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ich kenne mich da nicht aus. was halt tatsächlich auffällt, ist, wie sehr dotson das arkestra dominiert in den wenigen monaten, in denen er dabei ist. da wäre tatsächlich irgendwann irgendwo eine leader-session drin gewesen.
den spaulding-cleveland-hinweis in der bailey-frage habe ich jetzt nicht verstanden. aber das mit dem alter ist tatsächlich kein argument – zwischen den ra- und den extraordinaire-aufnahmen liegen ja weniger als 20 jahre. bei campbell gibt es noch den eigenartigen hinweis: „Bo Bailey [Larry Pickens]“, aber das hast du sicher auch gesehen…
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WerbungDotson war ein gestandener Musiker und seit wenigstens einem Jahrzehnt ein hervorragender Trompeter, als er zu Sun Ra kam – dass er in einer vergleichsweise jungen Band stark rüberkommt, ist so gesehen eigentlich nicht so überraschend. Ich hatte Dotson auch lange Zeit gar nicht auf dem Schirm. Das änderte sich aber schlagartig, als ich die frühen Aufnahmen von Gerald Wilson kennenlernte – da hinterliess er bei mir einen sehr starken Eindruck! Man kriegt(e) die Aufnahmen auf zwei Chronological Classics, 1946-1946 bzw. 1946-1954, wobei es bei zweiteren einen langen Unterbruch gibt und Dotson nur zu Beginn mit dabei ist, wenn mich nicht alles täuscht. Lohnt auf jeden Fall, nach ihnen zu suchen!
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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #158 – Piano Jazz 2024 - 19.12.2024 – 20:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tbaHmmm, vielleicht konnte man es schlecht verstehen, weil ich grad Cleveland und Indianapolis verwechselt hatte… das mit [Larry Pickens] hatt ich auch eben gesehen – kurios… vllt schreib ich Campbell die Tage mal
edit: hab ihm geschrieben…
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.vorgartenman vermutet heute, dass JAZZ IN SILHOUETTE durchaus den versuch darstellte, das arkestra endlich bekannt zu machen – mit einer ausgewogenen mischung aus konventionellem, elegantem hardbop mit perfekt arrangierten bläsersätzen einerseits und exotisch-verheißungsvollen afroorientalismen andererseits. geworden ist daraus natürlich nichts, auch wenn man 1961 schon neupresste und ein sexy cover mit unbekleideten weltraumnymphen bemühte. heute hört man das alles und ist beeindruckt. gilmore und patrick sind sehr eigenständige stimmen, denen immer etwas tolles einfällt, sun ra hält sich mit seinem spröden und abgehackten comping sehr zurück und dotson gibt der musik eine wärme, die das arkestra in seiner lead-stimme bisher nicht hatte (auch wenn mein lieblingstrompeter natürlich phil cohran wird, der wenig später auf der bildfläche erscheint). „ancient aethiopia“ rumpelt fast 10 minuten lang durch eine virtuelle pyramidenlandschaft, auf einem akkord, mit unglaublich stimmungsvollen soli (und einer chor-einlage), „enlightenment“ schwebt hintereinander durch mehrere tanzstile (sogar cha-cha-cha), ohne seine melancholische grundstimmung zu verlieren, ronnie boykins‘ klares fundament kontrastiert aufreizend zu den spitzen von spaulding und den verrücktheiten von marshall allen.
Das klingt wie eine bahnbrechende Erkenntnis aus jüngster Zeit, aber die Strigenz der Konzeption des Albums ist doch ziemlich offensichtlich oder? Hat man das früher nicht gesehen oder anders wahrgenommen?
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Ohne Musik ist alles Leben ein Irrtum.nail75Das klingt wie eine bahnbrechende Erkenntnis aus jüngster Zeit, aber die Strigenz der Konzeption des Albums ist doch ziemlich offensichtlich oder? Hat man das früher nicht gesehen oder anders wahrgenommen?
„früher“ hieß 1974 (die erste wiederveröffentlichung, die eine nennenswert große anzahl von hörerInnen erreichte). da hat man verständlicherweise nicht mehr so ganz verstanden, worauf dieses album hinauswill, denke ich. stringent ist die konzeption aber in jedem fall. es gab halt nur den widerspruch zwischen ambition und distribution.
