In der Tat besticht Ani DiFranco durch all die Tugenden, die auch Laura Nyro besaß: Schon in sehr jungen Jahren fest auf eigenen Beinen stehend, gründete sie bereits im Alter von 18 Jahren mit einem Startkapital von 50 Dollar ihre eigene Plattenfirma Righteous Babe Records, um bald darauf ihr selbstbetiteltes Debütalbum unter vollständig eigener Regie zu veröffentlichen. Diese Plattenfirma besteht bis heute und veröffentlicht erfolgreich nicht nur die Platten ihrer Inhaberin, sondern auch solche ihrer Freunde.
Ani DiFranco ist eine vollständig komplette Künstlerin mit großem kompositorischem und lyrischem Talent, eigenwilliger Stimme und beeindruckenden Fähigkeiten an der Gitarre. Sie ist eine sehr politische Songwriterin in bester amerikanisch-linksliberaler Tradition, die sich gezielt in die amerikanische Politik eingemischt und von Anbeginn selbstbewusst ihre Bisexualität gelebt und thematisiert hat. Sie ist bestens vernetzt und genießt sowohl in Musikerkreisen als auch bei ihrem Publikum höchstes Ansehen. Ohne jegliche Beteiligung der großen Musikkonzerne ist es ihr gelungen, Ruhm und beachtlichen kommerziellen Erfolg zu generieren. Man muss sich am Riemen reißen, um über so viel musterhaftes, vorbildliches Standing nicht zu schmunzeln, um es nicht in den reflexhaften Verdacht eines grandiosen Klischees, womöglich gar des Strebertums zu ziehen. Dazu besteht kein Grund!
Das vorliegende Album, ihr elftes innerhalb von zehn Jahren, bietet ein beeindruckendes Panorama musikalischer Stile und dichterischer Themen. Der Titelsong, ein atmosphärisch sehr dichtes Folkstück, ist eine sarkastisch-zornige Anklage der Waffennarretei in ihrem Heimatland, dessen Bewohner to the teeth, also bis an die Zähne bewaffnet sind, und stellt eine direkte Reaktion auf das Columbine-Massaker dar. „Soft Shoulder“ ist ein melancholischer Song über eine Liebe, die keine Chance bekam, und „Wish I May“ eine Reflexion des Selbstzweifels und der Selbstanklage. Schon die ersten drei Songs zeigen also die enorme Vielfalt, die dieses mit fast 72 Minuten Länge sehr voluminöse Album aufweist. Wie also könnte man Ani DiFranco nicht lieben? Ich weiß es nicht, aber das ist der einzige Punkt, bei dem diese bewunderungswürdige Künstlerin bei mir eine Leerstelle hinterlässt.
Tracklist:
1) „To the Teeth“ – 7:42
2) „Soft Shoulder“ – 6:04
3) „Wish I May“ – 4:53
4) „Freakshow“ – 5:42
5) „Going Once“ – 5:33
6) „Hello Birmingham“ – 5:23
7) „Back Back Back“ – 4:46
8) „Swing“ – 6:10
9) „Carry You Around“ – 3:24
10) „Cloud Blood“ – 4:51
11) „The Arrivals Gate“ – 4:35
12) „Providence“ – 7:18
13) „I Know This Bar“ – 5:31
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"Edle, freie Unbefangenheit bei Allem. ... Alle übrigen Vollkommenheiten sind der Schmuck unsrer Natur; sie aber ist der der Vollkommenheiten selbst. ... Sie ist mehr als Leichtigkeit, sie geht bis zur Kühnheit: sie setzt Ungezwungenheit voraus und fügt Vollkommenheit hinzu. Ohne sie ist alle Schönheit todt, alle Grazie ungeschickt: sie ist überschwenglich, geht über Tapferkeit, über Klugheit, über Vorsicht, ja über Majestät." (Baltasar Gracián) =>mehr<=