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Antworten von RC: Er ist sich bei Hobart Dotson als Lionel Hampton Sideman relativ sicher (LH hat selten mit seiner eigenen Band aufgenommen in den Jahren, und Art Hoyle, der Slide Hampton nicht vergessen würde, erzählte auch von HD bei LH). Larry Pickens ist in der Tat der wahre Name von Bo Bailey, und nach dem, was RC über ihn weiß, ist er auf die Straße zurückgekehrt, als das mit Sun Ra zu Ende ging – sicherlich tragisch und nichts was einen Umzug nach Cleveland kategorisch ausschließt, aber
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.dann wäre das ja geklärt.
bo bailey ist ja im klangbild auf SILHOUETTE durchaus präsent, aber jetzt auch nicht die wahnsinnig individuelle stimme. im diskografischen saturn-chaos ist er darüber hinaus ja erst mal verschollen gegangen – selbst auf der impulse-wiederveröffentlichung wird ja noch julian priester als posaunist der aufnahme genannt…
diese dynamik aus new-york-abwanderungen und leuten, die da geblieben sind, ist ja beim arkestra überhaupt ganz spannend – 1961 war es ja fast so, als würde ra seinen musikern hinterherziehen, da sich ja schon einige nach new york abgesetzt hatten. andere, wie phil cohran, sind ja sehr bewusst und gegen ras willen in chicago geblieben. du weißt wahrscheinlich besser als ich, wer von ihnen die frühe aacm mitgestalteten (bo bailey offensichtlich leider nicht), da war cohrans african heritage ensemble ja auch nochmal ein sonderweg…--
den „Sun Ra and the AACM“ Artikel von Allan Chase kennst du? Ist ja leider auch auf dieser abgestellten Seite, aber immerhin noch auffindbar… Neben den genannten fällt mir noch Gene Easton ein, der bei Cohran ja eigentlich immer dabei war – so auch gegen Ende kurz bei Sun Ra…
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.das arkestra mit phil cohran
die aufnahmen für JAZZ IN SILHOUETTE waren gerade fertig, als das arkestra auseinander bricht. hobart dotson, der ihm eine neue stimme gab, verabschiedete sich noch vor der lp-veröffentlichung zwei monate später (mai 1959), james spaulding nahm andere jobs an und ging dann nach new york. dorthin zog es auch den zweiten bariton-mann charles davis, und die sängerin hattie randolph ging nach kanada. john gilmore blieb zwar noch im arkestra, hatte aber bald einen regelmäßigen gig in einem anderen club – wie auch die drummer robert barry und william cochran ständig anderweitig verpflichtet waren. das schlimmste für ra allerdings war, dass sich auch pat patrick auf raten nach new york verabschiedete (schließlich in der band von james moody). damit fehlte nicht nur eines der zentralen gründungmitglieder des arkestras, es fehlte auch eine wichtige zutat im arkestra-sound. neue trompeter standen zunächst auch nicht zur verfügung (hin und wieder lucious randolph und walter strickland), drummer ebenso wenig.
gerade, als das schicksal der band auf der kippe steht, bekommt sie einen neuzugang, der wie kein anderer sich für das arkestra empfiehlt: der junge, sehr ernsthaft mit mathematik, kosmologie und weltmusik beschäftigte kornettist phil cohran wird von john gilmore zu den proben mitgeschleppt und ehe er es sich versieht, probt er täglich 6 stunden, spielt danach 6 stunden live und bevor er zu sinnen kommt, sind 1 ½ jahre vergangen. begeistert hat er in the wire von einem schlüsselerlebnis erzählt:
„[The Arkestra] were playing in a place on the West Side called The Fifth Jack and everybody in the place was paralysed when we started playing „Angels And Demons At Play“,“ he continues. „It was a multi-faceted place that had a bar, a tavern, a restaurant, a barber shop and something else. Everybody emptied all the other businesses and came over to our place – they even left the cash registers and stuff. Because we had them all mesmerised in this one corner of the building. I looked around and it was the first time I really realised how much power we had. Everybody in that place was holding their breath. It was proof that music had that power over people whether they’re conscious or not. It gets inside of your body, inside your body rhythms, it mixes with your chemistry. Ever since then, I’ve lectured on those subjects. I’ve expanded on that for 40 years. That’s what I deal with: music’s effect on the body, and the ancient tuning systems and how ancient people were aware of these properties. They didn’t have the analytical terms for it, but they knew it existed and they knew how to reach it. So with those forms of teaching, that was how we fit this concept, the modal concept really, of playing. I don’t want to go into it really, but you know a lot of people got that concept from me, but they don’t acknowledge it. I could name a lot of very well known people who came to me. Just like with Sun Ra, no one acknowledges anything. I’m not a crybaby or anything like that, but if people want to know the truth about how certain areas develop in an artform, then they would have to search for what happened here in the 60s. It had everything to do with the way it’s being played today.“
von hier.
gypsy hat in diesem thread mal einen überblick über die post-arkestra-karriere von cohran unternommen (die ja immer noch andauert) und auf die absolute einzigartigkeit dieses musikers hingewiesen, der so besessen von seinen eigenen konzepten war, dass er in chicago blieb, als das arkestra weiterzog (de facto war er schon vorher draußen und george hudson wurde der letzte feste chicagoer arkestra-trompeter), und auch nicht lange in der AACM blieb, die er 1965 mitgründete. bekannt sind heute vor allem seine alben mit dem artistic heritage ensemble, dem tollen ON THE BEACH (1968) etwa, das ganz um das funk-potential seines frankiphones (eines elektrisch verstärkten daumenklaviers) herumgebaut ist.
im arkestra hört man ihn zum ersten mal auf einer art zither, eigentlich einer kombination aus violine und ukulele (violin uke), deren saiten sowohl gezupft wie gestrichen werden können. cohrans rhythmisch, aber ziemlich schräger gebrauch dominiert einen ersten space-chant-hit des arkestras, 1960 auf einer probe aufgenommen: „interplanetary music“ (landete später auf WE TRAVEL THE SPACEWAYS, 1967). gilmore, boykins und ra singen den „text“ sonor, zu abgehackten orgelakzenten, schlägen auf den holzblock und einem dazu gegenlaufenden swingbeat. gilmore schlägt dazu noch auf „cosmic bells“. mehr braucht es nicht zu einem hit.
(don’t believe the diskografischen angaben.)cohrans wunderschöne kornettstimme hört man dann auf der ebenso peripher entstandenen aufnahme von TAPESTRY FROM AN ASTEROID, das ra für ihn schrieb. hier ist dann auch der neue drummer jon hardy dabei. verloren spielt cohran das melancholische thema, während allen, gilmore und der aushilfsbaritonist ronald wilson üppige bläserschluchzer dazusteuern. auch dieses stück landete später auf WE TRAVEL THE SPACEWAYS.
mit seiner rudimentären besetzung hatte alton abraham dem arkestra weitere jobs verschafft – zunächst in der travestie-show-lounge del morocco, später dann im gerade eröffneten „wonder inn“, das sogar anzeigen schaltete und offensichtlich sehr stolz auf seine besondere „recording band“ war, die mittlerweile in kostümen auftrat und gerne auch mal spielzeugroboter ins publikum laufen ließ.
das wonder-inn-engagement war eine der letzten stationen des arkestras in chicago. ra produzierte noch singles mit der vokalband the qualities (ziemlich hübsch, darunter ein weihnachts- und ein silverster-song…), zum schluss wieder mit dem wild man yochanan (dazu später). es gibt drei umwerfende live-aufnahmen von ra, mit gilmore, cohran, allenboykins und einem unbekannten drummer, die es auf die 14-cd-box von michael anderson geschafft haben (bass und klavier hört man kaum, dafür die umwerfenden bläser, die das haus quasi in seine einzelteile zerlegen).
schließlich geht das arkestra wieder ins studio, um an einem tag ca. 40 stücke aufzunehmen. es entstehen die alben FATE IN A PLEASANT MOOD und das standard-album HOLIDAY FOR SOUL DANCE, außerdem einzelne stücke, die später auf anderen alben landeten, u.a. das titelstück aus ANGELS AND DEMONS AT PLAY. all das gehört mit zum tollsten, was es vom arkestra gibt – und das, obwohl die band ziemlich dünn ist und tatsächlich pat patrick fehlt.
angetreten zum marathon am 14. juni 1960 waren:
sun ra (bells, perc, gong, space harp); phil cohran (violin-uke, cnt, perc, voc); nate pryor (tb, bells); john gilmore (ts,cl, perc, voc); marshall allen (as, fl, bells, voc); ronnie boykins (b, space gong, voc); jon hardy (d, perc, gong).timpani und dergleichen, für den tiefen perkussionsound des frühen arkestras so wichtig, fehlen wieder oder werden durch gongs ersetzt. statt zwei baritonisten bedient niemand das tiefe saxregister. aber: trotz fehlendem pat patrick und auch mit (ständigem) aushilfsposaunisten nate pryor ist das jetzt keine band mehr aus klangkörper-funktionsträgern, sondern aus sehr unterschiedlichen individualisten, aus einzelnen stimmen, die in der musik von ra auch viel mehr raum erhalten als in den komplizierten arrangements von 1956 und 1958.
das gilt auch für ra selbst: in „space mates“ beispielsweise kommt man in den genuss von rhytmisch effektiven monkischen kürzeln, spätromantischen arpeggien mit großer geste und überleitungen, die nach wiener moderne klingen, bevor allens flöte melancholisch zart durch den weltraum fliegen darf und jon hardy ein äußerst abstraktes drumsolo beisteuert. großartig ist ras klavier im schlafwandlerischen blues „space loneliness“, sowohl in der begleitung wie in seinem ideenreichen solo. tatsächlich überirdisch schön sind alle aufnahmen, in denen cohran den lead übernimmt, auf „lights on a satellite“ z.b., wo der weniger metallische kornett-sound tatsächlich von allem irdischen befreit scheint, gefolgt von boykins gestrichenem bass und eigenartigen harmonisierungen durch die anderen bläser (flöte und klarinette), die so für sich stehen, als würde cohran nur kurz an ihnen vorbeifliegen.
die üblichen exotika sind so stark integriert, dass sie zu etwas anderem werden (mit ausnahme vielleicht von boykins‘ „tiny pyramids“). irgendjemand hat mal geschrieben, dass das arkestra keine latin-rhythmen spiele, sondern sie für sich eigentlich neu erfinde. auch wenn es manchmal auf dasselbe hinauslaufen kann – man muss schon sehr viel abstrahieren und ignorieren, um die quellen der musik freizulegen. „somewhere in space“ hat zwar spanische anleihen, ist aber eher eine modale vorlage für gilmore und allen, wie sie gil evans für miles davis bereit gestellt hatte. auch die studioversion von „interplanetary music“ verbindet afrikanische rhythmen mit broadway, wobei der männerchor bei der zeile „interplanetary harmony“ besonders schief singt. bei „angels and demons at play“ schwebt die orientalisch inspirierte flöte auf einem hippen 3/4-vamp, den sun ra auf einer kleinen harfe rhythmisch imprägniert, das klingt wie eine african-heritage-ensemble-aufnahme 8 jahre später). tja, und welche quellen soll eigentlich „rocket number nine take off for the planet venus“ haben? das einzig vertraute darauf kann eigentlich 1960 nur das augenhöhe-coltrane-solo von gilmore gewesen sein, der rest ist dadaismus und ein bass-solo, von dem jimmy garrison damals nur träumen konnte. zoom, zoom, up in the air. all out for jupiter.
die standard-auswahl (viel später, 1970, auf HOLIDAY FOR SOUL DANCE veröffentlicht) steht der leidenschaft und originaliät der ra-originale keineswegs nach. eine band in großer spiellaune macht das schönste aus den klugen arrangements. ra trumpft plötzlich als pianist auf, meist setzen seine intros schon die latte, über die gilmore, cohran und vor allem der cry des hingebungsvollen marshall allen mühelos springen. hellwach druchkreuzt sich ganz altes mit neuem, nie wird der sound zu voll, alles ist luzide voneinander abgesetzt, ra punktiert die bläsersätze und alles schwebt mühelos und in 70mm über den virtuellen broadway.
sehr schön fügt sich eine kleine komposition von cohran darin ein („dorothy’s dance“); die arkestra-version von einem schlachtross wie „body & soul“ ist eine der schönsten, die ich kenne – mit wunderschönen, sich abwechselnden soli von gilmore und ra (der in einem tollen moment nur dissonante töne vom oberen ende der tastatur anschlägt und boykins tollen bass durchschimmern lässt).
demgegenüber fast altmodisch nehmen sich drei ra-originale aus, die so zwischen engeln, dämonen und raketen auch noch schnell eingespielt werden: auf „state street“ gibt es eine louis-armstrong-mimikry von phil cohran (zu handclaps der bandmitglieder), „the blue set“ ist ein blues wie aus den 30ern, auf den ausgerechnet marshall allen einsteigt, als hätte er schon 30 jahre showmanship auf dem buckel. und „big city blues“ shuffelt sich mit rimshots und call & response durch die tradition, bis man schließlich bei sun ras wirrem solo wieder weiß, wo man (nicht) ist. (diese stücke gab es nur auf single.)
in dieser letzten großanstrengung ist das arkestra jedenfalls tatsächlich nicht mehr an eine stadt und einen stil gebunden. ob nun montreal, new york oder philadelphia – es kann von jedem punkt der erde aus abheben.
zuletzt geändert von vorgarten--
letztes aus chicago (1960/61)
das letzte chicagoer jahr zwischen der studiosession im juni 1960 und der abreise nach montréal im juli 1961 ist nur noch rudimentär dokumentiert. im „wonder inn“ wurde ein auftritt live mitgeschnitten und hat überlebt – bei proben entstehen eine handvoll aufnahmen neuer stücke, die es auf die schon fast gefüllten saturn-alben schaffen. 1961 nimmt sun ra schließlich die zusammenarbeit mit dem durchgeknallten yochannan wieder auf. die besetzungen wechseln. da phil cohran oft nicht verfügbar ist, wird er durch lucious randolph, walter strickland und dem jungen george hudson ersetzt. als neues arkestra-mitglied taucht ricky murray auf, ein sänger mit tiefer stimme und eher klassischem vibrato, der allerdings auf den band-fotografien aus dem wonder inn sich deutlich weniger maskulin präsentiert als er sich anhört.
(v.l.n.r.: drummer billy mitchell, ricky murray, ronnie boykins, marshall allen, walter strickland, sun ra, john gilmore)der standard “early autumn”, wahrscheinlich zwischendurch im wonder inn aufgenommen, landet noch auf HOLIDAY FOR SOUL DANCE und fügt sich mit murrays sonorem blues und einem abstrakt suchenden gilmore-solo reibungslos in das standard-album ein.
wahrscheinlich noch vorher wird eine probe (ein konzert?) mitgeschnitten, das als zweiter teil der atavistic-archiv-cd MUSIC FROM TOMORROW’S WORLD überlebt hat. der sound ist schlecht, das arkestra klingt aus weiter entfernung zu uns herüber, der hall schmiert vieles, aber nicht alles zu. die musik nämlich ist hervorragend. ra, cohran, allen, gilmore, boykins und (mal wieder) robert barry haben zur verstärkung den baritonisten ronald wilson dabei, der mehrere originelle und üppige in-soli beisteuert und dazu mit dem arkestra-songbook hervorragend vertraut zu sein scheint; außerdem einen altsaxer namens gene easton (der später mit phil cohran weitermachte).
sun ra spielt geheimnisvolle klavierintros, danach entwickeln sich entweder sehnsuchtsvolle balladen oder komplexe bop-arrangements, im stil von 1956, aber mit stücken aus 1960. nur eine lange perkussionsorgie auf „posession“ macht die orientierung der letzten aufnahmen deutlich.deutlich besser klingt ein tatsächlicher konzertmitschnitt, auch auf der atavistic-cd zu finden, wohl aus dem wonder inn und mit sehr gesprächigem publikum. hier ist das programm avancierter, man kann zum ersten mal die komposition „spontanious simplicity“ bewundern, auch das neue „space aura“ ist dabei. diesmal ist george hudson der (hervorragende) trompeter, ein bariton fehlt, die komplette band übernimmt wieder & ziemlich unnachahmlich die percussion. im zweiten teil dann plötzlich ein standard-programm: ricky murray singt „it ain’t necessarily so“, „s’wonderful und „how high the moon“, mit albernem (aber sehr schönem) response der anderen musiker. john gilmore ist in fantastischer form, mit großer leichtigkeit von ra auf dem e-piano begleitet. das arkestra als show-band, mit dezent modernistischen reflexen von gilmore und ra. die synthese des auftritts dann am ende, mit „china gate“ – ein ritualistischer gesang, auf einem akkord, mit operneffekten von murray und schellen und glöckchen der arkestrapercussionisten und schwebenden e-piano-akkorden des leiters.
im oktober 1960 nahm das 6-köpfige arkestra (ra, hudson, gilmore, allen, boykins, hardy) noch vier stücke auf einer probe auf, die es in sich haben. „distant stars“ (später auf FATE IN A PLEASANT MOOD untergebracht) ist eine kurze swingnummer, in der gilmore und ra im tenorsolo plötzlich das harmonische gerüst erweitern, bevor ra seinen monk-in-space macht. „onward“ (INTERSTELLAR LOW WAYS) hat ein merwürdig abstraktes bop-thema, das sich unter den soli zu sowas wie blues-harmonien auflöst. wieder solieren hudson, gilmore und ra, allen kommt dagegen nicht zum zuge. „space aura“ (im wonder inn schon live gehört) ist ein up-tempo-stück, bei dem die bläser morsezeichen über boykins‘ walking-linien senden. ein weiteres elegantes gilmore-solo, hudson dann selbstbewusst mit ein paar bop-klischees, mit stakatohaft eingespielten floskeln von gilmore und allen. schließlich noch der space chant „we travel the space ways“ (kam auf das gleichnamige album), auf einem vamp von ra & boykins und abgesetzten schlagzeug- und percussion-akzenten. der sich in spiralen abwärts bewegende kollektivgesang erhält im bläserthema ein harmonisch komplexeres echo, bevor percussion und das summende arkestra das ding nach hause fliegen und sich aus dem spielzeugrepertoir der band das merkwürdige schwirren von robotern und fliegenden ufos bemerkbar macht. gute reise.
wahrscheinlich wollte ra aus den eigenartig schräg im repertoire stehenden space-chant-nummern („we travel“, „rocket number nine“, „interplanetary music“ und dem erst 1968 aufgenommenen „the satellites are spinning“ eine suite machen).
nachdem auch dem wonder inn anfang 1961 das geld ausging, kam es zu zwei letzten engagements des arkestras – zunächst im gerade eröffneten „5th jack“ (in dem die von cohran beschriebene szene des menschenauflaufs stattfand, nachdem das arkestra anfing, „interplanetary music“ zu singen und zu spielen), dann, für vier wochen, in der pershing lounge. bei proben dort entstehen zwei aufnahmen, die es in die ra-diskografie geschafft haben (beide sind auf WE TRAVEL THE SPACEWAYS zu finden): eine weitere version von „eve“ und „space loneliness“. diesmal ist wieder ein posaunist dabei, wahrscheinlich dick griffin. billy mitchell (vom foto) ist der neue drummer und walter strickland wieder der trompeter. die einsamkeit im weltraum ist ein hübsch verschatteter blues, ansonsten bieten beide aufnahmen, letzte dokumente des klassischen chicagoer arkestras, wenig neues.
schließlich tritt nochmal der „mann von der sonne“ (wahlweise aus „vom mars“ und „aus dem weltraum“) auf. yochannan hatte ein 1960/61 ein paar feste engagements und alton abraham spendierte studioaufnahmen für eine single. in zwei sessions entstanden „the sun one“, dessen ‚erweiterung‘ „the sun man speaks“ und „message to earthman“. in einem fall versucht sich die band in der r&b-mimikry, ein bläserthema scheint schon „spaceways incorporated“ vorwegzunehmen, während sun ra dezent schräge orgelakkorde einwirft und yochannan furchtbar langweilig singt, dafür in gaga-einleitungen und shout-zwischennummern ausflippt. bei der nachricht an den erdling bleibt der sonnenmann beim gagashouting und das arkestra wirbelt dramatischen soundtracksternenstaub auf. (alle takes auf der SINGLES-kompilation).
was danach auf erden mit dem arkestra geschah, erzählt szwed in anekdotischer fülle. einem angebotsmissverständnis aus montreal folgen murray, strickland, mitchell, boykins, ra, gilmore und allen. da nur boykins einen führerschein hat, fährt er einen teil der musiker 18 stunden am stück nach kanada, fällt danach ohnmächtig aus dem auto. der auftritt endet im desaster, da der betreiber mit einer rockband gerechnet hatte. ra bringt das arkestra in einem urlaubsressort unter, wo es 4 wochen lang vor begeisterten teenagern spielt. im bei studenten beliebten montréaler club „the place“ schließlich findet die band ein zuhause, wird zum geheimtipp und zieht wieder die kosmischen kostüme an. den behörden wird es schließlich zu bunt und die aufenthaltsgenehmigungen werden nicht verlängert. im januar 1962 kontaktiert sun ra tom wilson, den produzenten der JAZZ BY SUN RA session, und ed bland, den regisseur von THE CRY OF JAZZ, die ihm jobs in new york versprechen. noch auf der hinreise hat boykins einen crash und das arkestra kein geld, um das auto zu reparieren. eine rückreise nach chicago, nachdem ein paar gigs in new york absolviert sind, ist vorerst nicht mehr möglich. das arkestra-schiff ist dort für sechs jahre gestrandet.
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Engel, Dämonen und Raketen!
Viel Lese- und Hörstoff, der einen gehetzten Großstädter wie mich etwas überfordert. Für den eiligen Hörer hat kein geringerer als Marshall Allen eine nearly career spanning Compilation mit highlights aus Sun Ras Oeuvre zusammengestellt. Ich kenne sie noch nicht, bin aber gespannt.
Marshall Allen presents Sun Ra And His Orchestra – In The Orbit Of Ra (2014)
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„Etwas ist da, was jenseits der Bedeutung der Worte, ihrer Form und selbst des Stils der Ausführung liegt: etwas, was direkt der Körper des Sängers ist, und mit ein- und derselben Bewegung aus der Tiefe der Stimmhöhlen, der Muskeln, der Schleimhäute, der Knorpel einem zu Ohren kommt, als wenn ein und dieselbe Haut das innere Fleisch des Ausführenden und die Musik, die er singt, überspannen würde.“ (Roland Barthes: Die Rauheit der Stimme)vorgartendas würde mich freuen. bei mir geht es aber nur bis juli 1961 (abflug des arkestras aus chicago), aber du kennst wahrscheinlich den output aus 1959/60 (JAZZ IN SILHOUETTE, FATE IN A PLEASANT MOOD, WE TRAVEL THE SPACEWAYS, HOLIDAY FOR SOUL DANCE, SOUN SUN PLEASURE, ANGELS AND DEMONS AT PLAY)?
Ok, Wahnsinn, es ist ja auch einfach so viel Musik und ich muss zugeben, so nach Sessions sortiert habe ich sie nie. Da ergeben sich natürlich ganz neue Zusammenhänge. Ich kenne von den genannten Platten die Hälfte und zwar die ersten drei.
vorgarten“früher“ hieß 1974 (die erste wiederveröffentlichung, die eine nennenswert große anzahl von hörerInnen erreichte). da hat man verständlicherweise nicht mehr so ganz verstanden, worauf dieses album hinauswill, denke ich. stringent ist die konzeption aber in jedem fall. es gab halt nur den widerspruch zwischen ambition und distribution.
Klar, das ist bei Sun Ra natürlich ein echtes Problem. Was auch nicht hilft ist die Tatsache, dass die ungeheuer verdienstvollen Evidence-CDs eben Platten aus ganz unterschiedlichen Jahren komibinieren.
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Ohne Musik ist alles Leben ein Irrtum.Um nochmals zu belegen, dass der Thread sein Gutes hatte und hat: Inzwischen habe ich mir weitere der frühen Alben gekauft, u.a. Angels and Demons, Nubians, Sun Song usw. und bin dabei meine Sun Ra-CDs durchzuhören. Nochmals vielen Dank für die Anregungen und die Motivation zum Wiederhören, vorgarten. Vielleicht gehts ja irgendwann mit New York weiter.
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Ohne Musik ist alles Leben ein Irrtum.nail75Vielleicht gehts ja irgendwann mit New York weiter.
bin schon dabei! hätte selbst gar nicht gedacht, dass ich durch die frühen arkestra-sachen so sehr zum fan werde, aber wenn man erstmal einen weg in diese diskografie gefunden hat, kommt man gar nicht mehr davon los. freut mich, dass dich das auch zur wiederhören angeregt hat.
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„Live in Nickelsdorf 1984“ gibt es seit Januar bei Trost Records als 4-LP Set. Sehr empfehlenswert.
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When shit hit the fan, is you still a fan? -
Schlagwörter: Chicago, Cosmic Jazz, Free Jazz, Jazz, John Gilmore, Knoel Scott, Marshall Allen, Pat Patrick, Ronnie Boykins, Sun Ra
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